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StPO III: Mündliche Durchsuchungsanordnung, oder: Wenn die Durchsuchung erst nach einem Monat erfolgt

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Im dritten Posting komme ich dann auf den LG Regensburg, Beschl. v. 21.01.2025 – 10 Qs 8/25 -, den ich neulich schon einmal wegen der vom LG auch entschiedenen Pflichtverteidigungsfrage vorgestellt hatte.

Heute geht es um den zweiten Punkt, zu dem das LG Stellung genommen hat, nämlich zu den Voraussetzungen für die mündliche Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme. Die hat das LG verneint.

Die Staatsanwaltschaft leitete am 07.05.2024 gegen die Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ein. Anlass für das Ermittlungsverfahren bildete die Zeugenaussage eines Nachbarn der Beschwerdeführerin vom 15.04.2024 bei der örtlich zuständigen Polizeiinspektion, der insbesondere von auffälligem Publikumsverkehr in der Wohnung der Beschwerdeführerin berichtete. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 07.05.2024 bei dem Amtsgericht – Ermittlungsrichter – mündlich den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses betreffend die Person, die Wohnung und die Fahrzeuge der Beschwerdeführerin, um dort nach Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien, Vermögenswerte und technische Geräte, welche im Zusammenhang mit dem Handel mit Betäubungsmitteln stehen, zu suchen. Der Ermittlungsrichter ordnete um 14:16 Uhr mündlich die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin an. Vollzogen wurde die angeordnete Durchsuchung am 06.06.2024. Dabei wurde insbesondere eine Plombe mit 0,23 g Heroin und eine weitere Plombe mit 0,18 g Methamfetamin aufgefunden.

Die Beschuldigte hat beantragt festzustellen, dass die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig war. Damit hatte sie dann erst beim LG Erfolg:

„1. a) Die Beschwerde ist zulässig.

Soweit sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde gegen die richterliche Anordnung der Durchsuchung und der Beschlagnahme richtet, ist nach § 304 Abs. 1 StPO die Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf.

Der Umstand, dass die angeordnete Durchsuchung bereits erledigt und damit prozessual überholt ist, hindert die Zulässigkeit der Beschwerde nicht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Beschwerde gegen eine erledigte richterliche Anordnung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit gleichwohl zulässig, wenn das Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht. Dies ist vor allem bei tiefgreifenden, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen wie etwa einer aufgrund richterlicher Anordnung vorgenommenen Wohnungsdurchsuchung (Art. 13 GG) der Fall (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2014, StB 10/14).

b) Die Beschwerde ist begründet, da die Voraussetzungen für den Erlass einer bloß mündlich ergangenen Durchsuchungsanordnung nicht vorlagen, was zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses führt (aa), auch wenn die Anordnungsvoraussetzungen im Übrigen vorlagen (bb).

aa) Obwohl die StPO dies nicht ausdrücklich vorschreibt, muss eine richterliche Durchsuchungsanordnung – abgesehen von Eilfällen – schriftlich getroffen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.08.1966 – 1 BvR 586/62). Als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden trifft den anordnenden Richter die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. Der Durchsuchungsbeschluss muss den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten. Insgesamt dient der Richtervorbehalt der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001 – 2 BvR 1444/00). Darüber hinaus bezweckt das Gebot der umfassenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusses die Erleichterung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschluss vom 18.12.2008 – StB 26/08).

Ein fernmündlicher Antrag des Staatsanwalts auf Gestattung der Durchsuchung und eine fernmündliche Gestattung der Durchsuchung durch den Ermittlungsrichter genügen in Eilfällen den formellen Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Sinne des § 105 Abs. 1 StPO. Die fernmündliche Einholung der richterlichen Gestattung in Eilfällen ermöglicht eine vorbeugende richterliche Kontrolle und ist daher ein effektiverer Rechtsschutz als die Wahrnehmung der Eilkompetenz mit nachträglicher richterlicher Bestätigung (vgl. BGH, Beschluss vom 13.01.2005 – 1 StR 531/04; BVerfG, Beschluss vom 23.7.2007 – 2 BvR 2267/06). Das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot des effektiven Rechtsschutzes begründet für die Strafverfolgungsbehörden in einem solchen Fall die Pflicht, die tatsächlichen Anhaltspunkte des Durchsuchungsverdachts, die Zielrichtung der Durchsuchung sowie die Umstände, die einen Eilfall begründeten, hinreichend zu dokumentieren (BVerfG Beschluss vom 23.7.2007 – 2 ByR 2267/06).

