Entziehung der FE wegen gesundheitlicher Probleme, oder: Ausreichender Anlass für Gutachtenanforderung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den BayVGH, Beschl. v. 21.03.2023 – 11 CS 23.273. Es geht um die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Ergangen ist die Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Der 1957 geborene Antragsteller beantragte am 30.12.2021 unter Vorlage seines 1975 ausgestellten Führerscheins mit der damaligen Fahrerlaubnisklasse 3 bei der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin die Neuausstellung eines Kartenführerscheins. Da er einem Aktenvermerk zufolge bei der persönlichen Vorsprache „immer noch schlecht zu Fuß“ gewesen sei, forderte ihn die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.01.2022 zur Vorlage eines Berichts des ihn behandelnden Arztes zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, den Diagnosen, den eingenommenen Medikamenten und zur Frage auf, ob ausreichende Compliance bestehe.

Mit Schreiben vom 08.02.2022 übersandte der Antragsteller eine ärztliche Bescheinigung vom 01.02.2022 (wegen der Einzelheiten siehe den verlinkten Volltext). Mit Schreiben vom 25.03.2022 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens eines Arztes einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Aufgrund dieses Gutachtens wird dann mit Bescheid vom 05.102022 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis entzogen und der Antragsteller zur Abgabe des Führerscheins verpflichtet. Der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ist der Antragsteller nachgekommen.

Gegen den Bescheid dann die Klage und der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, der keinen Erfolg hatte. Das VG hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde dagegen hatte beim BayVGH keinen Erfolg:

„3. Soweit die Beschwerde im Übrigen (S. 3 der Beschwerdebegründung) dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Aus den vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch das zum 1. Mai 2022 in Kraft getretene Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl I S. 530), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die zum 1. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung vom 18. März 2022 (BGBl I S. 498), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bei Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung, insbesondere bei Hinweisen auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens anordnen.

b) Hier bestand aufgrund des ärztlichen Attests vom 1. Februar 2022 ausreichender Anlass, den Antragsteller zur Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens aufzufordern.

aa) Bei der Vorsprache des Antragstellers in der Führerscheinstelle zum Umtausch seines 1975 ausgestellten Führerscheins in einen Kartenführerschein war – wie in einem Aktenvermerk festgehalten – aufgefallen, dass der Antragsteller „nicht gut zu Fuß“ war. Auch eigene Beobachtungen und fahrerlaubnisrechtlich relevante Wahrnehmungen durch Personal der Führerscheinstelle können grundsätzlich Anlass sein, Zweifeln hinsichtlich der Fahreignung durch geeignete Maßnahmen nachzugehen. Bewegungsbehinderungen können nach Nr. 3 der Anlage 4 zur FeV Beschränkungen und Auflagen rechtfertigen und damit Anlass für weitere Aufklärungsmaßnahmen sein. Insoweit hat die Antragsgegnerin, dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend, den Antragsteller noch nicht sogleich zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens, sondern zunächst zur Vorlage eines Berichts des ihn behandelnden Arztes aufgefordert (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 11 FeV Rn. 24b).

bb) Ob die Behörde aufgrund ihrer Beobachtungen berechtigt war, vom Antragsteller – wie mit Schreiben vom 17. Januar 2022 geschehen – einen umfassenden Arztbericht zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, zu den Diagnosen, zur Medikation und zur Compliance zu verlangen, ohne diesen auf Erkrankungen zu beschränken, für die konkrete Anhaltspunkte vorlagen, erscheint fraglich, kann hier aber dahinstehen. Anders als bei Auffälligkeiten, bei denen die Fahrerlaubnisbehörde keine Anhaltspunkte dafür hat, auf welche der in Anlage 4 zur FeV genannten Erkrankungen diese möglicherweise zurückzuführen sind, beschränkten sich die Beobachtungen hier nach Aktenlage zunächst auf Bewegungsbehinderungen. Weiteres ist jedenfalls dem handschriftlichen Aktenvermerk vom 30. Dezember 2021 nicht zu entnehmen. Gleichwohl führt dies nicht zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der durch die Vorlage des ärztlichen Befundberichts vom 1. Februar 2022 erlangten Kenntnisse. Vielmehr schafft dieses Attest mit den in der Anlage aufgeführten Diagnosen eine neue Tatsachengrundlage, die selbständige Bedeutung hat und unabhängig davon verwertbar ist, ob die ursprüngliche Anforderung rechtmäßig war (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2023 – 11 CS 22.2141 – juris Rn. 17; B.v. 14.9.2022 – 11 CS 22.876 – juris Rn. 14; B.v. 5.10.2020 – 11 CS 20.1203 – juris Rn. 20).

cc) Aufgrund dieser neuen Erkenntnislage war die Antragsgegnerin jedenfalls berechtigt, vom Antragsteller die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verlangen.

Die Beibringungsanordnung setzt nicht voraus, dass eine Erkrankung oder ein Mangel im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV bereits feststeht (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2021 – 11 CS 21.1727 – juris Rn. 19 m.w.N.). Es genügt der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Zwar darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001, a.a.O. Rn. 26). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Auffälligkeiten im Straßenverkehr sind hierfür nicht Voraussetzung.

Den Maßnahmen der Antragsgegnerin steht somit nicht entgegen, dass der Antragsteller, wie vorgetragen, seit über 47 Jahren unauffällig am Straßenverkehr teilnimmt. Die von ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung erwähnt zwar lediglich eine eingeschränkte Gehfähigkeit und bestätigt eine ausreichende Compliance. Sie nimmt aber Bezug auf in einer Anlage beigefügte Diagnosen, die etliche weitere Erkrankungen auflistet, die fahreignungsrelevant sind, darunter Herz- und Gefäßkrankheiten (Nr. 4 der Anlage 4 zur FeV), Nierenerkrankungen (Nr. 10 der Anlage 4 zur FeV) sowie ein obstruktives Schlafapnoesyndrom (Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV). Mit diesen ärztlich bestätigten Diagnosen bestand ausreichender Anlass, vom Antragsteller gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV eine weitere Abklärung durch Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Insbesondere erweist sich auch die Fragestellung in der Beibringungsanordnung vom 25. März 2022 als anlassbezogen und verhältnismäßig.

c) Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg einwenden, er sei seiner Mitwirkungsobliegenheit in vollem Umfang nachgekommen. ….“

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