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VR I: Verurteilung wegen verbotenen Rennens, oder: Der BGH hebt zum zweiten Mal auf, auf in die 3. Runde

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Heute ist dann ein Verkehrsrechtstag, den ich mit einer Entscheidung des BGH eröffne.

Im BGH, Beschl. v. 27.03.2024 – 4 StR 493/23 – geht es mal wieder um ein Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB). „Mal wieder“ passt auch noch aus einem anderen Grund. Denn die Sache war schon einmal beim BGH. Der hatte das erste LG-Urteil mit Urteil v. v. 18.08.2022 (4 StR 377/21)  aufgehoben. Im zweiten Rechtsgang hat das LG den Angeklagten dann erneut verurteilt. Dagegen dann erneut die Revision des Angeklagten, die wieder Erfolg hatte. Ich stelle hier dann auch mal die doch recht umfangreichen Feststellungen des LG mit ein. Der BGH führt aus:

„1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen als bindend angesehen: Am 20. Oktober 2019 befuhr der 22-jährige Angeklagte mit seinem BMW M4 kurz nach 23:00 Uhr die Bundesautobahn 9 bei Ingolstadt. Sein Fahrzeug verfügte – auch aufgrund von mittels einer für den Off-road-Betrieb bestimmten Tuning-App vorgenommenen technischen Veränderungen – über 575 PS, 850 Nm Drehmoment und eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 330 km/h. Wegen der durch die Veränderungen und weitere Umbauten bedingten Verschlechterung der Geräusch- und Abgasemissionen war die Betriebserlaubnis des BMW erloschen. Der von dem Angeklagten befahrene geradlinig und eben verlaufende Streckenabschnitt der A 9 verfügt über drei nicht beleuchtete Spuren mit separatem Standstreifen. Aus Lärmschutzgründen ist die Geschwindigkeit ab 1.400 m vor der tatgegenständlichen Unfallstelle in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf 120 km/h beschränkt, ab 750 m vor dieser auf 100 km/h. Das Verkehrsaufkommen war moderat, die Sicht war gut und die Fahrbahn trocken. Es befanden sich von Zeit zu Zeit Fahrzeuge auf allen drei Spuren. Auch die linke Spur wurde regelmäßig für Überholvorgänge genutzt.

Bereits innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h überholte der links fahrende Angeklagte einen mit ca. 100 km/h auf der mittleren Fahrspur befindlichen Pkw, wechselte vor diesem zunächst auf die mittlere Spur, dann auf die rechte Spur und ließ sich anschließend hinter den Pkw zurückfallen, so dass der Pkw wieder an ihm vorbeifuhr. Anschließend wechselte er über die mittlere Spur auf die linke Spur, setzte zu einer massiven Beschleunigung an und passierte den weiterhin auf der mittleren Fahrspur fahrenden Pkw erneut mit hoher, nicht mehr näher feststellbarer Geschwindigkeit. Das gesamte Fahrmanöver nahm er in der Absicht vor, eine möglichst schnelle Beschleunigung und die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und die Leistungssteigerung seines Fahrzeugs „auszuleben“. Dabei ignorierte er die ihm bekannten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 120 km/h und 100 km/h, weil er „seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben wollte“. Wenige Sekunden später schloss er zu einem vor ihm auf der linken Fahrspur fahrenden Pkw auf und ging leicht vom Gas. Nachdem der Fahrer dieses Pkw, der den mit hoher Geschwindigkeit sich nähernden BMW bemerkt hatte, auf die mittlere Spur gewechselt war, gab der Angeklagte wieder stark Gas, überholte den Pkw mit weit überhöhter Geschwindigkeit und beschleunigte weiter auf mindestens 233 km/h.

