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Revision III: Beschränkte Anfechtung im JGG-Verfahren, oder: Umgehung des § 55 JGG?

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Und die dritte Entscheidung zu Revisionsfragen betrifft dann den § 55 JGG. Der sieht ja in seinem Abs. 1 Satz 1 eine Beschränkung der Beschränkung der Rechtsmittelmöglichkeit bei einem jugendrichterlicher Urteil, das allein Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel enthält, vor.

Damit befasst sich der OLG Hamm, Beschl. v. 20.09.2022 – 5 RVs 81/22. Im zugrunde liegenden Verfahren ist der Angeklagte vom Jugendrichter des Diebstahls schuldig gesprochen und gegen ihn einen „Freizeitarrest von einer Freizeit“ verhängt worden. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendabteilung des AG zurückzuverweisen; als Begründung wird angeführt:

„Es wird die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Das angefochtene Urteil wird ausdrücklich sowohl im Schuldspruch als auch im Rechtsfolgenausspruch zur vollständigen Überprüfung durch den Senat gestellt.

Im Folgenden ist dann die Sachrüge näher ausgeführt worden und es wird beanstandet, dass die auferlegte Sanktion unverhältnismäßig sei. Es werde verkannt, dass dem Gericht in Jugendstrafsachen ein ganzer Kanon von Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehe; eine freiheitsentziehende Maßnahme könne dabei immer nur die Ultima Ratio sein. Es sei bei der Wahl der Sanktion zu Unrecht missachtet worden, dass für den Angeklagten bzgl. berücksichtigter eingestellter früherer Verfahren die Unschuldsvermutung streite.

Die GStA hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, also § 349 Abs. 2 StPO. Das OLG hat nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen:

„Die Revision ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen, da der Angeklagte es entgegen § 344 Abs. 1 StPO versäumt hat, ein unter Berücksichtigung von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG zulässiges Angriffsziel eindeutig zu formulieren.

1. In der Revisionsbegründung muss das Ziel der Anfechtung so eindeutig mitgeteilt werden, dass die Verfolgung eines unzulässigen Ziels ausgeschlossen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 07.02.2017, Az. 5 RVs 6/17 = BeckRS 2017, 107728). Besteht die Möglichkeit – wie vorliegend -, dass der Revisionsführer sich lediglich gegen die Auswahl und den Umfang von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln wendet, führt dies zur Unzulässigkeit, wobei Zweifel zulasten des Revisionsführers gehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2013, Az. 1 StR 278/13 = NStZ 2013, 659; OLG Hamm, Beschluss vom 02.12.2021, Az. 4 RVs 124/21, juris). Die erforderliche eindeutige Angabe des Angriffsziels soll eine Umgehung der Vorschrift des § 55 Abs. 1 S. 1 JGG verhindern und damit dem Willen des Gesetzgebers – der Beschleunigung des Jugendstrafverfahrens im Hinblick auf die erzieherische Wirkung von Entscheidungen – ausreichend Rechnung tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.07.2007, Az. 2 BvR 1824/06).

2. Den vorgenannten Anforderungen an eine Revisionsbegründung bei einem gegen ein in den Anwendungsbereich von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG fallendes Rechtsmittel genügt der Schriftsatz vom 24.06.2022 trotz des umfassenden Aufhebungsantrages sowie der ausdrücklichen Rüge des Schuldspruchs nicht, da er lediglich auf eine Umgehung der Vorschrift ausgerichtet ist; im Einzelnen:

a) Allein ein umfassend gestellter Aufhebungsantrag gibt keinen ausreichenden Aufschluss in Bezug auf das Anfechtungsziel (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2000, Az. 33 Ss 92/00 = NStZ-RR 2001, 121). § 55 Abs. 1 S. 1 JGG kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein Urteil zwar vordergründig zur vollen Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt wird, allerdings tatsächlich nur Angriffe gegen die Strafzumessung ausgeführt werden (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30.03.2016, Az. 1 OLG 8 Ss 49/16 = BeckRS 2016, 9474). So verhält es sich hier; die ausgeführte Revisionsbegründung richtet sich ausschließlich gegen die verhängte Sanktion bzw. die Voraussetzungen der §§ 5 Abs. 2 JGG und 13 Abs. 1 JGG.

b) Infolge der erhöhten Anforderungen an die Konkretisierung des Angriffsziels reicht es auch nicht aus, schlicht den Schuldspruch – allgemein – anzufechten (vgl. MüKo/Kaspar, 1. Auflage 2018, § 55, Rn. 69). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – die den Schuldspruch tragenden Feststellungen auf der geständigen Einlassung des revidierenden Angeklagten beruhen, was der Senat – obwohl außerhalb der Revisionsbegründung liegend – zur Klärung der Eindeutigkeit des Ziels des Rechtsmittels berücksichtigen durfte (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2013, Az. 1 StR 278/13 = NStZ 2013, 659) ; bei einer derartigen Sachlage bedarf es einer Klarstellung, inwieweit der Schuldspruch angefochten wird (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2000, Az. 33 Ss 92/00 = NStZ-RR 2001, 121).

c) Selbst wenn man aber davon ausginge, dass bereits die ausdrückliche Rüge des Schuldspruchs seitens des Angeklagten den Anforderungen an § 344 Abs. 1 StPO i.V.m. § 55 Abs. 1 JGG genügte, würden die Einzelausführungen in der Revisionsbegründungsschrift vom 24.06.2022 die Revision insgesamt unzulässig machen, da sich daraus unzweifelhaft ergibt, dass der Angeklagte lediglich den Rechtsfolgenausspruch angreifen will.

Für den Fall, dass der Revisionsführer in Wahrheit nicht die Rechtsanwendung sondern die Beweiswürdigung beanstanden will und sich dieser Schluss aus den Einzelausführungen der Revisionsbegründung ziehen lässt, ist allgemein anerkannt, dass Einzelausführungen zur Sachrüge die Revision insgesamt unzulässig machen können (vgl. Meyer/Goßner, 65. Auflage, § 344, Rn. 19 m.w.N. zur höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung). Diese Rechtsprechung lässt sich – wegen der Vergleichbarkeit des Sachverhalts – auch auf die vorliegende Konstellation übertragen, bei der sich anhand der Einzelausführungen ergibt, dass die Rüge des Schuldspruchs lediglich vordergründig und unter Umgehung von § 55 Abs. 1 S. 1 JGG erhoben wird, während das Angriffsziel der Revision tatsächlich auf die – unzulässige – Beanstandung der Sanktion gerichtet ist.

3. Eine Konstellation, in der eine Umgehung der Vorschrift des § 55 Abs. 1 S. 1 JGG nicht angenommen werden kann, etwa weil aufgrund weiterer Ausführungen erkennbar wird, dass tatsächlich konkrete Rechtsfehler des Schuldspruchs beanstandet werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.04.2020, Az. 4 RVs 45/20), liegt nicht vor.“

Pflichti II: Gemeinschaftliche Tat mit einem Elternteil, oder: Unfähigkeit der Selbstverteidigung

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Und dann habe ich hier im zweiten Posting des Tages den AG Eilenburg, Beschl. v. 19.10.2022 – 9 Ds 647 Js 1866/22 jug. Er hätte auch ganz gut heute Morgen zu den Beiordnungsgründen gepasst, aber ich will von dem Beschluss nicht nur den Leitsatz einstellen.

Folgender Sachverhalt: Mit der Anklageschrift wird den beiden Angeklagten, einem Vater und seinem minderjährigen Sohn, der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 18 Jahre und 2 Wochen alt sein wird, zur Last gelegt, gemeinschaftlich eine andere Person verletzt zu haben. Im Ermittlungsverfahren waren die beiden Beschuldigten, der Sohn in Anwesenheit seiner Mutter, getrennt voneinander vernommen worden. Die Bestellung eines Verteidigers erfolgte nicht, ein Antrag auf Entzug elterlicher Verfahrensrechte war seitens der Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden. Nach Zustellung der Anklage haben sich Verteidiger für beide Angeklagte gemeldet. Die Verteidigerin des Jugendlichen beantragt nunmehr namens und im Auftrag ihres Mandanten, ihm als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden, woraufhin sie das Wahlmandat niederlegen werde. Die Staatsanwaltschaft ist einer Beiordnung entgegengetreten, weil für die zur Begründung angeführten sonstigen schwerwiegenden Nachteile keinerlei Anhaltspunkte bestünden. Das AG hat die Wahlverteidigerin als Pflichtverteidigerin bestellt:

„Dem Angeklagten war seine Wahlverteidigerin beizuordnen, weil ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist. Denn der Angeklagte kann sich im Sinne des § 140 Abs.2 S. 1 letzte Alt. StPO nicht selbst verteidigen. Allerdings trifft die vorliegende Konstellation den Wortlaut des § 68 Abs.1 Nr. 1 JGG insofern nicht, als für einen Erwachsenen ein Verteidiger nicht zu bestellen wäre, wenn sich die Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit eines Angeklagten gerade aus dessen Minderjährigkeit herrührt. Die Vorschrift ist dahingehend auszulegen, dass einem Beschuldigten nach § 68 Nr.1 JGG ein Verteidiger zu bestellen ist, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung nach allgemeinem Strafrecht gegeben ist (so im Ergebnis auch OLG Saarbrücken, Beschluss v. 3.5.2006, 1 Ws 87/06, OLG Brandenburg, Beschluss v. 28.11.2001, 1 Ss 46/01). Dem Sinn der Vorschrift nach ist einem jugendlichen Angeklagten ein Verteidiger dann zu bestellen, wenn er sich nicht ausreichend selbst verteidigen kann – wobei dabei zu berücksichtigen ist, ob und in welchem Grade die Erziehungsberechtigten in der Lage und fähig – und damit verpflichtet – sind, die ihrem Kind geschuldete Unterstützung zuteilwerden zu lassen (Vgl. zu diesem Aspekt Beschluss LG Koblenz v. 2.1.2019, 2 Qs 120/18).

Der Angeklagte kann sich nicht ausreichend selbst verteidigen.

Zur eigenen Verteidigungsfähigkeit gehört es insofern nicht nur, sich gegenüber der Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls einem Nebenkläger verteidigen zu können, sondern auch, sich gegenüber seinen Mitangeklagten behaupten zu können (vgl. u.a. OLG Brandenburg, Beschluss v. 28.11.2001, 1 Ss 46/01). Dieser Aspekt des fairen Verfahrens gebietet die Bestellung eines Pflichtverteidigers zwar nicht immer schon dann, wenn einer der Mitangeklagten durch einen Verteidiger vertreten wird. Dies hätte nämlich zur Folge, dass in einer Konstellation mit mehreren Angeklagten der Fall der notwendigen Verteidigung allein durch ein geschicktes Prozessverhalten der Mitangeklagten herbeigeführt werden könnte. Indem nämlich nacheinander alle Wahlverteidiger ihr Mandat niederlegen und auf die damit jeweils eingetretene prozessuale Unterlegenheit des von ihnen vertretenen Mandanten gegenüber den Mitangeklagten verwiesen werden könnte.

Um eine solche rechtsmissbräuchliche Konstellation handelt es sich aber dann nicht, wenn einer der Angeklagten von dem anderen finanziell und familiär abhängig ist. So hat der minderjährige Angeklagte, da er finanziell nicht selbständig ist, keine Möglichkeit, sich unabhängig vom Willen seiner Eltern einen Verteidiger zu suchen.

Vor allem aber steht der Verteidigungsfähigkeit eines minderjährigen, von der Akzeptanz und Anerkennung seiner Eltern in besonderer Weise abhängigen Jugendlichen entgegen, dass er sich in einem für ihn nicht auflösbaren Dilemma befinden kann, einem Dilemma, wie es in dieser familiären Grundkonstellation, aber in anderer prozessualer Konstellation durch das Zeugnisverweigerungsrecht entschärft werden kann (zur Bestellung eines Pflichtverteidigers trotz Wiedereinräumung der verfahrensrechtlichen Rechtsstellung eines Elternteils LG Essen, Beschluss v. 25.8.2011, 23 Qs 105/11). Diese Option stellt sich einem mitangeklagten Familienmitglied aber nicht. Das Dilemma, sich möglicherweise entweder einer ihm gegenüber erhobenen Schuldzuweisung, oder aber, im Gegenteil, gegen die Übernahme der Verantwortlichkeit durch ein ihn schützen wollendes Elternteil erwehren zu müssen, lässt sich gerade für einen Jugendlichen kaum adäquat lösen. In dieser Konstellation ist es unabdingbar, sich zumindest mit einer Vertrauensperson beraten und etwaige Problemlagen offenbaren und aussprechen zu können, um für sich selbst Klarheit gewinnen zu können, und um sich die Sicht eines Dritten anhören zu können.

Aus dieser Darstellung wird offenbar, dass diese Konstellation nicht einfach dadurch ein Ende findet, dass der Jugendliche volljährig wird. Dies würde nur die eng prozessrechtlich definierte Interessenskollisionskonstellation auflösen, die § 67 Abs.4 JGG im Auge hat, dass nämlich ein Erziehungsberechtigter seine Verfahrensrechte zulasten seines mitangeklagten Kindes ausübt. Um eine solche Missbrauchskonstellation geht es aber gar nicht, wo allein Fragen wie Loyalitätskonflikte oder emotionale Wahrnehmungsverzerrungen und ähnliches im Raum stehen, die eine adäquate Wahrnehmung eigener Interessen erschweren oder gar verunmöglichen.

Darüber hinaus ist bei Taten unter Beteiligung einer Autoritätsperson, insbesondere eines Elternteils, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Jugendlichen in besonderer Weise zu prüfen (OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2005, 2 Ss 381/05). Das Erfordernis einer solchen Prüfung erschwert die Sachlage in besonderer Weise, deren Erforderlichkeiten gerade ein selbst betroffener Jugendlicher nicht übersehen kann (vgl. dazu am Rande LG Amberg, Beschluss v. 4.2.2021, 51 Qs 1/21; LG Aachen Beschluss v. 8.7.2020 – 62 Qs-111 Js 146/20-41/20, BeckRS 2020, 33074 und umfassend Spahn, Guido, StraFo 2004, 82ff.).“

Pflichti II: Bestellung im JGG-Verfahren wegen BtM, oder: Schwierge Sachlage, wenn viele Polizeizeugen

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Im zweiten Posting dann etwas zur Schwere der Tat i.S. des § 140 Abs. 2 StPO.

Zunächst der Hinweis auf den LG Mannheim, Beschl. v. 16.02.2022 – 7 Qs 9/22. Das LG hat in einem JGG-Verfahren mit dem Vorwurf des Handeltreibens mit BtM, und zwar u.a. gewerbsmäßig, einen Pflichtverteidiger bestellt. Hier die Begründung:

„Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO vor, da zumindest die Schwere der Tat eine Beiordnung rechtfertigt.

Aufgrund der bisherigen Ermittlungen, insbesondere aber aufgrund der Angaben des Beschuldigten im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom 15.04.2021, in der er umfassende Angaben zu seinen bisherigen Drogengeschäften gemacht hat, werden dem Beschuldigten derzeit mehr als 80 Fälle des Erwerbs von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum (jeweils 1 -g Marihuana) sowie mehr als 15 Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (mit einer Gesamtmenge von rund 600 g Marihuana) zur Last gelegt, wobei. bzgl. des Handeltreibens von einer gewerbsmäßigen Begehungsweise im Sinne des § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG auszugehen ist (vgl. die Übersicht der Staatsanwaltschaft Mannheim vom 22.12.2021, BI. 74 u. 75). Die Taten soll er im Zeitraum von Januar 2020 bis März 2021 jeweils über einen Zeitraum von mehreren Monaten begangen haben.

