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Der Auffahrunfall in der Waschstraße, oder: Wann haftet der Betreiber?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute (endlich) die Waschstraßenentscheidung des BGH, also das BGH, Urt. v. 19.07.2018 – VII ZR 251/17. Gegenstand des Verfahrens ist die Haftung nach einem Auffahrunfall in einer Waschstraße nach Fehlverhalten eines Kunden.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von rund 1.220 € wegen einer Beschädigung seines Fahrzeugs in einer Waschstraße, die von der Beklagten betrieben wird. Der Kläger befand sich mit seinem BMW in Waschstraße. Bei dieser handelt es sich um eine vollautomatisierte Anlage, durch die die Fahrzeuge während des Waschvorgangs von einem Schleppband mit einer geringen Geschwindigkeit gezogen werden. Dabei befinden sich die linken Räder auf der Fördereinrichtung, während die rechten Räder frei über den Boden laufen. Vor dem BMW des Klägers befand sich ein Mercedes, hinter dem BMW befand sich ein Hyundai. Während des Waschvorgangs betätigte der Fahrer des Mercedes grundlos die Bremse, wodurch dieses Fahrzeug aus dem Schleppband geriet und stehenblieb, während der BMW sowie der dahinter befindliche Hyundai weitergezogen wurden. Hierbei wurde der BMW auf den Mercedes und der Hyundai auf den BMW geschoben.

Das AG ist von der Haftung des beklagten Anlagenbetreiber ausgegangen und den antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hatte das LG die Klage abgewiesen. Der BGH hat auf die Revision des Klägers das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Der BGH führt aus: Bei einem Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs bestehe die Schutzpflicht des Betreibers der Waschstraße, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren. Dabei könne allerdings nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden. Es seien nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Umständen erforderlich und zumutbar sind. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen bestimme sich dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und der Höhe des Kostenaufwands, der mit den Sicherungsvorkehrungen einhergeht (vgl. auch BGH NJW 2006, 2326; NJW 2010, 1967, jeweils m.w.N). Zu den gebotenen Sicherungsvorkehrungen könne auch die Erfüllung von Hinweispflichten gehören.

Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des LG seien, so der BGH, technische Sicherungsvorkehrungen, die ein Auffahren bei einem Bremsvorgang eines vorausfahrenden Fahrzeugs verhindern, bei Waschstraßen nicht üblich. Zudem sei eine ununterbrochene Überwachung der Anlage, sei es durch den Einsatz von Videoanlagen oder durch Mitarbeiter, die neben dem Schleppband mitlaufen, wegen des damit verbundenen technischen und personellen Aufwands nicht zumutbar und unverhältnismäßig.

Der Schutz der Rechtsgüter der Benutzer erfordere es aber, dass von dem Betreiber der Waschstraße nicht nur die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangt werde. Seien Schädigungen zu besorgen, wenn die Kunden bei der Nutzung der Anlage – zwar selten, aber vorhersehbar – nicht die notwendigen Verhaltensregeln einhalten, müsse der Betreiber in geeigneter Weise darauf hinwirken, dass kein Fehlverhalten vorkommt. Den Betreiber einer Waschstraße treffe deshalb die Pflicht, die Benutzer der Anlage in geeigneter und ihm zumutbarer Weise über die zu beachtenden Verhaltensregeln zu informieren (vgl. zu einer Wasserrutsche BGH NJW-RR 2005, 251).

Der BGH hat aufgehoben und zurrückverwiesen. Das LG hatte – auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, dass eine Haftung der Beklagten nicht in Betracht kommt – die Einhaltung der entsprechenden Informationspflicht nämlcih nicht geprüft. Ob die Beklagte diese Pflicht erfüllt und den Fahrer des Mercedes entsprechend informiert hat, muss das LG nun nach Zurückverweisung im zweiten Durchgang prüfen.

