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OWi II: Berufung auf die sog. Medikamentenklausel, oder: „Zoom-Rezept“/“Cannabis-Ausweis“ reichen nicht

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Im zweiten Posting berichte ich über AG Hamburg-Wandsbek, Urt. v. 24.09.2025 – 726b OWi 58/25.

Das AG hat festgestellt, dass der Betroffene am 08.04.2025 um 02:40 ein Fahrzeug mit einer Konzentration von mindestens 12 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Blut geführt hat. Der Betroffene hatte eingeräumt, am Abend vor dem Tatzeitpunkt gegen 23:00 Uhr Cannabis in Form eines Joints konsumiert zu haben. Der Betroffene hat sich weiter darauf berufen, über eine ärztliche Erlaubnis zum medizinischen Konsum von Cannabis zu verfügen. Hierzu hat er den Ausdruck eines Privatrezepts der Ärztin B. aus L. vom 09.04.2025 sowie Fotos eines „Cannabis-Ausweises“ des Arztes M. aus B. vor, die in Augenschein genommen wurden, vorgelegt. Im „Cannabis-Ausweis“ heißt es: „Der/Die Ausweisinhaber/in erhält wegen seiner/ihrer Erkrankung eine ärztlich verordnete Behandlung mit einem Cannabis-basierten Medikament […]; Bakerstreet: 0,25-0,3g pro Mal abends; Bedrocan: bis 0,5g 2 Mal täglich tagsüber“. Der Betroffene hat angegeben, keinen persönlichen Kontakt zum verschreibenden Arzt gehabt zu haben. Er habe lediglich Kontakt mittels Internet-Chat und via Videotelefonat (Zoom) gehabt.

Das AG ist der Berufung auf die sog. Medikamentenklausel des § 24a Abs. 4 StVG nicht gefolgt:

„2. Die „Medikamentenklausel“ des § 24a Abs. 4 StVG, die auch die fahrlässige Begehungsweise der Tat ausschließt (OLG Zweibrücken, NStZ 2024, 371, Ls.), steht der Verurteilung des Betroffenen nicht entgegen.

a) Gemäß § 24a Abs. 4 StVG ist Abs. 1a nicht anzuwenden, wenn die betreffende Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Wegen des mit dem Ausnahmetatbestand einhergehenden Missbrauchspotenzials (vgl. OLG Oldenburg DAR 2023 584, 585; König, NJW-Sonderbeil. 2025, 77, 81; ders., DAR 2019, 362, 369; Maatz, BA 2018, Sup I – 30 ff.; Hentschel/König/König, § 24a StVG Rn. 22) sind seine Voraussetzungen im Einzelfall restriktiv auszulegen und sorgfältig zu prüfen.

Zunächst erfordert § 24a Abs. 4 StVG die bestimmungsgemäße Einnahme der betreffenden Substanz. Bestimmungsgemäß ist die Einnahme, wenn sie sich im Rahmen der verschriebenen Dosieranleitung hält und die Grenze zum Missbrauch nicht überschreitet (OLG Bamberg DAR 2019, 390, 391; KG BeckRS 2016, 2821 Rn. 8; Hentschel/König/König, § 24a StVG Rn. 22c). Der Inhalt des hierfür maßgeblichen Cannabinoidausweises des Betroffenen ist – sofern keine zulässige Bezugnahme erfolgt – im Wortlaut in den Urteilsgründen wiederzugeben (OLG Koblenz BeckRS 2022, 8932 Ls. 1).

Weiter erfordert § 24a Abs. 4 StVG das Vorliegen einer Verschreibung. Der Begriff in § 24a Abs. 4 StVG nimmt erkennbaren Bezug auf § 3 MedCanG, nach dessen Abs. 1 Satz 3 sich der notwendige Inhalt einer Verschreibung nach den §§ 2 und 4 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) richtet (vgl. Patzak/Fabricius/Patzak, BtMG, § 3 MedCanG Rn. 2). Der notwendige Inhalt einer Verschreibung gemäß § 2 Abs. 1 AMVV umfasst neben Angaben zur Person des Verschreibenden (Nr. 1) und der Person, für die das Arzneimittel bestimmt ist (Nr. 3) das Datum der Ausfertigung (Nr. 2), ihre Gültigkeitsdauer (Nr. 8) sowie die abzugebende Menge des verschriebenen Arzneimittels (Nr. 6). Keiner weiteren Begründung bedarf der Umstand, dass das Datum der Verschreibung zeitlich vor der potenziell nach § 24a Abs. 1a StVG ordnungswidrigen Tat liegen und die Verschreibung zu diesem Zeitpunkt noch gültig sein muss.

