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StPO I: Verwertung von SkyECC-Überwachungsdaten, oder: Ergänzung zur BGH-Grundsatzentscheidung

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Und dann heute ein paar StPO-Entscheidungen – und zwar alle vom BGH.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 09.01.2025 – 1 StR 142/24 – zum Dauerbrenner: Verwertung von Daten aus der Überwachung von Messengerdiensten. Stichwort: Encro-Chat. In dem Beschluss des ersten Strafsenats geht es um die Verwertung von SkyECC-Kommunikationsüberwachungsdaten.

Ich erspare mir (und dem Leser) den (technischen) Sachverhalt. Das dürfte bekannt sein. Mit der Verfahrensrüge wird dann die Unverwertbarkeit der Daten geltend gemacht. Ohne Erfolg:

„bb) Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.

(a) Sie ist bereits unzulässig, weil sie in einem für maßgeblich gehaltenen, von der Stoßrichtung umfassten Punkt nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend vorträgt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19. Mai 2021 – 1 StR 509/20 unter 1. mwN); dies schlägt auf die Verfahrensrüge insgesamt durch. Die Revision behauptet, die deutschen Strafverfolgungsbehörden hätten spätestens ab März 2020 von der laufenden SkyECC-Kommunikationsüberwachung gewusst und diese entgegen ihrer Verpflichtung aus § 91g Abs. 6 IRG nicht untersagt; hierin unterscheide sich die Beweiserhebung maßgeblich von den sogenannten EncroChat-Fällen. Die Verfahrensbeanstandung stützt sich insoweit auf einen verfahrensfremden Vermerk des Bundeskriminalamts vom 17. Juni 2021, in dem auf der ersten Seite ausgeführt wird, die SkyECC-Überwachung sei im März 2020 durch eine mediale Berichterstattung allgemein bekannt geworden. Dass es sich bei der Datumsangabe „März 2020“ um ein Schreibversehen handelt, ergibt sich zum einen aus dem Vermerk selbst. Denn dort wird auf Seite fünf angegeben, im März 2021 sei über Europol bekannt geworden, dass bei Ermittlungen in Frankreich Daten des Kryptodienstes SkyECC erhoben worden seien. Allein dies deckt sich zum einen mit der am 10. März 2021 durch Europol veröffentlichten Pressemitteilung über den „Aktionstag“ vom 9. März 2021. Zum anderen belegt der gesamte zeitliche Ablauf der Ermittlungen, dass die Strafverfolgungsbehörden SkyECC-Daten erst Ende des Jahres 2020 entschlüsseln konnten; vorher wurde darüber wegen der Gefährdung des Ermittlungserfolgs nicht in den Medien berichtet.

(b) Im Übrigen hätte die Verfahrensrüge auch in der Sache keinen Erfolg. Die von den französischen Strafverfolgungsbehörden erhobenen und im Wege der Beweismittelrechtshilfe für deutsche Strafverfolgungszwecke zur Verfügung gestellten Daten von SkyECC-Nutzern sind verwertbar. Aufgrund des ähnlichen Verfahrensablaufs wie bei Verwertung der über den Messengerdienst EncroChat erhobenen und transferierten Daten gelten die in der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 24 ff.) aufgestellten Maßstäbe. Mit Blick auf die im Anschluss ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 30. April 2024 – C-670/22) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. November 2024 – 2 BvR 684/22) ist ergänzend auszuführen:

(aa) Die Beweismittelgewinnung der französischen Behörden verstößt nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen oder europäischen ordre public (vgl. Artikel 1 Abs. 4 RL EEA, § 73 IRG). Aus der Beschlagnahme der SkyECC-Telefone zusammen mit dem Betäubungsmittelfund im Hafen von An.             ergab sich ein Anfangsverdacht für die Begehung von Betäubungsmittelstraftaten. Dieser wurde durch die dargestellten Besonderheiten der Telefone, dem Verhalten der kanadischen Firma und der Auswertung der 9.000 Chat-Nachrichten von französischen SkyECC-Nutzern erhärtet. Dass bei einer solchen Verdachts- und Beweislage zunächst ein Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber des Unternehmens eingeleitet und im Zuge dessen die zeitlich befristete Erhebung aller Nutzerdaten des SkyECC-Dienstes richterlich angeordnet und überprüft wird, lässt – wie bei der Überwachung der EncroChat-Nutzer (vgl. hierzu BGH aaO Rn. 34 ff.) – auch angesichts der Gesamtdauer der Überwachung, die ersichtlich der zunächst erforderlichen Analyse der Server zur Entwicklung einer Entschlüsselungslösung geschuldet war, grundlegende Rechtsstaatsdefizite oder einen Verstoß gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte nicht erkennen. Auch eingedenk der großen Anzahl der überwachten Mobilfunkanschlüsse sind die Ermittlungsmaßnahmen weit von geheimdienstlichen „anlasslosen Massenüberwachungen und Massendatenauswertungen“ entfernt. Der Austausch der Nachrichten wurde nicht aufgrund eines allgemeinen Verdachts gegen eine verschlüsselte Kommunikationsinfrastruktur überwacht, sondern – wie zuvor aufgezeigt – aufgrund konkreter Verdachtsmomente. Die französischen Behörden gingen ersichtlich davon aus, dass der gezielt auf die Bedürfnisse der organisierten Kriminalität ausgerichtete Absatzweg gepaart mit den erheblichen Kosten des Erwerbs und Betriebs der Krypto-Telefone sowie des durch die Ermittlungen bestätigten kriminellen Einsatzbereichs die Erfassung Unverdächtiger ausschloss.

(bb) Aus dem Verstoß der französischen Behörden gegen die Pflicht zur Benachrichtigung des von einer grenzüberschreitenden Telekommunikationsüberwachung betroffenen Zielstaates Deutschland aus Artikel 31 RL EEA bzw. gegen die diese Vorgaben umsetzende französische Vorschriften (wonach die RL EEA unmittelbar in die französische Rechtsordnung integriert wurde, vgl. hierzu BGH, aaO Rn. 39 mwN) folgt kein Beweisverwertungsverbot. Zwar handelt es sich bei Artikel 31 RL EEA um eine rechtshilferechtliche Bestimmung, die neben der Achtung der Souveränität des zu unterrichtenden Zielstaats auch den Schutz der Zielperson u.a. vor einer Verwendung der Daten in diesem Mitgliedstaat – hier also Deutschland – bezweckt (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024 – C-670/22 Rn. 121, 124 und 125) und somit individualschützenden Charakter hat. Aber bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das des Staates an einer umfassenden Aufklärung besonders schwerer Straftaten. Insoweit gilt (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. November 2024 – 2 BvR 684/22 Rn. 98; Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 und 1857/10, BVerfGE 130, 1 Rn. 117 mwN):

(1) Nicht jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften zieht ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich; darüber ist nach den Umständen im Einzelfall, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägen der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Nur ausnahmsweise ist ein Beweisverwertungsverbot aufgrund gesetzlicher Vorschrift wie etwa § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO oder aus übergeordneten wichtigen Gründen anzunehmen. Denn ein Beweisverwertungsverbot schränkt eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, und zwar den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der danach vorzunehmenden Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob das staatliche Ermittlungsorgan den Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen hat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen wurden, nicht bejaht werden, wenn dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein.

(2) Nach diesen Maßstäben folgt aus einem Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht kein Beweisverwertungsverbot: Es geht um die Aufklärung besonders schwerwiegender Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO, nämlich Verbrechen nach § 30a Abs. 1 BtMG, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von 15 Jahren bedroht sind (vgl. zur Notwendigkeit der effektiven Bekämpfung solcher Straftaten; BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 57; Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, ABl. L 335, S. 8). Andere Beweismittel stehen hier für die Überführung des Angeklagten nicht zur Verfügung. Die SkyECC-Protokolle sind als Beweismittel besonders ergiebig, da die Beteiligten darin offen über Drogengeschäfte in erheblichem Umfang kommunizierten. Der Angeklagte konnte sich im Strafprozess auch mittelbar gegen die Abhörmaßnahme durch einen Verwertungswiderspruch wehren, so dass er unter anderem hierdurch seine Verteidigungsrechte effektiv wahren konnte (vgl. zu diesem Erfordernis EuGH, Urteile vom 30. April 2024 – C-670/22 Rn. 130 und vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a. – C-511/18, C-512/18, C-520/18 Rn. 226). Demgegenüber fällt der Umstand, dass den französischen Behörden bereits früh klar war, dass die Überwachung der Telekommunikation eine Vielzahl von Personen in anderen Ländern betrifft, wegen des geringen Grads der Persönlichkeitsrelevanz der Chatnachrichten nicht erheblich ins Gewicht. Zudem durfte der Kernbereich der Lebensführung infolge der Einschränkung der Beschlagnahmeanordnung nicht aufgezeichnet werden.

(cc) Gegen Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA ist ebenfalls nicht verstoßen worden.

(1) Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA, der die EEA zur Übermittlung von Beweismitteln regelt, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates befinden, setzt für deren Rechtmäßigkeit voraus, dass die Übermittlung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte angeordnet werden können. Dagegen verlangt Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA gerade nicht, dass der Erlass einer EEA, die auf einen Beweismitteltransfer gerichtet ist, denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie im Anordnungsstaat (Deutschland) für die Erhebung dieser Beweise gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024 – C-670/22 Rn. 91 ff.). Selbst unter Heranziehung einer Online-Durchsuchung nach § 100b StPO, deren Erkenntnisse der strafprozessual restriktivsten Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO unterliegen, hätten die Beweismittel in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter den gleichen Bedingungen übermittelt werden können. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden ersuchten die französischen Behörden in einem gegen namentlich bekannte Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren u.a. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG), mithin einer Katalogtat nach § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO, um Übermittlung von Inhaltsdaten konkreter SkyECC-Nutzer. Der Tatverdacht, der auch im Einzelfall besonders schwer wog (§ 100b Abs. 1 Nr. 2 StPO), ergab sich aus technischen Überwachungsmaßnahmen, der Beschlagnahme des Marihuanas sowie der Sicherstellung und Auswertung der von gesondert verfolgten Beschuldigten genutzten SkyECC-Telefone. Das weitere Aufklären des Sachverhalts sowie die Ermittlung der an der Tatbegehung maßgeblich beteiligten, durch die jeweiligen SkyECC-IDs konkretisierten, jedoch noch namentlich unbekannten Personen wie der Angeklagte wären ohne diese Beweismittel nicht möglich gewesen. Die sich hieraus gegen den Angeklagten nach § 100b Abs. 1 und Abs. 2 StPO ergebende erforderliche Verdachtslage, die auch im Einzelfall schwer wiegt, bestand spätestens im Verwertungszeitpunkt der Beweisergebnisse (vgl. dazu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. November 2024 – 2 BvR 684/22 Rn. 99; BGH, aaO Rn. 70 mwN). Die Daten betreffen zudem keine Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung (§ 100d Abs. 2 Satz 1 StPO).

(2) Schließlich führt die Neuregelung durch das KCanG zu keiner anderen Beurteilung. Denn das bandenmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG) ist Katalogtat der Online-Durchsuchung (§ 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO).

(dd) Ein Beweisverwertungsverbot ergibt sich letztlich auch nicht aus einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers.“

 

KCanG II: Verwertung „alter“ Überwachungsdaten, oder: Bewährung bei Neufestsetzung der Strafe?

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Und im zweiten KCanG-Posting des Tages dann drei Entscheidungen aus der Instanz, und zwar zum Verfahrensrecht. Die beiden OLG Entscheidungen befassen sich noch einmal mit der Verwertung „alter“ Erkenntnisse aus der Überwachung von Messenger-Diensten unter Geltung des KCanG. Die LG Entscheidung befasst sich mit der Neufestsetzung der Strafe nach dem KCanG.

Hier sind:

Soweit einige Obergerichte unter Anwendung der Encro-Chat-Rechtsprechung des BGH aufgestellten Grundsätze die Zulässigkeit der Verwertung von Daten aus Kryptierdiensten beim Vorliegen von „nur“ Vergehen, auch bei Verwirklichung besonders schwerer Fälle, nach dem KCanG verneint, da der seitens des BGH fruchtbar gemachte Schutzbereich von §§ 100e Abs. 6, 100b StPO insoweit mangels Vorliegens von Katalogtaten nicht (mehr) eröffnet sei, tritt der Senat dieser Rechtsprechung nicht bei. Der Entscheidung des BGH zum Kryptierdienst kann eine Beschränkung dahingehend, dass stets der „fruchtbar gemachte Grundgedanke der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO)“ in allen gleichgelagerten Fallgestaltungen heranzuziehen ist, nicht entnommen werden. Vielmehr sind nach dieser Entscheidung auch Verwendungsschranken unterhalb des Schutzniveaus von §§ 100e Abs. 6, 110b StPO in Betracht zu ziehen.

Die Verwertung von Informationen, die aufgrund der Überwachung und Entschlüsselung von Kommunikationsvorgängen in den Kryptiersystemen SkyECC und An0m durch Ermittlungsbehörden ausländischer Staaten erhoben und im Wege der Rechtshilfe erlangt wurden, erfüllt dann die Voraussetzung der strikten Verhältnismäßigkeit, wenn die zugrunde liegende Tat vom Katalog des § 100a Abs. 2 StPO (vorliegend: § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG) erfasst ist und auch die übrigen Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO gegeben sind.

1. Eine nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB veranlasste Neufestsetzung der Strafe erfordert bei Festsetzung einer aussetzungsfähigen Strafe auch eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung.

2. Mit der Aussetzungsentscheidung ist die Bewährungszeit neu festzusetzen. Die Bewährungszeit beginnt nach § 56a Satz 1 StGB mit Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung.

3. Auf die neue Bewährungszeit ist die Zeit, in der der Verurteilte seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils unter Bewährung stand, anzurechnen.

KCanG III: Verwertbarkeit von „alten“ SkyECC-Daten, oder: KCanG reicht nicht für Online-Durchsuchung

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Und dann noch etwas zu den Auswirkungen des KCanG auf die Verwertbarkeit von (alten) Messengerdienst-Daten. Darüber habe ich ja schon ein paar Mal berichtet (vgl. u.a. StPO I: Encrochat-/ANOM-/SkyECC-Daten und KCanG, oder: OLG Stuttgart/LG Saarbrücken ggf. unverwertbar; oder: KCanG II: SkyECC-Chatinhalte und das neue KCanG, oder: LG Köln hält sie für verwertbar,oder: KCanG I: Handel mit „nicht geringer Menge“ strafbar?, oder: Einmal hopp, einmal topp zum neuen KCanG).

Dazu habe ich jetzt eine weitere Entscheidung erhalten, und zwar den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.07.2024 – 3 Ws 221/24. Ergangen ist die Entscheidung in einem beim LG Mannheim anhängigen Verfahren. In dem hatte die Staatsanwaltschaft Mannheim Anklage zum Landgericht Mannheim wegen des Verdachts der Einfuhr von Betäbungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in vier Fällen sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erhoben. Dem Angeschuldigten wurde zur Last gelegt: Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, spätestens im April 2020, entschloss sich der zu diesem Zeitpunkt in Spanien aufhältige Angeschuldigte dazu, einen schwunghaften Drogenhandel zu betreiben und die Betäubungsmittel, insbesondere Marihuana und Kokain, in großen Mengen bei seinen Lieferanten in Spanien zu erwerben, um sie sodann ebenfalls in großen Mengen an Abnehmer in Deutschland zu verkaufen und sie dazu in Lkws mit Hilfe von Transportpersonen von Spanien nach Deutschland zu transferieren. Die Absprachen der Verkäufe erfolgten mittels sogenannter Krypta-Handys unter Verwendung des als abhörsicher geltenden Messenger-Dienstes SkyECC. Hierbei nutzte der Angeklagte zwei Kennungen. Dadurch wollte sich der Angeschuldigte eine laufende Einnahmequelle von einigem Umfang und gewisser Dauer sichern und seinen Lebensunterhalt und Eigenkonsum finanzieren.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens, in dem dem Angeklagten insgesamt fünf Tatkomplexe zur Last gelegt worden sind, u.a. mit der Begründung abgelehnt, weil die aus der Überwachung des Chatverkehrs des Angeklagten gewonnenen Erkenntnisse aus dem Messenger-Dienst SkyECC nach Inkrafttreten des KCanG nicht mehr verwertbar seien. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der StA hatte keinen Erfolg:

„Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist zu beschließen, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§ 203 StPO). Hinreichende Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhalts vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlieh ist (Senat, Beschl. v. 21.07.2005 — 3 Ws 165/04, BeckRS 2005, 33531, beck-online). Auf diese Verdachtsprognose in Gestalt der strafprozessualen Reproduzierbarkeit der im Ermittlungsverfahren erarbeiteten Erkenntnisse in der Hauptverhandlung können auch Beweisverwertungsverbote Einfluss gewinnen (vgl.. BGH, Beschl. v. 01.12.2016 — 3 StR 230/16, NStZ 2017, KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, StPO § 203 Rn. 9 m.w.N.).

Gemessen hieran besteht hinsichtlich der dem Angeschuldigten in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 08.03.2024 vorgeworfenen Tat Ziff. 2 keine Verurteilungswahrscheinlichkeit Das dem Angeschuldigten diesbezüglich zur Last gelegte Cannabisgeschäft lässt sich, wie im Sonderband „Fallakte 7″ ausführlich und überzeugend dargestellt, in tatsächlicher Hinsicht ohne weiteres aus dem Inhalt der über Kryptohandys des Anbieters SkyECC mit den Kennungen „K 1″ und „K 2“ ausgetauschten Nachrichten ableiten; welche von französischen Ermittlungsbehörden in einem dort geführten Verfahren erhoben und an die Staatsanwaltschaft Mannheim im Wege einer Europäischen Ermittlungsanordnung übermittelt wurden. Weitere einen Verdacht begründende Erkenntnisse liegen hingegen nicht vor.

Allerdings besteht hinsichtlich dieser Inhalte nach Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz — CanG) vom 27.03.2024 (BGBl I, 2024 Nr. 109) am 01.04.2024 ein Beweisverwertungsverbot.

Gesetzliche Rechtsgrundlage für die Verwertung von in einer Hauptverhandlung zu erhebenden Beweisen ist § 261 StPO und zwar unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise – etwa im Wege der Rechtshilfe – erlangt worden sind. Denn die Frage, ob im Wege der Rechtshilfe erlangte Beweise verwertbar sind, richtet sich ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, soweit – wie hier – der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2022 — 5 StR 457/21 —, juris, Rn. 25 ff.). Da die in Grundrechte eingreifende Ermittlungsmaßnahmen anders als bei inneren oder im Wege der europäischen Rechtshilfe ersuchten ausländischen Ermittlungsmaßnahmen nicht schon bei deren Anordnung, etwa durch Beschränkung auf besonders schwere Straftaten oder Fälle qualifizierten Verdachts, limitiert werden können, sind die dadurch möglichen Unterschiede bei den Eingriffsvoraussetzungen auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren. Hierfür kann auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2022, aaO., Rn. 68). Zur Verwertung von Daten von Nutzern des Kommunikationsdienstes EnchroChat, die von französischen Ermittlungsbehörden auf Grundlage einer Europäischen Ermittlungsanordnung übermittelt wurden, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass hinsichtlich der Frage der Verwertbarkeit die Vorschrift des § 100e Abs. 5 StPO nach ihrem Wortlaut nicht ausdrücklich angewendet werden kann, da die in Rede stehenden Daten nicht durch Maßnahmen nach den §§ 100b, 100c StPO, sondern durch eigenständige Maßnahmen nach französischem Prozessrecht gewonnen wurden. Allerdings können aufgrund des Gewichts der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – auch um jede Benachteiligung auszuschließen – die Grundgedanken des § 100e Abs. 6 StPO als Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau fruchtbar gemacht werden (vgl. BGH Beschluss vom 02.03.2022 — 5 StR 457/21, aaO., Rn. 65 f.). Daraus folgt, dass eine Beweisverwertung von Erkenntnissen aus dem Kernbereich privater Lebensführung stets unzulässig ist (vgl. auch § 100d Abs. 2 Satz 1 StPO) und darüber hinaus nach der Wertung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO die im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung einer Straftat, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden dürfen. Hierbei sind auch die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisierenden einschränkenden Voraussetzungen in § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO in den Blick zu nehmen, wonach die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein muss (vgl. BGH Beschluss vom 02.03.2022 — 5 StR 457/21, aaO, Rn. 68-69). Für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Beweisergebnisse abzustellen (BGH, Beschluss vom 02.03.2022 — 5 StR 457/21, aaO, Rn. 70).

Dieselben Maßstäbe gelten – da sich die Rahmenbedingungen für die Datenerhebung in Frankreich und die Übermittlung der Daten im Wege einer Europäischen Ermittlungsanordnung nicht wesentlich unterscheiden – auch für die Verwertung von im Wege. europäischer Rechtshilfe erlangter Beweisergebnisse hinsichtlich des Krypto-Messengers SkyECC. Ebenso wie die Encro-Chat-Daten sind diese in einem französischen Ermittlungsverfahren erhoben worden und auch die wesentlichen Rahmenbedingungen stimmen zwischen den beiden Anbietern überein. lnsbesondere befand sich – ausweislich der vorliegenden Beschlüsse des in beiden Fällen zuständigen Gerichts in Lille – bei beiden Anbietern der Server, über den die Kommunikation erfolgte, an einem Standort in Roubaix und das Angebot sowohl von Encrochat als auch von SkyECC war dadurch gekennzeichnet, dass die Geräte nicht über legale Vertriebswege verkauft wurden und für die verschlüsselten Geräte ein außergewöhnlich hoher Preis — etwa 1.500 Euro für eine sechsmonatige Nutzung –  zu zahlen war, obwohl die Geräte selbst nur über einen sehr eingeschränkten Funktionsumfang verfügten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 15.11:2021 — 2 HEs 24 – 30/21 -, Rn. 23, juris).