Auffahrunfall an der Ampel, oder: Der Auffahrende haftet allein

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Es ist Samstag, und da öffne ich ja immer den „Kessel Buntes“. Und in dem findet man heute als erste Entscheidung den OLG Celle, Beschl. v. 07.05.2018 – 14 U 60/18 – zum Sorgfaltsmaßstab beim Abbremsen anlässlich des Umspringens einer Ampel von Grün- auf Gelblicht. Zugrunde liegt der Entscheidung ein Unfallgeschehen, das nicht allzu ungewöhnlich ist. Der Beklagte nähert sich einer Lichtzeichenanlage. Er bremst, als die für ihn von grün auf gelb umschaltet. Zum Stehen kommt der Beklagte 1,5 m hinter der Haltelinie. Der Kläger fährt auf.

Das LG ist von alleiniger Haftung des Klägers ausgegangen. Das OLG bestätigt das in seinem Beschluss:

….Es ist nicht zu beanstanden, dass die Einzelrichterin für das Unfallgeschehen vom 30. November 2015 in W. auf der H. in Höhe der Einmündung zur H. Straße eine alleinige Haftung des Klägers angenommen hat. Der Senat teilt die Erwägungen der Einzelrichterin, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nach einer eigenen kritischen Überprüfung vollends. Anders als der Kläger meint, ist der gegen ihn sprechende Anscheinsbeweis nicht erschüttert (im Folgenden 1.). Es war im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG auch geboten, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug vollständig hinter den Verkehrsverstößen des Klägers gemäß §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1 und 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO zurücktreten zu lassen (im Folgenden 2.). Verfahrensfehler sind der Einzelrichterin nicht vorzuwerfen; insbesondere war ein Ergänzungsgutachten nicht zwingend erforderlich (im Folgenden 3.).

1. Der gegen den Kläger als Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist vorliegend nicht dadurch erschüttert, dass dem Beklagten zu 1) vorgeworfen werden müsste, gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßen zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Nach dem Ergebnis der von der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des LG Hannover durchgeführten Beweisaufnahme ist bewiesen, dass der Beklagte zu 1) noch vor der Haltelinie der Ampelanlage zu bremsen begonnen hat, weil diese von grün auf gelb umgesprungen war. Dem steht nicht entgegen, dass das Beklagtenfahrzeug erst 1,5 m hinter der Haltelinie bis zum Stillstand abgebremst worden ist. Gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO ordnet Gelblicht an, vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen zu warten. Der Kreuzungsbereich beginnt jedoch nicht an der Haltelinie, sondern erst dort, wo sich die Fahrspuren der Geradeausfahrenden mit denjenigen der Abbiegenden kreuzen [OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1977, Orientierungssatz, zitiert nach juris; OLG Hamm, VRS 56, 383]. Der gesamte innerhalb der Haltelinien liegende Verkehrsraum ist vom Schutzbereich der Norm erfasst [Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, Bearbeiter König zu § 37 StVO Rn. 8]. Vorliegend hat der Beklagte zu 1) deutlich vor dem gefährlichen Kreuzungsbereich angehalten, nämlich noch vor dem Ende der Linksabbiegerspur (siehe Skizze auf Seite 8 des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. M. vom 29. August 2017, Anlage zur Akte). Da der Beklagte zu 1) folglich den eigentlichen (gefährlichen) Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hatte, war sein Bremsmanöver bis zum Stillstand gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO geboten [vgl. OLG Celle <1 Ss (OWi) 625/77>, Beschluss vom 02.11.1997, Orientierungssatz; KG Berlin <12 U 2354/87>, Urteil vom 23.11.1987, Orientierungssatz; beide zitiert nach juris]. Ihm ist auch kein Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 2 StVO anzulasten, weil bei einem Umschalten der Ampel von grün auf gelb der Hintermann mit einem plötzlichen abrupten Bremsen des Vorausfahrenden rechnen muss [Hentschel/König/Dauer-König zu § 4 StVO Rn. 16] und der Kraftfahrer bremsen muss, solange der Anhalteweg spätestens bis zum Kreuzungsbereich (siehe oben) ausreicht [ders. zu § 37 StVO Rn. 24 m. w. N.]. Eine nicht gebotene Gefahrenbremsung oder eine in dieser Situation unzulässige besonders starke Bremsung hat der Beklagte zu 1) schon nach dem Vorbringen des Klägers nicht durchgeführt, worauf ihn die Einzelrichterin in dem angefochtenen Urteil (Seite 8 LGU) bereits hingewiesen hat. Es durfte vorliegend dem Beklagten zu 1) nicht zugemutet werden, bei Gelblicht in den Kreuzungsbereich einzufahren, nur um auf die mögliche Unaufmerksamkeit nachfolgender Kraftfahrer Rücksicht zu nehmen.

