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Entziehung der FE wegen gesundheitlicher Probleme, oder: Ausreichender Anlass für Gutachtenanforderung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BayVGH, Beschl. v. 21.03.2023 – 11 CS 23.273. Es geht um die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Ergangen ist die Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Der 1957 geborene Antragsteller beantragte am 30.12.2021 unter Vorlage seines 1975 ausgestellten Führerscheins mit der damaligen Fahrerlaubnisklasse 3 bei der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin die Neuausstellung eines Kartenführerscheins. Da er einem Aktenvermerk zufolge bei der persönlichen Vorsprache „immer noch schlecht zu Fuß“ gewesen sei, forderte ihn die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.01.2022 zur Vorlage eines Berichts des ihn behandelnden Arztes zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, den Diagnosen, den eingenommenen Medikamenten und zur Frage auf, ob ausreichende Compliance bestehe.

Mit Schreiben vom 08.02.2022 übersandte der Antragsteller eine ärztliche Bescheinigung vom 01.02.2022 (wegen der Einzelheiten siehe den verlinkten Volltext). Mit Schreiben vom 25.03.2022 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens eines Arztes einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Aufgrund dieses Gutachtens wird dann mit Bescheid vom 05.102022 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis entzogen und der Antragsteller zur Abgabe des Führerscheins verpflichtet. Der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ist der Antragsteller nachgekommen.

Gegen den Bescheid dann die Klage und der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, der keinen Erfolg hatte. Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde dagegen hatte beim BayVGH keinen Erfolg:

„3. Soweit die Beschwerde im Übrigen (S. 3 der Beschwerdebegründung) dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Aus den vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch das zum 1. Mai 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl I S. 530), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bei Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung, insbesondere bei Hinweisen auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens anordnen.

b) Hier bestand aufgrund des ärztlichen Attests vom 1. Februar 2022 ausreichender Anlass, den Antragsteller zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens aufzufordern.

aa) Bei der Vorsprache des Antragstellers in der Führerscheinstelle zum Umtausch seines 1975 ausgestellten Führerscheins in einen Kartenführerschein war – wie in einem Aktenvermerk festgehalten – aufgefallen, dass der Antragsteller „nicht gut zu Fuß“ war. Auch eigene Beobachtungen und fahrerlaubnisrechtlich relevante Wahrnehmungen durch Personal der Führerscheinstelle können grundsätzlich Anlass sein, Zweifeln hinsichtlich der Fahreignung durch geeignete Maßnahmen nachzugehen. Bewegungsbehinderungen können nach Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV Beschränkungen und Auflagen rechtfertigen und damit Anlass für weitere Aufklärungsmaßnahmen sein. Insoweit hat die Antragsgegnerin, dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend, den Antragsteller noch nicht sogleich zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens, sondern zunächst zur Vorlage eines Berichts des ihn behandelnden Arztes aufgefordert (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 11 FeV Rn. 24b).

bb) Ob die Behörde aufgrund ihrer Beobachtungen berechtigt war, vom Antragsteller – wie mit Schreiben vom 17. Januar 2022 geschehen – einen umfassenden Arztbericht zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, zu den Diagnosen, zur Medikation und zur Compliance zu verlangen, ohne diesen auf Erkrankungen zu beschränken, für die konkrete Anhaltspunkte vorlagen, erscheint fraglich, kann hier aber dahinstehen. Anders als bei Auffälligkeiten, bei denen die Fahrerlaubnisbehörde keine Anhaltspunkte dafür hat, auf welche der in Anlage 4 zur FeV genannten Erkrankungen diese möglicherweise zurückzuführen sind, beschränkten sich die Beobachtungen hier nach Aktenlage zunächst auf Bewegungsbehinderungen. Weiteres ist jedenfalls dem handschriftlichen Aktenvermerk vom 30. Dezember 2021 nicht zu entnehmen. Gleichwohl führt dies nicht zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der durch die Vorlage des ärztlichen Befundberichts vom 1. Februar 2022 erlangten Kenntnisse. Vielmehr schafft dieses Attest mit den in der Anlage aufgeführten Diagnosen eine neue Tatsachengrundlage, die selbständige Bedeutung hat und unabhängig davon verwertbar ist, ob die ursprüngliche Anforderung rechtmäßig war (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2023 – 11 CS 22.2141 – juris Rn. 17; B.v. 14.9.2022 – 11 CS 22.876 – juris Rn. 14; B.v. 5.10.2020 – 11 CS 20.1203 – juris Rn. 20).

cc) Aufgrund dieser neuen Erkenntnislage war die Antragsgegnerin jedenfalls berechtigt, vom Antragsteller die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verlangen.

