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BVerfG I: VB gegen abgelehnte Wiederaufnahme, oder: Klatsche für GBA und OLG Frankfurt aus Karlsruhe

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Und dann auf die in 5. KW., und zwar mit zwei Entscheidungen des BVerfG.

Zunächst weise ich hin auf den  BVerfG, Beschl. v.  04.12.2023 – 2 BvR 1699/22. Auf den ist ja in der vergangenen Woche schon an verschiedenen Stellen hingewiesen worden. Es handelt sich um die (teilweise) erfolgreiche Verfassungsbeschwerde einer rechtskräftig verurteilten Frau gegen die Ablehnung einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens durch das OLG Frankfurt am Main, und zwar durch den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 08.07.2022 – 1 Ws 21/22.

Ich mache es mir mit der Sache einfach, vor allem auch weil der Beschluss des BVerfG so umfangreich ist, dass man ihn hier kaum vorstellen kann. Ich nehme also nur die Pressemitteilung des BVerfG und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext der Entscheidung.

In der PM heißt es:

„Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde einer wegen Mordes rechtskräftig Verurteilten teilweise stattgegeben. Diese wendet sich gegen die fachgerichtliche Ablehnung einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgestellt hatte.

Das Recht auf ein faires Verfahren ist verletzt, wenn Zweifel an der Unparteilichkeit eines Gerichts durch objektive Kriterien begründet sind. War ein Richter mit der Tat in einem früheren Verfahren gegen andere Tatbeteiligte befasst, können sich solche Kriterien bereits aus dem früheren Urteil ergeben.

Die Beschwerdeführerin wurde wegen Mordes an ihrem damaligen Ehemann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. An dem Urteil wirkte ein Richter mit, der auch schon an der Verurteilung des ehemaligen Lebensgefährten der Beschwerdeführerin wegen derselben Tat mitgewirkt hatte. Nachdem der EGMR aufgrund dieser Mitwirkung einen Konventionsverstoß festgestellt hatte, beantragte die Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen sie. Das Landgericht lehnte dies ab. Das Oberlandesgericht wies die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde als unbegründet zurück. Die Beschwerdeführerin habe nicht dargelegt, dass das Urteil auf dem Konventionsverstoß beruhe.

Das Oberlandesgericht hat den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verletzt. Es stellt Anforderungen, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar sind. Damit erschwert es den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung in einer Weise, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Der ehemalige Lebensgefährte der Beschwerdeführerin wurde 2011 wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrem damaligen Ehemann zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Am Urteil wirkte ein Richter als Berichterstatter mit, der im späteren Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin den Vorsitz führte.

Im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin lehnte diese den Vorsitzenden Richter gestützt auf diesen Umstand wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ausgangsgericht wies das Ablehnungsgesuch zurück und verurteilte die Beschwerdeführerin im April 2014 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin – jeweils erfolglos – Revision zum Bundesgerichtshof und Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.

Auf ihre daraufhin erhobene Individualbeschwerde stellte der EGMR wegen der Mitwirkung des Vorsitzenden Richters einen Konventionsverstoß fest. Zwar gebe es nach subjektiven Kriterien keine Anzeichen dafür, dass der Richter im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin mit persönlicher Voreingenommenheit vorgegangen wäre. Allerdings seien ihre Zweifel, dass der am Urteil gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten mitwirkende Richter bereits zu einer vorgefassten Meinung über ihre Schuld gelangt sei, aufgrund objektiver Kriterien gerechtfertigt. Das Ausgangsgericht habe in diesem früheren Urteil seine Feststellungen die Beschwerdeführerin betreffend als Tatsachen mit entsprechender rechtlicher Einordnung und nicht als reine Vermutungen dargestellt. Dies gehe über das hinaus, was notwendig gewesen sei, um die Tat ihres ehemaligen Lebensgefährten rechtlich einzustufen (EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17).

Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin beim Landgericht die Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Das Landgericht verwarf den Antrag als unzulässig. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss vom 8. Juli 2022 als unbegründet. Zur Begründung führte es unter anderem aus, dass nach dem Gesetzeswortlaut für eine Wiederaufnahme das Urteil auf dem Konventionsverstoß beruhen müsse. Es sei Aufgabe der Beschwerdeführerin, Anhaltspunkte dafür darzulegen, dass sich der Konventionsverstoß auf die Verurteilung ausgewirkt haben könne und ihre Verurteilung bei Beachtung der verletzten Konventionsnorm möglicherweise anders ausgefallen wäre. Der EGMR habe festgestellt, dass von der persönlichen Unparteilichkeit des Richters auszugehen sei. Auch vor diesem Hintergrund habe Vortrag dazu erfolgen müssen, aufgrund welcher Umstände davon auszugehen sei, dass das Urteil auf dem festgestellten Konventionsverstoß beruhe.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, ist sie zulässig und begründet. Das Oberlandesgericht hat den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. Es stellt Anforderungen an die Darlegung, dass das Urteil auf dem festgestellten Konventionsverstoß beruhe, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar sind und damit den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.

  1. a) Das Oberlandesgericht fordert von der Beschwerdeführerin eine Darlegung dazu, dass sich im Urteil gegen sie Anhaltspunkte für eine Begründung der Besorgnis der Befangenheit finden. Es sei nicht Aufgabe des Wiederaufnahmegerichts zu untersuchen, ob in dem umfangreichen Urteil gegen sie Feststellungen getroffen oder im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse gezogen wurden, die auf einer Voreingenommenheit beruhen könnten.

Hiermit verlangt das Oberlandesgericht Anhaltspunkte, die in einem Fall wie dem streitgegenständlichen nicht vorliegen können. Denn in einem Fall der Vorbefassung können sich aus dem späteren Urteil Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts dann ergeben, wenn zum einen Indikatoren gegen die Unparteilichkeit vorliegen und zum anderen solche fehlen, die für sie sprechen. Nach der Rechtsprechung des EGMR spricht für die Unparteilichkeit, dass das im Folgeprozess ergangene Urteil keine Verweise oder Bezugnahmen auf die Feststellungen im früheren Urteil enthält. Umgekehrt spricht die Zitierung von Auszügen aus dem früheren Urteil in der späteren Rechtssache gegen die Unparteilichkeit. Fehlen – wie im vorliegenden Fall – im späteren Urteil gegen die Unparteilichkeit sprechende Gesichtspunkte, können gleichwohl objektiv begründete Zweifel an der Unparteilichkeit bestehen, wenn sich dies aus der Prüfung des früheren Urteils ergibt.

Wird für die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 Strafprozessordnung (StPO) dennoch gefordert, trotz der im Urteil des EGMR festgestellten Indikatoren für die Unparteilichkeit im späteren Urteil dem entgegenstehende gegen sie sprechende Anhaltspunkte in eben diesem Urteil darzulegen, wird Unmögliches verlangt. Denn beides schließt sich gegenseitig aus. Enthält ein Urteil keine Verweise oder Bezugnahmen auf Feststellungen im früheren Urteil und beruht es auf einer eigenständigen Beweiserhebung und Beweiswürdigung, können Auszüge aus dem früheren Urteil oder Bezugnahmen auf seine Feststellungen ohne eigene Beweiserhebung und Beweiswürdigung im späteren nicht enthalten sein. Jedenfalls ist eine solche Darlegung unzumutbar. Denn es ist nicht erkennbar, welche hiervon unabhängigen Anhaltspunkte gegen die Unparteilichkeit gemeint sein könnten, wenn die in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Indikatoren im späteren Urteil gerade nicht vorliegen.

In der Sache verkennt das Oberlandesgericht, dass der vom EGMR festgestellte Konventionsverstoß nicht darin liegt, dass (möglicherweise) ein tatsächlich voreingenommener Richter an dem gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren und an der gegen sie ergangenen Entscheidung beteiligt war, sondern darin, dass ein Richter mitgewirkt hat, bezüglich dessen Unvoreingenommenheit bei objektiver Betrachtung aus Sicht der Beschwerdeführerin gerechtfertigte Zweifel bestanden. Dieser Konventionsverstoß wirkte sich bereits in der Einflussnahme dieses Richters im gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren als solcher und nicht nur dann aus, wenn eine etwaige Voreingenommenheit in der Entscheidung ihren Niederschlag gefunden hätte.

b) Die vom Oberlandesgericht aufgestellten Anforderungen sind auch sachlich nicht gerechtfertigt.

Wegen der Bedeutung der Rechtskraft ist die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens grundsätzlich nur unter engen Voraussetzungen möglich ist. Dies rechtfertigt jedoch keine Auslegung, durch die bestimmte Fälle, in denen ein Verstoß gegen die EMRK festgestellt wurde, schon dem Grunde nach von einer Wiederaufnahme gemäß § 359 Nr. 6 StPO ausgeschlossen sind. Das wäre indes die Folge der unerfüllbaren Darlegungsanforderungen der Fachgerichte. Sie lassen die Wiederaufnahme schon dem Grunde nach nicht zu, wenn im Fall der Vorbefassung eines Richters der EGMR einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen objektiv begründeter Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts allein auf Anhaltspunkte im früheren Urteil stützt.

Der Gesetzgeber hat mit § 359 Nr. 6 StPO die Möglichkeit zur Korrektur eines Verstoßes gegen die EMRK geschaffen. Das Beruhenserfordernis schließt dabei die Wiederaufnahme in den Fällen aus, in denen sich ein Konventionsverstoß nicht ausgewirkt hat. Dies darf aber nicht dazu führen, dass bestimmte, in der Rechtsprechung des EGMR anerkannte Konstellationen einer Verletzung der EMRK von vorneherein ausgeschlossen sind.

Andernfalls bestünde ein Wertungswiderspruch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die aus einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgen. Verlangt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass bei fehlerhafter Besetzung des Gerichts Strafurteile aufgehoben werden – was im Rahmen der Revision gemäß § 338 Nr. 3 StPO gerügt und gegebenenfalls erreicht werden kann –, kann eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende Besetzung des Gerichts nicht weniger schwer wiegen. Dies ist auch bei der Auslegung und Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO zu berücksichtigen.“

Wenn man den Volltext liest, kann man nur sagen: Das haben das OLG Frankfurt am Main und auch der GBA aber ganz schön „einen auf den Deckel bekommen“. Der GBA fängt sich einen für die Forderung, dass habe vorgetragen werden müssen, dass „ein anderer Richter bei einer rational begründeten Entscheidungsfindung aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung auch zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können„. Das sieht das BVerfG als „unzumutbar“ an. Und das OLG darf lesen: „Das Oberlandesgericht stellt für den Wiederaufnahmeantrag Anforderungen an die Darlegung des Beruhens gemäß § 359 Nr. 6 StPO, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar sind, und erschweren damit den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung in einer Weise, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist. „