2. Die Abwägung der Einzelrichterin im Rahmen des § 17 Abs. 1 StVG dahin, dass der Kläger allein haftet und die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug (§ 7 Abs. 1 StVG) vollends hinter den Verkehrsverstößen des Klägers zurücktritt, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegen §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1, 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO verstoßen, während dem Beklagten zu 1) aus den unter Ziffer 1. gemachten Ausführungen kein Verkehrsverstoß trifft. Der Kläger musste beim Umspringen der Ampel von grün auf gelb mit einem plötzlichen abruptem Abbremsen des Vordermannes rechnen [siehe oben unter Ziffer 1.; BGH, NJW-RR 2007, 680; OLG Karlsruhe, NJW 2013, 1968; KG Berlin, NZV 2003, 42]. Da der Kläger auf eine Ampelanlage zusteuerte, die ausweislich der Lichtbilder im Sachverständigengutachten gut einsehbar gewesen ist, hätte er mit erhöhter Aufmerksamkeit fahren müssen, weil mit einem Umschalten der Lichtzeichenanlage jederzeit zu rechnen war. Da der im vorausfahrende Beklagte zu 1) es noch geschafft hat, sein Fahrzeug ohne Gefahrenbremsung vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich anzuhalten, als die Ampel von grün auf gelb umsprang, wäre dies für den Kläger bei der nötigen Aufmerksamkeit gleichfalls möglich gewesen, da er noch weiter von der Lichtzeichenanlage entfernt war. Der Kläger hätte folglich selbst die Pflicht gehabt, vor der Ampel anzuhalten. Unter diesen Umständen erscheint es auch dem Senat gerechtfertigt, die Betriebsgefahr für das Beklagtenfahrzeug hinter dem Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers vollends zurücktreten zu lassen [vgl. auch Rechtsprechungsnachweis bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 15. Auflage, Rn. 118; OLG Karlsruhe <10 U 208/86>, Urteil vom 09.01.1987, Leitsatz, zitiert nach juris].

Auffahrunfall auf BAB, Spurwechsel und Anscheinsbeweis, oder: Alleinige Haftung

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Der samstägliche „Kessel Buntes“ ist derzeit gut gefüllt. Daher dauert es manchmal etwas länger, bis ich auf „passende“ Entscheidungen hinweise. So dann heute auf das BGH, Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16 – mit der Thematik: Spurwechsel, Auffahrunfall, Anscheinsbeweis. Die Thematik hat die Rechtsprechung in der letzten Zeit ja häufiger beschäftigt.

Und ich mache es mir mit dem BGH-Urteil heute einfach und stelle nur die vom BGH stammenden Leitsätze zu der Entscheidung ein. Die lauten:

  1. Bei Auffahrunfällen kann, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsab-stand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Ge-schwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO) (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 177/10, BGHZ 192, 84 Rn. 7).
  2. Der Auffahrunfall reicht als solcher als Grundlage eines Anscheinsbeweises aber dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die – wie etwa ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs – als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (Fortführung Senatsurteil vom 13. Dezember 2011, aaO).
  3. Bestreitet der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spur-wechsel und kann der Auffahrende den Spurwechsel des Vorausfahrenden nicht beweisen, so bleibt – in Abwesenheit weiterer festgestellter Umstände des Gesamtgeschehens – allein der Auffahrunfall, der typischerweise auf ei-nem Verschulden des Auffahrenden beruht. Es ist nicht Aufgabe des sich auf den Anscheinsbeweis stützenden Vorausfahrenden zu beweisen, dass ein Spurwechsel nicht stattgefunden hat.“

Plötzliches Bremsen wegen eines Vogels – wie wird gehaftet?

