Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Alkoholfahrt, oder: BAK 1,17 ‰ und fast ohne Ausfallerscheinungen

© roostler – Fotolia.com

Und die zweite Entscheidung kommt dann mit dem BayVGH, Beschl. v. 16.10.2023 – 11 CE 23.1306 – auch aus Bayern. Entschieden worden ist über die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach einer Alkoholfahrt mit einer BAK 1, 17 ‰ und nahezu keine Ausfallerscheinungen.

Folgender Sachverhalt:

„Die Antragsteller, dem das Landratsamt Regensburg am 7. August 2015 eine Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L erteilt hatte, begehrt nach deren Entziehung deren Neuerteilung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.

Am 18. Januar 2022 ging beim Landratsamt ein polizeiliches Schreiben ein, wonach gegen den Antragsteller wegen einer Trunkenheitsfahrt am 25. November 2021 ermittelt wurde. Bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle habe der Antragsteller auf Frage verneint, alkoholische Getränke konsumiert zu haben. Nach Feststellung von Alkoholgeruch habe ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest um 0:22 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 0,56 mg/l ergeben. Ein Drogenschnelltest sei negativ verlaufen. Eine freiwillige Blutentnahme um 0:50 Uhr habe eine Blutalkoholkonzentration von 1,17 ‰ ergeben. Da die Polizeibeamten den Antragsteller ab Beginn der Verkehrskontrolle bis zur Blutentnahme beaufsichtigt hätten, sei ein Nachtrunk auszuschließen. Während der Nachfahrt bis zur Kontrollörtlichkeit hätten keine und während der polizeilichen Maßnahmen keine starken alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt werden können. Der Denkablauf, das Verhalten und die Aussprache des Antragstellers seien normal gewesen. Zudem habe er den Anweisungen und dem Gesprächsverlauf klar folgen können. Zusammenfassend habe er einen leicht alkoholisierten Eindruck auf die Beamten gemacht, der keinen Rückschluss auf die festgestellte Alkoholisierung erlaubt habe. Während der kompletten Sachbearbeitung habe er sich kooperativ und einsichtig verhalten. Der Gang (geradeaus) des Antragstellers war nach dem ärztlichen Bericht sicher; auch die Finger-Finger-Prüfung und die Finger-Nase-Prüfung habe er sicher absolviert. Die Sprache sei deutlich gewesen und seine Pupillen seien unauffällig gewesen. Eine Pupillen-Lichtreaktion habe nicht festgestellt werden können. Der Denkablauf des Antragstellers sei geordnet, sein Verhalten beherrscht sowie seine Stimmung unauffällig gewesen. Ein äußerlicher Anschein von Alkoholeinfluss sei leicht bemerkbar gewesen.

Das Amtsgericht Regensburg verurteilte den Antragsteller mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 4. Februar 2022, im Rechtsfolgenausspruch geändert durch Beschluss vom 2. März 2022, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis, zog den Führerschein ein und ordnete eine Sperrfrist von sieben Monaten an.

Am 23. Juni 2022 beantragte der Antragsteller die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B.

Daraufhin forderte ihn das Landratsamt mit Schreiben vom 9. Dezember 2022 gestützt auf § 20, § 22 i.V.m § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a Alt. 2 FeV auf, ein Gutachten zu seiner Fahreignung trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch und zu seinem Trennungsvermögen beizubringen. Bei ihm sei von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung auszugehen, da er mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 ‰ noch in der Lage gewesen sei, die medizinischen Tests größtenteils sicher zu absolvieren und ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Die fahrlässige Trunkenheitsfahrt vom 25. November 2021 habe sein Trennungsvermögen in Zweifel gezogen. Es sei von Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 zu FeV auszugehen. Ob er den vorliegenden Alkoholmissbrauch inzwischen beendet und die Fahreignung bereits wiedererlangt habe (vgl. Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV), bedürfe der Überprüfung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung.

Der Antragsteller ließ durch seinen Bevollmächtigten ein Attest seines Hausarztes vom 19. Dezember 2022 übersenden, wonach er sich seit dem 28. Oktober 2020 regelmäßig, etwa vierteljährlich, bei diesem in Behandlung befindet und der Arzt in Zusammenschau des körperlichen Gesamtbilds, insbesondere des neurologischen Status, und der laborchemischen Diagnostik, insbesondere in Anbetracht normwertiger Transaminasen und eines unauffälligen (auch nicht grenzwertigen) CDT-Werts, einen chronischen Alkoholkonsum für ausgeschlossen hält. Hinsichtlich des Führens eines Kraftfahrzeugs bestünden keine Einschränkungen. Beigefügt waren Laborbefunde vom 23. Dezember 2021 und vom 9. Juni, 4. August und 16. Dezember 2022.

Am 10. Mai 2023 ließ er beim Verwaltungsgericht Regensburg Untätigkeitsklage auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L erheben und zugleich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragen.

Über die Klage hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat es mit Beschluss vom 7. Juli 2023 mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe – ungeachtet der regelmäßigen Unzulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache – keinen vorläufig zu sichernden Anspruch auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, da das Landratsamt zu Recht die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert habe, das der Antragsteller nicht vorgelegt habe. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV ordne die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn in der Vergangenheit die Fahrerlaubnis – auch durch strafgerichtliche Entscheidung – aus einem der unter den Buchst. a bis c genannten Gründe entzogen worden sei. Im Hinblick darauf habe das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 ‰ die Gutachtensaufforderung nach Buchst. d aus systematischen Gründen nicht ausschließlich auf die strafgerichtliche Entscheidung gestützt werden könne. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV setze das Vorliegen von Zusatztatsachen voraus, die unter Berücksichtigung der Wertungen in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c geeignet seien, die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen. Dies sei beim Antragsteller der Fall. Trotz seines verhältnismäßig hohen Blutalkoholgehalts seien bei ihm nach den polizeilichen Ermittlungsunterlagen während der Nachfahrt bis zur Kontrollörtlichkeit und während der polizeilichen Maßnahmen und nach dem ärztlichen Protokoll nahezu keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt worden. Der Denkablauf, das Verhalten und die Aussprache des Antragstellers seien als normal beschrieben worden. Korrespondierend sei im ärztlichen Protokoll vermerkt, dass der Gang (geradeaus), die Finger-Finger- und Finger-Nase-Prüfung sicher, die Sprache deutlich und die Pupillen unauffällig gewesen seien. Eine Pupillen-Lichtreaktion habe nicht festgestellt werden können. Der Denkablauf sei geordnet, sein Verhalten beherrscht und die Stimmung unauffällig gewesen, auch wenn der äußerliche Anschein eines Alkoholeinflusses leicht erkennbar gewesen sei. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sei in einem solchen Fall von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung und der damit verbundenen Gefahr einer erneuten Trunkenheitsfahrt auszugehen. Dies gelte auch bei Berücksichtigung des ärztlichen Attests vom 19. Dezember 2022. Allein die vergleichsweise pauschale Verneinung eines chronischen Alkoholkonsums könne die durch die Zusatztatsachen hervorgerufenen Eignungszweifel nicht in gleichem Umfang entkräften wie ein Gutachten.

Dagegen die Beschwerde des Antragstellers, die keinen Erfolg hatte. Denn:

Hat der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt eine BAK von unter 1,6 Promille, aber mindestens 1,1 Promille (hier: 1,17 Promille), ist von einer außergewöhnlichen Alkoholgewöhnung und einer damit verbundenen Gefahr für eine erneute Trunkenheitsfahrt auszugehen, wenn der Betroffene nahezu keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen gezeigt hat. Fehlende Ausfallerscheinungen sind dann als „zusätzliche Tatsache“ im Sinne von §?13 S.?1 Nr.?2 Lit. a 2. Alt. FeV zu deuten, die auf Alkoholmissbrauch hindeuten, sodass eine MPU anzufordern ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert