Schlagwort-Archive: Verkehrssicherungspflicht

(Straßen)Verkehrssicherungspflicht, oder: Wenn ich mit einem Motorrad über einen Niveauunterschied stürze

© fotomek – Fotolia.com

Im „Kessel Buntes“ „köcheln“ heute dann zwei LG-Entscheidungen.

Die erste Entscheidung, das LG Neubrandenburg, Urt. v. 29.06.2020 – 3 O 152/20, das mir die Kollegin Schade aus Waren vor einiger Zeit geschickt hat. Gegenstand der Entscheidung ist die Verkehrssicherungspflicht.

Folgender Sachverhalt:

„Die Ortschaften Minenhof und Schloen sind durch eine ca. 3 m breite Gemeindestraße miteinander verbunden, die mit höchstens 50 km/h befahren werden darf. Im August 2018 wurden auf dieser Strecke Bauarbeiten durchgeführt, da ein Durchlass unter der Fahrbahn erneuert werden musste. Die Straße war zu diesem Zweck aufgeschnitten worden. Die aufgeschnittene Stelle wurde mit Schotter aufgefüllt. Die Bauabnahme erfolgte am 16.08.2018. Durch Witterungsverhältnisse entstand ein Niveauunterschied zwischen der Schotterfläche und der restlichen Fahr-bahn, wobei der Höhenunterschied im Detail streitig ist. Neben der Schotterfläche befand sich ein Haufen mit Aushub. Warnschilder waren nicht aufgestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K2 sowie die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte zum Aktenzeichen 722 Ujs 11119/18 Bezug genommen……

…. Die Klägerin behauptet, dass der Verstorbene, pp. am 16.10.2018 gegen 15:00 Uhr mit seinem Motorrad Kawasaki Z900RS mit dem amtlichen Kennzeichen pp. die Straße von Minenhof kommend in Richtung Schloen mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h befahren habe. Aufgrund eines Höhenunterschiedes im Bereich der Aufbruchstelle von 11 – 12 cm sei der Verstorbene gestürzt. Er habe aufgrund des Schattenspiels der Bäume die Unebenheit der Straße nicht erkennen können. Der Verstorbene ließ das Motorrad – welches unbestritten in seinem Eigentum stand – unstreitig – für 2.382,83 € reparieren und forderte die Beklagte mit anwaltlichen Schreiben vom 16.11.2018 – ebenfalls unstreitig – zur Zahlung auf. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr eine Unfallpauschale in Höhe von 25,00 € zustehe und ihr außergerichtliche Anwaltskosten zu ersetzen wären.“

Geltend gemacht wird also der Unfallschaden. Und das LG hat zugesprochen:

„Der geltend gemachte Hauptsacheanspruch steht der Klägerin zu.

Das unstreitig im Eigentum des pp. gestandene Motorrad wurde durch die schuldhafte Verletzung einer Amtspflicht durch die Beklagte verletzt, indem sie es unterließ, am 16.10.2018 vor einem Höhenunterschied von ca. 11 cm in der Verbindungsstraße zwischen Minenhof und Schloen zu warnen, was dazu führte, dass der Verstorbene stürzte und das vorgenannte Motorrad beschädigt wurde.

Zwar hat die Beklagte die Angaben der Klägerin zum Unfallereignis, dessen Ort, Zeit, Ursache und Hergang zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten, § 138 Abs. 3 ZPO – das Gericht geht je-doch nach Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte zum Aktenzeichen 722 UJs 11119/18 davon aus, dass der Verstorbene am 16.10.2018 gegen 15:00 Uhr die Verbindungsstraße zwischen Minenhof und Schloen befuhr und auf Höhe der Baustelle mit seinem Motorrad stürzte, § 286 ZPO. Denn die Feststellungen der Polizeibeamten gehen von einer ungesicherten Baustelle aus. Dies korrespondiert mit den zur Ermittlungsakte gereichten Lichtbildern der Örtlichkeit als auch mit den Beschädigungen am Motorrad. Aufgrund der detaillierten Aufnahme der Baustelle mittels Bildbericht geht das Gericht insbesondere aufgrund Seite 8 der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte davon aus, dass im Rahmen der Baustellenbereichs zum Zeitpunkt des Unfalls ein Höhenunterschied von 10 cm bestand.

