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Da sind die Änderungen der Wiederaufnahme, oder: Bundespräsident zweifelt an Vereinbarkeit mit GG

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So, außerhalb des Tagesprogramms dann ein Update, und zwar zu: Wo bleiben die Änderungen der Wiederaufnahme?, oder: Wie lange/gründlich prüft der Bundespräsident?

Das sind/waren die Änderungen zum – kurz gefasst – „Gesetz zur Herstellung der materiellen Geerechtigkeit“ mit der Änderung des § 362 StPO – also Erweiterung der Wiederaufnahme zu Lasten des Verurteilten. Das Gesetz war ja schon im September im Bundestag und Bundesrat beschlossen worden, danach war Ruhe.

Nun, so ganz wohl nicht. Wie man inzwischen hatte lesen können, hatte der  Bundespräsident dann betreffend die Neuregelung die „Verfassungstreue zur Strafprozessordnung an„gezweifelt. Er hat das Gesetz dann aber trotz seiner Bedenken am 21.12.2021 unterzeichnet, heute ist die Änderung im BGBl veröffentlicht worden, und zwar BGBl I. S. 5252. Damit treten die Änderungen dann morgen in Kraft.

Aber ganz zu Ende ist der Marathon noch nicht: Wie man an verschiedenen Stellen lesen konnte – vgl. hier die FAZ vom 22.12.2021 -, hatte der Bundespräsident „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ gegen die Änderung der StPO. Und die Folge: „In einem Brief an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) bat der promovierte Jurist allerdings darum, „das Gesetz einer erneuten parlamentarischen Prüfung und Beratung zu unterziehen“.“  Eine etwas pflaumenweiche Lösung, aber: Wenn die Bedenken nicht ausreichen, dann muss er wohl unterzeichnen.

Na ja, man wird sehen, was die Parteien im Bundestag nun noch machen. Die SPD war ja immerhin bei der Beschlussfassung auch Regierungspartei. Daher wird m.E. nicht viel passieren.

Letztlich wird wahrscheinlich das BVerfG das letzte Worte sprechen und die Vereinbarkeit der Neuregelung mit dem GG prüfen. Ob das vereinbar ist, kann man m.E. mit Recht bezweifeln.

Wo bleiben die Änderungen der Wiederaufnahme?, oder: Wie lange/gründlich prüft der Bundespräsident?

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Ich erinnere: Im September 2021 haben der Bundestag und der Bundesrat das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO und zur Änderung der zivilrechtlichen Verjährung (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit) beschlossen (vgl. hier:  Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen kommt, oder: Ist das “materielle Gerechtigkeit”?. 

Ich hatte damals darüber berichtet und u.a. dazu ausgeführt:

„Damit wird das “Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit” seinen Weg (leider) gehen; ich glaube nicht, dass der Bundespräsident es so kurz vor der BT-Wahl stoppen wird. Das wird dann wahrscheinlich erst Karlsruhe tun.“

Inzwischen sind gut drei Monate vergangen und passiert ist nichts. Die Änderungen sind also bisher nicht im BGBl veröffentlicht worden. Das war mir bisher durchgegangen. Aufgefallen ist es mir erst, als ich in der vergangenen Woche einen Übersichtsaufsatz zur Wiederaufnahme für die ZAP vorbereitet habe. Da habe ich bemekrt, dass es in § 362 StPo eben noch nicht die beschlossenen Änderungen gibt.

Woran liegt das? Nun man kann dazu nur spekulieren. Es scheint aber wohl so zu sein, dass der Bundespräsident dann doch größere Bedenken hat, die Gesetzesänderungen auszufertigen. Das mutmaßt auch LTO (vgl. hier: Umstrittene StPO-Reform Ver­wei­gert der Bun­des­prä­si­dent die Aus­fer­ti­gung?). Und LTO stellt folgende Frage:

„Bekommt die neue Bundesregierung rechtliches Gehör?

