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EGMR: Die Kommunikation mit dem Verteidiger darf nicht abgehört werden, egal wann

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Auf die zweite EGMR-Entscheidung bin ich bei der Suche nach Entscheidungen zu einer anderen Fraghe gestoßen. Das EGMR, Urt. v. 07.11.2017 – 37717/05 – liegt auch noch nicht in deutscher Übersetzung vor. Es ist aber inzwsichen im AnwBl. 2018, 39 veröffentlicht, und zwar mit folgenden Leitsätzen der – dortigen – Redaktion:

„1. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und der Korrespondenz aus Art. 8 EMRK ist verletzt, wenn die Kommunikation zwischen Mandant und Verteidiger durch staatliche Behörden überwacht wird. Aus Art. 8 Abs. 2 EMRK ergibt sich ein verstärkter Schutz der vertraulichen Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant, um die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung zu gewährleisten.

2. Für den Schutz der vertraulichen Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant ist es nicht entscheidend, wann der Anwalt formal als Verteidiger bestellt worden ist.“

Auch hier wird man die deutsche Fassung mal abwarten müssen. Ich kann jedenfalls nicht so viel Englisch, um das EGMR-Urteil „belastbar“ auswerten zu können.

„Entschädigung für Fußballfans nach Polizeigewalt bei Münchner Derby“, oder: Kennzeichnungspflicht?

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Ich eröffne den Reigen der Postings in der 3. KW mit zwei Hinweisen auf EGMR-Entscheidungen. Zunächst der Hinweis auf das EGMR, Urt. v. 09.11.2017 – 47274/15. Da liegt mir aber bislang nur die Pressemitteilung des EGMR vor. Einen Volltext in deutscher Sprache habe ich noch nicht. Es gibt bislang nur die englische Version. In der PM heißt es:

„Entschädigung für Fußballfans nach Polizeigewalt bei Münchner Derby

Der EGMR hat Deutschland wegen einer unzureichenden Untersuchung von Zusammenstößen zwischen Polizisten und Münchner Fußballfans verurteilt und den beiden klagenden Fans eine Entschädigung von jeweils 2.000 Euro zugesprochen.

In dem Fall ging es um mutmaßliche Polizeiübergriffe gegen Fußballfans nach einem Spiel in München am 09.12.2007 sowie um den Vorwurf der Beschwerdeführer, die beide als Zuschauer an dem Spiel teilnahmen, dass die Ermittlungen wegen der mutmaßlichen Übergriffe gegen sie nicht sorgfältig geführt worden seien.

Da die Polizei für das Fußballspiel mit einem erhöhten Risiko von Ausschreitungen rechnete, waren über 200 Polizeibeamte im Einsatz. Nach Ende des Spiels bildeten Beamte eine Kette, um einen Teil der Zuschauer vorübergehend am Verlassen eines Stadionbereichs zu hindern und so Auseinandersetzungen rivalisierender Fans zu verhindern. Nach Angaben eines der Beschwerdeführer kam es nach der Öffnung der Polizeisperre zu Übergriffen der Polizei gegen Zuschauer. Er selbst sei von einem Polizisten mit einem Schlagstock auf den Kopf geschlagen worden und habe eine Platzwunde erlitten, die eine notärztliche Behandlung erfordert habe. Der zweite Beschwerdeführer gibt an, dass ein Polizist ihm Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht habe; später sei er außerdem mit einem Schlagstock auf den Arm geschlagen worden. Nach Medienberichten über den Polizeieinsatz wurde ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet. Beide Beschwerdeführer erstatteten Strafanzeige gegen die verantwortlichen Polizeibeamten, ohne genaue Angaben zur Identität der Verantwortlichen zu machen, da die an dem Einsatz beteiligten Beamten Schutzhelme mit Visier sowie Uniformen ohne Namensschilder oder sichtbare Identifikationsnummern getragen hatten. Das Verfahren wurde im September 2008 eingestellt, die Ermittlungen aber nach Beschwerde der Beschwerdeführer wieder aufgenommen. Im August 2009 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren erneut ein, mit der Begründung, der Sachverhalt habe nicht weiter aufgeklärt werden können. Zudem kam die Staatsanwaltschaft aufgrund der Ermittlungen zu der Einschätzung, die Aggression sei nicht von den Polizeibeamten, sondern von einzelnen Fangruppen ausgegangen. Der Antrag der Beschwerdeführer auf gerichtliche Anordnung der Wiederaufnahme der Ermittlungen wurde abgewiesen und ihre Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Vor dem EGMR machten die Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung von Art. 3 (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geltend, sowohl aufgrund der behaupteten Gewaltanwendung durch die Polizei als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht, aufgrund der Untersuchung durch die Ermittlungsbehörden, die unzureichend gewesen sei.

