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StPO II: Eine nichtöffentliche HV im JGG-Verfahren?, oder: Anwesenheit der Polizei muss man beanstanden

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 27.10.2023 – 2 ORs 82/23. Das AG – Jugendrichter – hat die Angeklagte wegen Diebstahls schuldig gesprochen und gegen sie einen Dauerarrest von 2 Wochen verhängt, der infolge verbüßter Untersuchungshaft bereits vollständig vollstreckt ist. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision. Sie erhebt neben der allgemeinen Sachrüge, mit der insbesondere beanstandet wird, die Notwendigkeit des angeordneten Dauerarrestes als Zuchtmittel werde von den Urteilsgründen nicht getragen, die Verfahrensrüge der Verletzung von § 337 i.V.m. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG. Die Revision hatte keinen Erfolg:

bb) Die Verfahrensrüge der Verletzung von § 48 Abs. 2 S. 3 JGG ist hingegen zulässig erhoben.

Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Die zur Tatzeit 15jährige Angeklagte wurde zur gem. § 48 JGG nicht öffentlichen Hauptverhandlung vor der Jugendrichterin des Amtsgerichts Hannover von Justizwachtmeistern aus der Haft vorgeführt, da sie trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Hauptverhandlung am 12. Mai 2023 nicht erschienen war und infolgedessen ein Haftbefehl gem. § 230 StPO gegen sie ergangen und nach dessen Verkündung am 23. Mai 2023 auch vollstreckt worden war. Zugleich betraten zwei in zivil gekleidete Beamte der Polizeiinspektion H. den Sitzungssaal und teilten der Vorsitzenden mit, gegen die Angeklagte bestehe ein weiterer Untersuchungshaftbefehl des Amtsgerichts Hildesheim, der u.a. auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gestützt sei. Sie seien infolgedessen beauftragt, die Angeklagte festzunehmen und dem zuständigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hildesheim vorzuführen. Nachdem der Verteidiger der Angeklagten auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit hingewiesen und ein fehlendes Anwesenheitsrecht der Polizeibeamten geltend gemacht hatte, wurde die Sache gem. § 243 Abs. 1 S. 1 StPO aufgerufen, die Anwesenheit gem. § 243 Abs. 1 S. 2 StPO festgestellt und durch Anordnung der Vorsitzenden die beiden Polizeibeamten der Polizeiinspektion H. zur Hauptverhandlung zugelassen.

Die Verfahrensrüge genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Der Beschwerdeführer war im vorliegenden Fall nicht gehalten, im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) darzulegen, dass er die auf § 48 Abs. 2 S. 3 JGG gestützte Anordnung der Vorsitzenden, die beiden Polizeibeamten der Polizeiinspektion H. zur Hauptverhandlung zuzulassen, mit dem sog. Zwischenrechtsbehelf gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat.

Denn in der gegenwärtigen Rechtsprechung und Kommentarliteratur wird insoweit übereinstimmend vertreten, dass es gegen die Gestattung der Anwesenheit nach § 48 Abs. 2 S. 3 JGG keinen Rechtsbehelf gebe (Schatz in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, 8. Auflage 2020, § 48, Rn. 39; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 48 Nichtöffentlichkeit, Rn. 23; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 175 GVG, Rn. 7; Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, 24. Aufl. 2023, JGG § 48 Rn. 29; Schady in Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, 11. Auflage 2021, § 48, Rn. 20; BeckOK JGG/Putzke C., 30. Ed. 1.8.2023, JGG § 48 Rn. 22; Krauß in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2022, § 175, Rn. 17; Schmidt in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Auflage 2018, § 175 GVG, Rn. 4; Trüg in: Meier/Rössner/Trüg/Wulf, Jugendgerichtsgesetz, 2. Auflage 2014, § 48, Rn. 22; BGH, Urteil vom 5. August 1975 – 1 StR 283/75 –, juris), weshalb auch für den Angeklagten und seinen Verteidiger nicht die Anrufungsmöglichkeit nach § 238 Abs. 2 StPO gegeben sei (Trüg in: Meier/Rössner/Trüg/Wulf a.a.O., Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel a.a.O., Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., Schmidt in: Gercke/Julius/Temming/Zöller).

Zudem bedurfte es eines in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 6. September 2023 vermissten konkreten Vortrages dazu, inwieweit die Angaben der Angeklagten durch die Anwesenheit der Polizeibeamten konkret beeinflusst worden sind und ob sich die Angeklagte durch die Anwesenheit der Polizeibeamten gehalten sah, Angaben nicht, nicht vollständig oder wahrheitswidrig zu tätigen, nicht.

Denn ausreichend und allein erforderlich gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ist die – hier erfolgte – Angabe der den Verfahrensmangel selbst enthaltenden Tatsachen; Ausführungen zum Beruhen bedarf es – abgesehen von der erfolgten Darlegung der Tatsachen, aufgrund derer die Beruhensfrage durch den Senat geprüft werden kann – gerade nicht (BGH, Beschluss vom 16. November 2021 – 6 StR 502/21 –, juris; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2021 – 6 StR 25/21 –, juris; BGH, Urteil vom 24. Juli 1998 – 3 StR 78/98 –, BGHSt 44, 138-143; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O., § 344, Rn. 27).

b) Die erhobene Verfahrensrüge ist indes nicht begründet.

aa) Eine Verletzung von § 338 Nr. 6 StPO scheidet von vornherein aus, da dieser absolute Revisionsgrund in Fällen einer hier gerügten unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar ist (BGH, Urteil vom 21. November 1969 – 3 StR 249/68 –, BGHSt 23, 176-194).

Aber auch eine Verletzung von § 337 i.V.m. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG ist nicht gegeben.

Denn die von der Vorsitzenden getroffene Ermessensentscheidung, die beiden Polizeibeamten gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG zur Hauptverhandlung zuzulassen, ist in der Sache nicht zu beanstanden.

Nach dieser Vorschrift kann die Vorsitzende bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes, wobei das Gesetz insoweit lediglich beispielhaft Ausbildungszwecke benennt, sonstige, in § 48 Abs. 2 S. 2 JGG nicht aufgezählte Personen zur Hauptverhandlung zulassen. Maßgeblich ist stets ein angehobenes Teilnahmeinteresse, das über das normale Informationsbedürfnis deutlich („besonders“) hinausgeht (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 24).

Ein solches hat die Vorsitzende vorliegend ermessensfehlerfrei bejaht. Denn Polizeibeamte waren bis zum Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (1. JGGÄndG) vom 30.08.1990 noch Bestandteil des Kataloges von Personen, denen kraft Gesetzes ein Teilnahmerecht zugewiesen wurde. Grund für die Herausnahme der Polizeibeamten aus diesem Katalog war allein der Umstand, dass die Belange der Strafverfolgungsbehörden in der Hauptverhandlung durch den anwesenden Staatsanwalt ausreichend gewahrt sind (BT-Drucksache 11/5829, S. 26). In den Gesetzgebungsmaterialien wird jedoch explizit betont, dass Beamten der Kriminalpolizei in besonders gelagerten Fällen die Anwesenheit richterlich gestattet werden kann (BT-Drucksache a.a.O.).

Vorliegend steht außer Frage, dass hier ein besonders gelagerter Fall im o.g. Sinne gegeben war. Denn die Zulassung der beiden Polizeibeamten war zur Sicherung der Festnahme der Angeklagten erforderlich, zumal der im vorliegenden Verfahren ergangene Haftbefehl gemäß § 230 StPO allein der Sicherung und Beendigung des aktuellen Strafverfahrens diente und mit dem Abschluss der Hauptverhandlung gegenstandslos wurde. Vor diesem Hintergrund reichte auch die Hinzuziehung von Gerichtswachtmeistern nicht, deren Aufgabe sich in der Bewachung der Angeklagten während des Gerichtsprozesses erschöpfte. Individuell stark ausgeprägte entwicklungspsychologische oder jugendpädagogische Erwägungen, die einer Zulassung der Polizeibeamten zur Verhinderung einer Flucht der Angeklagten nach Abschluss der Hauptverhandlung entgegengestanden hätten (vgl. hierzu: Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 25), sind weder dargelegt noch erkennbar.

