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Zustimmung zur Kursteilnahme für Fahreignung, oder: Keine Verpflichtungsklage

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Und im „Kessel Buntes“ am Samstag dann heute zwei Entscheidungen aus dem Verkehrsverwaltungsrecht.

Die erste kommt mit dem BayVGH, Beschl. v. 24.03.2025 – 11 CE 25.212 – aus Bayern. Gestritten wird in Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis um die Zustimmung der Fahrerlaubnisbehörde zur Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung von alkohol- oder drogenauffälligen Kraftfahrern.

Der Antragsteller war seit 2016 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Am 27.11.2022 fuhr er alkoholisiert mit einem E-Scooter auf öffentlichen Straßen (BAK: 1,66 ‰). Mit Urteil v. 01.06.2023 sprach ihn das AG der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) schuldig und verhängte eine Geldstrafe sowie ein zweimonatiges Fahrverbot. Einen Ausspruch zur Entziehung der Fahrerlaubnis oder eine Begründung, weshalb diese Maßregel nicht angeordnet worden ist, enthalten das Urteil und der vorausgegangene Strafbefehl vom 30.01.2023 nicht.

Auf Anordnung der Antragsgegnerin vom 06.05.2024 brachte der Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (Begutachtungstermin: 03.07.2024, Absendedatum: 25.7.02024) bei, das zu dem Ergebnis kommt, es sei zu erwarten, dass er zukünftig das Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht zuverlässig trennen könne. Die Verhaltensprognose könne jedoch durch die Teilnahme an einem nach § 70 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) anerkannten Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung günstig beeinflusst werden. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse die Voraussetzungen für die Kursteilnahme prüfen und darüber befinden, ob der Kurs statt eines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens zum Nachweis der Wiederherstellung der Eignung genüge.

Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 09.08.2024 mitgeteilt hatte, er sei zum Zeitpunkt der Begutachtung noch Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen, weshalb das Gutachten die Empfehlung zur Kursteilnahme nicht hätte enthalten dürfen, erklärte der Antragsteller am 01.09.2024 sein Einverständnis mit der Entziehung der Fahrerlaubnis und gab den Führerschein bei der Antragsgegnerin ab.

Am 06.09.2024 beantragte er die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Mit Schreiben vom 14.10.2024 forderte die Antragsgegnerin ihn zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf und teilte seinem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 29.11.2024 mit, an der Anordnung werde festgehalten, weil eine Kursempfehlung nach § 70 FeV nur im Rahmen der Begutachtung an Bewerber ausgesprochen werden könne.

Am 03.01.2025 beantragte der Antragsteller dann beim VG, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zustimmung zum Besuch eines Kurses nach § 70 FeV zu erteilen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16.01.2025 abgelehnt. Es bestünden bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags. Bei der begehrten Zustimmung zur Kursteilnahme handele es sich um eine behördliche Verfahrenshandlung, die nicht selbstständig angegriffen bzw. erzwungen werden könne. Die Rechtswidrigkeit der Weigerung zur Zustimmung könne nur bei Ablehnung des Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit einer hiergegen erhobenen Verpflichtungsklage geltend gemacht werden. Im Übrigen sei der Antrag jedenfalls unbegründet, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Mit seinem Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zustimmung begehre der Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache. Hierfür lägen die Voraussetzungen nicht vor. Die Gutachtensstelle sei zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht berechtigt gewesen, eine Kursempfehlung auszusprechen. Eine solche Empfehlung dürfe nur gegenüber Personen ergehen, die zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis seien. Im Zeitpunkt der Begutachtung am 03.07.2024 sei der Antragsteller jedoch noch Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen. Er könne einen Anspruch auf Zustimmung zur Kursteilnahme auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten herleiten. Ob vor dem Hintergrund der Klarstellung der Begutachtungsstelle überhaupt noch eine Kursempfehlung bestehe und ob die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt gewesen sei, eine entsprechende Klarstellung zu verlangen, könne dahinstehen.

