Schlagwort-Archive: Volksverhetzung

Mal wieder Volksverhetzung durch „Twitterpost“, oder „Zionisten sind Invasoren, Terroristen, Völkermörder ..“

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Im zweiten Posting stelle ich den BayObLG, Beschl. v. 10.04.2025 – 204 StRR 56/25 – vor. Es geht noch einmal/mal wieder um Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (= Tat 1) und Volksverhetzung (= Tat 2)  verurteilt. Das LG hat die hiergegen eingelegte unbeschränkte Berufung des Angeklagten  als unbegründet verworfen.

Zum Sachverhalt führt das BayObLG aus:

„Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf dem Kurznachrichtendienst „X“ (früher „Twitter“) unter Nutzung seines für jedermann einsehbaren Accounts zwei Beiträge veröffentlichte, wobei ihm bewusst gewesen sei, dass diese von einer größeren, von ihm nicht mehr überschaubaren Anzahl an Personen habe wahrgenommen werden können, und er zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass durch seine Beiträge der öffentliche Friede gestört werde.

Am 27.12.2023 um 18.04 Uhr habe er ein Bild gepostet, auf dem Adolf Hitler mit Hakenkreuz-Binde und mit ausgestrecktem rechten Arm und ausgestreckter Hand zum „Hitlergruß“ vor einer Menschenmenge zu sehen sei, und dazu den Text „WE ARE THE MASTERRACE“. Darunter sei der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei einer Rede mit erhobenem linken Arm zu sehen und dazu der Text „WE ARE GOD´S CHOSEN PEOPLE“. Hierzu habe der Angeklagte zudem kommentiert: „Der israelische Zionismus ist genauso faschistisch und mörderisch wie Hitlers Nationalsozialismus“.

Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass es sich bei der ikonenhaften Darstellung Adolf Hitlers, dem Hakenkreuz und dem sog. Hitlergruß um Kennzeichen handele, die der Herrschaft des Nationalsozialismus zuzuordnen und daher verboten seien.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt am 01.01.2024 habe der Angeklagte folgenden Text geschrieben:

„Zionisten sind Invasoren,

Zionisten sind Aggressoren,

Zionisten sind Faschisten,

Zionisten sind Rassisten,

Zionisten sind Terroristen,

Zionisten sind Nationalisten,

Zionisten sind Mörder,

Zionisten sind Völkermörder,

Zionisten sind Verbrecher,

Verbrecher müssen bestraft werden.“

Mit seinem Beitrag habe der Angeklagte beabsichtigt, zum Hass gegenüber Zionisten, also allen Personen, die das Recht des jüdischen Volkes auf einen jüdischen Nationalstaat unterstützen, aufzustacheln, indem diese allesamt zu bestrafen seien. Desweiteren habe er beabsichtigt, die Menschenwürde aller Zionisten anzugreifen, indem er diese allesamt als Mörder, Terroristen und Rassisten verunglimpft habe.

Der Angeklagte habe die Beiträge am 05.02.2024 gelöscht.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt. Diese hatte insoweit endgültig Erfolg, als er vom BayObLG vom Vorwurf der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 und 2 StGB freigesprochen worden ist. Soweit der Angeklagte seine Verurteilung wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB angriffen hat, war der Schuldspruch frei von Rechtsfehlern. Die Revision des Angeklagten hate jedoch insoweit jedenfalls vorläufig teilweise Erfolg, als das LG nicht geprüft hat, ob ein Anwendungsfall des § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 5 StGB vorliegt, obwohl hierfür nach seinen Feststellungen hinreichender Anlass bestanden hätte. Insoweit ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückzuverweisen worden.

Die Entscheidung ist vom BayObLG sehr umfangreich begründet worden. Wegen des Umfangs der Begründung verweise ich daher auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze ein.

1. Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können.

2. Äußerungen wie „Zionisten sind Invasoren, Terroristen, Völkermörder, Verbrecher u.a.“ können auf eine nationale, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte abgrenzbare Personenmehrheit bezogen sein, nach den konkreten Umständen aber auch eine zulässige Kritik an der Politik des Staates Israel bzw. dessen Staatsführung darstellen.

