Auffahrunfall versus Fahrstreifenwechsel, oder: Alleinhaftung

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Im „Kessel Buntes“ heute als erstes der OLG Hamm, Beschl. v. 06.09.2018 – I 7 U 31/18. Es handelt sich um einen Hinweisbeschluss in einer Verkehrsunfallsache.

Die Klägerin macht Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem sie auf das vor ihr befindlichen Fahrzeug des Beklagten zu 1) auf einer Autobahn aufgefahren ist. Sie selber behauptete, dass der Unfallgegner unmittelbar vor ihr den Fahrstreifen gewechselt und dann stark abgebremst habe, sodass sie einen Auffahrunfall nicht mehr vermeiden konnte. Der Beklagte zu 1) verteidigte sich dagegen mit dem Argument, er habe den Fahrstreifen, auf welchem der Unfall stattgefunden habe, von Anfang an befahren und die Klägerin wäre unachtsam aufgefahren.

Im Laufe des Verfahrens hat das LG ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige konnte lediglich feststellen, dass beiden Unfallversionen gleich plausibel wären und ein achsparalleler Anstoß von hinten als Auffahrunfall erfolgt ist. Zugleich konnte er auch feststellen, dass die Klägerin mit ihrem Fahrzeug aufgrund einer scharfen Bremsung im erheblichen Umfang „abgetaucht“ gewesen ist, während bei dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) lediglich eine leichte Bremsung stattgefunden hat.

Vor diesem Hintergrund hat das LG Essen die Klage mit dem Argument abgewiesen, gegen die Klägerin würde der Beweis des ersten Anscheins für ein unachtsames Auffahren sprechen und sie habe für die Unfallfolgen allein einzustehen. Dagegen die Berufung der Klägerin, die nach dem Hinweisbeschluss des OLG Hamm keine Aussicht auf Erfolg hat.  Nach Auffassung des OLG ist das LG bei den vorliegenden Anknüpfungstatsachen zutreffend von einem Anscheinsbeweis zu Lasten der Klägerin ausgegangen, bei dem diese entweder zu schnell oder unachtsam gefahren ist bzw. eine nicht ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem Beklagten zu 1) als Vordermann eingehalten habe. Dieser gegen sie sprechende Anscheinsbeweis wäre nach dem eingeholten Sachverständigengutachten auch nicht widerlegt.

Die Ausführungen des OLG lassen sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

Fährt der geschädigte Anspruchsteller achsparallel auf ein vor ihm befindliches Fahrzeug auf der Autobahn auf spricht erst einmal der Beweis des ersten Anscheins gegen ihn wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO.

Dies ändert sich nur dann, wenn unstreitig oder erwiesenermaßen der vorrausfahrende Fahrzeugführer vor dem Unfallereignis einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat. Ist dieser Gesichtspunkt dagegen streitig und nicht bewiesen bleibt es beim Anscheinsbeweis zu Lasten der auffahrenden Partei.

Durch ein leichtes Abbremsen des Vordermanns wird der Anscheinsbeweis, der für ein Verschulden des auffahrenden Fahrzeugführers spricht, nicht erschüttert und es liegt auch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO vor.

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