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Bei einem Auffahrunfall hat der Auffahrende meist keine Chance. Gegen ihn spricht der Anscheinsbeweis und in der Folge haftet er meist ganz. Etwas anderes gilt, wenn der Vorausfahrende „plötzlich“ aus „nicht verkehrsimmanenten Grund“ bremst. Dann kann sich die Haftungsverteilung ändern. Das hat vor einiger Zeit das LG Duisburg im LG Duisburg, Urt. v. 30.06.2016 – 12 S 118/15 – für einen Auffahrunfall entschieden, bei dem der Vorausfahrende plötzlich wegen eines Kleintieres, und zwar eines Vogels, gebremst hatte. Das LG kommt da zu einer Haftungsverteilung von 70 % : 30 %:

Im Rahmen der nach §§ 17 Abs. 1 S. 2, 18 Abs. 3 StVG stattzufindenden Gesamtabwägung der Verursachungsanteile ist festzustellen, dass die den beteiligten Fahrzeugen innewohnende Betriebsgefahr auf beiden Seiten – allerdings in unterschiedlichem Maße – durch ein schuldhaftes Verhalten der Fahrer erhöht war.

Die Klägerin hat gegen die sich aus § 4 Abs. 1 S. 1 StVO ergebenden Sorgfaltspflichten verstoßen. Danach muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich abgebremst wird. Das Auffahren muss durch Einhaltung des Sicherheitsabstandes sicher vermieden werden, selbst wenn der Vorausfahrende plötzlich stark abbremst (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. A., § 4 StVO, Rn. 2 m. w. N.).

Beim – hier vorliegenden – Auffahren spricht grundsätzlich der erste Anschein gegen den Auffahrenden (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., Rn. 24). Dieser hat i. d. R. entweder den nötigen Sicherheitsabstand oder die der Verkehrssituation entsprechende Geschwindigkeit nicht eingehalten oder nicht die erforderliche Aufmerksamkeit walten lassen (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., Rn. 24 m. w. N.). Erschüttert wir der Anscheinsbeweis allerdings durch Abbremsen ohne zwingenden Grund (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O.).

Ein solches ist im vorliegenden Fall gegeben, da der Beklagte zu 1), wie durch die Beweisaufnahme bewiesen und in der Berufungsinstanz auch unstreitig gestellt worden ist, wegen eines Vogels gebremst hat, wobei unerheblich ist, ob dieser sich auf der Straße oder auf dem Gehweg befunden hat.

Hätte der Beklagte zu 1) nicht gebremst, wäre es, was ebenfalls unstreitig ist, nicht zu dem Auffahrunfall gekommen. Das Bremsen erfolgte aus einem nicht verkehrsimmanenten Grund und war damit nicht erforderlich (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 27.07.2009, Az. 9 S 117/09 – Bremsen wegen einer Taube – und AG München, Urteil vom 25.02.2014, Az. 331 C 16026/13 – Bremsen wegen eines Eichhörnchens; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., Rn. 17).

Der Beklagte zu 1) hat damit ebenfalls einen Verkehrsverstoß begangen, der zu einer erhöhten Betriebsgefahr führt und in die Abwägung nach §§ 17 Abs. 1 S. 2, 18 Abs. 3 StVG einzustellen ist.

