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Urkunde II: Totalfälschung von Bewerbungsunterlagen, oder: Als Email-Anhang versandtes PDF

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Und als zweite Entscheidung kommt dann hier das OLG Celle, Urt. v. 15.12.2023 – 1 ORs 2/23 – mit einem etwas ungewöhnlichen Sachverhalt

In dem Verfahren ist der Angeklagte letztlich wegen Betruges und wegen veruntreuender Unterschlagung iverurteilt worden. Dagegen die Revision des Angeklagten und die der StA. Der Angeklagte begehrt die Aufhebung des Urteils insgesamt, die StA nur wegen des Rechtsfolgenausspruchs.

Das OLG geht von folgenden Feststellungen aus:

„a) Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt vor September 2018 mittels eines Computerprogramms Totalfälschungen von fünf Arbeitszeugnissen sowie von einem Prüfungszeugnis der IHK R.-N., um diese bei Bedarf für Bewerbungen zu verwenden. Er übersandte am 7. September 2018 dem Zeugen W., der Geschäftsführer der Firma R. M. GmbH (im Folgenden: Firma R.) in B. ist, die o.g. Dokumente als E-Mail-Anhang, um sich auf eine Stelle in der Filiale in B. zu bewerben und den Eindruck zu vermitteln, über eine abgeschlossene Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann sowie mehrjährige Berufserfahrung im kaufmännischen Bereich zu verfügen, was tatsächlich nicht der Fall war. In der Annahme der Richtigkeit dieser Angaben schloss die Firma R., vertreten durch den Zeugen W., mit dem Angeklagten einen Anstellungsvertrag als kaufmännischer Angestellter; in Kenntnis der wahren Sachlage hätte der Zeuge W. den Vertrag nicht abgeschlossen, was dem Angeklagten bewusst war. In der Folge bezog er ein Gehalt von 2.150 € brutto, erbrachte aber aus Überforderung nicht die arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen (Tat 2a des angefochtenen Urteils).“

Rechtlich hat das LG dieses festgestellte Tathandeln als (Anstellungs)Betrug gewertet. Das hat das OLG, das verschiedene Verfahrensbeanstandungen des Angeklagten nicht hat durchgreifen lassen, beanstandet. Dazu verweise ich auf den verlinkten Volltext

Zur Revision der StA, die auch eine Verurteilung nach 3 269 StGB erstrebt, führt das OLG dann aber aus:

„Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision, dass tateinheitlich zum Betrug nicht auch eine Verurteilung wegen Fälschung beweiserheblicher Daten erfolgt ist.

1. Die bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen jedoch eine Verurteilung des Angeklagten wegen dieses Delikts nicht; eine solche liegt sogar eher fern.

Denn § 269 StGB wurde ausweislich der Gesetzesbegründung geschaffen, um eine Strafbarkeitslücke zu schließen, „die darin besteht, dass nicht sichtbar oder zumindest nicht unmittelbar lesbar gespeicherte Daten mangels visueller Erkennbarkeit strafrechtlich nicht von dem Urkundenbegriff erfasst werden, obwohl sie – ebenso wie Urkunden – zum Beweis im Rechtsverkehr bestimmt sind und zur Täuschung im Rechtsverkehr verwendet werden können“; als Beispiele werden elektronisch geführte Konten oder Register genannt (BT-Drs. 10/318, S. 12). Damit sollte aber keine grundsätzliche Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes im Bereich der Verwendung von Reproduktionen von Urkunden verbunden sein (vgl. ausführlich OLG Hamburg, Beschluss vom 7. August 2018 – 2 Rev 74/18, juris Rn. 11 ff.). Dokumente, die nicht als Originalurkunden mit der dadurch verkörperten Garantiefunktion erscheinen, sondern erkennbar als nicht mit den für eine entsprechende Urkunde typischen Authentizitätsmerkmalen versehene Kopien einer vermeintlichen Urkunde, werden daher auch von § 269 StGB nicht erfasst (aaO Rn. 18). Eine Ausnahme gilt nur, sofern das Dokument den Eindruck hervorruft, das Original zu sein (aaO Rn. 20). Im Hinblick auf E-Mail-Anhänge differenziert die ganz überwiegende Meinung demgemäß danach, ob sie als originärer Erklärungsträger in Erscheinung treten sollen, oder ob sie lediglich als sekundärer Beleg für die Existenz einer eingescannten Papierurkunde fungieren und damit aus dem Anwendungsbereich des § 269 StGB herausfallen (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 7. August 2018 – 2 Rev 74/18, aaO Rn. 6 ff.; MK/Erb, StGB, 4. Aufl., § 269 Rn. 25, 33; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 269 Rn. 14; Kulhanek, wistra 2021, 220, 222; Popp, JuS 2011, 385, 390; vgl. auch LK/Zieschang, StGB, 13. Aufl., § 269 Rn. 24; Graf/Jäger/Wittig/Bär, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 269 StGB Rn. 14; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Bär, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl., Kap. 15 Rn. 60; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 267 Rn. 7; so wohl auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 488/09 –, juris Rn. 10 ff., 13; a.A. Krell, JZ 2019, 208, 212; Leipold/Tsambiakis/Zöller/Krell, StGB, 3. Aufl., § 269 Rn. 4, der sich grds. für die Urkundeneigenschaft von Fotokopien ausspricht; Nestler, ZJS 2010, 608, 613; unklar, da sich der genaue Charakter des Dokuments nicht aus der Entscheidung ergibt: BGH, Beschluss vom 19. Juni 2018 – 4 StR 484/17 –, NStZ-RR 2018, 308). Die verfahrensgegenständlichen Dokumente werden danach nicht von § 269 StGB erfasst, weil Zeugnisse üblicherweise als Original-Papierdokumente ausgegeben werden, so dass ein entsprechendes PDF-Dokument erkennbar als Reproduktion erscheint.