Der Beklagten oblag eine als Amtspflicht ausgestaltete Verkehrssicherungspflicht.

Entsprechend den vorgenannten Normen des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern obliegt den Gemeinden als Träger der Straßenbaulast der Bau, die Unterhaltung und die Verwaltung der öffentlichen Gemeindestraßen sowie die Überwachung der Verkehrssicherheit als Amtspflichten in Ausübung der öffentlichen Gewalt. So liegt es auch hier. Der Beklagten oblag die Straßenbaulast als auch die Straßenverkehrssicherungspflicht für die Verbindungsstraße zwischen Minenhof und Schloen.

Diese Pflicht hat die Beklagte auch schuldhaft verletzt.

Die Straßenverkehrssicherungspflichten sind nur ein Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Verkehrsflächen (vgl. hierzu Itzel, Neuere Entwicklungen im Amts- und Staatshaftungsrecht — Rechtsprechungsüberblick 2009, MDR 2010, 426, MDR Jahr 2010 427; derselbe, Neuere Entwicklungen im Amts- und Staatshaftungsrecht — Rechtsprechungsüberblick 2011, MDR 2012, 564). Jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, muss diejenigen ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung der Dritten drohenden Gefahren geboten sind (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.1972 – III ZR 121/70BGHZ 60, 54 = NJW 1973, 460).

Der Inhalt der Straßenverkehrssicherungspflicht geht dahin, die öffentlichen Verkehrsflächen wie alle sonstigen einem Verkehr eröffneten Räume oder Sachen — möglichst gefahrlos zu gestalten und zu erhalten, sowie im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um den Gefahren zu begegnen, die den Verkehrsteilnehmer aus einem nicht ordnungsgemäßen Zustand drohen (BGH, Urteil vom 18.12.1972, a.a.O.). Das bedeutet allerdings nicht, dass die Straße praktisch völlig gefahrlos sein muss. Denn das ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen und kann von dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht verlangt werden. Grundsätzlich muss der Straßenbenutzer sich vielmehr den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 26.07.2018 – 1 U 149/18MDR 2018, 1312).

Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und in objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Ob danach eine Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand ist, entscheidet sich im Ergebnis nach der allgemeinen Verkehrsauffassung. Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seine Bedeutung sind dabei zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.1979 – III ZR 58/78VersR 1979, 1055).

So sind im Ergebnis Niveauunterschiede und Unebenheiten im Bereich von Straßen und Plätzen in einem gewissen Umfang hinzunehmen. Eine Verkehrssicherungspflicht beginnt erst dort, wo auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage völlig überraschend eintritt oder nicht ohne weiteres erkennbar ist. Welcher Niveauunterschiede bei Unebenheiten aus Sicht des Verkehrssicherungspflichtigen noch tolerabel sind, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Es kann aber nicht allein auf die absolute Höhe des Unterschieds des Höhenniveaus abgestellt werden. Vielmehr ist die durch den Höhenunterschied bedingte Gefährdung im Zusammenhang mit besonderen Umständen der einzelnen Örtlichkeit zu sehen und im Blick auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.1966 – III 152/20 ZR 132/65 – VersR 1967, 281).

