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StGB III: Tatbestandsmerkmal des „Verbreitens“, oder: Versand an eine Behörde ist nicht immer „Verbreiten“

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Und dann als letzte Entscheidung noch ein BGH-Urteil, und zwar das BGH, Urt. v. 25.09.2024 – 3 StR 32/24 -, in dem der BGH zum Verbreiten i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB Stellung genommen hat.

Das LG hat die Angeklagte vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom GBA vertreten wird.

In seiner Entscheidung hatte das LG folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Die bereits zweifach wegen Volksverhetzungsdelikten zu Freiheitsstrafen verurteilte Angeklagte schickte im Oktober 2021 per Telefax ein 339-seitiges Schreiben an das Finanzamt M. zu sie betreffenden Steuernummern. Zu Beginn des Schreibens führte sie aus, dass drei im Vormonat ergangene Bescheide weder sachlich noch rechtlich berechtigt seien. Darüber hinaus befasste sie sich unter anderem mit Corona-Maßnahmen und über mehr als fünfzig Seiten mit der „Verfolgung sogenannter „Holocaustleugner‘“. Hierbei stellte sie den geschichtlich anerkannten Holocaust mehrere Male bewusst in Abrede. An anderer Stelle schrieb sie: „Der Hinweis auf Verbrechen von Immigranten bzw. Ausländern gegenüber Deutschen, wird als ‚Haßrede‘ bezeichnet und u.U. wegen „Volksverhetzung‘“bestraft. Tatsache ist, daß von Immigranten bzw. Ausländern viele schwerwiegende Verbrechen begangen werden.“ Ferner diskreditierte sie bewusst und gewollt Menschen aus anderen Ländern pauschal als Straftäter und stellte sie gezielt aufgrund ihrer Herkunft in einen vermeintlichen Gegensatz zu deutschen Staatsangehörigen. Das Schreiben endete mit einem den Leser ansprechenden Absatz: „Soweit die ausführliche Begründung. Vielleicht sind Sie der Meinung, um die Hintergründe Ihrer Tätigkeit bräuchten Sie sich keine Gedanken zu machen, da dies nicht in Ihren ‚Zuständigkeitsbereich‘ fällt. […] Was sind Sie bereit, für Wahrheit und Recht und ein Leben in Freiheit einzusetzen?“

Die Angeklagte ging bei Einreichen des Schreibens davon aus, dass es als Einspruch behandelt werde und sich daher nur die mit dem Steuervorgang befassten Personen, namentlich der jeweilige Sachbearbeiter, gegebenenfalls ein Vertreter und Vorgesetzte, damit inhaltlich befassen könnten. Sie zielte darauf ab, durch den Umfang ihrer Ausführungen die Sachbearbeitung zu erschweren, und rechnete damit, dass das Schreiben nicht im vollständigen Wortlaut zur Kenntnis genommen, sondern nur kursorisch geprüft werde. Mit der Weitergabe an einen größeren Mitarbeiterkreis innerhalb des Finanzamts oder an Personen außerhalb der Behörde, möglicherweise abgesehen von weiteren Prüfungen durch Finanz- oder Strafverfolgungsorgane, rechnete sie weder, noch zielte sie darauf ab.

2. Die Strafkammer hat dies rechtlich dahin gewertet, dass die Angeklagte zwar den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord an den europäischen Juden als historische Tatsache geleugnet habe. Allerdings liege keine Tathandlung nach § 130 Abs. 3 oder Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung vor. Insbesondere fehle für ein Verbreiten die dazu erforderliche subjektive Komponente. Die Ausländer betreffende Äußerung unterfalle inhaltlich § 130 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c StGB, sei jedoch ebenfalls nicht verbreitet worden. Für eine Strafbarkeit fehle es im Übrigen auch an der Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören.“

Die Revision hatte beim BGH keinen Erfolg. Der folgt dem LG. Hier die Leitsätze zu der recht umfangreich begründeten Entscheidung:

1. Obschon bei der Übersendung eines Schreibens an eine Behörde einerseits nicht allgemein ausgeschlossen ist, dass der Absender eine breite Streuung – gegebenenfalls bloß innerhalb der Behörde – beabsichtigt und mithin ein Verbreiten i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB gegeben sein kann, führt dies andererseits nicht dazu, den Versand an eine Behörde regelmäßig als Verbreitung zu bewerten. Entscheidend sind vielmehr die im Einzelfall getroffenen Feststellungen.