Dagegen die Beschwerde, die beim BayVGH keinen Erfolg hatte. Hier nur der Leitsatz zu der Entscheidung, und zwar:

Die Zustimmung der Fahrerlaubnisbehörde zur Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung von alkohol- oder drogenauffälligen Kraftfahrern an Stelle eines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens kann als vorbereitende behördliche Verfahrenshandlung für die Entscheidung über die Fahrerlaubniserteilung nicht im Wege der Verpflichtungsklage oder einer einstweiligen Anordnung begehrt werden. Die Rechtmäßigkeit der Verweigerung ist nur inzident im Falle der Versagung der Fahrerlaubniserteilung zu prüfen, sofern der Antragsteller hiergegen Rechtsschutz begehrt.

 

Fahrerlaubnisentziehung II: Betrunkener Radfahrer, oder: Bindung an den Strafbefehl

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Im zweiten Posting geht es mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar nach einer mit einem Strafbefehl geahndete Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad. Der Antragsteller hat dagegen Klage erhoben und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung be-antragt (§ 80 Abs. 5 VwGO). Sein Antrag hatte keinen Erfolg.

Der VGH Baden-Württemberg führt im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.2.2025 – 13 S 1513/24 – zunächst aus, dass auch betrunkene Radfahrer ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinn von §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV sein können.  Daher sein die Gutachtenanforderung rechtmäßig gewesen. Denn habe ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalko-holkonzentration von 0,8 ng/l oder mehr geführt, könne die Fahrerlaubnisbehörde das auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad anordnen.

Und dann führt er zu dem Vorbringen des Antragstellers im Hinblick auf den Strafbefehl aus:

„Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 – xx – hat der Antragssteller am 03.10.2023 gegen 22.20 Uhr ein Fahrrad geführt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig war. Die am 03.10.2023 entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille.

Mit seinem Vorbringen, der im Strafbefehl des Amtsgerichts K. festgestellte Sachverhalt treffe nicht zu, weil er mit dem Fahrrad nicht gefahren sei, sondern es geschoben habe, jedenfalls könne aber ein Beweis, dass er mit dem Fahrrad alkoholisiert gefahren sei, nicht sicher geführt werden, sodass der Beschluss des Verwaltungsgerichts unter Verletzung von Beweisregeln (Grundsatz „in dubio pro reo“) ergangen sei, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.

Zwar kennt das geltende Fahrerlaubnisrecht eine strikte, sich zu Ungunsten des Betroffenen auswirkende Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an rechtskräftige straf- bzw. bußgeldrechtliche Entscheidungen lediglich in besonders geregelten, hier nicht einschlägigen Fällen (vgl. § 2a Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Im Übrigen entfalten Strafurteile, Strafbefehle und Bußgeldbescheide nach § 3 Abs. 4 StVG Bindungswirkung ausschließlich zu Gunsten des Betroffenen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass es einem Fahrerlaubnisinhaber unbenommen bleibt, in fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend zu machen, der Sachverhalt sei für ihn vorteilhafter, als dies das Strafgericht oder die Bußgeldbehörde angenommen habe. Dies übersieht der Antragsgegner, wenn er unter Berufung auf § 3 Abs. 4 StVG pauschal meint, es sei ihm nicht möglich, die Rechtmäßigkeit eines abgeschlossenen Strafverfahrens zu prüfen (Schriftsatz vom 20.08.2024 im erstinstanzlichen Verfahren, auf den die Beschwerdeerwiderung vom 25.10.2024 Bezug nimmt). Allerdings muss ein Fahrzeugführer in einem Fahrerlaubnisverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt dann gegen sich gelten lassen, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.09.1992 – 11 B 22.92 – juris Rn. 3, Urteil vom 12.03.1985 – 7 C 26.83 – juris Rn. 14; Beschluss des Senats vom 22.02.2023 – 13 S 2569/22 – n. v.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 – 10 S 1491/15 – juris Rn. 6, Urteil vom 27.07.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 34). Mit diesem grundsätzlichen Vorrang der strafgerichtlichen vor verwaltungsbehördlichen Feststellungen sollen überflüssige, aufwändige und sich widersprechende Doppelprüfungen möglichst vermieden werden. Im Ergebnis begründet das Vorrangverhältnis eine Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen, substantiierte und gewichtige Hinweise für eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen vorzubringen, wenn er diese im Verwaltungsverfahren nicht gegen sich gelten lassen will (vgl. Beschluss des Senats vom 22.02.2023 a. a. O; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 a. a. O.; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 19.08.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 13).

Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, substantiierte und gewichtige Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 zu geben.

Vom Ansatz her zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen (S. 13 des Beschlussabdrucks), dass der Vortrag des Antragstellers, es gebe keinen Beweis dafür, dass er entgegen seiner Darstellung mit dem Fahrrad gefahren sei, eine realistische Auseinandersetzung mit dem dargestellten Geschehensablauf im Polizeibericht des Polizeireviers K. vom 03.10.2023 vermissen lasse. Danach ist Anlass der Polizeikontrolle gewesen, dass die Polizei durch einen Taxifahrer (der Zeuge C. K., s. Strafanzeige vom 27.10.2023) verständigt wurde, weil dieser einen betrunkenen Fahrradfahrer gesehen hatte. Der Zeuge gab gegenüber der eingetroffenen Polizeibeamtin (EPHM`in C.) an, er habe beobachtet, wie der Antragsteller die S.straße in Richtung K.straße befahren habe. Der Antragsteller sei dabei auf dem Radweg gefahren, der auf der Höhe des Geldautomaten auf den Gehweg direkt neben dem Geldautomaten führe. Auf dem Gehweg sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert, sodass er zum Stehen gekommen sei und von seinem Fahrrad habe absteigen müssen. Anschließend sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad (schiebender Weise) zu dem Geldautomaten der Volksbank getaumelt, wo er – laut Polizeibericht – durch die hinzukommenden Polizeibeamten einer Kontrolle unterzogen wurde. Zwar wurden die mündlichen Angaben des Zeugen nicht (wörtlich) protokolliert und hat er seine – allerdings nicht in der Fahrerlaubnisakte befindliche – nachgereichte E-Mail trotz entsprechender Aufforderungen nicht weiter präzisiert. Jedoch hat der Antragsteller substantiierte Hinweise darauf, dass der Zeuge durch falsche Informationen einen Polizeieinsatz ausgelöst oder gegenüber der Polizeibeamtin unzutreffende (mündliche) Angaben gemacht haben sollte, nicht vorgebracht. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass der Zeuge aus persönlichen Gründen den Antragsteller zu Unrecht belastet haben könnte. Ebenso wenig ist erkennbar oder dargelegt, dass der Polizeibericht den Inhalt der Befragung des Zeugen unzutreffend wiedergegeben haben könnte. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass es auf Grund der Örtlichkeiten und Sichtverhältnisse nicht möglich gewesen sei, dass der Zeuge ihn an der behaupteten Stelle gesehen haben könne, wird dies nicht weiter nachvollziehbar dargelegt und entspricht auch nicht den aus Google-Street-View zu gewinnenden Erkenntnissen (zur Heranziehung solcher als allgemein bekannt bzw. zugänglich verwertbaren Erkenntnisse im gerichtlichen Verfahren vgl. FG Hamburg, Urteil vom 05.02.2015 – 3 K 45/14 – juris Rn. 33 m. w. N.). Entsprechendes gilt, soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen, es gebe auf dem ganzen Weg, den er am 03.10.2023 zurückgelegt habe, keinen Pfosten, die Ausführungen im Polizeibericht in Frage stellen möchte, dass er auf dem Gehweg direkt neben den Geldautomaten mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert sei. Der entsprechenden Google-Street-Ansicht lässt sich vielmehr entnehmen, dass in unmittelbarer Nähe des Geldautomaten der Volksbank vier Begrenzungspfosten zwischen Gehweg und dem angrenzenden E.-G.-Platz angebracht sind.

