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Erstattung privater SV-Kosten nach Einstellung, oder: Beurteilung schwieriger technischer Fragen

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Und dann ist Gebühren- bzw. Kostentag. Heute dann mit zwei amtsgerichtlichen Kostenfestsetzungsbeschlüssen zur Erstattung der Auslagen für einen privaten Sachverständigen.

Die erste Entscheidung, die ich vorstelle, ist der AG Senftenberg, Beschl. v. 28.02.2024 – 50 OWi 1617 Js 22408/22. Das AG hat das Bußgeldverfahren eingestellt und die Kosten und notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt. Geltendgemacht werden dann auch (private) Sachverständigenkosten, die das AG festsetzt:

„Der Betroffene hat gemäß § 464 a Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG nur Anspruch auf Erstattung solcher Auslagen, die notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO waren. Nach überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung sind Aufwendungen für private Ermittlungen oder Beweiserhebungen in der Regel nicht notwendig, weil die Ermittlungsbehörden und das Gericht von Amts wegen zur Sachaufklärung verpflichtet sind und der Betroffene jederzeit Beweisanträge stellen oder Beweisanregungen geben kann.

Die Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens sind jedoch unter anderem dann ausnahmsweise als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre. (LG Göttingen , Beschluss vom 04.07.2022, 1 Qs 13/22) Dieser Sachverhalt ist hier gegeben. Dies wird u.a. daran deutlich, dass das Amtsgericht nach dem Eingang des Verfahrens bereits Termin zur Hauptverhandlung bestimmt hat und aus der Akte keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, welche das Gericht an der Richtigkeit der Messdaten zweifeln lassen. Aus dem privaten Sachverständigengutachten vom 22.11.0222 ergibt sich jedoch, dass ein Defekt an der Messanlage nicht ausgeschlossen werden kann. Somit hatte der Betroffene durchaus eine Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten. Ohne einen konkreten Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Messung wäre daher damit zu rechnen gewesen, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 S. 2 StPO ablehnen würde. Zur Überprüfung dieses Sachverhalts war angesichts der technisch komplizierten Materie aber eben gerade die Überprüfung durch einen Sachverständigen notwendig. (LG Oldenburg, Beschluss vom 28.03.2022 – 5 Qs 108/20)

Zur Begründung obiger Entscheidung wird diesbezüglich u.a. auch auf die Rechtsprechungen des Landgerichts Dessau-Roßlau , Beschluss vom 04.05.2023, 6 Qs 394 Js 26340/21 (56/23) und des Landgerichts Göttingen , Beschluss vom 04.07.2022, 1 Qs 13/22 sowie die Ausführungen des Herrn Rechtsanwalts pp. vom 29.08.2023 verwiesen.“

Auslagenerstattung nach Verjährungseinstellung?, oder: Man möchte beim AG St. Ingbert schreien

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Und im zweiten Posting dann das AG St. Ingbert, Urt. v.  12.12.2023 – 22 OWi 66 Js 1319/23 (2348/23). Thematik: Auch die Auslagenerstattung nach Einstellung wegen eines Verfahrenshidnernisses. Ich habe diese Entscheidung bewusst nicht heute morgen mit den anderen – positiven – Entscheidungen vorgestellt, da ich mit dem Urteil erhebliche Probleme habe, wie leider häufig mit Entscheidungen von dem Gericht.

Das AG hat in dem Urteil das Bußgeldverfahren eingestellt, weil Verjährung eingetreten war. Gegen den Betroffenen waren wegen desselben Vorwurfs insgesamt zwei Bußgeldbescheide: ergangen: Einmal mit Datum vom 24.01.2023, wobei in diesem Bußgeldbescheid ein falscher Nachname des Betroffenen angegeben war. Dieser Bußgeldbescheid konnte daher dem Betroffenen nicht wirksam zugestellt werden. Dem Verteidiger des Betroffenen wurde dieser Bußgeldbescheid mit Verfügung vom 24.01.2023 formlos übersandt.

