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StPO II: Umfang der Mitteilung zu einer Verständigung, oder: Auch der Gesprächsinhalt interessiert

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Und als zweite Entscheidung dann der BGH, Beschl. v. 14.02.2023 – 5 StR 527/22 – zur Mitteilung in Zusammenhang mit einer Absprache/Verständigung.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Rüge der Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Erfolg hatte:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Erhebung der Anklage fand auf Anregung der Vorsitzenden ein Verständigungsgespräch statt, an dem neben den Mitgliedern der Strafkammer unter anderem Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft sowie die Verteidiger des Angeklagten und des nicht revidierenden Mitangeklagten teilnahmen. Im Verlauf des Gesprächs äußerten die zuständige Staatsanwältin und später auch die Vorsitzende ihre Strafmaßvorstellung für den Angeklagten für den Fall einer geständigen Einlassung. Dessen Verteidiger äußerte sich ablehnend. Das Gespräch wurde letztlich ergebnislos beendet. Die Vorsitzende fertigte einen Vermerk über das Gespräch an, der zu den Akten genommen und den Verteidigern per Fax übermittelt wurde.

Am ersten Tag der Hauptverhandlung stellte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes fest, „dass Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung“ stattgefunden hätten. Sie nahm Bezug auf den hierzu gefertigten Vermerk. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger bestätigten, den Vermerk zu kennen. Über das Verständigungsgespräch und dessen Inhalt teilte die Vorsitzende ansonsten nichts mit. Auch der Vermerk wurde nicht verlesen oder sonst bekanntgegeben. Weitere Erklärungen wurden von den Verfahrensbeteiligten nicht abgegeben.

2. Es liegt danach ein durchgreifender Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.

a) Indem die Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung lediglich die Gesprächsführung als solche und als deren Ergebnis das Ausbleiben einer Verständigung, nicht aber den wesentlichen Inhalt des Gesprächs mitteilte, genügte sie nicht der sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebenden Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen, die ohne Einschränkungen auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen gilt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; Urteil vom 18. November 2020 ‒ 2 StR 317/19, wistra 2021, 290 Rn. 45 mwN).

b) Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Zwar war der Angeklagte durch seinen Verteidiger in inhaltlich nicht näher bekannter Weise mündlich über das Verständigungsgespräch und dessen Ergebnislosigkeit informiert worden (zum Fehlen eines aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgenden Vortragserfordernisses hierzu vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2019 – 3 StR 336/19, NStZ-RR 2020, 87; vom 3. August 2022 – 5 StR 62/22). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte sein Prozessverhalten bei einer durch die Vorsitzende erteilten Information über den Inhalt des Verständigungsgesprächs anders als geschehen ausgerichtet hätte (vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 118; MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 96).“

Absprache II: Lag ein Verständigungsgespräch vor?, oder: Nochmals Anforderungen an die Mitteilung

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Auch in der zweiten Entscheidung zum Komplex „Verständigung“ geht es um die Verständigungsmitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO. Dazu hat der OLG Hamburg, Beschl. v. 19.12.2022 – 2 Rev 28/22 – Stellung genommen.

Der in dem Verfahren erhobenen Verfahrensrüge lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„a) Der Rüge liegt ? soweit für die Entscheidung von Bedeutung ? folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 23. Februar 2021 bat der Verteidiger um ein Rechtsgespräch. Dieses fand sodann unter Ausschluss des Angeklagten und der Öffentlichkeit im Beisein des Vorsitzenden, der Schöffen und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft statt. Der Vorsitzende teilte mit, dass er – entgegen seiner damaligen Einschätzung – angesichts der positiven Entwicklung die Verhängung einer unbedingten Jugendstrafe nicht mehr für erforderlich halte. Ob dies ein Schuldspruch, eine Vorbewährung oder etwas anderes sei, könne er noch nicht sagen. Der Verteidiger schlug eine geständige Einlassung mehrerer Taten vor, welche etwas mehr als zwei Drittel des Gesamtschadens abdeckten; die übrigen Taten sollten dann eingestellt werden. Für diese Einlassung sollte als Rechtsfolge neben der Wiedergutmachung des Schadens Erziehungsmaßregeln ausgeurteilt werden. Weder der Vorsitzende noch der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten dem zu. Der Vorsitzende erklärte, dass er insbesondere etwas zur Motivation des Angeklagten, wie insbesondere im Jugendstrafrecht üblich, erfahren wolle, um eine geeignete Rechtsfolge zu bestimmen. Eine Verständigung wollte der Vorsitzende – ausweislich seiner vom Senat eingeholten dienstlichen Stellungnahme – nicht treffen und habe dies auch geäußert.

In der am 16. März 2021 durchgeführten Sitzung regte der Verteidiger erneut ein Rechtsgespräch unter Ausschluss des Angeklagten an. Dieses wurde nach Unterbrechung der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Vorsitzenden, des Vertreters der Staatsanwaltschaft sowie der Schöffen geführt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft regte aufgrund der nach seiner Auffassung erdrückenden Beweislast eine geständige Einlassung des Angeklagten an, da dies auf seine Beurteilung über das Vorhandensein von schädlichen Neigungen Einfluss haben könnte. Der Vorsitzende gab dazu keine Erklärung ab. Der Verteidiger erklärte, dass er dies mit dem Angeklagten besprechen werde, was er – wie zuvor auch – tat.

