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BtM III: Fahrerlaubnisentziehung nach altem Recht, oder: Auswirkungen des CanG auf die Entziehung?

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Und dann habe ich im dritten Posting eine weitere Entscheidung aus Bayern. Es handelt sich um den BayVGH, Beschl. v. 23.04.2025 – 11 CS 25.203 – zur Frage der Auswirkungen des CanG auf eine vor Inkrafttreten des CanG am 01.04.2024 ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis. Hätte an sich also auch in einen „Kessel Buntes“ gepasst.

Der BayVGH meint zu der Frage:

„2. Zu Unrecht nimmt das Verwaltungsgericht ferner an, dass das Suspensivinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.

Es geht zunächst aus den im angegriffenen Beschluss vom 20. Januar 2025 dargelegten Gründen, auf die Bezug genommen wird (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), zutreffend davon aus, dass die Entziehung im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, B. v, 14.6.2024 – 3 B 11.23 – ZfSch 2024, 533 Rn. 5; U. v, 30.8.2023 – 3 C 15.22NJW 2024, 1361 Rn. 8 m.w.N.), hier bei Erlass des Entziehungsbescheids am 8. März 2024, rechtmäßig war.

Der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 2023 (BGBl I Nr. 315), i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 7 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV kann wegen der zum 1. April 2024 erfolgten Rechtsänderung nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden.

Der Grundsatz von Treu und Glauben gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts. Er bedarf der Konkretisierung, die anhand von Fallgruppen bzw. Ausprägungen vorgenommen wird (vgl. BVerwG, U. v, 12.6.2024 – 6 C 11.22NVwZ 2024, 1577 Rn. 41 m.w.N.). Zu diesen gehört der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, der ein hoheitliches Handeln voraussetzt, das im Widerspruch zu früher begründetem Vertrauen des Bürgers steht (Schubert in MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 72). Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist widersprüchliches Verhalten erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Handelnde dadurch für den anderen Teil einen Vertrauenstatbestand schafft, auf den sich sein Gegenüber verlassen darf, oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BVerwG, U. v, 30.6.2010 – 5 C 2.10 – juris Rn. 12; BGH, U. v, 5.6.1997 – X ZR 73/95 – juris Rn. 25 m.w.N.; Krebs in Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl. 2021, § 242 Rn. 92 f.), was der Fall ist, wenn das frühere Verhalten zu dem späteren in unlösbarem Widerspruch steht (vgl. BVerwG, U. v, 2.7.1992 – 5 C 51.90BVerwGE 90, 287 = juris Rn. 22 m.w.N.). Bei der Anwendung des § 242 BGB im öffentlichen Recht ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Verwaltung zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtet ist, was der Anwendung ein eigenes Gepräge verleiht, auch wenn der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wegen der gleichzeitigen Verpflichtung auf das „Recht“ keinen absoluten Vorrang genießt. Die im Privatrecht entwickelten Konkretisierungen von Treu und Glauben lassen sich nicht unbesehen ins öffentliche Recht übertragen. Die öffentlichen Interessen haben einen höheren Stellenwert, auch wenn sie keinen absoluten Vorrang beanspruchen (Schubert a.a.O. § 242 Rn. 70).

