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Ausschluss der Öffentlichkeit im JGG-Verfahren, oder: Schutzwürdiges Interesse des Heranwachsenden

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In der zweiten Entscheidung, dem AG Reutlingen, Beschl. v. 27.02.2025 – 5 Ds 57 Js 16962/24 – geht es um eine verfahrensrechtlichen Frage betreffend JGG-Verfahren, und zwar Ausschluss der Öffentlichkeit nahc § 109 Abs. 1 Satz 5 JGG.

Zugrunde liegt folgender Sachverhalt: Dem Angeklagten wird eine fahrlässige Tötung im Straßenverkehr auf einer Landstraße im Bezirk vorgeworfen, wobei überhöhte Geschwindigkeit die Unfallursache gewesen sein soll. Das AG hat beschlossen, dass die Verhandlung vor dem Jugendrichter einschließlich der Verkündung der Entscheidungen ist nicht öffentlich, allerdings ist den Eltern des Geschädigten die Anwesenheit widerruflich gestattet worden. Höchstens drei Pressevertreter:innen ist die Anwesenheit widerruflich ebenfalls gestattet worden, die auf Verlangen einen gültigen Presseausweis/eine Bestätigung der Redaktion, ggf. ein Nachweis der journalistischen Tätigkeit sowie ein gültiger Personalausweis/Reisepass vorzuzeigen haben.

Das AG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

„Die allgemeine Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, da dies im Interesse des Heranwachsenden geboten ist. Der Angeklagte, ein Beifahrer und der Getötete waren miteinander persönlich gut bekannt. Der Angeklagte und die Familie des Getöteten sind in der Region verwurzelt. Der angeklagte Unfall hat im Freundeskreis, im Sozialen Nahfeld und in den Familien der verunfallten Personen erhebliche Aufmerksamkeit erfahren und zu großer persönlicher Betroffenheit geführt.

Es ist einerseits zu erwarten, dass zur Klärung des Strafvorwurfs die Lebensverhältnisse des Angeklagten, insbesondere im Bericht der Jugendgerichtshilfe, zur Sprache kommen werden, da sie mit der Tat, der Eignung als Kraftfahrer und der Reife des Angeklagten in Zusammenhang stehen. Es ist daher zu befürchten, dass ohne den Ausschluss der Öffentlichkeit Umstände aus dem (höchst-)persönlichen Lebensbereich des Angeklagten publik werden und dadurch die Persönlichkeitssphäre des Angeklagten unnötig – auf künftig – beeinträchtigt wird, wobei neben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte des angeklagten Heranwachsenden aus erzieherischen und jugendpädagogischen Gründen und letztlich auch zur Wahrheitsfindung eine jugendgerechte Kommunikationsatmosphäre geschaffen werden soll (hierzu: vgl. Ostendorf, JGG, 8. Aufl. [2009], Grdl. z. §§ 48–51 Rdnr. 3; Eisenberg, JGG, 13. Aufl. [2009], § 48 Rdnr. 8; NJW 2010, 1739).

Dem besonderen schutzwürdigen Interesse des Heranwachsenden in seiner Entwicklung und in seiner Person, § 109 JGG, steht kein überwiegendes Interesse an der Öffentlichen Erörterung und einer allgemein öffentlichen Unfallrekonstruktion entgegen. Die Eltern des Getöteten sind, so sie dies wünschen, zur Hauptverhandlung zugelassen, § 48 Abs. 2 JGG.

Pressevertreter:innen sind – begrenzt – zugelassen. Die Zulassung von höchstens fünf Zuhörern und Zuhörerinnen ist als Höchstgrenze notwendig, um die besonderen Anforderungen an die Ausgestaltung eines Strafverfahrens wegen einer Fahrlässigkeitstat gegen den heranwachsenden Täter zu wahren. Umgekehrt trägt die Zulassung der Pressöffentlichkeit dem allgemeinen Informationsinteresse der Öffentlichkeit an derart tragischen Unglücksfällen von junger Kraftfahrenden, aber auch der besonderen regionalen Aufmerksamkeit Rechnung, wobei eine (regionale) Presseberichterstattung erfahrungsgemäß die Gewähr für eine umfängliche Berichterstattung bei gleichzeitiger schonender Wahrung der Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten erwarten lässt.“

Arbeitsaufnahme durch Kostendruck im JGG-Verfahren, oder: Erziehungsgedanke hin, Erziehungsgedanke her

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Im zweiten Posting dann einen LG-Beschluss zur Kostenentscheidung im JGG-Verfahren, und zwar zum Absehen von der Auferlegung der Kosten. Es handelt sich um den LG Münster, Beschl. v. 24.01.2024 – 1 Qs 4/24.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung eines im JGG-Verfahren ergangenen Urteils, durch das er wegen Körperverletzung zu 100 Stunden Sozialdienst nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe, um dadurch die Auszahlung eines Betrages in Höhe von 1.200 EUR durch den Opferhilfe e.V. an den durch die Körperverletzung Geschädigten zu bewirken, sowie zu einer Zahlung von 1.200 EUR in monatlichen Raten zu je 100 EUR an den Geschädigten verurteilt worden ist. Das AG hatte „mit Rücksicht auf das Einkommen des Angeklagten [aus dessen ungelernter Tätigkeit in einem Malerbetrieb], mit dem er noch im Elternhaus wohnend seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten muss, aus erzieherischen Gründen“ von einer Anwendung des § 74 JGG abgesehen und dem Angeklagten gemäß § 465 Abs. 1 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„Die Vorschrift des § 74 JGG eröffnet dem Gericht als Ausnahme von den allgemeinen Kostengrundsätzen der StPO die Möglichkeit, aus erzieherischen Gründen und Gründen der Billigkeit von der Auferlegung der Kosten und Auslagen ganz oder teilweise abzusehen, so dass diese die Staatskasse zu tragen hat (OLG Hamm NJW 1963, 1168; OLG Jena NStZ-RR 1998, 153). Zweck der Vorschrift ist insbesondere, den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden entsprechend des Präventionsgedankens im Jugendstrafrecht vor einer zusätzlichen und oftmals besonders schädlichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung durch eine Art „Zusatzstrafe“ zu schützen und eine positive Entwicklung zu ermöglichen (OLG Köln BeckRS 2010, 00435; KG BeckRS 2006, 13663; OLG Jena NStZ-RR 1998, 153). Bei der Entscheidung über die Anwendung des § 74 JGG handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, deren Maßstab es einerseits ist, eine wirtschaftliche Gefährdung des Angeklagten zu vermeiden, ihm andererseits durch die Auferlegung der Kosten zu zeigen, dass er für die Folgen seines Tuns einzustehen hat (BGI-1BeckRS 2016, 05080; KG BeckRS 2006, 13663). Bei der Entscheidung, die aus Gründen der Billigkeit unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens zu treffen ist (OLG Hamm NJW 1963, 1168), ist dem Tatrichter ein weiter Ermessenspielraum zuzubilligen (KG BeckRS 2008, 10468). Bei dieser Ermessenentscheidung ist eine zukunftsorientierte Betrachtungsweise geboten, in die sowohl die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten, als auch seine Lebensumstände einzubeziehen sind (vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 05965; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 24; ins-gesamt zum Vorstehenden BeckOK JGG/Pawlischta, 31. Ed. 1.11.2023, JGG § 74 Rn. 4 ff.).

Der Beschwerdeführer war im Urteilszeitpunkt 18 Jahre. und vier Monate, heute ist er 18 Jahre und zehn Monate alt. Er ist schuldenfrei. Im Zeitpunkt des genannten Urteils ging der Angeklagte einer ungelernten Tätigkeit in einem Malerbetrieb nach. Heute hat er einen Minijob als Verkäufer in einer Tankstelle. Bei einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden verdient er aktuell monatlich 500 Euro. Er wohnt weiterhin mietfrei bei seinen Eltern und zahlt ebenfalls weiterhin monatlich lediglich ein Kostgeld in Höhe von 150 Euro. Er war und ist uneingeschränkt arbeitsfähig und beabsichtigt, künftig auch in Vollzeit zu arbeiten. Aktuell hat er sich um eine entsprechende Arbeitsstelle beworben.

Vor diesem Hintergrund ist unter Zugrundelegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der angegriffenen Kostenentscheidung und bei der gebotenen zukunftsorientierten Betrachtungsweise eine dem Erziehungsgedanken schadende finanzielle Belastung durch die getroffene Kostenentscheidung nicht zu befürchten. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung berufstätig und hatte nur geringe Ausgaben für seinen Lebensunterhalt. Gründe, warum für die Zukunft von einer nur eingeschränkten Erwerbstätigkeit auszugehen sein sollte, ergeben sich nicht aus der damaligen Aktenlage. Dass eine Kostentragungspflicht eine zusätzliche Belastung darstellt, liegt zwar in der Natur der Sache. Diese hat das Amtsgericht jedoch auch berücksichtigt und keine über die verhängte Rechtsfolge hinausgehende Maßnahme angeordnet. Die sich aus der Gesamtschau von Rechts- und Kostenfolge ergebende Belastung ist vorliegend angesichts der im Urteil festgestellten persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers damit nicht derart gravierend, dass sie den Grad einer eigenständigen weiteren Strafe erreicht. Dass der Beschwerdeführer die Kosten des durch seine Straffälligkeit verursachten Strafverfahrens zu tragen hat, ist vorliegend vielmehr allein die gesetzmäßige Konsequenz einer auf dem eigenen Fehlverhalten beruhenden Verurteilung.

Die spätere Beendigung der Tätigkeit im Malerbetreib durch den Beschwerdeführer und die Aufnahme eines Minijobs führt angesichts § 464 Abs. 3 S. 2 StPO zu keiner anderen Bewertung. Die Kammer erlaubt sich gleichwohl die Anmerkung, dass auch unter Zugrundelegung des aktuellen Einkommens in Höhe von monatlich 500 Euro angesichts der nur geringen Ausgaben des Beschwerdeführers für seinen Lebensunterhalt und seiner weiterhin bestehenden uneingeschränkten Erwerbsfähigkeit, die auch eine Arbeit in Vollzeit erlaubt, worum sich der Beschwerdeführer nunmehr auch bemüht, ein ausnahmsweises Absehen von der Kostentragungspflicht aus pädagogischen Gründen nicht angezeigt ist. Tatsächlich bietet die Kostenbelastung dem Beschwerdeführer, der bislang mit Blick auf seine Ausbildung kaum Durchhaltevermögen erkennen ließ und dessen beruflicher Lebensweg bislang unstet war, die Chance, auch selbst die Notwendigkeit der Aufnahme einer Arbeit von nicht nur geringem Umfang oder einer Ausbildung zu erkennen und sich hierzu zu motivieren.“

Über die Entscheidung kann man streiten. Der eine wird sie und das beabsichtigte zusätzliche Einwirken auf den Angeklagten begrüßen, der andere wird darauf abstellen, dass es dann auch mal genug ist und dass die Kostenentscheidung im JGG-Verfahren – Erziehungsgedanke hin, Erziehungsgedanke her – nicht unbedingt dafür herhalten sollte, einen Angeklagten zur Arbeitsaufnahme anzuhalten. Wo man den Schwerpunkt setzen will, ist „Geschmacksache“.

Revision III: Sammlung „quer durch den Garten“, oder: u.a. Nebenkläger, Beschwer, JGG-Verfahren, Kosten,

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Und dann geht es im dritten Posting zu Revisionsentscheidungen „quer durch den Garten“ mit Entscheidungen zur Nebenklägerrevision und zum Revisionsverfahren. Ich stelle folgende Entscheidungen vor:

Gemäß § 400 Abs. 1 StPO ist ein Nebenkläger nicht befugt, das Urteil mit dem Ziel anzufechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Deshalb bedarf seine Revision eines genauen Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedeliktes verfolgt.

Sind die Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision eines Nebenklägers erfolglos geblieben, hat der Nebenkläger nach. § 473 Abs. 1 StPO nicht nur die Revisionsgebühr, sondern auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO). Eine Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf den Nebenkläger erfolgt nur dann, wenn diese allein erfolglos Revision eingelegt hätten, nicht hingegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelführerin ist (§ 473 Abs. 1 Satz 3 StPO).

Ein Angeklagter kann ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet worden ist. Das gilt auch, wenn nach Aufhebung und Zurückverweisung allein noch über die Frage zu entscheiden war, ob die Maßregel anzuordnen sei.

Die Revisionshauptverhandlung ist gemäß § 337 StPO auf die rechtliche Nachprüfung des angefochtenen Urteils beschränkt. Daher ist,  selbst wenn nach den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift eine Ergänzung des Schuldspruchs entsprechend § 354 Abs. 1 StPO in Betracht kommen sollte, eine Vorführung des Angeklagten nicht angezeigt. Das gilt auch, wenn der Angeklagte mit einem erneut in Rede stehenden Tatvorwurf, mit dem er aber bereits durch die Anklageschrift konfrontiert war, konfrontiert werden soll.

1. Ein Urteil, das ausschließlich ein Zuchtmittel gegen den Angeklagten anordnet, kann gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nicht wegen des Umfangs der Maßnahme und nicht deshalb angefochten werden, weil andere Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Dementsprechend kann ein Rechtsmittel gegen ein allein derartige Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts verhängendes Urteil lediglich darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen falsch beurteilt oder die verhängte Sanktion selbst rechtswidrig ist.

2. Um eine Umgehung der Begrenzung der im Rahmen von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG zulässigen Angriffsziele einer Revision zu verhindern, folgt aus der Pflicht des § 344 Abs. 1 StPO, im Revisionsantrag anzugeben, inwieweit das Urteil angefochten werde, für den Revisionsführer die Notwendigkeit, eindeutig klarzustellen, dass mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird.

3. Beschränkt sich die Revision darauf, die Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen sowie die Zurückverweisung zu beantragen und allgemein die Verletzung sachlichen Rechts ohne weitere Begründung zu rügen, lässt sich der Antrags- und Rechtfertigungsschrift in der Regel nicht eindeutig entnehmen, dass ein nach § 55 Abs. 1 S. 1 JGG zulässiges Ziel verfolgt wird. Die Vorschrift von § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass das Urteil zur vollen Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt wird.

1. Enthält das Revisionsurteil keine Entscheidung über einen Teil der zum Nachteil der Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft, handelt es sich nicht um ein Nichturteil, jedoch bleibt der nicht beschiedene Teil der Revision beim Revisionsgericht anhängig.

2. Eine Berichtigung oder Ergänzung des verkündeten Revisionsurteils analog § 319 ZPO kommt in der Regel nicht in Betracht, wenn nur der entfernteste Verdacht einer nachträglichen Korrektur des wirklich Gewollten besteht.

3. Der noch nicht beschiedene Revisionsangriff kann nur aufgrund neuer Hauptverhandlung durch ergänzendes Urteil erledigt werden. Das vorausgegangene Revisionsurteil bleibt hiervon unberührt.

StPO III: Teilnahme an der (Revisions)HV nach JGG, oder: Schriftleiter und Praktikantin dürfen teilnehmen

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Und dann doch noch etwas vom BGH, nämlich zwei in dem Verfahren 5 StR 205/23 ergangene Beschlüsse. Es handelt sich um ein JGG-Verfahren und es geht um die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung.

Im BGH, Beschl. v. 16.08.2023 – 5 StR 205/23 – hat der BGh einem Vertreter der Schriftleitung der Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ) die Anwesenheit in der Hauptverhandlung gestattet:

„Die Zulassung von Rechtsanwalt P. beruht auf § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG. Nach dieser Vorschrift können – insbesondere zu Ausbildungszwecken – neben den in § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 JGG genannten Personen weitere zur Teilnahme an der nicht öffentlichen Hauptverhandlung zugelassen werden. Die Entscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen; in die Abwägung sind neben dem Persönlichkeitsrecht der Angeklagten auf der einen Seite die Pressefreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit einzustellen.

Wenn die Berichterstattung im Hinblick auf einen aktuellen Kriminalfall beabsichtigt ist und es gerade um den beschuldigten Jugendlichen als Person geht, überwiegen in der Regel die Gefahren einer nachhaltigen Stigmatisierung und damit einer relevanten Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung des Jugendlichen. Anders kann es aber sein, wenn lediglich – losgelöst von der Person des konkreten Beschuldigten – allgemein über die Jugendstrafrechtspflege oder bestimmte Fragen des Jugendstrafverfahrens berichtet wird. So verhält es sich hier: Die Schriftleitung der ZJJ hat wegen der aus ihrer Sicht zu erwartenden Erörterung einer zentralen Frage des Jugendstrafrechts ein wissenschaftliches Interesse an der Teilnahme und damit einen besonderen Grund im Sinne der genannten Norm dargelegt. Die Angeklagten sind der Teilnahme von Rechtsanwalt P.  an der Hauptverhandlung auch nicht entgegengetreten.“

Und dann haben wir noch einen weiteren BGH, Beschl. v. 16.08.2024 – 5 StR 203/23. In dem ist einer Praktikantin in einer Rechtsanwaltskanzlei die Teilnahme gestattet worden:

„Die Zulassung von Frau W. beruht auf § 48 Abs. 2 Satz 3 JGG. Nach dieser Vorschrift können – insbesondere zu Ausbildungszwecken – neben den in § 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 JGG genannten Personen weitere zur Teilnahme an der nicht öffentlichen Hauptverhandlung zugelassen werden. Die Entscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen; in die Abwägung sind neben dem Persönlichkeitsrecht der Angeklagten auf der einen Seite die Pressefreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit einzustellen.

Hier hat Rechtsanwalt T. mit Blick auf die Schwerpunktarbeit von Frau W. ein wissenschaftliches Interesse der Studentin an der Teilnahme und damit einen besonderen Grund im Sinne der genannten Norm dargelegt; ihre Teilnahme ist zudem zu Ausbildungszwecken möglich. Die Verfahrensbeteiligten sind der Teilnahme von Frau W. an der Hauptverhandlung auch nicht entgegengetreten.“

Absehen von der Kostenauferlegung im JGG-Verfahren, oder: Wirtschaftliche Gefahr versus Erziehungsgedanke

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Am „Gebührenfreitag“ heute dann mal keine gebührenrechtlichen Entscheidungen, sondern zwei kostenrechtliche Beiträge.

Ich beginne mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 09.11.2023 – Ws 982/23, den mir die Kollegin Braun aus München geschickt hat. Es geht um die Kostenauferlegung im JGG-Verfahren. Dort sieht § 74 JGG vor, dass im JGG-Verfahren von der Auferlegung von Kosten und Auslagen auf den Jugendlichen abgesehen werden kann. Dazu hat das OLG Stellung genommen.

In dem Verfahren hatte die Jugendkammer beim LG die zum Tatzeitpunkt jugendliche Verurteilte mit Urteil v. 24.4.2023 unter Anwendung von Jugendstrafrecht wegen fünf Fällen der Beihilfe zum Diebstahl mit Sachbeschädigung schuldig gesprochen, ihr eine Geldauflage in Höhe von 500 EUR erteilt und sie für die Dauer von einem Jahr der Aufsicht und Betreuung eines Betreuungshelfers unterstellt. Die Mitverurteilten wurden jeweils wegen fünf Fällen des schweren Bandendiebstahls mit Sachbeschädigung zu Gesamtfreiheitsstrafen oder einer Einheitsjugendstrafe mit Bewährung verurteilt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass die Verurteilte die Mitangeklagten bei Begehung von Diebstählen unterstützte, indem sie während der Taten im Fahrzeug wartete, um diese vor etwaiger Entdeckung zu warnen.

Nachdem die Staatsanwaltschaft beantragt hatte, bei der Verurteilten von der Auferlegung von Kosten abzusehen, hat das LG angeordnet, dass die Verurteilte und zwei Mitverurteilte die Kosten des Verfahrens zu tragen haben. Von der Möglichkeit des § 74 JGG, aus erzieherischen Gründen von der Auferlegung von Kosten abzusehen. hat das LG keinen Gebrauch gemacht.

Hiergegen wendet sich dann die Verurteilte über ihre Verteidigerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, dass das LG sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt habe, weil die Kostenentscheidung nicht berücksichtige, dass ein Großteil der angefallenen Kosten nicht auf den Tatbeitrag der Verurteilten zurückzuführen sei. Zudem sei es aus erzieherischen Gründen geboten, dass die Verurteilte, die derzeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis arbeite, eine Berufsausbildung beginne, was angesichts der Kostentragungslast von geschätzt 20.000 EUR erschwert werde. Hinzu komme, dass sie als jüngste der Verurteilten wegen der Inhaftierung der anderen kostentragungspflichtigen Verurteilten voraussichtlich allein die Kosten tragen müsse, was unverhältnismäßig sei. Schließlich ergebe sich aus der Urteilsbegründung des LG, dass die Auferlegung der Kosten der zusätzlichen Sanktionierung dienen solle, was mit dem Erziehungsgedanken des JGG unvereinbar sei.

Die sofortige Beschwerde der Verurteilten hatte beim OLG Erfolg:

„1. Die Entscheidung, der zur Tatzeit jugendlichen Verurteilten gemäß § 74 JGG die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, ist eine Ermessensentscheidung, die von dem Beschwerdegericht lediglich auf Ermessensfehler überprüfbar ist. Maßstab der Ermessensentscheidung ist es. einerseits eine wirtschaftliche Gefährdung der Verurteilten zu vermeiden, andererseits, ihr durch die Auferlegung von Kosten zu zeigen, dass sie für die Folgen ihres Tuns unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens einzustehen hat. Dabei ist im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessens-ausübung die Möglichkeit gemäß § 74 JGG – um Folgewirkungen im Sinne einer negativen Sanktionierung durch die Auferlegung der Kosten zu vermeiden – bei Jugendlichen tendenziell ausgedehnt zu nutzen (Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Auflage, § 74 Rn. 8c). Auch die Gesamtbelastung, die die Kostenentscheidung bewirkt, ist abwägungsrelevant (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.02 2011, III – 4 Ws 59/11, juris: OLG Hamm, Beschluss vom 28.11.2017, III- 4 Ws 213/17, juris).

2. Die vom Landgericht getroffene Entscheidung genügt diesen Anforderungen nicht.

Zum einen führt das Landgericht aus, dass die festgesetzte Geldauflage der Höhe nach nur deshalb so gering bemessen wurde, weil die Verurteilte mit der Kostentragungspflicht belastet wird. Angesichts der Höhe der Kosten des Verfahrens tritt die eigentliche Rechtsfolge in den Hintergrund, was mit dem Erziehungsgedanken nicht zu vereinbaren ist (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, 24. Aufl. 2023, JGG § 74 Rn. 8d, LG Freiburg NStZ-RR 2000, 183).

Zum anderen begründet das Landgericht seine Entscheidung damit, dass die Verurteilte bei Berücksichtigung ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage bei einem Nettoverdienst von 1.500 Euro durch ihre auf sechs Monate befristete Tätigkeit in pp. imstande ist, die Kosten des Verfahrens in Raten zu begleichen. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass zum einen das Arbeitsverhältnis befristet ist und zum anderen die Jugendliche plant, eine Ausbildung zur Verkäuferin oder im Bereich Kosmetik zu machen. Für die – unter Erziehungsaspekten wünschenswerte – Beendigung der Hilfstätigkeit in pp. und Absolvierung einer Ausbildung ist die Belastung mit den gesamten Verfahrenskosten kontraproduktiv. Der Verurteilten, die derzeit noch bei ihren Eltern wohnt, wird damit die Gründung einer tragfähigen selbständigen Existenz durch eine Berufsausbildung über einen nicht absehbaren Zeitraum massiv erschwert.

Schließlich erscheint es fraglich, ob die gesamtschuldnerische Haftung mit den beiden Mitangeklagten, gegen die mehrjährige Freiheitsstrafen verhängt wurden, zu einer Entlastung der Verurteilten führt., wovon das Landgericht offenbar ausgeht.

3. Dies führt zur Aufhebung der Kostenentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung (OLG Hamm Beschluss vom 28.11.2017, 4 Ws 213/17, beck-online).

Bei der neuen Entscheidung wird zu berücksichtigen sein, dass Maßstab der Ermessensentscheidung ist, einerseits eine wirtschaftliche Gefährdung der Verurteilten zu vermeiden, andererseits, ihr durch die Auferlegung von Kosten zu zeigen, dass sie für die Folgen ihres Tuns unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens einzustehen hat (OLG Hamm, aaO), was auch mit einem teilweisen Absehen von der Auferlegung von Kosten möglich ist (Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Auflage, § 74 Rz. 8a).“

Das LG hat übrigens dann die – zutreffenden – Vorgaben des OLG verstanden und hat im LG Regensburg, Beschl. v. v. 22.11.2023 – KLs 403 Js 23928/22 jug von der Auferlegung der Kosten des Verfahrens und der gerichtlichen Auslagen auf die verurteilte Jugendliche abgesehen.