2. Gleichwohl konnte der Sachrüge der Staatsanwaltschaft ein Erfolg nicht versagt bleiben, weil die Urteilsfeststellungen zur Erstellung der „Totalfälschungen“ unzureichend sind und nicht ausgeschlossen erscheint, dass der Angeklagte sich wegen Urkundenfälschung insbesondre in Form des Gebrauchens strafbar gemacht haben könnte. Dabei spielt es für eine mögliche Strafbarkeit gem. § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB keine maßgebliche Rolle, dass die Unterlagen vorliegend nicht in Papierform, sondern auf elektronischem Weg an die Firma R. übertragen wurden, da auch in dieser Übertragungsform nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – ähnlich wie bei Telefaxen – ein (mittelbares) Gebrauchmachen von der Urschrift liegen kann (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2017 – 1 StR 198/17, juris Rn. 24 mwN). Dies setzt jedoch voraus, dass die erstellten oder verfälschten Schriftstücke die Merkmale einer Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB aufweisen (BGH aaO). Selbst mit computertechnischen Maßnahmen erstellten Schriftstücken ist mangels Beweiseignung kein Urkundencharakter beizumessen, wenn sie nach außen als bloße Reproduktion erscheinen; sie sind aber dann (unechte) Urkunden, wenn die (veränderten) Reproduktionen Originalurkunden so ähnlich sind, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH aaO).

Ob dies bei den vom Angeklagten verwendeten Schriftstücken der Fall war, ergeben die Urteilsfeststellungen nicht. Ihnen ist lediglich zu entnehmen, dass es sich bei den Zeugnissen um Totalfälschungen handelt, die der Angeklagte mittels eines Computerprogramms anfertigte (UA S. 4). Ob die so gefertigten Unterlagen überhaupt ausgedruckt wurden und dann als Originale erschienen oder aber als Reproduktionen zu erkennen waren, geht aus den Urteilsgründen nicht hervor.“

Wie gesagt: Mal etwas Anderes 🙂

Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtakte, oder: Irgendetwas stimmt da mit den Zahlen nicht….

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Und dann als zweite Entscheidung der BGH, Beschl. v. 12.09.1919 – 3 BGs 293/19 – ja das Entscheidungsdatum ist richtig, die Entscheidung ist erst jetzt veröffentlicht worden. Die Entscheidung ist zwar auch nicht schön, aber: Das liegt hier m.E. am Verteidiger.