Über keines der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche wurde in der Hauptverhandlung berichtet. Vielmehr stellte der Vorsitzende nach Verlesung der Anklageschrift und vor Schluss der Beweisaufnahme fest, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden haben.“

Dem OLG reicht das nicht:

„c) Hiernach erfüllte der Vorsitzende seine verständigungsspezifischen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten nicht.

Ein Verständigungsgespräch liegt dann vor, wenn nach seinem Inhalt ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verfahrensabsprache im Raum steht. Ob dies der Fall ist, ist maßgeblich danach zu beurteilen, ob in dem Gespräch Verfahrensfragen erörtert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe liegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10; BVerfG NJW 2020, 2461; BGH NStZ-RR 2022, 355; BGH wistra 2022, 384; BGH NStZ 2022, 55). Abzugrenzen sind solche Erörterungen, bei denen ein Verfahrensergebnis einerseits und ein prozessuales Verhalten des Angeklagten andererseits in ein Gegenseitigkeitsverhältnis im Sinne von Leistung und Gegenleistung gesetzt werden, von sonstigen verfahrensfördernden Gesprächen, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielen (vgl. BGH NStZ 2020, 237; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15). Auch kann die Abgrenzung zwischen einem reinen Aufzeigen der jeweils eigenen Standpunkte und dem Einstieg, wie diese möglicherweise in Einklang gebracht werden können fließend sein. Im Zweifel ist ein solches Gespräch mitzuteilen (vgl. LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 57).

Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört dabei zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BGH StraFo 2022, 436; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 StR 209/21; BGH StV 2018, 6; BGHSt 60, 150; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 55).

Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat der Vorsitzende daher nach Verlesung des Anklagesatzes über Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die vor der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Kommt es zu solchen Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, so hat der Vorsitzende nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch dies bekanntzugeben (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 87; BGH StV 2021, 3). Alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit sollen daher nicht nur darüber informiert werden, dass Erörterungen stattgefunden haben, sondern auch darüber, wer an den Gesprächen teilgenommen hat, welche Standpunkte von den Teilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168; BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 59, 252; BGH NStZ-RR 2022, 80; BGH NStZ 2021, 506; BGH NStZ-RR 2021, 180; BGH StV 2021, 3). Diese Umstände sind auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen mitzuteilen (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHR StPO § 257c Abs. 1 Erörterungen 1; BGH StraFo 2022, 436; BGH NStZ 2020, 751; BGH NStZ 2014, 416; BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 64/22), und zwar regelmäßig alsbald nach der Fortsetzung der Hauptverhandlung (vgl. BGH NStZ 2022, 761; BGH NStZ 2018, 419; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 243 Rdn. 56).

An diesen Grundsätzen gemessen traf den Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts eine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO. Jedenfalls bei der Unterredung am 23. Februar 2021 wurde durch den Verteidiger eine Verknüpfung zwischen einem möglichen Geständnis, also dem prozessualem Verhalten des Angeklagten, und dem Verfahrensergebnis hergestellt. Die Erörterung ging damit über die bloße Darstellung der eigenen Meinung hinaus und es handelte sich nicht lediglich um „Sondierungsgespräche“ ohne Bezug zu einer einverständlichen Verfahrenserledigung. Dass der Vorsitzende, wie dieser in seiner dienstlichen Stellungnahme dargelegt hat, an keiner Verständigung interessiert war, nimmt dem Begehren des Verteidigers nicht den auf eine Verständigung und damit mitteilungspflichtigen gerichteten Inhalt. Dies gilt auch für den Umstand, dass der Vorsitzende das Gespräch selbst nicht als mitteilungspflichtig eigeschätzt hat.

Auch das Gespräch vom 16. März 2021 war konkludent auf eine Verständigung gerichtet. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verband ein Geständnis mit der Prüfung, ob schädliche Neigungen beim Angeklagten vorgelegen haben und damit mit der zu verhängenden Rechtsfolge. Insbesondere auch im Licht des vorherigen Rechtsgesprächs handelte es sich um eine mitteilungspflichtige Erörterung, auch wenn sich der Vorsitzende zu dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft nicht geäußert hat.

d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf der unzulänglichen Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO beruht…..“

Es erscheint möglich, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht das Einlassungsverhalten des Angeklagten beeinflusst hat. Darauf, dass dieser von seinem Verteidiger über Äußerungen unterrichtet wurde, kommt es nicht an, weil eine von Verständnis und Wahrnehmung des Verteidigers beeinflusste Information die gesetzlich vorgeschriebene Unterrichtung durch das Gericht nicht ersetzen kann (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461; BGHSt 58, 310; BGHSt 59, 252; BGH NStZ 2017, 244).