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen kommt das erkennende Gericht zu dem Schluss, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hat. Zwar liegt der Unfallbereich auf einer Straße, die schon aufgrund ihrer äußeren Gestaltung mit einer Breite von 3 m nicht dafür geeignet ist, stark frequentiert zu werden, mithin eine geringe Verkehrsbedeutung aufweist, was auch dadurch gestützt wird, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur 50 km/h beträgt. Das Gericht hat aber auch berücksichtigt, dass sich die Gefahr nicht aus der natürlichen Beschaffenheit des Ortes oder einer gebrauchsbedingten Abnutzung der Straßenoberfläche ergeben hat, sondern daraus, wie der neu aufgebrachte Straßenbelag an dieser Stelle, an welcher er endete, ausgeführt worden ist. Die Herstellung eines solchen Anschlusses mit Ausbildung einer ca. 10 cm hohen Abbruchkante unter Verwendung von bloßem Schotter entspricht nicht den Anforderungen an die Herstellung von Straßen des Straßen- und Wegegesetzes M-V. Denn die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs war auf diese Weise nicht zu gewährleisten. Eben diesem Zweck soll der Straßenbau aber dienen. Eine derartige Fahrbahnherstellung ist daher mangelhaft. Den Verkehr dort gleichwohl uneingeschränkt zuzulassen, verletzt damit Sicherungspflichten unter außer Acht lassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dass der Niveauunterschied zwischen der Schotterfläche und der restlichen Fahrbahn erst durch Witterungsverhältnisse entstanden ist – so jedenfalls der unstreitige Sachverhalt – ist vor dem Hintergrund unschädlich, dass die Beklagte bei der Ausführung von provisorischen Baumaßnahmen, insbesondere – wie hier – bei der Verwendung von bloßem Schotter weitere Kontroll- und Überwachungspflichten trifft, derer die Beklagte nicht gerecht geworden ist. Dass die Beklagte der provisorisch errichteten Schotterfläche regelmäßigen Kontrollen zuführte, ist schon nicht vorgetragen.

Der Haftung der Beklagten kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Verkehrssicherungspflicht erst dort einsetzt, wo ein Hindernis für den Verkehrsteilnehmer nicht rechtzeitig wahrzunehmen und der Verkehrsteilnehmer demzufolge nicht in der Lage ist, diesem durch eigenes zweckgerichtetes Handeln zu begegnen. Zwar mag noch unterstellt werden, dass bei Beobachtung der erforderlichen Aufmerksamkeit das Hindernis dem Grunde nach für sich ihm nähernde Fahrzeugführer erkennbar war. Angesichts des Ausmaßes des Absatzes und der Tatsache, dass die Unebenheit durch die Verwendung von bloßem Schotter herbeigeführt worden ist, konnte die Beklagte aber nicht mehr erwarten, dass ein solches Hindernis durch alle Fahrer eines zum öffentlichen Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeugs die Gefährlichkeit konkret einzuschätzen vermochten. Denn das Überfahren von Schotter stellt gerade für zweirädrige Verkehrsteilnehmer eine erhebliche Gefährdung dar, die bei deren Annäherung – auch mit der zulässigen Geschwindigkeit – im Detail nicht immer zutreffend zu erkennen ist. Hiervor zu warnen, wäre die Beklagte verpflichtet gewesen. Warnschilder waren indes nicht aufgestellt. Der sich neben der Unfallstelle befundene Aushub wird dieser erforderlichen Warnung nicht gerecht.“

Schlecht erkennbare Durchfahrtsperre, oder: Mitverschulden wegen Verletzung des Sichtfahrgebotes

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Im samstäglichen „Kessel Buntes“ köchelt dann heute zunächst das BGH, Urt. v. 23.04.2020 – III ZR 251/17. Es geht um die Verletzung des Verkehrssicherungspflicht eines Jagdepächters gegenüber einem Radfahrer und um dessen Mitverschulden bei einem Sturz mit seinem Rad.  Wegen dieses Unfalls macht der Kläger gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche geltend.

Der BGH geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Der Kläger war bis zu dem Unfallgeschehen als Marineoffizier der Bundeswehr tätig. Am Nachmittag des 15. Juni 2012 unternahm er mit seinem Mountainbike eine Radtour. Über die ihm unbekannten Örtlichkeiten hatte er sich zuvor mittels einer Karten-App informiert. Gegen 17.00 Uhr bog er von einer Straße in einen zum Gebiet der zu 1 beklagten Gemeinde gehörenden unbefestigten Feldweg ab, der als Sackgasse in einem Waldstück endete. Nach ungefähr 50 m befand sich auf dem Feldweg eine Absperrung. Diese bestand aus zwei in der Mitte des Weges befindlichen vertikalen nach unten auf den Boden gerichteten Holzlatten, an denen das Verkehrszeichen 260 (Verbot für Kraftfahrzeuge) befestigt war und die durch zwei waagerecht verlaufende verzinkte Stacheldrähte in der Höhe von etwa 60 cm und 90 cm gehalten wurden. Diese waren ihrerseits seitlich des Feldweges an im Unterholz stehenden Holzpfosten befestigt. An einem dieser Pfosten konnten die Stacheldrähte gelöst werden, um die Absperrung zu öffnen. Diese war Ende der 1980er-Jahre mit Zustimmung der Beklagten zu 1 durch den damaligen Jagdpächter errichtet worden. Der ehemalige Bürgermeister der Beklagten zu 1 hatte bis in das Jahr 2013 circa zwei- bis dreimal pro Quartal nach der Absperrung gesehen. Die Beklagten zu 2 und 3 waren die am Unfalltag verantwortlichen Jagdpächter des Niederwildreviers und nutzten den Feldweg regelmäßig, um zu einer hinter der Absperrung gelegenen Wiese zu gelangen, wo sich ein mobiler Hochsitz/Jagdwagen befand.

Als der Kläger die über den Feldweg gespannten Stacheldrähte bemerkte, führte er eine Vollbremsung durch; die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig. Es gelang ihm nicht, sein Fahrrad rechtzeitig vor der Absperrung zum Stehen zu bringen, sondern er stürzte – links des Verkehrszeichens – kopfüber in das Hindernis. Dort blieb er mit seiner Kleidung hängen und konnte sich nicht mehr bewegen. Gegen 19.20 Uhr bemerkte ihn der zufällig vorbeikommende Beklagte zu 2, der Rettungsdienst und Polizei alarmierte.

Durch den Sturz erlitt der Kläger einen Bruch des Halswirbels und als Folge dessen eine vollständige Querschnittslähmung unterhalb des vierten Halswirbels. Vom 22. Juni 2012 bis 15. April 2013 befand er sich in stationärer Behandlung in einem Querschnittgelähmten-Zentrum. Er ist seit dem Unfall dauerhaft hochgradig pflegebedürftig und bedarf lebenslang einer querschnittslähmungsspezifischen Weiterbehandlung mit kranken-, physio- und ergotherapeutischen Maßnahmen. Das Wehrdienstverhältnis endete zum 31. März 2014; seitdem ist der Kläger Versorgungsempfänger.

Der Kläger verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern u.a. ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von mindestens 500.000 €. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das OLG der Klage teilweise stattgegeben, ist dabei aber von einem Mitverschulden von 75 % des Klägers ausgegangen. Dagegen die Revision des Klägers, die Erfolg hatte und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG geführt hat.

Wegen der Umfangs der Begründung des BGH beschränke ich mich hier auf den Leitsatz zum Mitverschulden des Klägers:

Das Sichtfahrgebot gebietet es nicht, dass der Fahrer seine Geschwindigkeit auf solche Objekte (hier quer über einen für die Nutzung durch Radfahrer zugelassenen Weg gespannter, nicht auffällig gekennzeichneter Stacheldraht) einrichtet, die sich zwar bereits im Sichtbereich befinden, mit denen der Fahrer – bei Anwendung eines strengen Maßstabs – jedoch unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Dies betrifft etwa Hindernisse, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind oder deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist und auf die nichts hindeutet. Die falsche Reaktion eines Verkehrsteilnehmers stellt keinen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß dar, wenn dieser in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unter-nimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlichem Erschrecken objektiv falsch reagiert.