Abgesehen davon, dass Dauer und Umfang der Taten durchaus Raum für die Annähme des Vorliegens schädlicher Neigungen lassen und damit ggf. auch an die Voraussetzung des § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO zu denken wäre, sind die Taten des gewerbsmäßigen Handeltreibens als solche aufgrund des – jedenfalls im Erwachsenenstrafrecht geltenden – Regelstrafrahmens von mindestens einem Jahr als schwer anzusehen.

Der Gesetzgeber hat sich durch die Neugestaltung des § 140 Abs. 2 StPO bewusst von der reinen Ausrichtung der Schwere der Tat nach der zu. erwartenden Rechtsfolge gelöst und die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge als eigenständige Voraussetzung normiert- damit kommt der Schwere der Tat ein eigenständiger Anwendungsbereich zu, der nur in der Schwere des Tatvorwurfs liegen kann (vgl. BeckOK/Noah JGG § 68 RN 13; Eisenberg/Kölbel JGG, 22. Aufl. § 68 RN.24). Dass eine Tat; die – wenn gleich als Regelbeispiel – grds. mit einer Mindeststrafe von einem Jahr, bedroht ist, als schwer anzusehen ist, liegt auf der Hand, zumal wenn wie im vorliegenden Fall die Tat wiederholt begangen worden ist.

Zudem ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden zu beachten, dass diese aufgrund ihrer geringeren Lebenserfahrung und des geistigen und körperlichen Entwicklungsprozesses, in dem sie sich befinden, weit Weniger als-Erwachsene in der Lage sind, die Abläufe und Tragweite eines Strafverfahrens, insbesondere auch für ihre weitere schulische und berufliche Entwicklung ab-zu schätzen und sich dementsprechend zu verteidigen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet deshalb eine diesem Umstand gerecht werdende – in Rspr. und Lit. auch als „großzügig und extensiv“ bezeichnete (vgl. OLG Schleswig-Holstein StraFo 2009, 28; OLG Hamm StV 2008, 120; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2007, 282; OLG Brandenburg NStZ 2002, 184; OLG Hamm StraFo 2002, 293; Beck9K/Noah JGG § 68 RN 12; Eisenberg/Kölbel JGG, 22. Aufl. § 68. RN 23; Ostendorf, JGG, 11. Aufl. § 68 .RN 7f), jeweils m.w.N.) – Anwendung des § 68 Abs. 1 .Nr. 1 JGG. Im vorliegenden Fall ist nicht nur zu‘ berücksichtigen, dass der Beschuldigte erst vor wenigen Tagen 18 Jahre alt geworden ist, sondern auch, dass es sich bei ihm – was der regelmäßige und relativ intensive Drogenkonsum nahelegt – durchaus um eine instabile Persönlichkeit handeln könnte.

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die Versagung der Beiordnung, auch eine dem Wortlaut des § 68 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht entsprechende Privilegierung erwachsener Straftäter darstellen würde. Maßgeblich ist nach §.68 Abs. 1 Nr. 1 JGG, ob im Verfahren gegen einen Erwachsenen ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen würde; davon wäre, bei einem Erwachsenen bei vergleichbaren Tatvorwürfen ohne Weiteres auszugehen. Dass im Jugendstrafrecht im Hinblick auf die Entwicklung jugendlicher Straftäter ein breites Spektrum von. Rechtsfolgen vorgesehen ist und diese Rechtsfolgen nicht mit der Eingriffsintensität von Geld-. oder Freiheitsstrafen verlieren sind, rechtfertigt nicht, den jugendlichen Täter allein aufgrund der geringeren Rechtsfolgenerwartung schlechter als den Erwachsenen zu stellen.“

Und zur Abrundung dann noch der LG Düsseldorf, Beschl. v. 14.02.2022 – 18 Qs 9/22. Es handelt sich um einen „Polizeizeugenfall“. Das LG hat bestellt. Hier der Leitsatz:

Ein Fall der notwendigen Verteidigung unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage kann aufgrund der zu erwartenden umfangreicheren Beweisaufnahme durch Vernehmung einer Vielzahl von Polizeizeugen anzunehmen sein.