Die Beibringungsanordnung setzt nicht voraus, dass eine Erkrankung oder ein Mangel im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bereits feststeht (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2021 – 11 CS 21.1727 – juris Rn. 19 m.w.N.). Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Zwar darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001, a.a.O. Rn. 26). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Auffälligkeiten im Straßenverkehr sind hierfür nicht Voraussetzung.

Den Maßnahmen der Antragsgegnerin steht somit nicht entgegen, dass der Antragsteller, wie vorgetragen, seit über 47 Jahren unauffällig am Straßenverkehr teilnimmt. Die von ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung erwähnt zwar lediglich eine eingeschränkte Gehfähigkeit und bestätigt eine ausreichende Compliance. Sie nimmt aber Bezug auf in einer Anlage beigefügte Diagnosen, die etliche weitere Erkrankungen auflistet, die fahreignungsrelevant sind, darunter Herz- und Gefäßkrankheiten (Nr. 4 der Anlage 4 zur FeV), Nierenerkrankungen (Nr. 10 der Anlage 4 zur FeV) sowie ein obstruktives Schlafapnoesyndrom (Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV). Mit diesen ärztlich bestätigten Diagnosen bestand ausreichender Anlass, vom Antragsteller gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV eine weitere Abklärung durch Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Insbesondere erweist sich auch die Fragestellung in der Beibringungsanordnung vom 25. März 2022 als anlassbezogen und verhältnismäßig.

c) Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg einwenden, er sei seiner Mitwirkungsobliegenheit in vollem Umfang nachgekommen. ….“

Welche Folgen hat die E-Scooter-Drogenfahrt?, oder: Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge?

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Und dann am Samstag der Kessel Buntes mit zwei Entscheidungen des BayVGH. Zunächst hier der BayVGH, Beschl. v. 12.07.2023 – 11 CS 23.551 – zur Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach einer Drogenfahrt mit einem E-Scooter.

Folgender Sachverhalt der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Entscheidung:

Nach einer Trunkenheits- und Drogenfahrt mit einem Kfz wurde dem Antragsteller 2018 strafrechtlich die Fahrerlaubnis entzogen. Nach einer weiteren Trunkenheitsfahrt (AAK 0,25 mg/l) mit einem E-Scooter forderte die Verwaltungsbehörde den Antragsteller gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV auf, ein MPU-Gutachten zu seinem Trennvermögen hinsichtlich fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge beizubringen. Nachdem der Antragsteller kein Gutachten beigebracht hatte, wurde ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt und die sofortige Vollziehung des Beschieds angeordnet.

Der Antragsteller hat beim VG die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der zugleich erhobenen Klage beantragt. Das VG hat den Antrag als unbegründet abgelehnt. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat der VGH die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt.

Nach Auffassung des VGH verstößt § 3 FeV verstößt gegen die aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 bis 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) abgeleiteten Gebote der hinreichenden Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit rechtlicher Regelungen und ist daher keine Grundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Wegen der Einzelheiten bitte selbst lesen.

Die vom BayVGH entschiedene Frage ist in der Rechtsprechung der VG bisher nicht eindeutig geklärt. Dazu gibt es inzwischen ja auch schon das BayVGH, Urt. v. 17.04.2023 – 11 BV 22.1234 -, das die Ermächtigungsgrundlage zur Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen in § 3 FeV mit eingehender Begründung überzeugend als nicht hinreichend bestimmt angesehen, die Revision zum BVerwG aber zugelassen hat. So dann jetzt der BayVGH noch einmal.

Wir werden also etwas aus Leipzig hören.

Verbot des Fahrens mit dem Fahrrad nach der FeV?, oder: Gibt es eine Ermächtigungsgrundlage?

entnommen openclipart.org

Die Fahrerlaubnisbehörden können das Führen von Fahrzeugen nach der FeV verbieten, wenn sich jemand – insbesondere durch Fahrten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – als hierzu ungeeignet erweist. Umstritten ist dabei die Frage, unter welchen Voraussetzungen auch das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen untersagt werden kann. Der BayVGH hat dies im BayVGH, Urt. v. 17.04.2023 – 11 BV 22.1234 – jetzt dahingehend entschieden, dass das geltende Recht keine Grundlage für ein solches Verbot bietet.