Der Mist mit dem Mist, oder: Wenn der „Scheibenschwammwascher“ die Motorhauber zerkratzt

entnommen wikimedia.org
Urheber joho345

Im „Kessel Buntes“ heute dann zunächst das LG Coburg, Urt. v. 15.03.2019 – 33 S 70/18. Ich mache es mir dazu aber mal einfach und greife auf die Pressemitteilung des LG Coburg Nr. 6/2019 v. 28.06.2019 zurück. Ist so warm 🙂 .

Behandelt wird im Urteil die Verkehrssicherungspflicht eines Tankstellenbetreibers. Dazu heißt es in der PM:

„Das LG Coburg hat entschieden, dass ein Autobesitzer keinen Schadensersatz vom Betreiber einer Tankstelle wegen einer zerkratzten Motorhaube verlangen kann, wenn er vor Benutzung der Waschanlage einen zur Scheibenreinigung bereitgestellten Schwammwischer zweckentfremdet zur Reinigung der Motorhaube einsetzt.

Der Kläger wollte sein Auto an der Tankstelle des Beklagten waschen. Vor Benutzung der Waschanlage entfernte er Vogelkot auf der Motorhaube seines Pkw. Hierzu benutzte er den vom Tankstellenbetreiber in einem Wassereimer zur Scheibenreinigung bereitgestellten Schwammreiniger. Am Ende blieb jedoch kein sauberes Auto zurück, sondern eine verkratzte Motorhaube. Hierfür verlangte der Kläger nun Schadensersatz und die Kosten für seinen Rechtsanwalt, insgesamt knapp 1.000 Euro. Der Kläger behauptete, der Schwamm des Wischers habe sich von der Metallhalterung gelöst und hierdurch die Kratzspuren verursacht. Der beklagte Tankstellenbetreiber habe diesen mangelhaften Wischer bereitgestellt und müsse deshalb auch für den Schaden aufkommen. Der Beklagte verwies u.a. darauf, dass der Schwammwischer zum Reinigen der Windschutzscheibe dienen sollte und vom Kläger zweckentfremdet worden war.

Das AG Coburg hat die Klage nach der Vernehmung einer Zeugin und der Anhörung eines Sachverständigen abgewiesen. Danach traf den Kläger an seinem Schaden jedenfalls ein so großes Mitverschulden, dass er im Ergebnis vom Beklagten keinen Schadensersatz verlangen kann. In seiner Begründung verwies das Amtsgericht den Kläger zunächst auf das – gegen Einwurf einer Münze von 50 Cent – eigens zum Entfernen von festen Verschmutzungen an der Einfahrt zur Waschanlage aufgestellte Sprühsystem. Weiter war es nach den Angaben der Parteien so, dass sich der Schwamm offensichtlich schon deutlich erkennbar aus der Metallschiene gelöst hatte, bevor der Kläger ihn benutzte. Der Sachverständige hatte schließlich weiter bestätigt, dass der Kläger den Wischer nicht nur zweckentfremdet zur Reinigung der Motorhaube eingesetzt hatte, sondern diesen außerdem noch in einem völlig unüblichen Winkel von 45° mit einigem Druck immer wieder über die Motorhaube gezogen haben musste. Wenn der Kläger den Schwamm wie vorgesehen flach über die Motorhaube geführt hätte, wäre es zu den Kratzern gar nicht erst gekommen. Der Kläger legte Berufung ein und behauptete vor dem Landgericht, der Schwamm sei anfangs noch intakt gewesen und habe sich erst beim Wischen völlig überraschend von der Metallschiene gelöst. Der Kläger habe den Schwamm außerdem nur waagerecht auf die Motorhaube aufgesetzt und nicht in Winkelstellung.

