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StGB III: „Corona-Impf-Nachbereitungsbeschluss“, oder: Politikerverleumdung

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Und dann habe ich hier noch den OLG Celle, Beschl. v. 24.07.2024 – 1 ORs 19/24. Es handelt sich um eine „Corona-Impf-Nachbereitungsentscheidung“.

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verleumdung einer Person des politischen Lebens schuldig gesprochen. Die Verurteilung betraf eine Tat vom 18.12.2021, bei der der Angeklagte in seinem öffentlich einsehbaren Telegram-Kanal ein Pressefoto, das den Bundesgesundheitsminister als Impfarzt bei einer Covid-19-Impfung zeigt, veröffentlicht und mit der Textzeile „Dr. J. M., 1943, nachkoloriert“ kommentierte hatte. Die Revision des Angeklagten hatte insoweit Erfolg:

1. Der Schuldspruch wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Es begegnet im Ausgangspunkt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht in dem veröffentlichten Kommentar des Angeklagten eine Verharmlosung des Holocaust erblickt hat. Rechtsfehler weist die vom Landgericht vorgenommene und ausführlich begründete Auslegung der Äußerung nicht auf. Das Revisionsgericht hat insofern eine vertretbare Auslegung durch den Tatrichter grundsätzlich hinzunehmen, auch wenn ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen mag (OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. November 2023 – 7 ORs 27/23 –, Rn. 11, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Juni 2023 – III-5 ORs 34/23 –, Rn. 14, juris).

b) Die Feststellungen des Landgerichts tragen aber nicht die Annahme, dass die Äußerung des Angeklagten geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist in Fällen der Verharmlosung des Holocaust dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht. Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 –, Rn. 24 – 27, juris).

Hieran gemessen belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht, dass die Äußerung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet war. Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Darstellung konkret geeignet sei, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und die Abonnenten des vom Angeklagten betriebenen Telegram-Kanals zu einem rechtswidrigen (?) Protest aufzurufen, gehen die so beschriebenen Wirkungen letztlich nicht über eine Beeinflussung des geistigen politischen Klimas hinaus. Auch die Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung, dass die Äußerung geeignet gewesen sei, bei Sympathisanten Aggressionen hervorzurufen und sie zu einem Tätigwerden gegen diejenigen zu veranlassen, die als Urheber oder Verantwortliche von Impfungen angesehen werden, genügen für die Annahme einer Eignung zur Friedensstörung im oben beschriebenen Sinne nicht. Ungeachtet der Frage des Vorsatzes lassen diese abstrakten Formulierungen offen, welcher Art das Tätigwerden der nicht näher bezeichneten Sympathisanten sein sollte.

Es ist dem Senat im Revisionsverfahren verwehrt, die insoweit lückenhaften Feststellungen zu ergänzen. Das Tatgericht muss insoweit eigene Feststellungen treffen und diese bei seiner Beweiswürdigung zudem tragfähig belegen. Aufgrund der tatbestandsbegrenzenden Funktion der Eignung zur Friedensstörung und im Hinblick auf die Bedeutung der freien Meinungsäußerung und des friedlichen Protestes für die freiheitliche Demokratie würde es sich verbieten, jeder provokanten Beeinflussung der öffentlichen Diskussion ohne weiteres eine Eignung zur Auslösung rechtsgutgefährdender Folgen zuzusprechen.

2. Der Schuldspruch wegen Verleumdung einer Person des politischen Lebens gemäß §§ 187, 188 Abs. 2 StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben.

a) Die Annahme des Landgerichts, dass es bei dem Vergleich des Bundesgesundheitsministers mit dem nationalsozialistischen Lagerarzt Mengele um eine Tatsachenbehauptung im Sinne des § 187 StGB handelt, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der Vergleich stellt ein Werturteil dar, das nicht dem Anwendungsbereich des § 187 StGB, sondern dem des § 185 StGB unterfällt.

