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Haft III: Zulässige Dauer der Organisationshaft, oder: Bloßes Warten auf einen Therapieplatz reicht nicht

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Und als dritte Entscheidung dann ein Beschluss aus dem Bereich der sog. Organisationshaft, und zwar der LG Mannheim, Beschl. v. 01.02.2021 – R 19 StVK 13/21 – mit folgendem Sachverhalt:

Am 5.10.2020 verurteilte das LG wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Zudem ordnete es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Das Urteil ist seit dem 13.10.2020 rechtskräftig.

Bereits am 07.10.2020 hatte die Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht erbeten, die Rechtskraft des Urteils umgehend mitzuteilen. Eine entsprechende Mitteilung machte das LG dann am 15. und erneut am 20.10.2020. Am 21.10.2020 richtete die Staatsanwaltschaft eine Anfrage an die Koordinierungsstelle für Aufnahmen in eine Entziehungsanstalt in Baden-Württemberg, wann aufgenommen werden könne. Am gleichen Tag ließ die Staatsanwaltschaft über die Justizvollzugsanstalt bei pp. anfragen, ob er auch mit einer Unterbringung in einem anderen Bundesland einverstanden sei. Dieser ließ unter dem 23.10.2020 mitteilen, dass er auch mit einer Unterbringung in Schleswig-Holstein einverstanden sei.

Am 06. und am 16.11.2020 erinnerte die Staatsanwaltschaft beim Zentrum für Psychiatrie Calw an ihr Aufnahmeersuchen. Mit Schreiben vom 17.11.2020, bei der Staatsanwaltschaft eingegangen am 19.112020, erhielt die Staatsanwaltschaft die Information des ZfP Calw, dass      dort am 05.05.2021 aufgenommen werden könne. Gleiches teilte die Koordinierungsstelle mit Schreiben vom 23.11.2020 mit. Weiter bat sie die Staatsanwaltschaft um Mitteilung, falls gegen die Organisationshaft Rechtsmittel eingelegt werde und die Besorgnis bestehe, der Unterzubringende könnte auf freien Fuß kommen. In diesem Fall wolle man „nochmals prüfen [..,], ob die aktuelle Belegungssituation in einem der ZfP eine vorgezogene Aufnahmemöglichkeit zulässt.“ Schließlich wies die Koordinierungsstelle darauf hin, das „ab Frühjahr 2021 UI im ZfP Weinsberg 30 weitere Therapieplätze zur Verfügung stehen‘ werden. Man gehe daher davon aus, „dass sich der Aufnahmetermin deutlich nach vorne verschieben kann.“

Am 24.11.2020 richtete die Staatsanwaltschaft Mannheim eine (in der Vollstreckungsakte nicht dokumentierte) Anfrage an das Sozialministerium. Daran anschließend bat das Justizministerium das Sozialministeriums mit E-Mail vom 25.11.2020 „um zeitnahe Mitteilung eines akzeptablen Aufnahmetermins, um eine Freilassung wegen unverhältnismäßig langer Organisationshaft zu vermeiden.“ Noch am 25.112020 teilte das Sozialministerium mit, dass der schleswig-holsteinische Maßregelvollzug derzeit keine Patienten aus anderen Bundesländern aufnehme, der Verlegungswunsch aber vermerkt worden sei.

Mit Schreiben vom 12.01.2021 beantragte dann die Verteidigerin, pp. aus der Organisationshaft zu entlassen, hilfsweise gerichtliche Entscheidung darüber. Mit Verfügung vom 14,1.2021 hat die Staatsanwaltschaft die Entlassung abgelehnt und die Sache der Strafvollstreckungskammer zur Entscheidung vorgelegt.

Das LG hat den Verurteilten entlassen. Es meint (zusammengefasst):

Welche Dauer der sog. Organisationshaft vertretbar ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen, wobei die konkreten Bemühungen der Vollstreckungsbehörde um einen Platz im Maßregelvollzug zu berücksichtigen sind. Die Organisationshaft ist nicht zu rechtfertigen, wenn die Vollstreckungsbehörde die Umsetzung. des Urteils nach Rechtskraft nicht unverzüglich und beschleunigt einleitet. Sie ist auch nicht zu rechtfertigen, wenn die Umsetzung allein an fehlenden Ressourcen im Maßregelvollzug scheitert. Bloßes Warten auf einen mittel- oder langfristig freiwerdenden Therapieplatz kann die Organisationshaft nicht begründen.

