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Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG I, oder: Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad/Pedelec

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Vergebens hat ein Betroffener in einem jetzt vom BayVGH entschiedenen Fall gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage von § 3 StVG gekämpft. Das Landratsamt hatte die Entziehung damit begründet, dass der Betroffene mit seinem Pedelec gestürzt und dabei erheblich verletzt worden sei. Es sei eine BAK von 2,08 ‰ festgestellt worden. Der Betroffene hatte sich damit verteidigt, das Fahrrad nur geschoben zu haben.

Das hat ihm nicht geholfen. Der BayVGH hat im BayVGH, Beschl. v. 07.09.2023 – 11 CS 23.1298 – den VG-Beschluss betreffend die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bestätigt:

„Gemessen daran begegnen die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere durfte das Landratsamt davon ausgehen, dass der Antragsteller das Fahrrad (Pedelec) am 26. Mai 2022 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,08 ‰ nicht nur geschoben hat, sondern dass er damit gefahren ist und es somit geführt hat.

a) Der Begriff des „Führens“ eines Fahrzeugs im Sinne von 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV deckt sich mit dem des § 316 StGB und § 24a StVG (Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 13 FeV Rn. 23d). Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt es (BayVGH, B. v.. 17.11.2014 – 11 ZB 14.1755NJW 2015, 1626 Ls. und Rn. 16 ff.). Die Länge der gefahrenen Strecke ist unerheblich (vgl. BayVGH, B. v.. 15.3.2021 – 11 CS 20.2867 – DAR 2021, 647 Rn. 15; B. v.. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 27). Das Schieben eines Fahrrads erfüllt hingegen nicht den Begriff des „Führens“.

Es muss mit hinreichender Gewissheit feststehen, dass der Betroffene das Fahrzeug geführt hat (vgl. BVerwG, U. v.. 7.4.2022 – 3 C 9.21BVerwGE 175, 206 Rn. 38 für wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss als Voraussetzung für eine Beibringungsanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV). Allerdings ist hierfür eine Ahndung als Straftat nach § 316 StGB nicht zwingend. Vielmehr ist die Fahrerlaubnisbehörde – soweit sie keinen Beschränkungen nach dem Abweichungsverbot des § 3 Abs. 4 StVG unterliegt – befugt, die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV eigenständig und unabhängig davon zu beurteilen, ob die Tat geahndet wurde oder nicht. Wesentlich für die Auslegung der in § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass es bei § 13 FeV noch nicht unmittelbar um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht, sondern um die dieser Entscheidung vorgelagerte Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens dient der Vorbereitung der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen. Gleiches gilt gemäß § 46 Abs. 3 FeV im Vorfeld der Entscheidung über eine Entziehung oder Beschränkung der Fahrerlaubnis. Damit steht § 13 FeV in einem anderen systematischen Kontext als die Vorschriften in § 4 StVG zum Fahreignungs-Bewertungssystem, die gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG für Maßnahmen eine rechtskräftige Ahndung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit voraussetzen. Eine solche Anknüpfung an die rechtskräftige Ahndung enthält § 13 FeV aber gerade nicht. Das bedeutet allerdings mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip und die mit einer medizinisch-psychologischen Begutachtung für den Betroffenen verbundenen Belastungen nicht, dass bereits ein vager Verdacht die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt. Vielmehr müssen die von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogenen Umstände in den Verfahrensakten hinreichend dokumentiert sein (vgl. BVerwG, U. v.. 7.4.2022 a.a.O. Rn. 30-39).

b) Hiervon ausgehend hat das Landratsamt zu Recht angenommen, dass der Antragsteller mit dem Pedelec gefahren und dabei gestürzt ist. Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass es keine ihn belastenden Aussagen von Zeugen gibt, die ihn fahrend gesehen hätten. Jedoch sprechen nach Aktenlage die überwiegenden und hinreichend dokumentierten Umstände für eine Trunkenheitsfahrt.

