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Corona III: „Ungeimpft“ auf dem „gelben Judenstern, oder: Vollsverhetzung? Es kommt darauf an.

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zur Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB) durch Verwendung des sog. (gelben)  Judensterns mit der Aufschrift „ungeimpft“. Ich stelle hier aber, da es zu der Problematik ja schon einiges an Rechtsprechung gibt, nur die Leitsätze vor, und zwar:

Es ist im Wege der Auslegung durch den Tatrichter festzustellen, ob sich die Verwendung eines sog. Judensterns mit der Aufschrift „Ungeimpft“ in sozialen Medien über die Gleichstellung der für Ungeimpfte mit den Maß-nahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einhergehenden Einschränkungen mit den durch die nationalsozialistische „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 verbundenen Beschränkungen hinaus auch als Verharmlosung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes i.S.d. § 6 VStGB darstellt.

Zur Frage der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, wenn im sozialen Netzwerk Facebook Profilbild eine Abbildung eines gelben Davidsterns, in dessen Mitte der Schriftzug „UNGEIMPFT“ steht sowie am oberen und unteren Bildrand der Zusatz: „Wieder soweit?“, verwendet wird.

Corona II: Judenstern mit Aufschrift „nicht geimpft“, oder: Keine Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung zum „Corona-Komplex“ dann noch das OLG Braunschweig, Urt. v. 07.09.2023 – 1 ORs 10/23 – ebenfalls zur Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil v. 01.08.August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen. Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

„„Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen …. eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift „NICHT GEIMPFT“ auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift „beginnen“ abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten „Judensterns“ aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.

Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als „Nazi“ betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem „Judenstern“ kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt.“

Dagegen die (Sprung)Revision der StA, die keinen Erfolg hatte. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des OLG ein und verweise wegen der Begründung auf den Volltext:

1. Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der „auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen“ zu trennen.

2. Die bloße Verwendung des „Ungeimpft-Sternes“ in einem – ggf. auch öffentlich zugänglichen – Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.

3. Anschluss: KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22); KG, Beschl. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22); OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.3.2021 – Ss 72/2020 (2/21)

Corona II: „Gelber Judenstern“ mit „NICHT GEIMPFT“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?

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Und als zweite Entscheidung aus dem Komplex „Corona“ hier der LG Würzburg, Beschl. v. 18.5.2022 – 1 Qs 80/22. Es geht um die Anordnung einer Durchsuchung bei einem Beschuldigten, einem Polizeibeamten im Ruhestand , der wohl der sog. „Querdenker-Szene“ zuzurechnen ist. Der hat auf seinem Telegram-Account als Profilbild i das Bild eines gelben Sterns, der in dieser Art in der Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“, eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft hat den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragt. Das AG hat den Erlass abgelehnt. Das LG hat den Beschluss erlassen. Es bejaht den Anfangsverdacht einer Strafbarkeit wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB:

„Demnach macht sich wegen Volksverhetzung strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet, oder verharmlost.

Durch die Verwendung des „gelben Judensterns“ mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ zieht der Beschuldigte einen Vergleich zwischen der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung und Behandlung ungeimpfter Personen und jüdischer Bürger unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Das Tragen des Judensterns sollte jüdischstämmige Mitbürger nach außen hin für jedermann erkennbar machen und war eine von den Nationalsozialisten im Jahr 1941 gesetzlich eingeführte Zwangskennzeichnung. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, wurde hierdurch nicht nur die systematische Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischstämmigen Bevölkerung fortgesetzt, vielmehr bereitete es letztlich die staatlich betriebene Enteignung, Massendeportation und -vernichtung vor. Der Judenstern diente damit nicht „nur“ der Ausgrenzung jüdischer Mitbürger, sondern war vielmehr eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts. Durch die Verwendung des Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ bringt der Verwender unmissverständlich zum Ausdruck, dass er sich in vergleichbarer Weise öffentlich gebrandmarkt, ausgegrenzt, rechtlos gestellt, verfolgt und existentiell bedroht fühlt. Ein derartiger Vergleich entbehrt jedoch offenkundig jeglicher Tatsachengrundlage. Die Situation ungeimpfter Personen ist nicht einmal ansatzweise mit der jüdischer Bürger unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vergleichbar und bagatellisiert die Qualität der damals begangenen Gräueltaten. Andere – nicht strafbare – Deutungsmöglichkeiten kommen nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht in Betracht. Im Gegenteil – die Teilnahme des Beschuldigten an insgesamt 59 systemkritischen Telegram-Gruppen, in denen z. T. fortlaufend antisemitische und holocaustleugnende Äußerungen getätigt und Inhalte geteilt werden, legen die obige Lesart jedenfalls im Sinne eines Anfangsverdachts nahe (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020 – 205 StRR 240/20).

Diese Verharmlosung erfolgte öffentlich im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB. Dies ist dann der Fall, wenn die Äußerung – unabhängig von der Öffentlichkeit des Ortes – von einem größeren nach Zahl und Individualität unbestimmten und durch nähere Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann (vgl. Rackow in: Beck OKStG, 52. Ed. 1.2.2022, StGB § 130 Rn. 35). Die Verwendung des gelben Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ erfolgte auf dem öffentlich einsehbaren Telegram-Profil des Beschuldigten. Sie war damit für jeden Nutzer des Messengerdienstes Telegram zugänglich. Deren stetig wachsender Nutzerkreis ist zahlenmäßig nicht überschaubar und nicht durch nähere Beziehungen miteinander verbunden, sodass die Verwendung des verfahrensgegenständlichen Profilbildes im Sinne des § 130 Abs .3 StGB öffentlich erfolgte.

Die Äußerung war darüber hinaus geeignet den öffentlichen Frieden zu stören. Eingriffe in die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Dementsprechend ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingrenzendes Verständnis zugrunde zu legen. Der öffentliche Friede umfasst dabei den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Nicht tragfähig ist dagegen ein Verständnis, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung durch Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Ziel ist vielmehr der Schutz vor Äußerungen, die erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich demnach auf die Außenwirkung von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern können. Zwar ist die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt und erfordert demnach keine konkrete Gefährdung oder gar tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens. Im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss jedoch die Tat bei einer objektiven ex-ante Betrachtung nach Inhalt, Ort oder anderen Umständen konkret geeignet gewesen sein, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen. Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form, Umfeld der Äußerung, Stimmungslage der Bevölkerung und politischer Situation zu bestimmen, wobei bereits die Verhetzung eines aufnahme-/gewaltbereiten Publikums genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018 – 1 BvR 2083/15; Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 68. Auflage 2021, § 130 Rn. 13 ff.; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 130 Rn. 23 f., 86; Rackow in: Beck OKStG, 52. Ed. 1.2.2022, StGB § 130 Rn. 22 f.). Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabes besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen zumindest ein Anfangsverdacht für eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Nach den bislang vorliegenden Ermittlungserkenntnissen ist der Beschuldigte seit über zwei Jahren in der Querdenkerszene aktiv. Er ist Mitglied in 59 systemkritischen Telegram-Gruppen, deren Namen und Inhalte auf eine extreme rechte politische Gesinnung schließen lassen. Insbesondere im „P. Netzwerk“ werden fortlaufend antisemitische und holocaustleugnende Äußerungen getätigt und Beiträge geteilt. Den freiheitsbeschränkenden staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und den jeweiligen politischen Entscheidungsträgern wird in diesen Gruppen bisweilen nicht bloß kritisch, sondern offen feindselig entgegengetreten. Das Diskussionsklima ist aufgeheizt und vergiftet. Man stilisiert sich zum Opfer einer staatlichen Willkürherrschaft und in diesem Zusammenhang kommt es mitunter auch zu Gewaltaufrufen. Bezeichnenderweise zeigen weitere Profilbilder des Beschuldigten „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, „Söder muss weg“ und „Volksbegehren Landtag abberufen“. Aus der kürzlich veröffentlichten Statistik des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2021 ergibt sich, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 23 % auf insgesamt 55.048 angestiegen ist. Dies gilt nicht nur für die Propagandadelikte. Auch bei den Gewalttaten stieg die Zahl um 15,5 % auf 3.899 an. Einen Anstieg verzeichneten insbesondere antisemitische Delikte. Deren Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr um knapp 29 % auf 3.027. Den stärksten Zuwachs (147 %) verzeichneten allerdings Straftaten, die von der Polizei keiner speziellen Ideologie zugeordnet wurden, allerdings nach bisherigen Erkenntnissen in weiten Teilen mit Protesten gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zusammenhingen. Deren Anzahl betrug insgesamt 21.399. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen und in dem derzeitigen Diskussionsklima erscheint die Verwendung des gelben Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ dazu geeignet, den empfundenen Opferstatuts und das Gefühl vermeintlicher Unterdrückung zu bestärken, die ohnehin bereits aufgeheizte politische Stimmung weiter zu verschärfen, die Hemmschwelle für gewaltsame staatsfeindliche Handlungen herabzusetzen und eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft zu entfesseln. Die Tatsache, dass der Beschuldigte – zumindest soweit bislang bekannt – den gelben Judenstern ausschließlich als Profilbild seines Telegram-Accounts benutzt hat, steht dieser Annahme nicht entgegen. Die forensische Erfahrung der letzten Jahre hat zunehmend gezeigt, dass die Anzahl derer, die sich über das Internet radikalisieren und Gewaltbereitschaft zeigten, stetig zunimmt. Dementsprechend ist die in der Verwendung dieses speziellen Profilbildes zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung über die bloße Meinungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkung angelegt und kann unmittelbar rechtsgutgefährdende Folgen auslösen.

Aufgrund der allgemein bekannten historischen Bedeutung des gelben Judensterns muss sich dem Beschuldigten die eklatante Diskrepanz seines Vergleichs und damit dessen verharmlosende Wirkung aufgedrängt haben. Demnach ist ebenfalls davon auszugehen, dass dem Beschuldigten die provozierende Wirkung seines haltlosen Vergleichs bewusst gewesen ist. Schließlich dürfte der Beschuldigte angesichts des aufgeheizten Diskussionsklimas und nicht zuletzt wegen seiner langjährigen beruflichen Erfahrung die potentielle Gefährlichkeit seines Verhaltens erkannt haben. Dass er sich in Anbetracht all dieser Umstände dennoch zur Tatbegehung entschloss, legt nahe, dass er eine Gefährdung des öffentlichen Friedens zumindest billigend in Kauf genommen hat.

Schließlich bestehen nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen keine Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Tatbestands nach § 130 Abs. 7 StGB i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB (Sozialadäquanzklausel).“