Der BGH hat in dem Beschluss über den Ersatz von Auslagen für Kopien aus der Gerichtakte, wenn der Mandant inhaftiert ist, entschieden. Grundlage war folgender Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger. Er hat am 06.05.2019 die Erstattung von Kopierkosten in Höhe von 1.785,85 EUR nach Nr. 7000 RVG zzgl. hierauf entfallender Umsatzsteuer nach Nr. 7008 RVG beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sämtliche ihm im März 2019 in Form einer elektronischen Hilfsakte durch den Generalbundesanwalt beim BGH überlassenen Bestandteile der Verfahrensakte bis einschließlich Band 5 durch ihn ausgedruckt worden seien, da die Bundesanwaltschaft erklärte habe, diesem einen Laptop mit der elektronischen Hilfsakte erst nach Anklageerhebung zur Verfügung stellen zu wollen. Nach Anhörung der Kostenprüfungsbeamtin des BGH wies der Rechtspfleger den Rechtsanwalt darauf hin, dass dieser einer Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit eines vollständigen Ausdrucks digitalisierter Verfahrensakten unterliege. Mit Beschluss vom 01.07. 2019 wurde der Antrag des Rechtsanwalts auf „Erstattung umfangreicher Kopierauslagen aus der Bundeskasse“ zurückgewiesen

Hiergegen hat der Rechtsanwalt Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er abermals die unterbliebene frühzeitige Bereitstellung eines Laptops durch die Anklagebehörde angeführt und ergänzt, dass die Justizvollzugsanstalt es ihm untersagt habe, seinen eigenen Laptop zu Verteidigergesprächen mitzubringen. Dem Gebot eines ressourcenschonenden Umgangs habe er dadurch Rechnung getragen, dass ausschließlich schwarz-weiß-Kopien gefertigt worden seien. Auch habe er die Bundesanwaltschaft bereits im März darauf hingewiesen, dass er im Falle weiterer Verzögerungen bei der Bereitstellung eines Laptops werde. Der GBA hat im Erinnerungsverfahren mitgeteilt, dass dem Beschuldigten entsprechend einer schriftlichen Ankündigung vom 08.05.2019 mit Verfügung vom 09.07.2019 ein Laptop zur Verfügung gestellt wurde; am 12.09.2019 wurde das Passwort für die Dateien übersandt. Die Erinnerung hatte beim BGH keinen Erfolg.

Der BGh nimmt (noch einmal) zu den Grundsätzen für den Ersatz von Auslagen für Kopein aus der Gerichtsakte Stellung. Das lässt sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten kann verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren.
  2. Die Darlegungs- und Beweisleist im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragssteller. Es bedarf für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser hat namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist, wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung.

Zum konkreten Fall führt er dann aus:

„2. Gemessen an diesen rechtlichen Maßgaben musste dem Rechtsmittel hier der Erfolg versagt werden.

a) Zwar drängt sich angesichts des verstrichenen Zeitraums von März bis Juli 2019 auf, dass für den Erinnerungsführer zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung die Notwendigkeit eines jedenfalls teilweisen Ausdrucks der Ermittlungsakte bestand. Ihm war es eingedenk des erheblichen Verfahrensumfangs und mit Blick auf das in Haftsachen besondere Geltung beanspruchende Gebot zügiger Verfahrensführung nicht zumutbar, von März 2019 bis zur Überlassung des Datenträgers im Juli 2019 zuzuwarten und erst dann in verfahrensvorbereitende Gespräche einzutreten, die sein Mandant in dem hier umfangreichen Verfahren anhand eigener Aktenlektüre vorbereiten konnte.

b) Der Antragssteller begehrt aber weiterhin – trotz wiederholten Hinweises durch den Rechtspfleger – ohne jede Form der Substantiierung die Erstattung eines pauschalen Ausdrucks der gesamten digitalisierten Verfahrensakte zur Verfahrensvorbereitung für seinen inhaftierten Mandanten. Das erweist sich hier als unzureichend. Schon zu dem maßgebenden Umstand, dass er – zumindest – das Gebot kostenschonender Prozessführung durch eine Durchsicht der Verfahrensakten bedacht und selbst differenziert bewertet hat, was konkret als Besprechungsgrundlage erforderlich sein wird, trägt der Erinnerungsführer nicht vor. Es bleibt ferner offen, ob und an wie vielen Tagen in der Zeit nach der Übersendung der digitalisierten Verfahrensakten überhaupt Besprechungstermine stattgefunden haben oder auch nur geplant waren. Überdies ist gerichtsbekannt, dass die Verfahrensakten einen nicht unerheblichen Anteil gerichtlicher Anordnungen nach § 162 StPO sowie anwaltliche Schriftsätze enthalten, bei denen sich die Notwendigkeit einer Erörterung mit dem Mandanten nicht ohne Weiteres erschließt.“