Dem Polizeiprotokoll, mit dem die Polizeiinspektion Bad Kissingen das Landratsamt gemäß § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG über das Unfallgeschehen am 26. Mai 2022 informiert hat und auf das sich das Landratsamt ebenso wie das Verwaltungsgericht stützen konnte (vgl. BayVGH, B. v.. 15.3.2021 a.a.O. Rn. 18), ist zu entnehmen, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers bei ihrer ersten Befragung spontan geäußert hat, der Antragsteller sei „beim Fahren falsch abgebogen bzw. habe den Graben übersehen“. Der befragte Rettungssanitäter bestätigte, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers ihm gegenüber zuvor ebenfalls geäußert habe, der Antragsteller sei falsch abgebogen. Diesen spontanen Äußerungen kommt trotz der Alkoholisierung der Lebensgefährtin des Antragstellers erhebliches Gewicht zu. Erst zu einem späteren Zeitpunkt hat sie ihre Aussage dahingehend relativiert, sie habe nicht sehen können und wisse daher nicht, was der Antragsteller gemacht habe. Damit hat sie jedenfalls auch nicht dessen Einlassung bestätigt, das Fahrrad nur geschoben zu haben.

Das Verhalten des Antragstellers im Strafverfahren spricht ebenfalls dafür, dass er mit dem Fahrrad gefahren ist. Nach seinem Einspruch gegen den zunächst erlassenen Strafbefehl vom 13. September 2022 wegen einer Trunkenheitsfahrt hat das Amtsgericht Bad Kissingen das Verfahren mit Beschluss vom 18. November 2022 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Voraussetzung hierfür ist zum einen die Zustimmung des Antragstellers als Angeschuldigter und zum anderen muss die Schuld des Täters als gering anzusehen sein, was nur der Fall ist, wenn ein Tatnachweis möglich ist. Dies hat das Amtsgericht dadurch zum Ausdruck gebracht, dass es in den Gründen ausgeführt hat, der Antragsteller sei hinreichend verdächtig, ein Vergehen nach § 316 StGB begangen zu haben. Ansonsten hätte es das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellen bzw. den Antragsteller freisprechen müssen. Ein Schuldspruch setzt den entsprechenden Tatnachweis voraus; verbleiben Zweifel, gilt ‚in dubio pro reo‘. Das Amtsgericht Bad Kissingen hat den Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 9. November 2022 darauf hingewiesen, dass eine Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Antragstellers möglich ist und dass dieser dann die notwendigen eigenen Auslagen selbst trägt. Wäre der Antragsteller der Auffassung gewesen, der Tatnachweis könne nicht geführt werden, hätte er seine Zustimmung verweigern können, um im Strafverfahren einen Freispruch zu erreichen. Die Darstellung seines Bevollmächtigten, die Vorgehensweise des Amtsgerichts Bad Kissingen sei das „übliche Vorgehen“ der Gerichte als „Flucht“ zur Vermeidung von Rechtsanwaltsgebühren, überzeugt daher nicht.

Dass das Fahrrad keine Beschädigungen aufweist, spricht ebenfalls nicht für die Behauptung des Antragstellers, nicht gefahren zu sein. Wenn der Antragsteller beim Sturz mit seinem Kopf auf einen Stein im Grasgelände aufschlägt, muss das Fahrrad dabei nicht zwingend beschädigt werden. Dieser Umstand kann daher weder für noch gegen die Einlassung des Antragstellers angeführt werden. Gleiches gilt im Übrigen für die Schwere der Kopfverletzung des Antragstellers, der bei dem Unfall keinen Helm getragen hat…..“

Entziehung der FE wegen gesundheitlicher Probleme, oder: Ausreichender Anlass für Gutachtenanforderung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BayVGH, Beschl. v. 21.03.2023 – 11 CS 23.273. Es geht um die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Ergangen ist die Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Der 1957 geborene Antragsteller beantragte am 30.12.2021 unter Vorlage seines 1975 ausgestellten Führerscheins mit der damaligen Fahrerlaubnisklasse 3 bei der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin die Neuausstellung eines Kartenführerscheins. Da er einem Aktenvermerk zufolge bei der persönlichen Vorsprache „immer noch schlecht zu Fuß“ gewesen sei, forderte ihn die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.01.2022 zur Vorlage eines Berichts des ihn behandelnden Arztes zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, den Diagnosen, den eingenommenen Medikamenten und zur Frage auf, ob ausreichende Compliance bestehe.

Mit Schreiben vom 08.02.2022 übersandte der Antragsteller eine ärztliche Bescheinigung vom 01.02.2022 (wegen der Einzelheiten siehe den verlinkten Volltext). Mit Schreiben vom 25.03.2022 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens eines Arztes einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Aufgrund dieses Gutachtens wird dann mit Bescheid vom 05.102022 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis entzogen und der Antragsteller zur Abgabe des Führerscheins verpflichtet. Der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ist der Antragsteller nachgekommen.

Gegen den Bescheid dann die Klage und der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, der keinen Erfolg hatte. Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde dagegen hatte beim BayVGH keinen Erfolg:

„3. Soweit die Beschwerde im Übrigen (S. 3 der Beschwerdebegründung) dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Aus den vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch das zum 1. Mai 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl I S. 530), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bei Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung, insbesondere bei Hinweisen auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens anordnen.

b) Hier bestand aufgrund des ärztlichen Attests vom 1. Februar 2022 ausreichender Anlass, den Antragsteller zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens aufzufordern.

aa) Bei der Vorsprache des Antragstellers in der Führerscheinstelle zum Umtausch seines 1975 ausgestellten Führerscheins in einen Kartenführerschein war – wie in einem Aktenvermerk festgehalten – aufgefallen, dass der Antragsteller „nicht gut zu Fuß“ war. Auch eigene Beobachtungen und fahrerlaubnisrechtlich relevante Wahrnehmungen durch Personal der Führerscheinstelle können grundsätzlich Anlass sein, Zweifeln hinsichtlich der Fahreignung durch geeignete Maßnahmen nachzugehen. Bewegungsbehinderungen können nach Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV Beschränkungen und Auflagen rechtfertigen und damit Anlass für weitere Aufklärungsmaßnahmen sein. Insoweit hat die Antragsgegnerin, dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend, den Antragsteller noch nicht sogleich zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens, sondern zunächst zur Vorlage eines Berichts des ihn behandelnden Arztes aufgefordert (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 11 FeV Rn. 24b).

bb) Ob die Behörde aufgrund ihrer Beobachtungen berechtigt war, vom Antragsteller – wie mit Schreiben vom 17. Januar 2022 geschehen – einen umfassenden Arztbericht zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, zu den Diagnosen, zur Medikation und zur Compliance zu verlangen, ohne diesen auf Erkrankungen zu beschränken, für die konkrete Anhaltspunkte vorlagen, erscheint fraglich, kann hier aber dahinstehen. Anders als bei Auffälligkeiten, bei denen die Fahrerlaubnisbehörde keine Anhaltspunkte dafür hat, auf welche der in Anlage 4 zur FeV genannten Erkrankungen diese möglicherweise zurückzuführen sind, beschränkten sich die Beobachtungen hier nach Aktenlage zunächst auf Bewegungsbehinderungen. Weiteres ist jedenfalls dem handschriftlichen Aktenvermerk vom 30. Dezember 2021 nicht zu entnehmen. Gleichwohl führt dies nicht zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der durch die Vorlage des ärztlichen Befundberichts vom 1. Februar 2022 erlangten Kenntnisse. Vielmehr schafft dieses Attest mit den in der Anlage aufgeführten Diagnosen eine neue Tatsachengrundlage, die selbständige Bedeutung hat und unabhängig davon verwertbar ist, ob die ursprüngliche Anforderung rechtmäßig war (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2023 – 11 CS 22.2141 – juris Rn. 17; B.v. 14.9.2022 – 11 CS 22.876 – juris Rn. 14; B.v. 5.10.2020 – 11 CS 20.1203 – juris Rn. 20).

cc) Aufgrund dieser neuen Erkenntnislage war die Antragsgegnerin jedenfalls berechtigt, vom Antragsteller die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verlangen.

Die Beibringungsanordnung setzt nicht voraus, dass eine Erkrankung oder ein Mangel im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bereits feststeht (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2021 – 11 CS 21.1727 – juris Rn. 19 m.w.N.). Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Zwar darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001, a.a.O. Rn. 26). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Auffälligkeiten im Straßenverkehr sind hierfür nicht Voraussetzung.

Den Maßnahmen der Antragsgegnerin steht somit nicht entgegen, dass der Antragsteller, wie vorgetragen, seit über 47 Jahren unauffällig am Straßenverkehr teilnimmt. Die von ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung erwähnt zwar lediglich eine eingeschränkte Gehfähigkeit und bestätigt eine ausreichende Compliance. Sie nimmt aber Bezug auf in einer Anlage beigefügte Diagnosen, die etliche weitere Erkrankungen auflistet, die fahreignungsrelevant sind, darunter Herz- und Gefäßkrankheiten (Nr. 4 der Anlage 4 zur FeV), Nierenerkrankungen (Nr. 10 der Anlage 4 zur FeV) sowie ein obstruktives Schlafapnoesyndrom (Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV). Mit diesen ärztlich bestätigten Diagnosen bestand ausreichender Anlass, vom Antragsteller gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV eine weitere Abklärung durch Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Insbesondere erweist sich auch die Fragestellung in der Beibringungsanordnung vom 25. März 2022 als anlassbezogen und verhältnismäßig.

c) Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg einwenden, er sei seiner Mitwirkungsobliegenheit in vollem Umfang nachgekommen. ….“

Welche Folgen hat die E-Scooter-Drogenfahrt?, oder: Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge?

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Und dann am Samstag der Kessel Buntes mit zwei Entscheidungen des BayVGH. Zunächst hier der BayVGH, Beschl. v. 12.07.2023 – 11 CS 23.551 – zur Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach einer Drogenfahrt mit einem E-Scooter.

Folgender Sachverhalt der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Entscheidung:

Nach einer Trunkenheits- und Drogenfahrt mit einem Kfz wurde dem Antragsteller 2018 strafrechtlich die Fahrerlaubnis entzogen. Nach einer weiteren Trunkenheitsfahrt (AAK 0,25 mg/l) mit einem E-Scooter forderte die Verwaltungsbehörde den Antragsteller gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV auf, ein MPU-Gutachten zu seinem Trennvermögen hinsichtlich fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge beizubringen. Nachdem der Antragsteller kein Gutachten beigebracht hatte, wurde ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt und die sofortige Vollziehung des Beschieds angeordnet.

Der Antragsteller hat beim VG die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der zugleich erhobenen Klage beantragt. Das VG hat den Antrag als unbegründet abgelehnt. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat der VGH die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt.

Nach Auffassung des VGH verstößt § 3 FeV verstößt gegen die aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 bis 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) abgeleiteten Gebote der hinreichenden Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit rechtlicher Regelungen und ist daher keine Grundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Wegen der Einzelheiten bitte selbst lesen.

Die vom BayVGH entschiedene Frage ist in der Rechtsprechung der VG bisher nicht eindeutig geklärt. Dazu gibt es inzwischen ja auch schon das BayVGH, Urt. v. 17.04.2023 – 11 BV 22.1234 -, das die Ermächtigungsgrundlage zur Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen in § 3 FeV mit eingehender Begründung überzeugend als nicht hinreichend bestimmt angesehen, die Revision zum BVerwG aber zugelassen hat. So dann jetzt der BayVGH noch einmal.

Wir werden also etwas aus Leipzig hören.

Verbot des Fahrens mit dem Fahrrad nach der FeV?, oder: Gibt es eine Ermächtigungsgrundlage?

entnommen openclipart.org

Die Fahrerlaubnisbehörden können das Führen von Fahrzeugen nach der FeV verbieten, wenn sich jemand – insbesondere durch Fahrten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – als hierzu ungeeignet erweist. Umstritten ist dabei die Frage, unter welchen Voraussetzungen auch das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen untersagt werden kann. Der BayVGH hat dies im BayVGH, Urt. v. 17.04.2023 – 11 BV 22.1234 – jetzt dahingehend entschieden, dass das geltende Recht keine Grundlage für ein solches Verbot bietet.

Der als Grundlage für die Untersagung von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogene § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV ist nach Auffassung des BayVGH zu unbestimmt. Die Regelung lässt weder für sich allein noch im Zusammenhang mit anderen Vorschriften erkennen, wann eine Person zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ungeeignet sei und wie man dies feststellen müsse. Anders als für das Führen von fahrerlaubnispflichtigen (Kraft-)Fahrzeugen gebe es hierfür auch keine ausreichenden Hinweise aus dem Gesetzgebungsverfahren oder andere konkretisierende Regelwerke. Eine Übertragung der Maßstäbe für das Führen von Kraftfahrzeugen auf das Führen von Fahrrädern oder E-Scootern sei wegen des unterschiedlichen Gefahrenpotentials nicht möglich. Das Fehlen rechtlicher Maßstäbe könne zu unverhältnismäßigen Verboten führen

Der VGH hat die Revision zugelassen, da die Frage, ob § 3 FeV eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage darstellt, grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) habe. Wir werden dazu also im Zweifel etwas vom BVerwG hören. Daher verweise ich auch nur auf den verlinkten Volltext.

