Schlagwort-Archive: Ermessen

Einstellung des OWi-Verfahrens aus „Beweisnot“, oder: Staatskasse trägt im Zweifel die notwendigen Auslagen

© fotomek – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann einen „kleinen“, aber feinen Beschluss des AG Montabaur zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens. Das AG hat im AG Montabaur, Beschl. v. 18.11.2022 – 12 OWi 2085 Js 54041/22 – auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auferlegt:

„Mit Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 setzte die Zentrale Bußgeldstelle gegen die Betroffene wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit vom 28.02.2022 eine Geldbuße von 60,00 EUR fest. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen am 18.06.2022 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.06.2022, bei der Zentralen Bußgeldstelle am selben Tag eingegangen, legte die Verteidigerin der Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 Einspruch ein.

Nach Akteneinsicht teilte die Verteidigerin am 12.07.2022 mit, die Betroffene sei das Fahrzeug zur Tatzeit nicht gefahren. Bei der Fahrerin handele es sich um eine Mandantin des Zeugen, der selber Rechtsanwalt sei – mit welcher dieser am Tattag einen Gerichtstermin in wahrgenommen habe. Der Zeuge Herr pp. sei aus rechtlichen Gründen daran gehindert, die Personalien seiner Mandantin mitzuteilen.

In der Folge zog die Zentrale Bußgeldstelle verschiedene Vergleichsbilder zu der Akte bei und führte am 18.07.2022 ein Ermittlungsersuchen über die Polizeiwache pp. durch. Die Kreispolizeibehörde Mettmann teilte der Zentralen Bußgeldstelle am 04.08.2022 mit, die Betroffene habe nach Belehrung am 03.08.2022 angegeben, nicht die auf dem Beweisfoto abgebildeten Person zu sein. Aufgrund der Qualität des Beweisfotos habe der Unterzeichner keine eindeutigen Ähnlichkeiten feststellen können. Auch gegenüber dem die Ermittlungen durchführenden Polizeihauptkommissar teilte der Zeuge Herr pp. mit, es habe sich bei der Fahrerin um eine Mandantin gehandelt. Er berief sich auch gegenüber dem Polizeibeamten auf seine anwaltliche Schweigepflicht.

Nach Prüfung im Zwischenverfahren erhielt die Zentrale Bußgeldstelle Ihren Bußgeldbescheid aufrecht und gab den Einspruch gemäß § 69 OWiG am 25.08.2022 an die Staatsanwaltschaft Koblenz ab.

In einem Telefonat mit der Staatsanwaltschaft Koblenz am 05.09.2022 wiederholte die Verteidigerin der Betroffenen ihre Ausführungen aus der Einspruchsbegründung. Nachdem die Verteidigerin der Betroffenen zwei Profilbilder der Betroffenen an die Staatsanwaltschaft Koblenz übermittelt hatte, sendete diese die Akte an die Zentrale Bußgeldstelle mit der Bitte, erneut zu prüfen, ob es sich bei der Fahrerin tatsächlich um die Betroffene handele. Die Qualität des Beweisfotos sei nicht gut. Die Staatsanwaltschaft fragte zudem, ob die Zentrale Bußgeldstelle den Bußgeldbescheid zurücknehme. Mit Schreiben vom 04.10.2022 teilte die Zentrale Bußgeldstelle der Staatsanwaltschaft Koblenz mit, dass der Bußgeldbescheid vom 13.06.2022 zurückgenommen werde, sofern das Verfahren nicht seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt werde.

Mit Verfügung vom 19.10.2022 hat die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren gemäß § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG eingestellt, da ausreichende Beweise nicht vorhanden waren. Es wurde dabei davon abgesehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, gemäß § 108a Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1, 467 Abs. 4 StPO. Eine Begründung der Entscheidung hinsichtlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen enthält die Verfügung nicht.

Mit Schreiben vom 25.10.2022 hat die Verteidigerin der Betroffenen gegen die Kostenentscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz gerichtliche Entscheidung beantragt. Sie hat zudem beantragt, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Verfahrens aufzuerlegen. Das Schreiben vorn 25.10.2022 ging am selben Tag per beA bei der Staatsanwaltschaft Koblenz ein.

II…..

1. Der zulässige Antrag ist begründet.

Gemäß § 108a Abs. 1 OWIG trifft die Staatsanwaltschaft die Entscheidungen nach § 467a Abs. 1 StPO, wenn sie das Verfahren nach Einspruch einstellt, bevor sie die Akten dem Gericht vorlegt.