Manch einer wird nun sagen: Mal wieder der böse BGH, der die Rechtsanwälte/Verteidiger nicht mag. Aber das ist hier m.E. nicht richtig. Denn der BGH hat, was seinen Ausführungen deutlich zu entnehmen ist, einen Erstattungsanspruch nicht grundsätzlich verneint, sondern sieht ihn in diesem Fall vielmehr als grundsätzlich gegeben an. Anders ist der Hinweis auf „den verstrichenen Zeitraum von März bis Juli 2019“, bei dem sich „aufdrängt“, dass die Notwendigkeit zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung, die Ermittlungsakten jedenfalls teilweisen auszudrucken, bestanden habe, nicht zu verstehen. Vereinfacht ausgedrückt: Du Pflichtverteidiger hättest hier, weil der Generalbundesanwalt mit dem Zurverfügstellen eines Laptops für den Beschuldigten nicht voran machte, ausdrucken dürfen, wenn ….

Und bei dem „wenn“ liegt dann das Versagen des Verteidigers, denn: Der BGH hält daran fest bzw. bestätigt die OLG-Rechtsprechung, wonach die Beweislast für die Notwendigkeit des Ausdrucks beim Verteidiger/Rechtsanwalt Das mag man für falsch ansehen, ist aber h.M., gegen die ein Anlauf nicht lohnt, sondern auf die man sich einstellen muss. Und es war hier nun wahrlich nicht viel, was der BGH gern vom Pflichtverteidiger gelesen hätte. Die vermissten Angaben sind schnell gemacht und hätten, so verstehe ich den BGH, zur Erstattung geführt. Es bestand m.E. auch kein Problem hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht. (§ 43 a Abs. 2 BRAO bzw. § 2 BORA). Denn bei den vom BGH gewünschten/erwarteten Angaben handelt es sich um solche, die unter § 2 Abs. 3 b BORA fallen dürften. Von daher: Die „Dickfelligkeit“ des Verteidigers ist nicht nachzuvollziehen und stört ersichtlich auch den BGH, der deutlich darauf hinweist, dass der Verteidiger die Angaben noch nicht einmal nach einem Hinweis des Rechtspflegers gemacht hat.

Im Übrigen: Irgendetwas stimmt da nicht. Geltend gemacht worden sind vom Pflichtverteidiger 1.785,85 EUR für die Kopien. Das ist ausweislich der Gründe des BGH-Beschlusses der Nettobetrag. Prüft man diesen an der Vorgaben der Nr. 700 Ziff. 1a VV RVG, dann lässt sich m.E. der Betrag anhand der im Beschluss mitgeteilten Umstände nicht nachvollziehen. Denn:

  • Von den 1.785,85 EUR sind die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 EUR abzuziehen, also 25,00 EUR.
  • Verbleiben also 1.760,85 EUR für die weiteren Seiten. Für die werden ggf. jeweils 01,5 EUR erstattet. D.h., dass der Pflichtverteidiger 11.739 weitere Seiten kopiert haben müsste.
  • Nach den Ausführungen des BGH ist die Verfahrensakte bis „einschließlich Band 5“ kopiert worden, eine genaue Anzahl der Seiten macht der BGH nicht. Geht man davon aus, dass ein Band Akten aus jeweils 400 Blatt besteht und unterstellt man weiter, dass jeweils Vorder- und Rückseite kopiert werden mussten, was m.E. jeweils zu Gunsten des Pflichtverteidigers günstige Annahmen sind, dann waren danach 5 x 800 Blatt = 4.000 Blatt zu kopieren. Das führt aber nur zu einem Betrag von 3.950 Blatt (4000 Blatt – 50 Blatt „erste Seiten“) x 0,15 EUR = 592,50 EUR. Zuzüglich der o.a. 25,00 EUR ergibt sich danach nur ein Erstattungsbetrag von (netto) 617,50 EUR, der dann aber doch im eklatanten Widerspruch zu den geltend gemachten 1.785,85 EUR steht.

LG Göttingen: Erstattung von Kopien der elektronischen Akte, oder: Mittagspause und Längenzuschlag

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Am heutigen Freitag dann – wie gewohnt – RVG-Fragen.

Und den Opener mache ich mit dem LG Göttingen, Beschl. v. 3.3.2020 – 6 Ks 25 Js 14421/18 (11/18). Der behandelt zwei Fragen, nämlich die nach der Erstattung von Kopien der elektronischen Akte und die nach Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger.