Der EGMR hat einstimmig entschieden, dass keine Verletzung von Art. 3 EMRK aufgrund der behaupteten Gewaltanwendung durch die Polizei vorliegt. Zugleich hat er, ebenfalls einstimmig, eine Verletzung von Art. 3 EMRK in verfahrensrechtlicher Hinsicht, aufgrund der Untersuchung durch die Ermittlungsbehörden, festgestellt. Der EGMR hat den beiden Fußballfans eine Entschädigung von jeweils 2.000 Euro und die Erstattung der Kosten i.H.v. 6.575,41 Euro zugesprochen.“

Wie gesagt: Der Volltext liegt noch nicht in deutscher Übersetzung vor. Man kann also m.E. noch nicht sagen, ob der EGMR nun tatsächlich, wie es an einigen anderen Stellen geheißen hat, eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte gefordert hat. Mal abwarten.

Nachhilfe für den BGH aus Straßburg, oder: Es hätte Wiedereinsetzung geben müssen

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Mein „Lieblingsurteilslieferant“ Oliver Garcia weist mich gerade auf eine Entscheidung des EGMR hin. Es ist der EGMR, Beschl. v. 01.09.2016 – 24062/13. Die Menschenrechtsbeschwerde richtete sich gegen den BGH, Beschl. v. 24.04.2013 – 4 StR 86/13,  in dem der BGH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision verweigert hat. Dazu der Hinweis:

„…. Der EGMR hat einstimmig in der BGH-Entscheidung eine Verletzung von Art. 6 MRK gesehen. Dem Angeklagten hätte Wiedereinsetzung gewährt werden müssen aufgrund einer Gesamtschau der Besonderheiten des Falles (Mißverständliche Rechtsauskunft durch den Pflichtverteidiger über das zuständige Gericht; psychische Beeinträchtigung des Angeklagten; eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten wegen Unterbringung; zögerliche Weiterleitung durch Anstaltspersonal; Nichtverwendung von Fax bei Weiterleitung durch unzuständiges Gericht). Die „formalistische“ Entscheidung des BGH sei nicht vereinbar mit dem Grundsatz der praktischen und wirksamen Anwendung der Konvention.

Das ist natürlich ein spezieller Fall, aber doch praxisrelevant als Erinnerung, daß die Beschwerde zum EGMR nicht immer aussichtslos ist. Meiner Meinung nach müßte jetzt die BGH-Entscheidung im Wege der Wiederaufnahme (§ 359 Nr. 6 StPO, § 140a Abs. 1 Satz 2 GVG) beseitigt werden können. Sie ist zwar kein „Urteil“, aber ich denke, Urteil im Sinne dieser Vorschriften ist auch ein Beschluß des Revisionsgerichts, der die Rechtskraft herbeiführt.

Ist die Revision erst zulässig, könnte sie hier auch begründet sein. Der Angeklagte wurde wegen Sachbeschädigung (mit einem Hammer im Gerichtsparkhaus beschädigte PKW) untergebracht. Da schaut der BGH neuerdings genauer hin.“

Ich habe mir den Beschluss des EGMR mal angesehen. Ist leider noch nicht übersetzt, das dauert ja immer ein wenig, nun ja manchmal auch länger. Daher mal die Kurzfassung 🙂 des Kollegen Garcia. Ich muss ihn mir erst mal übersetzen. Kann dauern 🙂 .