Durchsuchung II: Anfangsverdacht, oder: Berufung auf Auskunftsverweigerungsrecht ==> Anfangsverdacht?

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Mannheim, Beschl. v. 15.09.2020 – 7 Qs 20/20 -, die mir der Kollege Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat, geht es auch um den Anfangsverdacht. Auch hier beanstandet das LG (zunächst), dass die Anordnung der Durchsuchung durch das AG auf Verdachtsgründe beruht, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen nicht hinausreichen:

„Zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung der Wohnung der Beschuldigten und der Anordnung bzw. Bestätigung der Beschlagnahme ihres Mobiltelefons lagen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihre Beteiligung an der begangenen Straftat nicht vor.

„Die gegen die Beschuldigte sprechenden Verdachtsmomente sind zu vage, um einen Anfangsverdacht zu begründen. Dies betrifft etwa das äußere Erscheinungsbild der Beschuldigten in der Tatnacht. Der Zeuge M. beschrieb die Täter als sechs bis sieben dunkel gekleidete Personen, die Kapuzenpullover getragen und, mit einer Ausnahme, die Kapuzen aufgesetzt gehabt hätten. Die Person, die keine Kapuze aufgesetzt gehabt habe, sei von der Statur her schlank und ca. 170 cm groß gewesen und habe längere Haare gehabt, die zu einem Pferdeschwanz gebunden gewesen seien; hieraus folgerte der Zeuge, dass es sich um eine Frau gehandelt haben könnte. Der Zeuge pp. gab an, vier Männer und zwei Frauen gesehen zu haben. Diese hätten einen Mundschutz und schwarze Kapuzenpullis getragen. Eine der Frauen habe er als solche identifiziert, weil er ihre Haare gesehen habe. Sie habe die Kapuze nicht auf-gehabt. Sie sei etwa achtzehn oder neunzehn Jahre alt und seiner Schätzung nach nicht größer als 160 cm gewesen. Ihre blonden Haare habe sie kurz, so schulterlang, getragen. Die andere Frau habe er nur anhand des Körpers und ihrer Bewegung als Frau erkannt. Das äußere Erscheinungsbild der Beschuldigten und ihrer Begleiterin die von PHM pp. gegen 04:10 Uhr – und damit etwa eine halbe Stunde, nachdem die Täter in Richtung Schafweide geflüchtet waren – von der Fußgängerbrücke über der Käfertaler Straße aus Richtung Neckar Uferpromenade kommend festgestellt und kontrolliert wurden, stand mit diesen Beschreibungen zwar in Einklang. Ausweislich des Vermerks von PHM pp. vom 02.07.2020 trugen beide schwarze Hosen und dunkle/graue T-Shirts. Pp. habe eine schwarze Jacke um die Hüfte gebunden gehabt. Ob pp. eine dunkle Jacke mitgeführte habe, vermochte er nicht mehr zu sagen. Beide Frauen seien schlank und etwa 165 cm groß. PP. habe ihr dunkelblondes, gelocktes/gewelltes, schulterlanges Haar zusammengebunden getragen. Pp. habe schwarzes, gewelltes, kurzes Haar. Allerdings ist zu sehen, dass das Tragen dunkler bzw. schwarzer Kleidung weit verbreitet ist und die Zeugen M. und pp. keinerlei charakteristische Merkmale an den von den mutmaßlichen Täterinnen getragenen Kleidungsstücken beschreiben konnten, die geeignet gewesen wären, Tatverdächtige zu identifizieren. Aus den Angaben der Zeugen MIR und pp. lässt sich nicht einmal mit hinreichender Sicherheit schließen, dass zur Tätergruppe zwei Frauen gehörten, zumal es auch bei Männern nicht gänzlich unüblich ist, längeres Haar zu tragen und dieses zu einem Zopf zusammenzubinden. Darüber hinaus ist zu sehen, dass der Zeuge pp. sechs bis sieben Personen vor dem Haus beobachtete, die seiner Vermutung nach männlich waren. Dass die Beschuldigte und ihre Begleiterin sich weigerten, im Rahmen der Personalienfeststellung PHM pp. ihre Telefonnummern herauszugeben, sie einsilbig antworteten und sich insgesamt verschlossen gaben, stellt keine Verhaltensweise dar, die auf die vorangegangene Begehung einer Straftat hinweist, kann sie doch auch Ausdruck eines allgemeinen Misstrauens gegenüber der Polizei oder einer fehlenden Bereitschaft, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken, sein. Die Begründung, die die beiden Frauen gegenüber PHM pp. für ihren Aufenthalt an diesem Ort zu dieser frühen Stunde abgaben, nämlich den Sommerabend am Neckarufer genossen zu haben, ist, vor allem auch im Hinblick darauf, dass es sich um eine Nacht von Samstag auf Sonntag handelte und die Beschuldigte Studentin ist, nicht unplausibel. Dass beide in Tatortnähe angetroffen wurden und aus der Richtung kamen, in die die Täter nach der Angabe von Zeugen geflüchtet waren, stellt kein aussagekräftiges Indiz für ihre Beteiligung an der Tat dar, da zwischen der Flucht der Täter und dem Antreffen der beiden Frauen in der Nähe des Tatorts bereits etwa eine halbe Stunde vergangen war. Dass eine Recherche im Internet ergeben hat, dass mit „Fridays for Future“ und „Autofreie Innenstadt“ sympathisiert, lässt ebenfalls keinen Schluss auf eine Tatbeteiligung von ihr und der sie begleitenden Beschuldigten zu, da die dort vertretenen Anliegen in nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung verbreitet sind, ohne dass daraus eine Bereitschaft zur Begehung politisch motivierter Straftaten gefolgert werden könnte. Auch bei einer Gesamtwürdigung der genannten Umstände stellen diese keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Beteiligung der Beschuldigten an der den Gegenstand der Ermittlung bildenden Straftat dar. Dementsprechend wurde die Beschuldigte von Polizei und Staatsanwaltschaft auch zunächst als Zeugin – und nicht als Beschuldigte – angesehen und zu einer Vernehmung als Zeugin einbestellt.“

Insoweit ist der Beschluss über den Obersatz des LG hinaus sicherlich eine Einzelfallentscheidung. Interessant (?) dann aber die weiteren Ausführungen/Beanstandungen des LG:

„Der – danach allein neu eingetretene – Umstand, dass die Beschuldigte im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung am 16.07.2020 Angaben unter Berufung auf ihr Auskunfts-verweigerungsrecht nach § 55 StPO verweigerte, kann zur Begründung eines Anfangsverdachts gegen sie nicht herangezogen werden. Aus der Geltendmachung des Auskunftsverweigerungsrechts dürfen in einem Strafverfahren gegen den Zeugen keine Schlüsse zu seinem Nachteil gezogen werden und die Auskunftsverweigerung darf allein nicht zum Anlass eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Zeugen genommen werden. Ansonsten wäre nämlich die durch § 55 StPO geschützte Entschließungsfreiheit des Zeugen bedroht, weil er bei Ausübung dieses Rechts damit rechnen müsste, dass dieses Verhalten später negativ zu seinem Nachteil gewürdigt wird. Zudem widerspräche dies dem Grundsatz, dass das Schweigen eines Angeklagten auch in einem früheren Verfahrensabschnitt – nicht zu dessen Ungunsten verwertet werden darf (vergleiche Bertheau/Ignor in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, § 55, Rn. 28; OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.02.1981 – 3 Ss (23) 953/80; beides zitiert nach juris).2

Es ist schon erschreckend, dass ein LG das einem AG ins Stammbuch schreiben muss. Das sollte – nein: muss – ein Ermittlungsrichter wissen. Schlimm, wenn er es nicht weiß. Noch schlimmer, wenn er es ggf. weiß und so argumentiert. Das ist „Tatort-Niveau“.

Pflichti III: Nachträgliche Bestellung, oder: Ja, das ergibt sich auch aus der Intention der Neuregelung

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So, und dann hier die dritte Entscheidung aus dem Themenkreis: Nachträgliche/rückwirkende Bestellung. Der vorzustellende LG Mannheim, Beschl. v. 26.03.2020 – 7 Qs 11/20 – besten Dank an den Kollegen Becker aus Heidelberg für die Übersendung – ist „besonders schön“. Denn der Beschluss argumentiert ausdrücklich mit der gesetzlichen Neuregelung der §3 140 ff. StPO.

Das AG Mannheim hatte mit dem AG Mannheim, Beschl. v. 27.02.2020 – 41 Gs 555/20 – die Bestellung des Kollegen abgelehnt. Begründung: Die Voraussetzungen für eine Bestellung liegen nicht mehr vor.

Das hat das LG anders gesehen und beigeordnet:

„Der am 27.12.2019 bei der Staatsanwaltschaft Mannheim eingegangene Antrag ist erst nach der mit Verfügung vom 30.01.2020 erfolgten Einstellung des Verfahrens nach§ 154 Abs. 2 StPO sowie nach der mit Schreiben des Verteidigers vom 06.02.2020 erfolgten Erinnerung an seinen Antrag dem Amtsgericht zur Entscheidung zugeleitet worden.. Dis Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 27.02.2020 abgelehnt. Dagegen hat. der Beschuldigte mit Schreiben seines Verteidigers vom 10.03.2020 form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, die begründet ist.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung lag ein Fall der notwendigen Verteidigung nach §§ 109 Abs. 1.Satz 1,.68 Abs. 1 Nr. 1 JGG., 140•Abs. 1 Nr. 5 StPO vor, in welchem Verfahren die Untersuchungshaft vollzogen wird, ist – was durch die Neuregelung in § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ausdrücklich klargestellt worden ist, ohne Belang (Beck0K-Graf, StPO, § 140 Rn 12 m.w.N. zum Streitstand bzgl. § 140 Abs. 1 Nr. 4 a.F.). Die Ausnahmeregelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO greift nicht, da ein zulässiger Antrag nach § 141 Abs. 1 StPO vorlag und die Ausnahmeregelung in § 141 Abs. 2 S. 3 .StPO nur für die in §:141 Abs. 2  S. 1 Nr. 2 und 3 StPO genannten Fällen greift (BeckOK-Graf, StPO, :§.141 Rn. 22). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich nach der Intention des Gesetzgebers die Unanwendbarkeit des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO in Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende bereits aus § 68a Abs. 1 JGG 2 Abs. 2 JGG ergibt und es deshalb einer Aufnahme in § 68a Abs. 2 JGG nicht bedurfte .(BT-Drs. 19/15162 S. 7 a.E.).

Soweit in der Rspr. der Oberlandesgerichte die Ansicht vertreten wird, dass  in einem bereits abgeschlossenen Verfahren eine rückwirkende Beiordnung nicht zulässig ist (vgl. zum Streitstand BeckOK-Graf, StPO § 142 RN 29), kann dieser Ansicht in dieser Allgemeinheit im Hinblick auf die Intention des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung -(Vgl. BT-Drs. 19/13829 sowie BT-Drs. 19/15151) nicht gefolgt werden, wenn wie im vorliegenden Fall der Antrag rechtzeitig gestellt und dem Erfordernis der Unverzüglichkeit der Beiordnung nicht genügt worden ist.“

Für richterliche Vernehmung bestellter Pflichtverteidiger, oder: Keine Einzeltätigkeit

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner der LG Mannheim, Beschl. v. 21.01.2019 – 5 Qs 61/18 -, der zur anwaltlichen Vergütung für die Tätigkeit des Rechtsanwalts als „Vernhmungsbeistand“, wenn mehrere Vernehmungstermine angesetzt waren, Stellung genommen hat. Heute kommt er dann endlich. Ich bitte die Kollegin C. Hierstetter, die ihn mir geschickt hat, um Nachsicht.

Zugrunde liegt folgender Sachverhalt: Die Beschuldigten werden in dem von der Staatsanwaltschaft Mannheim geführten Ermittlungsverfahren verdächtigt, ihre volljährige Tochter am 22.10.2017 gegen 16:30 Uhr gemeinschaftlich handelnd am Körper verletzt und an der Gesundheit geschädigt sowie diese bedroht zu haben. Mit Verfügung vom 13.02.2018 beantragte die Staatsanwaltschaft Mannheim beim AG Mannheim die richterliche Vernehmung der Geschädigten. Mit Beschlüssen des AG Mannheim vom 26.03.2018 wurden die Beschuldigten von der Anwesenheit bei der Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen. Für die Dauer der Vernehmung wurde Rechtsanwältin B. und Rechtsanwältin H. beigeordnet. Ein Termin zur richterlichen Vernehmung wurde auf den 26.04.2018 bestimmt. Zu diesem Termin erschienen die Rechtsanwältinnen H; und B., die Geschädigte war trotz ordnungsgemäßer Ladung als Zeugin nicht erschienen. Ein am 27.04.2018 auf den 05.06.2018, 10:00 Uhr, bestimmter Vernehmungstermin wurde am 05.06.2018 um 9:30 Uhr aufgehoben. Die richterliche Vernehmung der Geschädigten wurde dann in einem weiteren bestimmten Termin am 24.07.2018 durchgeführt, an dem die Rechtsanwältinnen B. und H. teilnahmen.

Diese Kolleginnen haben mit ihren Kostenfestsetzungsanträgen vom 26.04.2018 als Vorschuss gemäß § 47 RVG Gebühren und Auslagen in Höhe von 536,76 € beantragt. Sie gingen hierbei von Gebühren gemäß Nr. 4100 (160,00 €), Nr. 4104 (132,00 €) und Nr. 4102 Ziff. 1 (136,00 €) VV RVG, Pauschalen nach Nr. 7002 (20,00 €) und Nr. 7000 Ziff. 1 (25,75 €) VV RVG sowie Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 (90,01 €) VV RVG aus. Diese Vergütungen wurden durch das Amtsgericht Mannheim am 23.05.2018 angewiesen. Mit Antrag vom 27.07.2018 beantragte Rechtsanwältin H. einen weiteren Vorschuss in Höhe von 161,84 €, für eine Gebühr nach Nr. 4102 Ziff. 3 (136,00 €) nebst Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 (25,84 €) VV RVG.

Dagegen das Rechtsmittel der Bezirksrevisorin. Das AG hat die Gebühren dann auf die Erinnerung zunächst reduziert, dann wie beantragt festgesetzt. Die Beschwerde der Staatskasse hatte keinen Erfolg.

1. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Es kann vorliegend dahinstehen, ob im Fall der Beiordnung eines Pflichtverteidigers für die Dauer einer richterlichen Zeugenvernehmung nach § 168c StPO bei Ausschluss des Beschuldigten von dieser Vernehmung – wie im angegriffenen Beschluss angenommen – eine (Voll-)Verteidigung vorliegt, die zur Geltendmachung von Gebühren nach Nr. 4100, 4104 und 4102 Ziff. 1 VV RVG berechtigt, oder es sich – wie von der Bezirksrevisorin angenommen und die Kommentarliteratur es nahe legt (Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 23. Auflage 2017, RVG VV 4301, Rn 14, 15; Knaudt in: BeckOK RVG, v. Seltmann, 42. Edition Stand: 01.12.2018, RVG VV 4301, Rn 14; Kremer: in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage 2015, RVG VV 4301 Rn 13) – um eine Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung als Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG handelt. Würden sich die Gebühren nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG bestimmen, wären diese gemäß § 15 Abs. 6 RVG der Höhe nach auf die Gebühren „gedeckelt“, die ein mit der gesamten Angelegenheit beauftragter Rechtsanwalt für die gleiche Tätigkeit erhalten würde.

Wäre für die Gebührenfestsetzung Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG maßgeblich, wären auf Grund der Umstände des Falles vorliegend drei Gebühren nach dieser Vorschrift zu je 200 €, mithin 600 € nebst Auslagen und Mehrwertsteuer anzusetzen. Insoweit ist zu beachten, dass es einer Nr. 4102 S. 1 Ziff. 3 i.V.m. S. 3 VV RVG entsprechenden Vorschrift, nach der bei der Vollverteidigung eine Terminsgebühr für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung für die Teilnahme an bis zu drei Terminen nur einmal entsteht, bei 4301 Ziff. 4 VV RVG fehlt. Die Gebühr für die Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung entsteht nach der Vorbemerkung zu 4.3 VV RVG Abs. 3 S. 1 für jede der genannten Tätigkeiten gesondert. Es ist dabei im Einzelfall zu prüfen, ob bei der Wahrnehmung mehrerer Termine dieselbe oder eine verschiedene Angelegenheit vorliegt (vgl. Volpert in: Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Auflage 2011, Nr. 4301 VV Rn 14). Hier liegt der Teilnahme an allen Terminen die Beiordnung für die Vernehmung der Zeugin zu Grunde, was gegen die Annahme getrennter Angelegenheiten spricht. Die Besonderheit liegt hier jedoch darin, dass die Termine Ende April, Anfang Juni und Ende Juli so weit auseinanderliegen, dass diese jeweils gesondert vorzubereiten waren und die Annahme einer einheitlichen Angelegenheit daher unangemessen wäre.

Nach § 15 Abs. 6 RVG bildet jedoch die durch den angegriffenen Beschluss festgesetzte Gebühr die Obergrenze. Danach erhält der Rechtsanwalt, der nur mit einzelnen Handlungen beauftragt ist, nicht mehr an Gebühren als der mit der gesamten Angelegenheit beauftragte Rechtsanwalt für die gleiche Tätigkeit erhalten würde. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass durch Erteilung von Einzelaufträgen in einer Angelegenheit nicht höhere Kosten anfallen sollen, als dies bei Beauftragung des Rechtsanwalts mit der Bearbeitung der gesamten Angelegenheit der Fall wäre (Mayer in: Gerold/Schmidt, a.a.O., § 15 RVG, Rn 145). Dies entspricht der im angegriffenen Beschluss festgesetzten Gebühr.“

Die Entscheidung ist im Ergebnis zutreffend. Die Begründung m.E. nicht. Es handelt sich nämlich nicht um eine Einzeltätigkeit. Und das steht auch nicht bei mir im Gerold/Schmidt bzw. das kann man aus den dort gemachten Ausführungen nicht herauslesen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie Kommentare gelesen werden und wofür man alles herhalten muss.

Pflichti II: Wenn der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren zur Pflichtverteidigerbestellung nicht angehört wird, oder: Umbeiordnung?

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Die zweite Entscheidung am heutigen „Pflichtverteidigertag“ kommt vom LG Mannheim. Es ist der LG Mannheim, Beschl. v. 15.11.2018 – 5 Qs 58/18, den mir der Kollege G. Urbanczyk aus Mannheim geschickt hat. Er behandelt die Pflichtverteidigerbestellung im Strafbefehlsverfahren in den Fällen des § 408b StPO.

Die Staatsanwaltschaft hatte Angeklage erhoben. Im Hauptverhandlungstermin ist der Angeklagte dann nicht erschienen. Das AG beschloss auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten gemäß § 408a StPO einen Strafbefehl, in dem eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, festgesetzt wurde, zu erlassen. Gleichzeitig wurde dem Angeklagten gemäß § 408b StPO ein anderer Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellt. Dem wurde der Strafbefehl zugestellt. Dieser legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Später beantragte der Kollege Urbanczyk für den Angeklagten, die Beiordnung des anderen Rechtsanwalts aufzuheben und stattdessen ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Bestellung sei unter Verletzung der Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO erfolgt, der auch für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren gelte.