Tatsachen gemäß § 187 StGB sind konkrete Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind (MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 187 Rn. 7). Sie sind – wie auch das Landgericht im Ausgangspunkt nicht verkennt – zu unterscheiden von Werturteilen im Sinne von Meinungen, die durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind (OLG Celle, Urteil vom 27. März 2015 – 31 Ss 9/15 –, Rn. 34, juris). Je nach Äußerung kann eine klare Abgrenzung dabei schwierig sein; notwendig für die Annahme einer Tatsachenbehauptung ist aber eine eigene substantiierte, konkret greifbare Behauptung des Äußernden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, juris). An einer solchen Tatsachenbasis fehlt es, wenn der Äußernde lediglich eine plakative Bewertung von tatsächlichen Umständen vornimmt (OLG Hamburg, Urteil vom 31-10-1991 – 3 U 22/91, beck-online) oder Vorgängen, denen nichts Ehrenrühriges anhaftet, einer abwegigen Wertung unterzieht (Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 185 StGB, Rn. 7).

Hieran gemessen stellt die Äußerung des Angeklagten ein Werturteil dar. Das Landgericht hat den Erklärungsgehalt des vom Angeklagten verfassten Kommentars gerade nicht rein wörtlich ausgelegt und ihm folglich nicht die tatsächliche Behauptung entnommen, dass es sich bei der Person auf dem Pressefoto um Josef Mengele handele. Stattdessen hat das Landgericht überzeugend festgestellt, dass der Angeklagte mit seinem Kommentar eine Gleichsetzung des Bundesgesundheitsministers mit Mengele vorgenommen hat. Diese Gleichsetzung enthält indes keinen eigenen greifbaren Tatsachenkern. Sie stellt eine plakative und abwegige Bewertung tatsächlicher Vorgänge dar, wird dadurch aber nicht selbst zu einer Tatsachenbehauptung im Sinne des § 187 StGB.

b) Die Feststellungen des Landgerichts belegen zudem nicht, dass die Äußerung des Angeklagten geeignet war, das öffentliche Wirken des Bundesgesundheitsministers erheblich zu erschweren (§ 188 Abs. 1 StGB).

Eine Erschwerung des öffentlichen Wirkens im Sinne des § 188 Abs. 1 StGB ist als Folge unterschiedlicher Reaktionen auf die Äußerung denkbar. Die Voraussetzung kann insbesondere erfüllt sein, wenn der Betroffene aufgrund einer Verleumdung als nicht mehr vertrauenswürdig erscheint (BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 – 5 StR 382/52 –, BGHSt 3, 73; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 30. März 1989 – RReg 3 St 215/88 –, Rn. 54, juris; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 188 Rn. 6). Der Tatbestand ist aber nicht auf diese eine Ausprägung denkbarer Erschwernisse beschränkt. Es ist deshalb nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass das Landgericht darauf abgestellt hat, die Darstellung des Angeklagten könne „Aggressionen bei Gleichgesinnten“ hervorrufen.

Die Offenheit des gesetzlichen Tatbestandes macht indes konkrete Feststellungen zu den denkbaren Auswirkungen der Äußerung und deren Bewertung durch das Tatgericht nicht entbehrlich. Denn § 188 StGB sanktioniert gerade nicht jede nach §§ 185-187 StGB strafbare Tat gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person mit einer gegenüber dem Regelstrafrahmen höhen Strafe, sondern greift als Qualifikation nur unter der zusätzlichen Voraussetzung ein, dass sich die Tat zur erheblichen Erschwerung der Tätigkeit der öffentlichen Person eignet. Gerade in dem zusätzlichen Erfordernis der Erheblichkeit einer solchen Erschwerung wird deutlich, dass diesem Erfordernis eine tatbestandsbegrenzende Funktion zukommt und dass die Anwendung des § 188 StGB eine Bewertung der Schwere der möglichen Tatfolgen erfordert.

Das angefochtene Urteil wird diesen Anforderungen nicht gerecht, sondern beschränkt sich insoweit auf den knappen, allgemein gehaltenen Verweis auf eine mögliche Aggressivierung, deren Auswirkungen auf das Wirken des betroffenen Bundesministers nicht ausgeführt werden.