Die Verschreibung muss zur Behandlung eines konkreten Krankheitsfalls erfolgt sein, § 24a Abs. 4 StVG (Hentschel/König/König, § 24a StVG Rn. 22b). Das Tatbestandsmerkmal verdeutlicht, dass eine Verschreibung im Sinne der Vorschrift keinesfalls pauschal oder generalklauselartig erfolgen darf. Vorausgesetzt wird vielmehr eine sorgfältige Anamnese, die in der Regel das persönliche Erscheinen des Betroffenen vor dem verschreibenden Arzt erfordert (siehe auch OLG Oldenburg DAR 2023, 584, 585 mit Verweis auf BGHSt 6, 90). Für eine solche Auslegung spricht auch die am 08.10.2025 von der Bundesregierung beschlossene Klarstellung in § 3 MedCanG-E, wonach die Verschreibung von medizinischem Cannabis den persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patienten erfordert und dieser persönliche Kontakt zur Fortdauer der Verschreibung wenigstens jährlich erfolgen muss (vgl. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/C/MedCanG_Kabinett.pdf, S. 3)

b) Die Verschreibung der Ärztin B. vermag unabhängig davon, ob sie den Anforderungen der §§ 24a Abs. 4 StVG, § 3 Abs. 1 Satz 3 MedCanG, § 2 Abs. 1 AMVV genügt, bereits deshalb den Ausnahmetatbestand des § 24a Abs. 4 StVG nicht zu erfüllen, da sie auf den 09.04.2025 – einen Tag nach der hier in Frage stehenden Tat – datiert.

c) Geht man davon aus, dass ein Joint etwa 0,2-0,4g Cannabis enthält, hielt sich der Betroffene durch den Konsum eines Joints um 23:00 Uhr im Rahmen der im „Cannabis-Ausweis“ vorgeschriebenen Dosieranleitung („0,25-0,3g abends“), sodass eine bestimmungsgemäße Einnahme im Sinne von § 24a Abs. 4 StVG vorliegt.

Allerdings handelt es sich beim in Augenschein genommenen „Cannabis-Ausweis“ schon nicht um eine Verschreibung im Sinne des § 24a Abs. 4 StVG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 3 MedCanG i.V.m. § 2 Abs. 1 AMVV. Das Dokument lässt weder ein Ausfertigungsdatum (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMVV) noch eine Gültigkeitsdauer (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 AMVV) erkennen. Es enthält ferner keine Gesamtmenge verschriebenen Cannabis (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 AMVV), die gemeinsam mit den Dosierungshinweisen Aufschluss über die notwendige Dauer der Behandlung geben könnte. Weder für die Cannabis ausgebende Stelle noch für das überprüfende Gericht sind Anhaltspunkte ersichtlich, ob der „Cannabis-Ausweis“ schon bzw. noch gültig ist, über welchen Zeitraum eine Therapie erfolgt und ob eine regelmäßige Evaluation des Therapiefortschritts und der weiteren Erforderlichkeit des medizinischen Cannabiskonsums stattfindet. Höchstens handelt es sich bei dem „Cannabis-Ausweis“ um einen sog. Patientenausweis, der für sich allein genommen den Anforderungen des § 24a Abs. 4 StVG nicht zu genügen vermag (vgl. zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Verschreibung und Patientenausweis auch BayVGH SVR 2019, 272, 273).