MPU-Anordnung für Neuerteilung der Fahrerlaubnis, oder: Verwertungsverbot nach dem StVG?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BayVGH, Urt. v. 18.01.2023 – 11 B 22.1153 – geht es um die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sowie um einen – behaupteten – Verstoß gegen das ordnungswidrigkeitsrechtliche Verwertungsverbot.

Folgender Sachverhalt:

„Der Kläger begehrt die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis ohne vorherige Beibringung eines Fahreignungsgutachtens.

Der Kläger war nach Aktenlage zuletzt Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S.

Am 22. Oktober 2009 verhängte das Amtsgericht München ein Bußgeld gegen den Kläger wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG, nachdem er am 3. Dezember 2008 unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte. Nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 20. Februar 2009, das in jenem Verfahren eingeholt wurde, waren in der zeitnah nach der Tat entnommenen Blutprobe 22 ng/ml THC und 170 ng/ml THC-Carbonsäure festgestellt worden. Diese Entscheidung des Amtsgerichts wurde zunächst in das Verkehrszentralregister eingetragen, ist aber mittlerweile gelöscht und aus dem Fahreignungsregister nicht ersichtlich.

Im Januar 2010 leitete die Beklagte ein Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung ein. Dabei ging sie mit Blick auf die festgestellte THC-Carbonsäure davon aus, dass der Kläger regelmäßiger Cannabiskonsument sei. Da dieser geltend machte, keine Drogen (mehr) zu konsumieren, gab die Beklagte ihm zunächst auf, im Rahmen eines Drogenkontrollprogramms einen Abstinenzzeitraum von einem Jahr nachzuweisen. Nachdem der Kläger entsprechende Bescheinigungen eingereicht hatte, forderte die Beklagte ihn unter Bezugnahme auf den Vorfall am 3. Dezember 2008 mit Schreiben vom 4. März 2011 auf, ein Gutachten über seine Fahreignung vorzulegen.

Nachdem der Kläger kein Gutachten vorlegte, entzog die Beklagte ihm mit Bescheid vom 1. August 2011, der mit Ablauf des 5. September 2011 bestandskräftig wurde, die Fahrerlaubnis. Die in der Blutprobe vom 3. Dezember 2008 festgestellte Konzentration an THC-Carbonsäure von 170 ng/ml belege, dass der Kläger zu jenem Zeitpunkt regelmäßig Cannabis eingenommen habe. Die Fahreignung könne daher nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Kläger eine einjährige Abstinenz nachweise, die auf einem tiefgreifenden und stabilen Einstellungswandel beruhe. Eine einjährige Abstinenz habe der Kläger belegt, die psychologische Untersuchung zum Nachweis eines tiefgreifenden und stabilen Einstellungswandels jedoch verweigert. Daher sei nach § 11 Abs. 8 FeV auf mangelnde Fahreignung zu schließen. Diese Entscheidung ist nach wie vor im Fahreignungsregister gespeichert.

Am 19. August 2019 beantragte der Kläger die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1 und A (jeweils versehen mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), B, BE, C1 und C1E. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 forderte die Beklagte ihn gestützt auf § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV und unter Verweis auf die Entziehung vom 1. August 2011 sowie den regelmäßigen Cannabiskonsum auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, das ein Drogenkontrollprogramm über ein Jahr Abstinenz beinhalte. Nachdem der Kläger keine Bestätigung über die Anmeldung zu dem Drogenkontrollprogramm vorlegte und erklären ließ, er werde sich keiner Begutachtung unterziehen, lehnte die Beklagte den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 17. Januar 2020 ab. Aufgrund der mangelnden Mitwirkung sei von Nichteignung auszugehen.