3. Bezüglich der Tat vom 18. Dezember 2021 bedarf die Sache deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass das Landgericht aufgrund neuer Feststellungen erneut zu einer Verurteilung wegen dieser Tat gelangen wird. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird aber ggf. zu berücksichtigen haben, dass eine Beleidigung hier nur unter den Voraussetzungen des § 188 StGB auch ohne Strafantrag verfolgt werden kann (§ 194 Abs. 1 StGB). Sie wird zudem zu prüfen haben, ob die Äußerung tatsächlich bei einem Empfänger angekommen ist, was zumindest durch einen Lesezugriff erfolgt sein müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 – AK 33/19 –, Rn. 32, juris; BGH, Beschluss vom 12. November 2013 – 3 StR 322/13 –, Rn. 3, juris).

Bei der neuerlichen Prüfung des § 188 StGB ist auch zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen einer Beleidigung nicht auf dieselbe Weise bestimmt werden können wie diejenigen einer Verleumdung. Zur Tatbestandsvariante der Verleumdung entspricht es der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass die Eignung zur Beeinträchtigung des öffentlichen Wirkens nur anhand des objektiven Inhalt der aufgestellten Behauptung zu bestimmen ist und es nicht auf die Art und den Umfang der Verbreitung oder auf die Größe des von der Behauptung erreichten Personenkreises ankommt (BGH, Urteil vom 8. 1. 1954 – 5 StR 611/53, beck-online; BayObLG, Urteil vom 30. März 1989 – RReg 3 St 215/88 –, Rn. 53, juris, jeweils zu § 187a StGB a. F.; zur a. A. der wohl überwiegenden Literatur Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 188 Rn. 6 m. w. N.). Auf die – erst zum 1. Januar 2021 eingeführte – Tatbestandsvariante der Beleidigung lässt sich diese Rechtsprechung nicht uneingeschränkt übertragen. Denn während von einer falschen Tatsachenbehauptung regelmäßig die Gefahr ausgeht, dass sie sich auf unüberschaubare Weise verbreitet und dadurch das Vertrauen in die Integrität des Betroffenen unterlaufen wird, ist dies bei einem beleidigenden Werturteil nicht ohne weiteres der Fall. Die möglichen Auswirkungen der Beleidigung werden deshalb nicht losgelöst von ihren Gesamtumständen – wie der Glaubwürdigkeit des Täters, der Art der Verbreitung und der Größe des erreichten Personenkreises – beurteilt werden können (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm a. a. O.).“

StGB III: „Ungeimpft“ „Judenstern“ während Corona, oder: „from the river to the sea – Palestine will be free“

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Und dann zum Abschluss des Tages noch zwei Entscheidungen, und zwar einmal aus der „Abteilung“ „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“, und zwar „§ 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ bzw. aus der „Abteilung“ „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“, und zwar  „§ 130 StGB – Volksverhetzung“. Von beiden Entscheidungen gibt es aber nur die Leitsätze, die doch rechtlangen Begründungen dann bitte ggf. in den verlinkten Volltexet selbst nachlesen.

Also:

1. Der Wortlaut des § 130 Abs. 3 StGB ist allein auf die Billigung, Leugnung und Verharmlosung von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Taten nach § 6 Abs. 1 VStGB bezogen und umfasst damit den Völkermord, nicht aber die weiteren dem Völkermord vorangegangenen Maßnahmen der Ausgrenzung, Schikanierung und Rechtlosstellung von Juden unter dem nationalsozialistischen Unrechtsregime.

2. Die Verwendung eines verfremdeten sogenannten Judensterns als Kritik an der Situation ungeimpfter Personen unter den Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (sogenannter Ungeimpft-Stern) verwirklicht nicht den Tatbestand einer Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB, wenn die Verwendung dieses Zeichens nach den tatrichterlichen Feststellungen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls auf Maßnahmen der Ausgrenzung, Schikanierung und Rechtlosstellung von Juden bezogen zu verstehen ist, nicht aber auf den an ihnen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord.

1. Es ist fraglich, ob es sich dem Slogan „from the river to the sea – Palestine will be free“ um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB handelt. Jedenfalls ermangelt es an einem hinreichenden Verdacht dahingehend, dass es sich hierbei um ein solches der HAMAS handelt.