2. Kommt es dem Verfasser eines Schreibens nicht auf die Weitergabe an andere Personen als den Empfänger an, muss es sich zur Erfüllung des Bestandsmerkmal des Verbreitens bei den von ihm für möglich gehaltenen Empfängern um eine nicht mehr zu kontrollierende Personenzahl handeln.

3. Die Möglichkeit, dass einer der Empfänger eines Schreibens den Inhalt zur Prüfung der Strafbarkeit an Strafverfolgungsbehörden weiterleitet, eröffnet – zumindest ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände – keinen unkontrollierbaren Empfängerkreis.

StGB II: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, oder: „Volksverhetzung“ auf dem Schützenfest?

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Und im zweiten Posting spielen dann das Lied/die Melodie „L’amour toujours“ eine Rolle und der dazu gewählte Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Das war auf einem Schützenfest „gesungen“ (?) worden. Die Staatsanwaltschaft hatte deswegen gegen die zur Tatzeit 16 bzw. 17 Jahre alten Angeschuldigten Anklage wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zum Jugendrichter burg erhoben. Der hatte die Eröffnung des Verfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das jedoch beim LG Oldenburg mit dem LG Oldenburg, Beschl. v. 12.12.2024 – 6 Qs 160 Js 40980/24 (55/24) jug . – keinen Erfolg hatte:

„Die Entscheidung des Amtsgerichts ist auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung nicht zu beanstanden. Sie hat mit umfangreicher und abgewogener Argumentation zutreffend dargetan, dass im vorliegenden Fall unter den konkreten Bedingungen aus rechtlichen Gründen kein hinreichender Tatverdacht im Hinblick auf eine Strafbarkeit gem. § 130 Abs. 1 StGB besteht.

Durch die Verwendung der streitgegenständlichen Äußerung im Rahmen der gegebenen Umstände liegt unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen geschützten Meinungsfreiheit weder ein strafbares Aufstacheln zum Hass noch eine strafbare Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen vor.

Nach gesicherter Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.), fallen Äußerungen wie die hier streitgegenständliche in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Meinung ist jedes Werturteil, gleichgültig, worauf es sich bezieht und welchen Inhalt es hat; es ist auch unerheblich, ob die Meinung vernünftig oder unvernünftig, wertvoll oder wertlos ist. Die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ist ohne Weiteres als wertende Stellungnahme und damit als Meinung zu qualifizieren. Als solche genießt sie den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verliert diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert wird. Geschützt sind damit durchaus auch rechtsextremistische Meinungen, das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet, denn es findet seine Schranken unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen unzweifelhaft auch § 130 StGB zählt.

Aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes der Meinungsfreiheit sind die allgemeinen Gesetze in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung ihrerseits wiederum einschränkend auszulegen (sog. Wechselwirkungslehre) und im Falle der Mehrdeutigkeit einer Äußerung ist bei der Gesetzesanwendung die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen (vgl. BVerfG, a.a.O.; Beschl. v. 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08).

Der BGH (Urt. v. 03.04.2008 – 3 StR 394/07; Urt. v. 15.03.1994 – 1 StR 179/93; Urt. v. 19.01.1989 – 1 StR 641/88) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass allein die Verletzung der Ehre einer Person nicht als ein Angriff auf die Menschenwürde einzuordnen ist, weil dies nicht ohne Weiteres den Achtungsanspruch des anderen als Mensch abspricht. Es ist vielmehr erforderlich, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit und nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richten. Dies hat das BVerfG (Beschl. v. 04.02.2010 – 1 BvR 369/04 m.w.N.) für die Anwendung von § 130 StGB a.F. gebilligt und nicht beanstandet. Es hat vielmehr festgestellt, dass bei der Subsumtion der Parole „Ausländer raus“ unter den Volksverhetzungstatbestand grundsätzlich eine restriktive Auslegung vorzunehmen ist, indem nur unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde auszugehen ist.