Der antragstellende Kollege, der Kollege Wieseman aus Northeim, Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem Verfahren wegen Mordes. Im Verlauf des Strafverfahrens bekam er Akteneinsicht durch Überlassung eines elektronischen Aktendoppels auf einem Datenträger in einem allgemein lesbaren PDF-Format. Nach Abschluss des Verfahrens hat er die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung beantragt. Er hat u.a. auch für vier Hauptverhandlungstage die sog. Längenzuschläge Nr. 4122 VV RVG in Höhe von jeweils 212,- EUR sowie eine Pauschale in Höhe von 1.029,25 EUR für 6.745 Ausdrucke aus den Verfahrensakten geltend gemacht. Diese Gebühren und Auslagen sind nicht festgesetzt worden. Dagegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt, das hinsichtlich der Längenzuschläge Erfolg hatte.

Ich will hier nicht die gesamte recht umfangreich begründete Entscheidung einstellen, sondern verweise auf den verlinkten Volltext. Hier nur (meine) Leitsätze, und zwar:

  1. Der Ausdruck einer vollständigen elektronischen Akte, die dem Rechtsanwalt zur dauerhaften Nutzung überlassen wurde, ist grundsätzlich nicht erforderlich. Wenn die elektronischen Akten durch Ordner und Verzeichnisse übersichtlich gestaltet sind und nach gewünschten Informationen deshalb gezielt gesucht werden kann, ist dem Verteidiger die Arbeit mit ihnen am Computerbildschirm zuzumuten.
  2. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine in die Mittagszeit fallende Unterbrechung als Mittagspause gelten und deshalb sollen und deshalb von der für die Ermittlung eines Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer abzuziehen ist, ist von Bedeutung, ob die (ungefähre) Dauer der Unterbrechung bereits vor Verhandlungsbeginn an dem jeweiligen Tag absehbar ist und der Pflichtverteidiger sich auf diese Unterbrechung hat einstellen können.

Und folgende „Anmerkung“: Die Auffassung des LG zur Erstattungsfähigkeit der Kopien entspricht wohl dem „Mainstream“ in der Rechtsprechung der OLG (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, Teil A. Auslagen aus der Staatskasse [§ 46 Abs. 1 und 2], Rn 248 ff). Teilweise werden die Fragen aber auch differenzierter gesehen (Vgl. z.B. OLG Nürnberg RVGreport 2017, 388 = StraFo 2017, 297 = AGS 2018, 73). Es ist m.E. bedauerlich, dass sich das LG damit nicht befasst, sondern (einfach) seinem OLG folgt und diese unpraktikable Rechtsprechung fortschreibt. Denn es schreibt sich leicht, wie einfach man mit einer PDF-Datei umgehen kann. In der Praxis des Verfahrens sieht das dann, wie man von Verteidigern hört, ganz anders aus. Nicht alle JVAs sind so gut gerüstet, dass sie für den Verteidiger und seinen Mandanten Notebooks u.a. vorhalten und/oder den Einsatz von Notebooks ohne Probleme erlauben.

In der Frage der Längenzuschläge wird man dem LG aber folgen können. Wenn man schon nicht auch Mittagspausen generell zur Hauptverhandlungszeit rechnet, dann muss man aber zumindest eine Unterbrechung in der „Mittagszeit“ darauf hin überprüfen, ob es sich um eine geplante/vorhersehbar Mittagspause i.e.S. gehandelt hat oder eben doch nur um eine Unterbrechung, die zufällig in die Mittagszeit gefallen ist (vgl. dazu auch. KG RVGreport 2007, 305 = StRR 2007, 238; OLG Jena RVGreport 2008, 459 = StRR 2008, 478 2; LG Osnabrück StRR 2011, 207).

Akteneinsicht in sieben Umzugskartons binnen einer Woche, oder: Kopie der gesamten Verfahrensakte erstattungsfähig

Als erstes „normales Posting (vgl. zum „unnormalen“ Burhoff im “Yellow-Press-Teil” der NJW, oder: “Schreiber aus Leidenschaft – Anwalt als Telefonjoker”) heute dann natürlich ein Posting zu Gebühren, und zwar zum OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 Ws 92/18. Den hat mir der Kollege W.Siebers aus Braunschweig geschickt, der ihn auch „erstritten“ hat. Es geht mal wieder um die Frage der Erstattung von Kopien, eine „unendliche Geschichte“. Der Kollege war Pflichtverteidiger. Er hat Festsetzung seiner Gebühren im Vorschussweg beantragt, darunter eine Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG für 17.497 angefertigte Kopien in Höhe von 2.642,05 €. Daraufhin wurde ihm eine Abschlagszahlung zunächst ohne Berücksichtigung der beantragten Dokumentenpauschale gewährt.

Zu Dokumentenpauschale teilte der Verteidiger mit, dass ihm im Mai 2017 ((im Originalbeschluss steht „12. Mai 2017“, muss dann wohl 2014 heißen) sieben Umzugskartons mit Akten zugegangen seien, die vollständig durchkopiert worden seien, da er seinerzeit noch mit Papierakten gearbeitet habe. Er versicherte, dass die Kopien ausschließlich Verteidigungszwecken gedient hätten. Die Bezirksrevisorin beim Landgericht vertrat dazu die Ansicht, der Verteidiger habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er die gesamte Akte kopiert habe. Das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten der gesamten Verfahrensakte sei nicht erforderlich gewesen, da die Akten regelmäßig für die Verteidigung in jedem Fall irrelevante Dokumente enthielten. Der Kollege hat sich dann auf Nachfrage der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit einem Abzug von 10 % der ursprünglich beantragten Kopieauslagen als mögliche, nicht zur Verteidigung notwendige Kopien, einverstanden erklärt. Die sind festgesetzt worden. Dagegen (natürlich) die Erinnerung der Staatskasse. Ergebnis: Kein Erfolg beim LG und bei auch nicht beim OLG:

„Von den 17.497 Kopien, die bei der Fertigung einer Kopie der Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 angefallen sind, waren insgesamt 15.748 zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache geboten.

Grundsätzlich obliegt der Staatskasse der Nachweis, dass die vom Verteidiger geltend gemachten Auslagen zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. Daher ist die Notwendigkeit von Kopierkosten im Zweifel anzuerkennen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn gewichtige Gründe dafür ersichtlich sind, nach denen einzelne Auslagen unnötig verursacht wurden und zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. In diesem Fall muss der Pflichtverteidiger die Erforderlichkeit der Auslagen belegen, wobei ihm ein gewisser Ermessensspielraum verbleibt, er aber gleichzeitig gegenüber der Staatskasse grundsätzlich zur kostensparenden Prozessführung verpflichtet ist (OLG Koblenz, Beschl. vom 16. November 2009, 2 Was 526/09, Rn. 8, zitiert nach juris). Ausgehend von diesen Grundsätzen wird – worauf die Bezirksrevisorin grundsätzlich zutreffend hinweist – in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten einer gesamten Akte stelle keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Verteidigers mehr dar, da Kopien nur in dem Rahmen abrechnungsfähig seien, in dem sie aus der ex-ante Sicht des Rechtsanwaltes zu fertigen gewesen wären (OLG Koblenz, a.a.O., OLG Köln, Beschl. vom 16. Juli 2012,  III – 2  Ws 499/12, Rn. 7, zitiert nach juris). Maßgeblich ist die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (BGH, Beschluss-vom 30. Mai 2017, X ZB 17/04, Rn. 1, zitiert nach juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war vorliegend jedoch eine Kopie der gesamten Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 grundsätzlich erforderlich.

Dem von dem Verteidiger vertretenen Angeklagten werden zum Teil täterschaftlich, zum Teil mittäterschaftlich mit weiteren Angeklagten begangene Taten zur Last gelegt. Es ist daher aus Sicht des Verteidigers nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass auch andere Taten als die von ihm vertretenen Angeklagten alleine zur Last gelegten sich für seine Verteidigung als bedeutsam erweisen.

Darüber hinaus war dem Verteidiger, dem die Akte nur für 1 Woche, mithin 5 Arbeitstage, überlassen worden war, und der im Übrigen auch etwaige Haftungsrisiken im Blick behalten musste, eine nähere inhaltliche Durchsicht der Akte, die aus zahlreichen Bänden bestand und insgesamt 7 Umzugskartons füllte, nicht zuzumuten. Die Ersparnis stünde in keinem Verhältnis zum Aufwand, so dass ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (NK-GK/Stollenwerk„ 2. Aufl., VV RVG Nr. 7000, R 11). Soweit sich die Bezirksrevisorin des Landgerichts auf verschiedene anderslautende Gerichtsentscheidungen bezieht, verkennt sie, dass bei den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten jeweils ein deutlich geringerer Aktenumfang als im hiesigen Verfahren bestand.

Soweit die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle davon pauschal 10 % in Abzug gebracht hat, war dies im vorliegenden Fall angemessen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, dass jedenfalls Dokumente wie Aktendeckel, Empfangsbekenntnisse, Kassenanordnungen, Zwischenentscheidungen, Anklageschriften oder eigene Schriftsätze des Verteidigers für eine sachgerechte Verteidigung regelmäßig irrelevant sind und sich die Fertigung von Kopien insoweit nicht als erforderlich darstellt (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juli 1999, 4 Ws 163 99, Rn. 5, zitiert nach juris).“

Wenn die Justiz so „unsinnig“ Akteneinsicht gewährt – in sieben Umzugskartons binnen 1 Woche = 5 Arbeitstage, dann muss man auch die finanziellen Folgen ohne Murren tragen….

Der Verteidier darf grds. alles kopieren; oder: Stimmt!!!!

AktenstapelHeute ist zwar in einigen Bundesländern Feiertag, Aber in den übrigen wird durchgearbeitet. Daher also auch heute Blogbeiträge. Und ich eröffne mit:

In der Praxis gibt es häufig Streit um die Erstattung der vom Verteidiger aus der Akten gefertigten Kopien (§ 46 RVG, Nr. 7000 VV RVG). Häufig sind da die AG doch großzügiger als die LG und OLG. Ein schönes Beispiel ist dafür der AG Iserlohn, Beschl. v. 16.09.2016 – 5 Ls 614 Js 153/15 – 103/15, der zwar die eigene „Spruchpraxis“ zugrunde legt, aber auch noch einmal allgemein zur der Problematik Stellung nimmt:

„Daher ist ein vollständiges Kopieren des gesamten Akteninhaltes als gerechtfertigt anzuerkennen und im Rahmen einer ordnungsgemäßen Strafverteidigung auch geboten, vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 22. Auflage, 7000 VV Rn. 60 m.w.N.

Es ist einem Strafverteidiger auch nicht zuzumuten, die Akte bereits bei Erhalt durchzuarbeiten, nur um entscheiden zu können, welche Schriftstücke möglicherweise noch relevant für das weitere Verfahren sein könnten, zumal sich diese Frage in einem frühen Verfahrensstadium, in dem oftmals auch noch keine Besprechung mit dem Mandanten stattgefunden hat, nicht ohne Weiteres beurteilen lässt. Die im bisherigen Verfahrensgang vertretene Rechtsauffassung führt für den Anwalt zu einer nicht vertretbaren Mehrarbeit, die vollkommen ineffektiv ist und die dem im Strafverfahren gebotenen Beschleunigungsgrundsatz zuwiderläuft. Dem Verteidiger wird bei Akteneinsicht regelmäßig aufgegeben, die Akte binnen 3 Tagen zurückzusenden. Dies lässt — wenn überhaupt — nur eine grobe Sichtung der Akte zu. Viele Strafverteidiger haben jedoch aufgrund ständiger (Auswärts-)Termine überhaupt nicht die Möglichkeit, die Akten bei Eingang durchzusehen. Sie — und damit auch das Gericht — sind für eine zügige Rücksendung darauf angewiesen, dass die Akten vom Kanzleipersonal eigenständig kopiert werden. Die Prüfung im Einzelfall, welche Seiten tatsächlich benötigt werden, lässt sich aber nicht vorab vom Verteidiger auf seine Mitarbeiter übertragen. Zumal eine solche Prüfung im Regelfall dem Verteidiger nicht abschließend möglich sein wird. Häufig offenbart erst der Termin zur mündlichen Hauptverhandlung, welche Akteninhalte für den Verfahrensfortgang von entscheidender Wichtigkeit sein dürften.“

Eine Ausnahme macht das AG allerdings für umfangreiche Fallakten, Fremdakten, Beiakten oder Sonderbände vorliegen, die den vertretenen Angeklagten nicht sofort klar erkennbar betreffen, Abgrenzungen zu anderen Angeklagten vorzunehmen sind oder augenscheinlich ohne Relevanz sind. Diese bedürfen – so das AG – der vorläufigen groben Sichtung durch den (Pflicht)Verteidiger mit der Bestimmung dessen, was zu kopieren ist.