Hieran gemessen macht die Antragsgegnerin zu Recht geltend, dass sie nicht verpflichtet oder gehalten war, entgegen geltendem Recht auf das bereits mit Schreiben vom 25. September 2023 angeordnete, negative Fahreignungsgutachten vom 8. Januar 2024 hin untätig zu bleiben, was im Ergebnis eine Rückwirkung bzw. Erstreckung des seit 1. April 2024 geänderten Rechts auf Altfälle bewirken würde, ohne dass der Gesetzgeber dies vorgesehen hat. Die Regelung in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, wonach regelmäßiger Cannabiskonsum die Fahreignung entfallen ließ, galt bis zum Inkrafttreten ihrer Änderung durch das Cannabisgesetz am 1. April 2024 und war wegen des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts unverändert der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen (BVerwG, B. v, 14.6.2024 – 3 B 11.23 – ZfSch 2024, 533 Rn. 5; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 2 StVG Rn. 54). Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung hat der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht vorgesehen (wie etwa durch Art. 316p i.V.m. Art. 313 EGStGB, vgl. dazu NdsOVG, B. v, 23.9.2024 – 12 PA 27/24 – juris Rn. 9). Sie ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Regelung auch nicht verfassungsrechtlich geboten (vgl. BayVGH, B. v, 31.10.2024 – 11 ZB 24.1246 – DAR 2025, 42 Rn. 13; vgl. auch BVerfG, B. v, 30.3.2007 – 1 BvR 3144/06BVerfGK 10, 553 Rn. 23; B. v, 9.10.2000 – 1 BvR 791/95SozR 3-2200 § 551 Nr. 15 Rn. 24 ff.: Nichtanwendung günstigeren Rechts ohne ausdrückliche Rückwirkungsanordnung ist nicht verfassungswidrig).

Die Anwendung des geltenden Rechts erscheint auch zeitlich kurz vor einer Rechtsänderung nicht widersprüchlich oder treuwidrig, insbesondere nicht, wenn es sich wie hier um eine gebundene Entscheidung auf dem Gebiet des Sicherheitsrechts handelte und das über die Fahreignung urteilende medizinisch-psychologische Gutachten gemäß Nr. 1 Buchst. c der Anlage 4a zur FeV auf der Grundlage anerkannter wissenschaftlicher Grundsätze, die in den Beurteilungskriterien ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BayVGH, B. v, 5.6.2024 – 11 CS 24.324 – juris Rn. 20; Derpa a.a.O. § 11 FeV Rn. 20a), gefertigt worden ist. Der Antragstellerin hätte Widerspruch einlegen können mit der Folge, dass die letzte Behördenentscheidung voraussichtlich nach der sie begünstigenden Rechtsänderung ergangen wäre. Weiter bleibt es ihr unbenommen, den angefochtenen Bescheid bestandskräftig werden zu lassen und einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis unter nunmehr erleichterten Voraussetzungen zu stellen. Insofern stellt sich – worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist – die Situation für sie nicht anders dar wie für denjenigen, der erst nach Entziehung der Fahrerlaubnis seine Fahreignung wiedererlangt bzw. dies nachweisen kann. Im Fahrerlaubnisrecht ist ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen nicht vorgesehen, da § 20 FeV (Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung) der allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschrift des Art. 51 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG als lex specialis vorgeht (vgl. BayVGH, U. v, 14.7.1994 – 11 B 94.362NZV 1995, 47/48 zur Vorgängerregelung in § 15c StVZO; Siegmund in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 17.7.2024, § 2 StVG Rn. 96 f.).