Nachdem die Behörde den richtigen Nachnamen des Betroffenen ermittelt hatte, erging nunmehr der Bußgeldbescheid vom 27.01.2023, wobei mit diesem Bußgeldbescheid der alte weder aufgehoben noch zurückgenommen wurde.

Das AG geht davon aus, dass dieser zweite Bußgeldbescheid wegen Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz „ne bis in idem „(Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz)  nichtig war. Der zuerst ergangene Bußgeldbescheid wäre aber trotz falscher Namensangabe grundsätzlich wirksam, jedoch konnte diese dem Betroffenen nicht zugestellt werden, so dass Verfolgungsverjährung eingetreten war.

Also Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO, 46 OWiG. Zur Kostenentscheidung führt das AG dann aus:

„Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 OWiG, 467 StPO, wobei es gerechtfertigt erschien, die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht der Staatskasse aufzuerlegen. Der Betroffene wurde mit Anhör- Schreiben vom 17.11.2022 (Blatt 5 d.A.) zu der Sache angehört, wenn auch mit Angabe des falschen Nachnamens. Hierauf hin beauftragte er offensichtlich seinen Verteidiger, der sich mit Schreiben vom 24.11.2022 (7 d.A.) als Verteidiger des Betroffenen bestellte und vorsorglich Einspruch einlegte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Betroffene somit Kenntnis von dem Vorwurf und dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren; ferner war für ihn ersichtlich, dass ein falscher Nachname angegeben war. Der zuerst erlassene Bußgeldbescheid konnte zwar dem Betroffenen wegen Angabe falschen Nachnamens nicht zugestellt werden, dieser wurde jedoch dem Verteidiger übersandt, sodass der Betroffene frühzeitig darüber informiert war, dass die Behörde fälschlicherweise (Gründe dafür sind aus der Akte nicht ersichtlich) einen falschen Nachnamen angegeben hatte, wobei die übrigen Angaben ausreichend sind und waren, den Betroffenen als solchen zu identifizieren, somit keine Verwechslungsgefahr bestand. Der 2. Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen dann förmlich zugestellt, worauf hin vom Verteidiger Einspruch eingelegt wurde.

Eine Verurteilung des Betroffenen wegen des vorgeworfenen Verstoßes (Verkehrsordnungswidrigkeit) wäre nach Aktenlage und der vorhandenen Beweismittel wahrscheinlich gewesen.“

M.E. falsch. Man möchte schreien wenn man es liest, so falsch ist die Entscheidung. Denn es handelt sich im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG (vgl. u.a. BVerfG, Beschl. v.  26.05.2017 – 2 BvR 1821/16) sicherlich nicht um ein  vorwerfbar prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen, wenn er auf einen solchen Umstand nicht hinweist. Der nemo-tenetur-Grundsatz gilt auch im Bußgeldverfahren. Das bedeutet, dass der Betroffene auf solche Umstände, die ggf. zu seiner Verurteilung beitragen würden, nicht hinweisen muss. Das scheint sich noch nicht überall im Saarland herum gesprochen zu haben.

Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens, oder: Verfahrenshindernis der Verjährung

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Heute stelle ich dann ein paar Entscheidungen vor, die sich mit der Frage der Kosten- und Auslagenentscheidung nach Einstellung des Verfahrens, also §§ 467, 467a StPO, befassen.

Zunächst etwas aus Karlsruhe. Das AG Karlsruhe hatte eine Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt – der Bußgeldbescheid war nicht fristgemäß zugestellt – eingestellt. In der Kosten- und Auslagenentscheidung hieß es dann kurz und zackig nur: „Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO. Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendi­gen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Das sieht das LG Karlsruhe dann im LG Karlsruhe, Beschl. v. 31.01.2024 – 4 Qs 46/23 – anders:

2. Die Kostenentscheidung des Amtsgerichts Karlsruhe vom 25.08.2023 war auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen insoweit aufzuheben, als darin angeordnet wurde, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen im Bußgeldverfahren selbst zu tragen hat. Diese waren der Staatskasse aufzuerlegen.