Die Staatsanwaltschaft und später auch das AG haben das anders gesehen und die Entpflichtung des anderen Rechtsanwalts und die Beiordnung des Kollegen Urbanczyk als Pflichtverteidiger beizuordnen abgelehnt.Das LG hat da anders gesehen:

„Vorliegend wurde Rechtsanwalt pp. für das gesamte gegenständliche Verfahren — ohne vorherige Anhörung – zum Pflichtverteidiger bestellt. Zwar wurde er ausweislich des schriftlich niedergelegten Beschlusses vom 26.03.2018 ausdrücklich nur „für das Strafbefehlsverfahren“ (BI. 54) – anders allerdings als nach dem Protokoll der Sitzung vom 26.03.2018 (BI. 52) – gemäß § 408b StPO bestellt. Jedoch wurde Rechtsanwalt pp. auch nach dem Einspruch durch das Gericht weiter als Verteidiger geführt und mit Verfügung vom 17.07.2018 zur Stellungnahme über die Aufrechterhaltung des Einspruchs unter Ankündigung einer erneuten Terminierung zur Hauptverhandlung aufgefordert. Auch aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses ist nichts dafür ersichtlich, dass eine zeitliche Beschränkung der Verteidigung beabsichtigt war. Dies zeigt, dass das Gericht zumindest konkludent davon ausging, dass Rechtsanwalt der Verteidiger des Angeklagten für das gesamte Verfahren sein sollte.

Von daher kann die umstrittene Frage, ob die Bestellung nach § 408b StPO für das auf den Einspruch folgende weitere Verfahren, namentlich die Hauptverhandlung, gilt (so OLG Köln, Beschluss v. 11.09.2009 – 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle, Beschluss v. 22.02.2011 – 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.06.2017 – 1 Ss 96/17, LSK 2017, 119219) oder diese nur für das Strafbefehlsverfahren bis zur Einlegung des Einspruchs wirksam ist (so KG, Beschluss vom 29.05.2012 – 1 Ws 30/12, JurBüro 2013, 381; OLG Saarbrücken Beschluss vom 17.09.2014 – 1 Ws 126/14, BeckRS 2014, 18593; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 408b StPO, Rn 6), offen bleiben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.7.2014, 1 Ws 106/13).

Für das weitere Verfahren ist entsprechend dem Wunsch des Angeklagten jedoch Rechtsanwalt Urbanczyk als Pflichtverteidiger — unter Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt pp. beizuordnen, zumal ein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vorliegt, da sich der Angeklagte in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet.

Es braucht insoweit nicht entschieden zu werden, ob in Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist, denn dem Angeklagten ist jedenfalls dann der von ihm gewünschte Verteidiger — ggfs. unter Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Verteidigers — als Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidigers wie vorliegend – zumindest konkludent – nicht nur für das Strafbefehlsverfahren erfolgt ist und der Angeklagte zur Verteidigerbestellung nicht angehört worden war.

Ein Beschuldigter hat grundsätzlich das Recht, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Die freie Verteidigerwahl stärkt die Stellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt. Durch die Beiordnung eines Verteidigers soll der Beschuldigte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich gleichen Rechtsschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat; dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) und folgt auch aus Art. 6 Abs. 3 lit.c EMRK. Dem entspricht es, dass dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3695).

Von daher ist einem Beschuldigten, der — etwa aus Gründen der Eilbedürftigkeit zur Verteidigerbestellung zunächst nicht angehört wurde, im weiteren Verlauf der Verteidiger seiner Wahl zu bestellen, um dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch, sich grundsätzlich auch bei einer Pflichtverteidigung vom Verteidiger seiner Wahl zu verteidigen zu lassen, gerecht zu werden.

Die Kammer hat vorliegend keinen Anlass, an der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung von Rechtsanwalt Urbanczyk zu zweifeln, dass der Angeklagte dessen Beiordnung ausdrücklich wünscht. Seiner Bestellung steht auch kein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO entgegen.“

Schade, dass das LG die Frage, ob in den Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist,“elegant“ umschifft hat. Denn zu der Problematik gibt es wenig.

Viel gibt es hingegen zu Pflichtverteidigerfragen in <<Werbemodus an>> „Burhoff, Handbuch für das strafechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019“. Die Neuauflage ist gerade am 08.11.2018 erschienen und kann hier bestellt werden. Die Neuauflage der Hauptverhandlung erscheint übrigens Mitte Dezember 2018.

Und: Ich weise dann auch noch einmal auf die Preiskracher hin (vgl. hier bei Sale/Preiskracher/Sonderverkauf, oder: Weihnachten steht vor der Tür). <<Werbemodus aus>>