Daneben hält der Senat – ebenso wie das Verwaltungsgericht – das Vorbringen des Antragstellers, warum er das Fahrrad nur geschoben habe, damit aber nicht gefahren sei, für wenig plausibel. Es liegt zunächst fern, dass jemand, der – wie vom Antragsteller geltend gemacht – von seiner Wohnung aufbricht, um an einem Geldautomaten Bargeld abzuholen, den etwa 1 km langen Weg zu Fuß zurücklegt und dabei ohne nachvollziehbaren Grund für das Mitführen des Fahrrads dessen nutzloses Schieben in Kauf nimmt. Der Antragsteller, der zunächst mit Schreiben vom 16.03.2024 gegenüber dem Antragsgegner ohne nähere Begründung ausführte, er habe das Fahrrad geschoben, machte erstmals im Widerspruchsverfahren mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 und dann im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend, er habe bei der Ausfahrt der Tiefgarage seiner Wohnung bemerkt, dass das Licht am Fahrrad nicht gegangen sei, und es deswegen geschoben. Nachdem das Verwaltungsgericht diesbezüglich zutreffend davon ausgegangen ist, dass diese Sachverhaltsdarstellung des Antragstellers nicht erkläre, weshalb er nach Bemerken des defekten Lichts das Fahrrad nicht zurück in die Tiefgarage gebracht habe und sich von vornherein zu Fuß auf den Weg gemacht habe, macht der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung geltend, dass das Licht „etwas flatterte“, sodass er nicht habe ganz einordnen können, ob die fehlende volle Funktionstauglichkeit des Fahrrads vorübergehender Natur gewesen sei, weswegen er es „in diesem Dilemma“ geschoben habe. Dieses wechselnde und jeweils angepasste Erklärungsverhalten des Antragstellers ist wenig glaubhaft und nicht geeignet, die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. in Frage zu stellen. Es kommt hinzu, dass es für den Senat wenig nachvollziehbar ist, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen bereit war, mit über zwei Promille Fahrrad zu fahren, hiervon aber wegen des „etwas flatternden“ Lichts abgesehen haben will, weil er sich rechtstreu verhalten wollte.

Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers bestehen auch deswegen, weil er durchgängig (etwa persönliches Schreiben vom 16.03.2024 und Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht) angegeben hat, er trinke selten Alkohol, weswegen er am Tattag die Wirkung seines Alkoholkonsums unterschätzt habe (persönliches Schreiben vom 16.03.2024) bzw. es für ihn umso ärgerlicher gewesen sei, ausgerechnet mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen zu sein (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht). Denn die bei dem Antragsteller festgestellte (hohe) Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille deutet auf deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten, eine ungewöhnliche Giftfestigkeit und eine dauerhafte, ausgeprägte Alkoholproblematik hin (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.03.2021 – 3 C 3.20 – juris Rn. 312 und vom 21.05.2008 – 3 C 32.07 – juris Rn. 14; Beschlüsse des Senats vom 07.02.2024 – 13 S 1495/23 – juris Rn. 7 und vom 06.11.2023 a. a. O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14.10.2022 – 1 M 148/22 – juris Rn. 42; BayVGH, Beschluss vom 25.06.2019 – 11 ZB 19.187 – juris Rn. 14; vgl. auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Kommentar, 3. Aufl., S. 248 ff.), mit denen sich die Angaben des Antragstellers, er trinke selten Alkohol, schwerlich in Einklang bringen lassen.

Der Senat nimmt schließlich in den Blick, dass der Antragsteller gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 keinen Einspruch eingelegt hat. Die hierfür von dem Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren vorgetragene Begründung, er habe „wegen Rechtsirrtum“ keinen Einspruch eingelegt, weil er angenommen habe, dass „sich die Angelegenheit durch die Zahlung erledige“, und er sei nicht davon ausgegangen, dass „seine Fahrerlaubnis durch den rechtskräftigen Strafbefehl gefährdet sein könnte“, vermag – auch vor dem Hintergrund der im Strafbefehl verhängten Gesamtgeldstrafe von 1.000,– EUR – den Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs für den Fall, dass der Antragsteller das Fahrrad tatsächlich nur geschoben, aber nicht gefahren haben sollte, nicht plausibel zu erklären. Wenn die im Strafbefehl getroffenen Feststellungen für den Antragsteller ohne weiteres erkennbar unzutreffend gewesen wären, wäre es – auch wegen des im Strafprozess geltenden Grundsatzes „in dubio pro reo“ – naheliegend gewesen, sich gegen einen solchen ungerechtfertigten Vorwurf zu wehren.