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen grundsätzlich die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last, soweit das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Über § 46 Abs. 1 OWiG gilt diese Vorschrift sinngemäß auch für das Bußgeldverfahren. Gemäß §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG kann das Gericht jedoch davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

Ein Fall der §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG ist indes in vorliegender Sache im Ergebnis nicht gegeben:

Soweit in dem Beschluss des Amtsgerichts zur Begründung auf die „Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls“ abgestellt wird, bleibt schon unklar, ob damit ein Tatverdacht gegen die Betroffene in einem für eine Anwendbarkeit des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO erforderlichen Maß begründet werden sollte. In Rechtsprechung und Literatur gehen hin-sichtlich der insoweit zu fordernden Tatverdachtsstufe die Ansichten auseinander: § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO verlangt, dass der Angeschuldigte wegen einer Straftat „nur deshalb nicht verurteilt wird“ weil ein Verfahrenshindernis besteht. Teilweise wird insoweit verlangt, dass bei Hinweg-denken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein müsse (vgl. etwa KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 467, Rn. 10a). Dies erscheint vorliegend mangels einer Beweisaufnahme zum Tatvorwurf in der Sache zumindest zweifelhaft. Nach anderer Ansicht und wohl herrschender Rechtsprechung genügt eine niedrigere Tatverdachtsstufe und insbesondere ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht (vgl. etwa OLG Bamberg, Beschluss vorn 20.07.2010, Az.: 1 Ws 218/10). Letztlich kann die Frage der Verdachtsstufe aber vorliegend offen bleiben.

Die Möglichkeit, nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen. besteht nämlich nur dann, wenn zusätzlich zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es als billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.2017, BvR 1821/16, NJW 2017, 2459). Die erforderlichen besonderen Umstände dürfen dabei aber gerade nicht in der voraussichtlichen Verurteilung und der zu Grunde liegenden Tat gefunden werden, denn das ist bereits Tatbestandsvoraussetzung für die Ermessensentscheidung des Gerichts (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 20.07.2010, 1 Ws 218/10) Grundlage für ein Absehen von der Erstattung notwendiger Auslagen muss vielmehr ein hinzutretendes vorwerfbar prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen sein. Bei einem in der Sphäre der Verwaltungsbehörde oder des Gerichtes eingetretenen Verfahrenshindernis hingegen, wird es regelmäßig der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzubürden (vgl. BVerfG. a.a.O., KK-StPO/Gieg, a.a.O., Rn 10b; LG Ulm, Beschluss vorn 06.11.2020 — 2 Qs 46/20, BeckRS 2020, 32961).

Im vorliegenden Fall liegt ein prozessuales Fehlverhalten der Betroffenen nicht vor. Der Grund für den Eintritt des Verfahrenshindernisses der Verjährung liegt vielmehr darin, dass eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheids (unter der ausweislich der Meldeauskunft vorn 02.11.2021 seit dem 13.10,2021 maßgeblichen Adresse „26 Rue pp. in pp. /Frankreich“) nicht erfolgt ist.

Vor diesem Hintergrund erscheint es im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung nach §§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO. 46 OWiG unbillig, die Betroffene entgegen der gesetzlichen Regel nach §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 OWiG mit ihren notwendigen Auslagen zu belasten.“

Und in die gleiche richtige Richtung geht der AG Limburg, Beschl. v. 19.03.2024 – 3 OWi 110/24.

Neues zur Fahrerlaubnisentziehung nach StVG, oder: Drogen-/Trunkenheitsfahrt, Fahrrad, Psychose, FABS

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ Verkehsrverwaltungsrecht.

Ich beginne mit einer (kleinen) Übersicht zur Entziehung der Faahrerlaubnis nach dem StVG, allerdings nur die Leitsätze, sonst wird es zu viel. Ich weise dann hin auf:

Fragt eine Fahrerlaubnisbehörde nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad in einer Begutachtungsanordnung separat nach der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, ist die Frage nach der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zulässig, wenn die Fragen thematisch klar voneinander abgegrenzt sind, sich nicht überschneiden und nicht aufeinander aufbauen. Sie wird dann nicht von der Rechtswidrigkeit der Frage nach der Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge infiziert.