Noch im Sichtbereich des Fahrers des zuvor überholten Pkw nahm der Angeklagte erst im letzten Augenblick den mit eingeschaltetem Abblendlicht vor ihm mittig auf der linken Spur fahrenden Audi A4 des Geschädigten wahr. Obwohl er noch eine Vollbremsung einleitete und weitest möglich nach links auswich, fuhr er mit 207 km/h auf das Heck des Audi auf. Der Geschädigte, der angeschnallt mit ca. 120 km/h auf der mittleren Spur gefahren war, hatte etwa 4,2 Sekunden vor der Kollision seinen linken Blinker gesetzt und war sodann auf die linke Spur gewechselt, um ein vor ihm mit ca. 100 km/h fahrendes Wohnwagengespann, das seinerseits einen mit etwa 85 km/h auf der rechten Fahrspur fahrenden Lkw passierte, zu überholen. Als der Geschädigte den Blinker setzte, war der Angeklagte noch 125 m entfernt. Der Geschädigte hätte zu diesem Zeitpunkt die Lichter des BMW im Rück- und Seitenspiegel erkennen und den Spurwechsel unterlassen können. Eine zutreffende Einschätzung der Position des BMW und dessen hoher Geschwindigkeit war dem Geschädigten allerdings nur eingeschränkt und nur mit hoher Fehlertoleranz möglich. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, wenn der Angeklagte höchstens 197 km/h gefahren wäre.

Durch den Zusammenprall schleuderte der Audi A4 über die mittlere und rechte Spur ins Bankett und überschlug sich. Der Geschädigte erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und verstarb an der Unfallstelle. Der BMW des Angeklagten geriet ebenfalls ins Schleudern, kollidierte mit dem auf der mittleren Spur fahrenden Wohnwagengespann und überschlug sich. Aufgrund der Sicherheitsausstattung seines Fahrzeugs erlitt der Angeklagte nur leichte Verletzungen. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. An weiteren Fahrzeugen wurden hohe Sachschäden verursacht.

2. Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht zusätzlich festgestellt: Der Angeklagte hielt den Eintritt einer kritischen Verkehrssituation durch einen Spurwechsel anderer Verkehrsteilnehmer direkt vor ihn auf seine Fahrspur für möglich und fand sich hiermit ab. Er ging dabei jedoch ernsthaft davon aus, sein Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten sicher beherrschen und so einen Unfall ggf. im letzten Moment verhindern zu können. Er vertraute hierdurch auf das Ausbleiben einer Kollision und eines damit einhergehenden tödlichen Erfolges.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinen Lasten auf. Denn die von dem hier maßgeblichen Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geforderte Rennabsicht des Angeklagten ist nicht festgestellt.

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft keine Feststellungen zu der für den hier einschlägigen Grundtatbestand des sog. Alleinrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Absicht des Angeklagten getroffen, mit seinem Fahrzeug eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. Vielmehr hat es in seinem Urteil wiederholt ausgeführt, dass eine solche Absicht nach dem Urteil des Senats bereits bindend feststehe. Dies trifft nicht zu. Die Strafkammer hat die Reichweite der Aufhebung und damit auch den Umfang der Bindungswirkung von Feststellungen verkannt.

Der Senat hat das im ersten Rechtsgang angefochtene Urteil „mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite“ aufgehoben (vgl. § 353 StPO). Diese Formulierung erfasst sämtliche Feststellungen zur inneren Tatseite, ohne dass der Senat Teile hiervon ausgenommen hätte. Aus dem Umstand, dass er in den Entscheidungsgründen die im Ersturteil festgestellte Absicht des Angeklagten, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, als rechtsfehlerfrei festgestellt bezeichnet hat, lässt sich diesbezüglich nichts Gegenteiliges ableiten. Diese Ausführungen waren ohnehin lediglich der gebotenen Prüfungsreihenfolge bei der hier auf dem Grundtatbestand nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aufbauenden Qualifikation nach § 315d Abs. 2 und 5 StGB geschuldet. Im maßgeblichen Tenor der Senatsentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 5; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 137) haben sie hingegen keinen Niederschlag gefunden. Auch in deren Gründen findet sich im Rahmen der Ausführungen zum Aufhebungsumfang keine entsprechende Einschränkung, so dass sich schon deshalb die Frage einer Auslegung des Tenors im Sinne des landgerichtlichen Verständnisses nicht stellt.