Für den zu entscheidenden Fall lässt sich der Akte entnehmen, dass die Polizei am 07.05.2024 per E-Mail gegenüber der Staatsanwaltschaft beantragt hat, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung der Beschwerdeführerin zu erwirken und den aus ihrer Sicht gegebenen Anfangsverdacht mit den Angaben des Zeugen pp. begründet hat. Dem Antrag der Polizei ist das Protokoll einer Vernehmung des Zeugen vom 15.04.2024 beigefügt (vgl. BI. 3-10 d.A.).

Der vom sachbearbeitenden Staatsanwalt unter dem 07.05.2024 gefertigte Vermerk (BI. 1-2 d.A.) dokumentiert, dass er dem Ermittlungsrichter den Antrag der Polizei samt Vernehmungsprotokoll per E-Mail übersandte und telefonisch für die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines entsprechenden Durchsuchungsbeschlusses stellte. Dem Vermerk ist weiter zu entnehmen, aufgrund welcher Tatsachen die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht für ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sah und in welchem Umfang der kontaktierte Ermittlungsrichter um 14:16 Uhr die Durchsuchung der Wohnung, der Person und der Fahrzeuge der Beschuldigten mündlich anordnete.

Für die Kammer ist anhand der Aktenlage allerdings nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Staatsanwaltschaft und auch der Ermittlungsrichter davon abgesehen haben, einen schriftlichen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen bzw. zu erlassen. Hierzu verhält sich der genannte Vermerk des sachbearbeitenden Staatsanwalts nicht. Auch drängt sich die Annahme eines Eilfalls nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls auf (vgl. BVerfG, Beschluss vorn 03. 12. 2002 2 BvR 1845/00):

Die Ermittlungsbehörden hatten jedenfalls seit dem 15.04.2024 (Tag der Einvernahme des Zeugen pp. Kenntnis von den den Anfangsverdacht gegen die Beschwerdeführerin begründenden Tatsachen. Dass am 07.05.2024 die Gefahr eines Beweismittelverlusts durch Erlass eines schriftlichen Beschlusses bestanden hätte, ist nicht erkennbar. Gegen einen Eilfall spricht zudem, dass der mündlich erwirkte Beschluss erst knapp einen Monat (!) später, nämlich am 06.06.2024, vollzogen wurde (vgl. BI. 31 d.A.).

Nachdem ein Eilfall hier nicht feststellbar ist, erweist sich die nur mündliche Anordnung der Durchsuchungsmaßnahme als formell rechtswidrig.“

Pflichtverteidiger „nur“ für Hafttermin bestellt, oder: Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr

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Im zweiten Posting dann hier ein weiterer, recht frischer Beschluss zur Frage, welche Gebühren für den Pflichtverteidigers entstehen, der „nur“ für eine Haftbefehlsverkündung bestellt worden ist. Die Frage ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Mit dem LG Regensburg, Beschl. v. 14.01.2025 – 10 Qs 5/25 – hat sich jetzt aber ein weiteres Gericht der Auffassung angeschlossen, die nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abrechnet und Grund -, Verfahrens- und Terminsgebühr gewährt:

„1. Die Beschwerde ist begründet, da Vergütung der Beschwerdeführerin sich mangels Anwendbarkeit nicht nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG richtet, sondern nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG (a) und die Beschwerdeführerin daher Anspruch auf die Vergütung in beantragter Höhe hat (b).

a) Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ist hier nicht anzuwenden, da durch die Bestellung der Beschwerdeführerin als Pflichtverteidigerin für den Vorführtermin am 16.08.2024 ein Verteidigungsverhältnis im Sinne des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG begründet wurde. Die Vergütungsvorschriften zu „Einzeltätigkeiten“ sind gem. der Vorbemerkung 4,3 Abs. 1 in Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG hierzu subsidiär.

Das OLG Köln führt in seinem Beschluss vom 24.01.2024, Az. 3 Ws 50/23, hierzu folgendes aus:

…..

Die überzeugende Argumentation des OLG Köln im zitierten Beschluss macht sich das Gericht zu eigen.

Hier ist es zudem so, dass der spätere Verurteilte zum Zeitpunkt der Bestellung der Beschwerdeführerin zur Pflichtverteidigerin nicht anderweitig anwaltlich vertreten war. Der Beschwerdeführerin oblag also insbesondere die rechtliche Einordnung des Sachverhalts, der dem späteren Verurteilten zur Last gelegt wurde, eine Prüfung des im Haftbefehl angenommenen Haftgrundes sowie eine Beratung des damaligen Beschuldigten, ob Angaben zur Sache gemacht werden sollen. Die Tätigkeit eines in diesem Verfahrensstadium für die Vertretung des Beschuldigten lediglich für den Vorführungstermin bestellten Pflichtverteidigers unterscheidet sich damit faktisch nicht von derjenigen eines umfassend bevollmächtigten Wahlverteidigers bzw. zeitlich unbeschränkt bestellten Pflichtverteidigers.
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung im vorliegenden Fall auf einen Vorführungstermin im Sinne des § 115a StPO bezieht. Zwar ist die Entscheidungsbefugnis des Richters im Sinne des § 115a StPO beschränkt und er darf den Haftbefehl im Regelfall wieder aufheben noch außer Vollzug setzen. Allerdings sieht § 115a Abs. 2 Satz 4 StPO im Falle von nicht offensichtlich unbegründeten Einwendungen des Beschuldigten oder sonstigen Bedenken des Richters gegen die Aufrechterhaltung der Haft die Pflicht zur Rücksprache mit dem zuständigen Gericht oder der zuständigen Staatsanwaltschaft vor, die im Ergebnis zu einer Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls führen kann. Das zeigt, dass die Tätigkeit des Verteidigers auch in einem solchen Termin eine wichtige grundrechtssichernde Funktion erfüllt.

Die von dem Amtsgericht und der Bezirksrevisorin zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23.01.2023, Az. 4 Ws 13/23, in der eine Vertretung durch einen Pflichtverteidiger beschränkt auf einen Anhörungstermin gem. § 115 StPO als Einzeltätigkeit im Sinne von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG qualifiziert wird, beruht auf einem nicht gänzlich vergleichbaren Sachverhalt: im dortigen Fall war der Beschuldigte bereits durch einen von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt verteidigt, der lediglich zu dem anberaumten Vorführungstermin verhindert war. Dieser Umstand war für das OLG Stuttgart auch entscheidungserheblich: „Jedenfalls in einem solchen Fall handelt es sich bei der Vertretung des Beschuldigten im Rahmen der Haftvorführung nach § 115 StPO um eine Einzeltätigkeit.“ (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. Januar 2023 — 4 Ws 13/23

Unbeschadet der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung kommt eine gebührenrechtliche Einstufung der von der Beschwerdeführerin entfalteten Tätigkeit als Einzeltätigkeit im Sinne des Teils 4 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG mithin nicht in Betracht (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2014 — 2 Ws 553/14 juris).
Dass die Staatskasse im Ergebnis nun doppelt mit einer Verfahrensgebühr belastet wird, beruht auf der unzulässigerweise auf den Termin vom 16.08.2024 beschränkten Beiordnung der Beschwerdeführerin. § 140 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. §§ 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 143 StPO sieht eine Pflichtverteidigerbestellung für das gesamte Verfahren vor, die mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens oder durch Aufhebung mit gesonderten Beschluss endet. Gerade für die hier gegenständliche Konstellation einer Vorführung bei dem nächsten Amtsgericht trifft § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO eine Regelung zum Verteidigerwechsel, die eine zeitlich beschränkte Beiordnung entbehrlich macht. Da gegen den Beiordnungsbeschluss kein Rechtsmittel eingelegt wurde, ist er rechtskräftig und der Vergütung der Beschwerdeführerin zugrunde zu legen.“

Die Entscheidung ist zutreffend. Sie entspricht der inzwischen wohl h.M. in der Rechtsprechung.