 

 

StGB I: „Impfen macht frei“-Post bei Facebook, oder: BGH hat Volksverhetzung bejaht

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Auch wenn heute am 1. Mai Feiertag ist, hier geht es, da es schließlich „Tag der Arbeit“ heißt, normal weiter, und zwar heute mit StGB-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den BGH, Beschl. v. 04.02.2025 – 3 StR 468/24 – vor. Er gehört zu den Entscheidungen, mit denen die Corona-Pandemie juristisch aufgearbeitet wird. 

Das LG hatte folgender Feststellungen getroffen. Der Angeklagte veröffentlichte im April 2020, während der ersten Infektionswelle der COVID-19-Pandemie, über sein von jedem Nutzer einsehbares „Facebook“-Profil eine karikaturhaft wirkende Abbildung, die das Eingangstor zu einem Lager zeigte. Oberhalb des Zugangs war der geschwungene Schriftzug „Impfen macht frei“ angebracht. Das Eingangstor war augenscheinlich an dasjenige des Konzentrationslagers Auschwitz mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ angelehnt. Das Tor flankierten zwei schwarz gekleidete, soldatisch anmutende Wächter, die jeweils eine überdimensionierte, mit einer grünen Flüssigkeit gefüllte Spritze in den Armen hielten. Im Inneren des Lagers waren zwei blumengeschmückte Bildnisse zu erkennen, nämlich das Portrait eines überzeichnet dargestellten Chinesen sowie ein solches des „Microsoft“-Gründers und Gesundheitsmäzens Bill Gates. Die Abbildung trug den Untertitel „Die Pointe des Coronawitzes“.

Der Angeklagte nahm dabei billigende in Kauf, dass vor dem Hintergrund der sich aufheizenden gesellschaftlichen Debatte über die staatlichen Maßnahmen zum Schutz gegen das SARS-CoV-2-Virus die Veröffentlichung geeignet war, gewalttätige Reaktionen derjenigen hervorzurufen, die sich als Opfer der Coronaschutzmaßnahmen sahen und sich insbesondere nicht gegen das Virus impfen lassen wollten. Zudem war sie geeignet, bei in Deutschland wohnhaften Überlebenden des Holocausts und Nachkommen der Holocaustopfer ein Klima der Angst und Verunsicherung zu verbreiten.

Das LG hat das festgestellte Verhalten als Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB in der Tathandlungsvariante des Verharmlosens beurteilt. Dagegen die Revision, die beim BGH keinen Erfolg hatte.

Ich stelle jetzt, da die Entscheidung ja nur noch der „Nachbereitung“ gilt, nicht die gesamte Begründung des BGH ein. Die überlasse ich dem Selbstleseverfahren. Ich zitiere vielmehr nur aus der PM des BGH, und zwar hießt es dort zu den Beschlussgründen:

„Die vom Landgericht eingehend dargelegte Wertung, die untertitelte Abbildung verschleiere und bagatellisiere das historisch einzigartige Unrecht der in Konzentrationslagern vollzogenen Vernichtung von Millionen europäischen Juden und anderen vom nationalsozialistischen Regime verfolgten Gruppen in seinem wahren Gewicht, ist nicht zu beanstanden gewesen. Der qualitativen Abwertung des NS-Völkermordes im Sinne einer Relativierung von dessen Unwertgehalt steht dabei nicht entgegen, dass zugleich die Auswirkungen von Coronaschutzmaßnahmen überzogen dramatisiert dargestellt werden sollten. Die von der Strafkammer getroffene Feststellung, die Veröffentlichung der untertitelten Abbildung sei geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden – das Vertrauen in die allgemeine Rechtssicherheit – zu gefährden, hat auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht. Zum einen hat das Landgericht nachvollziehbar darauf abgehoben, die Abbildung insinuiere, den Betroffenen staatlicher Coronaschutzmaßnahmen werde gleiches Unrecht zugefügt wie den Opfern des Holocausts; deshalb sei sie geeignet, ihre Betrachter aggressiv zu emotionalisieren. Zum anderen hat es der Darstellung jedenfalls vertretbar Appellcharakter dahin beigemessen, sich gegen staatliche Maßnahmen rechtzeitig zur Wehr zu setzen, bevor es zu einem staatlichen Impfzwang komme.“

StGB III: Tatbestandsmerkmal des „Verbreitens“, oder: Versand an eine Behörde ist nicht immer „Verbreiten“

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Und dann als letzte Entscheidung noch ein BGH-Urteil, und zwar das BGH, Urt. v. 25.09.2024 – 3 StR 32/24 -, in dem der BGH zum Verbreiten i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB Stellung genommen hat.

Das LG hat die Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom GBA vertreten wird.

In seiner Entscheidung hatte das LG folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Die bereits zweifach wegen Volksverhetzungsdelikten zu Freiheitsstrafen verurteilte Angeklagte schickte im Oktober 2021 per Telefax ein 339-seitiges Schreiben an das Finanzamt M. zu sie betreffenden Steuernummern. Zu Beginn des Schreibens führte sie aus, dass drei im Vormonat ergangene Bescheide weder sachlich noch rechtlich berechtigt seien. Darüber hinaus befasste sie sich unter anderem mit Corona-Maßnahmen und über mehr als fünfzig Seiten mit der „Verfolgung sogenannter „Holocaustleugner‘“. Hierbei stellte sie den geschichtlich anerkannten Holocaust mehrere Male bewusst in Abrede. An anderer Stelle schrieb sie: „Der Hinweis auf Verbrechen von Immigranten bzw. Ausländern gegenüber Deutschen, wird als ‚Haßrede‘ bezeichnet und u.U. wegen „Volksverhetzung‘“bestraft. Tatsache ist, daß von Immigranten bzw. Ausländern viele schwerwiegende Verbrechen begangen werden.“ Ferner diskreditierte sie bewusst und gewollt Menschen aus anderen Ländern pauschal als Straftäter und stellte sie gezielt aufgrund ihrer Herkunft in einen vermeintlichen Gegensatz zu deutschen Staatsangehörigen. Das Schreiben endete mit einem den Leser ansprechenden Absatz: „Soweit die ausführliche Begründung. Vielleicht sind Sie der Meinung, um die Hintergründe Ihrer Tätigkeit bräuchten Sie sich keine Gedanken zu machen, da dies nicht in Ihren ‚Zuständigkeitsbereich‘ fällt. […] Was sind Sie bereit, für Wahrheit und Recht und ein Leben in Freiheit einzusetzen?“

Die Angeklagte ging bei Einreichen des Schreibens davon aus, dass es als Einspruch behandelt werde und sich daher nur die mit dem Steuervorgang befassten Personen, namentlich der jeweilige Sachbearbeiter, gegebenenfalls ein Vertreter und Vorgesetzte, damit inhaltlich befassen könnten. Sie zielte darauf ab, durch den Umfang ihrer Ausführungen die Sachbearbeitung zu erschweren, und rechnete damit, dass das Schreiben nicht im vollständigen Wortlaut zur Kenntnis genommen, sondern nur kursorisch geprüft werde. Mit der Weitergabe an einen größeren Mitarbeiterkreis innerhalb des Finanzamts oder an Personen außerhalb der Behörde, möglicherweise abgesehen von weiteren Prüfungen durch Finanz- oder Strafverfolgungsorgane, rechnete sie weder, noch zielte sie darauf ab.

2. Die Strafkammer hat dies rechtlich dahin gewertet, dass die Angeklagte zwar den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord an den europäischen Juden als historische Tatsache geleugnet habe. Allerdings liege keine Tathandlung nach § 130 Abs. 3 oder Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung vor. Insbesondere fehle für ein Verbreiten die dazu erforderliche subjektive Komponente. Die Ausländer betreffende Äußerung unterfalle inhaltlich § 130 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c StGB, sei jedoch ebenfalls nicht verbreitet worden. Für eine Strafbarkeit fehle es im Übrigen auch an der Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören.“

Die Revision hatte beim BGH keinen Erfolg. Der folgt dem LG. Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten Entscheidung:

1. Obschon bei der Übersendung eines Schreibens an eine Behörde einerseits nicht allgemein ausgeschlossen ist, dass der Absender eine breite Streuung – gegebenenfalls bloß innerhalb der Behörde – beabsichtigt und mithin ein Verbreiten i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB gegeben sein kann, führt dies andererseits nicht dazu, den Versand an eine Behörde regelmäßig als Verbreitung zu bewerten. Entscheidend sind vielmehr die im Einzelfall getroffenen Feststellungen.