Das gesetzlich vorgesehene, antragsabhängige Neuerteilungsverfahren würde in den von der Rechtsänderung durch das Gesetz vom 27. März 2024 zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) betroffenen Fällen mittels des Einwands des Rechtsmissbrauchs umgangen, mit der Folge, dass eine rechtmäßige Entziehung wirkungslos und die ursprüngliche Fahrerlaubnis der Antragstellerin trotz gutachtlich bescheinigtem Verlust der Fahreignung ohne weiteres bestehen bliebe. Da die Fahrerlaubnis mit der Entziehung erlischt (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 6 Satz 1 FeV), mit Bekanntgabe gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG keine Fahrberechtigung mehr besteht und die ursprüngliche Fahrerlaubnis mit Neuerteilung auch nicht wieder auflebt, stellt sich die Situation auch nicht so dar, dass die Behörde alsbald wieder den gleichen Verwaltungsakt erlassen müsste (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est). Vielmehr prüft sie in einem erst auf entsprechenden Antrag hin vorgeschalteten Verfahren zunächst, ob die Erlaubnis und in welchem Umfang (vgl. § 76 Nr. 11b FeV) sie wieder zu erteilen ist und stellt mit Neuerteilung auch einen neuen Nachweis über die ggf. geänderte Fahrberechtigung und deren zeitliche Geltung aus. Zwar wird regelmäßig keine erneute Prüfung der Fahrbefähigung angeordnet, jedoch u.a. geprüft, ob Anhaltspunkte für eine fehlende Befähigung (vgl. § 20 Abs. 2 FeV) oder Eignung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 11 ff. FeV) vorhanden sind. So wird regelmäßig eine Sehtestbescheinigung nach Anlage 6 Nr. 1 zur FeV, ein behördliches Führungszeugnis und ein Nachweis über die Ausbildung in Erster Hilfe gefordert. Ferner prüft die Fahrerlaubnisbehörde, ob die Nichteignung des Betroffenen nach wie vor feststeht, bei (vormaligem) Cannabiskonsum ggf. also, ob eine Änderung des Konsumverhaltens dies ausschließt (vgl. Derpa a.a.O. § 13a FeV Rn. 15), ob im Falle des Cannabismissbrauchs bei fortgeschrittener Drogenproblematik weiterhin Abstinenz einzuhalten ist (vgl. Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Hrsg. Dt. Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Dt. Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 4. Aufl. 2022, S. 165 ff. Kriterien D 2.4 N, D 2.5 K; vgl. auch die entsprechende Anforderung in bestimmten Fällen des Alkoholmissbrauchs, dazu BayVGH, B. v, 13.3.2025 – 11 ZB 24.2066 – juris Rn. 16 ff.), ob eine Abhängigkeit im Sinne von Nr. 9.2.3 der Anlage 4 zur FeV n.F. vorliegen könnte, ob beim individuellen Konsummuster überhaupt zu erwarten ist, dass das THC im Blutserum jemals unter den Grenzwert von 3,5 ng/ml absinkt (vgl. Derpa a.a.O. § 2 StVG FeV Rn. 56-62), ob also realistisch zu erwarten ist, dass der Konsum vom Fahren getrennt werden kann, oder ob ein regelmäßiger Gebrauch von Medizinalcannabis gemäß Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV n.F. zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit unter das erforderliche Maß führt. Die von der Fahrerlaubnisbehörde anzustellenden Ermittlungen sind nicht in das Entziehungsverfahren und das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzuverlagern. Das Ergebnis des Neuerteilungsverfahrens bleibt abzuwarten.

…“

Fristsetzung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar, oder: Fristverlängerung einer angemessen Frist?

Frist Termin

Im zweiten Posting dann etwas zur Fahrerlaubnis auf Probe.

Gestriiten wird in einem Verfahren, das mit dem BayVGH, Beschl. v. 22.04.2025 – 11 CS 25.327 – geendet hat, um die die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Am 09.09.2022 erteilte die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis auf Probe der Klassen AM, B, und L. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 13.10.2023, dem Antragsteller zugestellt am 18.10.2023, forderte sie ihn auf, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung der Anordnung an einem Aufbauseminar für Fahranfänger teilzunehmen und nach erfolgreichem Abschluss eine Teilnahmebestätigung vorzulegen. Zu Grunde lag dem ein rechtkräftiger Bußgeldbescheid wegen einer Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um 40 km/h innerhalb einer geschlossenen Ortschaft am 03.02.2023.

Nachdem die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 19.03.2024 an die Vorlage der Teilnahmebescheinigung erinnert und zur Entziehung der Fahrerlaubnis angehört hatte, wandte sich der Antragsteller erstmals mit E-Mail vom 28.03.2024 an die Behörde. Ihm sei die Teilnahme an einem Aufbauseminar bisher aus persönlichen und finanziellen Gründen nicht möglich gewesen. Bei der für ihn nächstgelegenen Fahrschule gebe es kein Seminar bis Ende April/Anfang Mai 2024. Er werde sich unverzüglich melden, sobald der Termin feststehe.