In Zusammenschau all der aufgezeigten Umstände enthält das Vorbringen des Antragstellers keine hinreichend gewichtigen und substantiierten Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen im Strafbefehl. Der Antragsgegner konnte damit den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 der Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV zu Grunde legen.

 

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, oder: Austausch der Rechtsgrundlage durch das Gericht?

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Und dann der samstägliche „Kessel-Buntes“, und zwar mit zwei verwaltungsrechtlichen Entscheidungen.

Zunächst etwas zur Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar zur Frage der Zulässigkeit des Austausches der Rechtsgrundlage (durch das Gericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren).

Das OVG Nordrhein-Westfalen sagt im OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.02.2025 – 16 B 668/24 -, dass das zulässig ist:

Das Verwaltungsgericht hat die Ordnungsverfügung vom 17. Mai 2024, durch die dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen wurde, bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig angesehen. Es hat ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Entziehungsverfügung sei § 2a Abs. 3 StVG, wonach dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, der einer vollziehbaren Anordnung der zuständigen Behörde nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht nachgekommen sei, die Fahrerlaubnis zu entziehen sei, ohne dass der Behörde dabei Ermessen zustehe. Der Antragsteller habe nach einer entsprechenden Aufforderung des Antragsgegners in der Verfügung vom 28. Juli 2022 nicht innerhalb der gesetzten Frist an einem Aufbauseminar teilgenommen. Auf die Nichtvorlage des vom Antragsgegner ebenfalls angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens komme es daher nicht mehr an.

Die dagegen gerichteten Einwände des Antragstellers bleiben ohne Erfolg.

Der Antragsteller macht zunächst geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 28. Juli 2022 auf die Nichtvorlage der Bescheinigung über die Teilnahme an einem besonderen Aufbauseminar gestützt worden sei; Gegenstand dieses Bescheides sei ausdrücklich die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung gewesen.

Dieses Vorbringen berücksichtigt nicht, dass der Antragsgegner unter dem 28. Juli 2022 zwei verschiedene Anordnungen in jeweils einem eigenen Schreiben erlassen hat. Zum einen ordnete er die Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung an und setzte zur Vorlage des Gutachtens eine Frist bis zum 31. Oktober 2022 (Blatt 24 ff. des Verwaltungsvorgangs). Zum anderen forderte er den Antragsteller zur Teilnahme an einem Aufbauseminar für alkoholauffällige Fahranfänger auf und setzte zur Vorlage einer entsprechenden Teilnahmebescheinigung eine Frist bis zum 28. Oktober 2022 (Blatt 36 ff. des Verwaltungsvorgangs). Diese zweite Anordnung war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Nach Aktenlage ist der Antragsteller dagegen nicht vorgegangen. An einem besonderen Aufbauseminar hat er erst lange nach Ablauf der gesetzten Frist, nämlich im Juli und August 2024, teilgenommen.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 17. Mai 2024 ist zwar (nur) auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. den §§ 46, 11 Abs. 8 FeV wegen der Nichtvorlage des Gutachtens gestützt, auch wenn zuvor ausgeführt wird, dass der Antragsteller weder ein Gutachten noch eine Teilnahmebescheinigung vorgelegt habe. Es stellt allerdings keinen Rechtsfehler dar, dass das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis mit § 2a Abs. 3 StVG und dem Hinweis auf die nicht fristgerecht erfolgte Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar begründet hat.