2. Kommt es dem Verfasser eines Schreibens nicht auf die Weitergabe an andere Personen als den Empfänger an, muss es sich zur Erfüllung des Bestandsmerkmal des Verbreitens bei den von ihm für möglich gehaltenen Empfängern um eine nicht mehr zu kontrollierende Personenzahl handeln.

3. Die Möglichkeit, dass einer der Empfänger eines Schreibens den Inhalt zur Prüfung der Strafbarkeit an Strafverfolgungsbehörden weiterleitet, eröffnet – zumindest ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände – keinen unkontrollierbaren Empfängerkreis.

StGB II: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, oder: „Volksverhetzung“ auf dem Schützenfest?

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Und im zweiten Posting spielen dann das Lied/die Melodie „L’amour toujours“ eine Rolle und der dazu gewählte Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Das war auf einem Schützenfest „gesungen“ (?) worden. Die Staatsanwaltschaft hatte deswegen gegen die zur Tatzeit 16 bzw. 17 Jahre alten Angeschuldigten Anklage wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zum Jugendrichter burg erhoben. Der hatte die Eröffnung des Verfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das jedoch beim LG Oldenburg mit dem LG Oldenburg, Beschl. v. 12.12.2024 – 6 Qs 160 Js 40980/24 (55/24) jug . – keinen Erfolg hatte:

„Die Entscheidung des Amtsgerichts ist auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden. Sie hat mit umfangreicher und abgewogener Argumentation zutreffend dargetan, dass im vorliegenden Fall unter den konkreten Bedingungen aus rechtlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht im Hinblick auf eine Strafbarkeit gem. § 130 Abs. 1 StGB besteht.

Durch die Verwendung der streitgegenständlichen Äußerung im Rahmen der gegebenen Umstände liegt unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen geschützten Meinungsfreiheit weder ein strafbares Aufstacheln zum Hass noch eine strafbare Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen vor.

Nach gesicherter Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.), fallen Äußerungen wie die hier streitgegenständliche in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Meinung ist jedes Werturteil, gleichgültig, worauf es sich bezieht und welchen Inhalt es hat; es ist auch unerheblich, ob die Meinung vernünftig oder unvernünftig, wertvoll oder wertlos ist. Die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist ohne Weiteres als wertende Stellungnahme und damit als Meinung zu qualifizieren. Als solche genießt sie den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verliert diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert wird. Geschützt sind damit durchaus auch rechtsextremistische Meinungen, das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, denn es findet seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen unzweifelhaft auch § 130 StGB zählt.

Aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsfreiheit sind die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung ihrerseits wiederum einschränkend auszulegen (sog. Wechselwirkungslehre) und im Falle der Mehrdeutigkeit einer Äußerung ist bei der Gesetzesanwendung die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, a.a.O.; Beschl. v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08).

Der BGH (Urt. v. 03.04.2008 – 3 StR 394/07; Urt. v. 15.03.1994 – 1 StR 179/93; Urt. v. 19.01.1989 – 1 StR 641/88) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass allein die Verletzung der Ehre einer Person nicht als ein Angriff auf die Menschenwürde einzuordnen ist, weil dies nicht ohne Weiteres den Achtungsanspruch des anderen als Mensch abspricht. Es ist vielmehr erforderlich, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit und nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richten. Dies hat das BVerfG (Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.) für die Anwendung von § 130 StGB a.F. gebilligt und nicht beanstandet. Es hat vielmehr festgestellt, dass bei der Subsumtion der Parole „Ausländer raus“ unter den Volksverhetzungstatbestand grundsätzlich eine restriktive Auslegung vorzunehmen ist, indem nur unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde auszugehen ist.