Mit E-Mail vom 02.04.2024 lehnte die Antragsgegnerin die begehrte Fristverlängerung ab. Die gesetzte Frist sei bereits am 18.01.2024 verstrichen, eine Rückmeldung erst nun erfolgt. Am selben Tag übersandte der Antragsteller eine Bestätigung über die Anmeldung zu einem Aufbauseminar bei einer anderen Fahrschule mit Terminen vom 29.04. bis 16.05.2024.

Mit Bescheid vom 23.04. 2024 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Anordnung des Sofortvollzugs, seinen Führerschein unverzüglich abzugeben. Dagegen die Klage und zugleich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, den das VG abgelehnt hat. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, die keinen Erfolg hatte.

„…

Ferner hat das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Frist zur Vorlage der Teilnahmebescheinigung nicht zu verlängern, nicht zu beanstanden ist. Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen dringt nicht durch.

a) Der angegriffene Beschluss hat zutreffend zu Grunde gelegt, dass von einer Behörde gesetzte Fristen nach Ermessen, dessen Ausübung gerichtlich nur beschränkt überprüfbar ist (§ 114 Satz 1 VwGO), verlängert werden können (Art. 37 Abs. 7 Satz 1 BayVwVfG). Sind solche Fristen – wie hier – bereits abgelaufen, können sie auch rückwirkend verlängert werden, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretene Rechtsfolgen bestehen zu lassen (Art. 31 Abs. 7 Satz 2 BayVwVfG). Folglich hat das Verwaltungsgericht zu Recht in den Blick genommen, ob die Nichtverlängerung unter Berücksichtigung persönlicher und sachlicher Gründe unbillig wäre (vgl. dazu auch BayVGH, B. v, 28.6.2024 – 11 CS 24.454 – juris Rn. 22; Mattes in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 31 Rn. 48; Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 31 VwVfG Rn. 31 f.). So kann es im Fall der unverschuldeten Versäumung einer Frist zur Teilnahme an einem Aufbauseminar liegen, wenn der Betroffene rechtzeitig eine Fristverlängerung beantragt, gleichzeitig substantiiert die Hinderungsgründe darlegt sowie erkennbar den Willen äußert, das Aufbauseminar bei nächster Gelegenheit zu absolvieren. Für die nachträgliche Verlängerung der Frist ist darüber hinaus darzulegen, weshalb der Fahranfänger an einer vorherigen Mitteilung der Hinderungsgründe innerhalb der Frist gehindert war (vgl. OVG SH, B. v, 31.3.2021 – 5 MB 39/20NJW 2021, 1771 = juris Rn. 13; Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-StVR, Stand 14.4.2025, § 2a StVG Rn. 209 ff.; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, § 2a StVG Rn. 42). Liegen diese Voraussetzungen vor und wird die Fahrerlaubnis auf Probe gleichwohl unter Ablehnung der Fristverlängerung entzogen, kann dies gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen (vgl. OVG SH a.a.O.; Trésoret a.a.O. Rn. 210). Wirtschaftliches Unvermögen zur Finanzierung des Aufbauseminars ist insoweit dabei allerdings grundsätzlich ohne Bedeutung (vgl. Trésoret a.a.O. Rn. 209; Derpa a.a.O.).

b) Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass die Verweigerung einer Fristverlängerung hier nicht unbillig und die Entziehung der Fahrerlaubnis folglich nicht unverhältnismäßig ist. Die dreimonatige Frist zur Teilnahme an dem Aufbauseminar erscheint üblich und nicht von vornherein zu kurz bemessen (vgl. zu einem Richtwert von 2 bis 3 Monaten auch Trésoret, a.a.O. § 34 FeV Rn. 40). Der Antragsteller hat ferner, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ihm die fristgerechte Teilnahme an einem Aufbauseminar aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich gewesen wäre. Insbesondere ein Mangel an Seminarangeboten ist nicht dargetan worden. Dazu hätte er substantiiert vortragen müssen, sich bei allen geeigneten Seminarstellen im Umkreis, wozu hier jedenfalls die gesamte Landeshauptstadt München als örtlicher Zuständigkeitsbereich der handelnden Fahrerlaubnisbehörde gehört, erfolglos um eine Teilnahme bemüht zu haben (vgl. OVG LSA, B. v, 3.6.2022 – 3 M 48/22 – juris Rn. 6; Trésoret a.a.O. § 2a StVG Rn. 210.1). Ein derart substantiiertes Vorbringen ist innerhalb der gesetzten Frist, abgesehen davon aber auch im gerichtlichen Verfahren nicht erfolgt. Wenn die Beschwerde einwendet, die Anbieter der Seminare müssten abwarten, bis sich eine ausreichende Anzahl von Teilnehmern angemeldet habe (vgl. dazu auch § 34 Abs. 1 Satz 1 FeV), genügt dies den genannten Anforderungen offensichtlich nicht. Sofern sie auf Schwierigkeiten aufgrund fehlender Kenntnisse der deutschen Sprache hinweist, ist kein Bezug zu der Situation des Antragstellers erkennbar und kommt es darauf schon deswegen nicht an. Ferner fehlt jeglicher Vortrag dazu, warum der Antragsteller etwaige Hinderungsgründe nicht innerhalb der gesetzten Frist geltend gemacht, sondern erst mehr als zwei Monate nach deren Ablauf und auf die Anhörung zur Entziehung der Fahrerlaubnis hin.

c) Ebenfalls ohne Erfolg wirft der Antragsteller ein, die Fristsetzung habe keinen tiefgreifenden inneren Sinn. Das Gesetz geht davon aus, dass sich ein Fahranfänger bereits bei einer der in § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG genannten Zuwiderhandlungen in der Probezeit nicht bewährt hat und die weitere Teilnahme am fahrerlaubnispflichtigen Straßenverkehr in diesem Fall die vorherige Korrektur der Fehlverhaltensweisen voraussetzt (vgl. BT-Drs. 10/4490 S. 14, 19; VG Karlsruhe, B. v, 13.2.2008 – 9 K 4351/07 – juris Rn. 6; Trésoret a.a.O. § 2a StVG Rn. 201). Ferner hält es der Gesetzgeber für notwendig, bei Fahranfängern, die durch Verkehrsverstöße auffällig geworden sind, die darin zum Ausdruck kommende mangelnde Erfahrungsbildung bzw. Risikobereitschaft alsbald zu korrigieren. Dies ergibt sich auch aus der sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar (§ 2a Abs. 6 StVG) sowie der Gesetzesbegründung dazu. Ein möglichst enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Verkehrsverstoß und Aufbauseminar ist nach seiner Vorstellung von erheblicher Bedeutung für deren Wirksamkeit (vgl. BT-Drs. 10/4490 S. 20). Demnach erscheint es hier zwar nicht zwingend, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach Vorlage der Anmeldung zu dem (nach Bescheiderlass erfolgreich absolvierten) Aufbauseminar keine weitere Frist eingeräumt hat. Ihre Entscheidung dagegen ist jedoch auch nach dem vorgenannten Zweck der Fristsetzung nicht unbillig und gerichtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt umso mehr, als die Anmeldung zu einem Aufbauseminar noch nichts darüber besagt, dass dieses auch zeitnah erfolgreich abgeschlossen wird (vgl. dazu auch § 37 Abs. 2 FeV; Koehl in Hentschel/König, § 37 FeV Rn. 1).

d) Weiter geht der Vorwurf fehl, die Entziehung der Fahrerlaubnis habe den Charakter eines „Racheaktes“ bzw. einer Ahndung. Die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar ist nicht gegen den Willen des Fahranfängers vollstreckbar. § 2a Abs. 3 StVG sieht daher als verfahrensrechtliche Konsequenz aus der Nichtbefolgung der Anordnung die (zwingende) Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde vor (vgl. Trésoret, a.a.O. § 2a StVG Rn. 201). Dies verleiht der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar den erforderlichen Nachdruck und ist Ausdruck davon, dass die Probezeit für den Fahranfänger eine Zeit der Bewährung ist, in der besondere Anforderungen an sein Verkehrsverhalten und auch an seine aktive Teilnahme an behördlich angeordneten Maßnahmen gestellt werden (vgl. BT-Drs. 10/4490 S. 20). Sie dient folglich nicht der Vergeltung, sondern verfolgt als Maßnahme der Gefahrenabwehr den Zweck, künftigen Verkehrsverstößen vorzubeugen (vgl. VG Göttingen, U.v. 3.4.2013 – 1 A 92/11NJW 2013, 2697 = juris Rn. 18)….“