Aber ein kleiner Wermutstropfen bleibt. Es ist m.E. nämlich zu bedauern, dass der entscheidende Einzelrichter die Entscheidung nicht auf die Kammer übertragen hat. Das wäre nach § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG möglich gewesen, denn danach ist die Übertragung auf die Kammer eben auch wegen „grundsätzliche Bedeutung“ zulässig. Die dürften Verfahren mit der entschiedenen Problematik wegen der immer noch herrschenden teilweisen Uneinigkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung aber haben. Damit wäre dann der Weg frei gewesen für die Zulassung der weiteren Beschwerde und damit ggf. für eine Entscheidung des OLG Nürnberg, das sich zu der entschiedenen Frage schon länger nicht mehr geäußert hat.

Aber: Man kann nicht alles haben.

Akten I: Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten, oder: Abfotografieren der Akten erlaubt?

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Und dann ein Tag mit Entscheidungen zur Akteneinsicht und was damit zu tun hat.

Ich beginne mit dem LG Regensburg, Beschl. v. 09.09.2024 – 8 Qs 34/24. Hier hatte der Angeschuldigte beantragt ihm in den beiden Verfahren gegen ihn anhängigen Verfahren Akteneinsicht in Form der Einsichtnahme bei dem an seinem Wohnort nächstgelegenen Amtsgericht pp. zu gewähren. Mit Verfügung vom 10.04.2024 teilte das AG Regensburg in einem weiteren Verfahren mit, dass die Akten nicht übersandt werden könnten, ihm jedoch gegen Zahlung jeweils eine Kopie der Akten in den drei Verfahren überlassen werden könne

Mit Beschluss des Amtsgerichts wurden dann die drei Verfahren verbunden. Am 17.04.2024 beantragte der Angeschuldigte nochmals telefonisch die Zusendung der Akten an das Amtsgericht pp. zum Zwecke der Akteneinsicht. Er verwies dabei auf § 147 Abs. 4 StPO. Die Staatsanwaltschaft hatte keine Einwände. Am 18.04.2024 wiederholte der Angeschuldigte  seinen bereits telefonisch gestellten Antrag schriftlich und beantragte zudem, das Abfotografieren der Akte zu gestatten.

Mit undatierter Verfügung wurde dem Amtsgericht pp. durch das Amtsgericht Regensburg ohne nähere Begründung mitgeteilt, dass das Abfotografieren der Akte nicht gestattet werde, im Übrigen wurde die Akteneinsicht durch Übersendung der Akte an das Amtsgericht pp. ohne weitere Beschränkungen des Umfangs der Akteneinsicht (zum Beispiel auf bestimmte Aktenbestandteile o.ä.) gewährt. Der Beschuldigte hat dann einen rechtsmittelfähigen Beschluss über die vom Amtsgericht Regensburg getroffene Entscheidung beantragt. Das Amtsgericht Regensburg hat sodann die Fertigung von Ablichtungen aus den Akten abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein Abfotografieren der Akte aus Schutzgründen der beteiligten Zeugen und sonstigen Verfahrensbeteiligten zu versagen sei, da abfotografierte Aktenbestandteile leichter den Weg ins Internet und soziale Medien fänden. Das Informationsrecht des Beschwerdeführers könne auch durch Einsicht und Kopien entsprechend befriedigt werden. Die Fertigung von Kopien aus den Akten sei dem Beschwerdeführer gewährt worden.

Dagegen dann das Rechtsmittel des Angeschuldigten, das Erfolg hatte:

„2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Wenn und soweit im Rahmen einer Akteneinsicht gemäß § 147 Abs.4 StPO – wie hier – keine Einwände gegen die Fertigung von Fotokopien der Akten bestehen und die Fertigung von Kopien ausdrücklich gewährt wird, so kann es dem Beschuldigten nicht verwehrt werden, anstelle von Fotokopien (auch digitale) Lichtbilder der betreffenden Aktenbestandteile zu fertigen.

Das unmittelbare Akteneinsichtsrecht des Beschwerdeführers als Beschuldigter, der keinen Verteidiger hat, ist in § 147 Abs. 4 StPO geregelt. Für den sich selbst verteidigenden Beschuldigten ist ein eigenes, unmittelbares Akteneinsichtsrecht wichtig für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens. Der Beschuldigte, der keinen Verteidiger hat, ist nach der Neuregelung des § 147 Abs. 4 StPO demnach befugt, die Akten einzusehen und unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen, soweit der Untersuchungszweck auch in einem anderen Strafverfahren nicht gefährdet werden kann und überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten bereitgestellt werden.

Die Möglichkeit einer Einschränkung der Akteneinsicht für den Beschuldigten nach § 147 Abs. 4 ist seit der Neuregelung allein aus den dort in S. 1 genannten Gründen möglich. Dieser ist im Vergleich zu Abs. 2 ausgeweitet worden, indem auch eine Gefährdung der Ermittlungen in anderen Verfahren für Restriktionen genügt und überwiegende schutzwürdige Interessen Dritte zu beachten sind. Da kein sachlicher Grund für diese Schlechterstellung des unverteidigten Beschuldigten ersichtlich ist, ist diese Einschränkung eng auszulegen, so dass im Falle einer Gefährdung eine weitestmögliche Teileinsicht zu ermöglichen ist, (Kämpfer/Travers in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Auflage 2023, Rn. 51 zu § 147).

Hieraus ergibt sich, dass die Beschränkung der Akteneinsicht in Form der Untersagung der Anfertigung von Fotografien im konkreten Einzelfall nicht begründet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer gerade erlaubt wurde, sich Kopien von den Akten anzufertigen (vgl. Bl. 111). Dabei wurde er auch darauf hingewiesen, dass er Aktenbestandteile, die ihm überlassen worden sind, weder ganz oder teilweise öffentlich verbreiten oder sie Dritte zu verfahrensfremden Zwecken übermitteln darf (vgl. Bl. 108).

Nach der Einschätzung des Amtsgerichts Regensburg stehen demnach überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht der Fertigung und Überlassung von Kopien entgegen. Diese Einschätzung hat die Kammer bei ihrer Entscheidung im Grundsatz zu respektieren, denn die Beschwerde richtet sich nicht gegen eine Beschränkung des Umfangs der Akteneinsicht in Bezug auf die dauerhafte Überlassung von Aktenkopien, sondern nur gegen die Entscheidung über deren technische Umsetzung.

Es besteht – auch aus Gründen des Umweltschutzes und in Zeiten der Digitalisierung – kein sachlicher Grund, ihm die Anfertigung von digitalen Fotografien zu untersagen, wenn und soweit – wie hier – gegen das Fertigen von Fotokopien nichts spricht und der Antragsteller nachvollziehbar angibt, sich die anfallenden Kopierkosten hierdurch ersparen zu wollen.

Die Gefahr, dass schutzwürdige Interessen der beteiligten Zeugen durch das Einstellen von Aktenhalten ins Internet und / oder in soziale Medien verletzt werden o.ä., besteht bei der Überlassung von Kopien gleichermaßen, könnten doch von Aktenkopien unproblematisch ebenfalls digitale Fotografien angefertigt oder die Aktenkopien schlicht gescannt werden.

Dem Schutz der Interessen Dritter wurde und wird durch den Hinweis, dass eine Veröffentlichung von Akteninhalten untersagt ist, ausreichend Genüge getan.“

Absehen von der Kostenauferlegung im JGG-Verfahren, oder: Wirtschaftliche Gefahr versus Erziehungsgedanke

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Am „Gebührenfreitag“ heute dann mal keine gebührenrechtlichen Entscheidungen, sondern zwei kostenrechtliche Beiträge.

Ich beginne mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 09.11.2023 – Ws 982/23, den mir die Kollegin Braun aus München geschickt hat. Es geht um die Kostenauferlegung im JGG-Verfahren. Dort sieht § 74 JGG vor, dass im JGG-Verfahren von der Auferlegung von Kosten und Auslagen auf den Jugendlichen abgesehen werden kann. Dazu hat das OLG Stellung genommen.

In dem Verfahren hatte die Jugendkammer beim LG die zum Tatzeitpunkt jugendliche Verurteilte mit Urteil v. 24.4.2023 unter Anwendung von Jugendstrafrecht wegen fünf Fällen der Beihilfe zum Diebstahl mit Sachbeschädigung schuldig gesprochen, ihr eine Geldauflage in Höhe von 500 EUR erteilt und sie für die Dauer von einem Jahr der Aufsicht und Betreuung eines Betreuungshelfers unterstellt. Die Mitverurteilten wurden jeweils wegen fünf Fällen des schweren Bandendiebstahls mit Sachbeschädigung zu Gesamtfreiheitsstrafen oder einer Einheitsjugendstrafe mit Bewährung verurteilt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass die Verurteilte die Mitangeklagten bei Begehung von Diebstählen unterstützte, indem sie während der Taten im Fahrzeug wartete, um diese vor etwaiger Entdeckung zu warnen.

Nachdem die Staatsanwaltschaft beantragt hatte, bei der Verurteilten von der Auferlegung von Kosten abzusehen, hat das LG angeordnet, dass die Verurteilte und zwei Mitverurteilte die Kosten des Verfahrens zu tragen haben. Von der Möglichkeit des § 74 JGG, aus erzieherischen Gründen von der Auferlegung von Kosten abzusehen. hat das LG keinen Gebrauch gemacht.

Hiergegen wendet sich dann die Verurteilte über ihre Verteidigerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, dass das LG sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt habe, weil die Kostenentscheidung nicht berücksichtige, dass ein Großteil der angefallenen Kosten nicht auf den Tatbeitrag der Verurteilten zurückzuführen sei. Zudem sei es aus erzieherischen Gründen geboten, dass die Verurteilte, die derzeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis arbeite, eine Berufsausbildung beginne, was angesichts der Kostentragungslast von geschätzt 20.000 EUR erschwert werde. Hinzu komme, dass sie als jüngste der Verurteilten wegen der Inhaftierung der anderen kostentragungspflichtigen Verurteilten voraussichtlich allein die Kosten tragen müsse, was unverhältnismäßig sei. Schließlich ergebe sich aus der Urteilsbegründung des LG, dass die Auferlegung der Kosten der zusätzlichen Sanktionierung dienen solle, was mit dem Erziehungsgedanken des JGG unvereinbar sei.

Die sofortige Beschwerde der Verurteilten hatte beim OLG Erfolg:

„1. Die Entscheidung, der zur Tatzeit jugendlichen Verurteilten gemäß § 74 JGG die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, ist eine Ermessensentscheidung, die von dem Beschwerdegericht lediglich auf Ermessensfehler überprüfbar ist. Maßstab der Ermessensentscheidung ist es. einerseits eine wirtschaftliche Gefährdung der Verurteilten zu vermeiden, andererseits, ihr durch die Auferlegung von Kosten zu zeigen, dass sie für die Folgen ihres Tuns unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens einzustehen hat. Dabei ist im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessens-ausübung die Möglichkeit gemäß § 74 JGG – um Folgewirkungen im Sinne einer negativen Sanktionierung durch die Auferlegung der Kosten zu vermeiden – bei Jugendlichen tendenziell ausgedehnt zu nutzen (Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Auflage, § 74 Rn. 8c). Auch die Gesamtbelastung, die die Kostenentscheidung bewirkt, ist abwägungsrelevant (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.02 2011, III – 4 Ws 59/11, juris: OLG Hamm, Beschluss vom 28.11.2017, III- 4 Ws 213/17, juris).

2. Die vom Landgericht getroffene Entscheidung genügt diesen Anforderungen nicht.

Zum einen führt das Landgericht aus, dass die festgesetzte Geldauflage der Höhe nach nur deshalb so gering bemessen wurde, weil die Verurteilte mit der Kostentragungspflicht belastet wird. Angesichts der Höhe der Kosten des Verfahrens tritt die eigentliche Rechtsfolge in den Hintergrund, was mit dem Erziehungsgedanken nicht zu vereinbaren ist (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, 24. Aufl. 2023, JGG § 74 Rn. 8d, LG Freiburg NStZ-RR 2000, 183).

Zum anderen begründet das Landgericht seine Entscheidung damit, dass die Verurteilte bei Berücksichtigung ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage bei einem Nettoverdienst von 1.500 Euro durch ihre auf sechs Monate befristete Tätigkeit in pp. imstande ist, die Kosten des Verfahrens in Raten zu begleichen. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass zum einen das Arbeitsverhältnis befristet ist und zum anderen die Jugendliche plant, eine Ausbildung zur Verkäuferin oder im Bereich Kosmetik zu machen. Für die – unter Erziehungsaspekten wünschenswerte – Beendigung der Hilfstätigkeit in pp. und Absolvierung einer Ausbildung ist die Belastung mit den gesamten Verfahrenskosten kontraproduktiv. Der Verurteilten, die derzeit noch bei ihren Eltern wohnt, wird damit die Gründung einer tragfähigen selbständigen Existenz durch eine Berufsausbildung über einen nicht absehbaren Zeitraum massiv erschwert.

Schließlich erscheint es fraglich, ob die gesamtschuldnerische Haftung mit den beiden Mitangeklagten, gegen die mehrjährige Freiheitsstrafen verhängt wurden, zu einer Entlastung der Verurteilten führt., wovon das Landgericht offenbar ausgeht.

3. Dies führt zur Aufhebung der Kostenentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung (OLG Hamm Beschluss vom 28.11.2017, 4 Ws 213/17, beck-online).

Bei der neuen Entscheidung wird zu berücksichtigen sein, dass Maßstab der Ermessensentscheidung ist, einerseits eine wirtschaftliche Gefährdung der Verurteilten zu vermeiden, andererseits, ihr durch die Auferlegung von Kosten zu zeigen, dass sie für die Folgen ihres Tuns unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens einzustehen hat (OLG Hamm, aaO), was auch mit einem teilweisen Absehen von der Auferlegung von Kosten möglich ist (Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Auflage, § 74 Rz. 8a).“

Das LG hat übrigens dann die – zutreffenden – Vorgaben des OLG verstanden und hat im LG Regensburg, Beschl. v. v. 22.11.2023 – KLs 403 Js 23928/22 jug von der Auferlegung der Kosten des Verfahrens und der gerichtlichen Auslagen auf die verurteilte Jugendliche abgesehen.

Pflichti III: Potpourri von Beiordnungsgründen, oder: Ausländer, Steuer, „ungeimpft“, Betreuung, Beweislage

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Und zum Tagesschluss dann noch einige Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen – also i.d.R. §3 140 Abs. 2 StPO. Hier stelle ich aber nur die Leitsätze vor, sonst wird es zu viel. Den Volltext muss man dann ggf. selbst lesen 🙂 . Und da sind dann.

Zur (verneinten) Bestellung eines Pflichtverteidigers für ein ukrainische Beschuldigte, der ein Vergehen gem. § 235 StGB vorgeworfen wird, deren Sprachdefizite durch die Zuziehung eines Dolmetschers ausgeglichen werden können.

Steht der Beschuldigte unter Betreuung und zählt zum Aufgabenkreis des Betreuers die Vertretung vor Behörden, ist insoweit stets von einer notwendigen Verteidigung wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung auszugehen.

Es liegt eine schwierige Beweislage, die die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfordert vor, wenn zwei Justizorgane die Beweislage unterschiedlich beurteilen.

1. Es besteht schon eine schwierige Rechtslage, wenn divergierende obergerichtliche zu einer Rechtsfrage vorliegen, ohne dass bislang der BGH dazu entschieden hat (im Hinblick auf die Frage der Volksverhetzung für ein Profilbild, auf dem der gelbe Stern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ abgebildet ist.
2. Eine schwierige Rechtslage besteht wohl auch, wenn eine Verständigung erörtert wird.
3. Bei der Beurteilung der Schwere der Rechtsfolge sind in die Beurteilung ggf. durch eine Verurteilung drohende Nebenfolgen einzubeziehen.

In einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung ist die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten (§ 140 Abs. 2 StPO).