Das LG Coburg hat die Berufung zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Landgerichts lag eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht vor und der Kläger hat den Schaden allein zu verantworten. Wenn schon nach seinem eigenen Vortrag der Wischer zunächst in einem optisch einwandfreien Zustand war und sich erst während der Benutzung durch den Kläger von der Metallschiene gelöst habe, scheide eine Pflichtverletzung des Tankstellenbetreibers aus. Dieser war im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht zwar gehalten, den Wischer regelmäßig zu kontrollieren, zu mehr als einer Sichtprüfung jedoch nicht verpflichtet.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Sturz in geöffnete Bodenluke im Klamottenladen, oder: Verkehrssicherungspflicht verletzt?

entnommen wikimedia.org
By Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons – cc-by-sa-3.0, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org

Heute am Samstag dann mal wieder zivilrechtliche Entscheidungen zum Verkehrsrecht, und zwar zunächst das OLG Hamm, Urt. v. 19.01.2018 – 9 U 86/17. Nun ja, das behandelt nicht direkt eine verkehrsrechtliche Fragestellung, aber es hat mit der Verkehrssicherungspflicht zu tun. Passt also auch in diesen Kontext 🙂 .

Es geht um die Verkehrssicherungspflicht in einem Bekleidungsgeschäft. Geklagte hat die gesetzliche Krankenkasse einer am 31.03.2014 in dem von der Beklagten betriebenen Modehaus zu Fall gekommenen Zeugin U aus übergegangenem Recht auf Erstattung der unfallbedingt getätigten Aufwendungen. Die Zeugin U war an diesem Tag durch eine in dem Ladenlokal befindliche geöffnete Luke, die zu diesem Zeitpunkt nicht von der dafür abgestellten Verkäuferin bewacht wurde, in den darunter liegenden Bügelkeller gefallen. Das OLG geht – ebenso wie das LG – von einer Haftung der Beklagten aus, lehnt aber – nach Beweisaufnahme – ein Mitverschulden der Zeugin, das das LG mit 30 % angenommen hatte, ab:

„Der Senat vermochte nach Wiederholung der erstinstanzlich bereits durchgeführten Vernehmung der Zeugin U sowie Anhörung des Geschäftsführers der Beklagten ein – von der Beklagten zu beweisendes – Mitverschulden der Zeugin U an der Entstehung des Unfalls nicht festzustellen. Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht bei seiner Beurteilung der Unfallsituation nicht hinreichend gewürdigt, dass sich der Unfall in einem Ladenlokal ereignet hat, in welchem die Aufmerksamkeit der Kunden zielgerichtet durch die auf den Kleiderständern angebotenen Waren, Preisschilder und sonstige Hinweisschilder in Anspruch genommen und somit auch von anderen Dingen abgelenkt wird.

In einem Bekleidunggeschäft muss der Kunde allenfalls mit herabgefallenen Kleidungsstücken rechnen, nicht jedoch mit einer geöffneten Bodenluke. Eine solche Luke ist angesichts der besagten vielfältigen Ablenkungen und der Erwartungshaltung der Kunden während des Publikumsverkehrs eine so überraschende Gefahrenquelle, dass sie an sich nur außerhalb der Geschäftszeiten eröffnet werden darf. Dementsprechend hat auch der Geschäftsführer der Beklagten sich vor dem Senat dahingehend geäußert, die Luke werde üblicherweise nicht während des Publikumsverkehrs geöffnet.

Darüberhinaus lassen sich die exakten Sichtverhältnisse der Zeugin U bei Annäherung an besagten Schacht nicht mehr exakt rekonstruieren.

Bei dieser Sachlage vermag der Senat selbst in einer kurzen Ablenkung der Zeugin U durch das rechts von ihr stattfindende Gespräch ein Mitverschulden nicht zu erkennen.