Der als Grundlage für die Untersagung von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogene § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV ist nach Auffassung des BayVGH zu unbestimmt. Die Regelung lässt weder für sich allein noch im Zusammenhang mit anderen Vorschriften erkennen, wann eine Person zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge ungeeignet sei und wie man dies feststellen müsse. Anders als für das Führen von fahrerlaubnispflichtigen (Kraft-)Fahrzeugen gebe es hierfür auch keine ausreichenden Hinweise aus dem Gesetzgebungsverfahren oder andere konkretisierende Regelwerke. Eine Übertragung der Maßstäbe für das Führen von Kraftfahrzeugen auf das Führen von Fahrrädern oder E-Scootern sei wegen des unterschiedlichen Gefahrenpotentials nicht möglich. Das Fehlen rechtlicher Maßstäbe könne zu unverhältnismäßigen Verboten führen

Der VGH hat die Revision zugelassen, da die Frage, ob § 3 FeV eine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage darstellt, grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) habe. Wir werden dazu also im Zweifel etwas vom BVerwG hören. Daher verweise ich auch nur auf den verlinkten Volltext.

MPU-Anordnung für Neuerteilung der Fahrerlaubnis, oder: Verwertungsverbot nach dem StVG?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem BayVGH, Urt. v. 18.01.2023 – 11 B 22.1153 – geht es um die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sowie um einen – behaupteten – Verstoß gegen das ordnungswidrigkeitsrechtliche Verwertungsverbot.

Folgender Sachverhalt:

„Der Kläger begehrt die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis ohne vorherige Beibringung eines Fahreignungsgutachtens.

Der Kläger war nach Aktenlage zuletzt Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M und S.

Am 22. Oktober 2009 verhängte das Amtsgericht München ein Bußgeld gegen den Kläger wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG, nachdem er am 3. Dezember 2008 unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hatte. Nach dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 20. Februar 2009, das in jenem Verfahren eingeholt wurde, waren in der zeitnah nach der Tat entnommenen Blutprobe 22 ng/ml THC und 170 ng/ml THC-Carbonsäure festgestellt worden. Diese Entscheidung des Amtsgerichts wurde zunächst in das Verkehrszentralregister eingetragen, ist aber mittlerweile gelöscht und aus dem Fahreignungsregister nicht ersichtlich.

Im Januar 2010 leitete die Beklagte ein Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung ein. Dabei ging sie mit Blick auf die festgestellte THC-Carbonsäure davon aus, dass der Kläger regelmäßiger Cannabiskonsument sei. Da dieser geltend machte, keine Drogen (mehr) zu konsumieren, gab die Beklagte ihm zunächst auf, im Rahmen eines Drogenkontrollprogramms einen Abstinenzzeitraum von einem Jahr nachzuweisen. Nachdem der Kläger entsprechende Bescheinigungen eingereicht hatte, forderte die Beklagte ihn unter Bezugnahme auf den Vorfall am 3. Dezember 2008 mit Schreiben vom 4. März 2011 auf, ein Gutachten über seine Fahreignung vorzulegen.

Nachdem der Kläger kein Gutachten vorlegte, entzog die Beklagte ihm mit Bescheid vom 1. August 2011, der mit Ablauf des 5. September 2011 bestandskräftig wurde, die Fahrerlaubnis. Die in der Blutprobe vom 3. Dezember 2008 festgestellte Konzentration an THC-Carbonsäure von 170 ng/ml belege, dass der Kläger zu jenem Zeitpunkt regelmäßig Cannabis eingenommen habe. Die Fahreignung könne daher nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Kläger eine einjährige Abstinenz nachweise, die auf einem tiefgreifenden und stabilen Einstellungswandel beruhe. Eine einjährige Abstinenz habe der Kläger belegt, die psychologische Untersuchung zum Nachweis eines tiefgreifenden und stabilen Einstellungswandels jedoch verweigert. Daher sei nach § 11 Abs. 8 FeV auf mangelnde Fahreignung zu schließen. Diese Entscheidung ist nach wie vor im Fahreignungsregister gespeichert.