Zustimmung zur Kursteilnahme für Fahreignung, oder: Keine Verpflichtungsklage

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Und im „Kessel Buntes“ am Samstag dann heute zwei Entscheidungen aus dem Verkehrsverwaltungsrecht.

Die erste kommt mit dem BayVGH, Beschl. v. 24.03.2025 – 11 CE 25.212 – aus Bayern. Gestritten wird in Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis um die Zustimmung der Fahrerlaubnisbehörde zur Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung von alkohol- oder drogenauffälligen Kraftfahrern.

Der Antragsteller war seit 2016 Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B. Am 27.11.2022 fuhr er alkoholisiert mit einem E-Scooter auf öffentlichen Straßen (BAK: 1,66 ‰). Mit Urteil v. 01.06.2023 sprach ihn das AG der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) schuldig und verhängte eine Geldstrafe sowie ein zweimonatiges Fahrverbot. Einen Ausspruch zur Entziehung der Fahrerlaubnis oder eine Begründung, weshalb diese Maßregel nicht angeordnet worden ist, enthalten das Urteil und der vorausgegangene Strafbefehl vom 30.01.2023 nicht.

Auf Anordnung der Antragsgegnerin vom 06.05.2024 brachte der Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (Begutachtungstermin: 03.07.2024, Absendedatum: 25.7.02024) bei, das zu dem Ergebnis kommt, es sei zu erwarten, dass er zukünftig das Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht zuverlässig trennen könne. Die Verhaltensprognose könne jedoch durch die Teilnahme an einem nach § 70 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) anerkannten Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung günstig beeinflusst werden. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse die Voraussetzungen für die Kursteilnahme prüfen und darüber befinden, ob der Kurs statt eines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens zum Nachweis der Wiederherstellung der Eignung genüge.

Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 09.08.2024 mitgeteilt hatte, er sei zum Zeitpunkt der Begutachtung noch Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen, weshalb das Gutachten die Empfehlung zur Kursteilnahme nicht hätte enthalten dürfen, erklärte der Antragsteller am 01.09.2024 sein Einverständnis mit der Entziehung der Fahrerlaubnis und gab den Führerschein bei der Antragsgegnerin ab.

Am 06.09.2024 beantragte er die Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Mit Schreiben vom 14.10.2024 forderte die Antragsgegnerin ihn zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf und teilte seinem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 29.11.2024 mit, an der Anordnung werde festgehalten, weil eine Kursempfehlung nach § 70 FeV nur im Rahmen der Begutachtung an Bewerber ausgesprochen werden könne.

Am 03.01.2025 beantragte der Antragsteller dann beim VG, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Zustimmung zum Besuch eines Kurses nach § 70 FeV zu erteilen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16.01.2025 abgelehnt. Es bestünden bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags. Bei der begehrten Zustimmung zur Kursteilnahme handele es sich um eine behördliche Verfahrenshandlung, die nicht selbstständig angegriffen bzw. erzwungen werden könne. Die Rechtswidrigkeit der Weigerung zur Zustimmung könne nur bei Ablehnung des Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit einer hiergegen erhobenen Verpflichtungsklage geltend gemacht werden. Im Übrigen sei der Antrag jedenfalls unbegründet, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Mit seinem Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zustimmung begehre der Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache. Hierfür lägen die Voraussetzungen nicht vor. Die Gutachtensstelle sei zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht berechtigt gewesen, eine Kursempfehlung auszusprechen. Eine solche Empfehlung dürfe nur gegenüber Personen ergehen, die zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis seien. Im Zeitpunkt der Begutachtung am 03.07.2024 sei der Antragsteller jedoch noch Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen. Er könne einen Anspruch auf Zustimmung zur Kursteilnahme auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten herleiten. Ob vor dem Hintergrund der Klarstellung der Begutachtungsstelle überhaupt noch eine Kursempfehlung bestehe und ob die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt gewesen sei, eine entsprechende Klarstellung zu verlangen, könne dahinstehen.