Auch fehlt es bei dem „Cannabis-Ausweis“ an der gemäß § 24a Abs. 4 StVG erforderlichen Bezugnahme auf einen konkreten Krankheitsfall. Dies folgt einerseits erneut aus der fehlenden zeitlichen Eingrenzung, die die Feststellung einer Bezugnahme auf einen konkreten Krankheitsfall des Betroffenen unmöglich macht. Ferner vermag der unter III. wiedergegebene bloße Verweis auf eine „Erkrankung“, wobei dem konkreten Krankheitsbild des Betroffenen nicht einmal im Hinblick auf dessen Geschlecht, geschweige denn in sonst individualisierter Weise Rechnung getragen wird, den Anforderungen des § 24a Abs. 4 StVG an die Konkretheit des Krankheitsbilds nicht zu genügen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass es sich beim „Cannabis-Ausweis“ des Arztes M. gerade um eine solche generalklauselartig-pauschale ärztliche Erlaubnis („Freifahrtschein“) handelt, denen der Gesetzgeber mit der Aufnahme des Tatbestandsmerkmals des konkreten Krankheitsfalls in § 24a Abs. 4 StVG vorbeugen wollte.

Zuletzt fehlt es an dem zur Diagnose eines konkreten, mittels Cannabis therapierbaren Krankheitsfalls regelmäßig erforderlichen persönlichen Kontakt des Betroffenen zum verschreibenden Arzt. Der Betroffene hatte Kontakt zum verschreibenden Arzt lediglich via Internet-Chat und Videotelefonat (Zoom). Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum ein möglicher konkreter Krankheitsfall des Betroffenen im Sinne von § 24a Abs. 4 StVG ausnahmsweise ohne persönliche körperliche Untersuchung durch den verschreibenden Arzt diagnostiziert werden konnte.“

OWi I: Ausreichende Belehrung nach Drogenfahrt?, oder: Nein, aber kein Widerspruch

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Heute hier dann ein OWi-Tag.

Zunächst stelle ich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2025 – 1 ORbs 284/24 – vor. Er hat eine Drogenfahrt zum Gegenstand. Im Verfahren ist u.a. gestritten worden über die Frage, ob der Betroffene ausreichend belehrt worden ist und ob, weil das unterblieben ist, ein Beweisverwertungsverbot besteht. Das OLG sagt: Nein, und zwar:

„b) Die Rüge eines bestehenden Beweisverwertungsverbots aufgrund unterbliebener bzw. unvollständiger Beschuldigtenbelehrung gemäß § 46 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 136, 163a StPO verhilft der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.

aa) Vor Durchführung des Drogenschnelltests (sog. Drug Wipe Test) bedurfte es keiner Belehrung des Betroffenen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht Beschuldigter im Sinne der genannten Vorschriften.

Gemäß §§ 136, 163a StPO ist der Beschuldigte zu belehren; die Vorschrift findet über § 46 Abs. 1 OWiG auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung. Ob die zu vernehmende Person Beschuldigter ist, unterliegt der pflichtgemäßen Beurteilung des Vernehmungsbeamten (BGHSt 51, 367, 371; BGH NJW 2019, 2627, 2630; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, zu § 163a, Rz. 4a). Hierfür sind hinreichend gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der Tat und des Täters erforderlich (BGH NJW 2019.2627, 2630; BGH NStZ 2008, 48; BGH NStZ-RR 2012, 49; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Eine Pflicht zur Belehrung besteht, sobald die Ermittlungsbehörde eine Maßnahme trifft, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielt, den Vernommenen als Täter einer Straftat zu überführen (BGH NStZ 2015, 291). Dabei beurteilt sich die Manifestation des Verfolgungswillens danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des Betroffenen darstellt (BGH NStZ 2023, 686; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts willkürlich die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH NJW 2019, 26327, 2630). Der anzulegende Willkürmaßstab ist objektiv zu bestimmen, ein bewusst auf Umgehung der Beschuldigtenrechte gerichtetes Verhalten des Vernehmungsbeamten ist nicht erforderlich (BGH NJW 2019, 2627, 2630).

Ein in diesem Sinne zur Belehrung des Betroffenen verpflichtender starker Tatverdacht bestand zum Zeitpunkt der Durchführung des Drogenschnelltests nicht. Ausweislich der im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Aussage des Vernehmungsbeamten Polizeikommissar pp. (Name) war der Betroffene stark nervös und wies starkes Lidflattern auf. Das konnte aus Sicht des Beamten auch andere Gründe haben als den Konsum von Drogen. Um dies zu klären, wurde der Schnelltest durchgeführt. Damit wurde eine Vorermittlung durchgeführt zur Klärung der Frage, ob der Betroffene zu beschuldigten war oder nicht. Dass dieser zuvor nicht über seine Rechte als Beschuldigter belehrt wurde, erweist sich sonach nicht als rechtswidrig.

bb) Die Situation änderte sich mit dem positiven Schnelltest. Angesichts dieses Ergebnisses musste der Zeuge pp. (Name) den Betroffenen nunmehr als Beschuldigten belehren, und zwar gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 136 Abs. 1 S. 2 StPO auch über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren. Letzteres hat der Zeuge nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerdebegründung, der durch das Hauptverhandlungsprotokoll gestützt wird, unterlassen. Daraus folgt grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 47, 172; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 47) mit der Folge, dass das Ergebnis der Blutprobenanalyse vorliegend wohl nicht zum Nachteil des Betroffenen zu Beweiszwecken herangezogen werden konnte.

Zwar zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der namentlich im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gebote und Ziele zu treffen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 17, Juris). Ein Verwertungsverbot liegt nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Die Möglichkeit, sich eines Verteidigers oder Beistands zu bedienen, gehört zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten (BGH a. a. O.; BGHSt 38, 372, 374).

cc) Gleichwohl bleibt der Verfahrensrüge der Erfolg versagt, weil der Betroffene der Verwertung der Blutprobe in der Hauptverhandlung vom 29. Juli 2024 nicht widersprochen hat. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (hier in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) löst kein Verwertungsverbot aus, wenn der verteidigte Angeklagte einer Verwertung des unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewonnenen Beweismittels bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 19 f., Juris; BGHSt 38, 214, 225 f.; BGHSt 39, 349, 352).

So liegt der Fall hier. Durch das Hauptverhandlungsprotokoll ist aufgrund dessen aus § 274 StPO folgender Beweiskraft bewiesen, dass der Betroffene der Verwertung der Blutprobe nicht widersprochen hat. Aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut ergibt sich, dass der Betroffene allein der Einführung des Beweismittels im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO widersprochen hat, nicht aber der Beweisverwertung an sich. Hierfür liefert das Hauptverhandlungsprotokoll vollen Beweis.

Gemäß § 274 Abs. 1 S. 1 StPO ist die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen der Widerspruch zählt, nur durch das Protokoll beweisbar. Die Vorschrift normiert eine gesetzliche Beweisregel, nach der dem Protokoll eine ausschließliche Beweiskraft zukommt (Meyer-Goßner a. a. O., zu § 274, Rz. 3). Durch andere Beweismittel kann das Protokoll grundsätzlich nicht ergänzt, ersetzt oder widerlegt werden (BGHSt 2, 125, 126; BGH NStZ 1993, 51). Mängel im Protokoll führen nur dann zum Verlust seiner absoluten Beweiskraft, wenn es lückenhaft, unklar, widersprüchlich oder sonst auslegungsbedürftig ist (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Rz. 5 und 17). In Fällen der Auslegungsbedürftigkeit erfolgt die Klarstellung im Wege der Auslegung des gesamten, als Einheit zu betrachtenden Protokolls, gegebenenfalls in Verbindung mit der freien Beweiswürdigung und den Mitteln des Freibeweises, zu denen der gesamte Akteninhalt zählt (BGH NStZ-RR 2003, 5).

Vorliegend ist das Protokoll indessen nicht auslegungsbedürftig, sondern eindeutig. Es legt nach seinem klaren Wortlaut „Nach Widerspruch zum Selbstleseverfahren pp. “ einen Widerspruch des Betroffenen hinsichtlich des Weges dar, vermittels dessen die Blutprobe in die Beweisaufnahme eingeführt werden sollte, namentlich gegen das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO, nicht aber einen Widerspruch gegen die Beweiserhebung und –verwertung an sich. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 25. Juni 2024, in dem zu einem Beweisverwertungsverbot mangels zureichender Beschuldigtenbelehrung ausgeführt wurde, ist ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung nicht in Bezug genommen worden. Auch dafür bietet das Protokoll vollen (negativen) Beweis.

Eine Protokollberichtigung hat der Betroffene nicht beantragt.“

Also: Ja, aber 🙂 . Als Verteidiger muss mal also darauf achten, dass explizit der Beweiserhebung und – verwertung widersprochen wird.

Bekifft mit Fahrrad oder E-Scooter gefahren …. , oder: Untersagung des Führens von Fahrrädern/E-Scootern

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Im letzten „Kessel Buntes“ des (noch) laufenden Jahres gibt es dann noch einmal (Verkehrs)Verwaltungsrecht.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen des OVG Münster, und zwar mit dem OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 175/23 – und dem OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 1300/23. Beiden Entscheidungen liegen Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörden zugrunde, mit denen zwei Männern nach einer Drogenfahrt mit einem Fahrrad bzw. einem E-Scooter das Fahren nach § 3 FEV untersagt worden war. Das OVG sagt in beiden Fällen: Geht nicht. Hier die Begründung aus OVG Münster, Beschl. v. 05.12.2024 – 16 B 175/23:

„Vorliegend ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge (auch von Fahrrädern) Erfolg haben wird, weil die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2022 rechtswidrig ist.

Der Senat geht davon aus, dass diese Untersagung ihre Rechtsgrundlage nicht in § 3 FeV findet, weil diese Vorschrift nicht hinreichend bestimmt und verhältnismäßig ist. Er schließt sich damit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz an.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 30 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 27 ff.; ebenso: VG Schwerin, Beschluss vom 27. Juli 2023 – 6 B 1855/22 SN -, juris, Rn. 22 ff.; Begemann, in: Freymann/Wellner, jurisPK- Straßenverkehrsrecht, Stand: 27. September 2024, § 3 FeV Rn. 21.1; Müller/Rebler, Keine Rechtsgrundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge?!, DAR 2023, 437 (440); a. A.: Nds. OVG, Beschluss vom 23. August 2023 – 12 ME 93/23 -, juris, Rn. 8 ff. (jedenfalls für die Fälle einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad mit mehr als 1,6 ‰ BAK); VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 23. September 2021 – 7 L 901/21 -, juris, Rn. 55 ff., und vom 16. November 2023 – 7 L 1617/23 -, juris, Rn. 54 ff.; VG Köln, Urteil vom 24. Juli 2024 – 23 K 6615/23 -, juris, Rn. 66 ff.; offenlassend: BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2020 – 3 C 5.20 -, juris, Rn. 38.

Angesichts der grundrechtsrelevanten Bedeutung der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge für die Fortbewegungsmöglichkeiten der Betroffenen,

vgl. Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 32; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 33 ff.,

teilt der Senat die Auffassung, dass unter Berücksichtigung des im Vergleich zu Kraftfahrzeugen in der Regel geringeren Gefährdungspotentials insbesondere nicht hinreichend klar geregelt ist, in welchen Fällen von einer Ungeeignetheit bzw. von bedingter Eignung von Führern fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge bzw. Eignungszweifeln auszugehen ist. Insofern ist es auch nicht ausreichend, dass nach § 3 Abs. 2 FeV die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung finden. Selbst wenn diese Vorschriften nur dann entsprechend anzuwenden sind, wenn sie ihrem Inhalt nach nicht das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge voraussetzen, fehlt es doch überwiegend an Anhaltspunkten dafür, wann die Schwelle zur Annahme von Eignungszweifeln bzw. fehlender oder bedingter Eignung bezüglich des Führens weniger gefahrenträchtiger Fahrzeuge überschritten ist.

Vgl. dazu ausführlich Bay. VGH, Urteil vom 17. April 2023 – 11 BV 22.1234 -, juris, Rn. 33 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 20. März 2024 – 10 A 10971/23.OVG -, juris, Rn. 76 ff.

Sonstige Ermächtigungsgrundlagen für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge sind nicht ersichtlich.

Erweist sich die mit Bescheid der Antragsgegnerin erfolgte Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge daher als rechtswidrig, gilt dies auch für die in diesem Bescheid erlassene Aufforderung zur Abgabe der Mofa-Prüfbescheinigung. Insoweit ist ebenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.“

OWi IV: Neuer Grenzwert in Altfällen der Drogenfahrt, oder: Freispruch, auch durch das BayObLG

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Und dann noch zum Abschluss eine weitere Entscheidung zum Umgehen mit Altfällen wegen Nichterreichens des neuen gesetzlichen THC-Nachweisgrenzwerts nach § 24a Abs. 1a StVG n.F. Dazu hatte ja bereits das OLG Oldenburg Stellung genommen (vgl. hier OWi I: Neuer Grenzwert in Altfällen der Drogenfahrt, oder: Freispruch, ggf. durch das OLG).

Das BayObLG macht es im BayObLG, Beschl. v. 10.10.2024 – 202 ObOWi 989/24 – wie das OLG Oldenburg. Es spricht frei. Daher hier nur der Leitsatz:

Beruht die vor Inkrafttreten des § 24 Abs. 1a StVG n.F. am 22.08.2024 erfolgte Verurteilung wegen (vorsätzlichem oder fahrlässigem) Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von THC auf der Feststellung eines den neuen gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum nicht erreichenden sog. analytischen Nachweisgrenzwert, ist der Betroffene auf die Rechtsbeschwerde hin neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils in Anwendung von § 4 Abs. 3 OWiG durch das Rechtsbeschwerdegericht freizusprechen, sofern auch eine verfolgbare Bußgeldahndung nach § 24c StVG n.F. ausscheidet.

OWi I: Neuer Grenzwert in Altfällen der Drogenfahrt, oder: Freispruch, ggf. durch das OLG

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Heute gibt es hier dann OWi-Entscheidungen. Das Besondere: Es sind vier Postings. Die Beiträge waren vorbereitet, jetzt ist aber noch eine Entscheidung veröffentlicht worden, über die ich unbedingt berichten wollte. Diese kommt hier vorab.

Es handelt sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.04.2024 – 2 ORbs 95/24 (1537 Js 37043/23) – zur Anwendung des neuen § 24a Abs. 1a StVG – Stichwort: Neuer Grenzwert für THC.

Durch Urteil vom 09.202.204 hat das AG den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 24a StVG zu einer Geldbuße von 1000 € und einem 3-monatigen Fahrverbot verurteilt. Das OLG hat jetzt auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufgehoben und frei gesprochen:

„Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Betroffene ist freizusprechen:

Zwar war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Papenburg noch davon auszugehen, dass der Betroffene mit einem THC-Wert von 1,3 ng/ml im Blut gegen § 24a StVG verstoßen hat. Durch das am 22. August 2024 in Kraft getretene 6. Gesetz zur Änderung des StVG und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, ist allerdings § 24a StVG durch die Einfügung von Absatz 1a) dahingehend geändert worden, dass der maßgebliche Wert nunmehr 3,5 ng/ml beträgt.

Zwar beruhte der bisherige analytische Grenzwert von 1,0 ng/ml nicht auf einer gesetzlichen Grundlage, sondern war von der Rechtsprechung -entsprechend eines Beschlusses der „Grenzwertkommission“- als maßgeblich angesehen worden. Gleichwohl ist zumindest der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 OWiG heranzuziehen, wonach in dem Fall, in dem ein Gesetz, dass bei der Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird, das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Nachdem nunmehr der maßgebliche Wert in § 24a StVG über dem Wert liegt, den der Betroffene im Blut hatte, hätte er bei einer Tatbegehung nach Inkrafttreten des Gesetzes den Bußgeldtatbestand nicht verwirklicht.

Das Verfahren ist nicht entsprechend des Antrages der Generalstaatsanwaltschaft einzustellen, sondern der Betroffene ist vom Rechtsbeschwerdegericht unter Anwendung des § 354a StPO freizusprechen.“

Wohl dem, der sein Verfahren „offen gehalten“ hat.