Am 19. August 2019 beantragte der Kläger die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1 und A (jeweils versehen mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04), B, BE, C1 und C1E. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 forderte die Beklagte ihn gestützt auf § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV und unter Verweis auf die Entziehung vom 1. August 2011 sowie den regelmäßigen Cannabiskonsum auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, das ein Drogenkontrollprogramm über ein Jahr Abstinenz beinhalte. Nachdem der Kläger keine Bestätigung über die Anmeldung zu dem Drogenkontrollprogramm vorlegte und erklären ließ, er werde sich keiner Begutachtung unterziehen, lehnte die Beklagte den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 17. Januar 2020 ab. Aufgrund der mangelnden Mitwirkung sei von Nichteignung auszugehen.

Mit Urteil vom 24. Februar 2021 hat das Verwaltungsgericht München den Bescheid vom 17. Januar 2020 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig. Die Entziehung der Fahrerlaubnis vom 1. August 2011 sei zwar noch im Fahreignungsregister eingetragen und könne dem Kläger als solche auch noch vorgehalten werden, etwa zur Feststellung eines Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Die Beklagte meine jedoch offensichtlich, sie könne dem Kläger auch die Tat vom 3. Dezember 2008 und die dabei festgestellten Blutwerte, die auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum schließen ließen, vorhalten und zum Anlass für eine Begutachtungsanordnung nehmen. Dies stelle eine Umgehung des Verwertungsverbots aus § 29 Abs. 7 StVG dar. Die Eintragung über die Ordnungswidrigkeit sei nach den seinerzeit geltenden Vorschriften nach fünf Jahren zu tilgen gewesen, was hier auch geschehen sei. Eine Regelung des Inhalts, dass der gesamte Sachverhalt einschließlich der geahndeten Tat, wie er Grundlage der Entziehung der Fahrerlaubnis gewesen sei, dem Betroffenen so lange vorgehalten werden dürfe, wie die Entziehung der Fahrerlaubnis selbst verwertbar sei, kenne das Gesetz nicht. Deswegen sei der Schluss aus der Nichtvorlage des angeordneten Gutachtens auf mangelnde Fahreignung unzulässig. Die Beklagte zur Erteilung der Fahrerlaubnis zu verpflichten sei dem Gericht gleichwohl nicht möglich, da sich den Akten nicht entnehmen lasse, ob der Behörde hinreichend aktuelle Unterlagen wie etwa eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs vorlägen.

Dagegen richtet sich die vom Senat wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassene Berufung der Beklagten. Zur Begründung führt diese aus, § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV – und damit auch ihre darauf gestützte Beibringungsanordnung – knüpfe an die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Betäubungsmittelkonsums an, nicht an die der Entziehung zu Grunde liegenden Taten. Die Fahrerlaubnisentziehung sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung auch verwertbar gewesen. Wann die vom Kläger begangene Ordnungswidrigkeit zu tilgen gewesen sei, spiele für die Rechtmäßigkeit der Begutachtungsanordnung hingegen keine Rolle. Die lange Tilgungsfrist der Eintragung über die Fahrerlaubnisentziehung sowie der nach § 29 Abs. 5 StVG herausgeschobene Tilgungsbeginn ergäben zudem nur Sinn, wenn die Fahrerlaubnisbehörde berechtigt sei, unmittelbar aus der eingetragenen Entziehung – unabhängig von der Verwertbarkeit zu Grunde liegender Taten – Eignungszweifel herzuleiten und insoweit eine Begutachtung anzuordnen. Hinzu komme, dass die Fahrerlaubnisentziehung dem Kläger unzweifelhaft weiter vorgehalten werden könnte, wenn sie durch das Strafgericht erfolgt wäre, da eine strafgerichtliche Entziehung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 StVG insgesamt 15 Jahre ab Rechtskraft verwertbar wäre. Es sei nicht nachvollziehbar, warum eine Entziehung durch die Fahrerlaubnisbehörde im Gegensatz dazu nur so lange verwertbar sein solle, bis die Anlasstat getilgt sei, die Grundlage der Begutachtungsanordnung gewesen sei, deren Verweigerung dann zur Fahrerlaubnisentziehung geführt habe. Eine derart unterschiedliche Relevanz der strafgerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entziehung im Rahmen des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV sei nicht zu rechtfertigen. Schließlich hätte die Auffassung des Verwaltungsgerichts in der Praxis aufgrund der üblichen Laufzeiten von Ausgangs- und Widerspruchsverfahren zur Folge, dass Betroffene regelmäßig unmittelbar oder zeitnah nach der Entziehung der Fahrerlaubnis die Neuerteilung beantragen könnten, ohne sich einer medizinisch-psychologischen Begutachtung unterziehen zu müssen. Bestätigt werde diese Rechtsauffassung durch die seit dem 28. Juli 2021 geltende gesetzliche Klarstellung in § 29 Abs. 7 Satz 2 StVG.“

Und: Die Berufung hatte Erfolg.

Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten Entscheidung:

    1. Der nach § 11 Abs 8 FeV erlaubte Schluss auf die Nichteignung, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hat, bedeutet zugleich, dass in einem Neuerteilungsverfahren ein medizinisch-psychologisches Gutachten angefordert werden darf.
    2. Der Rückgriff auf eine bestandskräftige Entziehungsentscheidung stellt auch dann keinen mittelbaren Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 29 Abs 7 Satz 1 StVG a.F. dar, wenn der im Fahreignungsregister gespeicherten Entziehung teilweise derselbe Sachverhalt zu Grunde lag, wie einer nicht mehr gespeicherten Ordnungswidrigkeit wegen der Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis.

Rest dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen.

Fahrtenbuch II: Mitwirkungspflichten des Halters, oder: Unbestimmte Dauer der Auflage

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Die zweite Entscheidung zum Fahrtenbuch kommt mit dem BayVGH, Beschl. v. 30.11.2022 – 11 CS 22.1813 – ebenfalls aus Bayern. Auch in dem Verfahren ist es um die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Fahrtbuchauflage gegangen.

Auch hier weitgehend das Übliche, so dass ich mich auch im Wesentlichen auf die Leitsätze zu dem recht umfangreich begründeten Beschluss beschränken will. Die lauten:

    1. Wenn ein Halter, der ein Fahrtenbuch führen soll, den zur Last gelegten Verkehrsverstoß als solchen bestreitet, muss er jedoch im Verwaltungs- oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen. Insbesondere dürfen Geschwindigkeitsmessergebnisse, die mit amtlich zugelassenen Geräten in standardisierten Verfahren gewonnen werden, nach Abzug der Messtoleranz von Behörden und Gerichten im Regelfall ohne Weiteres zu Grunde gelegt werden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion oder unsachgemäße Bedienung vorliegen.
    2. Unzureichende Mitwirkung des angehörten Fahrzeughalters hat insoweit Bedeutung für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a StVZO, als sie den Einwand abschneiden kann, die Feststellung des Fahrzeugführers wäre nach der Verkehrszuwiderhandlung möglich gewesen, wenn die Bußgeldbehörde weiter ermittelt hätte. Dies gilt insbesondere, wenn der betreffende Fahrzeughalter im Ordnungswidrigkeitsverfahren auf einen ihm übersandten Anhörungsbogen überhaupt nicht reagiert.
    3. Auch ein erst- oder einmaliger Verkehrsverstoß kann eine Fahrtenbuchauflage rechtfertigen, wenn er von erheblichem Gewicht ist. Dabei kommt es auf die besonderen Umstände des Einzelfalls, wie etwa die konkrete Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes, nicht an. Das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung ergibt sich vielmehr aus ihrer generellen Gefährlichkeit für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Hierbei kann die Behörde auf die Bewertungen abstellen, die in den einschlägigen Straf- und Bußgeldvorschriften mit der Ausgestaltung der Sanktionen sowie in § 40 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) i.V.m. Anlage 13 mit der Einordnung eines Delikts in das Fahreignungs-Bewertungssystem (Punktsystem) zum Ausdruck gebracht worden sind.
    4. Die Behörde ist nicht gehalten, die Maßnahme bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses zu befristen. Danach ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass die Anordnung – als Dauerverwaltungsakt – bei Wegfall der ihr zu Grunde liegenden Voraussetzungen sowie dann aufzuheben ist, wenn ihre Dauer mit Blick auf den mit der Maßnahme verfolgten Zweck nicht mehr angemessen ist.

Gnaz interessant ist, was der BayVGH zum Leitsatz 4. konkret ausführt:

„bb) Auch mit Blick auf die Dauer der Verpflichtung zur Führung des Fahrtenbuchs zeigt die Beschwerde keinen Ermessensfehler auf.