Ach so: Ich kenne ein gutes Buch, in dem die Menschenrechtsbeschwerde (auch) behandelt wird 🙂 .

Umdenken bei der Berufungsverwerfung ist angesagt – Neziraj lässt grüßen

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Manchmal geht es dann doch schneller als erwartet. Seit Herbst 2014 befand sich der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ (vgl. und BR-Drucks. 491/14) im Gesetzgebungeverfahren. Er enthielt zwei für die Praxis wesentliche Gesetzesänderungen, und zwar:

  • Berufungsverwerfung (§ 329 Abs. 1 StPO) und die insoweit überfällige Umsetzung der EGMR-Rechtsprechung
  • Änderungen im RVG mit der Änderung der „Eingangsgebührenstufe“ in Teil 5 VV RVG – die Anpassung an die Punktereform 2014 . und eine Klarstellung in § 53 RVG.

Ich hatte mit dem Gesetzesbeschluss dazu erst nach der Sommerpause 2015 gerechnet. Nun hat der Bundestag am vergangenen Freitag dann schon entschieden und – bei Enthaltung der Opposition – den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe (BT-Drs. 18/3562) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 18/5254) angenommen. Bisher wurde eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache verworfen , wenn der Angeklagte zu Beginn der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint, selbst wenn für ihn ein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erschienen war (§ 329 Abs. 1 StPO). Der EGMR hatte das moniert in Sachen Neziraj moniert (vgl. Der EGMR und der Abgesang auf die Berufungsverwerfung – hier ist der Volltext). Künftig muss das Berufungsgericht stets prüfen, ob die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung erforderlich ist. Die Anwesenheit ist für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts immer dann erforderlich, wenn eine solche Entscheidung allein aufgrund der vom anwesenden Verteidiger für den Angeklagten abgegebenen Erklärungen nicht möglich ist. Mal sehen,w as daraus wird, und ob es dem EGMR reicht.

Folge jedenfalls: Ich darf/muss dann in zwei Projekten nacharbeiten, und zwar sowohl in der 8. Auflage für das „Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung“, die für den Spätsommer/Herbst ansteht – schon mal vormerken im Budget 🙂 , als auch in der 22. Auflage des Gerold/Schmidt. Nun ja, kann man nicht ändern.

Neues aus Berlin: Endlich Änderung bei der Berufungsverwerfung und Änderungen im RVG

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Im Gesetzgebungsverfahren befindet sich inzwischen der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ (vgl. BR-Drucks. 491/14). Er enthält zwei für die Praxis wesentliche Gesetzesänderungen, und zwar:

Der Gesetzesentwurf soll u.a den Rahmenbeschluss (Rb)2009/299/JI zu Abwesenheitsentscheidungen und vor allem die Rechtsprechung des EGMR im Urt. v. 8. 11. 2012 endlich umsetzen. § 329 StPO soll im Hinblick auf das Urteil des EGMR dahingehend geändert werden, dass eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten nicht mehr erfolgen darf, wenn statt des Angeklagten ein entsprechend bevollmächtigter und vertretungsbereiter Verteidiger in einem Termin zur Berufungshauptverhandlung erschienen ist. Anstelle der nicht mehr zulässigen Verwerfung soll in Anwesenheit des Verteidigers ohne den Angeklagten verhandelt werden, soweit nicht besondere Gründe dessen Anwesenheit erforderlich machen.
  • RVG: Änderung der „Eingangsgebührenstufe“ in Teil 5 VV RVG

Und: Durch das Gesetzesvorhaben sollen in den Nrn. 5101, 5103, 5107 und 5109 VV RVG die „Eingangsgebührenstufe“ von 40,– € auf 60,– € angehoben werden. Damit wird dann gebührenrechtlich die Anhebung der Eintragungsgrenze in das FAER durch die Punktereform zum 01.05.2014 nachvollzogen (vgl. BR-Drucks. 491/14, S. 100).

Wie gesagt: Gerade im Gesetzgebungsverfahren. Kann also noch ein wenig dauern.