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Welche Folgen hat die E-Scooter-Drogenfahrt?, oder: Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge?

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Und dann am Samstag der Kessel Buntes mit zwei Entscheidungen des BayVGH. Zunächst hier der BayVGH, Beschl. v. 12.07.2023 – 11 CS 23.551 – zur Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach einer Drogenfahrt mit einem E-Scooter.

Folgender Sachverhalt der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Entscheidung:

Nach einer Trunkenheits- und Drogenfahrt mit einem Kfz wurde dem Antragsteller 2018 strafrechtlich die Fahrerlaubnis entzogen. Nach einer weiteren Trunkenheitsfahrt (AAK 0,25 mg/l) mit einem E-Scooter forderte die Verwaltungsbehörde den Antragsteller gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2b FeV auf, ein MPU-Gutachten zu seinem Trennvermögen hinsichtlich fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge beizubringen. Nachdem der Antragsteller kein Gutachten beigebracht hatte, wurde ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt und die sofortige Vollziehung des Beschieds angeordnet.

Der Antragsteller hat beim VG die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der zugleich erhobenen Klage beantragt. Das VG hat den Antrag als unbegründet abgelehnt. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat der VGH die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt.

Nach Auffassung des VGH verstößt § 3 FeV verstößt gegen die aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 bis 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) abgeleiteten Gebote der hinreichenden Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit rechtlicher Regelungen und ist daher keine Grundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge. Wegen der Einzelheiten bitte selbst lesen.

Die vom BayVGH entschiedene Frage ist in der Rechtsprechung der VG bisher nicht eindeutig geklärt. Dazu gibt es inzwischen ja auch schon das BayVGH, Urt. v. 17.04.2023 – 11 BV 22.1234 -, das die Ermächtigungsgrundlage zur Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen in § 3 FeV mit eingehender Begründung überzeugend als nicht hinreichend bestimmt angesehen, die Revision zum BVerwG aber zugelassen hat. So dann jetzt der BayVGH noch einmal.

Wir werden also etwas aus Leipzig hören.

StGB II: Unter Drogen auf der Flucht vor der Polizei, oder: Allein die Ergebnisse der Blutprobe reichen nicht

Die zweite Entscheidung kommt dan auch vm BGH. Der 4. Strafsenat hat mal wieder zu den Feststellungen für eine Drogenfahrt Stellung genommen.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt. Das LG ist nach einen Feststellungen – wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext – von zwei Polizeifluchtfäln ausgegangen. Dem Angeklagten an den Tattagen entnommene Blutproben wiesen jeweils 320 Mikrogramm Amphetamin sowie bei der ersten Fahrt 3,4 Mikrogramm THC und bei der zweiten Fahrt 17 Mikrogramm THC pro Liter Blut auf.

Das LG hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zunächst mit dessen geständiger Einlassung zum Konsum von Betäubungsmitteln und mit den Ergebnissen der Blutproben begründet. Im Übrigen hat es lediglich ausgeführt, dass die Feststellungen zum Fahrverhalten des Angeklagten auf dessen Einlassung – der ein Einfluss seiner Intoxikation nicht zu entnehmen ist („in Panik geraten“) beruhen.

Diese Ausführungen waren nach Auffassung des BGH nicht ausreichend, so dass er das angefochtene Urteil mit dem BGH, Beschl. v. 02.08.2022 – 4 StR 231/22 – insoweit aufgehoben hat:

„c) Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist – nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 Rn. 9; Urteil vom 15. April 2008 – 4 StR 639/07 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98 , BGHSt 44, 219, 221 ff. ). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 , BGHSt 31, 42, 44 ff. ; Pegel in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 316 Rn. 53, Krumm, NZV 2009, 215, 217).

bb) Das Landgericht scheint in dem grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhalten des Angeklagten drogenbedingte Ausfallerscheinungen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 , BGHSt 31, 42, 45 ; König in LK-StGB, 13. Aufl., § 316 Rn. 97) erblickt zu haben. Eine diese Annahme tragende Beweiswürdigung ist den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Diese wäre aber erforderlich gewesen, denn es versteht sich unter den hier gegebenen Umständen auch nicht etwa von selbst, dass in dem festgestellten Fahrverhalten des Angeklagten eine drogenbedingte Fahrunsicherheit zum Ausdruck gekommen ist. Dabei hätte insbesondere in die Beurteilung einfließen müssen, dass das Fahrverhalten des Angeklagten in beiden Fällen darauf ausgerichtet war, sich von ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen abzusetzen. Die Strafkammer hätte deshalb erörtern müssen, ob und inwieweit die fehlerhafte und riskante Fahrweise des Angeklagten nicht auf seinem Fluchtwillen beruhte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 11. Februar 2014 – 4 StR 520/13 Rn. 2; Beschluss vom 25. Mai 2000 – 4 StR 171/00 Rn. 5 mwN). Die nicht weiter konkretisierte Feststellung, der Angeklagte sei auf der Autobahn „Schlangenlinien“ gefahren, ist für sich genommen noch nicht geeignet, seine Fahruntüchtigkeit bei der ersten Tat zu belegen, zumal die Strafkammer auch hier einen allein fluchtbedingten Grund für das Fahrverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen hat.

Auch mit Blick auf die mitgeteilten Blutwerte versteht sich ein Indizwert des Fahrverhaltens des (konsumgewohnten) Angeklagten für seine jeweilige Fahruntüchtigkeit nicht von selbst. Zwar können die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98 , BGHSt 44, 219, 225 ; s. dazu auch BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2011 – 4 StR 477/11 Rn. 3 f.). Dem steht aber entgegen, dass die Strafkammer bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten jeweils nicht von einer „manifesten Intoxikation“ ausgegangen ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2008 – 4 StR 272/08 Rn. 8; Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98 , BGHSt 44, 219, 225 ).“

OWi II: Fahrt nach Mischkonsum von Cannabis/Kokain, oder: Wann entfällt die sog. „Medikamentenklausel“?

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In der zweiten Entscheidung des Tagesn, dem OLG Koblenz, Beschl. v. 13.04.2022 – 3 OWi 31 SsBs 49/22, den mir der Kollege Wandt aus Wuppertal vor ein paar Tagen geschickt hat, geht es ua. auch um die Anforderungen an die Urteilsgründe. Der Betroffene ist wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG – also Drogenfahrt – verurteilt worden.

Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen fuhr der Betroffene am 23.06.2020 gegen 2:17 Uhr mit einem PKW, obwohl eine um 2:45 Uhr entnommene Blutprobe Werte von 13 ng/ml THC und 5 ng/ml Benzoylecgonin – ein Abbauprodukt von Kokain – aufwies. Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, dass ihm bewusst gewesen sei, dass er das Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis geführt habe, da ihm – wie vom AG auch festgestellt – von seinem behandelnden Arzt die Einnahme von bis zu 2g THC haltigen Produkten (Cannabisblüten) verordnet worden ist.

Auf der Grundlage dieser Beweisergebnisse hat das AG wegen des festgestellten Abbauprodukts Benzoylecgonin auf einen Beikonsum von Kokain geschlossen und daraus eine nicht bestimmungsgemäße Einnahme i.S.v. § 24a Abs. 2 Satz 3 des verordneten Medizinalcannabis hergeleitet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass hierdurch das Privileg der Medikamentenklausel insgesamt entfalle und er damit durch den nachgewiesenen Wert von 13 ng/ml THC ordnungswidrig gehandelt habe.

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg, auch die GStA hatte übrigens Aufhebung beantragt:

„Das Urteil leidet an einem Darstellungsmangel; die Feststellungen zum Arzneimittelprivileg des Betroffenen sind – worauf das Amtsgericht in den Urteilsgründen selbst hinweist – lückenhaft und tragen den Schuldspruch daher nicht.

Nach § 24a Abs. 2 StVG handelt derjenige, der unter der Wirkung berauschender Mittel am Straßenverkehr teilnimmt, ordnungswidrig. Nicht ordnungswidrig ist das Verhalten des Betroffenen nach § 24a Abs. 2 Satz 1, 2 StVG dann, wenn die festgestellte Substanz ausschließlich durch die bestimmungsgemäße Einnahme eines Arzneimittels in das Blut gelangt ist, vorausgesetzt, die Einnahme wurde für einen konkreten Krankheitsfall ärztlich verordnet (sog. Medikamentenklausel).

Der Unterschied zwischen bestimmungsgemäß eingenommenen Medikamenten und Drogen liegt in der unterschiedlichen Wirkung der Substanzen als Therapeutikum bei der Einnahme nach ärztlicher Verordnung und bei missbräuchlichem Konsum. Während ein Drogenkonsument eine Substanz zu sich nimmt, um berauscht zu sein, nimmt ein Patient eine Substanz zu sich um seine Leiden zu lindern (BT-Drucks 17/9868 v. 05.06.2012). Bei bestimmungsgemäßer Einnahme fahren die ein Medikament einnehmenden Patienten gerade nicht in einem berauschten Zustand. Erst durch die Einnahme des Arzneimittels sind sie überhaupt in der Lage, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen (Rebel, ZfSch 2020, 133ff – juris; Maatz in Blutalkohol 1999, S. 36ff.). Da die Dosis jeweils individuell ist, gibt es auch keine Grenzwerte für die Einnahme von Medikamenten. Stattdessen gilt der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit. Danach muss ein Kraftfahrer ärztliche Anweisungen befolgen und die Gebrauchsanweisung des eingenommenen Medikaments beachten. Hält sich ein Kraftfahrer an diese Vorgaben, begeht er nach § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG auch keine Ordnungswidrigkeit, da die Substanz dann aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt (BayVGH, Beschl. 11 B 18.2482 v. 29.04.2019 – juris). Eine bestimmungsgemäße Anwendung ist aber nur dann gegeben, wenn die Anwendung auf einer eindeutigen Verschreibung für eine symptombezogene Indikation beruht und das Arzneimittel nicht missbräuchlich oder überdosiert verwendet wird (OLG Bamberg, Beschl. 2 Ss Owi 1607/18 v. 02.01.2019 – Rn. 7 n. juris). Dazu bedarf es zunächst der Feststellung, ob und wann das Medikament durch einen Arzt verordnet, zur Behandlung einer konkreten Krankheit eingenommen und die Dosierungsanweisung beachtet worden ist (KG Berlin, Beschl. 3 Ws (B) 368/15 v. 30.07.2015 – Rn. 8 n. juris).

Ob die sog. Medikamentenklausel nach § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG vorliegend eingreift oder nicht, vermag der Einzelrichter des Senats auf der Grundlage der im Urteil getroffenen Feststellungen nicht zu überprüfen. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Tatgericht den Begriff der bestimmungsgemäßen Einnahme richtig angewendet und der Betroffene sich an die Einnahme- und Dosierungsanweisungen gehalten hat, ist der entsprechende Inhalt des hierfür maßgeblichen Cannabinoidausweises (BayVGH, aaO. – n. juris Rn. 40) – sofern keine zulässige Bezugnahme erfolgt – im Wortlaut in den Urteilsgründen wiederzugeben. Aus diesem können sich über die aufzunehmende Menge hinaus noch weitere Angaben darüber ergeben, zu welchen Tageszeiten zu welchem Zweck sowie in welchem zeitlichen Abstand zum Führen eines Kraftfahrzeuges die Einnahme zu erfolgen hat oder welche Stoffe nicht zusammen mit der verordneten Substanz eingenommen werden dürfen. Daran fehlt es hier.“

Interessant dann die Segelanweisung des Einzelrichters des Senats:

„Liegen die Voraussetzungen des § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG vor, lässt sich nach der Rechtsprechung des Kammergerichts die Einnahme von Medikamenten vom Konsum illegaler Drogen – etwa bei gleichem Wirkstoff im Blut – mit sachverständiger Hilfe unterscheiden (vgl. KG Berlin, Beschl. 3 Ws (B) 368/15 v. 30.07.2015). Im Umkehrschluss bedeutet dies für den vorliegenden Fall, dass der Konsum von illegalen Drogen neben Medizinalcannabis die Anwendung der Medikamentenklausel grundsätzlich nicht entfallen lässt. Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen läge jedenfalls dann vor, wenn nachzuweisen wäre, dass auch ohne die Einnahme der verordneten Menge des Medikaments der analytische Grenzwert überschritten worden wäre (vgl. KG Berlin aaO.; Rebel, aaO.) und die Medikation über dem verordneten Bereich läge.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrem Votum darüber hinaus ausgeführt, dass Feststellungen zu den Einnahme- und Dosierungsanweisungen auch bei dem vom Tatgericht angenommen Mischkonsum nicht entbehrlich sind:

„Diese Darstellung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn weitere Substanzen, die selbst nicht in einer die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen Konzentration vorliegen, im Blut des Betroffenen festgestellt wurden. Ob ein nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch vorliegt, kann naturgemäß nur beantwortet werden, wenn der bestimmungsgemäße Gebrauch hinreichend beschrieben ist. Die Frage inwieweit durch den Beikonsum weiterer – auch illegaler Substanzen – die bestimmungsgemäße Wirkung des Cannabis beeinträchtigt wird (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 29. April 2019 – 11 B 18.2482 – Rdnr. 38, juris), kann zudem nur bezogen auf das konkrete Krankheitsbild und die dem Betroffenen gemachten Einnahmevorgaben beantwortet werden.“

Habe ich so auch noch nicht gelesen.

OWi II: Die Drogenfahrt mit einem E-Scooter, oder: Das ändert am Fahrverbot nichts

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Als zweite OWi-Entscheidung etwas zum Fahrverbot. Das AG hat den Betroffenen  wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Kokain (190 ng/mL) zu einer Geldbuße in Höhe von 500,- € verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das Besondere: Der Betroffene war mit einem E-Scooter gefahren.

Das hat nach Auffassung des OLG Zweibrücken keine Auswirkungen auf das Fahrverbot. Das OLG führt dazu im OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.06.2021 – 1 OWi 2 SsBs 40/21 – aus:

„2. Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass das Gericht im Rahmen seiner Entscheidung über die Verhängung eines Regelfahrverbotes nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass der Betroffene lediglich einen E-Scooter führte, hat er in der Sache keinen Erfolg.

a) § 25 Abs. 1 Satz 2 StVG normiert ein gesetzliches Regelfahrverbot. Im Falle einer Trunkenheitsfahrt nach § 24a StVG begründet die gesetzliche Indizwirkung auf der Tatbestandsebene, dass diesem Verhalten diejenige gesteigerte abstrakte Gefährdung anderer Personen und Sachen innewohnt, wie sie typisch für Fahrten unter Alkohol- oder Drogenwirkung ist. Eines zusätzlichen groben oder besonders pflichtwidrigen Verhaltens i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG bedarf es nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. November 1998 – 5 Ss (OWi) 299/98 – (OWi) 131/98 I, juris Rn. 14; Deutscher in Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl, Rn. 3616). Zugleich wird auf der Rechtsfolgenseite durch die Tatbestandverwirklichung die Vermutung begründet, dass es zur Einwirkung auf den Betroffenen des Fahrverbots bedarf und dies keine unangemessene Härte darstellt.

Zwar ist die Indizwirkung auf beiden Ebenen grundsätzlich widerlegbar. Die Möglichkeiten die Indizwirkung indes zu entkräften, sind wegen der besonderen Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt stark eingeschränkt. Sie kommt nur in Betracht, wenn die Tatumstände so aus dem Rahmen üblicher Begehungsweisen fallen, dass die Vorschrift über das Regelfahrverbot offensichtlich nicht darauf zugeschnitten ist. Den Gerichten ist deshalb in den Fällen des § 24a StVG bei der Entscheidung darüber, ob von einem Fahrverbot im Einzelfall ausnahmsweise abgesehen werden kann, ein geringerer Ermessensspielraum eingeräumt. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit versteht sich vielmehr die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 2019 – 1 OWi 2 SsRs 24/18 [nicht veröffentlicht]; OLG Bamberg, Beschluss vom 02.07.2018 – 3 Ss OWi 754/18, juris Rn. 6; Beschluss vom 29. Oktober 2012 – 3 Ss OWi 1374/12, juris Rn. 3; Deutscher a.a.O. Rn. 3618 m.w.N.).

b) In der jüngeren Rechtsprechung wird teilweise der Umstand, dass ein E-Scooter angesichts des geringeren Gewichts und der bauartbedingten Geschwindigkeit hinsichtlich der Gefährlichkeit eher mit einem Fahrrad als einem einspurigen Kraftfahrzeug gleichzusetzen sei, bei der Frage der Indizwirkung einer Trunkenheitsfahrt als maßgeblicher Faktor berücksichtigt (vgl. zum Anwendungsbereich des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB: LG Dortmund, Beschluss vom 07. Februar 2020 – 31 Qs 1/20, juris Rn. 16; LG Halle (Saale), Beschluss vom 16. Juli 2020 – 3 Qs 81/20, juris Rn. 8). Die wohl überwiegende Rechtsprechung verneint demgegenüber ein derart bestimmenden Einfluss auf die Indizwirkung des Regelbeispiels (vgl. ebenfalls zum Anwendungsbereich des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB: im konkreten Fall das Regelfall bejahend: Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 24. Juli 2020 – 205 StRR 216/20, juris (bei einer Strecke von 300 Metern); LG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 9 Qs 35/20, juris Rn. 20 (nachts Personenverkehr zu erwarten); LG München I, Beschluss vom 29. November 2019 – 26 Qs 51/19 –, juris); Regelfall verneinend: LG Dortmund, Beschluss vom 07. Februar 2020 – 35 Qs 3/20 – juris (nur wenige Meter Fahrtstrecke); AG Dortmund, Urteil vom 21. Januar 2020 – 729 Ds – 060 Js 513/19 – 349/19, juris Rn. 23 (nachts zur verkehrsarmen Zeit auf einer Verkehrsfläche ohne jeden Bezug zum fließenden Straßenverkehr)).

Für die letztgenannte Ansicht wird zunächst die Wertung des Gesetzgebers und das Fehlen normierter Ausnahmetatbestände im Bereich der Regelbeispiele ins Feld geführt (vgl. LG Stuttgart a.a.O. Rn. 17). So sind Elektrofahrräder innerhalb der Vorgaben des § 1 Abs. 3 StVG schon keine Kraftfahrzeuge (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Juli 2020 – 2 Rv 35 Ss 175/20 – juris (Leitsatz)); E-Scooter, Segways und andere Fahrzeuge i.S.d. § 1 eKFV (Elektrokleinstfahrzeuge VO) unterfallen hingegen dem Kraftfahrzeugbegriff (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 24. Juli 2020 – 205 StRR 216/20, juris (Leitsatz); Deutscher, a.a.O. Rn. 1735 m.w.N.; Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann, 26. Aufl., eKFV § 1 Rn. 10, 11, 33).

Weiterhin wird in der Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass auch einem E-Scooter durch die Fahrzeugmasse und die erreichbare Höchstgeschwindigkeit ein erhebliches Gefährdungs- und Verletzungspotential für Dritte zukomme, das noch dadurch verstärkt werde, dass der E-Scooter eine ohne eigene Anstrengung abrufbare Kraft des Elektromotors freisetze; insbesondere falle eine Geschwindigkeitsbeschleunigung erheblich leichter, als mit einem konventionellen Fahrrad. Diese Kraft müsse von dem Fahrzeugführer auch beherrscht werden können. Die von E-Scootern ausgehende abstrakte Gefahr sei daher nicht deutlich geringer zu beurteilen als im Fall von Motorrollern oder Mofas (LG Stuttgart a.a.O. Rn. 15; LG München a.a.O. Rn. 19; LG Dortmund, Beschluss vom 11. Februar 2020 – 43 Qs 5/20, juris Rn. 11). Zur Begründung der besonderen Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter wird überdies in Feld geführt, dass Gleichgewichtsbeeinträchtigungen und plötzliche Lenkbewegungen angesichts der regelmäßig stehenden Fahrposition und kleineren Radumfangs deutlich größere Auswirkungen auf die Fahrweise und dadurch hervorgerufene kritische Verkehrssituationen für andere Verkehrsteilnehmer zeitigen können (vgl. auch LG Stuttgart a.a.O. Rn. 15; LG Köln, Beschluss vom 9. Oktober 2020 – 117 Qs 105/20, juris Rn. 5).

Der Senat schließt sich dieser Ansicht an. Zwar ist – verglichen mit der Mehrzahl der am Verkehr regelmäßig teilnehmenden Fahrzeuge – das allein von der Masse und der möglichen Höchstgeschwindigkeit ausgehende Gefahrenpotential eines E-Scooters für einen anderen unmittelbar von einer Kollision betroffenen Verkehrsteilnehmer geringer; dieser Umstand betrifft aber nur einen Teilaspekt, der mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr verbundenen Gefahren. § 24a StVG beinhaltet ein abstraktes Gefährdungsdelikt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2004 – 1 BvR 2652/03 –, juris Rn. 25), welches primär die Sicherheit des Straßenverkehrs zum Schutzzweck hat und sekundär durch den hierdurch erreichten Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Verkehrsteilnehmern auch individualschützende Wirkung entfaltet (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 04. Dezember 2007 – 2 BvR 38/06, juris Rn. 42; BeckOK StVR/Scholz, 11. Ed. 15.4.2021, StVG § 24a Rn. 1). Die Gefährlichkeit der Trunkenheitsfahrt beruht zum einen auf der alkohol- oder drogenbedingten verminderten Kontroll- und Reaktionsfähigkeit, zum anderen auf der damit verbundenen abstrakten Dauergefahr über die gesamte Strecke der Fahrt (vgl. Deutscher a.a.O. Rn. 3619). So beziehen sich die Fälle, in denen die Rechtsprechung die Widerlegung der tatbestandlichen Indizwirkung angenommen hat, vornehmlich auf Fälle in denen die Dauerhaftigkeit der Gefahrenlage oder die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts im konkreten Fall deutlich reduziert war (vgl. für Fälle einer nur kurzen Fahrstrecke von wenigen Metern OLG Celle, Beschluss vom 03. Januar 1990 – 1 Ss (OWi) 303/89, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 24. Januar 2005 – 2 ObOWi 757/04, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 17. September 1987 – 4 Ss OWi 1114/87, juris; OLG Köln, Beschluss vom 26. August 1993 – Ss 193/93 (B) –, juris; zusätzlich zur Nachtzeit: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. März 1987 – 5 Ss (OWi) 81/87 – 64/87 I, juris (jeweils Orientierungssatz)).

Die Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsraum ist in großem Maße geordneter Interaktionsprozess mit einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern. Bei einem alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss agierenden Verkehrsteilnehmer besteht ein maßgeblicher Aspekt der durch ihn bedingten Gefahrenlage darin, den Anforderungen an die im Straßenverkehr geforderten Handlungsweisen nicht mehr genügen zu können. Dass seine Fahrweise daher in erhöhtem Maße nicht mehr verlässlich und berechenbar ist und andere Verkehrsteilnehmer ihrerseits gezwungen werden, auf unvorhersehbare Fahrmanöver zu reagieren, beeinträchtigt die Sicherheit des Straßenverkehrs in erheblichem Umfang. Für die davon ausgehende abstrakte Gefährlichkeit für die Sicherheit des Straßenverkehrs ist weniger die geringere Masse und Geschwindigkeit des E-Scooters von ausschlaggebender Bedeutung als die Wahrscheinlichkeit andere Verkehrsteilnehmer mit einer unsicheren oder nicht berechenbaren Fahrweise mit weiteren möglichen Folgewirkungen zu beeinflussen.

Nach alledem kommt der Art des geführten Kraftfahrzeugs für die abstrakte Gefahr, die von einer Trunkenheitsfahrt für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgeht, keine derart bestimmende Bedeutung zu (vgl. schon OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juli 1996 – 2 Ss (OWi) 229/96 – (OWi) 81/96 II, juris (Leitsatz) zu einem alkoholisierten Fahrer eines Mofas), dass dieser Umstand allein schon die Indizwirkung des Regelbeispiels nach §§ 25 Abs. 1 Satz 2, 24a StVG entfallen lässt. Bestimmend bleiben vielmehr die konkreten Umstände der jeweiligen Fahrt.“

OWi III: Drogenfahrt und Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Strafzumessung?

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Und die dritte Entscheidung kommt dann auch aus Dortmund. Ist zwar keine unmittelbare Owi-Entscheidung, § 24a StVG hat aber beim AG Dortmund, Urt. v. 19.11.2019 – 729 Ds-253 Js 1513/19-256/19 – eine Rolle gespielt. Es nimmt Stellung zur Strafzumessung beim Fahren ohne Fahrerlaubnis, wenn zudem auch noch eine Owi nach § 24a StVG verwirklicht worden ist. Das AG meint – hier die Leitsätze:

1. Bei der Strafzumessung im Rahmen des § 21 StVG ist auch die Tatsache, dass neben dem Fahren ohne Fahrerlaubnis noch eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG verwirklicht wurde, die wegen § 21 OWiG zurücktritt, strafschärfend zu werten.

2. Besitzt der Angeklagte keine Fahrerlaubnis besitzt und wird eine solche auch zeitnah nicht erwerben, bedarf es für den Fall einer Fahrverbotsanordnung nach § 25 StVG keiner Entscheidung zu einer Schonfrist nach § 25 Abs. 2 a StVG.