(1) Das Landratsamt hat sich ersichtlich an obergerichtlicher Rechtsprechung orientiert, der zufolge die Behörde nicht gehalten ist, die Maßnahme bereits im Zeitpunkt ihres Erlasses zu befristen. Danach ist dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass die Anordnung – als Dauerverwaltungsakt – bei Wegfall der ihr zu Grunde liegenden Voraussetzungen sowie dann aufzuheben ist, wenn ihre Dauer mit Blick auf den mit der Maßnahme verfolgten Zweck nicht mehr angemessen ist. Ihrer Pflicht, den Verwaltungsakt aus diesem Grunde unter Kontrolle zu halten, kann die Behörde demnach insbesondere dadurch genügen, dass sie in dem Bescheid in Aussicht stellt, die Notwenigkeit seiner Fortdauer nach einer bestimmten Zeit zu überprüfen (vgl. VGH BW, U.v. 3.5.1984 – 10 S 447/84VBlBW 1984, 318/319 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 27.7.1970 – VII B 19.70 – Buchholz 442.15 § 7 StVO Nr. 6; ebenso OVG Bremen, U.v. 9.12.1975 – I BA 52/74 – DAR 1976, 53/55). So ist das Landratsamt hier vorgegangen und hat der Sache von vornherein den Grundstein für eine Beschränkung der Maßnahme auf neun Monate gelegt.

(2) Wenn die Antragstellerin dagegen einwendet, es verstoße gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), ein Fahrtenbuch auf unbestimmte Zeit führen zu lassen, geht dies daher bereits von unzutreffenden Voraussetzungen aus.

(3) Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, weshalb es, wie sie darüber hinaus in den Raum stellt, mit der Datenschutzgrundverordnung unvereinbar sein sollte, dass die Antragstellerin für neun Monate ein Fahrtenbuch zu führen, dieses Polizeibeamten sowie Vertretern des Landratsamts auf Verlangen zur Überprüfung auszuhändigen und mindestens sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für die es zu führen ist, aufzubewahren hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist – ungeachtet der Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs der DSGVO (zweifelnd VG Regensburg, U.v. 17.4.2019 – RN 3 K 19.267 – juris Rn. 24 ff.) – im Falle des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a StVZO eine Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO zur Wahrung der berechtigten Interessen von Behörden und Gerichten, die insoweit Dritte im Sinn des Art. 4 Nr. 10 DSGVO sind, bei Abwägung mit den Interessen des Fahrzeugführers zulässig. Behörden und Gerichte haben ein berechtigtes Interesse daran, die ihnen im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgaben zu erfüllen, zu denen die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten sowie Straftaten gehört (vgl. BayVGH, B.v. 22.7.2022 – 11 ZB 22.895 – ZfSch 2022, 595 = juris Rn. 18).

Anders als die Beschwerde meint, setzt die Verfolgungsverjährungsfrist, die unter Umständen nur drei Monate beträgt (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG), insoweit keine beachtliche Grenze. Nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a DSGVO, auf den das Vorbringen der Sache nach abzielt, sind personenbezogene Daten zwar zu löschen, wenn sie für die Zwecke, für die sie erhoben wurden, nicht mehr notwendig sind. Insoweit geht die Antragstellerin jedoch von einem zu engen Erhebungszweck aus. Wie der Antragsgegner zutreffend ausführt, zielt die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs auch darauf ab, ggf. eine Verfolgung von Verkehrsstraftaten zu ermöglichen (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.1964 – VII C 91.61BVerwGE 18, 107/108 f.). Insoweit gelten aber weitaus längere Verjährungsfristen (vgl. §§ 78 ff. StGB). Zudem kann die Fahrtenbuchauflage ihren Zweck, künftig die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten zu ermöglichen und dies zugleich den betroffenen Fahrern zur Verhinderung weiterer Zuwiderhandlungen im Vorfeld vor Augen zu führen (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2015 – 3 C 13.14BVerwGE 152, 180 Rn. 19), nur erfüllen, wenn die ordnungsgemäße Führung kontrolliert werden kann. Dies muss zur Sicherstellung eines rationellen Einsatzes der vorhandenen Mittel auch unabhängig vom Ablauf etwaiger Verjährungsfristen zum Ende der Maßnahme und in einem angemessenen Zeitraum danach möglich sein. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn § 31a Abs. 3 StVZO eine Pflicht zur Aufbewahrung des Fahrtenbuchs für sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für die es geführt werden muss, vorsieht. Damit bedarf auch keiner Erörterung, ob hier ein Ausnahmetatbestand gemäß Art. 17 Abs. 3 DSGVO vorliegen könnte.“