Denn nach § 4 Abs. 1 S. 2 StVO darf, wer vorausfährt, nicht ohne zwingenden Grund bremsen. Diesen Ansprüchen genügte das Verhalten des Beklagten zu 1), wie bereits ausgeführt, nicht.

In der Rechtsprechung werden bei Auffahrunfällen, bei denen auch dem Vorausfahrenden wegen Abbremsens ohne zwingenden Grund ein Verschuldensvorwurf gemacht wird, unterschiedliche Haftungsquoten – jeweils mit höherem Anteil des Auffahrenden – vertreten (3/4 zu 1/4: OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.04.1994, Az. 1 U 106/93; 60 % zu 40 %: LG Karlsruhe, a. a. O; 2/3 zu 1/3: KG Berlin, Urteil vom 11.07.2002, Az. 12 U 9923/00). Auch in der Literatur wird i. d. R. eine Haftungsquote des Auffahrenden von 2/3 angenommen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. A., § 4 StVO, Rn. 33 m. w. N.).

Die Kammer erachtet die von der beklagten Versicherung vorgenommene Quotierung von 70 % zu 30 % für sachgerecht, so dass die Klage wegen Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB abzuweisen ist, da auf den Gesamtschaden von 2.427,- € bereits 728,10 € gezahlt wurden.“

M.E. zutreffend.

Starkes Bremsen bei grüner LZA, oder: Nicht immer haftet der Auffahrende allein…..

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Nach dem „Quasiauffahrunfall“ im OLG Düseldorf, Urt. v. 27.10.2015 – I-1 U 46/15 (dazu Abbiegen auf die Gegenfahrbahn – Wenden oder Linksabbiegen?, oder: Quasiauffahrunfall) hier dann jetzt ein „richtiger“ Auffahrunfall, und zwar eine „klassische Situation“: Auffahren nach Bremsen bei grüner Lichtzeichenanlage. Das LG Saarbrücken, Urt. v. 20.11.2015 – 13 S 67/15 – geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Die Klägerin und die Erstbeklagte standen mit ihren Fahrzeugen hintereinander in einer Reihe von insgesamt vier Fahrzeugen vor einer roten Ampel in der ppp. Straße im Kreuzungsbereich zur ppp. Straße. Die Erstbeklagte hielt an dritter Stelle, die Klägerin an vierter Stelle. Nachdem die Ampel auf Grün umgeschaltet hatte, fuhren die Fahrzeuge los. Nachdem die ersten beiden Fahrzeuge bereits in die ampelgeregelte Kreuzung eingefahren waren, bremste die Erstbeklagte ihr Fahrzeug noch vor dem Kreuzungsbereich ab, weil sie von rechts kommend die Zeugin ppp. mit ihrem Fahrrad auf dem dortigen Fuß- und Radweg sah und die Befürchtung hatte, die Zeugin ppp. würde die Straße queren. Die Klägerin fuhr auf das Beklagtenfahrzeug auf.“

Und dazu dann das LG in seiner dem Grunde nach nicht überraschenden Entscheidung:

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG ist der Erstrichter davon ausgegangen, dass die Erstbeklagte gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen habe. Auch dies ist zutreffend.

a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO darf der Vorausfahrende nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen. Voraussetzung ist danach zum einen, dass der Vorausfahrende deutlich über das Maß eines normalen Bremsvorgangs hinaus gebremst hat (vgl. KG, VersR 2002, 1571; OLG München, Urteil vom 22.02.2008 – 10 U 4455/07, juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 4 StVO Rn. 11). Zum anderen muss nachgewiesen sein, dass kein zwingender Grund für ein entsprechendes Bremsmanöver vorlag. Ein zwingender Grund setzt dabei eine plötzlich drohende ernste Gefahr für Rechtsgüter und Interessen voraus, die dem Schutzobjekt der Vorschrift (Sachen und Personen) mindestens gleichwertig sind (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1988, 138; Saarl. OLG, Zfs 2003, 118; OLG München, Urteil vom 22.02.2008 – 10 U 4455/07, jeweils m.w.N.).