Unter den konkreten Bedingungen ist danach die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden, denn weder rechtfertigt der konkrete Wortlaut der relevanten Äußerung ein Abweichen von den einschlägigen Entscheidungen noch erscheint es angezeigt, aktuell aufgrund des Zeitablaufs eine andere Beurteilung vorzunehmen. Vor allem rechtfertigt nicht die von der Beschwerdeführerin bemühte Herkunft der Formulierung eine neue Bewertung, selbst wenn sich die früher typischen Erscheinungsmerkmale rechtsradikaler Erscheinung (etwa Bomberjacke, Glatze, Springerstiefel, Fackelmärsche usw.) geändert haben mögen. Auch im Hinblick auf die hier relevante Äußerung ist davon auszugehen, dass der Tatbestand der Volksverhetzung durch Aufstachelung zum Hass regelmäßig allein beim Hinzutreten weiterer Umstände wie bedrohliches Auftreten, einer Bezugnahme auf den Nationalsozialismus oder sonstiges rassistisches Gedankengut oder Verächtlichmachen der betroffenen Bevölkerungsgruppe erfüllt ist (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.11.2001 – 1 Ss 52/01; LG Magdeburg, Urt. v. 09.08.20217 – 26 Ns 3/17; AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341; Fischer, a.a.O., Rn. 9, 10a m.w.N.). Daran fehlt es aber hier in jeglicher Hinsicht, was bekanntlich auch die Staatsanwaltschaft veranlasst hat, in ihrer Verfügung vom 24.06.2024 selbst darauf hinzuweisen, dass singende Menschen auf Partys, Feiern und Volksfesten, die regelmäßig mit einer gelöst-fröhlichen Stimmung in Verbindung gebracht werden, gerade keinen offensichtlich aggressiven, nationalistischen und ausländerfeindlichen Eindruck erwecken.

Unter den hier relevanten Bedingungen können die Äußerungen „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ auch bei ihrer gemeinsamen Verwendung nach ihrem objektiven, durch Auslegung unter Berücksichtigung aller hierfür bedeutsamen Umstände zu ermittelnden Erklärungswert nur als Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, verstanden werden. Dass durch die Äußerung der vorgenannten Parolen zugleich auch eine gewaltsame und willkürliche Vertreibung propagiert wird und die Äußerung auch deshalb als Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen verstanden werden muss, ist nicht zwingend. Wie bereits dargestellt, müssen Meinungen im Sinne und zum Schutz der Meinungsfreiheit gerade meinungsfreundlich ausgelegt werden. Es kann gerade ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht einfach unterstellt werden, dass eine Entfernung von Ausländern etwa mit unzulässigen Mitteln oder unter Gefährdung des öffentlichen Friedens angestrebt wird. Denn selbst bei feindseligen Parolen wie „Ausländer raus“ drängt sich dem objektiven Empfänger eine konkludente Aufforderung zu Willkürmaßnahmen als unabweisbare Schlussfolgerung nicht auf (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Dabei ist entgegen der Beschwerdebegründung in der Gesamtschau durchaus auch zu berücksichtigen, dass sich das fragliche Geschehen im Festzelt eines Schützenfestes zugetragen hat und die beiden jugendlichen Angeschuldigten zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht unerheblich alkoholisiert waren.

2. Ohnehin hat sich auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht aufgedrängt, dass es hier dem Wohl der Angeschuldigten dienen würde, bereits vor Vorliegen eines Jugendgerichtshilfeberichts Anklage zu erheben. Eine bloße Vereinbarkeit mit dem Wohl des Jugendlichen allein reicht nicht aus, vielmehr muss die Anklageerhebung ohne vorherigen Bericht das Kindeswohl gerade fördern, d.h. wenn hierdurch nicht nur ganz unerhebliche Belastungen vermieden werden (vgl. BeckOK JGG/Gertler, 34. Ed. 1.8.2024, § 46a Rn. 7). Abzuwägen sind demnach regelmäßig die jeweiligen Vor- und Nachteile, die sich aus der Vorlage des Berichts vor der Entscheidung über die Anklageerhebung ergeben können. Dies können namentlich auch die Anregung der Jugendgerichtshilfe sein, das Verfahren gem. § 45 einzustellen (BT-Drs. 19/13837, 53), oder sonstige Umstände, die für ein Absehen von der Anklageerhebung sprechen könnten (BeckOK JGG/Gertler, a.a.O. Rn. 9). Dies gilt hier umso mehr, als die Polizei mit beiden Angeschuldigten im Rahmen der verantwortlichen Beschuldigtenvernehmung bereits ein erzieherisches Gespräch durchgeführt hat, bei dem diese sich einsichtig gezeigt und glaubhaft versichert haben, sich von derartigen Äußerungen zu distanzieren und zukünftig unterlassen zu wollen.“