2. Das Fehlen von Feststellungen zur Tat, hier zur subjektiven Tatseite des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 8 mwN). Da sich die Strafkammer für die Rennabsicht des Angeklagten an die Feststellungen des ersten Rechtsgangs gebunden sah, sind entsprechende Feststellungen auch der Gesamtheit der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Zudem beruht das Urteil auf dem Rechtsfehler (§ 337 StPO). Der Schuldspruch unterliegt daher – zugleich wegen des tateinheitlich verwirklichten Delikts (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2023 – 2 StR 308/22 Rn. 20) – der Aufhebung. Dasselbe gilt für die Folgeentscheidungen. Der Senat hebt auch die Entscheidung zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auf; das neue Tatgericht wird insoweit ohnehin den gesamten (auch weiteren) Verfahrensablauf zu berücksichtigen haben.

Die vom Landgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen zum Gefährdungsvorsatz des Angeklagten (bei zugleich fehlendem Tötungsvorsatz) sind von dem Rechtsfehler ebenfalls betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Denn das Landgericht hat den ansonsten rechtsfehlerfrei bejahten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten auch damit begründet, dass er ein „Alleinrennen“ gefahren habe. Diese Erwägung des Landgerichts knüpft an die zu Unrecht als bindend angesehene Rennabsicht des Angeklagten an. Der Senat hebt vor diesem Hintergrund alle im zweiten Rechtsgang neu getroffenen Feststellungen ebenfalls auf.

III…..

IV.

Das im dritten Rechtsgang erkennende Tatgericht wird aufgrund eigener Beweiserwägungen Feststellungen zur subjektiven Tatseite aller in Betracht kommenden Delikte (Grund- und Qualifikationstatbestände) zu treffen haben. Dies betrifft namentlich die Rennabsicht und den Gefährdungsvorsatz des Angeklagten, die weiteren subjektiven Voraussetzungen von § 315d Abs. 1 Nr. 3, § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315c Rn. 18) und den Tötungsvorsatz.

Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, sollte sich das neue Tatgericht von seinem Tötungsvorsatz überzeugen können, verböte sich nicht. Einer derartigen Verschärfung des Schuldspruchs stünden weder das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) noch die Bindung des neuen Tatgerichts an die Aufhebungsansicht des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO) entgegen, die sich hierüber nicht verhält. Das neu zuständige Schwurgericht wird jedoch das Verschlechterungsverbot hinsichtlich der gegen den Angeklagten zu verhängenden Rechtsfolgen zu beachten haben, denn die Urteilsaufhebung ist nunmehr allein zu seinen Gunsten erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1991 – 2 StR 288/91, BGHSt 38, 66, 67; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 358 Rn. 18 mwN).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass mangels damaliger Aufhebung auch die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aus dem ersten Rechtsgang bindend sind. Sie können widerspruchsfrei ergänzt werden.“

Dann darf als die nächste Strafkammer ihr Glück versuchen. Vielleicht klappt es ja.

VerkehrsR I: Feststellung und Geldbuße bei Vorsatz, oder: „Strafzumessungserwägungen“ bei OWis?

Smiley

Und dann heute mal ein „Verkehrsrechtstag“.

Den beginne ich mit einer Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.04.2024 – 2 ORBs 29/24 – zu den Feststellungen bei der Annahme von Vorsatz und zu den Anforderungen an die dann auch zu den Rechtsfolgenerwägungen notwendigen Feststellungen-

Das OLG hat Folgendes ausgeführt:

„Der Betroffene ist auf der Landstraße statt der am Tatort erlaubten 60 km/h unter Abzug der Toleranz 115 km/h gefahren.

Der Senat sieht sich veranlasst zu Feststellungen von Vorsatz und zu den Anforderungen an die dann auch zu den Strafzumessungserwägungen notwendigen Feststellungen nachfolgendes klarzustellen:

Der Vorwurf der Ordnungsbehörden geht bei Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich vom Fahrlässigkeitsvorwurf aus und nimmt zur Vereinfachung zu Gunsten des Betroffenen an, dass dieser „nur“ die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unberücksichtigt gelassen hat. Insoweit ist auch die Darlegung von Tatsachen im Urteil zur Schuldbestimmung wesentlich reduziert. In der weiteren Folge greift die gesetzgeberische Strafzumessung der Regelstrafen im Bußgeldkatalog und stellt die Tatrichter von der Darlegung eigener Strafzumessungserwägungen weitestgehend frei.

Greift der Betroffene die Bußgeldentscheidung der Ordnungsbehörden an und stellt das Tatgericht dann bei der Tatprüfung in der Hauptverhandlung fest, dass der fahrlässige Schuldvorwurf den Betroffenen zu Unrecht begünstigt, greifen diese Darlegungserleichterungen nicht und der Tatrichter ist gehalten die den Schuldvorwurf verschärfenden Tatsachen darzulegen. In der Regel handelt es sich dabei um tatortbezogene objektive Feststellungen wie „Baustellen“, „Ein- und Ausfahrten“, Geschwindigkeitstrichter, „Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser“ oder klar erkennbare geschwindigkeitsbeschränkende Umgebungen wie z.B. die Tatsache auf Grund der Bebauung „innerorts“ unterwegs zu sein. Die Ordnungsbehörden sind in Hessen verpflichtet, diese tatortbezogenen Besonderheiten im Messprotokoll, das eine öffentliche Urkunde darstellt, und das in der Hauptverhandlung gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO vom Tatrichter zeugenersetzend zu verlesen ist, zu vermerken, so dass der Tatrichter darauf zurückgreifen kann, ohne den Messbeamten als Zeugenladen zu müssen.

Verschärft der Tatrichter unter entsprechender Darlegung solcher Tatsachen den Schuldvorwurf auf „grob fahrlässig“ oder „vorsätzlich“, greifen die gesetzgeberischen  Strafzumessungserwägungen des amtlichen Bußgeldkatalogs nur noch eingeschränkt und er ist in der Folge ebenfalls gehalten seine eigene Strafzumessungserwägung darzulegen. Dabei sind der Bußgeldrahmen und die nach § 3 Abs. 4a der Bußgeldkatalog-Verordnung zum Vorsatz genannten Regelungen zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen genügt das vorliegende Urteil nur eingeschränkt. Der Tatrichter hat nur die Geschwindigkeitsbeschränkung als solche und die Tatsache, dass der Betroffene nahezu doppelt so schnell gefahren ist, wie erlaubt angegeben und darauf im Wesentlichen seine Strafzumessungserwägungen gestützt. Der Grund für die Beschränkung der Geschwindigkeit auf der Landstraße auf 60 km/h und die daraus abgeleitete vorsätzliche Nichtbeachtung durch den Betroffenen bei Kenntnis der Beschränkung fehlt.

Ausnahmsweise greifen diese Darlegungsmängel hier aber nicht durch, da nach den Feststellungen der Betroffene sich mit 115 km/h ohnehin dazu entschieden hatte, schon die Regelgeschwindigkeitsbeschränkung auf Landstraßen mit 100 km/h zu missachten. Wer wie der Betroffene damit vorsätzlich sowieso nicht bereit ist sich an die gesetzlich vorgegebenen Geschwindigkeitsregelungen zu halten, der missachtet dann auch vorsätzlich die weiteren Reduktionen innerhalb des gesetzlichen Geschwindigkeitsrahmens, so dass gegen die Annahme von Vorsatz unter entsprechender Verdopplung der Regelbuße nach § 3 Abs. 4a der Bußgeldkatalog-Verordnung darum Ergebnis nichts zu erinnern ist.“

„gesetzgeberische Strafzumessung der Regelstrafen im Bußgeldkatalog“ – wenn man das beim OLG Frankfurt am Main so sieht, erklärt das einiges. 🙂

OWi I: Tatü, tata, die Polizei ist mit Blaulicht da, oder: Sofort freie Bahn für Einsatzfahrzeuge

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Ich stelle heute dann drei Owi-Entscheidungen vor, und zwar zweimal AG, einmal AG.

Der Start findet hier statt mit dem AG Landstuhl, Urt. v. 02.02.2024 – 3 OWi 4211 Js 9376/23. Es geht um einen Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO – nämlich Missachtung des Gebots, einem Einsatzfahrzeug (der Polizei usw.) sofort freie Bahn zu schaffen. Dabei geht es um die Frage: Vorsatz oder Fahrlässigkeit.

Folgende Feststellungen des AG: Der Betroffene war am 12.02.2023 als Führer eines PKW auf der BAB 6, Fahrtrichtung Saarbrücken unterwegs. Dort fuhr er auf Höhe des km 634 auf der linken von zwei vorhandenen Fahrspuren. Hinter ihm näherte sich mit aktivierten optischen und akustischen Signalen ein Einsatzfahrzeug der Polizei. Der Betroffene verließ jedoch die linke Spur nicht, sodass das Einsatzfahrzeug, das vom Zeugen PHK pp. gesteuert wurde, eine Weile lang hinter dem Fahrzeug des Betroffenen herfahren musste, dies mit der vor Ort geltenden Geschwindigkeit, erst mit Tempo 100, dann 80 km/h vor der stationären Messtelle bei km 632,280. Selbst auf das zusätzliche Betätigen der Lichthupe und der akustischen Hupe hat der Betroffene die linke Spur nicht freigegeben. Erst nach einiger Zeit bemerkte der Betroffene das hinter ihm fahrende Einsatzfahrzeug und wich alsdann direkt auf die rechte Spur aus, sodass das Einsatzfahrzeug passieren konnte.

Der Betroffene hat sich zur Sache wie folgt eingelassen: Er habe irgendwann eine Sirene gehört und habe gedacht, das komme aus dem Radio, dann habe er einen Schulterblick gemacht, das Fahrzeug gesehen und seinen Wagen nach rechts auf die andere Fahrspur gerissen. Er habe sich mit seiner Frau unterhalten und Radio gehört und den Einsatzwagen vorher nicht bemerkt.

Das AG ist von einem fahrlässigen Verstoß ausgegangen:

„Ein vorsätzliches Verhalten ist dem Betroffenen hier nicht anzulasten. Die verspätete Reaktion auf die Signale des Einsatzfahrzeugs waren auch ausweislich des Eindrucks des Zeugen pp. nicht willentlich, sondern die von der Sicht des Zeugen pp. erkennbare erste Reaktion erfolgte schlicht zu spät, war dann aber von einer sofortigen Wegfreigabe gefolgt. Der Betroffene hätte aber bei gehöriger Aufmerksamkeit das Einsatzfahrzeug aufgrund der genutzten Signale wahrnehmen müssen, sodass von fahrlässigem Verhalten auszugehen ist.

Jeder Verkehrsteilnehmer muss darauf achten, dass er nicht aufgrund zu lauter Geräusche, etwa durch Musik, oder durch nicht von Schnee oder Eis befreite Fenster die blauen Blinklichter oder das Einsatzhorn nicht rechtzeitig wahrnehmen kann (AG Villingen-Schwenningen BeckRS 2014, 14098; KG NZV 1998, 27). Auch eine zu langsame Reaktion auf ein unter allen Signalen fahrendes Einsatzfahrzeug ist pflichtwidrig, wenn wie hier die Aufmerksamkeit des auf der linken Spur fahrenden Betroffenen durch Gespräche und Radio aktiv und bewusst vermindert wird (OLG Naumburg BeckRS 2009, 09958). Fahrzeugführer müssen dafür sorgen, dass sie das Einsatzhorn jederzeit hören können (KG NZV 1992, 456). Dies hat der Betroffene hier missachtet.“

Kann man so sehen. Kann man m.E. aber auch einstellen. Und ein Regelfahrverbot muss man auch nicht unbedingt verhängen.

StGB II: War es „Böswilliges Verächtlichmachen“?, oder: Fachkräftenachwuchs – IQ – Zuwanderung

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 12.01.2024 – 3 ORs 65/23 – zur Volksverhetzung (§ 130 StGB) Stellung genommen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Volksverhetzung, und zwar nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB „böswillig verächtlich machen“ – zu einer Bewährungsstrafe vverurteilt. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen und ist dabei von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts verteilte der Angeklagte in der Nacht vom 30. auf den 31.07.2020 an mindestens 30 Haushalte in seiner Nachbarschaft in Porta Westfalica vor- und rückseitig eng beschriebene DIN A4 Zettel durch Einwurf in die Briefkästen. In dem — hier stark zusammengefassten – Text, der zahlreiche Fehler in Rechtschreibung und Zeichensetzung aufweist und den der Angeklagte im Internet gefunden hatte, wird ein Bezug zwischen der Diskussion um Fachkräftenachwuchs und dem Intelligenzquotienten bestimmter Zuwanderergruppen bzw. Völker hergestellt. So liege der Intelligenzquotient bei einzelnen Zuwanderergruppen in Deutschland nur bei 85, in einigen anderen Ländern sei er noch niedriger, während er bei Asiaten viel höher sei. In dem Schriftstück wird auch erwähnt, dass man in Deutschland ab einem IQ von 80 als lernbehindert gelte und ein Schimpanse einen IQ von 50 habe. Es wird angezweifelt, dass Zuwanderer aus Herkunftsgruppen mit vorgeblich niedrigem IQ zur Ausübung hochqualifizierter Tätigkeiten wie Arzt, Rechtsanwalt oder Pilot in der Lage seien. Auch ein Bezug zwischen Ethnie und Kriminalität wird hergestellt. Zuzug von asiatischen Einwanderern würde mehr nutzen als Zuwanderung aus anderen Ländern. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass „mit diesem Pamphlet“ zum Ausdruck gebracht werde, dass „insbesondere die in Deutschland lebenden Personen mit Wurzeln im afrikanischen, arabischen und türkischen Raum dumm und kriminell und des Aufenthalts in Deutschland unwürdig seien. Aber auch die US-amerikanischen Bürger afrikanischer Abstammung wie auch die in ihren Herkunftsländern lebenden Menschen arabischer Abstammung [würden] als minderbemittelt und im Gros kriminell herabgewürdigt“. Auf diese Weise würden „die den genannten Ethnien zugehörigen Menschen böswillig verächtlich gemacht und so in ihrer Menschenwürde angegriffen“. Weiter heißt es im angefochtenen Urteil: Der Angeklagte, der diese Aussagen guthieß, verteilte die Pamphlete in der Absicht, die Empfänger zu der Erkenntnis zu bringen, dass der Aufenthalt, bzw. Zuzug von Menschen der genannten Ethnien ein Problem für die deutsche Gesellschaft darstelle, und machte sich diese Äußerungen damit zu eigen. Er handelte dabei in einer Weise, die geeignet war, das psychische Klima in der Bevölkerung in Richtung Fremdenfeindlichkeit aufzuhetzen und so den öffentlichen Frieden zu stören. Zugleich hatte er das Schreiben als Datei auf einem Computer in seiner Wohnung gespeichert und hielt es für eine weitere Verwendung vorrätig“.

Dagegen die Revision des Angeklagte, die Erfolg hatte. Das OLG sieht noch keine durchgreifenden Bedenken, dass der Inhalt des Schriftstückes in objektiver Hinsicht einen Angriff auf die geschützte Menschenwürde der angesprochenen Bevölkerungsgruppen darstellt. Auch an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens hat das OLG bei der vorliegenden Verteilungsbreite keinen Zweifel. Aber:

„b) Indes kann das angefochtene Urteil deswegen keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals eines „böswilligen“ Verächtlichmachens einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand hält.

Die Beweiswürdigung ist gemäß § 261 StPO zwar Sache des Tatgerichts. Jedoch hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Auflage 2023, § 261 Rdnr. 188). Das ist u.a. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, BeckRS 2011, 15376 Rdnr. 13).

Die Beweiswürdung des Landgerichts ist vorliegend lückenhaft. Sie belegt nicht das Vorliegen des dem inneren Tatbestand zuzuordnende Erfordernis der Böswilligkeit. Dieses hat strafbarkeitseinschränkende Funktion und ist zu bejahen, wenn die Äußerung aus feindseliger Gesinnung in der Absicht zu kränken (im Kernbereich der Persönlichkeit der Betroffenen, vgl. BGH, Urt. v. 15.12.2005 — 4 StR 283/05 — juris) getätigt wird (BGH NJW 1964, 1481, 1483; Krauß in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 130, Rdnr. 57). Böswillig ist ein Handeln aus niederträchtiger, bewusst feindseliger Gesinnung, also ein Handeln aus verwerflichen Beweggründen. Dies kann sich daraus ergeben, dass der Täter hartnäckig Erkenntnisquellen, die seine Behauptung widerlegen, oder Möglichkeiten zu weniger anstößigen Formulierungen ausschlägt. Die Beweggründe des Äußernden können sich unmittelbar aus dem Aussagegehalt der Äußerung als solcher sowie aus den Begleitumständen der Äußerung, etwa einer interpretatorischen Begleitäußerung des Täters, ergeben (Krauß a.a.O. 155 m.w.N.).

Das Landgericht hat zwar bzgl. des subjektiven Tatbestands eine Beweiswürdigung zur Kenntnis des Angeklagten vom volksverhetzenden Charakter des Schriftstücks und dazu, dass sich der Angeklagte sich die Äußerungen zu eigen gemacht habe, vorgenommen. Eine Beweiswürdigung zu dem o.g. subjektiven Tatbestandsmerkmal der Böswilligkeit enthält das angefochtene Urteil nicht. Diese war auch nicht entbehrlich, etwa weil sich die Böswilligkeit vorliegend von selbst verstehen würde, Die inkriminierten Äußerungen in dem Schriftstück stehen nicht isoliert, sondern sind eingebettet in die politische Diskussion um Fachkräftezuwanderung. Im Urteil wird weiter festgestellt, der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, „die Empfänger zur Erkenntnis zu bringen, das „wir irgendwo ein Problem haben“ und das Fachkräfteproblem mit den Zuwanderern nicht zu lösen sei“ (UA10). Wie sich weiter aus den Urteilsgründen ergibt, hatte sich der Angeklagte „nach eigenen Angaben auch durch Internetrecherche intensiv mit dem Inhalt des Pamphlets auseinandergesetzt [hatte] und sich in seinen eigenen Ansichten bestätigt“ gefühlt (UA 8). Er habe auch auf entsprechende Studien verwiesen. In diesem Zusammenhang wird in dem angefochtenen Urteil mitgeteilt, dass ein zur Akte gereichter Ausdruck „Global IQ-Scores“ in Augenschein genommen worden sei. Der Inhalt dieses Ausdrucks wird indes nicht näher mitgeteilt. Es wird auch nicht auf ein bestimmtes Blatt der Akten verwiesen, so dass der Senat — sollte es sich bei dem Ausdruck tatsächlich um eine Abbildung und nicht ohnehin um eine Urkunde, auf welche ein Verweis nicht möglich ist —auch nicht aufgrund eines wirksamen Verweises gem. § 267 Abs. 1 S. 2 StPO hiervon Kenntnis nehmen kann.

Hätte der Angeklagte die Schriftstücke aber aus Sorge um einen Fachkräftemangel bzw. um eine Zuwanderung, die nicht geeignet ist, diesen zu beheben, in der Überzeugung, dass es sich bei den o.g. Inhalten um vertretene, tatsächlich zutreffende Thesen und Studien handelt, verteilt, so wäre die Annahme, er habe gleichwohl in feindseliger Gesinnung und in der Absicht zu kränken gehandelt, näher zu begründen. In diesem Zusammenhang wären auch die geistigen Fähigkeiten des Angeklagten und sein Bildungshintergrund in den Blick zu nehmen gewesen. Nach den Urteilsfestellungen hat er keine akademische Ausbildung und hat den inkriminierten Text mitsamt der Fehler bei Rechtschreibung und Zeichensetzung verteilt. Mag es für einen akademisch gebildeten Menschen noch vergleichsweise einfach sein, die Aussagekraft von Studien und die wissenschaftliche Qualifikation sog. „Institute“ zu hinterfragen und einzuordnen, wird dies anderen regelmäßig deutlich schwerer fallen oder gar unmöglich sein. Selbst wenn etwa „Studien“ zu dem Ergebnis gekommen sind, dass der IQ bestimmter Völker oder Herkunftsgruppen niedrig ist, so würde man bei einer akademischen Schulung etwa zunächst einmal hinterfragen, ob die untersuchte Personengruppe hinreichend repräsentativ war, ob der verwendete Intelligenztest überhaupt für Mitglieder nicht-westlicher Gesellschaften geeignet ist, diese unter anderen Umweltbedingungen aufgewachsen oder lebend ggf. besser abschneiden etc. (vgl. etwa als allgemein zugängliche Quelle: https://www.tagesanzeiger.ch/warum-afrikaner-in-ig-tests-schlechter-abschneiden-106015206636), und man würde sich nicht mit — wie in dem verteilten Schriftstück — Erklärungen wie hohe Verbreitung der Verwandtenehe oder generell fehlendem Abstraktionsvermögen zufrieden geben.

Der Uhrzeit der Verteilung der Flugblätter gegen 23 Uhr mag – wie vom Landgericht angenommen – indizielle Bedeutung für die Annahme des Vorsatzes des Angeklagten zukommen. Ob dies auch für das Merkmal der Böswilligkeit gilt, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, wobei er auch -ebenso wie für das anfängliche Bestreiten der Verteilung durch den Angeklagten – unverfängliche Erklärungsalternativenin den Blick zu nehmen haben wird.

Aus den dargestellten Gründen konnte der Senat – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – auch nicht selbst die Tatbestandsalternative der Verleumdung feststellen, welche die bewusst wahrheitswidrige Behauptung von Tatsachen durch den Angeklagten zur Voraussetzung gehabt hätte. Insoweit fehlt es auch bereits an einer Beweiswürdigung zur Wahrheitswidrigkeit der aufgestellten Behauptungen.“

Und:

„3. Der neue Tatrichter wird im Falle einer Verurteilung auch zu bedenken haben, ob neben einer Strafbarkeit aus dem persönlichen Äußerungsdelikt des § 130 Abs. 1 StGB die Verbreitung desselben Inhaltes eigenständigen Unrechtsgehalt nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 c) a. F. StGB aufweisen kann.

Entsprechendes gilt auch für die Alternative des Vorrätighaltens, wobei hier hinzukommt, dass die bisherige Beweiswürdigung die Feststellung, der Angeklagte habe die Schrift vorrätig gehalten, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden, nicht trägt. Das Argument, dass das Aufbewahren der Datei auf dem Computer vor dem Hintergrund der Internetrecherche und der Auseinandersetzung des Angeklagten mit dem Thema nur Sinn mache, wenn er den inhalt später noch habe verbreiten wollen, ist so nicht haltbar.“

OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung mit Motorrad, oder: Vorsatz, Lichtbild, Geldbuße, Fahrverbot

Und heute dann ein wenig OWi – die „Entscheidungslage“ ist in dem Bereich derzeit sehr mau.

Ich habe dann hier aber noch den auch schon etwas älteren BayObLG, Beschl. v. 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23.

Der Betroffene ist am 05.01.2023 – wegen einer am 25.7.2021 begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung –  Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 99 km/h – zu einer Geldbuße in Höhe von 1.200 EUR verurteilt worden; außerdem hat das AG ein Fahrverbot von zwei Monaten festgesetzt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg, die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hatte hingegen Erfolg.

Das BayObLG hat u.a. die Fahrverbotsdauer angehoben. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier stelle ich nur die Leitsätze des BayObLG ein. Die lauten:

1. Bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40 % kann in der Regel von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden, wenn dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte.
2. Erst ab einem Zeitraum von zwei Jahren zwischen der Tat und der letzten tatrichterlichen Verhandlung ist allein wegen der Verfahrensdauer die Herabsetzung eines mehrmonatigen Regelfahrverbots in Betracht zu ziehen, wenn sich der Betroffene in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat.
3. Solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene, nicht mehr geringfügige Regelgeldbuße verhängt wird, sind Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht zwingend geboten, solange sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese außergewöhnlich schlecht sind.
4. Zu den Urteilsanforderungen bei Identifizierung des Fahrers anhand eines von dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes.