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StPO I: BVerfG nochmals zur „Umgrenzungsfunktion“, oder: Wie oft muss sich das BVerfG dazu noch äußern?

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Und in die 34. KW. geht es dann mit zwei Entscheidungen zu Zwangsmaßnahmen, und zwar einmal von ganz oben – also BVerfG – und einmal „nur“ von oben, also BGH.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 27.06.2024 – 1 BvR 1194/23. Es geht mal wieder um die nicht ausreichende Umgrenzung eines Durchsuchungsbeschlusses. Folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hehlerei. Im November 2022 hatte der Marktleiter eines Baumarkts der Polizei mitgeteilt, dass in letzter Zeit häufiger hochwertige Baumarktartikel gestohlen worden seien. Bei Recherchen im Internet sei er auf einen eBay-Account gestoßen, auf dem u.a. die entwendeten Gegenstände angeboten worden seien. Die Polizei konnte den eBay-Account dem Beschulidgetn zuordnen. In den Wochen vor Einleitung der Ermittlungen waren über diesen Account 69 zum Großteil neuwertige und originalverpackte Baumarktartikel zum Kauf angeboten worden. Eine Liste aller inserierten Artikel wurde zu den Akten genommen.

Am 18.01.2023 ordnete das AG „wegen Hehlerei“ die Durchsuchung der Person, der Wohnung und der sonstigen Räume des Beschwerdeführers an. Die Durchsuchung habe insbesondere den Zweck, als Beweismittel „entwendete Badarmaturen“ und „sonstige entwendete Baumarktartikel“ aufzufinden. Die Beschlagnahme dieser Beweismittel wurde angeordnet. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dem Beschwerdeführer werde zur Last gelegt, über eBay-Kleinanzeigen unter seinem Account „diverse Artikel“ zum Verkauf anzubieten, die zuvor in dem näher benannten Baumarkt entwendet worden seien. Der Tatverdacht beruhe auf den Online-Ermittlungen der Polizei und der Auskunft des Marktleiters des Baumarktes. Nach den bisherigen Ermittlungen sei zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, die für die Ermittlungen von Bedeutung seien, führen werde. Es folgte eine kurze Feststellung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung.

Die Durchsuchung wurde am 26.01.2023 vollzogen. Der Beschuldigte legte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein, die vom LG verworfen wurde.

Dagegen dann noch die Verfassungsbeschwerde, die Erfolg hatte. Nach dem üblichen „allgemeinen Vorspann“ führt das BVerfG zur Sache aus:

„b) Danach genügt der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts den an seine Umgrenzung zu stellenden Anforderungen nicht. Seine Formulierung ist nicht dazu geeignet, sicherzustellen, dass der Eingriff in das Wohnungsgrundrecht des Beschwerdeführers messbar und kontrollierbar blieb.

Der Durchsuchungsbeschluss benennt die gesuchten Beweismittel für sich genommen nicht hinreichend konkret (aa). Eine hinreichende Umgrenzung der gesuchten Beweismittel kann auch der weitere Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses nicht leisten, weil er keine für eine hinreichende Umgrenzung ausreichend konkreten Angaben zum tatsächlichen oder rechtlichen Tatvorwurf einschließlich der konkreten vorgeworfenen Vortaten (bb) und insbesondere keinerlei Angaben zum Tatzeitraum (cc) enthält; ebenso fehlen für eine hinreichende Umgrenzung ausreichende Angaben zu Indizien, die den Tatvorwurf trügen (dd). Auch in einer Gesamtschau steckt der Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses den äußeren Rahmen der Durchsuchung nicht hinreichend ab (ee). Eine nähere Beschreibung der gesuchten Beweismittel wäre dem Amtsgericht schließlich auch nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen (ff).

aa) Der Durchsuchungsbeschluss enthält für sich genommen keine hinreichend konkret umgrenzte Angabe der gesuchten Beweismittel. Diese gibt der Beschluss lediglich mit „entwendete Badarmaturen“ und „sonstige entwendete Baumarktartikel“ an. Dies allein genügt nicht, um dem Beschwerdeführer als Betroffenen und den Ermittlungspersonen präzise aufzuzeigen, wonach gesucht werden sollte. Denn insbesondere die Umschreibung als „sonstige entwendete Baumarktartikel“ ist erheblich zu weit, um die Durchsuchung eines Privathaushalts hinreichend mess- und kontrollierbar zu begrenzen. Umfasst sind ausdrücklich alle Artikel aus dem Sortiment eines Baumarktes. Darunter können eine Vielzahl von Gegenständen in diversen Stückelungen und sehr unterschiedlichen Preiskategorien fallen. Baumärkte verkaufen ein sehr breites und vielfältiges Sortiment. Darüber hinaus lässt die Umschreibung der gesuchten Beweismittel nicht erkennen, ob nur Baumarktartikel gesucht werden, die in einer bestimmten Art und Weise verpackt sind (etwa originalverpackt), einen bestimmten Zustand (etwa neuwertig) aufweisen, einen bestimmten Wert oder eine bestimmte Größe haben oder in einer bestimmten Anzahl aufgefunden werden. Eine solche Umgrenzung wäre insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil zu erwarten ist, dass sich in einem durchschnittlichen Privathaushalt eine Vielzahl von alltäglich genutzten Gegenständen befindet, die im Sortiment eines Baumarktes enthalten sein können und daher von der Beschreibung der gesuchten Beweismittel im Durchsuchungsbeschluss erfasst wären.

bb) Auch die im Durchsuchungsbeschluss enthaltenen Angaben zum Tatvorwurf, dem ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt oder den für eine Hehlerei erforderlichen Vortaten können die Mängel der Umgrenzung nicht hinreichend kompensieren, um Umfang und Tiefe der Durchsuchung mess- und kontrollierbar zu gestalten. Der Durchsuchungsbeschluss erwähnt weder § 259 Abs. 1 StGB, noch wird die dortige Beschreibung des Straftatbestands der Hehlerei wörtlich zitiert oder wenigstens paraphrasiert. Die einzige Erwähnung der „Hehlerei“ findet sich im Rubrum des Durchsuchungsbeschlusses. Darüber hinaus fehlen Angaben über die konkret entwendeten oder zum Verkauf angebotenen Gegenstände, die möglichen Täter, den möglichen Ablauf und die Anzahl etwaiger Vortaten. Statt einer auf Grundlage der vorhandenen Inserate-Liste oder der Zeugenaussage des Marktleiters formulierten Beschreibung der im Baumarkt entwendeten oder vom Account des Beschwerdeführers aus verkauften Gegenstände spricht der Durchsuchungsbeschluss nur von „diverse[n] Artikeln“. Auch der subjektive Tatbestand (Wissen und Wollen des Verkaufens gestohlener Gegenstände) ist nicht im Ansatz beschrieben. Dem konkreten Tatvorwurf im Durchsuchungsbeschluss lässt sich mangels subjektiven Tatbestands weder eine Verwirklichung eines Strafgesetzes noch eine Vollendung der Tat („zum Verkauf anzubieten“) entnehmen.

cc) Eine hinreichende Umgrenzung des Durchsuchungsbeschlusses ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen zeitlichen Eingrenzung des Tatvorwurfs, da eine solche fehlt. Die Formulierung des Tatvorwurfs im Präsens mag darauf hindeuten, dass dem Beschwerdeführer eine noch andauernde Handlung vorgeworfen wird. Das hilft aber über die mangelnde Eingrenzung nicht hinweg, weil nicht erkennbar ist, seit wann das vorgeworfene Handeln andauert (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, Rn. 31). Die vorgeworfenen Taten sind auch keine Dauerdelikte, so dass es auf ihren Beginn nicht ankäme (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 1872/05 -, Rn. 11). Vielmehr werden dem Beschwerdeführer mehrere einzelne, aber nicht weiter konkretisierte Hehlereitaten vorgeworfen. Es ist aus dem Durchsuchungsbeschluss nicht einmal erkennbar, ob die vorgeworfenen Taten möglicherweise bereits verjährt sind (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, Rn. 31). Das gilt insbesondere insofern, als die Wertung, ab welchem Zeitpunkt Taten in der Vergangenheit möglicherweise verjährt sind, mangels Angaben dazu, ob dem Beschwerdeführer versuchte oder vollendete Delikte als Täter oder Teilnehmer vorgeworfen werden, für Beschwerdeführer und Ermittlungspersonen auf Grundlage des Durchsuchungsbeschlusses nicht möglich ist; selbst aus einer angenommenen zeitlichen Beschränkung des Tatvorwurfs auf nichtverjährte Taten könnte sich daher keine mess- und kontrollierbare Begrenzung ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. April 2017 – 2 BvR 2551/12 -, Rn. 25).

dd) Soweit der Durchsuchungsbeschluss einige wenige Indizien (den Namen des verwendeten Accounts, Name und Anschrift des Baumarktes) nennt, können diese hier von vornherein keine mess- und kontrollierbare Umgrenzung der Durchsuchung leisten.

ee) Auch in einer Gesamtschau steckt der Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses den äußeren Rahmen der Durchsuchung nicht hinreichend ab. Weder die inhaltliche, zeitliche oder rechtliche Umschreibung des Tatvorwurfs und der Vortaten noch die Benennung der Beweismittel zeigt klar auf, welche Baumarktartikel gesucht werden sollen. Dadurch war es dem Beschwerdeführer auch praktisch nicht möglich, durch die Herausgabe von Gegenständen die Durchsuchung abzuwenden. Denn weder der Beschwerdeführer noch die Ermittlungspersonen hätten abschätzen können, welche Gegenstände der Beschwerdeführer freiwillig herausgeben müsste, um weitere Durchsuchungshandlungen abzuwenden.

ff) Die Anforderungen an eine Umgrenzung der gesuchten Beweismittel waren hier auch nicht deshalb abgesenkt, weil dem Amtsgericht eine nähere Beschreibung nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 96, 44 <51>; 103, 142 <151>). So gab es zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses zahlreiche Anhaltspunkte in den Akten, deren Aufnahme in den Durchsuchungsbeschluss den äußeren Rahmen der Durchsuchung hätten begrenzen können – ohne dass die Aufnahme dieser einzelnen Punkte für sich genommen verfassungsrechtlich geboten gewesen wäre. Hervorzuheben ist hier insbesondere die praktisch übliche und im Regelfall unerlässliche (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. September 2004 – 2 BvR 2105/03 -, Rn. 11) Nennung des groben Tatzeitraums, die vorliegend eine deutliche Umgrenzung des Durchsuchungsbeschlusses ermöglicht hätte. Die hier fehlende zeitliche Eingrenzung ist nicht mit typischerweise fehlenden Details aufgrund des frühen Stadiums der Ermittlungen zu erklären. Vielmehr hatte die Polizei eine konkrete Auflistung von 69 verdächtigen Verkaufsanzeigen mit Erstellungsdatum zur Akte genommen. Auch die Angaben des Marktleiters als Zeugen, dass es „in den vergangenen Wochen vermehrt zu Diebstählen gekommen sei“, machen jedenfalls eine grobe Eingrenzung des Zeitraums sowohl der Vortaten als auch der konkret vorgeworfenen Hehlereitaten möglich. Auch durch eine bloß beispielhafte Nennung einiger der Artikel aus den 69 dokumentierten Inseraten sowie insbesondere durch eine ausdrückliche Beschränkung auf neuwertige oder originalverpackte Ware hätte sich die Durchsuchung bedeutend besser messen und kontrollieren lassen.

c) Der Beschluss des Landgerichts konnte diesen Mangel nicht heilen. Zwar kann das Beschwerdegericht einzelne Inhalte eines Durchsuchungsbeschlusses ergänzen oder bewerten, die zu einer hinreichenden Umgrenzung beitragen können. Das gilt insbesondere für die Begründung der Annahme eines Tatverdachts, wenn die für die Begründung verwendeten Indizien bereits bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses vorlagen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03 -, Rn. 19 m.w.N.; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 10. September 2010 – 2 BvR 2561/08 -, Rn. 29), oder für Darlegungen zur Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03 -, Rn. 18). Mängel bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs und der zu suchenden Beweismittel können aber, wenn die Durchsuchung – wie hier – bereits stattgefunden hat, im Beschwerdeverfahren nicht mehr geheilt werden. Die Funktion des Richtervorbehalts, eine vorbeugende Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu gewährleisten, würde andernfalls unterlaufen (vgl. BVerfGK 5, 84 <88>). Auch kann eine Begrenzung der Durchsuchungsmaßnahme, die durch die Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses präventiv erreicht werden soll, durch eine erst nach der Durchführung ergehende Entscheidung nicht mehr herbeigeführt werden (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, Rn. 29 m.w.N.).

Dies hat das Landgericht verkannt. Die Zurückweisung der Beschwerde verletzt daher den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. auch Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juli 2020 – 2 BvR 1324/15 -, Rn. 30, und vom 19. Juni 2018 – 2 BvR 1260/16 -, Rn. 25, 30).“

Man fragt sich: Wie oft muss sich das BVerfG zu den Fragen denn noch äußern? Das haben wir doch schon alles so oder ähnlich gelesen. Für mich sind solche Entscheidungen von AG eine Unverschämtheit. immerhin geht es um die Unverletztlichkeit der Wohnung. Da wäre ein wenig Sorgfalt und Mühe wohl angebracht.

VerfG II: Erfolgreicher Eilantrag gegen Berufungsurteil, oder: Zu schnell geschossen beim LG Frankfurt/Main?

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Im zweiten Posting kommt dann hier der BVerfG, Beschl. v. 19.07.2024 – 2 BvR 829/24. In dem Beschluss hat das BVerfG in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das sich gegen ein Berufungsurteil richtet, das nach einer Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft in Abwesenheit des Verteidigers und des Angeklagten ergangen ist, eine einstweilige Anordnung erlassen, mit der die Vollstreckung aus dem landgerichtlichen Berufungsurteil ausgesetzt worden ist.

„1. Mit Urteil vom 3. März 2023 verurteilte das Amtsgericht Frankfurt am Main den Beschwerdeführer wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu jeweils 10,00 Euro; mit Urteil vom 17. März 2023 des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – wurde der Beschwerdeführer wegen versuchter Körperverletzung in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu jeweils 40,00 Euro verurteilt.

2. Gegen diese Urteile legten die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer Berufung ein. Ihre Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 2023 nahm die Staatsanwaltschaft später zurück.

Am 11. September 2023 erklärte der Verteidiger telefonisch, der Beschwerdeführer sei erkrankt und verhandlungsunfähig; ein Attest werde nachgereicht. Das Landgericht hielt am festgesetzten Termin zur Berufungshauptverhandlung am 13. September 2023 fest. Der Beschwerdeführer erschien zu diesem Termin nicht. Auch sein Verteidiger nahm an der Berufungshauptverhandlung nach entsprechender Ankündigung nicht teil.

Nach Verwerfung der Berufung des Beschwerdeführers durch gesondertes Urteil, das nicht Gegenstand dieses Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist, verhandelte das Landgericht Frankfurt am Main zu der allein noch offenen Berufung der Staatsanwaltschaft.

Mit hier angegriffenem Urteil vom 13. September 2023 fasste das Landgericht Frankfurt am Main das Urteil des Amtsgerichts vom 17. März 2023 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin neu und verurteilte den Beschwerdeführer wegen Störung des öffentlichen Friedens in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung zweier weiterer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

3. Die hiergegen eingelegte Revision des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 15. Mai 2024 als unbegründet. Das Oberlandesgericht sah die beiden von dem Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen, mit denen dieser die Verurteilung in seiner Abwesenheit und ohne Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers rügte, als unzulässig an, da sie nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügenden Form begründet worden seien.

4. Die mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 2023 verhängte Freiheitsstrafe wird mittlerweile vollstreckt.

II.

Am 21. Juni 2024 hat der Beschwerdeführer durch seinen Prozessbevollmächtigten Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf vorläufige Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe beantragt. Im Kern macht er geltend, die Verurteilung in seiner Abwesenheit und ohne Mitwirkung seines Verteidigers verletze sein Recht auf ein faires Verfahren.