1. Einem Fahrerlaubnisinhaber, der ein Fahrrad im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat, kann aufgegeben werden, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV).

2. Aus der Weigerung oder Nichtbeibringung kann auf Nichteignung geschlossen werden.

3. Von einer Trunkenheitsfahrt kann auch unabhängig von einer strafrechtlichen Ahndung insbesondere aufgrund eines polizeilichen Sachberichts und der Blut- und Atemalkoholtests ausgegangen werden kann. Die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 153a StPO bringt nicht zum Ausdruck bringt, dass der Tatverdacht gegen den Fahrerlaubnisinhaber damit ausgeräumt wäre.

1. Die Fahrerlaubnisbehörde darf auf die Nichteignung des Betroffenen schließen darf, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt.

2. Eine Weigerung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Betroffene die Untersuchung teilweise verweigert oder unmöglich macht, indem er etwa unzureichend mitwirkt.

3. Das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ist nicht nachvollziehbar, wenn der Gutachter die Frage nach vergangenem oder aktuellem Drogenkonsum beantwortet hat, ohne zu werten, dass der Antragsteller keine Angaben zu dem zur Begutachtung Anlass gebenden Vorfall gemacht hat. Insofern ist dann ein neues Gutachten erforderlich.

Der Wirksamkeit einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem steht nicht entgegen, wenn dem Fahrerlaubnisinhaber unvollständig vor Erlass des Bescheids Akteneinsicht gewährt worden ist. Das führt nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts.

1. Bereits der einmalige Konsum harter Drogen (hier: Amphetamin) rechtfertigt die Entziehung der Fahrerlaubnis.

2. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer Anfechtung der Entziehung der Fahrerlaubnis kommt es auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung an. Nach Bescheiderlass eingetretene Änderungen der Sachlage können weder im anhängigen Klageverfahren noch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern allenfalls in einem behördlichen Verfahren zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis berücksichtigt werden.  

Eine akute polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie kann bei fraglicher Drogenabstinenz auch mehr als zwei Jahre nach ihrem nachweislichen Auftreten berechtigte Zweifel an der Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen.

 

 

Auslagen nach Einstellung wegen Tod des Angeklagten, oder: Ermessenentscheidung hat Ausnahmecharakter

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Die zweite Entscheidung kommt dann heute auch vom BGH. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 03.05.2023 – 6 StR 42/23. Er nimmt Stellung zur Kosten- und Auslagenentscheidung nach Einstellung des Verfahrens nach dem Tod des Angeklagten.

Das LG hat den Angeklagten am 28.06.2022 wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen hat sich der Angeklagte mit der Revision gewandt. Das Verfahren ist am 13.02.2023 beim BGH eingegangen. Am 11.04.2023 ist der Angeklagte verstorben. Der BGH hat das Verfahren eingestellt und ausgesprochen, dass das angefochtene Urteil damit gegenstandslos ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 6 StR 164/20; vom 12.05.2020 – 5 StR 13/20; vom 08.061999 – 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108).

Zur Kostenentscheidung führt er aus:

„1. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last (§ 467 Abs. 1 StPO). Der Senat sieht jedoch nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon ab, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Im Revisionsverfahren ist dafür maßgeblich, ob das Rechtsmittel des Angeklagten – ohne das Verfahrenshindernis – erfolglos geblieben wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18; vom 24. Mai 2018 – 4 StR 51/17, NStZ-RR 2018, 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 467 Rn. 16a). Dies ist hier der Fall, weil der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18; vom 19. September 2019 – 3 StR 352/19; vom 13. Februar 2014 – 1 StR 631/13, NStZ-RR 2014, 160).