JGG III: Die Verurteilung im Jugendstrafverfahren, oder: Die Kostenentscheidung muss schon begründet werden

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Und die dritte Entscheidung des Tages hat dann noch einmal mit dem Urteil in einer Jugendsache zu tun, und zwar mit der Begründung der Kostenentscheidung im Hinblick auf § 74 GG.

Dazu sagt der LG Potsdam, Beschl. v. 14.07.2021 – 22 Qs 14/21:

„Die Kostenentscheidung im Urteil des Amtsgerichts, wonach dem Angeklagten gemäß § 465 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden, unterliegt der Aufhebung.

Der bloße Hinweis in dem Urteil, „die Kostenentscheidung folgt aus § 465 I StPO“ (vgl. UA S. 4) genügt wegen der jugendstrafrechtlichen Sonderregelung des § 74 JGG nicht (vgl. Eisenberg/ Kölbel, 63. Auflage 2020, § 54 Rn.41 m.w.N). Insoweit unterliegt die Kostenentscheidung bei Anwendung von Jugendstrafrecht, wie im vorliegenden Fall, einer zumindest kurzen und nachvollziehbaren Begründungspflicht.

Dem Tatrichter ist bei seiner Entscheidung, dem Angeklagten die Kosten aufzuerlegen und von der Vorschrift des § 74 JGG keinen Gebrauch zu machen, ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen. Die Prüfung des Beschwerdegerichts ist darauf beschränkt, ob das erkennende Gericht das ihm eingeräumte Ermessen frei von Rechtsfehlern ausgeübt hat. Fehlt es vollständig an einer solchen Begründung, wird das Beschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, die Entscheidung des Tatgerichts zu überprüfen. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht die Vorschrift in § 74 JGG übersehen hat.

Die Auferlegung der Kosten gemäß § 465 StPO kommt in geeigneten Fällen durchaus infrage. Das Amtsgericht wird bei der Entscheidung jedenfalls im Blick haben müssen, dass die Kostenentscheidung nicht zu einer der Geldstrafe ähnlichen Sanktion führen darf (vgl. BGH BeckRS 2016, 5080).“

Rechtsmittel I: Verurteilung nur zu Jugendarrest, oder: Begründung der Revision im JGG-Verfahren

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Heute stelle ich mal wieder drei obergerichtliche Entscheidungen zu Rechtmitteln vor.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 21.07.2021 – 5 StR 112/21 – zur Zulässigkeit einer Revision im JGG-Verfahren. Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung schuldig gesprochen und gegen ihn einen Jugendarrest von drei Wochen verhängt sowie eine Weisung und eine Arbeitsauflage erteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Begründung der Revision begehrt. Mit seiner Revision hat, ohne dies weiter auszuführen, die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.

Der BGH hat Wiedereinsetzung gewährt, die Revision aber als unzulässig verweorfen.

„Ein Urteil, das – wie hier – lediglich Erziehungsmaßregeln und/oder Zuchtmittel anordnet, ist gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG weder wegen des Umfangs der festgesetzten Maßnahme noch deshalb anfechtbar, weil andere Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel hätten angeordnet werden sollen. Deshalb kann ein Rechtsmittel gegen ein allein derartige Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts verhängendes Urteil lediglich darauf gestützt werden, dass die Schuldfrage rechtlich oder tatsächlich falsch beantwortet oder die Sanktion selbst rechtswidrig ist. Wegen dieser sachlichen Beschränkung hat der Revisionsführer sein Anfechtungsziel eindeutig klarzustellen, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt wird (BGH, Beschlüsse vom 21. April 2020 – 4 StR 67/20, NStZ 2020, 739; vom 7. September 2017 – 5 StR 407/17; vom 10. Juli 2013 – 1 StR 278/13, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 6). Diesen Anforderungen genügt die nicht ausgeführte Sachrüge des Angeklagten, der keinen Aufhebungsantrag gestellt hat, ebenso wenig wie die pauschal erhobene (und für sich schon unzulässige, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge.2

Steine statt Brot 🙂 .