Zudem darf die Frage des Beruhens des Urteils auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten beurteilt werden. Hierdurch wird die Bedeutung der Transparenzvorschriften für die Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die auch dem Schutz des Angeklagten vor sachfremder Beeinflussung durch das Gericht und damit der Verfahrensfairness dient, ausgeblendet. Der auf die Kontrolle durch die Öffentlichkeit abzielende Schutzgehalt des § 243 Abs. 4 StPO beansprucht unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung und muss bei der Beruhensprüfung stets Berücksichtigung finden (vgl. BVerfG NJW 2020, 2461). Auch insoweit liegt hier kein Ausnahmefall vor, bei dem zweifelsfrei ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ausgeschlossen werden könnte.

Hiernach konnte dahinstehen, ob auch die verständigungsbezogenen Erörterungen, die am 27. Oktober 2021 ohne den Angeklagten vor der Aussetzung der ursprünglich angesetzten Hauptverhandlung stattgefunden haben, in der neuen Hauptverhandlung mitzuteilen waren (so aber BGH NStZ 2022, 371).

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

1.Im Jugendstrafverfahren sind Verständigungen nur in besonderen Ausnahmenfällen angezeigt, da ihnen die besonderen jugendstrafrechtlichen Strafzumessungsregeln und Aspekte des Erziehungsgedankens in der Regel entgegenstehen werden (vgl. BT-Drs. 16/12310 S. 10; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rdn. 12). Für sie war hier angesichts der vorliegenden Beweislage ohnehin kein Raum.

2.Darüber hinaus sollte der Vollstreckungsstand der durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 30. Juli 2019 verhängten Sanktion eindeutig wiedergegeben werden. Zudem sollte unzweifelhaft zu erkennen sein, ob eine – nachträgliche – Einheitsjugendstrafe gebildet wurde.

3. Schließlich wird die Staatsanwaltschaft zu prüfen haben, ob die vorläufig eingestellten Taten wieder aufgenommen werden sollten, um so – im Falle ihrer Erweislichkeit – dem Tatrichter eine insgesamt schuldangemessene Bestrafung zu ermöglichen.

4. Für den Fall, dass sich der neue Tatrichter die Überzeugung von einem strafbaren Verhalten des Angeklagten verschafft, wird er auch die Kompensation etwaiger rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.

Absprache I: Inhalt der Verständigungsmitteilung, oder: Wer hat mit wem über was gesprochen?

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Heute dann drei StPO-Entscheidungen, die in Zusammenhang mit der Absprache/Verständigung (§ 257c StPO) stehen.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 08.02.2023 – 6 StR 284/22 – zur sog. Verständigungsmitteilung (§ 243 Abs. 4 StPO). Es geht mal wieder um den Inhalt der Mitteilung. Der Angeklagte hatte mit seiner Revision eine Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO gerügt. Und er hatte Erfolg:

„Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 13. Juni 2019 fand auf Initiative des früheren Vorsitzenden der Strafkammer eine mündliche Besprechung statt, in der der äußere Ablauf der Hauptverhandlung im Sinne des § 213 Abs. 2 StPO abgestimmt werden sollte. An dem etwa einstündigen Termin nahmen die damaligen Berufsrichter der Strafkammer, der Verteidiger und ein Oberstaatsanwalt teil. Letzterer wies in dem Gespräch unter anderem darauf hin, der Angeklagte habe seine Vertrauensstellung als Pastor missbraucht; dies könne strafschärfend gewertet werden. Der Vorsitzende gab an, die Strafkammer habe das in anderen Fällen auch so entschieden. Der Oberstaatsanwalt hob weiter hervor, er strebe eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung an, wenn sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige. Dazu erklärte der damalige Vorsitzende, man könne durchaus „goldene Brücken“ bauen, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Der Verteidiger wies auf den Gesundheitszustand des Angeklagten hin und erklärte, dass dieser nur sehr eingeschränkt belastbar sei. In der am 20. Januar 2021 begonnenen Hauptverhandlung stellte die (nunmehrige) Vorsitzende der Strafkammer gemäß § 243 Abs. 4 StPO fest, dass „Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist, nicht stattgefunden haben.“ Am 22. Februar 2021 erklärte sie in laufender Hauptverhandlung, sie halte die Sache für eine Verständigung geeignet. Bei einem Geständnis komme die Verhängung einer Strafe in Betracht, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werde und die nicht unter einem Jahr betrage. Der Angeklagte möge sich dies überlegen. Der Verteidiger entgegnete in der Hauptverhandlung vom 9. März 2021, er verstehe die Mitteilung als Anregung für Verständigungsgespräche, diese sei aber noch nicht vollständig, da die Kammer bloß eine Strafuntergrenze benannt habe.

In der Zeit vom 12. Juli bis 4. Oktober 2021 kam es zwischen der Vorsitzenden und dem Verteidiger zu insgesamt vier Telefonaten, in denen sie sich über ein etwaiges Ergebnis der Hauptverhandlung austauschten. So fragte die Vorsitzende den Verteidiger am 12. Juli 2021, welche Möglichkeiten einer Verständigung er sich denn vorstellen könne. Er erwiderte unter anderem, nach seiner Auffassung könne eine Lösung mit dem von ihr in Aussicht gestellten Strafmaß auch bei den 19 vollständig eingestandenen Taten sowie weiteren Urkundenfälschungen sachgerecht sein; ein schlichtes Geständnis weiterer Fälle stünde aber im Widerspruch zum bisherigen Vorbringen des Angeklagten. Die Vorsitzende erklärte, sie könne sich eine solche Lösung nicht vorstellen, und deutete an, dass jedenfalls zehn weitere Fälle eingestanden werden sollten wie auch der Umstand, dass die Unterschriften auf den Quittungen falsch seien. In den nachfolgenden Telefonaten vom 15. und 16. Juli sowie vom 4. Oktober 2021 sprachen beide zudem über ein etwaiges Schuldanerkenntnis des Angeklagten gegenüber dem Kirchengemeindeverband.

Im Anschluss an die Hauptverhandlung vom 5. Oktober 2021 fand eine weitere Besprechung der Verfahrensbeteiligten (ohne den Angeklagten) statt. Dabei wurde über den Stand der Beweisaufnahme, insbesondere über die Beweisbedeutung gefälschter Quittungen gesprochen. Der Verteidiger wiederholte seinen Vorschlag aus dem Telefonat vom 12. Juli 2021, das Verfahren auf die vom Angeklagten eingeräumten Taten zu beschränken. Dem stimmte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nicht zu. Daraufhin erzielten die Beteiligten Einigkeit darüber, dass die Strafkammer einen Vorschlag für eine Verständigung konkretisieren solle.

In der Hauptverhandlung vom 13. Oktober 2021 verlas die Vorsitzende dann eine Erklärung zu „Erörterungen des Verfahrenstands und Verständigungsgespräch zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten“. Darin heißt es: „Neben der Hauptverhandlung wurden (auch) zur Vorbereitung einer Verständigung der Verfahrensstand sowie die Möglichkeit einer einverständlichen Erledigung erörtert. Die Frage der Verständigung wurde am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Kammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert. Es wurde Einigkeit erzielt, dass die Kammer auf der Grundlage ihrer vorläufigen Bewertung des Verfahrensstandes einen Verständigungsvorschlag unterbreitet. Dazu gibt die Kammer die folgende Einschätzung bekannt: (…)“.

II.

Die Mitteilungen der Vorsitzenden genügen nicht den rechtlichen Anforderungen des § 243 Abs. 4 StPO.

1. Nach dieser Vorschrift ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb einer Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Die Mitteilungspflicht ist Teil der im Verständigungsverfahren geltenden Transparenz- und Dokumentationsregeln, die gewährleisten sollen, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff.; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 mwN). Die Mitteilungspflicht verfolgt zum einen den Zweck, den Angeklagten, der an Verständigungsgesprächen nicht teilgenommen hat, durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen (vgl. BVerfG und BGH aaO). Zum anderen soll insbesondere § 243 Abs. 4 StPO eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 65, 81, 87 ff.; Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461 Rn. 22 f., 26, 32, 35; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 37 mwN). Hiernach ist nicht nur der Umstand mitzuteilen, dass es solche Erörterungen gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Dabei ist regelmäßig anzugeben, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob diese bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 85; BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22; Beschluss vom 31. August 2021 – 2 StR 339/20, NStZ 2022, 245 Rn. 8).

2. Diesen Anforderungen entsprach die Mitteilung der Vorsitzenden vom 13. Oktober 2021 nicht. Sie beschränkte sich im Wesentlichen auf den Umstand, dass die Frage der Verständigung am 5. Oktober 2021 unter Beteiligung der Strafkammer, einschließlich der Schöffen, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger erörtert worden sei und im Ergebnis dessen die Strafkammer einen Verständigungsvorschlag vorlegen solle. Die Vorsitzende informierte hingegen nicht darüber, dass solche Gespräche zunächst allein zwischen ihr und dem Verteidiger geführt worden waren, bereits drei Monate zuvor, nämlich im Juli 2021 begonnen und sich über mehrere Tage hingezogen hatten. Ferner teilte sie nicht mit, dass sie sich mit dem Verteidiger bereits zum Umfang des Geständnisses, insbesondere zur konkreten Anzahl der vom Angeklagten begangenen Taten sowie über eine Schadenswiedergutmachung ausgetauscht hatte. Ebenso wenig lässt sich der Mitteilung entnehmen, wer bei den Erörterungen welche Positionen vertreten hatte.

Angesichts der inhaltlichen Defizite kann offenbleiben, ob die Mitteilung auch deshalb nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, weil sie erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erfolgte. Zwar bestimmt § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO keinen Zeitpunkt, zu der die erforderlichen Angaben in der Hauptverhandlung mitzuteilen sind. Gleichwohl gebieten Sinn und Zweck der Regelung eine möglichst umgehende Mitteilung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. August 2022 ? 5 StR 62/22, NStZ 2022, 761; vom 25. Juni 2020 – 3 StR 102/20, NStZ 2021, 310; vom 6. Februar 2018 – 1 StR 606/17, NStZ 2018, 419, 420).

3. Auch die Mitteilung vom 20. Januar 2021 gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, dass bis dahin keine Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen seien, stattgefunden hätten, war unzutreffend. Zwar weist der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht darauf hin, dass die Besprechung vom 13. Juni 2019 in erster Linie der Abstimmung des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung diente. Ebenso wenig stellte die Erklärung des Oberstaatsanwalts, der Missbrauch der Vertrauensstellung als Pastor könne strafschärfend gewertet werden und er strebe eine unbedingte Freiheitsstrafe an, falls sich der Angeklagte nicht reumütig und einsichtig zeige, schon eine „Erörterung“ im Sinne des § 243 Abs. 4 StPO dar. Denn niemand kann und darf dem Gericht mitteilungsbedürftige Verständigungsgespräche aufzwingen (so zutreffend KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 43). Zu einer mitteilungspflichtigen Erörterung erwuchs diese zunächst einseitige Aussage jedoch durch die daran anknüpfende Äußerung des Vorsitzenden, man könne durchaus „goldene Brücken bauen“, sofern sich der Angeklagte entsprechend verhalte. Damit wollte der Vorsitzende offenkundig nicht nur allgemein auf die strafmildernde Wirkung von geständigen Einlassungen hinweisen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2021 – 1 StR 92/21, NStZ-RR 2021, 317; vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535). Vielmehr gab er insbesondere dem Verteidiger unmissverständlich zu erkennen, dass er – ebenso wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft – bei einer geständigen Einlassung eine Strafobergrenze von zwei Jahren und auch eine Strafaussetzung zur Bewährung als angemessen erachte.

Die Pflicht, den Inhalt dieses Gesprächs mitzuteilen, entfiel schließlich nicht dadurch, dass es nachfolgend zu einer Änderung der Besetzung der Strafkammer gekommen ist und insbesondere die spätere Vorsitzende nicht an der Erörterung teilgenommen hatte. Denn mit der Zielsetzung des § 243 Abs. 4 StPO, den Angeklagten und die Öffentlichkeit über verständnisbezogene Erörterungen umfassend zu informieren, wäre es unvereinbar, die spruchkörperbezogene Mitteilungspflicht davon abhängig zu machen, dass sich die Besetzung des Gerichts im Nachhinein noch ändert (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 ? 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221; KK-StPO/Schneider, aaO, Rn. 47). Eine zutreffende Mitteilung war zu Beginn der Hauptverhandlung auch noch möglich. Zwar hatte der frühere Vorsitzende die verständigungsbezogenen Inhalte der Unterredung vom 13. Juni 2019 entgegen §§ 202a, 212 StPO nicht aktenkundig gemacht. Doch hatte einer der beiden Berufsrichter der Strafkammer sowohl an der Erörterung als auch an der Hauptverhandlung teilgenommen.

4. Jedenfalls die defizitäre Mitteilung vom 13. Oktober 2021 zwingt zur Aufhebung des materiell-rechtlich fehlerfreien Urteils. Unter Berücksichtigung der – strafprozessual freilich nicht bedenkenfreien – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., aaO, Rn. 97 f.; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172, 173 f.; kritisch dazu Niemöller NStZ 2015, 489) kann der Senat nicht ausschließen, dass der Schuldspruch auf dieser Verletzung des § 243 Abs. 4 StPO beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2021 – 6 StR 558/21, NStZ 2022, 246; vom 5. Juli 2018 – 5 StR 180/18, NStZ-RR 2018, 355).“

StPO II: Mitteilungspflicht beim „Deal“ verletzt, aber: Kein Beruhen

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 16.09.2020 – 5 StR 249/20 – geht es mal wieder um die Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO):

Der Erörterung bedarf ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts lediglich die Verfahrensrüge der Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.

1. Mit dieser Rüge beanstandet die Revision, die Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer habe drei Gespräche mit einem der Verteidiger des Angeklagten, die sie am 3. Juli und 4. Juli 2018 sowie am 9. Januar 2020 mit dem Ziel der Verständigung geführt habe, in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt.

Der Rüge liegt nach dem – in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft unwidersprochen gebliebenen – Vortrag der Revision folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Zustellung der Anklageschrift am 29. Juni 2018 rief die Vorsitzende Richterin am 3. Juli 2018 bei dem Verteidiger Rechtsanwalt S. an. In dem Telefonat teilte sie eine Verlängerung der Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO bis Ende August 2018 und ihre Einschätzung mit, dass sich die Sache für eine Verständigung eigne und bei streitiger Verhandlung wohl erst ab Januar 2019 terminiert werden könne. Der Verteidiger erklärte, erst mit seinem Mandanten sprechen zu müssen und noch keine belastbare Aussage treffen zu können. Am Folgetag begegneten sich die Vorsitzende Richterin und Rechtsanwalt S. , als dieser auf der Geschäftsstelle des Landgerichts Akteneinsicht nahm. Sie sprach ihn nochmals darauf an, dass er sich melden solle, falls er ein Verständigungsgespräch wünsche. Dabei äußerte sie die Auffassung, dass man die Anklage auf die ersten beiden Anklagepunkte beschränken könne und ein Geständnis aufgrund des Umfanges der Sache außerordentlich strafmildernd sei.