StGB I: Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“, oder: Störung des öffentlichen Friedens

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Und am zweiten Tag der ersten „normalen“ Woche 2025 geht es dann gleich mit schweree (?) Kost weiter, nämlich dreimal etwas zur Volksverhetzung.

Ich beginne mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 28.11.2024 – Ws 1076/24. Über den Beschluss ist ja auch schon anderweitig berichtet worden. Das ist die Entscheidung, in der das OLG zu dem Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“ und zur der Frage Stellung genommen hat, ob sich mit dessen Verwendung der Anfangsverdacht einer Volksverhetzung begünden lässt.

Zugrunde liegt dem Verfahren die Strafanzeige eines Rechtsanwaltes – laut Briefkopf „Bundesrichter a.D.“. Der hat einer unbekannten Frau zur Last gelegt, bei einer Veranstaltung des „Feministischen Funparks“ der Verdi-Frauen am 08.03.2024 auf dem Kornmarkt in Nürnberg auf eine Pappwand, die mit zahlreichen Sprüchen und Parolen versehen war und dem Zweck diente, dass Frauen ihre Unzufriedenheit schriftlich äußern konnten, den Spruch „Alte, weiße Männer stinken“ geschrieben zu haben, worüber der Bayerische Rundfunk in der Frankenschau am 08.03.2024 berichtete. Der Anzeigeerstatter sieht hierin eine Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu seinem Nachteil, da es sich bei ihm um einen 67 Jahre alten, weißen Mann handele. Er fordert die Ermittlung der Identität der unbekannten Frau und deren strafrechtliche Verfolgung durch Vernehmung einer bei der Veranstaltung anwesenden, namentlich bekannten Zeugin.

Das OLG sagt mit der Generalstaatsanwaltschaft im Klageerzwingungsverfahren:

„b) Es besteht kein Anfangsverdacht dafür, dass sich die angezeigte Frau der Volksverhetzung nach § 130 StGB schuldig gemacht hat. Die angezeigte Handlung ist schon nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, so dass es auf das Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 1 StGB nicht ankommt.

aa) Der öffentliche Friede umfasst den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben.

Bei § 130 StGB ist darüber hinaus zu beachten, dass zu dem öffentlichen Frieden auch ein Mindestmaß an Toleranz und ein öffentliches Klima gehört, das nicht durch Unruhe, Unfrieden oder Unsicherheit gekennzeichnet ist. Daher fällt die Gewährleistung von Friedlichkeit unter den öffentlichen Frieden, nicht aber der Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien. Der öffentliche Friede in diesem umfassenden Sinne kann zum einen durch eine infolge des Hervorrufens offener oder latenter Gewaltpotentiale entstandene Erschütterung des Vertrauens in die allgemeine Rechtssicherheit, vor allem auch durch die Verminderung des Sicherheitsgefühls des angegriffenen Teils der Bevölkerung, und zum anderen durch ein Aufhetzen des Publikums und der dadurch begründeten Gefahr weiterer Übergriffe beeinträchtigt werden. Eine Störung des öffentlichen Friedens kann insbesondere bereits durch die Vergiftung des öffentlichen Klimas eintreten, wenn etwa bestimmte Bevölkerungsteile ausgegrenzt und entsprechend behandelt werden, indem ihren Angehörigen pauschal der sittliche, personale oder soziale Geltungswert abgesprochen wird und sie unter Umständen durch den Angriff auf ihre Menschenwürde als „Unperson“ diffamiert werden.

Der öffentliche Friede muss durch die Tat einerseits nicht wirklich gestört oder auch nur konkret gefährdet werden. Erforderlich ist aber eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; diese darf nicht nur abstrakt bestehen. Die Tat ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie nach Art und Inhalt der tatbestandserheblichen Äußerung sowie den sonstigen relevanten konkreten Umständen des Falles derart beschaffen ist, dass bei einer Gesamtwürdigung die Besorgnis gerechtfertigt ist, es werde zu einer Friedensstörung kommen. Aus der Sicht eines objektiven Beobachters muss auf Grund konkreter Umstände eine begründete Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern, sei es auch nur bei der Bevölkerungsgruppe, gegen die er sich richtet (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Auflage 2021, StGB § 130 Rn. 22f, beck-online).

bb) Die Prüfung, ob eine Handlung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ist anhand verschiedener Kriterien vorzunehmen, wobei in erster Linie auf den Inhalt sowie die Intensität des Angriffs abzustellen ist (MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 130 Rn. 24, beck-online). Dabei ist die Staatsanwaltschaft zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall ist. Das Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“, das im Rahmen einer feministischen Veranstaltung gebraucht wurde, ist nicht im direkten Wortsinn, sondern im übertragenen Sinn als Beitrag zu einer breit geführten gesellschaftlichen Diskussion zu verstehen, ohne dass damit der öffentliche Frieden gestört werden könnte.

(1.) Der Begriff „alte weiße Männer“ findet in Deutschland seit 2012 Verwendung und man versteht darunter weiße Männer, die in einer Zeit aufgewachsen sind, in der sie aufgrund ihres Weiß- und Männlich-Seins gesellschaftliche Privilegien genossen haben, die diese Privilegien und die Diskriminierung von z. B. Frauen und People of Color aber verleugnen und somit die Gleichberechtigung aller Menschen behindern (https://de.wikipedia.org/wiki/Alte_weiße_Männer, abgerufen am 27.11.2024). Der Begriff ist auch Gegenstand verschiedener Abhandlungen in Wissenschaft und Literatur. So äußert die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky, Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie /Gender-Studies an der Ludwig-Maximilian-Universität München, dass „Alter weißer Mann“ kein wissenschaftlicher Begriff sei, es sich vielmehr um ein Etikett oder Label handele, das im Moment viel genutzt werde, um in verkürzter und stereotyper Art und Weise ein bestimmtes Mindset, eine bestimmte Mentalität auf den Punkt zu bringen. Hinter der Figur des alten weißen Mannes stehe die Auseinandersetzung mit einer strukturellen und sehr tiefgehenden Geschichte von Gewalt, von Ausgrenzung, von Diskriminierung (https://www.deutschlandfunkkultur.de/alter-weisser-mann-patriarchat-woke-102.html, abgerufen am 27.11.2024). Dieses Verständnis des Begriffs hat auch in der breiten Bevölkerung Einzug gehalten. So ist unlängst der Film „Alter weißer Mann“ in den deutschen Kinos erschienen, der sich als Komödie mit dieser Thematik auseinandersetzt.

(2.) Es liegt somit auf der Hand, dass mit der Verwendung des Schlagworts „Alte weiße Männer stinken“ kurz und bündig ein Diskussionsbeitrag zur dargestellten Thematik geleistet werden sollte, ohne dass damit ernsthaft die Gruppe der „alten weißen Männer“ ausgegrenzt oder als im echten Wortsinn als „stinkend“ bezeichnet werden soll. Die Parole richtet sich nicht gegen den Bevölkerungsteil der betagten Männer weißer Hautfarbe.

Mit dem Schlagwort werden auch keine konkreten Maßnahmen gegen „alte weiße Männer“ verbunden. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Bescheid vom 22.10.2024 zutreffend ausführt, ist auch nicht erkennbar, dass es sich bei den „alten weißen Männern“ um eine besonders vulnerable Gruppe handelt, die in der Gesellschaft eine besonders gefährdete Position innehat oder die Opfer offener oder latenter Übergriffe ist.Im Ergebnis handelt es sich somit bei dem bei einer feministischen Veranstaltung neben weiteren Beiträgen geschriebenen Schlagwort „Alte weiße Männer stinken“ um einen zugespitzten Beitrag zu dem derzeit geführten gesellschaftlichen Diskurs aus Sicht der unbekannten Teilnehmerin, an dem sich letztlich auch der Anzeigeerstatter mit seiner Strafanzeige beteiligt hat. Eine Störung des öffentlichen Friedens ist dadurch aber nicht zu befürchten.“

Wenn ich solche Verfahren sehe, bin ich froh, dass ich damit nichts (mehr) zu tun habe. 🙂

StGB III: „Corona-Impf-Nachbereitungsbeschluss“, oder: Politikerverleumdung

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Und dann habe ich hier noch den OLG Celle, Beschl. v. 24.07.2024 – 1 ORs 19/24. Es handelt sich um eine „Corona-Impf-Nachbereitungsentscheidung“.

Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verleumdung einer Person des politischen Lebens schuldig gesprochen. Die Verurteilung betraf eine Tat vom 18.12.2021, bei der der Angeklagte in seinem öffentlich einsehbaren Telegram-Kanal ein Pressefoto, das den Bundesgesundheitsminister als Impfarzt bei einer Covid-19-Impfung zeigt, veröffentlicht und mit der Textzeile „Dr. J. M., 1943, nachkoloriert“ kommentierte hatte. Die Revision des Angeklagten hatte insoweit Erfolg:

1. Der Schuldspruch wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Es begegnet im Ausgangspunkt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht in dem veröffentlichten Kommentar des Angeklagten eine Verharmlosung des Holocaust erblickt hat. Rechtsfehler weist die vom Landgericht vorgenommene und ausführlich begründete Auslegung der Äußerung nicht auf. Das Revisionsgericht hat insofern eine vertretbare Auslegung durch den Tatrichter grundsätzlich hinzunehmen, auch wenn ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen mag (OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. November 2023 – 7 ORs 27/23 –, Rn. 11, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Juni 2023 – III-5 ORs 34/23 –, Rn. 14, juris).

b) Die Feststellungen des Landgerichts tragen aber nicht die Annahme, dass die Äußerung des Angeklagten geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist in Fällen der Verharmlosung des Holocaust dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht. Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 –, Rn. 24 – 27, juris).

Hieran gemessen belegen die Feststellungen des Landgerichts nicht, dass die Äußerung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet war. Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Darstellung konkret geeignet sei, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und die Abonnenten des vom Angeklagten betriebenen Telegram-Kanals zu einem rechtswidrigen (?) Protest aufzurufen, gehen die so beschriebenen Wirkungen letztlich nicht über eine Beeinflussung des geistigen politischen Klimas hinaus. Auch die Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung, dass die Äußerung geeignet gewesen sei, bei Sympathisanten Aggressionen hervorzurufen und sie zu einem Tätigwerden gegen diejenigen zu veranlassen, die als Urheber oder Verantwortliche von Impfungen angesehen werden, genügen für die Annahme einer Eignung zur Friedensstörung im oben beschriebenen Sinne nicht. Ungeachtet der Frage des Vorsatzes lassen diese abstrakten Formulierungen offen, welcher Art das Tätigwerden der nicht näher bezeichneten Sympathisanten sein sollte.

Es ist dem Senat im Revisionsverfahren verwehrt, die insoweit lückenhaften Feststellungen zu ergänzen. Das Tatgericht muss insoweit eigene Feststellungen treffen und diese bei seiner Beweiswürdigung zudem tragfähig belegen. Aufgrund der tatbestandsbegrenzenden Funktion der Eignung zur Friedensstörung und im Hinblick auf die Bedeutung der freien Meinungsäußerung und des friedlichen Protestes für die freiheitliche Demokratie würde es sich verbieten, jeder provokanten Beeinflussung der öffentlichen Diskussion ohne weiteres eine Eignung zur Auslösung rechtsgutgefährdender Folgen zuzusprechen.

2. Der Schuldspruch wegen Verleumdung einer Person des politischen Lebens gemäß §§ 187, 188 Abs. 2 StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben.

a) Die Annahme des Landgerichts, dass es bei dem Vergleich des Bundesgesundheitsministers mit dem nationalsozialistischen Lagerarzt Mengele um eine Tatsachenbehauptung im Sinne des § 187 StGB handelt, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der Vergleich stellt ein Werturteil dar, das nicht dem Anwendungsbereich des § 187 StGB, sondern dem des § 185 StGB unterfällt.

Tatsachen gemäß § 187 StGB sind konkrete Geschehnisse oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind (MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 187 Rn. 7). Sie sind – wie auch das Landgericht im Ausgangspunkt nicht verkennt – zu unterscheiden von Werturteilen im Sinne von Meinungen, die durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind (OLG Celle, Urteil vom 27. März 2015 – 31 Ss 9/15 –, Rn. 34, juris). Je nach Äußerung kann eine klare Abgrenzung dabei schwierig sein; notwendig für die Annahme einer Tatsachenbehauptung ist aber eine eigene substantiierte, konkret greifbare Behauptung des Äußernden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, juris). An einer solchen Tatsachenbasis fehlt es, wenn der Äußernde lediglich eine plakative Bewertung von tatsächlichen Umständen vornimmt (OLG Hamburg, Urteil vom 31-10-1991 – 3 U 22/91, beck-online) oder Vorgängen, denen nichts Ehrenrühriges anhaftet, einer abwegigen Wertung unterzieht (Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 185 StGB, Rn. 7).

Hieran gemessen stellt die Äußerung des Angeklagten ein Werturteil dar. Das Landgericht hat den Erklärungsgehalt des vom Angeklagten verfassten Kommentars gerade nicht rein wörtlich ausgelegt und ihm folglich nicht die tatsächliche Behauptung entnommen, dass es sich bei der Person auf dem Pressefoto um Josef Mengele handele. Stattdessen hat das Landgericht überzeugend festgestellt, dass der Angeklagte mit seinem Kommentar eine Gleichsetzung des Bundesgesundheitsministers mit Mengele vorgenommen hat. Diese Gleichsetzung enthält indes keinen eigenen greifbaren Tatsachenkern. Sie stellt eine plakative und abwegige Bewertung tatsächlicher Vorgänge dar, wird dadurch aber nicht selbst zu einer Tatsachenbehauptung im Sinne des § 187 StGB.

b) Die Feststellungen des Landgerichts belegen zudem nicht, dass die Äußerung des Angeklagten geeignet war, das öffentliche Wirken des Bundesgesundheitsministers erheblich zu erschweren (§ 188 Abs. 1 StGB).

Eine Erschwerung des öffentlichen Wirkens im Sinne des § 188 Abs. 1 StGB ist als Folge unterschiedlicher Reaktionen auf die Äußerung denkbar. Die Voraussetzung kann insbesondere erfüllt sein, wenn der Betroffene aufgrund einer Verleumdung als nicht mehr vertrauenswürdig erscheint (BGH, Urteil vom 26. Juni 1952 – 5 StR 382/52 –, BGHSt 3, 73; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 30. März 1989 – RReg 3 St 215/88 –, Rn. 54, juris; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 188 Rn. 6). Der Tatbestand ist aber nicht auf diese eine Ausprägung denkbarer Erschwernisse beschränkt. Es ist deshalb nicht grundsätzlich zu beanstanden, dass das Landgericht darauf abgestellt hat, die Darstellung des Angeklagten könne „Aggressionen bei Gleichgesinnten“ hervorrufen.

Die Offenheit des gesetzlichen Tatbestandes macht indes konkrete Feststellungen zu den denkbaren Auswirkungen der Äußerung und deren Bewertung durch das Tatgericht nicht entbehrlich. Denn § 188 StGB sanktioniert gerade nicht jede nach §§ 185-187 StGB strafbare Tat gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person mit einer gegenüber dem Regelstrafrahmen höhen Strafe, sondern greift als Qualifikation nur unter der zusätzlichen Voraussetzung ein, dass sich die Tat zur erheblichen Erschwerung der Tätigkeit der öffentlichen Person eignet. Gerade in dem zusätzlichen Erfordernis der Erheblichkeit einer solchen Erschwerung wird deutlich, dass diesem Erfordernis eine tatbestandsbegrenzende Funktion zukommt und dass die Anwendung des § 188 StGB eine Bewertung der Schwere der möglichen Tatfolgen erfordert.

Das angefochtene Urteil wird diesen Anforderungen nicht gerecht, sondern beschränkt sich insoweit auf den knappen, allgemein gehaltenen Verweis auf eine mögliche Aggressivierung, deren Auswirkungen auf das Wirken des betroffenen Bundesministers nicht ausgeführt werden.