2. Zur Strafbarkeit der Verwendung des Slogans „from the river to the sea – Palestine will be free“ “ (hier verneint)

StGB II: War es „Böswilliges Verächtlichmachen“?, oder: Fachkräftenachwuchs – IQ – Zuwanderung

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 12.01.2024 – 3 ORs 65/23 – zur Volksverhetzung (§ 130 StGB) Stellung genommen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Volksverhetzung, und zwar nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB „böswillig verächtlich machen“ – zu einer Bewährungsstrafe vverurteilt. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen und ist dabei von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts verteilte der Angeklagte in der Nacht vom 30. auf den 31.07.2020 an mindestens 30 Haushalte in seiner Nachbarschaft in Porta Westfalica vor- und rückseitig eng beschriebene DIN A4 Zettel durch Einwurf in die Briefkästen. In dem — hier stark zusammengefassten – Text, der zahlreiche Fehler in Rechtschreibung und Zeichensetzung aufweist und den der Angeklagte im Internet gefunden hatte, wird ein Bezug zwischen der Diskussion um Fachkräftenachwuchs und dem Intelligenzquotienten bestimmter Zuwanderergruppen bzw. Völker hergestellt. So liege der Intelligenzquotient bei einzelnen Zuwanderergruppen in Deutschland nur bei 85, in einigen anderen Ländern sei er noch niedriger, während er bei Asiaten viel höher sei. In dem Schriftstück wird auch erwähnt, dass man in Deutschland ab einem IQ von 80 als lernbehindert gelte und ein Schimpanse einen IQ von 50 habe. Es wird angezweifelt, dass Zuwanderer aus Herkunftsgruppen mit vorgeblich niedrigem IQ zur Ausübung hochqualifizierter Tätigkeiten wie Arzt, Rechtsanwalt oder Pilot in der Lage seien. Auch ein Bezug zwischen Ethnie und Kriminalität wird hergestellt. Zuzug von asiatischen Einwanderern würde mehr nutzen als Zuwanderung aus anderen Ländern. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass „mit diesem Pamphlet“ zum Ausdruck gebracht werde, dass „insbesondere die in Deutschland lebenden Personen mit Wurzeln im afrikanischen, arabischen und türkischen Raum dumm und kriminell und des Aufenthalts in Deutschland unwürdig seien. Aber auch die US-amerikanischen Bürger afrikanischer Abstammung wie auch die in ihren Herkunftsländern lebenden Menschen arabischer Abstammung [würden] als minderbemittelt und im Gros kriminell herabgewürdigt“. Auf diese Weise würden „die den genannten Ethnien zugehörigen Menschen böswillig verächtlich gemacht und so in ihrer Menschenwürde angegriffen“. Weiter heißt es im angefochtenen Urteil: Der Angeklagte, der diese Aussagen guthieß, verteilte die Pamphlete in der Absicht, die Empfänger zu der Erkenntnis zu bringen, dass der Aufenthalt, bzw. Zuzug von Menschen der genannten Ethnien ein Problem für die deutsche Gesellschaft darstelle, und machte sich diese Äußerungen damit zu eigen. Er handelte dabei in einer Weise, die geeignet war, das psychische Klima in der Bevölkerung in Richtung Fremdenfeindlichkeit aufzuhetzen und so den öffentlichen Frieden zu stören. Zugleich hatte er das Schreiben als Datei auf einem Computer in seiner Wohnung gespeichert und hielt es für eine weitere Verwendung vorrätig“.

Dagegen die Revision des Angeklagte, die Erfolg hatte. Das OLG sieht noch keine durchgreifenden Bedenken, dass der Inhalt des Schriftstückes in objektiver Hinsicht einen Angriff auf die geschützte Menschenwürde der angesprochenen Bevölkerungsgruppen darstellt. Auch an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens hat das OLG bei der vorliegenden Verteilungsbreite keinen Zweifel. Aber:

„b) Indes kann das angefochtene Urteil deswegen keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals eines „böswilligen“ Verächtlichmachens einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand hält.

Die Beweiswürdigung ist gemäß § 261 StPO zwar Sache des Tatgerichts. Jedoch hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Auflage 2023, § 261 Rdnr. 188). Das ist u.a. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, BeckRS 2011, 15376 Rdnr. 13).

Die Beweiswürdung des Landgerichts ist vorliegend lückenhaft. Sie belegt nicht das Vorliegen des dem inneren Tatbestand zuzuordnende Erfordernis der Böswilligkeit. Dieses hat strafbarkeitseinschränkende Funktion und ist zu bejahen, wenn die Äußerung aus feindseliger Gesinnung in der Absicht zu kränken (im Kernbereich der Persönlichkeit der Betroffenen, vgl. BGH, Urt. v. 15.12.2005 — 4 StR 283/05 — juris) getätigt wird (BGH NJW 1964, 1481, 1483; Krauß in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 130, Rdnr. 57). Böswillig ist ein Handeln aus niederträchtiger, bewusst feindseliger Gesinnung, also ein Handeln aus verwerflichen Beweggründen. Dies kann sich daraus ergeben, dass der Täter hartnäckig Erkenntnisquellen, die seine Behauptung widerlegen, oder Möglichkeiten zu weniger anstößigen Formulierungen ausschlägt. Die Beweggründe des Äußernden können sich unmittelbar aus dem Aussagegehalt der Äußerung als solcher sowie aus den Begleitumständen der Äußerung, etwa einer interpretatorischen Begleitäußerung des Täters, ergeben (Krauß a.a.O. 155 m.w.N.).

Das Landgericht hat zwar bzgl. des subjektiven Tatbestands eine Beweiswürdigung zur Kenntnis des Angeklagten vom volksverhetzenden Charakter des Schriftstücks und dazu, dass sich der Angeklagte sich die Äußerungen zu eigen gemacht habe, vorgenommen. Eine Beweiswürdigung zu dem o.g. subjektiven Tatbestandsmerkmal der Böswilligkeit enthält das angefochtene Urteil nicht. Diese war auch nicht entbehrlich, etwa weil sich die Böswilligkeit vorliegend von selbst verstehen würde, Die inkriminierten Äußerungen in dem Schriftstück stehen nicht isoliert, sondern sind eingebettet in die politische Diskussion um Fachkräftezuwanderung. Im Urteil wird weiter festgestellt, der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, „die Empfänger zur Erkenntnis zu bringen, das „wir irgendwo ein Problem haben“ und das Fachkräfteproblem mit den Zuwanderern nicht zu lösen sei“ (UA10). Wie sich weiter aus den Urteilsgründen ergibt, hatte sich der Angeklagte „nach eigenen Angaben auch durch Internetrecherche intensiv mit dem Inhalt des Pamphlets auseinandergesetzt [hatte] und sich in seinen eigenen Ansichten bestätigt“ gefühlt (UA 8). Er habe auch auf entsprechende Studien verwiesen. In diesem Zusammenhang wird in dem angefochtenen Urteil mitgeteilt, dass ein zur Akte gereichter Ausdruck „Global IQ-Scores“ in Augenschein genommen worden sei. Der Inhalt dieses Ausdrucks wird indes nicht näher mitgeteilt. Es wird auch nicht auf ein bestimmtes Blatt der Akten verwiesen, so dass der Senat — sollte es sich bei dem Ausdruck tatsächlich um eine Abbildung und nicht ohnehin um eine Urkunde, auf welche ein Verweis nicht möglich ist —auch nicht aufgrund eines wirksamen Verweises gem. § 267 Abs. 1 S. 2 StPO hiervon Kenntnis nehmen kann.

Hätte der Angeklagte die Schriftstücke aber aus Sorge um einen Fachkräftemangel bzw. um eine Zuwanderung, die nicht geeignet ist, diesen zu beheben, in der Überzeugung, dass es sich bei den o.g. Inhalten um vertretene, tatsächlich zutreffende Thesen und Studien handelt, verteilt, so wäre die Annahme, er habe gleichwohl in feindseliger Gesinnung und in der Absicht zu kränken gehandelt, näher zu begründen. In diesem Zusammenhang wären auch die geistigen Fähigkeiten des Angeklagten und sein Bildungshintergrund in den Blick zu nehmen gewesen. Nach den Urteilsfestellungen hat er keine akademische Ausbildung und hat den inkriminierten Text mitsamt der Fehler bei Rechtschreibung und Zeichensetzung verteilt. Mag es für einen akademisch gebildeten Menschen noch vergleichsweise einfach sein, die Aussagekraft von Studien und die wissenschaftliche Qualifikation sog. „Institute“ zu hinterfragen und einzuordnen, wird dies anderen regelmäßig deutlich schwerer fallen oder gar unmöglich sein. Selbst wenn etwa „Studien“ zu dem Ergebnis gekommen sind, dass der IQ bestimmter Völker oder Herkunftsgruppen niedrig ist, so würde man bei einer akademischen Schulung etwa zunächst einmal hinterfragen, ob die untersuchte Personengruppe hinreichend repräsentativ war, ob der verwendete Intelligenztest überhaupt für Mitglieder nicht-westlicher Gesellschaften geeignet ist, diese unter anderen Umweltbedingungen aufgewachsen oder lebend ggf. besser abschneiden etc. (vgl. etwa als allgemein zugängliche Quelle: https://www.tagesanzeiger.ch/warum-afrikaner-in-ig-tests-schlechter-abschneiden-106015206636), und man würde sich nicht mit — wie in dem verteilten Schriftstück — Erklärungen wie hohe Verbreitung der Verwandtenehe oder generell fehlendem Abstraktionsvermögen zufrieden geben.

Der Uhrzeit der Verteilung der Flugblätter gegen 23 Uhr mag – wie vom Landgericht angenommen – indizielle Bedeutung für die Annahme des Vorsatzes des Angeklagten zukommen. Ob dies auch für das Merkmal der Böswilligkeit gilt, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, wobei er auch -ebenso wie für das anfängliche Bestreiten der Verteilung durch den Angeklagten – unverfängliche Erklärungsalternativenin den Blick zu nehmen haben wird.

Aus den dargestellten Gründen konnte der Senat – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – auch nicht selbst die Tatbestandsalternative der Verleumdung feststellen, welche die bewusst wahrheitswidrige Behauptung von Tatsachen durch den Angeklagten zur Voraussetzung gehabt hätte. Insoweit fehlt es auch bereits an einer Beweiswürdigung zur Wahrheitswidrigkeit der aufgestellten Behauptungen.“

Und:

„3. Der neue Tatrichter wird im Falle einer Verurteilung auch zu bedenken haben, ob neben einer Strafbarkeit aus dem persönlichen Äußerungsdelikt des § 130 Abs. 1 StGB die Verbreitung desselben Inhaltes eigenständigen Unrechtsgehalt nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 c) a. F. StGB aufweisen kann.

Entsprechendes gilt auch für die Alternative des Vorrätighaltens, wobei hier hinzukommt, dass die bisherige Beweiswürdigung die Feststellung, der Angeklagte habe die Schrift vorrätig gehalten, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden, nicht trägt. Das Argument, dass das Aufbewahren der Datei auf dem Computer vor dem Hintergrund der Internetrecherche und der Auseinandersetzung des Angeklagten mit dem Thema nur Sinn mache, wenn er den inhalt später noch habe verbreiten wollen, ist so nicht haltbar.“

Corona III: „Ungeimpft“ auf dem „gelben Judenstern, oder: Vollsverhetzung? Es kommt darauf an.

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zur Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB) durch Verwendung des sog. (gelben)  Judensterns mit der Aufschrift „ungeimpft“. Ich stelle hier aber, da es zu der Problematik ja schon einiges an Rechtsprechung gibt, nur die Leitsätze vor, und zwar:

Es ist im Wege der Auslegung durch den Tatrichter festzustellen, ob sich die Verwendung eines sog. Judensterns mit der Aufschrift „Ungeimpft“ in sozialen Medien über die Gleichstellung der für Ungeimpfte mit den Maß-nahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen mit den durch die nationalsozialistische „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 verbundenen Beschränkungen hinaus auch als Verharmlosung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes i.S.d. § 6 VStGB darstellt.

Zur Frage der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, wenn im sozialen Netzwerk Facebook Profilbild eine Abbildung eines gelben Davidsterns, in dessen Mitte der Schriftzug „UNGEIMPFT“ steht sowie am oberen und unteren Bildrand der Zusatz: „Wieder soweit?“, verwendet wird.

StGB II: Schriftzug „Hängt die Grünen“ auf Wahlplakat, oder: Strafbare Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung dann der BayObLG, Beschl. v. 19.10.2023 – 207 StRR 325/23 – zur Strafbarkeit des Schriftzuges „Hängt die Grünen“ auf einem Wahlplakat.

Das AG hat gegen den Angeklagten wegen Volksverhetzung in 20 tateinheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit öffentlicher Aufforderung zum Totschlag eine Geldstrafe festgesetzt. Das Landgericht hat den Angeklagten auf seine und die Berufung der Staatsanwaltschaft der Volksverhetzung in 20 tateinheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in Tateinheit mit Billigung von Straftaten schuldig gesprochen und ihn ebenfalls zu einer Geldstrafe  verurteilt.

Der Verurteilung lag nach den Feststellungen des Landgerichts zugrunde, dass der Angeklagte als Vorsitzender der Partei „Der III. Weg“ und presserechtlich Verantwortlicher die Fertigung eines Wahlplakates für den Bundestagswahlkampf und dessen Aufhängung an mindestens 20 verschiedenen Orten in Bayern und Sachsen veranlasste. Das Plakat ist rund 85 cm hoch und 59 cm breit. Es ist fast vollständig dunkelgrün eingefärbt. Im oberen Bereich bedeckt der großformatige Schriftzug „HÄNGT DIE GRÜNEN“ etwa die Hälfte des Plakates über eine Höhe von 44 cm. Jedes der drei Worte ist dabei in einer eigenen Zeile geschrieben. Der erste Buchstabe des ersten Wortes „HÄNGT“ hat eine Größe von 12 cm und eine Breite von 10 cm, beim zweiten Wort „DIE“ beträgt die Zeilenhöhe 7 cm, das dritte Wort „GRÜNEN“ sowie das Ausrufungszeichen dahinter haben eine Höhe von 10 cm. Darunter befindet sich mit einer Abdeckung von 10 cm der Höhe des Plakats und einer Zeichenhöhe von ca. 1,5 cm der Satz „Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt!“ auf insgesamt drei Zeilen geschrieben. Im unteren Drittel befindet sich ein wieder durch die Gestaltung deutlich hervorgehobener Schriftzug mit stilisiertem Wahlkreuz „Wählt Deutsch!“ sowie das Zeichen und ein Schriftzug der Partei „DER III. WEG“.

Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er hält bereits den Inhalt des Wahlplakates für nicht strafbar und begehrt seinen Freispruch. Seine Revision hatte keinen Erfolg.

Ich stelle dann hier nur die Leitsätze ein – Rest der Begründung dann bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

1. Der Schriftzug „Hängt die Grünen“ auf dem Wahlplakat einer Partei verwirklicht den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, weil nach den konkreten Umständen auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen andere Deutungsmöglichkeiten als diejenige, dass es sich hierbei um eine Aufforderung zur Verübung von Tötungsdelikten an Mitgliedern der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ handelt, ausgeschlossen werden können.

2. Ein Angeklagter, der zum Zeitpunkt der Anbringung der Wahlplakate Parteivorsitzender ist, auf den Plakaten als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts bezeichnet ist und an den die Plakatiergenehmigung gerichtet war, ist hierfür als Täter (§ 25 Abs. 1 StGB) verantwortlich.

3. Der Schriftzug „Hängt die Grünen“ auf dem Wahlplakat einer Partei verwirklicht den Tatbestand der Volksverhetzung nach §?130 Abs.?1 Nr.?1 StGB, weil nach den konkreten Umständen auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen andere Deutungsmöglichkeiten als diejenige, dass es sich hierbei um eine Aufforderung zur Verübung von Tötungsdelikten an Mitgliedern der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ handelt, ausgeschlossen werden können.

4. Ein Angeklagter, der zum Zeitpunkt der Anbringung der Wahlplakate Parteivorsitzender ist, auf den Plakaten als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts bezeichnet ist und an den die Plakatiergenehmigung gerichtet war, ist hierfür als Täter (§?25 Abs.?1 StGB) verantwortlich.

Schlagworte:
Hängt die Grünen, Wahlplakat, Volksverhetzung, Auslegung, Parteivorsitzender, Täter, Täterschaft, tatrichterliche Feststellungen