Gemessen an den genannten Grundsätzen wäre eine Verwertbarkeit der über den Krypto-Messenger SkyECC erlangten Erkenntnisse nur dann zu bejahen, wenn die betreffenden Taten im Verwertungszeitpunkt noch den Anforderungen des § 100b StPO genügten, insbesondere wenn sie auch nach Inkrafttreten des CanG noch Katalogtaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO darstellten (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 06.06.2024 – 2 Ws 251/24 -, n.v.; KG Berlin, Beschluss s 67/24 – 121 GWs 38/24 juris zu EncroChat; OLG Stuttgart, Beschluss Ws 123/24 – Burhoff online zu Anom).

Im hier zu entscheidenden Fall unterfällt die dem Angeschuldigten in der Anklageschrift vom 08.04.204 zur Last gelegte Tat Ziff. 2, die alleine die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Mannheim nach § 7 StPO begründen könnte, nach dem zum 01.04.2024 als Art. 1 CanG in Kraft getretenen KCanG nicht mehr dem BtMG, sondern ist als Handeltreiben mit Cannabis in Tateinheit mit Einfuhr von Cannabis, gemäß §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 4 und 5, 34 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KCanG zu werten, wobei die Tat eine nicht geringe Mengen Cannabis betrifft und aufgrund der erheblichen Mengen und des Marktwerts eine gewerbsmäßige Begehungsweise nahe liegt, weshalb die Tat einen besonders schwereren Fall gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG darstellt. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Tat einen Verbrechenstatbestand des § 34 Abs. 4 KCanG erfüllt, sind nicht gegeben.

Durch Art. 13a des CanG wurden zeitgleich mit Inkrafttreten des KCanG strafprozessuale Befugnisnormen, u.a. auch § 100b StPO, geändert. Nach § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO in der ab dem 01.04.2024 gültigen Fassung sind schwere Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 1 Nr. 1 StPO die Verbrechenstatbestände des § 34 Absatz 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG. Zu dem maßgeblichen Verwendungszeitpunkt – also der Verwertung der Erkenntnisse im Zwischen- und Hauptverfahren – lag demnach keine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO mehr vor, weshalb die Verwertbarkeit der Daten ausscheidet und diese zur Begründung des hinreichenden Tatverdachts nicht mehr herangezogen werden können (vgl. OLG Köln aaO.; KG aaO.; OLG Stuttgart aaO).

Soweit im Hinblick auf die Verwertung von im Ausland erhobenen und nach Deutschland zum Zwecke der StrafverfoIgung übermittelten Daten von Krypto-Messengem vertreten wird, für die Frage der Verwertbarkeit sei allein auf den Zeitpunkt der Erhebung abzustellen, da rechtliche Veränderungen ebenso zu behandeln seien wie Veränderungen der Verdachtslage, für die anerkannt sei, dass es für die Prüfung der Verwertbarkeit auf den Zeitpunkt der Anordnung der Eingriffsmaßnahme oder der Verwendung in einem anderen Strafverfahren ankommt (vgl. – nicht tragend – Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 13. Mai 2024 -1 Ws 32/24 – Rn. 72) überzeugt dies nicht. Denn in der Verwendung der aus einem anderen Strafverfahren stammenden personenbezogenen Daten in einem anhängigen Verfahren und in deren Verwertung in einer in diesem Verfahren zu treffenden ‚gerichtlichen Entscheidung liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff. Ob für diesen eine gesetzliche Grundlage besteht, kann und muss daher nach der für den Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltenden Rechtslage beurteilt werden (BGH, Beschluss vom 21 November 2012— 1 StR 310/12 —, juris, Rn. 45). Nach ständiger Rechtsprechung ist daher bei sich im Verlaufe eines anhängigen Strafverfahrens ändernden strafprozessualen Vorschriften für die Beurteilung der prozessualen Zulässigkeit die neue Rechtslage maßgebend (vgl. BGH, Beschluss. vom 19. Februar 1969 — 4 StR 357/68 -, juris, Rn11; BGH, Urteil vom 27. November 2008 — 3 StR 342/08 juris, Rn. 13; BGH, Beschluss vom 21. November 2012 — 1 StR 310/12, aaO., Rn. 45; BGH, Beschluss vom 02.03.2022 – 5 StR 57/21, aaO., Rn. 70).

Soweit in der Literatur vertreten wird, dass für den Fall, dass nach bisherigem Recht rechtmäßige Maßnahmen für unzulässig erklärt werden, die Frage der Verwertbarkeit der Erkenntnisse – falls keine besondere Überleitungsvorschrift bestehe – jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Zwecks der Neuregelung zu beantworten sei (vgl. Kühne/Gössel/Lüderssen in Löwe-Rosenberg StPO, 27. Aufl. 2016, Einleitung E, Rn. 22), führt auch diese Auffassung im vorliegenden Fall nicht zur Verwertbarkeit der von den französischen Ermittlungsbehörden übermittelten Erkenntnisse. Denn eine Prüfung durch den ersuchenden Staat, ob der ersuchte Staat dort vorhandene Beweismittel nach dem Maßstab seiner eigenen nationalen Verfahrensregeln rechtmäßig erlangt hat, ist nicht vorgesehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 06.06.2024, 2 Ws 251/24; BGH, Beschluss vom 02.03.2022 — 5 StR 457/21, aaO., Rn. 26).

Dürfen demgemäß die hier verfahrensgegenständlichen Chatnachrichten nur zur Verfolgung von auch im Einzelfäll besonders schwerwiegenden Straftaten im Sinne § 100b Abs. 2 StPO verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos und der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt ist, und ist zudem für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, auf den Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse im deutschen Strafverfahren abzustellen, unterliegen die hier relevanten Chat-Nachrichten der Kennungen „K 1″ und „K 2″ nach Inkrafttreten KCanG seit dem 01.04.2024 einem Beweisverwertungsverbot.

Ob auch hinsichtlich der dem Angeschuldigten in der Anklageschrift vom 08.03.2024 zur Last gelegten Taten Ziff. 1, 4 und 5 ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, kann jedenfalls derzeit dahinstehen. Denn aufgrund des nicht gegebenen Tatortes in Mannheim und in Ermangelung anderer Gerichtsstände ist hinsichtlich dieser Taten eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Mannheim nicht begründet. Da die örtliche Unzuständigkeit einer sachlichen Entscheidung über das Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen entgegensteht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.1998 – 2 Ws 6/98, NStZ-RR 1999, 16; KK-StPO/Gellhorn, 9. Aufl. 2023, StPO § 16 Rn. 8; 3 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, § 16 Rn. 4 m.w.N.), war es dem Landgericht verwehrt, die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich dieser Taten abzulehnen. Daher war auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Ziff. 3 des angegriffenen Beschlusses aufzuheben, soweit dort die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der dem Angeschuldigten in der Anklageschrift vom 08.03.2024 zur Last gelegten Taten Ziff. 1, 4 und 5 abgelehnt wurde, und insoweit die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Mannheim festzustellen.“

StPO I: EuGH – Verwertung von Encro-Chat? Ja, aber, oder: LG Kiel sieht keine Auswirkungen

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Und dann heute StPO-Entscheidungen – aus der Instanz. Na ja, fast 🙂

Ich erinnere. Das LB Berlin hatte mit dem LG Berlin, Beschl. v. 01.07.2021 – (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21); dem EuGH einige Fragen zur Verwertbarkeit der durch die EncroChat-Übewachung gewonnenen Ergebnisse vorgelegt (vgl. dazu Sondermeldung zur Verwertbarkeit von EncroChat, oder: Endlich Vorlage an den EuGH durch das LG Berlin.

Inzwischen hat sich, worüber ja auch schon an anderen Stellen berichtet worden ist, der EuGH zu den Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln in grenzüberschreitenden Strafverfahren geäußert und die präzisiert. Dabei hat er die deutsche Rspr. bestätigt, wonach die Staatsanwalt Daten, die von ausländischen Behörden gewonnen werden, auch dann verwenden dürfen, wenn die Maßnahme in Deutschland nicht zulässig gewesen wäre (EUGH, Urt. v. 30.4.2024 – C-670/22).

Ich will hier jetzt nicht – die immer – ein wenig schwer lesbare Entscheidung des EuGH einstellen, sondern nur die Grundzüge der Entscheidung mtteilen, die sich etwa wie folgt zusammenfassen lassen:

  • Eine EAA, die auf die Übermittlung von Beweismitteln gerichtet ist, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats (hier: Frankreich) befinden, muss nicht notwendigerweise von einem Richter erlassen werden. Sie kann von einem StA erlassen werden, wenn dieser in einem rein innerstaatlichen Verfahren dafür zuständig ist, die Übermittlung bereits erhobener Beweise anzuordnen.
  • Der Erlass einer solchen EAA unterliegt denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen, wie sie für die Übermittlung ähnlicher Beweismittel bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gelten. Es ist nicht erforderlich, dass er denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie für die Erhebung der Beweise gelten. Jedoch muss ein Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen diese Anordnung befasst ist, die Wahrung der Grundrechte der betroffenen Personen überprüfen können.
  • Der EuGH stellt außerdem klar, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Zielperson der Überwachung befindet, von einer mit der Infiltration von Endgeräten verbundenen Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs-, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdienstes unterrichtet werden muss. Die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats hat dann die Möglichkeit, mitzuteilen, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, wenn diese Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde.
  • Das nationale Strafgericht muss in einem Strafverfahren gegen eine Person, die der Begehung von Straftaten verdächtig ist, Beweismittel unberücksichtigt lassen, wenn die betroffene Person nicht in der Lage ist, zu ihnen Stellung zu nehmen, und wenn sie geeignet sind, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen.

So traurig es ist: Aus der Entscheidung des EuGH  lässt sich wohl kein Beweisverwertungsverbot VV hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Und auf der Linie liegt dann auch gleich eine LG Entscheidung, und zwar der LG Kiel, Beschl. v. 08.05.2024 – 7 KLs 593 Js 18366/22 -, der weiterhin die Verwertbarkeit von Encrocaht bejaht:

„Auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30.04.2024 betreffend EncroChat lässt sich – entgegen den Ausführungen der Verteidigung in der Haftbeschwerde – kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der EncroChat- bzw. SkyECC-Daten entnehmen. Der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung u.a. ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/41 nicht dem Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung entgegensteht, wenn die Integrität der durch die Überwachungsmaßnahme erlangten Daten wegen der Vertraulichkeit der technischen Grundlagen, die diese Maßnahme ermöglicht haben, nicht überprüft werden kann, sofern das Recht auf ein faires Verfahren im späteren Strafverfahren gewährleistet ist. Die Integrität der übermittelten Beweismittel kann grundsätzlich nur zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem die zuständigen Behörden tatsächlich über die fraglichen Beweismittel verfügen (EuGH, Urt . v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 90). Darüber hinaus ist die Europäische Ermittlungsanordnung ein Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Sinne von Art. 82 Abs. 1 AEUV, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen beruht. Dieser Grundsatz, der den „Eckstein“ der Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bildet, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen sowie auf der widerlegbaren Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Daraus folgt, dass die Anordnungsbehörde, wenn sie mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung um Übermittlung von Beweismitteln ersucht, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats befinden, nicht befugt ist, die Ordnungsmäßigkeit des gesonderten Verfahrens zu überprüfen, mit dem der Vollstreckungsmitgliedstaat die Beweise, um deren Übermittlung sie ersucht, erhoben hat. Insbesondere würde eine gegenteilige Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2014/41 in der Praxis zu einem komplexeren und weniger effizienten System führen, das dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel abträglich wäre (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az. C-670/22, Rn. 99 f.). In einem Strafverfahren im Anordnungsstaat ist bei der Bewertung. der mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Beweismittel sicherzustellen, dass die Verteidigungsrechte gewahrt und ein faires Verfahren gewährleistet wird, was impliziert, dass ein Beweismittel, zu dem eine Partei nicht sachgerecht Stellung nehmen kann, vom Strafverfahren auszuschließen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.04.2024, Az, C-670/22, Rn. 130).

Diese Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes sind auch auf die SkyECC-Daten übertragbar.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Verteidigungsrechte des Angeklagten gewahrt sind und ein faires Verfahren gewährleistet wird. Insbesondere *besteht für den Angeklagten die Möglichkeit zu sämtlichen vorliegenden Daten sachgerecht Stellung zu nehmen. Es liegen zudem die französischen Beschlüsse im Zusammenhang mit der Erhebung der SkyECC-Daten vor (SB französische Beschlüsse I und II), sodass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verfahrensbeteiligten nachprüfbar waren und sind. Hinsichtlich der Übereinstimmung der im‘ hiesigen Verfahren zu Grunde liegenden Daten mit den durch die französischen, Behörden übermittelten SkyECC-Daten hat die Kammer bereits Beweis erhoben durch Vernehmung des.Zeugen pp. des LKA .Kiel, u.a. über .dessen durchgeführten Datenabgleich. Danach ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Datenverfälschung in Deutschland. ‚Soweit es den französischen Bereich betrifft, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Daten fehlerhaft und inhaltlich verfälschend aufgezeichnet und ausgewertet worden sind. Widersprüche bei den Zahlen und sonstigen Datenwiedergaben sieht die Kammer nicht. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Chats die Kommunikation nicht lückenlos wiedergeben. Das hat sie berücksichtigt und wird es weiter berücksichtigen.“

Nach der EuGH-Entscheidung wird man sich fragen (müssen), ob eigentlich EncroChat noch ein „vernünftiger“ Verteidigungsansatz ist. Jedenfalls wird das Verteidigen mit EncroChat sicherlich nicht leichter.