Mit Urteil vom 24. Februar 2021 hat das Verwaltungsgericht München den Bescheid vom 17. Januar 2020 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Die Entziehung der Fahrerlaubnis vom 1. August 2011 sei zwar noch im Fahreignungsregister eingetragen und könne dem Kläger als solche auch noch vorgehalten werden, etwa zur Feststellung eines Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Die Beklagte meine jedoch offensichtlich, sie könne dem Kläger auch die Tat vom 3. Dezember 2008 und die dabei festgestellten Blutwerte, die auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum schließen ließen, vorhalten und zum Anlass für eine Begutachtungsanordnung nehmen. Dies stelle eine Umgehung des Verwertungsverbots aus § 29 Abs. 7 StVG dar. Die Eintragung über die Ordnungswidrigkeit sei nach den seinerzeit geltenden Vorschriften nach fünf Jahren zu tilgen gewesen, was hier auch geschehen sei. Eine Regelung des Inhalts, dass der gesamte Sachverhalt einschließlich der geahndeten Tat, wie er Grundlage der Entziehung der Fahrerlaubnis gewesen sei, dem Betroffenen so lange vorgehalten werden dürfe, wie die Entziehung der Fahrerlaubnis selbst verwertbar sei, kenne das Gesetz nicht. Deswegen sei der Schluss aus der Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens auf mangelnde Fahreignung unzulässig. Die Beklagte zur Erteilung der Fahrerlaubnis zu verpflichten sei dem Gericht gleichwohl nicht möglich, da sich den Akten nicht entnehmen lasse, ob der Behörde hinreichend aktuelle Unterlagen wie etwa eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs vorlägen.

Dagegen richtet sich die vom Senat wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassene Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt diese aus, § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV – und damit auch ihre darauf gestützte Beibringungsanordnung – knüpfe an die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Betäubungsmittelkonsums an, nicht an die der Entziehung zu Grunde liegenden Taten. Die Fahrerlaubnisentziehung sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung auch verwertbar gewesen. Wann die vom Kläger begangene Ordnungswidrigkeit zu tilgen gewesen sei, spiele für die Rechtmäßigkeit der Begutachtungsanordnung hingegen keine Rolle. Die lange Tilgungsfrist der Eintragung über die Fahrerlaubnisentziehung sowie der nach § 29 Abs. 5 StVG herausgeschobene Tilgungsbeginn ergäben zudem nur Sinn, wenn die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt sei, unmittelbar aus der eingetragenen Entziehung – unabhängig von der Verwertbarkeit zu Grunde liegender Taten – Eignungszweifel herzuleiten und insoweit eine Begutachtung anzuordnen. Hinzu komme, dass die Fahrerlaubnisentziehung dem Kläger unzweifelhaft weiter vorgehalten werden könnte, wenn sie durch das Strafgericht erfolgt wäre, da eine strafgerichtliche Entziehung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 StVG insgesamt 15 Jahre ab Rechtskraft verwertbar wäre. Es sei nicht nachvollziehbar, warum eine Entziehung durch die Fahrerlaubnisbehörde im Gegensatz dazu nur so lange verwertbar sein solle, bis die Anlasstat getilgt sei, die Grundlage der Begutachtungsanordnung gewesen sei, deren Verweigerung dann zur Fahrerlaubnisentziehung geführt habe. Eine derart unterschiedliche Relevanz der strafgerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entziehung im Rahmen des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV sei nicht zu rechtfertigen. Schließlich hätte die Auffassung des Verwaltungsgerichts in der Praxis aufgrund der üblichen Laufzeiten von Ausgangs- und Widerspruchsverfahren zur Folge, dass Betroffene regelmäßig unmittelbar oder zeitnah nach der Entziehung der Fahrerlaubnis die Neuerteilung beantragen könnten, ohne sich einer medizinisch-psychologischen Begutachtung unterziehen zu müssen. Bestätigt werde diese Rechtsauffassung durch die seit dem 28. Juli 2021 geltende gesetzliche Klarstellung in § 29 Abs. 7 Satz 2 StVG.“

Und: Die Berufung hatte Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten Entscheidung:

    1. Der nach § 11 Abs 8 FeV erlaubte Schluss auf die Nichteignung, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hat, bedeutet zugleich, dass in einem Neuerteilungsverfahren ein medizinisch-psychologisches Gutachten angefordert werden darf.
    2. Der Rückgriff auf eine bestandskräftige Entziehungsentscheidung stellt auch dann keinen mittelbaren Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 29 Abs 7 Satz 1 StVG a.F. dar, wenn der im Fahreignungsregister gespeicherten Entziehung teilweise derselbe Sachverhalt zu Grunde lag, wie einer nicht mehr gespeicherten Ordnungswidrigkeit wegen der Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis.

Rest dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.