Dagegen die Beschwerde, die beim BayVGH keinen Erfolg hatte. Hier nur der Leitsatz zu der Entscheidung, und zwar:

Die Zustimmung der Fahrerlaubnisbehörde zur Teilnahme an einem Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung von alkohol- oder drogenauffälligen Kraftfahrern an Stelle eines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens kann als vorbereitende behördliche Verfahrenshandlung für die Entscheidung über die Fahrerlaubniserteilung nicht im Wege der Verpflichtungsklage oder einer einstweiligen Anordnung begehrt werden. Die Rechtmäßigkeit der Verweigerung ist nur inzident im Falle der Versagung der Fahrerlaubniserteilung zu prüfen, sofern der Antragsteller hiergegen Rechtsschutz begehrt.

 

Drei Beschlüsse zur Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: KCanG, Cannabiskonsum, berufliche Gründe, Diabetes

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“, und zwar mit einigen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG.

Ich beginne mit drei Entscheidungen aus Bayern, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle. Das sind:

1. Die regelmäßige Einnahme von Cannabis hat nach der Rechtslage vor dem 01.04.2024 gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 FeV ohne das Hinzutreten weiterer Umstände im Regelfall die Fahreignung ausgeschlossen.

2. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Anfechtung einer Entziehung der Fahrerlaubnis ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich. Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung nach der Rechtsänderung am 01.04.2024 hat der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht vorgesehen. Sie ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Regelung auch nicht verfassungsrechtlich geboten.

  • BayVGH, Beschl. v. 19.12.2024 – 11 CS 24.1933 – Zur Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem und zur – verneinten – Unverhältnismäßigkeit bei beruflicher Angewiesenheit auf die Fahrerlaubnis:

Dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen.

Ergeben sich Zweifel an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers aus einer feststehenden insulinbehandelten Diabetes-Erkrankung mit einer reduzierten Hypoglykämiewahrnehmung und überdies aus einer Polyneuropathie mit einer einer leichtgradigen Gangunsicherheit und einer eingeschränkten linken Fußhebung, kann die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entziehen.

Neues zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach StVG, oder: Pedelec, Entzugsbehandlung, Schlafapnoe

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Und im „Kessel-Buntes“ heute dann verwaltungsrechtliche Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht.

Hier kommen zunächst einige Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, und zwar:

Die Fahrerlaubnisbehörde hat anzuordnen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn er ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit die einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat. Dies gilt nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad und auch für ein Pedelec, weil dieses einem Fahrrad rechtlich gleichgestellt ist.

Ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, das auch ohne Behandlung keine übermäßige Tagesmüdigkeit zur Folge hat, begründet keinen Eignungsmangel nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV und kann keine Kontrollauflage rechtfertigen.

1. Es entspricht gesicherten Erkenntnissen der Alkoholforschung, dass Betroffene mit Blutalkoholkonzentrationen ab 1,6 Promille über deutlich abweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Trinkfestigkeit verfügen.

2. Neben stationären Therapien kommen auch ambulante Maßnahmen von 24 Wochen, ganztägige ambulante Maßnahmen in Tageskliniken an Werktagen über einen Zeitraum von acht bis sechzehn Wochen und stationär-ambulante Kombinationstherapien in Betracht als Entzugsbehandlung in Betracht, nicht aber die stationäre Entgiftung und Nachsorgekontakte, die sporadisch stattfinden und der Rückfallprophylaxe dienen.