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Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogenkonsum, oder: Behauptung der unbewussten Einnahme

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Es ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. In dem köchelt heute eine Entscheidung aus dem Verkehrsverwaltungsrecht und eine aus dem Zivilrecht.

Ich beginne mit der verwaltungsrechtlichen Entscheidung, dem BayVGH, Beschl. v. 28.02. 2024 – 11 CS 23.1387 – zur Entziehung der Fahrerlaubnis und der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeugewegen Konsums harter Drogen, hier war es Amphetamin, und – noch einmal zur Behauptung der unbewussten Einnahme der Droge.

Folgender – gekürzter – Sachverhalt: Der Antragsteller wendet sich u.a. gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis. Durch polizeiliche Mitteilung vom 29.12.2022 war der Fahrerlaubnisbehörde bekannt geworden, dass der Antragsteller am 05.12.2022 um 11:40 Uhr einen E-Scooter unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln geführt hatte. Die Polizeibeamten stellten bei ihm drogentypische Auffälligkeiten, wie stark geweitete Pupillen, fest. Der Antragsteller verweigerte die angebotenen freiwilligen Drogentests und machte keine Angaben. Die chemisch-toxikologische Untersuchung der um 12:22 Uhr entnommenen Blutprobe ergab eine Amphetaminkonzentration von 28 ng/ml sowie eine Konzentration von THC-Carbonsäure von 0,8 ng/ml.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten mitteilen, das Ergebnis der Blutanalyse sei nur dadurch erklärlich, dass er auf einem Geburtstag am 03.12.2022, bei welchem er gegen 18:00 Uhr mit seiner Ehefrau eingetroffen sei, unbewusst die Substanz zu sich genommen habe. Er leide an ständigen Schmerzen wegen Hüftbeschwerden und nehme Medikamente und Schmerzmittel ein. Auch an diesem Tag habe er unter Schmerzen gelitten, weshalb er sich gegen 21:00 Uhr sehr müde gefühlt und begonnen habe, sich zu verabschieden. Er habe bis dahin zwei Bier konsumiert. Im weiteren Verlauf habe sich seine Müdigkeit verbessert und er habe sich wieder fitter gefühlt, nachdem er aus einem zur Verfügung gestellten Maßkrug getrunken habe, in welchem sich die Mischung einer „Laternenmaß“ befunden habe. Er sei dann noch auf der Feier geblieben. Durch die zwei Tage später durchgeführte Blutanalyse sehe er sich in seiner Vermutung bestätigt, dass in dem Getränk eine Substanz gewesen sein müsse. Dies etwaig aufgrund der Tatsache, dass eine andere Person im Laufe der Zeit, innerhalb derer die „Laternenmaß“ zur Verfügung gestanden habe, in diese zum Eigenkonsum etwas hineingemischt und dann unbeabsichtigt der Antragsteller ohne Kenntnis hiervon getrunken habe. Der Antragsteller sei beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen.

Die Fahrerlaubnisbehörde hat die Fahrerlaubnis entzogen. Zudem untersagte sie das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge (z.B. Mofa, Fahrrad, Elektrokleinstfahrzeuge) und ordnete den Sofortvollzug dieser Verfügungen an. Darum wird gestritten. Der Antragsteller hatte keinen Erfolg:

Zur „Einlassung“ unbewusster Konsum heißt es:

„Die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt dabei grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Daher muss, wer sich darauf beruft, einen detaillierten, in sich schlüssigen und glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der insoweit der Nachprüfung zugänglich ist. Auch hat der Senat derartige Behauptungen nur dann für beachtlich gehalten, wenn überzeugend aufgezeigt werden konnte, dass dem Auffinden von Betäubungsmitteln im Körper eines Fahrerlaubnisinhabers Kontakt mit Personen vorausgegangen ist, die zumindest möglicherweise einen Beweggrund hatten, dem Betroffenen ein drogenhaltiges Getränk bzw. Nahrungsmittel zugänglich zu machen; ferner, dass dieser selbst die Aufnahme des Betäubungsmittels und deren Wirkung tatsächlich nicht bemerkt hat (vgl. (stRspr, BayVGH, B. v. 7.3.2023 – 11 CS 22.2608 – juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch SächsOVG, B. v. 19.1.2024 – 6 B 70/23 – juris Rn. 13; OVG LSA, B. v. 26.10.2022 – 3 M 88/22 – Blutalkohol 60, 168 = juris Rn. 6; OVG Saarland, B. v. 2.9.2021 – 1 B 196/21 – juris Rn. 47; OVG NW, B. v. 18.9.2020 – 16 B 655/20 – juris Rn. 4 ff.; VGH BW, U. v. 27.7.2016 – 10 S 1880/15ZfSch 2017,60 Rn. OVG Bremen, B. v. 12.2.2016 – 1 LA 261/15 – juris Rn. 6; OVG Berlin-Bbg, B. v. 9.2.2015 – 1 M 67.14 – VerkMitt 2015, Nr. 38 = juris Rn. 4).

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Antragsteller mit seiner Einlassung nicht der ihn treffenden Darlegungslast für die in seine Sphäre fallenden Gegebenheiten genügt hat. Dabei kann dahinstehen, ob schon unwahrscheinlich und damit wenig glaubhaft ist, dass er nach dem Konsum etwa einer halben, mit Amphetamin versetzten Laternenmaß am 3. Dezember 2022 noch rund 39 Stunden nach der Aufnahme des Stoffs eine Amphetaminkonzentration von 28 ng/ml im Blut hatte, die über dem von der Grenzwertkommission zur Feststellung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a StVG empfohlenen Grenzwert von 25 ng/ml lag, ab dem das Merkmal der Wirkung ohne weiteres angenommen werden kann (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 24a StVG Rn. 21a, 21b), aber als Drogenunerfahrener von dem Konsum nur so viel bemerkt haben will, dass seine Müdigkeit verflogen war bzw. er sich fitter fühlte und auf der Feier bleiben konnte. Auch wenn es eine „wissenschaftliche Darlegung“ für den Einzelfall nicht geben kann, weil dies eine aktuelle individuelle rechtsmedizinische Begutachtung erfordern würde, gibt es durchaus wissenschaftliche Studien zur Nachweisbarkeit von Amphetaminen und deren Wirkungen, auch solche, in denen das Betäubungsmittel Versuchspersonen verabreicht worden ist (vgl. die Nachweise bei Skopp/Daldrup, Blutalkohol 49, S. 187 ff.). Deren Verlässlichkeit bestreitet der Antragsteller nur pauschal und unsubstantiiert. Der Nachweis von Amphetaminen im Blut ist nach verschiedenen Angaben nicht länger als 24 bis 48 Stunden möglich, wobei die Mehrzahl der Quellen von Nachweiszeiten von 12, 24 oder bis zu 30 Stunden ausgehen (Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl. 2024, § 3 StVG Rn. 26; Skopp/Daldrup, a.a.O. S. 192; BZgA, https://www.drugcom.de/haeufig-gestellte-fragen/allgemeine-fragen/wie-lange-koennen-drogen-im-koerper-nach-gewiesen-werden/; https:// www.aerztliches-gutachten.info/nachweis-zeiten-von-drogen-im-blut/; https://www. praxis-suchtmedizin.ch/index.php/de/designerdrogen/allgemeine-infos/nachweisbarkeit; Sigrid/Germann/Eisenhart, Rechtsmedizin, 2010, https://www.kssg.ch/system/files/media_document/201708/ Skript_ReMed_Teil2_ 2010.pdf, S. 29). Da die Maximalkonzentrationen proportional zur verabreichten Dosis sind (Skopp/Daldrup, a.a.O., S. 191), müsste der Antragsteller auf der Feier eine recht erhebliche Menge an Amphetamin zu sich genommen haben, um eine Blutkonzentration zu erreichen, die nach 39 Stunden noch nicht unter den analytischen Grenzwert gefallen ist. Die bei oraler Einnahme nach 30 bis 45 Minuten eintretenden Wirkungen werden (nach einer mittleren Dosis oral von 10 – 20 mg bei Nichtgewöhnten) als ein starker Rausch bzw. eine starke Euphorie oder starke Stimulation des zentralen Nervensystems beschrieben, die sich u.a. in Euphorie, Antriebssteigerung, Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz sowie Beschleunigung von Puls und Atmung ausdrücken (vgl. Skopp/Daldrup, a.a.O., S. 190; Madea/Mußhoff/Tag, Kurzlehrbuch Rechtsmedizin, 2012, S. 272; Beitrag „Amphetamin“ auf der von der BZgA betriebenen Seite www.drugcom.de; BayVGH, B. v. 7.3.2023 – 11 CS 22.2608 – juris Rn. 26 m.w.N.). Es entwickelt sich rasch eine Toleranz, die zur permanenten Steigerung der Dosis zwingt, um die gewünschte Wirkung zu entfalten (Skopp/Daldrup, a.a.O., S. 190; Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen [DHS], Synthetische Drogen, Basisinformationen, S. 5). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass ein nicht an die Substanz gewöhnter, drogenunerfahrener Konsument bei einer derartigen Blutkonzentration starke (Intoxikations-)Symptome hätte verspüren müssen, beruht daher durchaus auf wissenschaftlichen Ergebnissen.

Sie ist hier allerdings wie die übrigen Plausibilitätserwägungen des Gerichts, wie auch die Vermutung des Antragstellers, dass sich auch Stoffe in dem Getränk befunden haben könnten, die erst in seinem Körper zu Amphetamin verstoffwechselt worden sein könnten, ebenso wie der nicht sehr überzeugende Beweggrund für die heimliche Verabreichung des Amphetamins nicht entscheidungserheblich, weil der Antragsteller den ihm bekannten Sachverhalt nicht detailliert offenbart und insbesondere keine nachprüfbaren Umstände genannt hat, obwohl er angeblich die Person ermittelt hat, die ihm ein mit Amphetamin versetztes Getränk angeboten hat. Auch die Personen, die dieses Getränk mit ihm geteilt haben, und potentielle weitere Zeugen unter den etwa 20 Gästen auf der Feier hat er nicht benannt. In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, inwieweit sich die von der Antragsgegnerin verlangte (verwaltungsrechtliche) Zusage überhaupt im Rahmen von deren Zuständigkeit und des geltenden Rechts gehalten hätte und damit hätte bindend abgegeben werden können (vgl. z.B. BVerwG, U. v. 17.10.1975 – IV C 66.72BVerwGE 49, 244 = juris Rn. 35 f.; U. v. 14.11.1975 – IV C 84.73BVerwGE 49, 359 = juris Rn. 23 zum öff.-rechtl. Vertrag; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 38 Rn. 44 ff., 62 ff., 85 ff.; Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 38 Rn. 26, 42). Jedenfalls genügt die bloße Bekundung der Bereitschaft, den maßgeblichen Zeugen, d.h. die Person, die das Getränk mit Amphetamin versetzt und ihm – ohne dies zu offenbaren – zum Trinken gegeben hat, unter bestimmten, von der Behörde zu erfüllenden Bedingungen zu benennen, nicht den Anforderungen der Darlegungslast; zumal wenn dies mit der – mit Blick auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG), das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und den aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben problematischen – Forderung nach einer Selbstverpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde verbunden ist, gegenüber dem Zeugen auf die Wahrnehmung ihrer Aufgaben und die Ausübung ihrer Befugnisse sowie letztlich auf die kritische Nachprüfung des vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalts zu verzichten.“

StGB I: Strafzumessung, oder: Ist Amphetamin eine sog. harte Droge?

entnommen wikimedia.org
Author Orlan

Die erste Entscheidung heute kommt dann zum allgemeinen Teil, nämlich zur Strafzumessung (§ 46 StGB). Es geht im BGH, Beschl. v. 14.08.2018 – 1 StR 323/18 – um eine Veurteilung wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln, nämlich Amphetamin. Das LG ist im Rahmen der Strafzumessung davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine sog. „harte Droge“ handelt. Das beanstandet der BGH:

„1. Der Strafausspruch hält in den Fällen B.II. und B.III. der Urteilsgründe rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat in den Fällen B.II. und B.III. der Urteilsgründe jeweils minder schwere Fälle angenommen und die verhängten Einzelstrafen jeweils dem Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG entnommen. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat die Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten in die Abwägung eingestellt, dass es sich bei diesen Taten um die „harte Droge“ Amphetamin gehandelt habe (UA S. 28).

Die Zumessungserwägung, dass es sich bei Amphetamin um eine harte Droge handelt, begegnet durchgreifenden Bedenken. Sie ist auch nicht näher begründet. Der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit kommt im Rahmen der Strafzumessung grundsätzlich eine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2016 – 1 StR 72/16, NStZ-RR 2016, 313, 314 mwN; vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, juris Rn. 5, NStZ-RR 2018, 185 und vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17, juris Rn. 13, NStZ-RR 2017, 310). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht ein für die Strafzumessung maßgebliches Stufenverhältnis von so genannten harten Drogen wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu so genannten weichen Drogen wie Cannabis (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2016 – 1 StR 72/16, NStZ-RR 2016, 313, 314 mwN und vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, juris Rn. 5, NStZ-RR 2018, 185). Daran gemessen ist es verfehlt, dem Umstand, dass es sich bei Amphetamin um eine harte Droge handelt, strafschärfendes Gewicht beizumessen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2016 – 1 StR 72/16, NStZ-RR 2016, 313, 314 und vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17, juris Rn. 13, NStZ-RR 2017, 310).“

Für die Verteidigung in entsprechenden Fällen ganz interessant, oder?