b) Dass die Erstbeklagte im Streitfall deutlich über das Maß eines normalen Bremsvorgangs hinaus gebremst hat, hat das Erstgericht zutreffend feststellt. Dies wird auch von den Beklagten nicht in Abrede gestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten lag auch kein zwingender Grund für ein starkes Abbremsen vor. Denn von der Zeugin ppp. ging – wie der Erstrichter ebenfalls zutreffend festgestellt hat – keine plötzliche Gefahr aus, die ein starkes Abbremsen rechtfertigte.

Nach der Darstellung der Zeugin ppp., der das Erstgericht gefolgt ist und deren Glaubhaftigkeit von der Berufung ebenso wenig in Zweifel gezogen wird wie die Glaubwürdigkeit der Zeugin, hatte sich die Zeugin mit ihrem Rad dem Fußgänger-/Radübergang nur langsam genähert und war gerade dabei, auf dem Bürgersteig anzuhalten, als die Erstbeklagte stark abbremste. …..

3. Auch die Klägerin trifft ein Mitverschulden an dem Unfall.

a) Zwar ist der gegen die Klägerin als Auffahrende sprechende Anscheinsbeweis im Hinblick auf den nachgewiesenen Verstoß der Erstbeklagten gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO erschüttert (Kammer, st. Rspr.; vgl. zuletzt Hinweisbeschluss vom 21. Mai 2013 – 13 S 72/13; ebenso KG, VerkMitt 1983, Nr. 15, S. 13; OLG Köln, MDR 1995, 577; OLG-?Report 1995, 286; OLG Frankfurt, VersR 2006, 668).

b) Die Klägerin hat aber nachweislich gegen die Pflichten aus § 3 Abs. 1, Satz 4, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 1 StVO verstoßen. Zwar ist beim Anfahren bei Grün die Pflicht zur Einhaltung des Mindestabstands nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO außer Kraft gesetzt. Dies geht allerdings einher mit der Pflicht zu besonderer Aufmerksamkeit und erhöhter Bremsbereitschaft (vgl. KG, NZV 2013, 80; Hentschel aaO § 4 StVO Rn. 9 m.w.N.). Dass die Klägerin hiergegen verstoßen hat, hat der Erstrichter in tatsächlicher Hinsicht festgestellt. Dies wird von der Berufung nicht mit konkreten Tatsachen angegriffen.

4. Die Berufung der Klägerin wendet sich aber zu Recht gegen die durch das Amtsgericht getroffene Haftungsverteilung. Zwar trifft den Auffahrenden in der Regel die überwiegende Haftung. Dies gilt allerdings nicht, wenn dem Vorausfahrenden – wie hier – ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO zur Last fällt. In diesem Fall kommt eine Mithaftung des Vorausfahrenden in Betracht, die umso größer ist, je unwahrscheinlicher nach der Verkehrssituation ein starkes Abbremsen ist (vgl. KG, MDR 2006, 1404; OLG Hamm, Schaden-?Praxis 2014, 186). Nach diesen Grundsätzen hält die Kammer vorliegend eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten für angezeigt. Denn die Erstbeklagte hat mit ihrem überraschenden und verkehrswidrigen Abbremsen die maßgebliche Ursache für den Unfall gesetzt. Dies gilt insbesondere, weil die Klägerin davon ausgehen durfte, dass auch die Erstbeklagte während der Grünphase der Ampel zügig weiterfahren würde, nachdem bereits die ersten beiden Fahrzeuge über die Ampel gefahren waren und auch die Erstbeklagte beim Umschalten der Ampel auf Grün „normal“ angefahren war. Gegenüber diesem schwerwiegenden Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO fällt das Mitverschulden der Klägerin vergleichsweise gering aus (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; KG, NZV 2004, 526; OLG Frankfurt, VersR 2006, 668; LG München, DAR 2005, 690).