Wie geht es nun weiter? Bei fortdauernden verfassungsrechtlichen Zweifeln kann der Bundespräsident auch auf die Bundesregierung zugehen und um eine verfassungsrechtliche Stellungnahme bitten. Verfassungsrechtlich ist diese Einschaltung der Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsorgantreue und unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs geboten. In der Vergangenheit haben die Bundespräsidenten bei komplizierten und verfassungspolitisch wichtigen Fragen außerdem verfassungsrechtliche Gutachten eingeholt. Ob derartige Schritte bereits unternommen wurden, wollte das Präsidialamt weder bestätigen noch dementieren.“

Von einem solchen Verfahren habe ich noch nicht gehört, es scheint es aber in der Vergangenheit schon gegeben zu haben. Ich bin gespannt, wie „man“ sich aus der Affäre zieht. Denn in der Welt sind die Änderungsbeschlüsse ja nun mal. Kann man das dann einfach so auf Eis legen oder muss man die Änderungsbeschlüsse noch einmal ändern oder gar aufheben? Interessante Frage. Vielleicht etwas für das mündliche Examen? 😀

OWi I: Nochmals Leivtec XV 3 nicht standardisiert, oder: Einstellung und Wiederaufnahme

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Heute am letzten Novembertag kommen dann OWi-Entscheidungen.

Zunächst drei Entscheidungen zu Leivtec XV3, und zwar:

Da der Abschlussbericht der PTB in der Fassung vom 09.062021 nicht eindeutig erkennen lässt, unter welchen Messbedingungen sich Messwertabweichungen zu Ungunsten bzw. ausschließlich zu Gunsten Betroffener auswirken können, besteht nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung bei dem Messgerät Leivtec XV § keine hinreichende Gewähr mehr, für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens und für die Zuverlässigkeit der erzielten Messerergebnisse. Konsequenz des Nichtvorliegens eines standardisierten Messverfahrens ist, dass sich das Amtsgericht im Einzelfall mittels sachverständiger Hilfe von der Richtigkeit der Messung überzeugen muss. Daher ist jedenfalls in den Fällen, in denen das Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Verurteilung führt, gegen die lediglich ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 OWiG gegeben ist, schon aus prozessökonomischen Gründen die Einstellung des Verfahrens sachgerecht.

Spätestens mit der Stellungnahme der PTB vom 9.6.2021 ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Messverfahren Leivtec XV 3 nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren im Sinn der Rechtsprechung des BGH handelt und somit neue Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO, § 85 OWiG vorliegen, die zur Wiederaufnahme des Verfahrens führen.

OWi III: Verurteilung aufgrund Messung mit Leivtec XV3, oder: Wiederaufnahme zugunsten des Betroffenen

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Und als dritte Entscheidung heute dann eine „Wiederaufnahmeentscheidung. Die sind ja im Bußgeldverfahren recht selten, hier liegt mit dem AG Güstrow; Beschl. v. 09.06.2021 – 971 OWi 458/21, den mir der Kollege Rakow aus Rostock geschickt hat, aber mal eine vor. Ergangen ist sie in einem Verfahren, in dem der Betroffene auf der Grundlage einer „Leivtec XV3-Messung“ verurteilt worden ist. Das AG hat jetzt, nachdem die Messungen derzeit als nicht verwertbar angesehen werden, die Wiederaufnahme angeordnet:

Der Wiederaufnahmeantrag ist gem. § 359 Nr, 5 StPO begründet. Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen werden durch neue Tatsachen erschüttert. Die neu beigebrachten Fakten sind im Sinne der §§ 366 Abs, 1, 368 Abs.1, 370 Abs. 1 StPO „geeignet‘, das Wiederaufnahmeziel zu erreichen.

Der Betroffene hat hierzu vorgetragen:

„Nachdem eine Gruppe von Sachverständigen in „zahlenmäßig relevanten“ Fällen unzutreffende Geschwindigkeitswerte bei Messungen mit diesem Gerät festgestellt hatte, hat die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ebenfalls Untersuchungen aufgenommen. Unter dem Datum vom 27.10,2020 hatte die PTB folgenden Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen veröffentlicht: „Kürzlich wurde der (PTB) der Verdacht gemeldet, dass das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche aktuelle Fahrzeugtypen geeichte Geschwindigkeitsmesswerte mit unzulässigen Messwertabweichungen ausgeben könne…“

Die Sicherstellung der Messrichtigkeit und Messzuordnung von Geschwindigkeitsmessungen wird über die nach umfangreichen Felduntersuchungen erfolgte Zulassung der PTB gewährleistet. Mit dieser Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass das zugelassene Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren bietet, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse erwarten lassen (OLG Rostock, 15.05.19 — 21 Ss OWI 102/19 = AG Güstrow, 15.01,19 — 971 OWi 355/18). Sofern es , wie hier vorgetragen, möglicherweise zu unzulässigen Messwertabweichungen gekommen ist, hat die PTB als Bundesbehörde die Aufgabe, diesen Hinweisen nachzugehen.

Nunmehr hat die PTB am 09.06.2021 eine abschließende Stellungnahme veröffentlicht:

„Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV31

Beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 (Erstzulassung 18.11 / 09.04 vom 02.07.2009) fand eine Gruppe von Sachverständigen kürzlich für speziell präparierte Fahrzeuge beim Vergleich mit anderen, unabhängigen Messeinrichtungen unzulässige Messwertabweichungen (M. Kugele, T. Gut, L. Hähnle, Versuche zum Stufeneffekt beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021).

Der PTB ist es in langen Versuchsreihen gelungen, in Einzelfällen ebenfalls unzulässige Messwertabweichungen zu Gunsten eines Betroffenen zu dokumentieren, siehe den Bericht über den Zwischenstand der Untersuchungen (Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3. Stand: 27. Mai 2021 / Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin. D01: 10.7795/520.20210527). Im Zuge dieser Angelegenheit haben zahlreiche Kontakte mit den Sachverständigen, mit dem Hersteller und mit den Verwendungsüberwachungsbehörden stattgefunden. Die internen Abstimmungen sind mittlerweile abgeschlossen.

In Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 6 Einheiten- und Zeitgesetz stellt die PTB hier einige messtechnische Beobachtungen dar, die sie auch an den Hersteller und an die Verwendungsüberwachungsbehörden kommuniziert hat:

a) In den vielen Tausend Fahrzeugdurchfahrten im Rahmen der Bauartprüfung wurde kein einziger Fall einer unzulässigen Messwertabweichung gefunden, Selbst mit speziell präparierten Fahrzeugen bedurfte es weit über tausend Durchfahrten, um eine Kombination aus Fahrzeugpräparation und darauf abgestimmten Aufstellbedingungen und Fahrgeschwindigkeit zu finden, bei der manchmal unzulässige Messwertabweichungen beobachtet werden konnten. Die stärksten in den PTB-Versuchen beobachteten Abweichungen betrugen -5,29 km/h bei XV3-Messwerten bis 100 km/h bzw. -4,19 % bei XV3-Messwerten oberhalb 100 km/h.

b) Alle Fälle unzulässiger Abweichungen, die zu Ungunsten des Betroffenen ausgefallen wären, traten bei einer Rechtsmessung auf, also wenn das Messgerät aus Fahrersicht am linken Fahrbahnrand platziert war.

c) Alle Fälle unzulässiger Abweichungen aus dem DEKRA-Artikel haben gemeinsam, dass im Messung-Start-Bild das Nummernschild des betroffenen Fahrzeuges nicht vollständig im Messfeldrahmen enthalten war.

d) Alle Fälle unzulässiger Abweichungen haben gemeinsam, dass die Länge der Messstrecke (abzulesen als Hilfsgröße „ „Auswertestrecke“ “ in der Bildschirmmaske „ „Zusatzdaten anzeigen“ “ des Referenz-Auswerteprogramms Speed Check) weniger als 12,2 m betrug“.

Mit dieser (abschließenden) Stellungnahme vom 09.06.2021 hat die PTB ihrer bisherige Stellungnahme vom 20.03,2018, „Das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät LEIVTEC XV3 erfüllt alle EMV-Anforderungen. Stand: 20. März 2018″:

„Die PTB bestätigt hier daher noch einmal, dass das normkonforme Auslassen der Magnetfeldprüfung kein formales oder messtechnisches Hindernis für die Ausstellung der Bauartzulassung des Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes XV3 der Firma LEIVTEC (Zulassungszeichen 18.11/09.04) war oder ist. Die Zulassung gilt nach wie vor, und ebenfalls nach wie vor sind bei Bedienung gemäß Gebrauchsanweisung unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse zu erwarten.“

zumindest in Teilen widerlegt. Die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren liegen nicht mehr vor.

Bereits mit den vorgetragenen Beweismitteln, insbesondere der Herstellermitteilung vorn 12.03.2021, wonach gebeten wurde, von weiteren Messungen vorerst Abstand zu nehmen, aber insbesondere der Stellungnahme der PTB vom 09.06.2021 lagen neue Beweise im Sinne der § 359 Nr. 5 StPO vor.“

Köln, wie es singt und lacht, oder: Gibt es die gezahlten Bußgelder zurück? Update: Ja

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Ich eröffne den heutigen Tag mit einem Rückblick bzw. ich greife noch einmal ein Thema auf, zu dem ich am vergangenen Samstag gebloggt hatte. Das war die „Knöllchen-Panne“ in Köln um die wohl rund 35.000 „falschen“ Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung auf der A 3. Stichwort: Einstellung dieser Verfahren. Ich hatte in meinem Beitrag Köln, wie es singt und lacht, oder: 35.000 Bußgeldverfahren müssen eingestellt werden am Ende die Frage nach der Kulanz gestellt. Daran hatte ich eine Diskussion in den Kommentaren entwickelt, ob die Rückzahlung von zu Unrecht erhobenen Bußgeldern – jedenfalls materiell-rechtswidrig waren die Bescheide m.E. ja wohl – nicht den Straftatbestand des § 266 StGB erfüllen würde.

Inzwischen werden die Fragen auch in der (Kölner) Politik diskutiert, vgl. einmal hier: Blitzer auf der A3 Stadt Köln will Bußgelder zurückzahlen und dann hier: Dringlichkeitsantrag im Stadtrat A3-Blitzer-Panne: SPD und FDP fordern Entschädigung. 

Die Stadt Köln/Frau Reker sieht die Grundlage für die Rückzahlung wohl im sog. Gnadenerlass NRW (müsste das hier sein: Ausübung des Rechts der Begnadigung, Übertragung von Gnadenbefugnissen und Verfahren in Gnadensachen bei Strafen und Geldbußen wegen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, für deren Ermittlung (Verfolgung) die Finanzbehörden zuständig sind – RV des Justizministers vom 18. April 1979 (4253 – III A. 3]). Der/die RP Köln/Frau Walsken meint aber, dass der nicht anwendbar sei.

Nun wir werden sehen, was daraus wird. Jedenfalls würde ich als Verteidiger dann ggf. doch mal einen Antrag auf Rückzahlung stellen und schauen was passiert. Nicht, dass da was versäumt wird 🙂 .

Update um 13:15 Uhr: Inzwischen hat man sich – wie gerade hier – gemeldet wird „geeinigt“. Es läuft wohl nicht über den Gnadenerlass. „Stattdessen einigten sich die Behörden nun auf ein „freiwilliges Ausgleichsprogramm„.“ Was immer das ist oder wie das geht.