III.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 143, 65 <87 Rn. 35>; 157, 332 <375 Rn. 68>; stRspr). Für die einstweilige Anordnung ist allerdings kein Raum, wenn sich die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist (vgl. BVerfGE 104, 23 <28>; 111, 147 <152 f.>; 157, 332 <375 Rn. 68>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 143, 65 <87 Rn. 35>; 157, 332 <377 Rn. 73>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 104, 23 <27>; 158, 210 <230 Rn. 50>).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

a) Die Verfassungsbeschwerde genügt nach vorläufiger Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Zulässigkeitsanforderungen.

aa) Sie wurde fristgerecht erhoben und hinreichend begründet. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit einer Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte substantiiert dargelegt.

bb) Der Subsidiaritätsgrundsatz dürfte der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht durchgreifend entgegenstehen. Zwar betrachtete das Oberlandesgericht die Verfahrensrügen, mit denen der gerügte Grundrechtsverstoß bereits im fachgerichtlichen Verfahren hätte ausgeräumt werden können, als unzulässig. Viel spricht indes dafür, dass das Oberlandesgericht dabei die Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO überspannte. Es verlangte Vortrag zu Tatsachen, die zur Bewertung, ob der gerügte Verfahrensverstoß vorlag, nicht erheblich gewesen sein dürften.

b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Viel spricht dafür, dass die Verurteilung ohne Mitwirkung eines Verteidigers in der Berufungshauptverhandlung das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verletzte.

aa) Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 122, 248 <271>; 130, 1 <25>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Als unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet es dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>).

bb) Nach vorläufiger Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes spricht viel dafür, dass das Landgericht die Berufungshauptverhandlung nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers hätte führen dürfen. Aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge – einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren – dürfte ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen haben. Der Verstoß gegen die Bestimmungen der Strafprozessordnung zur notwendigen Verteidigung stellt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren dar, da diese Normen das Gebot fairer Verfahrensführung konkretisieren (vgl. BVerfGE 46, 202 <210>).

3. Aufgrund der damit eröffneten Folgenabwägung ist die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe geboten.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verurteilung später als fehlerhaft, so wäre aufgrund des Vollzugs der Strafhaft ein endgültiger Rechtsverlust bei dem Beschwerdeführer eingetreten. Zeigte sich hingegen nach vorläufiger Aussetzung der Vollstreckung, dass die Verurteilung Bestand habe, so wäre die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs lediglich vorübergehend verzögert. Es sind hier auch keine Gründe ersichtlich, die Strafvollstreckung nur unter Auflagen außer Vollzug zu setzen.

IV.

Daher ist im Wege der einstweiligen Anordnung – gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung – die Aussetzung der Vollziehung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 2023 – 5/20 NBs – 6440 Js 208126/22 (31/23) – anzuordnen. Die Anordnung ist in der im Tenor bestimmten Weise befristet (§ 32 Abs. 6 Satz 1 BVerfGG).“

Ohne die Einzelheiten zu kennen: Da scheint man beim LG Frankfurt am Main ein wenig schnell geschossen zu haben.

VerfG I: BVerfG ist ab heute – 01.08.2024 – digital, oder: beA/elektronisches Dokument jetzt auch beim BVerfG

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In den neuen Monat – 01.08.2024 – starte ich mit Entscheidungen/Mitteilungen zu verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und was damit zu tun hat.

Hier dann zunächst etwas, „was damit zu tun hat“. Denn heute ist eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die man im Verfassungsbeschwerdeverfahren beachten muss. Denn das BVerfG ist digital geworden.

Ab heute, dem 01.08.2024, haben Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts nämlich nicht mehr die Möglichkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beim BVerfG verfahrensbezogene Dokumente per Post oder Telefax in analoger Form einzureichen. Die §§ 23a ff. BVerfGG sehen vielmehr jetzt für den Kreis der „Nutzer“ die „digitalen Verfassungsbeschwerde“ vor, und zwar in § 23c BVerfGG. Das elektronische Dokument muss – wie auch sonst – mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von ihr signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Sichere Übermittlungswege sind beispielsweise das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), das elektronische Bürger- und Organisationspostfach (eBo), der Dienst „Mein Justizpostfach“ oder der Postfach- und Versanddienst eines absenderbestätigten De-Mail-Kontos. Per E-Mail können verfahrensbezogenen Dokumente nicht rechtswirksam eingereicht werden.

Informationen rund um die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs hat das BVerfG in einem Frage-Antwort-Katalog (FAQ) auf seiner Homepage bereit gestellt.

Also: Augen auf, sonst kann es Probleme bei der Verfassungsbeschwerde geben.

Absprache III: Mitteilungspflicht und Beruhensprüfung, oder: Nochmal „Nachhilfe“ für das OLG Naumburg

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Und dann habe ich hier als dritte Entscheidung noch einmal etwas Nachhilfe vom BVerfG, und zwar zur Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Dazu hat sich das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 08.11.2023 – 2 BvR 294/22 – geäußert.

Der Entscheidung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Das AG Magdeburg hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 AO) in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte, verurteilt. Während der Hauptverhandlung regte der Verteidiger des Angeklagten ein Rechtsgespräch an, woraufhin die Sitzung für etwa 20 Minuten unterbrochen wurde. Im Sitzungsprotokoll ist (dann) vermerkt:

„Eine Verständigung wurde insoweit herbeigeführt, als dass im Falle eines glaubhaften Geständnisses keine höhere Gesamtfreiheitsstrafe als ein Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung (…) in Betracht komme (…). Der Vertreter der Staatsanwaltschaft tritt neben dem Gericht dieser Verständigung bei.“

Der Verteidiger erklärte für den Angeklagten, dass er die Anklage bestätige.

Der Angeklagte hat gegen das amtsgerichtliche Urteil Sprungrevision eingelegt. Zu deren Begründung wurde u.a. vorgetragen, in der Hauptverhandlung beim AG sei auf Anregung seines Verteidigers eine Erörterung durchgeführt worden. Er und die Öffentlichkeit seien aufgefordert worden, den Sitzungssaal zu verlassen. Der Strafrichter habe in dem Gespräch gesagt: „Wenn es eine Vereinbarung geben solle, müsse sich diese auf die gesamten Anklagevorwürfe beziehen“. Der Strafrichter, der Verteidiger und der Staatsanwalt hätten im weiteren Gesprächsverlauf u.a. ihre Standpunkte zu der Art und Höhe der Strafe im Falle eines Geständnisses ausgetauscht. Nach der Erörterung habe ihm sein Verteidiger erklärt, dass seine Sichtweise zum Eingreifen eines Beweisverwertungsverbots nicht geteilt werde, aber eine Bewährungsstrafe gegen Geständnis bei Einräumung aller Vorwürfe laut Anklage von ca. einem Jahr für realistisch gehalten werde, die ohne Auflage oder Weisung einer Geldzahlung in Betracht komme. Weitere Umstände der Erörterung seien ihm nicht mitgeteilt worden.

Das OLG Naumburg (sic!) hat die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten hatte – teilweise – Erfolg. Das BVerfG hat das Verfahren an das OLG zurückverwiesen.

Auch hier stelle ich wegen des Umfangs der Entscheidung keine Auszüge ein, sondern verweise auf den verlinkten Volltext. Die Argumentation des BVerfG lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Das OLG Naumburg hat Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Verständigung im Strafprozess nicht hinreichend berücksichtigt.
  • Das OLG hat zudem die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sowie an die Beurteilung, ob das amtsgerichtliche Urteil auf einer Verletzung dieser Mitteilungspflicht beruhe, verkannt.
  • Transparenz und Öffentlichkeit sind im Regelungskonzepts der Verständigung eine wichtige Säule, die die vom Gesetzgeber als erforderlich bewertete „vollumfängliche“ Rechtsmittelkontrolle ermöglichen und wirksam ausgestalten soll.
  • Der Inhalt des während der Unterbrechung der Hauptverhandlung vor dem AG geführten Gesprächs zwischen dem Vertreter der Staatsanwaltschaft, dem Strafrichter und dem Verteidiger des Angeklagten unterfiel jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO, als der Strafrichter durch die Aussage „Wenn es eine Vereinbarung geben solle, müsse sich diese auf die gesamten Anklagevorwürfe beziehen“ ausdrücklich die Möglichkeit einer Vereinbarung in Betracht gezogen hatte. Spätestens ab diesem Moment ist die Erörterung offensichtlich auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung gerichtet gewesen.
  • Die Mitteilungspflicht ist , denn die Mitteilung des Strafrichters in der Hauptverhandlung gibt den wesentlichen Inhalt des Verständigungsgesprächs nicht vollständig wieder. Der Strafrichter beschränkt sich nämlich darauf, kundzutun, dass eine Verständigung herbeigeführt worden sei und welche Strafe der Angeklagte im Falle eines Geständnisses zu erwarten habe. Nach § 243 Abs. 4 StPO hätte der Strafrichter jedoch auch mitteilen müssen, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertraten, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung stieß.
  • Das OLG hat bei der Beruhensprüfung das Beruhen des Urteils des AG auf der Verletzung der Mitteilungspflicht mit verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Argumentation ausgeschlossen. Es hat die verfassungsrechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO bereits aus dem Grund verfehlt, weil die Frage des Beruhens offensichtlich allein unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten geprüft und die Bedeutung der von dem Verstoß in erster Linie betroffenen, auch dem Schutz des Angeklagten dienenden Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit außer Acht gelassen worden ist.
  • Es sei bereits nicht ersichtlich, dass das OLG sich mit dem Gesichtspunkt auseinandergesetzt hätte, dass richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen nicht von identischer Qualität sein können, sodass auch bei erfolgter Unterrichtung durch den Verteidiger das richterliche Mitteilungsdefizit Auswirkungen auf das Aussageverhalten des Angeklagten gehabt haben könnte.

Auch hier ist man – zumindest ich – wie beim BVerfG, Beschl. v. 20.12.2023 – 2 BvR 2103/20  zur Verurteilung nach einem verständigungsbasierten Geständnis erstaunt, mit welcher Nonchalance AG, OLG und auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zu den maßgeblichen Fragen schlicht übersehen. Ob bewusst oder unbewusst, ist letztlich ohne Belang, denn beides ist gleich unverständlich. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die maßgeblichen obergerichtliche Rechtsprechung im Einzelnen darzustellen. Festzuhalten ist aber, dass für das BVerfG und ihm letztlich folgend auch für den BGH die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO einer der Grundpfeiler der Verständigungsregelung ist. Es wird immer wieder die Bedeutung dieser Mitteilungspflicht im Hinblick auf die Rechte des Angeklagten aber auch der Öffentlichkeit betont. Ergebnis dieser Rechtsprechung ist, dass die Mitteilungspflicht vom inhaltlichen Umfang her sehr weit geht und das auch Auswirkungen auf die Beruhensprüfung des Revisionsgerichts hat. Darauf weist das BVerfG noch einmal hin. Man kann nur hoffen, dass dieser Hinweis auch gelesen werden und zumindest dann diese Rechtsprechung bei AG und OLG bekannt ist. Bisher scheint das nicht der Fall zu sein.

Absprache I: Die Amtsaufklärungspflicht gilt immer, oder: „Nachhilfe“ für AG Halle und OLG Naumburg

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Vorab: Heute ist „Weiberfastnacht“, also ab heute Ausnahmezustand im Rheinland und drum herum. Aus dem Anlass, allen die (mit)feiern, viel Spaß. Hier oben läuft alles normal – Gott sei Dank.

Und ich stellen heute hier StPO-Entscheidungen vor, und zwar alle drei Entscheidungen zur Verständigung (§ 257c StPO) und was damit zu tun hat. Alle drei Entscheidungen sind obergerichtliche Entscheidungen, alle drei „rügen“ die beteiligten Instanzgerichte.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 20.12.2023 – 2 BvR 2103/20 – zur Verurteilung eines Angeklagten (allein) auf der Grundlage eines verständigungsbasierten Geständnisses. Der Beschluss hat in etwa folgenden Sachverhalt.

Das AG Halle (Saale) hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Vorausgegangen war eine Verständigung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten gem. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO. Der Vorsitzende hatte für den Fall einer geständigen Einlassung dem Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen einem Jahr und einem Jahr und drei Monaten zugesichert, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle. Der Angeklagte und der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten der Verständigung zu. Der Pflichtverteidiger gab für den Angeklagten dann folgende Erklärung ab:

Herr D. bestätigt die Tatvorwürfe aus der Anklage (…). Herr D. war Geschäftsführer der Firma und beschäftigte viele Arbeitnehmer aus Osteuropa. Ob dieser Personenkreis unternehmerisch tätig war oder nicht, war ihm nicht wichtig. (…) Ihn hat nicht interessiert, ob die Arbeitnehmer anzumelden sind oder dies bereits geschah. Er hat sich um die Dinge nicht gekümmert, er nahm die Konsequenzen in Kauf. (…) Der Tatvorwurf wird als bestätigt eingeräumt (…).“

Der Angeklagte erklärte: „Das ist richtig so“.

Eine Beweisaufnahme zur Überprüfung der Einlassung fand dann nicht mehr statt. Die Angeklagten gegen das Urteil des AG eingelegte Sprungrevision hat das OLG Naumburg als unbegründet verworfen. Die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten hatte Erfolg.

Ich stelle hier mal nicht Auszüge aus dem recht langen Beschluss des BVerfG ein, sondern empfehle den – dringend! – dem Selbststudium. Die Ausführungen lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Es liegt Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor.
  • § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO schließe jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Eine Verständigung kann niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden.
  • AG und OLG haben die Mindestanforderungen an die Wahrheitserforschung verkannt.
  • Die Qualität des Geständnisses ist/war insgesamt gering.
  • Das amtsgerichtliche Urteil lässt besorgen, dass sich der Tatrichter keine ausreichend fundierte Überzeugung von der Schadenshöhe verschafft hat.
  • Nach allem hätte sich dem AG die Erforderlichkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts aufdrängen müssen.

Das sind deutliche Worte in/zu einem Fall, der dann doch überrascht. Nicht wegen der Entscheidung an sich, sondern wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts. Das ist nämlich m.E. einer der klassischen Fälle, die die Rechtsprechung des BVerfG und auch die des BGH vermeiden wollte: Der „Deal“ geringe Strafe gegen schnellen Abschluss des Verfahrens bzw. Einräumen des zur Last gelegten Sachverhalts, ohne dass dieser und die geständige Einlassung des Angeklagten vom Tatgericht überprüft wird. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung von Anfang an darauf hingewiesen, dass auch bei einer Verständigung die Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts davon nicht betroffen sein soll. das verständigungsbasierte Geständnis soll nicht allein die Verständigung Grundlage des Urteils sein. Vielmehr soll auch weiterhin die Überzeugung des Gerichts von dem von ihm im Urteil später festgestellten Sachverhalt erforderlich sein (vgl. BT-Drucks 16/12310, S. 13), so ausdrücklich im Verständigungsurteil v. 19.3.2013 (BVerfG (NJW 2013, 1058, 1063). Allein ein verständigungsbasiertes Geständnis könne eine Verurteilung nicht rechtfertigen (s.a. BGH NStZ 2014, 53). Vielmehr sei es zwingend erforderlich, die geständige Einlassung des Angeklagten im Zuge einer förmlichen Beweisaufnahme auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (BVerfG, a.a.O., m.w.N.). Das Gericht darf also nicht vorschnell auf eine Urteilsabsprache bzw. eine Verständigung ausweichen, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich anhand der Akten und insbesondere auch rechtlich überprüft zu haben (vgl. u.a. BGH NStZ 2014, 53). Es darf also nicht etwa ohne nähere Überprüfung des Tatgeschehens eine bestimmte Sanktion zusagen. Das hat das AG übersehen und – was auch erstaunt – das OLG Naumburg im Revisionsverfahren ebenfalls. Ergebnis ist dann, dass jetzt noch einmal verhandelt werden muss. Schnelligkeit bei einer Entscheidung ist eben nicht immer gut.

Und dann mal wegen der Rechtsprechung zur Absprache/Verständigung: Die findet man <<Werbemodus an“ zusammengestellt in  Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 120 ff. Zur Bestellung geht es hier <<Werbemodus aus>>.