3. Bezüglich der Tat vom 18. Dezember 2021 bedarf die Sache deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass das Landgericht aufgrund neuer Feststellungen erneut zu einer Verurteilung wegen dieser Tat gelangen wird. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird aber ggf. zu berücksichtigen haben, dass eine Beleidigung hier nur unter den Voraussetzungen des § 188 StGB auch ohne Strafantrag verfolgt werden kann (§ 194 Abs. 1 StGB). Sie wird zudem zu prüfen haben, ob die Äußerung tatsächlich bei einem Empfänger angekommen ist, was zumindest durch einen Lesezugriff erfolgt sein müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 – AK 33/19 –, Rn. 32, juris; BGH, Beschluss vom 12. November 2013 – 3 StR 322/13 –, Rn. 3, juris).

Bei der neuerlichen Prüfung des § 188 StGB ist auch zu berücksichtigen, dass die Auswirkungen einer Beleidigung nicht auf dieselbe Weise bestimmt werden können wie diejenigen einer Verleumdung. Zur Tatbestandsvariante der Verleumdung entspricht es der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass die Eignung zur Beeinträchtigung des öffentlichen Wirkens nur anhand des objektiven Inhalt der aufgestellten Behauptung zu bestimmen ist und es nicht auf die Art und den Umfang der Verbreitung oder auf die Größe des von der Behauptung erreichten Personenkreises ankommt (BGH, Urteil vom 8. 1. 1954 – 5 StR 611/53, beck-online; BayObLG, Urteil vom 30. März 1989 – RReg 3 St 215/88 –, Rn. 53, juris, jeweils zu § 187a StGB a. F.; zur a. A. der wohl überwiegenden Literatur Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 188 Rn. 6 m. w. N.). Auf die – erst zum 1. Januar 2021 eingeführte – Tatbestandsvariante der Beleidigung lässt sich diese Rechtsprechung nicht uneingeschränkt übertragen. Denn während von einer falschen Tatsachenbehauptung regelmäßig die Gefahr ausgeht, dass sie sich auf unüberschaubare Weise verbreitet und dadurch das Vertrauen in die Integrität des Betroffenen unterlaufen wird, ist dies bei einem beleidigenden Werturteil nicht ohne weiteres der Fall. Die möglichen Auswirkungen der Beleidigung werden deshalb nicht losgelöst von ihren Gesamtumständen – wie der Glaubwürdigkeit des Täters, der Art der Verbreitung und der Größe des erreichten Personenkreises – beurteilt werden können (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm a. a. O.).“

StGB III: „Ungeimpft“ „Judenstern“ während Corona, oder: „from the river to the sea – Palestine will be free“

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Und dann zum Abschluss des Tages noch zwei Entscheidungen, und zwar einmal aus der „Abteilung“ „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“, und zwar „§ 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ bzw. aus der „Abteilung“ „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“, und zwar  „§ 130 StGB – Volksverhetzung“. Von beiden Entscheidungen gibt es aber nur die Leitsätze, die doch rechtlangen Begründungen dann bitte ggf. in den verlinkten Volltexet selbst nachlesen.

Also:

1. Der Wortlaut des § 130 Abs. 3 StGB ist allein auf die Billigung, Leugnung und Verharmlosung von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Taten nach § 6 Abs. 1 VStGB bezogen und umfasst damit den Völkermord, nicht aber die weiteren dem Völkermord vorangegangenen Maßnahmen der Ausgrenzung, Schikanierung und Rechtlosstellung von Juden unter dem nationalsozialistischen Unrechtsregime.

2. Die Verwendung eines verfremdeten sogenannten Judensterns als Kritik an der Situation ungeimpfter Personen unter den Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (sogenannter Ungeimpft-Stern) verwirklicht nicht den Tatbestand einer Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB, wenn die Verwendung dieses Zeichens nach den tatrichterlichen Feststellungen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls auf Maßnahmen der Ausgrenzung, Schikanierung und Rechtlosstellung von Juden bezogen zu verstehen ist, nicht aber auf den an ihnen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord.

1. Es ist fraglich, ob es sich dem Slogan „from the river to the sea – Palestine will be free“ um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB handelt. Jedenfalls ermangelt es an einem hinreichenden Verdacht dahingehend, dass es sich hierbei um ein solches der HAMAS handelt.

2. Zur Strafbarkeit der Verwendung des Slogans „from the river to the sea – Palestine will be free“ “ (hier verneint)