Unter den konkreten Bedingungen ist danach die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden, denn weder rechtfertigt der konkrete Wortlaut der relevanten Äußerung ein Abweichen von den einschlägigen Entscheidungen noch erscheint es angezeigt, aktuell aufgrund des Zeitablaufs eine andere Beurteilung vorzunehmen. Vor allem rechtfertigt nicht die von der Beschwerdeführerin bemühte Herkunft der Formulierung eine neue Bewertung, selbst wenn sich die früher typischen Erscheinungsmerkmale rechtsradikaler Erscheinung (etwa Bomberjacke, Glatze, Springerstiefel, Fackelmärsche usw.) geändert haben mögen. Auch im Hinblick auf die hier relevante Äußerung ist davon auszugehen, dass der Tatbestand der Volksverhetzung durch Aufstachelung zum Hass regelmäßig allein beim Hinzutreten weiterer Umstände wie bedrohliches Auftreten, einer Bezugnahme auf den Nationalsozialismus oder sonstiges rassistisches Gedankengut oder Verächtlichmachen der betroffenen Bevölkerungsgruppe erfüllt ist (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.11.2001 – 1 Ss 52/01; LG Magdeburg, Urt. v. 09.08.20217 – 26 Ns 3/17; AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341; Fischer, a.a.O., Rn. 9, 10a m.w.N.). Daran fehlt es aber hier in jeglicher Hinsicht, was bekanntlich auch die Staatsanwaltschaft veranlasst hat, in ihrer Verfügung vom 24.06.2024 selbst darauf hinzuweisen, dass singende Menschen auf Partys, Feiern und Volksfesten, die regelmäßig mit einer gelöst-fröhlichen Stimmung in Verbindung gebracht werden, gerade keinen offensichtlich aggressiven, nationalistischen und ausländerfeindlichen Eindruck erwecken.

Unter den hier relevanten Bedingungen können die Äußerungen „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ auch bei ihrer gemeinsamen Verwendung nach ihrem objektiven, durch Auslegung unter Berücksichtigung aller hierfür bedeutsamen Umstände zu ermittelnden Erklärungswert nur als Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, verstanden werden. Dass durch die Äußerung der vorgenannten Parolen zugleich auch eine gewaltsame und willkürliche Vertreibung propagiert wird und die Äußerung auch deshalb als Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen verstanden werden muss, ist nicht zwingend. Wie bereits dargestellt, müssen Meinungen im Sinne und zum Schutz der Meinungsfreiheit gerade meinungsfreundlich ausgelegt werden. Es kann gerade ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht einfach unterstellt werden, dass eine Entfernung von Ausländern etwa mit unzulässigen Mitteln oder unter Gefährdung des öffentlichen Friedens angestrebt wird. Denn selbst bei feindseligen Parolen wie „Ausländer raus“ drängt sich dem objektiven Empfänger eine konkludente Aufforderung zu Willkürmaßnahmen als unabweisbare Schlussfolgerung nicht auf (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Dabei ist entgegen der Beschwerdebegründung in der Gesamtschau durchaus auch zu berücksichtigen, dass sich das fragliche Geschehen im Festzelt eines Schützenfestes zugetragen hat und die beiden jugendlichen Angeschuldigten zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht unerheblich alkoholisiert waren.

2. Ohnehin hat sich auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht aufgedrängt, dass es hier dem Wohl der Angeschuldigten dienen würde, bereits vor Vorliegen eines Jugendgerichtshilfeberichts Anklage zu erheben. Eine bloße Vereinbarkeit mit dem Wohl des Jugendlichen allein reicht nicht aus, vielmehr muss die Anklageerhebung ohne vorherigen Bericht das Kindeswohl gerade fördern, d.h. wenn hierdurch nicht nur ganz unerhebliche Belastungen vermieden werden (vgl. BeckOK JGG/Gertler, 34. Ed. 1.8.2024, § 46a Rn. 7). Abzuwägen sind demnach regelmäßig die jeweiligen Vor- und Nachteile, die sich aus der Vorlage des Berichts vor der Entscheidung über die Anklageerhebung ergeben können. Dies können namentlich auch die Anregung der Jugendgerichtshilfe sein, das Verfahren gem. § 45 einzustellen (BT-Drs. 19/13837, 53), oder sonstige Umstände, die für ein Absehen von der Anklageerhebung sprechen könnten (BeckOK JGG/Gertler, a.a.O. Rn. 9). Dies gilt hier umso mehr, als die Polizei mit beiden Angeschuldigten im Rahmen der verantwortlichen Beschuldigtenvernehmung bereits ein erzieherisches Gespräch durchgeführt hat, bei dem diese sich einsichtig gezeigt und glaubhaft versichert haben, sich von derartigen Äußerungen zu distanzieren und zukünftig unterlassen zu wollen.“