Nach einem Termin zur Verkündung eines gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehls suchte der Verteidiger Rechtsanwalt . S. am 9. Januar 2020 das Dienstzimmer der Vorsitzenden Richterin auf. Sie sprach ihn erneut auf die Möglichkeit einer Verständigung an. Auf seine Erklärung, eine Verständigung käme nur dann in Betracht, wenn der Haftbefehl aufgehoben würde, erwiderte die Vorsitzende, dass sie sich dies vorstellen könne.

Im Hauptverhandlungstermin vom 15. Januar 2020 teilte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten keine verständigungsbezogenen Gespräche geführt worden seien. Sie erklärte weiterhin, Rechtsanwalt Sc. in einem Gespräch Ende 2019, in dem dieser angekündigt habe, sich als weiterer Verteidiger bestellen zu lassen, darauf hingewiesen zu haben, dass im Falle eines Geständnisses des Angeklagten eine geringere Strafe in Aussicht gestellt und eventuell das Verfahren gemäß § 154 StPO bezüglich einzelner Anklagefälle eingestellt werden könne.

Am 5. Februar 2020 kam es auf Anregung des Verteidigers Rechtsanwalt S. zwischen den Verfahrensbeteiligten zu einem Verständigungsgespräch außerhalb der Hauptverhandlung, in dem er darauf hinwies, dass für den Angeklagten die Aufhebung des Haftbefehls Hauptbedingung einer Verständigung sei. Diese Voraussetzung wurde von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft akzeptiert. In der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 teilte die Vorsitzende den Inhalt des von ihr in der Akte dokumentierten Verständigungsgesprächs mit. Der damit verbundene Verständigungsvorschlag der Wirtschaftsstrafkammer sah unter anderem vor, dass bei einer geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren und vier Jahren und sechs Monaten verhängt, mehrere Anklagepunkte gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und der Haftbefehl (mit der Urteilsverkündung) aufgehoben werden sollte.

Nachdem in der Hauptverhandlung am 19. Februar 2020 die Belehrung des Angeklagten nach § 257c Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 StPO erfolgt und durch seine Zustimmung und die der Vertreterin der Staatsanwaltschaft die vorgeschlagene Verständigung gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustande gekommen war, ließ sich der Angeklagte am 4. März 2020 geständig ein.

2. Bei dem geschilderten Verfahrensablauf liegt eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.

Die Mitteilung der Vorsitzenden der Strafkammer, wonach verständigungsbezogene Erörterungen nicht stattgefunden hätten, war unzutreffend. Sie hätte vielmehr über die vor der Hauptverhandlung stattgefundenen Gespräche berichten müssen, soweit deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Dies war – anders als in dem ersten Telefonkontakt vom 3. Juli 2018, der organisatorischen Hintergrund hatte und zur Klärung der Terminierungsfrage nur eine unverbindliche Fühlungsaufnahme darstellte – bei den Gesprächen am 4. Juli 2018 und am 9. Januar 2020 der Fall (vgl. zur Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 StPO bei Sondierungsgesprächen BGH, Urteile vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, NStZ 2015, 537, 538; vom 28. Juli 2016 – 3 StR 153/16, NStZ 2017, 52, 53; Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 StR 571/15, NStZ 2016, 743, 744). Denn insoweit war zwar bei beiden Unterredungen ein möglicher Inhalt einer Verständigung noch wenig konkret. Jedoch war die Ablegung eines Geständnisses mit den einer Verständigung zugänglichen Gesichtspunkten einer Beschränkung der Anklagevorwürfe und der Haftfrage verbunden worden.“

Aber: Kein Beruhen:

„3. Der Senat kann indes ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflichten ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO).

Zwar führt ein Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer Verständigung mit der Folge, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß regelmäßig nicht auszuschließen ist (BVerfGE 133, 168, 223). Hier kann aber ausnahmsweise unter Berücksichtigung von Art und Schwere des Verstoßes (BVerfG, NJW 2015, 1235; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 5. August 2015 – 5 StR 255/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 5; vom 24. Juli 2019 – 1 StR 656/18, NStZ 2020, 93, 94) ein Ausschluss des Beruhens angenommen werden. In die wertende Gesamtbetrachtung war insbesondere einzubeziehen, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 durch die Vorsitzende über den Inhalt und das Ergebnis eines auf Anregung seines Verteidigers geführten Verständigungsgesprächs informiert worden war‘ das schließlich Grundlage der Verfahrensabsprache wurde. Der Inhalt dieses Verständigungsgesprächs vom 5. Februar 2020 umfasste auch die in den zuvor am 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 geführten Gesprächen angesprochenen Gesichtspunkte einer Beschränkung der Anklagevorwürfe bzw. der Haftfrage. Der Informationsgehalt jener gleichsam überholten Gespräche ging mithin nicht über den der zur Verfahrensabsprache führenden Erörterung hinaus. Hinzu kommt, dass die Vorsitzende mit ihrem zu Beginn der Hauptverhandlung am 15. Januar 2020 gegebenen Hinweis auf das Ende 2019 mit dem weiteren Verteidiger geführte Gespräch die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit über eine mögliche Beschränkung der Anklagevorwürfe im Falle eines Geständnisses unterrichtet hatte. Daher erscheint es ausgeschlossen, dass ein beim Angeklagten bestehendes Informationsdefizit über Inhalt und Verlauf der Gespräche vom 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 seine Rechtsstellung und seine Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt haben könnte oder sonst der Prozessverlauf aufgrund der stattgefundenen Gespräche beeinflusst worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 StR 571/15, aaO).

Auch eine Beeinflussung der Entscheidungsfindung durch eine unzureichende Unterrichtung der Öffentlichkeit, deren Informationsbedarf die Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zugleich schützt, ist auszuschließen. Denn auch nach dem Revisionsvortrag war der Inhalt der am 4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 geführten Gespräche nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet. Eine Beeinträchtigung des Schutzkonzepts der Vorschriften der § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a und § 257c StPO, durch die sichergestellt werden soll, dass kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird, drohte nicht (vgl. zu dieser Voraussetzung für einen ausnahmsweise anzunehmenden Beruhensausschluss BVerfGE 133, 168, 223 f.; BVerfG, NJW 2015, 1235, 1237; Beschluss vom 16. Februar 2016 – 2 BvR 107/16; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 153 f.; vom 10. Dezember 2015 – 3 StR 163/15; vom 24. Juli 2019 – 1 StR 656/18, aaO, mwN). Vielmehr war auch die Öffentlichkeit durch die am 12. Februar 2020 in der Hauptverhandlung vorgenommene vollständige und zutreffende Mitteilung des Inhalts des Vorgesprächs vom 5. Februar 2020 über sämtliche Essentialia für eine Verfahrensabsprache gemäß § 257c StPO unterrichtet und durch diese Mitteilung sowie durch den Hinweis in der Hauptverhandlung vom 15. Januar 2020 auf die Unterredung der Vorsitzenden mit dem weiteren Verteidiger Ende 2019 auch darüber informiert, dass überhaupt außerhalb der Hauptverhandlung Gespräche über mögliche Verfahrensabläufe stattgefunden haben (vgl. zu diesem Aspekt auch BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, aaO, S. 155). Demgemäß hat sich die Verständigung trotz der geringfügigen Mitteilungspflichtverletzung in ihrer entscheidenden Gestalt letztlich doch „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbart“ (vgl. BVerfGE 133, 168, 215; BGH, Urteil vom 14. April 2015 – 5 StR 20/15, aaO).“

Einspruch II: Die „abgesprochene“ Einspruchsbeschränkung, oder: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung

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Die zweite Entscheidung, die sich mit dem Einspruch befasst, kommt dann aus dem Bußgeldverfahren. Im KG, Beschl. v. 09.08.2019 – 3 Ws (B) 205/19 – geht es um die Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs gegen Bußgeldbescheid.

Dem Beschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen die Betroffene wegen eines fahrlässig begangenen qualifizierten Rotlichtverstoßes eine Geldbuße von 200 EUR festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und dieses mit einer Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG versehen. Nachdem die Betroffene gegen den Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt und diesen in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, hat das AG sie zu einer Geldbuße von 200 EUR verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das AG abgesehen. Dagegen die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft, die Erfolg hatte.

Das KG beanstandet das Verfahren, das zur Beschränkung des Einspruchs geführt hat und sieht die Beschränkung als unwirksam an:

„b) Die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch beruhte hier auf der Zusage des Amtsgerichts, im Gegenzug von einem Fahrverbot abzusehen.

Den Urteilsgründen ist hierzu Folgendes zu entnehmen:

„Mangels Einhaltung des mindestens notwendigen Kurvenradius fehlte es an einem „standardisiert erhobenen Messwert“ vor Ort in Bezug auf die Erfassung der Betroffenen. Die Messung war so nicht gerichtsverwertbar.

Die Betroffene war bereit, den in der ständigen Praxis aller beteiligten Justizbehörden deshalb gefundenen Kompromiss mitzutragen, den Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken, dafür im Gegenzug nicht mit einem Fahrverbot belangt zu werden. Damit sollte der Einholung eines individualisierten Sachverständigen-Gutachtens begegnet werden.

Die Betroffene beschränkte daher ihren Einspruch sodann tatsächlich auf den Rechtsfolgenausspruch.“

c) Diese Zusage des Amtsgerichts führte nicht zu einer Verständigung im Sinne von § 257c StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG.

Nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG kann das Gericht sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. Eine Verständigung liegt bei zumindest einseitig bindenden Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten über mit dem Urteil zu verhängende Rechtsfolgen vor, die unter Beachtung der hierfür geltenden gesetzlichen Maßgaben erfolgen (vgl. OLG München, Urteil vom 09. Januar 2014 – 4 StRR 261/13 –, juris).