Denn Gerichte sind in ihrer Bewertung der Rechtslage unabhängig von der Rechtsauffassung der Verwaltung. Ist ein Verwaltungsakt zu Unrecht auf die von der Behörde herangezogene Rechtsnorm gestützt, ist das Gericht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet zu prüfen, ob (und ggf. in welchem Umfang) der Bescheid mit Blick auf eine andere Rechtsgrundlage aufrechterhalten werden kann, sofern der Bescheid durch die Berücksichtigung der anderen Rechtsnorm und die dadurch geänderte Begründung nicht in seinem Wesen verändert wird. Bei gebundenen Verwaltungsakten schadet eine inhaltlich fehlerhafte Begründung (auch) zur zugrunde liegenden Rechtsgrundlage daher grundsätzlich nicht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2010 – 8 C 12.09 -, juris, Rn. 16, und Beschluss vom 29. Juli 2019 – 2 B 19.18 -, juris, Rn. 24, jeweils m. w. N.

Entsprechendes gilt bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Ausgehend davon durfte das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung mit § 2a Abs. 3 StVG begründen, welcher der Behörde keinen Ermessensspielraum einräumt. Unabhängig von der Frage, ob sich die in Rede stehende Entziehung der Fahrerlaubnis (auch) auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. den §§ 46, 11 Abs. 8 FeV stützen lässt, wird die Ordnungsverfügung nicht dadurch in ihrem Wesen geändert, dass § 2a Abs. 3 StVG als Rechtsgrundlage für dieselbe Rechtsfolge herangezogen wird, zumal in der Begründung der Ordnungsverfügung die für diese Vorschrift erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen angeführt werden.

…..“

Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe (§ 2a StVG), oder: Bindungswirkung eines Straferkenntnisses

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Und dann als zweite Entscheidung der VG Karlsruhe, Beschl. v. 23.01.2025 – 9 K 7272/24 – auch zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Problematik hier: Bindungswirkung eines rechtskräftigen Straferkenntnisses. Es geht um eine Fahrerlaubnis auf Probe, also § 2a StVG.

Auch hier nur die Leitsätze, nämlich:

1. Die Fahrerlaubnisbehörde dürfte auch bei einer Maßnahme nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG an eine rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit tatbestandlich gebunden sein. Der Ausschluss von § 2a Abs. 2 StVG in § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass (lediglich) der gestufte Maßnahmenkatalog nach § 2a Abs. 2 Satz 1 nicht zur Anwendung kommen soll.

2. Im Anwendungsbereich von § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG dürfte eine unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis ohne vorherige Anordnung der Beibringung eines Gutachtens allenfalls unter ganz besonderen (atypischen) Umständen (hier verneint) in Betracht kommen.

Entziehung der Fahrerlaubnis nach neuem KCanG, oder: Täglicher Cannabis-Konsum

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Heute steht dann mal wieder – es ist Samstag – der „Kessel Buntes“ an. Und in dem „köcheln“ heute zwei VG-Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis, also mal wieder Verkehrsverwaltungsrecht.

Ich beginne mit dem VG Ansbach, Beschl. v. 20.01.2025 – AN 10 S 24.2731. Der würde an sich auch an einem KCanG-Tag passen, aber zum KCanG habe ich im Moment keine berichtenswerten Entscheidungen. Daher dann heute. In der Entscheidun geht es noch einmal um die Entziehung der Fahrerlaubnis und/bei Cannabismissbrauch nach neuem Recht.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird um einstweiligen Rechtsschutz gegen den Entzug einer Fahrerlaubnis sowie die damit verbundene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins.

Die Antragstellerin war Inhaberin der Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, A (unb.), B, M, L und S. Die Antragsgegnerin erhielt Kenntnis von der vorschriftswidrigen Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel im Rahmen eines Suizidversuchs der Antragstellerin im Jahr 2022. Dem Arztbrief des behandelnden Klinikums vom 10.02.2022 war eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, Differentialdiagnose Schizophrenie Spektrum Störung zu entnehmen. Am 26.04.2022 wurde bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtiger schwerer Episode und psychotischen Symptomen diagnostiziert.

Im daraufhin eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin am 17. Mai 2023 zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf, da sich aufgrund der oben genannten Diagnosen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Fahreignung ergeben hätten. Laut dem beigebrachten ärztlichen Gutachten der pp. vom 4. September 2023 lag bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung und damit eine Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 FeV vor. Die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 bestehe, sofern die Auflage der sechsmonatigen fachärztlichen Kontrollen eingehalten werde. Eine am 28.07.2023 durchgeführte leistungspsychologische Untersuchung ergab keine Hinweise auf fahreignungsrelevante Beeinträchtigungen der psychofunktionalen Leistungsfähigkeit. Im Rahmen des Begutachtungsprozesses gab die Antragstellerin an, in der Vergangenheit über einen Zeitraum von eineinhalb bis zwei Jahren täglich Cannabis konsumiert zu haben. Die zwei während der medizinischen Untersuchung forensisch gesicherten, entsprechend den Beurteilungskriterien unter Sicht abgegebenen Urinproben ergaben keinen Hinweis auf aktuellen Drogenkonsum.

Mit Schreiben vom 25.09.2023 teilte die Antragsgegnerin dann mit, dass ausweislich des Gutachtens der pp. bei der Antragstellerin ein missbräuchlicher Drogen- und Arzneimittelkonsum in der Vergangenheit vorgelegen habe, jedoch mutmaßlich seit Anfang 2022 eine Betäubungsmittelabstinenz vorliege. Ein damit verbundener Einstellungswandel müsse im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung auf Stabilität hin überprüft werden. Sie wurde zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (ohne Reaktions- und Leistungstests) einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung folgender Fragen aufgefordert.

Nach negativer Begutachtung wurde wurde der Antragstellerin der beabsichtigte Entzug der Fahrerlaubnis angekündigt und ihr die Möglichkeit gegeben, Stellung zu nehmen. Die Antragstellerin gab dann an, dass sie von der Antragsgegnerin zuvor die Auskunft erhalten habe, dass keine Abstinenznachweise zu erbringen seien und legte ein ärztliches Attest ihres behandelnden Psychiaters vor, welches einen positiven Krankheitsverlauf und eine glaubhaft berichtete vollständige Cannabisabstinenz auswies.

Mit Bescheid vom 08.03.2024 wurde der Antragstellerin die Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, A (unb.), B, M, L und S entzogen. Zugleich verpflichtete die Antragsgegnerin sie, ihren Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides wurden angeordnet. Zudem wurde der Antragstellerin unmittelbarer Zwang angedroht.

Die Antragstellerin gab dann ihren Führerschein bei der Antragsgegnerin ab. Sie hat dann Klage erhoben und begehrt einstweiligen Rechtsschutz.

Und sie hatte Erfolg.

Ich stelle nicht die gesamte – wie immer bei einem VG umfangreiche – Begründung ein, sondern beschränke mich auf die Leitsätze. Die lauten:

1. Auch wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, rechtmäßig gewesen ist, kann viel dafür sprechen, dass sowohl der Entzug der Fahrerlaubnis wie auch die Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins gegen Treu und Glauben als allgemeiner auch im Verwaltungsrecht geltender Rechtsgrundsatz verstoßen. Das kann der Fall sein, wenn sich die Entziehung der Fahrerlaubnis vor dem Hintergrund der zum 1. April 2024 geänderten Rechtslage als widersprüchlich darstellt, das ggf. unter Anwendung des § 13a Nr. 2 FeV überwiegend wahrscheinlich sein kann, dass der Betroffene eines Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis diese ohne Weiteres wieder erteilt werden müsste.

2. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV (Alkoholmissbrauch) und um den Begriff des fahrerlaubnisrechtlich relevanten Cannabismissbrauchs nicht zu überdehnen, ist im Rahmen des § 13a Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Cannabiskonsum und einer Teilnahme am Straßenverkehr zu fordern. Hat der Betroffene keinem Zeitpunkt unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug geführt, darf ein mittelbarer Zusammenhang gerade nicht daraus gezogen werden, dass der in der Vergangenheit täglich Cannabis konsumierte, denn es ist unter Heranziehung der neuen Fassung der Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV ohne Hinzutreten weiterer Umstände gerade nicht mehr auf einen Kontrollverlust oder eine fehlende Trennfähigkeit zu schließen.