Dabei gilt nach § 467a Abs. 1 S. 2 StPO der § 467 Abs. 4 StPO sinngemäß, sodass bei einer Einstellung nach einer Vorschrift, die die Einstellung nach Ermessen zulässt, davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Die Staatsanwaltschaft hat hier das Verfahren nach § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG eingestellt, bevor sie die Akten dem Gericht vorgelegt hat. Diese Vorschrift räumt ihr hinsichtlich der Einstellung ein Ermessen ein.

Die demnach grundsätzlich gemäß bestehende § 467 Abs. 4 StPO bestehende Möglichkeit, von der Auferlegung der notwendigen Auslagen der Betroffenen zulasten der Staatskasse abzusehen, erfordert wiederum selbst eine Ermessensausübung.

Eine solche lässt sich der Einstellungsverfügung nicht entnehmen. Zudem muss es bei der Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO verbleiben, wenn Zweifel an der vollständigen Tatbestandsverwirklichung oder ihrer Nachweisbarkeit bleiben; für eine Freistellung der Staatskasse ist dann kein Raum mehr (KK-StP0/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 11, mit Hinweis auf BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 16.8.2013 — 2 BvR 864/12 = NJW 2013, 3569 = DAR 2014, 176 = NZV 2014, 95 und OLG Bamberg NZV 2009, 249).

Zwar kann (und wird in der Regel) die Bereitschaft zur Übernahme der eigenen Auslagen des Betroffenen die Anwendung der Ausnahmeregel des § 467 Abs. 4 StPO rechtfertigen (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 47 Rn. 51). Eine solche Bereitschaft wurde von der Betroffenen aber nicht signalisiert.“

Keine Verwirkung der Erinnerung nach 3 Monaten, oder: BayLSG zu § 14 RVG

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Heute stelle ich dann mal wieder zwei Entscheidungen zum RVG bzw. zu Kostenfragen vor. I

Ich beginne mit dem BayLSG, Beschl. v. 15.09.2022 – L 12 SF 159/20. Ja, sozialgerichtliches Verfahren. Aber zumindest die Ausführungen des BayLSG zur Frage der Verwirkung einer Erinnerung haben auch über das Sozialgerichtsverfahren hinaus Bedeutung.

Gestritten wird zwischen den Beteiligten um die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von PKH sowie daüber, ob das Erinnerungsrecht der Beschwerdeführerin verwirkt ist. Nach Abschluss des Verfahrens hat die bestellte Rechtsanwältin mit Antrag vom 11.01.2019 ihren Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse in Höhe von insgesamt 470,05 EUR geltend gemacht. Dabei wurden eine Verfahrensgebühr in Höhe von 375,00 Euro sowie die Postpauschale zuzüglich Umsatzsteuer angesetzt. Mit Beschluss vom 07.02.2019 setzte die zuständige Urkundsbeamtin abweichend vom Antrag die Vergütung auf insgesamt 380,80 EUR fest. Sie setzte dabei neben der wie beantragt festgesetzten Postpauschale die Verfahrensgebühr auf 300,00 Euro fest. Hiergegen wandte sich die Rechtsanwältin mit ihrer Erinnerung vom 09.01.2020. Die angesetzte Verfahrensgebühr in Höhe von 375,00 EUR entspreche billigem Ermessen. Der Erinnerungsgegner und Beschwerdegegner (Bg) hält die nach Ablauf von mehr als drei Monaten nach Erlass des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses eingelegte Erinnerung für verwirkt.

Das SG hat die Erinnerung als zwar nicht verwirkt, aber als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen dann die Beschwerde an das LSG. Die hatte Erfolg.

Zur Erinnerung führt das LSG u.a. aus:

„Unabhängig vom zeitlichen Moment bedarf die Annahme einer Verwirkung auch im Kostenrecht noch eines Umstandsmoments (vgl. Keller, in: jurisPR-SozR 8/2019, Anm. 3, E.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10.12.2018 – L 7 AS 4/17 B, juris Rn. 17; Thüringer LSG, Beschluss vom 23.07.2018 – L 1 SF 497/16 B, juris Rn. 18 ff.; LSG NRW, Beschluss vom 30.04.2018 – L 9 AL 223/16 B, juris Rn. 35 f.). Soweit sich das BayLSG in der Vergangenheit darauf festgelegt hat, dass im Rahmen einer Gesamtbetrachtung eine Verwirkung zumindest der Staatskasse regelmäßig schon nach Ablauf eines Jahres nach Wirksamwerden der Gebührenfestsetzungsentscheidung eintritt (grundlegend Bayerisches LSG, Beschluss vom 04.10.2012 – L 15 SF 131/11 B E, juris Rn. 18 ff.), ohne zwischen Zeit- und Umstandsmoment zu unterscheiden, hält der Senat hieran nicht mehr fest (vgl. hierzu Grundsatzbeschluss des Senats vom 29.08.2022, L 12 SF 298/18). Denn allein der Zeitablauf begründet keine Verwirkung. Zwar kann das Erinnerungsrecht sowohl der Staatskasse als auch des Rechtsanwalts nicht „bis in alle Ewigkeit“ bestehen bleiben. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzprinzip, wonach Entscheidungen von Behörden und Gerichten innerhalb angemessener Zeit bestandskräftig bzw. rechtskräftig werden können und diejenigen Entscheidungen, die bestands- bzw. rechtskräftig geworden sind, grundsätzlich nicht mehr abgeändert werden; dabei hat letzt-endlich eine Abwägung gegen das Prinzip der materiellen Richtigkeit zu erfolgen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 4. Oktober 2012 – L 15 SF 131/11 B E, nach juris). Dem wird durch das Rechtsinstitut von Treu und Glauben nach § 242 das Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Gestalt des Rechtsinstituts der Verwirkung Rechnung getragen. Anhaltspunkte für eine absolute Obergrenze bereits nach einem Jahr sind nicht ersichtlich und können auch nicht mit entsprechenden Anfechtungsfristen bei falscher oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung begründet werden (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26. September 2018 – L 1 SF 803/16 B –, juris). Demnach scheidet erst recht die Annahme des Vorliegens eines Zeitmoments nach nur drei Monaten, wie das SG unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Koblenz annimmt, aus.

Zudem fehlt es hier an einem Umstandsmoment. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Bfin nicht innerhalb eines Jahres Erinnerung eingelegt hatte, durfte sich der Bg nicht darauf einrichten, die Bfin werde ihr Recht auf Erinnerung nicht mehr geltend machen. Andere Umstände, aus denen dem Bg ein Vertrauensschutz hätte erwachsen können, liegen nicht vor, zumal die Bfin umfangreich begründet hat, warum sie ihr Erinnerungsrecht erst nach 11 Monaten ausgeübt hat.“

Und zu § 14 RVG heißt es dann:

„Bei der Bestimmung der billigen Gebühr anhand der Kriterien von § 14 Abs. 1 RVG wird dem Rechtsanwalt zu Recht und im Einklang mit der Systematik des § 315 BGB ein gewisser Spielraum bzw. Toleranzrahmen zugestanden. In Übereinstimmung mit der ober-gerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat nach wie vor eine vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr für noch verbindlich, wenn sie bis zu 20% von der Gebühr abweicht, die der Kostenbeamte und ggf. das Gericht bzw. Beschwerdegericht für angemessen halten (vgl. auch Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., § 14, Rdnr. 12, m.w.N.; Toussaint, Kostengesetze, 52. Aufl., § 14, Rdnr. 24; vgl. zur Berechnung der Toleranzgrenze Be-schluss des Senats vom 24.03.2020, L 12 SF 271/16 E). Auch unter Berücksichtigung des Toleranzrahmens war die Gebührenanforderung der Bfin unbillig. Bei Betrachtung der o.g. Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG lag der Rechtsstreit im leicht überdurchschnittlichen Bereich anderer Streitigkeiten.

Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war im Vergleich mit den übrigen sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 19.08.2011, Az.: L 6 SF 872/11 B m.w.N., nach juris) leicht überdurchschnittlich. Der Senat geht davon aus, dass eine anwaltliche Tätigkeit jedenfalls dann durchschnittlich umfangreich ist, wenn Klage erhoben, Akteneinsicht genommen, die Klage begründet und zu den (z.B. medizinischen, sonstigen tatsächlichen oder auch rechtlichen) Ermittlungen des Gerichts Stellung genommen wird, einschließlich der eben genannten Tätigkeiten. Zu berücksichtigen ist dabei der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieb und objektiv verwenden musste (vgl. Bundessozialgericht BSG, Urteil vom 01.07 2009, Az.: B 4 AS 21/09 R, nach juris). Gleiches gilt auch für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. In diesen findet zwar nur eine summarische Prüfung durch das Gericht statt, allerdings hat der Antragsteller sowohl den Anordnungsgrund als auch den Anordnungsanspruch so darzulegen, dass das Gericht innerhalb kurzer Zeit zu einer Entscheidung in der Lage ist. Insbesondere die Darstellung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit, kompensiert die aufgrund der kurzen Verfahrensdauer häufig eingeschränkte Anzahl an gewechselten Schriftsätzen. Die Tatsache, dass es sich um ein Eilverfahren handelt, darf sich demnach grundsätzlich nicht gebührenmindernd auswirken (vgl. hierzu auch Beschluss des Senates vom 15.11.2018, L 12 SF 124/14 sowie bereits BayLSG, Beschluss vom 05.10.2016, L 15 SF 282/15).

Hier fertigte die Bfin zur Begründung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens eine Antragsschrift samt umfangreicher Antragsbegründung, die eine Sachverhaltsdarstellung sowie rechtliche Ausführungen zum Anordnungsanspruch sowie zum Anordnungsgrund enthielt. Es wurden zur Glaubhaftmachung umfangreiche Unterlagen beigefügt. Zudem musste die Bfin auf vier Schreiben des Antragsgegners replizieren und auch hierzu gezielt Unterlagen zur Untermauerung ihres Vorbringens anfügen. Akteneinsicht hat die Bfin nicht genommen, Gutachten oder medizinische Ermittlungen waren nicht erforderlich. Besprechungen sowie Schriftwechsel mit dem Mandanten wurden glaubhaft vorgetragen. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit bewertet der Senat objektiv als durchschnittlich. Die Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller bewertet der Senat angesichts der Sanktionen in Höhe von 100% als überdurchschnittlich, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers als unterdurchschnittlich. Ein besonderes Haftungsrisiko der Bfin ist nicht ersichtlich.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass von einer leicht überdurchschnittlichen Angelegenheit auszugehen ist, die nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung der Toleranzgrenze von 20% den Ansatz einer Verfahrensgebühr von 375,00 Euro gerade noch rechtfertigt.“

OWi II: Rechtzeitiger Hinweis auf Vorsatz fehlt, oder: Verfahrensaussetzung wegen BVerfG 2 BvR 1167/20?

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – 2 RBs 155/22 – ist in mehrfacher Hinsicht interessant.

Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 71 km/h zu einer Geldbuße von 1.920 EUR (!) verurteilt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt. Die Hauptverhandlung war nach § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt worden. Auch der Verteidiger hatte nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg:

„1. Die Rüge des Betroffenen, er sei nicht rechtzeitig darauf hingewiesen worden, dass abweichend von dem Bußgeldbescheid auch eine vorsätzliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Betracht komme, greift durch.

Wenn – wie hier – im Bußgeldbescheid keine Schuldform bezeichnet worden ist, so ist davon auszugehen, dass dem Betroffenen Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (vgl. OLG Jena NStZ-RR 1997, 116). Soll der Betroffene wegen Vorsatzes verurteilt werden, ist daher nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 265 Abs. 1 StPO ein Hinweis auf die Änderung der Schuldform erforderlich. Dies gilt auch im Abwesenheitsverfahren, wobei dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme binnen angemessenen Frist einzuräumen ist (vgl. OLG Bamberg DAR 2017, 383; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 74 Rdn. 16).

Vor dem Hauptverhandlungstermin vom 14. März 2022 (Montag) ist der Hinweis an den Verteidiger (§ 74 Abs. 1 Satz 3 OWiG) erst mit Telefax vom 10. März 2022, 14.42 Uhr, erfolgt. Es drängt sich auf, dass die bis zum Hauptverhandlungstermin verbleibende Zeit, in die ein Wochenende fiel, für eine etwaige Stellungnahme des Verteidigers schon für sich betrachtet unangemessen kurz war, zumal auch der Zeitbedarf für eine etwaige Rücksprache mit dem Betroffenen zu berücksichtigen war.

Jedenfalls ist der Hinweis nicht rechtzeitig angebracht worden, da das Telefax vom 10. März 2022 irrtümlich nicht an die Kanzlei des Verteidigers in P., sondern an die Zweigstelle in B. übermittelt wurde. Geht ein Schriftsatz bei einem unzuständigen Gericht ein, darf der Absender nicht erwarten, dass bei der Weiterleitung an das zuständige Gericht Eilmaßnahmen getroffen werden. Es ist lediglich die Weiterleitung im normalen Geschäftsgang erforderlich (vgl. Senat NStZ-RR 2002, 216; OLG Hamm NStZ-RR 2008, 283). Umgekehrt kann das Gericht keine Eilmaßnahmen erwarten, wenn es bei einem Telefax irrtümlich nicht die dem Kanzleisitz des Verteidigers zugeordnete Faxnummer verwendet. Vorliegend kann nicht zu Lasten des Betroffenen gehen, dass dem in P. ansässigen Verteidiger das an die Zweigstelle in B. übermittelte Telefax vom 10. März 2022 mit dem gerichtlichen Hinweis erst nach dem Hauptverhandlungstermin vom 14. März 2022 zur Kenntnis gelangt ist.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Betroffene, hätte der Verteidiger den nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 265 Abs. 1 StPO zur Schuldform (Vorsatz statt Fahrlässigkeit) erforderlichen Hinweis rechtzeitig erhalten, seine Verteidigung in anderer Weise ausgeführt oder den Einspruch zurückgenommen hätte.

Das angefochtene Urteil unterliegt mithin der Aufhebung. Ob das (auch) auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs abstellende Beschwerdevorbringen, das nur unbestimmte Angaben zu der Reaktion, die im Falle rechtzeitiger Hinweiserteilung erfolgt wäre, enthält, den Anforderungen an eine Gehörsrüge genügt, kann dahinstehen, da die Rechtsbeschwerde vorliegend keiner Zulassung bedarf.“

So weit, so gut. Interessant dann aber auch die anderen Ausführungen des OLG. Wegen der Ausführungen zur Verwertbarkeit der mit dem Laserscanner PoliScan M1 HP ermittelten Messergebnisses verweise ich auf den verlinkten Volltext; die Ausführungen entsprechen der OLG-Rechtsprechung.

Aber: Das OLG nimmt auch Stellung zur einem Aussetzungsantrag des Betroffenen, den der im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige Verfahren 2 BvR 1167/20 gestellt hatte. Den hat das AG abgelehnt, was das OLG nicht beanstandet.

3. Ferner hat das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen, das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 1167/20 auszusetzen, rechtsfehlerfrei abgelehnt.

In diesem Verfahren geht es um eine Verfassungsbeschwerde betreffend die Frage, ob und ggf. welche verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus einer fehlenden Speicherung von Messdaten bei Geschwindigkeitsmessungen im Bußgeldverfahren folgen (vgl. Übersicht für das Jahr 2022, Zweiter Senat, lfd. Nr. 48, abrufbar bei www.bundesverfassungsgericht.de). In diesem Fall wurde die Geschwindigkeitsmessung mit dem Infrarot-Lasermessgerät Leivtec XV3 durchgeführt (vgl. Beitrag „Bundesverfassungsgericht: Müssen Blitzer Rohmessdaten speichern?“ bei www.zimmer-gratz.de). Anzumerken ist, dass Geschwindigkeitsmessungen mit diesem Gerätetyp wegen unzulässiger Messwertabweichungen inzwischen nicht mehr als standardisiertes Messverfahren anerkannt werden (vgl. OLG Oldenburg BeckRS 2021, 7922; BeckRS 2021, 19614 = NdsRpfl 2021, 321; OLG Celle BeckRs 2021, 15516 = DAR 2021, 524; BeckRS 2021, 35584 = ZfSch 2021, 650: OLG Hamm BeckRS 2021, 28656; BeckRS 2021, 37766; OLG Dresden BeckRS 2021, 36733; OLG Koblenz BeckRS 2021, 42233).

Vorliegend wurde der Laserscanner PoliScan M1 HP eingesetzt. Wegen der gleichgelagerten Fragestellung hinsichtlich der Nichtspeicherung der Messdaten kommt jedenfalls in Betracht, dass die Entscheidung in dem Verfahren 2 BvR 1167/20 auch von grundsätzlicher Bedeutung für die Verwertbarkeit der mit dem Laserscanner PoliScan M1 HP erzielten Messergebnisse sein wird.

Die nach §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG anwendbaren Vorschriften der StPO sehen in einer solchen Konstellation unmittelbar keine Aussetzung des Verfahrens vor. Allerdings ist die entsprechende Anwendung des § 262 Abs. 2 StPO in Betracht zu ziehen (vgl. Miebach in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Auf. 2016, § 262 Rdn. 19; Ott in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019, § 262 Rdn. 7). Die entsprechende Anwendbarkeit des § 262 Abs. 2 StPO ist etwa bei anderweitiger Anhängigkeit eines Normenkontrollverfahrens zur Gültigkeit einer entscheidungsrelevanten Rechtsnorm (vgl. BayObLG NJW 1994, 2104) und im Falle einer anderweitigen Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 2 GVG zu einer für die Entscheidung bedeutsamen Rechtsfrage (vgl. OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 102231) bejaht worden. Auf derselben Ebene liegt die Verfassungsbeschwerde eines Dritten, bei der die grundsätzliche Klärung einer im vorliegenden Verfahren entscheidungsrelevanten Rechtsfrage zu erwarten ist.

Es besteht indes keine Rechtspflicht, ein Bußgeldverfahren deshalb auszusetzen, weil anderweitig eine solche Verfassungsbeschwerde anhängig ist. Vielmehr steht die Entscheidung über die Aussetzung des Bußgeldverfahrens im Ermessen des Gerichts, dessen Sachentscheidungskompetenz durch die Anhängigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht berührt wird.

Das Amtsgericht hat sich bei seiner rechtsfehlerfreien Ermessensentscheidung die Rechtsprechung nahezu sämtlicher Bußgeldsenate der Oberlandesgerichte zu eigen gemacht, wonach die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit anhand gespeicherter Messdaten abhängt (vgl. zu einem Aussetzungsantrag: OLG Brandenburg BeckRS 2022, 28361). Im Bereich der Fachgerichte ist die Fragestellung als geklärt anzusehen Das Amtsgericht hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass eine funktionsfähige Verkehrsüberwachung empfindlich gestört würde, wenn Bußgeldverfahren, denen Geschwindigkeitsmessungen mit nicht speichernden Messgeräten zugrunde liegen, massenhaft ausgesetzt werden würden.

Die Verfassungsbeschwerde ist seit mehr als zwei Jähren anhängig. Eine Aussetzung entsprechend § 262 Abs. 2 StPO führt nicht zum Ruhen der Verfolgungsverjährung (vgl. Gertler in: BeckOK, OWiG, 36. Edition 2022, § 32 Rdn. 23; Ellbogen in: Karlsruher Kommentar, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 32 Rdn. 15 Rdn. 7). Gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG tritt im gerichtlichen Bußgeldverfahren vor Erlass des Urteils (§ 32 Abs. 2 OWiG) bereits nach sechs Monaten Verfolgungsverjährung ein. Im Falle erstinstanzlicher Aussetzung zwecks Abwarten der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 1167/20 wären inzwischen zahlreiche Bußgeldverfahren in die Verfolgungsverjährung gelaufen. Eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 262 Abs. 2 StPO liegt in Massenverfahren mit kurzer Verfolgungsverjährung fern und erscheint hier ohne gesetzliche Ruhensregelung ungeeignet. Vor diesem Hintergrund ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter seine Entscheidungskompetenz wahrnimmt und in Ausübung seines Ermessens von der Aussetzung des Verfahrens absieht. Dies gilt umso mehr, als das Beschleunigungsgebot auch im Bußgeldverfahren zu beachten ist (vgl. OLG Hamm BeckRS 2009 = SVR 2009, 465, 12428; OLG Stuttgart BeckRS 2018, 13726).“

Dazu kurz Folgendes: Die Ausführungen des OLG zur Aussetzungsfrage sind m.E. erkennbar vom Ergebnis – drohender Verjährungseintritt – getragen. Sie sind im Übrigen aber auch nicht überzeugend. Denn, dass das AG sich eine – nach der ausstehenden Entscheidung des BVerfG ggf. falsche – Auffassung aller OLG zu eigen gemacht hat, rechtfertigt die Ablehnung der Aussetzung, für die auch mal wieder die „funktionsfähige Verkehrsüberwachung“ herhalten muss, nicht. Wenn die Verkehrsüberwachung eben nicht „funktionsfähig“ erfolgt, dann müssen die Verwaltungsbehörden die daraus entstehenden Folgen eben hinnehmen. Es erschließt sich mir auch nicht, warum man einerseits eine entsprechende Anwendung von § 262 Abs. 2 StPO grundsätzlich bejaht, dann aber andererseits, weil es dann doch nicht passt, die Regelung als „ungeeignet“ ansieht.

Für das weitere Verfahren hat das OLG übrigens darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme oder Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nicht mehr wirksam erfolgen kann. Das ist zutreffend, denn die Rücknahme des Einspruchs ist grundsätzlich nur bis zur Verkündung des Urteils im ersten Rechtszug zulässig (§ 71 Abs. 1 OWiG, § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Und eine allgemeine Anmerkung – meinetwegen auch „Mecker“ 🙂 : Das OLG hat in seiner Entscheidung fast alle zitierten Entscheidungen anderer OLG nur mit „BeckRS“-Fundstellen angeführt. Das macht die Entscheidung zwar (noch) nicht unlesbar, aber: Das alleinige Anführen dieser Fundstellen ohne Entscheidungsdatum und Aktenzeichen macht das Auffinden der angeführten Entscheidung an anderen Stellen zwar nicht unmöglich, aber erschwert es ggf. ungemein. Denn die betreffende Entscheidung, die als Beleg angeführt worden ist, kann nur über Umwege, wenn überhaupt, gefunden werden kann. Diese „Unsitte“ muss nicht sein, zumal ja auch bei Beck-Online bei den „BeckRS“ Fundstellen Entscheidungsdatum und Aktenzeichen angeführt werden. Es sollte m.E. einem OLG keine Mühe machen, diese dann auch in einer Entscheidung, die man veröffentlicht, anzuführen, um so ein einfacheres Umgehen mit den Zitaten, vor allem eine Überprüfung der angeführten Entscheidungen darauf, ob sie tatsächlich dieselben Auffassung wie das OLG vertreten, zu ermöglichen. Zudem kann man m.E. auch nicht davon ausgehen, dass – anders als die Justiz – alle anderen Interessierten auch über einen „Beck-Zugang“ verfügen-

OWi II: Bei Überladung Geldbuße oder Einziehung?, oder: Die Verwaltungsbehörde hat Ermessen

Bild von joakant auf Pixabay

Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 04.10.2021 – 2 Ss (OWi) 150/21 – ebenfalls aus dem Norden. In dem Beschluss stellt sich die Frage nach dem Ermessen der Verwaltungsbehörde, ob sie bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein Bußgeld verhängt oder die Einziehung von Taterträgen anordnet.

Folgender Sachverhalt: Gegen den Fahrzeugführer AA hat der Landkreis Vechta einen Bußgeldbescheid wegen vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichtes verhängt und gegen die Einziehungsbeteiligte die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen in Höhe von 371 EUR angeordnet. Das AG hat dann von der Anordnung einer Einziehung nach § 29 a OWiG abgesehen. Es hat dies damit begründet, dass gegen die Einziehungsbeteiligte ein Bußgeldverfahren hätte durchgeführt werden können. Das Amtsgericht stützt sich dabei auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 01.07.2019 (Ss-OWi 1077/18).

Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem – auch von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen – Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Der Antrag hatte Erfolg. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben:

„Der Senat folgt der überwiegenden Ansicht (OLG Köln, BeckRS 2010, 7521; OLG Düsseldorf, NStZ 2014, 339; OLG Stuttgart, wistra 2012, 283; OLG Zweibrücken, NStZ 2020, 427; vgl. auch Göhler-Gürtler/Thoma, OWiG 18. Aufl., § 29a RN 1), wonach es der Bußgeldbehörde obliegt zu entscheiden, ob sie Tatvorteile über ein Bußgeldverfahren oder das Einziehungsverfahren abschöpft. Die vom OLG Frankfurt vertretene abweichende Ansicht („sehr bedenkliche(r) Rückgriff der Verwaltungsbehörden auf § 29 a OWiG“) findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze, da Voraussetzung für die Eröffnung der Einziehung lediglich ist, dass eine Geldbuße nicht festgesetzt wird. Dass es auf den Grund der Nichtverhängung einer Geldbuße nicht ankommt, entspricht insoweit auch der Gesetzesbegründung zu § 29 a OWiG a.F. (BT Drs 10/318 S. 37), wenn es dort heißt, dass die Anordnung des Verfalls auch dann möglich sein solle, wenn aus anderen Gründen als demjenigen, dass der Täter nicht vorwerfbar oder nicht ausschließbar vorwerfbar gehandelt habe, von der Festsetzung einer Geldbuße abgesehen werde. Hieran hat sich durch die Neufassung des § 29 a OWiG nichts geändert.

Da der Erfolg einer Inanspruchnahme des Halters im Wege einer Geldbuße hier aber nicht so sicher gewesen sein dürfte, wie das Amtsgericht anzunehmen scheint, ist es nicht zu beanstanden, dass die Verwaltungsbehörde den Weg über die Anordnung der Einziehung gewählt hat.

Obwohl der Senat mit dieser Entscheidung vom OLG Frankfurt (a.a.O.) abweicht, kommt eine Divergenzvorlage nicht in Betracht, da die Ausführungen des OLG Frankfurt die dortige Entscheidung nicht getragen haben, sondern lediglich als Handhabungshinweis für die Amtsgerichte dienen sollten. Im konkreten Fall war nämlich nur eine Geldbuße gegen den Fahrer verhängt worden, gegen die dieser sich gewandt hatte.“

Einziehung I: Einziehung des Handys beim BTM-Handel, oder: Ermessen ausgeübt?

© Urheber: Ideenkoch – Fotolia.com

Und dann – bevor es morgen RVG-Entscheidungen gibt – noch ein „normaler“ Tag. An dem werde ich heute Entscheidungen vorstellen, die mit „Einziehung“ (§§ 73 ff. StGB) zu tun haben.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v.23.11.2020 – (4) 121 Ss 165/20 (205/20) -, den mir der Kollege O. Sydow aus Berlin geschickt hat. Das Jugendschöffengericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und ihn angewiesen, an einem sozialen Kompetenztraining, teilzunehmen. Ferner hat es „das sichergestellte Handy und die beschlagnahmten 30 € Handelserlös“ eingezogen. In den Urteilsgründen findet sich (nur) die Feststellung, dass der Angeklagte das. abgeurteilte Handelsgeschäft über „das sichergestellte iPhone 7 Plus mit Schutzhülle, SIM-Karte und mit der IMEI ppp., das dem Angeklagten gehörte“ vereinbart habe.  Die Einziehungsentscheidungen hat das Amtsgericht  wie folgt begründet: „Die Einziehung von 30,00 € basiert auf § 73 Abs. 1 StGB, jene des Mobiltelefons auf § 74 Abs. 1 StGB“.

Das reicht dem KG so nicht. Es hat den Rechtsfolgenausspruch aufgehoben:

2. Zu Recht beanstandet die Revision, dass das angefochtene Urteil hinsichtlich der getroffenen Einziehungsentscheidung des. Mobiltelefons keine Erwägungen enthält, die über die Nennung der Vorschrift des § 74 Abs. 1 StGB hinausgehen. Dafür, dass das Jugendschöffengericht sich des ihm nach § 74 Abs. 1 StGB eröffneten Ermessens überhaupt bewusst war, lässt sich den Urteilsgründen nichts entnehmen (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – (5) 161 Ss 74/20 (31/20) -).

Es entspricht indes (auch) der kammergerichtlichen Rechtsprechung, dass, wenn die Einziehung nicht zwingend vorgeschrieben ist, das Urteil erkennen lassen muss, dass sich der Tatrichter der Befugnis, nach seinem Ermessen zu entscheiden, bewusst gewesen ist. Die Erwägungen, die der Ermessens-entscheidung zugrunde liegen, sind in dem Urteil darzulegen. In diesem Rahmen bedarf es auch sowohl der nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch des Tätigens von Angaben zum Wert des Einziehungsgegenstandes oder solcher, auf deren Basis der Wert geschätzt werden kann (KG, Beschluss vom 5. April 2019 – (3) 161 Ss 28/19 (20/19) -). Dies lässt das angefochtene Urteil vermissen, weshalb der diesbezügliche Ausspruch keinen Bestand haben kann.

3. Der dargelegte Mangel des Urteils führt aus dem oben zu 1. genannten Grund zur Aufhebung der gesamten Rechtsfolgenaussprüche. Das neue Tatgericht wird diese auch in ihrer Wechselwirkung neu zu beurteilen haben; es liegt dabei nicht fern, dass es erneut zu einer Einziehungsentscheidung gelangt. Das Ansinnen der Revision, dass der Strafsenat selbst die Entscheidung treffen möge, von einer Einziehung abzusehen, ist zurückzuweisen, zumal das Vorbringen, das Gerät gehöre nicht dem Angeklagten, sondern dessen Mutter, als urteilsfremd keine Berücksichtigung finden kann.

Das Urteil ist mithin in den Rechtsfolgenaussprüchen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO an eine andere Jugendabteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen, die auch seiner Rechtsprechung entsprechen (vgl. etwa Beschluss vom 29. November 2019 — [4] 161 Ss 115/19 [203/19] —), bei; er entscheidet deshalb (unter weiterer Anwendung des § 349 Abs. 4 StPO) gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

Das neu mit der Sache befasste Gericht wird die Gelegenheit haben, die Vorausset-Zungen des § 74 Abs. 3 Satz 1 StGB unter Auswertung aller aktenkundigen Umstände in nachprüfbarer Weise zu begründen; hierbei wird es bedenken können, dass allein die Tatsache, dass der Erwerb des Smartphones durch die Mutter des Angeklagten zu einem Zeitpunkt erfolgte, als dieser noch 16-jährig war, entgegen der Auffassung der Revision nicht notwendig gegen das Vorliegen dieser Voraussetzungen sprechen muss. Zudem ist bei erneuter Einziehungsentscheidung zu beachten, dass ein einzuziehender Gegenstand (schon) im Urteilstenor so genau zu bezeichnen ist, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020, aaO, mwN); dass sich die erforderliche Individualisierung notfalls auch unter Zuhilfenahme der Urteilsgründe ergeben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2020 — 6 StR 71/20 — [juris] mwN), ändert nichts an dem grundsätzlichen Erfordernis der Vollstreckbarkeit des Urteils schon anhand eines hinreichend klaren Entscheidungssatzes.“