Das Amtsgericht hat – ohne Einbindung der Amtsanwaltschaft – eine informelle Verständigung mit der Betroffenen und dem Verteidiger dahingehend geschlossen, dass im Falle einer Beschränkung des Einspruches auf den Rechtsfolgenausspruch kein Fahrverbot verhängt werde. Zwar unterscheiden sich Verständigungen über den Ausgang eines Bußgeldverfahrens vom Strafprozess schon allein dadurch, dass die Amtsanwaltschaft als Verfahrensbeteiligte zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht verpflichtet ist (§ 75 Abs. 1 OWiG) und dem folgend an dieser in der Regel auch nicht teilnimmt. Gleichwohl kann eine wirksame Verfahrensabsprache mit dem Bußgeldrichter ohne Kenntnis der Amtsanwaltschaft nicht erfolgen, da auch im Bußgeldverfahren ihre Zustimmung erforderlich ist. Das Einholen der staatsanwaltschaftlichen Zustimmung wird in derartigen Fällen in der Regel durch die Übersendung der Akten vor der Hauptverhandlung umgesetzt werden (vgl. Fromm, NZV 2010, 550).

Da es hier an der gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO erforderlichen Zustimmung der Amtsanwaltschaft fehlt, haben die Verfahrensbeteiligten keine Absprache im Sinne von § 257c StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG getroffen. Eine solche einseitige Verpflichtungserklärung widerspricht der Regelung des § 257c StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG und war daher gesetzwidrig (BVerfG NJW 2013, 1058). Die unter Missachtung der gesetzlichen Vorgaben zustande gekommene Absprache entfaltet daher keine Bindungswirkung gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 StPO  (vgl. BGH NStZ 2018, 232 m.w.N.).

d) Die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, da diese auf einer objektiv unrichtigen Erklärung des Gerichts beruht.

Auch wenn die Beschränkungserklärung als Prozesserklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1999 – 5 StR 714/98 -, juris), sind gleichwohl in der Rechtsprechung Ausnahmen anerkannt. So können die besonderen Umstände der Art und Weise des Zustandekommens der Rechtsmittelbeschränkung ihre Unwirksamkeit nach sich ziehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1999 a.a.O.). Dies betrifft insbesondere Konstellationen, in denen sich das Gericht zum Erreichen der Beschränkung unlauterer Mittel bedient oder in denen die Betroffene durch unrichtige oder fehlende amtliche Auskünfte in die Irre geführt wurde (vgl. Senat, Beschluss vom 23. April 2012 – (3) 121 Ss 34/12 (28/12) -, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – 1 OLG 121 Ss 70/18; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 146; für Rechtsmittelrücknahme: OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 307; für Rechtsmittelverzicht: BGH, Urteil vom 21. April 1999 a.a.O.).

Erforderlich ist überdies ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem solchen – staatlich zurechenbaren – Rechtsverstoß und der Willensbildung eines Verfahrensbeteiligten bei der Rechtsmittelbeschränkung (vgl. OLG Hamburg NStZ 2017, 307; NStZ 2014, 534). Unzureichend ist die nur abstrakt bestehende Möglichkeit, dass sich ein Verfahrensfehler auf die Willensbildung eines Verfahrensbeteiligten ausgewirkt haben könnte (vgl. OLG Braunschweig NStZ 2016, 563, 564).

Die Urteilsgründe führen aus, dass sich die Betroffene einem „in der ständigen Praxis aller beteiligter Justizbehörden […] gefundenen Kompromiss“ angeschlossen habe, wonach sie ihren Einspruch auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und das Gericht im Gegenzug auf die Verhängung eines Fahrverbotes verzichtet hat.

Diese Zusage des Gerichts, dass die Vereinbarung von allen Verfahrensbeteiligten ? mithin auch von der Amtsanwaltschaft – getragen wird, konnte die Betroffene nur so verstehen, dass zumindest ein grundsätzliches Einverständnis der Amtsanwaltschaft mit dieser Vorgehensweise bestand und diese das vom Amtsrichter als Kompromiss bezeichnete Verfahren mitträgt. Tatsächlich war das jedoch nicht der Fall.

Die Einspruchsbeschränkung der Betroffenen ist daher hier ausnahmsweise unwirksam, weil diese allein aufgrund einer objektiv unrichtigen Erklärung des Amtsrichters hinsichtlich des Einverständnisses der Amtsanwaltschaft mit der Vorgehensweise beruht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Amtsrichter im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung davon ausging, dass ein allgemeiner Konsens aller Verfahrensbeteiligter hinsichtlich dieses Vorgehens besteht, da auch eine irrtümlich abgegebene objektiv unrichtige Auskunft des Gerichts zur Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung führen kann (vgl. für Fälle des Rechtsmittelverzichts: BGH NStZ 2001, 493; Senat NStZ 2007, 541).

Der hierdurch bei der Betroffenen hervorgerufene Irrtum war auch zweifelsfrei für die von ihr erklärte Einspruchsbeschränkung ursächlich. Es ging ihr um die Vermeidung der Anordnung eines Fahrverbotes. Der Senat schließt aus, dass die Betroffene, hätte sie Kenntnis davon gehabt, dass die Amtsanwaltschaft die Vereinbarung nicht mitträgt und Rechtsbeschwerde erheben wird, die Einspruchsbeschränkung erklärt hätte.“