Ein solches hätte jedenfalls hinter der gravierenden Verkehrssicherungspflichtverletzung, welche die Beklagte zu vertreten hat, vollständig zurückzutreten.“

Aus der PM des OLG Hamm zu dieser Entscheidung ergibt sich etwas mehr Sachverhalt. Da heißt es nämlich:

„Eine während der Geschäftszeiten im Kundenbereich eines Bekleidungsgeschäfts geöffnete Fußbodenluke mit den Maßen 2,11 m x 0,8 m stellt eine überraschende Gefahrenquelle dar, auf die sich ein Kunde nicht einstellen muss, so dass ihm bei einem Sturz in den Schacht unter der Luke 100 % Schadenersatz zustehen kann. Unter Hinweis hierauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.01.2018 das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12.04.2017 (Az. 4 O 21/15 LG Bielefeld) überwiegend abgeändert.

Das beklagte Modehaus aus Bielefeld wird nach der Verletzung einer Kundin in seinen Geschäftsräumen von der klagenden Krankenkasse aus Dortmund – aus übergegangenem Recht – auf Ersatz aufgewandter Behandlungskosten in Anspruch genommen. Die seinerzeit 66 Jahre alte Kundin, Kassenmitglied der Klägerin, begab sich im März 2014 in das Modehaus, um einen Pullover für ihre Tochter zu erwerben. Im Gang zur Kasse befand sich ein Schacht im Boden mit den Maßen 2,11 m x 0,8 m, der in den darunter gelegenen Bügelkeller führte. Dessen Abdeckung stand offen. Weil sie zur Seite sah, wo sich eine Verkäuferin mit dem Geschäftsinhaber unterhielt, übersah die Kundin die offene Luke und stürzte in den Schacht. Sie erlitt diverse Verletzungen an Schulter, Oberarm, Sprunggelenk und Fuß, unter anderem eine Oberarmfraktur und eine Fraktur des Innenknöchels.“

Trotzdem: Augen auf und nicht neugierig sein, was nebenan gequatscht wird 🙂

BGH zur Streupflicht, oder: Der nächste Winter kommt bestimmt….

© Jan Jansen – Fotolia.com

Nun, das ist dann mal die richtige Entscheidung für einen Samstag im Juni :-). Das BGH, Urt. v. 14.02.2017 – VI ZR 254/16 -, in dem der BGH zur Streupflicht bei Schnee oder Glattein Stellung genommen hat. Also winterlicher Sachverhalt im Sommer. Aber: Im „Kessel Buntes“ geht das und der nächste Winter kommt ja bestimmt.

Ergangen ist das Urteil in einem Verfahren, in dem die Klägerin als Arbeitgeberin einer auf ei­nem Gehweg ver­un­glück­ten Arbeitnehmerin aus über­ge­gan­ge­nem Recht nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz Schadensersatz we­gen Verdienstausfalls von den Beklagten verlangt. Die Klägering geht davon aus, dass ihre Arbeitnehmerin an ei­nem Werktag im Januar 2013 ge­gen 7:20 Uhr auf dem Gehweg in Höhe des Hausgrundstücks der Beklagten in ei­ner Ortschaft ge­stürzt ist und hat si­ch ver­letzt. Auf dem Gehweg be­fand si­ch zu die­sem Zeitpunkt ei­ne ca. 1 m² gro­ße Glatteisfläche, wel­che dem Beklagten beim Gassiführen sei­nes Hundes ha­be auf­fal­len müs­sen.

Die Klage ist dann letztlich insgesamt abgewiesen worden. Der BGH stellt seiner Entscheidung folgende Leitsätze voran:

1. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen Verstoßes gegen winterliche Räum- und Streupflichten setzt entweder das Vorliegen einerallgemeinen Glätte voraus oder das Vorliegen von erkennbaren Anhaltspunkten für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen.

2. Eine Gemeindesatzung über den Straßenreinigungs- und Winterdienst muss nach dem Grundsatz gesetzeskonformer Auslegung regelmäßig so verstanden werden, dass keine Leistungspflichten begründet werden, die über die Grenze der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten hinausgehen.“
Bis es darauf wieder ankommt, ist ja noch ein wenig Zeit.