StGB I: Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“, oder: Störung des öffentlichen Friedens

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Und am zweiten Tag der ersten „normalen“ Woche 2025 geht es dann gleich mit schweree (?) Kost weiter, nämlich dreimal etwas zur Volksverhetzung.

Ich beginne mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.11.2024 – Ws 1076/24. Über den Beschluss ist ja auch schon anderweitig berichtet worden. Das ist die Entscheidung, in der das OLG zu dem Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“ und zur der Frage Stellung genommen hat, ob sich mit dessen Verwendung der Anfangsverdacht einer Volksverhetzung begünden lässt.

Zugrunde liegt dem Verfahren die Strafanzeige eines Rechtsanwaltes – laut Briefkopf „Bundesrichter a.D.“. Der hat einer unbekannten Frau zur Last gelegt, bei einer Veranstaltung des „Feministischen Funparks“ der Verdi-Frauen am 08.03.2024 auf dem Kornmarkt in Nürnberg auf eine Pappwand, die mit zahlreichen Sprüchen und Parolen versehen war und dem Zweck diente, dass Frauen ihre Unzufriedenheit schriftlich äußern konnten, den Spruch „Alte, weiße Männer stinken“ geschrieben zu haben, worüber der Bayerische Rundfunk in der Frankenschau am 08.03.2024 berichtete. Der Anzeigeerstatter sieht hierin eine Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu seinem Nachteil, da es sich bei ihm um einen 67 Jahre alten, weißen Mann handele. Er fordert die Ermittlung der Identität der unbekannten Frau und deren strafrechtliche Verfolgung durch Vernehmung einer bei der Veranstaltung anwesenden, namentlich bekannten Zeugin.

Das OLG sagt mit der Generalstaatsanwaltschaft im Klageerzwingungsverfahren:

„b) Es besteht kein Anfangsverdacht dafür, dass sich die angezeigte Frau der Volksverhetzung nach § 130 StGB schuldig gemacht hat. Die angezeigte Handlung ist schon nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, so dass es auf das Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 1 StGB nicht ankommt.

aa) Der öffentliche Friede umfasst den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben.

Bei § 130 StGB ist darüber hinaus zu beachten, dass zu dem öffentlichen Frieden auch ein Mindestmaß an Toleranz und ein öffentliches Klima gehört, das nicht durch Unruhe, Unfrieden oder Unsicherheit gekennzeichnet ist. Daher fällt die Gewährleistung von Friedlichkeit unter den öffentlichen Frieden, nicht aber der Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien. Der öffentliche Friede in diesem umfassenden Sinne kann zum einen durch eine infolge des Hervorrufens offener oder latenter Gewaltpotentiale entstandene Erschütterung des Vertrauens in die allgemeine Rechtssicherheit, vor allem auch durch die Verminderung des Sicherheitsgefühls des angegriffenen Teils der Bevölkerung, und zum anderen durch ein Aufhetzen des Publikums und der dadurch begründeten Gefahr weiterer Übergriffe beeinträchtigt werden. Eine Störung des öffentlichen Friedens kann insbesondere bereits durch die Vergiftung des öffentlichen Klimas eintreten, wenn etwa bestimmte Bevölkerungsteile ausgegrenzt und entsprechend behandelt werden, indem ihren Angehörigen pauschal der sittliche, personale oder soziale Geltungswert abgesprochen wird und sie unter Umständen durch den Angriff auf ihre Menschenwürde als „Unperson“ diffamiert werden.

Der öffentliche Friede muss durch die Tat einerseits nicht wirklich gestört oder auch nur konkret gefährdet werden. Erforderlich ist aber eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; diese darf nicht nur abstrakt bestehen. Die Tat ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie nach Art und Inhalt der tatbestandserheblichen Äußerung sowie den sonstigen relevanten konkreten Umständen des Falles derart beschaffen ist, dass bei einer Gesamtwürdigung die Besorgnis gerechtfertigt ist, es werde zu einer Friedensstörung kommen. Aus der Sicht eines objektiven Beobachters muss auf Grund konkreter Umstände eine begründete Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Auflage 2021, StGB § 130 Rn. 22f, beck-online).

bb) Die Prüfung, ob eine Handlung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ist anhand verschiedener Kriterien vorzunehmen, wobei in erster Linie auf den Inhalt sowie die Intensität des Angriffs abzustellen ist (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 130 Rn. 24, beck-online). Dabei ist die Staatsanwaltschaft zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall ist. Das Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“, das im Rahmen einer feministischen Veranstaltung gebraucht wurde, ist nicht im direkten Wortsinn, sondern im übertragenen Sinn als Beitrag zu einer breit geführten gesellschaftlichen Diskussion zu verstehen, ohne dass damit der öffentliche Frieden gestört werden könnte.

(1.) Der Begriff „alte weiße Männer“ findet in Deutschland seit 2012 Verwendung und man versteht darunter weiße Männer, die in einer Zeit aufgewachsen sind, in der sie aufgrund ihres Weiß- und Männlich-Seins gesellschaftliche Privilegien genossen haben, die diese Privilegien und die Diskriminierung von z. B. Frauen und People of Color aber verleugnen und somit die Gleichberechtigung aller Menschen behindern (https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_weiße_Männer, abgerufen am 27.11.2024). Der Begriff ist auch Gegenstand verschiedener Abhandlungen in Wissenschaft und Literatur. So äußert die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky, Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie /Gender-Studies an der Ludwig-Maximilian-Universität München, dass „Alter weißer Mann“ kein wissenschaftlicher Begriff sei, es sich vielmehr um ein Etikett oder Label handele, das im Moment viel genutzt werde, um in verkürzter und stereotyper Art und Weise ein bestimmtes Mindset, eine bestimmte Mentalität auf den Punkt zu bringen. Hinter der Figur des alten weißen Mannes stehe die Auseinandersetzung mit einer strukturellen und sehr tiefgehenden Geschichte von Gewalt, von Ausgrenzung, von Diskriminierung (https://www.deutschlandfunkkultur.de/alter-weisser-mann-patriarchat-woke-102.html, abgerufen am 27.11.2024). Dieses Verständnis des Begriffs hat auch in der breiten Bevölkerung Einzug gehalten. So ist unlängst der Film „Alter weißer Mann“ in den deutschen Kinos erschienen, der sich als Komödie mit dieser Thematik auseinandersetzt.

(2.) Es liegt somit auf der Hand, dass mit der Verwendung des Schlagworts „Alte weiße Männer stinken“ kurz und bündig ein Diskussionsbeitrag zur dargestellten Thematik geleistet werden sollte, ohne dass damit ernsthaft die Gruppe der „alten weißen Männer“ ausgegrenzt oder als im echten Wortsinn als „stinkend“ bezeichnet werden soll. Die Parole richtet sich nicht gegen den Bevölkerungsteil der betagten Männer weißer Hautfarbe.

Mit dem Schlagwort werden auch keine konkreten Maßnahmen gegen „alte weiße Männer“ verbunden. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Bescheid vom 22.10.2024 zutreffend ausführt, ist auch nicht erkennbar, dass es sich bei den „alten weißen Männern“ um eine besonders vulnerable Gruppe handelt, die in der Gesellschaft eine besonders gefährdete Position innehat oder die Opfer offener oder latenter Übergriffe ist.Im Ergebnis handelt es sich somit bei dem bei einer feministischen Veranstaltung neben weiteren Beiträgen geschriebenen Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“ um einen zugespitzten Beitrag zu dem derzeit geführten gesellschaftlichen Diskurs aus Sicht der unbekannten Teilnehmerin, an dem sich letztlich auch der Anzeigeerstatter mit seiner Strafanzeige beteiligt hat. Eine Störung des öffentlichen Friedens ist dadurch aber nicht zu befürchten.“

Wenn ich solche Verfahren sehe, bin ich froh, dass ich damit nichts (mehr) zu tun habe. 🙂