a) Der Angeklagte, der vom 20. Januar 1942 bis zum 18. Februar 1945 als Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen eingesetzt war, wird nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt, weil mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen zur rechtlichen Bewertung der durch das nationalsozialistische Deutschland in Konzentrationslagern begangenen Mordtaten unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 mwN) hätte zumindest die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 1 StGB) revisionsgerichtlicher Überprüfung standgehalten. Das gilt jedenfalls hinsichtlich der dem Angeklagten insoweit vom Landgericht zugerechneten Tötung von mindestens 300 sowjetischen Kriegsgefangenen im Rahmen der von Juli bis September 1942 durchgeführten „Aktion 14 f 14“ und der Tötung von mindestens 2.600 Lagerinsassen bei der „Aktion Alarmstufe Scharnhorst“ in der ersten Februarhälfte des Jahres 1945 unmittelbar vor der Räumung des Konzentrationslagers.

b) Abweichend von § 467 1 StPO eröffnet § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Möglichkeit, nach billigem Ermessen von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen. Bei der Entscheidung ist dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. Mai 2017 – 2 BvR 1821/16, NJW 2017, 2459; vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 388/13, NStZ-RR 2016, 159). Besondere Bedeutung hat dabei der Umstand, ob das Verfahrenshindernis bereits vor Anklage bestand oder erst – wie hier – im Laufe des Verfahrens eingetreten ist (vgl. BVerfG aaO; KG, StV 1991, 479; KK-StPO/Gieg, 9. Aufl., § 467 Rn. 10b). Während in der erstgenannten Konstellation eine Freistellung der Staatskasse in aller Regel ausscheidet, kommt dies anderenfalls etwa dann in Betracht, wenn der Angeklagte das Verfahrenshindernis selbst vorwerfbar herbeigeführt oder aber verschwiegen hat (vgl. MüKo-StPO/Grommes, § 467 Rn. 24; KK-StPO/Gieg, aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 18). Jedoch ist der Anwendungsbereich der Norm nicht darauf beschränkt. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrem weiter gefassten Wortlaut, sondern auch aus ihrer Entstehungsgeschichte. Die Nummer 2 des § 467 Abs. 3 Satz 2 StPO ist erst auf Betreiben des Bundesrats nach Einigung im Vermittlungsausschuss eingefügt worden (vgl. dazu ausführlich LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 467 Entstehungsgeschichte und Rn. 50). Dabei war insbesondere auf NS-Gewaltverbrechen hingewiesen worden (vgl. MüKo-StPO/Grommes, aaO Rn. 19). In den Gesetzesmaterialien wird betont, dass es unbillig sei, wenn vor allem in derartigen Fällen „der Staat einem Verbrecher, der nur aus rein formellen Gründen nicht verurteilt werden kann, auch noch die Anwälte bezahlt“ (vgl. BT-Plenarprotokoll 05/173 S. 9250).

So verhält es sich hier. Das Rechtsmittel des Angeklagten wäre – allenfalls mit Ausnahme einer geringfügigen Korrektur des Schuldspruchs im Hinblick auf das tateinheitlich abgeurteilte Delikt – erfolglos geblieben. Diese Feststellung ist dem Senat im Revisionsverfahren, zumal nach Ablauf sämtlicher Stellungnahmefristen, ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK möglich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 16a; MüKo-StPO/Grommes, aaO Rn. 20). Gerade mit Blick auf das Tatbild würde es auf Unverständnis stoßen, den Angeklagten von seinen notwendigen Auslagen freizustellen. Angesichts dieses Ergebnisses erübrigt sich die sonst gebotene kritische Auseinandersetzung mit den rechtlichen Ausführungen im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 1969 – 2 StR 280/67 (NJW 1969, 2056).

3. Die Nebenkläger tragen ihre notwendigen Auslagen selbst. Dies folgt aus § 472 Abs. 1 und 2 StPO, der die Überbürdung der Kosten auf den Angeklagten nur bei seiner Verurteilung oder einer Einstellung nach den §§ 153 ff. StPO erlaubt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. September 2019 – 5 StR 461/19; vom 23. August 2012 – 4 StR 252/12, NStZ-RR 2012, 359).“