bb) Auch wenn es für die zu treffende Entscheidung nicht mehr darauf ankam, gibt der vorliegende Fall dem Senat Anlass zu folgenden Ausführungen (obiter dictum):

Der Senat erachtet die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO gegen die Entscheidung des Vorsitzenden gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG entgegen der übereinstimmenden Auffassung in der Kommentarliteratur für eröffnet und diese auch für erforderlich, um eine Präklusion der Verfahrensrüge der unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit in der Revisionsinstanz zu verhindern.

Dem liegen nachfolgende Erwägungen zugrunde: Gem. § 238 Abs. 2 StPO können grundsätzlich gerade die Maßnahmen, mit denen der Vorsitzende auf den Verfahrensablauf und die Verfahrensbeteiligten einwirkt, mit dem sog. Zwischenrechtsbehelf gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O, § 238, Rn. 11). Der Begriff der Anordnung erfasst im Kern Verfügungen, mit denen der Vorsitzende einem Verfahrensbeteiligten ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbietet; ihm unterfallen alle Maßnahmen, die auf den Fortgang des Verfahrens Einfluss gewinnen können (KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, StPO § 238 Rn. 11, 12). Hierzu zählen vor allem Belehrungen, Hinweise, Vorhalte, Ermahnungen und auch Fragen (OLG Hamm, Beschluss vom 14. März 2019 – III-5 RVs 21/19 –, juris). Gerade Maßnahmen des Vorsitzenden, denen ein Ermessensmissbrauch zugrunde liegt, können gemäß § 238 Abs. 2 StPO als unzulässig beanstandet werden (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O, § 238, Rn. 17).

Hieran gemessen liegt nach Auffassung des Senates eine Maßnahme i.S.v. § 238 Abs. 2 StPO vor, denn eine Entscheidung über die Zulassung von Personen zu einer nicht öffentlichen Hauptverhandlung gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG ist eine Angelegenheit der Prozessleitung, über die der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden hat (BGH, Urteil vom 5. August 1975 – 1 StR 283/75 –, juris).

Dabei hat der Senat nicht verkannt, dass die Anordnung der Vorsitzenden, die beiden Polizeibeamten gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG zur Hauptverhandlung zuzulassen, nicht der sachlichen Förderung des Verfahrens selbst diente. Indes steht die früher herrschende Ansicht, dass die allein § 238 Absatz 2 StPO unterfallenden sachleitenden Anordnungen nach abstrakten Kriterien von den sonstigen prozessleitenden Maßnahmen abzugrenzen seien, nicht in Einklang mit dem Regelungszweck der Norm; da durch den Zwischenrechtsbehelf der Anrufung des Gerichts die Verantwortung des gesamten Spruchkörpers für die Gesetzmäßigkeit des Ablaufs der Hauptverhandlung aktiviert werden soll mit dem Ziel, zur Gewährleistung prozessordnungsgemäßer Urteilsfindung etwaige Verfahrensfehler des Vorsitzenden instanzintern zu korrigieren, kann es für dessen Zulässigkeit nicht auf die begriffliche Zuordnung der jeweils in Rede stehenden Anordnung zu bestimmten Kategorien von prozessleitenden Maßnahmen ankommen, sondern allein darauf, ob sich die Maßnahme im konkreten Fall auf die Urteilsfindung des Gerichts auswirken kann, weil sie die sachliche Erarbeitung des Verfahrensstoffs oder die Wahrnehmung von Verfahrensrechten eines Prozessbeteiligten zu beeinflussen vermag (MüKoStPO/Arnoldi, 1. Aufl. 2016, StPO § 238 Rn. 16ff.; Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 238, Rn. 19). Da potentiell jeder Verstoß gegen die Justizförmigkeit des Verfahrens später auch die sachliche Urteilsfindung beeinträchtigen kann, ist nach heute herrschender Rechtsauffassung kaum eine Maßnahme des Vorsitzenden vorstellbar, gegen die mangels Relevanz für die Urteilsfindung von vornherein die Anrufung des Gerichts nach Absatz 2 ausgeschlossen wäre; die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO kommt nach Aufgabe der Differenzierung zwischen der formellen Verhandlungsleitung und der materiellen Sachleitung grundsätzlich gegen jede Maßnahme des Vorsitzenden im weitesten Sinne in Betracht, sofern der jeweilige Verfahrensbeteiligte plausibel darzutun vermag, dass er durch eine Anordnung des Vorsitzenden in seiner prozessualen Rechtsstellung oder in seinen schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt wird (Becker in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., Rn. 20; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, StPO § 238 Rn. 9).

Zwar beschwert eine Anordnung des Vorsitzenden die – wie hier – nur den äußeren Ablauf der Verhandlung im Allgemeinen betrifft, die Prozesssubjekte nicht; derartige Anordnungen können jedoch im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände eine über die äußere Verhandlungsleitung hinausreichende Wirkung haben, die die Anrufung des Gerichts nach Absatz 2 gestattet (Becker in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 238, Rn. 21). So ist z.B. inzwischen in der Rechtsprechung anerkannt, dass entgegen der früher herrschenden Meinung auch gegen Maßnahmen der Sitzungspolizei die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO möglich ist, wenn schlüssig dargetan wird, dass eine solche Maßnahme ausnahmsweise über die mit ihr bezweckte Abwehr einer Störung hinaus unzulässig in Verfahrensrechte eines Beteiligten eingreift (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 – 4 StR 46/08 –, juris; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 1 StR 122/13 –, juris). Lediglich in Fällen, bei denen eine Beschwer von vornherein nicht plausibel gemacht werden kann, ist die Anrufung des Gerichts unzulässig (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Februar 1972, Az.: 3 Ws 27/72, NJW 1972, 1246-1247).

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine derartige Beschwer für Personen, die eine ausnahmsweise Zulassung gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG begehren, mangels eines Rechts auf Anwesenheit zutreffend verneint wird (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – StB 10/15 –, juris; KG, Beschluss vom 14.05.2014 – 4 Ws 33/14141 AR 235/14, BeckRS 2015, 436; Brunner/Dölling, a.a.O., § 48, Rn. 23).

Es erschließt sich jedenfalls nicht, dem jugendlichen Angeklagten eine Beschwerdebefugnis durch die prozessleitende Ermessensentscheidung des Vorsitzenden, entgegen dem in § 48 Abs. 1 JGG geregelten Grundsatz ausnahmsweise Personen zur Hauptverhandlung zuzulassen, von vornherein abzusprechen.

Denn der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit in Strafverfahren gegen Jugendliche beruht gerade auf den Informationsbedürfnissen der Allgemeinheit und den Erfordernissen der Justizkontrolle kollidierenden und vorrangigen Gründen, insbes. auf entwicklungspsychologischen und jugendpädagogischen Erwägungen, die einen deutlich geringeren Publizitätsgrad als im allg. Strafverfahren erforderlich machen (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 8). § 48 JGG will zudem zur Wahrheitsfindung eine jugendgerechte Kommunikationsatmosphäre schaffen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14. Oktober 2009 – 1 BvR 2430/09 –, juris; Brunner/Dölling, a.a.O., § 48, Rn. 2). Es liegt auf der Hand, dass im Falle der Zulassung weiterer Teilnehmer gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG an der Hauptverhandlung der jugendliche Angeklagte beeinträchtigt wird, weil die zugelassenen Personen in Abweichung des gesetzlichen Soll-Zustands persönliche bzw. persönlichkeitsrechtsrelevante Informationen über den Angeklagten erfahren (Gerbig, Kinderrechtsbasierte Anforderungen an die (Nicht-) Öffentlichkeit im Jugendstrafverfahren, ZJJ, S. 263f.). Mithin kann eine Beschwerdebefugnis des jugendlichen Angeklagten in nicht öffentlichen Hauptverhandlungen nach Auffassung des Senates jedenfalls gegenüber ermessensfehlerhaften bzw. rechtsmissbräuchlichen Zulassungsentscheidungen i.S.v. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG keinesfalls kategorisch ausgeschlossen werden (so auch Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 29). Für die Möglichkeit des Angeklagten, die Anordnung des Vorsitzenden gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG gem. § 238 Abs. 2 StPO anfechten zu können, spricht auch der Umstand, dass der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes explizit eine Beschwerdemöglichkeit gegen derartige Entscheidungen verlangt (United Nations, Convention on the Rights of the Child, General Comment No. 10 (2007), Children’s rights in juvenile justice v. 25. April 2007, Distr. General, CRC/C/GC/10, Rn. 65). Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits klargestellt, dass Anordnungen nach § 48 Abs. 2 S. 3 JGG – trotz ihres auch sitzungspolizeilichen Charakters – sich auf Vorschriften zur Regelung der Öffentlichkeit von Strafverhandlungen gegen jugendliche Angeklagte stützen, die gegenüber den allgemeinen Regelungen des GVG speziellerer Natur sind, und dass diejenigen Erwägungen, mit der die generelle Unanfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Anordnungen begründet wird, nicht zwingend auf die Beurteilung der vom Vorsitzenden gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG zu beantwortenden Frage zu übertragen sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14. Oktober 2009 – 1 BvR 2436/09 –, juris).

Nach alledem erachtet der Senat die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO durch den Angeklagten und seinen Verteidiger gegen die Anordnung des Vorsitzenden, gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG aus besonderen Gründen anderen Personen die Teilnahme an einer nichtöffentlichen Hauptverhandlung zu gestatten, für eröffnet.

Eine Verfahrensrüge der unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit gem. § 337 StPO i.V.m. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG wäre dann, wenn eine derartige Beanstandung der sachleitenden Anordnung des Vorsitzenden unterbleibt, bereits präkludiert, denn Sinn und Zweck der Norm des § 238 Abs. 2 StPO ist es gerade, Fehler des Vorsitzenden i.R.d. Instanz zu korrigieren und Revisionen zu vermeiden (BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06 –, BGHSt 51, 144-149).

Die in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von dem Grundsatz der Rügepräklusion mangels Beanstandung einer im Rahmen der Sachleitungsbefugnis getroffenen Anordnung des Vorsitzenden sind nicht einschlägig. Denn vorliegend geht es nicht um eine vom Vorsitzenden unterlassene unverzichtbare Handlung oder um einen Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die keinerlei Ermessensspielraum zulässt. Der Umstand, dass bei Verhandlungen des Jugendrichters Vorsitzender und Gericht identisch sind, lässt die Erforderlichkeit der Anrufung des Gerichts unberührt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1996 – 5 Ss 462/95 – 1/96 I –, juris; Becker in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 238, Rn. 38; Julius/Barrot in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 238, Rn. 26). Auch das jugendliche Alter eines Angeklagten führt zu keiner anderen Beurteilung, wenn diesem in der Hauptverhandlung ein Verteidiger beisteht, so dass auch nicht von einer die Verwirkung des Rügerechts ausschließenden Unkenntnis des Angeklagten von der Beanstandungsmöglichkeit ausgegangen werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2002 – 2 Ss 945/02 –, juris).“

Auch hier eine Menge Text, aber lesenswert 🙂 .

Pflichti III: Vernehmung ohne vorherige Bestellung?, oder: Was muss in der Revision vorgetragen werden?

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Und dann habe ich noch den BGH, Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 114/23 -, in dem der BGH zum Revisionsvorbringen Stellung nimmt, wenn gerügt werden soll, dass das Absehen von einer Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 68b Nr. 2 JGG abgesehen worden ist:

„Hinsichtlich der Rügen der Verletzung von § 261 StPO i.V.m. § 68a JGG genügt das Revisionsvorbringen der Angeklagten K. und E. diesen Anforderungen schon deshalb nicht, weil zum Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt der Vernehmungen des Angeklagten E. nicht vorgetragen wird. Der Senat konnte daher nicht prüfen, ob die Voraussetzungen von § 68b Nr. 2 JGG vorlagen und eine Vernehmung des Angeklagten E. ausnahmsweise ohne vorherige Pflichtverteidigerbestellung zulässig war. Eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens im Sinne von § 68b Nr. 2 JGG kann vorliegen, wenn die Vernichtung von Beweismitteln oder die Beeinflussung von Zeugen droht, sofern nicht sofort die Vernehmung stattfindet (vgl. BT-Drs. 19/13829, 39; Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Aufl., § 68b Rn. 5). Trotz des Ausnahmecharakters von § 68b Nr. 2 JGG war hier eine Prüfung erforderlich, weil sich aus den Urteilsgründen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ermittlungen durch konkrete Verdunkelungshandlungen der Angeklagten erschwert wurden.“

EV III: Mal wieder Haftgrund der Wiederholungsgefahr, oder: Anwendbar auch beim Heranwachsenden

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Und dann zum Tagesschluss noch der OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.10.2023 – 2 Ws 142/23 -, der sich mit der Frage der Anwendbarkeit des Haftgrundes der Widerholungsgefahr (§ 112a StPO)  im JGG-Verfahren befasst.

Das OLG hat die Anwendbarkeit bejaht:

„2. Aus den zutreffenden und fortdauernden Gründen des Haftbefehls besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO).

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, fortgesetzt schwerwiegende räuberische Erpressungen begangen zu haben. Neben den dem Haftbefehl zugrunde liegenden Vorwürfen soll er ausweislich des Schlussberichts vom 29. September 2023 in vorliegendem Ermittlungsverfahren eine Vielzahl weiterer gleichartiger Delikte begangen haben und es wurden darüber hinaus bereits mehrere Strafverfahren wegen derartiger Taten gegen ihn geführt. Wegen der großen Anzahl der Tatvorwürfe und der besonders hohen Rückfallgeschwindigkeit, die auch durch zwischenzeitliche Ermittlungsverfahren ersichtlich nicht verringert werden konnte, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er sich von den gegen ihn geführten Ermittlungen und Strafverfahren nicht von weiteren Erpressungen abhalten lassen, sondern vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens weitere derartige Straftaten begehen wird.

Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beschuldigte zur Tatzeit Heranwachsender war und insoweit möglicherweise nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe, sondern – jedenfalls wegen schädlicher Neigungen – aufgrund des Ausmaßes der Tatvorwürfe die Verurteilung zu einer unbedingten, ein Jahr weit übersteigenden Jugendstrafe zu erwarten ist. Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist § 112 a StPO auch im Jugendstrafrecht anwendbar (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 2. März 2017 – 1 Ws 14/17; KG, Beschl. v. 28. Februar 2012 – 4 Ws 18/12, zit. nach Juris mwN.). Auch der Umstand der erst nach Inhaftierung des Beschuldigten unterrichteten Jugendgerichtshilfe steht der Untersuchungshaft nicht entgegen. Möglichkeiten zur Haftvermeidung sind seitens des Jugendamtes verneint worden.“

Pflichti II: Einiges zu den Beiordnungsgründen, oder: Steuersache, Jugendlicher, Unfähigkeit, OWi-Verfahren

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Im zweiten Posting zu Pflichtverteidigungsfragen heute dann Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen. Ich stelle allerdings aus Platzgründen nur die Leitsätze der Entscheidungen vor. Hier kommen:

Die Rechtslage ist schwierig im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO, wenn dem Beschuldigten Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, das es sich beim Steuerstrafrecht um Blankettstrafrecht handelt.

Im Jugendstrafverfahren gelten für die Beurteilung der Pflichtverteidigerbestellung dieselben Grundsätze wie im Strafverfahren gegen Erwachsene. Sind beide Mitangeklagte anwaltlich vertreten, ist bereits aus diesem Grund ein Fall der notwendigen Verteidigung bei einem Erwachsenen anzunehmen. Erst Recht ist daher unter Berücksichtigung einer extensiven Auslegung des § 140 StPO bei Jugendlichen und Heranwachsenden die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei der Beschwerdeführerin geboten.

Die Bestellung nach 140 Abs. 2 StPO wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung hat bereits dann zu erfolgen, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen.

Eine Pflichtverteidigerbestellung in Bußgeldverfahren ist nur in Ausnahmefällen geboten. Einem Analphabeten ist aber für die Hauptverhandlung ein Verteidiger zu bestellen, wenn eine sachgerechte Verteidigung Aktenkenntnis erfordert oder eine umfangreiche Beweisaufnahme dem Betroffenen Anlass gibt, sich Notizen über den Verhandlungsablauf und den Inhalt von Aussagen zu machen, weil er sie als Gedächtnisstütze benötigt. In diesem Fall liegt nach § 140 Abs. 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann.

Bei der Gelegenheit ein herzliches „Danke-schön“ an alle, die mir immer wieder Entscheidungen schicken und so mit dafür sorgen, dass die Entscheidungssammlung wächst und aktuell bleibt.

Revision III: Beschränkte Anfechtung im JGG-Verfahren, oder: Umgehung des § 55 JGG?

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Und die dritte Entscheidung zu Revisionsfragen betrifft dann den § 55 JGG. Der sieht ja in seinem Abs. 1 Satz 1 eine Beschränkung der Beschränkung der Rechtsmittelmöglichkeit bei einem jugendrichterlicher Urteil, das allein Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel enthält, vor.

Damit befasst sich der OLG Hamm, Beschl. v. 20.09.2022 – 5 RVs 81/22. Im zugrunde liegenden Verfahren ist der Angeklagte vom Jugendrichter des Diebstahls schuldig gesprochen und gegen ihn einen „Freizeitarrest von einer Freizeit“ verhängt worden. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendabteilung des AG zurückzuverweisen; als Begründung wird angeführt:

„Es wird die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Das angefochtene Urteil wird ausdrücklich sowohl im Schuldspruch als auch im Rechtsfolgenausspruch zur vollständigen Überprüfung durch den Senat gestellt.

Im Folgenden ist dann die Sachrüge näher ausgeführt worden und es wird beanstandet, dass die auferlegte Sanktion unverhältnismäßig sei. Es werde verkannt, dass dem Gericht in Jugendstrafsachen ein ganzer Kanon von Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehe; eine freiheitsentziehende Maßnahme könne dabei immer nur die Ultima Ratio sein. Es sei bei der Wahl der Sanktion zu Unrecht missachtet worden, dass für den Angeklagten bzgl. berücksichtigter eingestellter früherer Verfahren die Unschuldsvermutung streite.

Die GStA hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, also § 349 Abs. 2 StPO. Das OLG hat nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen:

„Die Revision ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen, da der Angeklagte es entgegen § 344 Abs. 1 StPO versäumt hat, ein unter Berücksichtigung von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG zulässiges Angriffsziel eindeutig zu formulieren.

1. In der Revisionsbegründung muss das Ziel der Anfechtung so eindeutig mitgeteilt werden, dass die Verfolgung eines unzulässigen Ziels ausgeschlossen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 07.02.2017, Az. 5 RVs 6/17 = BeckRS 2017, 107728). Besteht die Möglichkeit – wie vorliegend -, dass der Revisionsführer sich lediglich gegen die Auswahl und den Umfang von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln wendet, führt dies zur Unzulässigkeit, wobei Zweifel zulasten des Revisionsführers gehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2013, Az. 1 StR 278/13 = NStZ 2013, 659; OLG Hamm, Beschluss vom 02.12.2021, Az. 4 RVs 124/21, juris). Die erforderliche eindeutige Angabe des Angriffsziels soll eine Umgehung der Vorschrift des § 55 Abs. 1 S. 1 JGG verhindern und damit dem Willen des Gesetzgebers – der Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens im Hinblick auf die erzieherische Wirkung von Entscheidungen – ausreichend Rechnung tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.07.2007, Az. 2 BvR 1824/06).

2. Den vorgenannten Anforderungen an eine Revisionsbegründung bei einem gegen ein in den Anwendungsbereich von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG fallendes Rechtsmittel genügt der Schriftsatz vom 24.06.2022 trotz des umfassenden Aufhebungsantrages sowie der ausdrücklichen Rüge des Schuldspruchs nicht, da er lediglich auf eine Umgehung der Vorschrift ausgerichtet ist; im Einzelnen:

a) Allein ein umfassend gestellter Aufhebungsantrag gibt keinen ausreichenden Aufschluss in Bezug auf das Anfechtungsziel (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2000, Az. 33 Ss 92/00 = NStZ-RR 2001, 121). § 55 Abs. 1 S. 1 JGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein Urteil zwar vordergründig zur vollen Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt wird, allerdings tatsächlich nur Angriffe gegen die Strafzumessung ausgeführt werden (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.03.2016, Az. 1 OLG 8 Ss 49/16 = BeckRS 2016, 9474). So verhält es sich hier; die ausgeführte Revisionsbegründung richtet sich ausschließlich gegen die verhängte Sanktion bzw. die Voraussetzungen der §§ 5 Abs. 2 JGG und 13 Abs. 1 JGG.

b) Infolge der erhöhten Anforderungen an die Konkretisierung des Angriffsziels reicht es auch nicht aus, schlicht den Schuldspruch – allgemein – anzufechten (vgl. MüKo/Kaspar, 1. Auflage 2018, § 55, Rn. 69). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – die den Schuldspruch tragenden Feststellungen auf der geständigen Einlassung des revidierenden Angeklagten beruhen, was der Senat – obwohl außerhalb der Revisionsbegründung liegend – zur Klärung der Eindeutigkeit des Ziels des Rechtsmittels berücksichtigen durfte (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2013, Az. 1 StR 278/13 = NStZ 2013, 659) ; bei einer derartigen Sachlage bedarf es einer Klarstellung, inwieweit der Schuldspruch angefochten wird (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2000, Az. 33 Ss 92/00 = NStZ-RR 2001, 121).

c) Selbst wenn man aber davon ausginge, dass bereits die ausdrückliche Rüge des Schuldspruchs seitens des Angeklagten den Anforderungen an § 344 Abs. 1 StPO i.V.m. § 55 Abs. 1 JGG genügte, würden die Einzelausführungen in der Revisionsbegründungsschrift vom 24.06.2022 die Revision insgesamt unzulässig machen, da sich daraus unzweifelhaft ergibt, dass der Angeklagte lediglich den Rechtsfolgenausspruch angreifen will.

Für den Fall, dass der Revisionsführer in Wahrheit nicht die Rechtsanwendung sondern die Beweiswürdigung beanstanden will und sich dieser Schluss aus den Einzelausführungen der Revisionsbegründung ziehen lässt, ist allgemein anerkannt, dass Einzelausführungen zur Sachrüge die Revision insgesamt unzulässig machen können (vgl. Meyer/Goßner, 65. Auflage, § 344, Rn. 19 m.w.N. zur höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung). Diese Rechtsprechung lässt sich – wegen der Vergleichbarkeit des Sachverhalts – auch auf die vorliegende Konstellation übertragen, bei der sich anhand der Einzelausführungen ergibt, dass die Rüge des Schuldspruchs lediglich vordergründig und unter Umgehung von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG erhoben wird, während das Angriffsziel der Revision tatsächlich auf die – unzulässige – Beanstandung der Sanktion gerichtet ist.

3. Eine Konstellation, in der eine Umgehung der Vorschrift des § 55 Abs. 1 S. 1 JGG nicht angenommen werden kann, etwa weil aufgrund weiterer Ausführungen erkennbar wird, dass tatsächlich konkrete Rechtsfehler des Schuldspruchs beanstandet werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.04.2020, Az. 4 RVs 45/20), liegt nicht vor.“