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StGB III: Passloser Aufenthalt in der Bundesrepublik, oder: Vorsatz, da echtes Unterlassungsdelikt

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Und dann zum Tagesschluss noch das – schon etwas ältere – AG Stralsund, Urt. v. 30.08.2021 – 342 Cs 32/19. Ich habe es aber auch erst vor kurzem übersandt bekommen. Es geht um einen Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthaltsG, also passloser Aufenthalt eines Ausländers in der Bundesrepublik. Das AG hat den Angeklagten von diesem Vorwurf – aus tatsächlichen Gründen – frei gesprochen.

„Der Angeklagte bestreitet durch seinen mit Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger die Tatbegehung und lässt sich dahingehend ein, dass ihm weder die Abschiebungsandrohung noch der Bescheid des Landkreises Vorpommern-Rügen vom 11.07.2016 und die Erinnerung der Aufforderung zur Passbeschaffung vom 08.08.2018 zugegangen sei.

Demgemäß ergibt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte ist ghanaischer Staatsangehöriger und hielt sich seit dem 13.10.2014 in Deutschland auf. Der Verteidiger hat dies für den Betroffenen so eingeräumt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Angeklagten mit ausweislich des im Hauptverhandlungstermin verlesenen Bescheides vom 24.02.2016 ab und bestimmte, dass der Angeklagte innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung das Bundesgebiet zu verlassen habe, andernfalls werde er ausgewiesen.

Ein Hinweis auf die Strafbarkeit passlosen Aufenthalts im Bundesgebiet findet sich in dem Bescheid nicht.

Darüber hinaus hat das Gericht durch Verlesung des Bescheides zur Passbeschaffung vom 11.07.2016 und die Erinnerung der Passbeschaffung vom 08.08.2018 festgestellt, dass der Be-schuldigte aufgefordert wurde, bis zum 15.08.2016 einen gültigen Pass/Passersatz auszuhändigen und zu diesem Zwecke bis spätestens dem 15.08.2016 bei der Botschaft Ghanas vorzu-sprechen. Eine Ersatzvornahme wurde angedroht. Der Bescheid enthält am Ende einen Hinweis auf die Strafbarkeit passlosen Aufenthalts im Bundesgebiet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war indes nicht feststellbar, dass dem Angeklagten Bescheid und Erinnerung zugegangen sind.

So hat der Zeuge und Sachbearbeiter der Ausländerbehörde pp, ausgesagt, dass die Schreiben jeweils formlos an den Angeklagten versendet wurden. Beide Postsendungen gingen an die Adressen in Marlow bzw. in Barth. Dies sind jeweils Asylbewerberunterkünfte in denen sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Übersendung aufgehalten hat.

Der Zugang bleibt daher nicht aufklärbar.

Selbst wenn dem Angeklagten die Schriftstücke zugegangen wären, so bleibt zweifelhaft, ob er diese hätte zur Kenntnis nehmen können. Der Angeklagte ist ghanaischer Staatsangehöriger. Hinweise darauf, dass er der deutschen Sprache mächtig ist, finden sich nach Aktenlage nicht.

Der Zeuge pp. hat ausgesagt, Bescheide und Erinnerungen werden an die Asylbewerber stets in deutscher Sprache(!) versendet. Man gehe davon aus, dass der Asylbewerber, wenn er Post erhalte, sich diese durch Sozialarbeiter, Wachleute oder sprachkundige Freunde und Be-kannte übersetzen lasse.

Da dieses Prozedere durchaus auch in der Ausländerbehörde als mangelhaft erkannt wurde, werden zwar auch heute entsprechende Bescheide nach wie vor in deutscher Sprache an die der deutschen Sprache nicht mächtigen Verfahrensbeteiligten versandt. Allerdings seien zwischenzeitlich Merkblätter gefertigt worden, die den deutschsprachigen Bescheiden beigefügt wer-den und in denen kurz erklärt werde, welchen Inhalt und welche Rechtsfolgen die für die Asylbewerber unverständlichen Bescheide enthalten.

Ungeachtet der Kuriosität dieser Verwaltungspraxis bleibt nach der Aussage des Zeugen pp. für das vorliegende Verfahren jedoch festgestellt, dass entsprechende Belehrungen an den Angeklagten nicht versandt wurden.

Ob und inwieweit der Angeklagte von der Verpflichtung zur Passersatzbeschaffung Kenntnis nahm, bleibt daher unaufklärbar.

Der Zeuge pp. hat zudem ausgesagt, dass sich in der Ausländerakte des Angeklagten, die er im Hauptverhandlungstermin mit sich führte und in welche er Einsicht nahm, keinerlei Hinweise darauf finden, dass beispielsweise durch die vormalige Sachbearbeiterin der Inhalt von Bescheid und Erinnerung zur Passersatzbeschaffung anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Angeklagten im Ausländeramt übersetzt wurden.

§ 95 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz ist als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet. Der Ange-klagte muss daher um normgerechtes Verhalten wissen und zur Tatbestandserfüllung das norm-gerechte Verhalten vorsätzlich unterlassen. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit sieht § 95 Aufenthaltsgesetz nicht vor.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bleibt unbekannt, ob der ausreisepflichtige Angeklagte um das Erfordernis der Passbeschaffung wusste und gegen diese Verpflichtung verstieß, um seine Abschiebung zu erschweren.

Nach Aussage des Zeugen pp. ist der Angeklagte nach wie vor nicht ausgereist.

Nach Aussage des Zeugen pp. wurden nach der Erinnerung zur Passersatzbeschaffung auch keinerlei Maßnahmen der Verwaltungsbehörde mehr getroffen, insbesondere wurde keine Ersatzvornahme versucht.

Nach den vorliegenden Feststellungen finden sich nicht einmal Hinweise auf einen fahrlässigen passlosen Aufenthalt, so dass auch die Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz nicht in Betracht kommt.

Der Angeklagte war daher mangels Verschuldensnachweises aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.“

StPO I: Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, oder: War das Mädchen „möglicherweise“ 14 Jahre alt?

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Ich stelle heute dann noch einmal StGB-Entscheidungen vor.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 27.09.2022 – 5 StR 261/22 – zur Frage des Vorsatzes beim sexuellen Missbrauch. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte weitgehend Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen vollzog der 36-jährige Angeklagte an der damals 13-jährigen Geschädigten den ungeschützten Oral- und Vaginalverkehr, wobei er es – ungeachtet ihrer Angabe, 15 Jahre alt zu sein – für möglich hielt, dass sie noch keine 14 Jahre alt war. Nach Auffassung des Landgerichts „konnte“ sich der Angeklagte auf die Altersangabe der Geschädigten wegen ihres (kindlichen) Gesamteindrucks nicht verlassen. Als Tätowierer sei ihm bekannt gewesen, dass junge Mädchen sich häufig älter darstellten, als sie sind. Er habe daher, als er den Geschlechtsverkehr mit ihr ausübte, zumindest billigend in Kauf genommen, dass sie noch ein Kind war.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern kann keinen Bestand haben. Die Annahme bedingten Vorsatzes des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellung, dass er das kindliche Alter der Geschädigten im Tatzeitpunkt billigend in Kauf genommen hat, ist nicht beweiswürdigend unterlegt (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1952 – 4 StR 440/52, NJW 1953, 152 f.; Beschluss vom 29. Oktober 2002 – 3 StR 358/02 Rn. 4).

a) Zwar obliegt die Würdigung der Beweise dem Tatgericht. Seine tatsächlichen Schlüsse müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741 f. mwN). Ein Rechtsfehler liegt jedoch vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, unklar oder widersprüchlich ist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht, sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (vgl. BGH aaO), oder wenn sie sich auf nicht existierende Erfahrungssätze stützt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 270/16 Rn. 15 mwN).

b) Solche Rechtsfehler liegen hier in Bezug auf die Feststellungen zum Vorsatz vor.

Den Urteilsgründen lassen sich keine Belege entnehmen, wonach der Angeklagte das kindliche Alter der Geschädigten billigend in Kauf nahm. Auch wenn die Strafkammer sich selbst vom kindlichen Aussehen der Geschädigten zur Tatzeit auf der Grundlage eines Lichtbildes und des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung überzeugt haben mag, besagt dieser Umstand für sich genommen nichts zur Vorstellung des Angeklagten bei Tatausführung. Er hatte die Geschädigte vor der Tat nach ihrem Alter gefragt, woraufhin sie ihm „15“ geantwortet hatte. Dass damit mögliche Zweifel an einem jüngeren Alter der Geschädigten nach Auffassung der Strafkammer nicht auszuräumen waren, weil der Angeklagte sich auf die Altersangabe der Geschädigten nicht habe verlassen können, begründet nicht den Vorwurf eines (bedingten) Vorsatzes, sondern lediglich den der Fahrlässigkeit.

Soweit die Strafkammer zudem darauf abgestellt hat, dem Angeklagten sei „als Tätowierer (…) bekannt (gewesen), dass junge Mädchen sich häufig älter darstellen, als sie sind“, stützt sie sich auf einen Erfahrungssatz, der weder allgemein gültig noch durch eine etwaige dahingehende persönliche Erfahrung des Angeklagten belegt ist.“

OWi III: Fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Was gehört ins Urteil?

Und im dritten Posting dann noch einmal Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar das OLG Zweibrücken im OLG Zweibrücken, Beschl. v. 03.02.2022 – 1 OWi 2 SsBs 113/21:

„Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 09.02.2021 um 13:06 Uhr in der Gem. Kaiserslautern die B 270 in Fahrtrichtung Weilerbach, wobei er in Höhe km 0,2 die dort mittels Verkehrsschildern auf 100 km/h begrenzte Höchstgeschwindigkeit um – toleranzbereinigte – 43 km/h überschritt.

Der Betroffene hat nach den schriftlichen Urteilsgründen die Fahrereigenschaft eingeräumt und sich dahin eingelassen, er halte Pferde in S. und habe über ein Alarmsystem einen Daueralarm von der elektrischen Einfriedung der Koppel erhalten. In der Vergangenheit sei es einmal vorgekommen, dass sich eines der Pferde in der stromführenden Schnur verwickelt und wiederholt Stromschläge erhalten habe. Nachdem er vor Ort niemanden erreicht habe, habe er sich selbst auf den Weg gemacht und aus Sorge um das Tier „möglicherweise nicht die notwendige Sorgfalt für die Beschränkung aufgebracht“ (UA S. 2). Das Amtsgericht hat diese Einlassung für nicht widerlegt erachtet und einen fahrlässigen Verstoß angenommen.

II.

Die Beschwerdeführerin beanstandet mit ihrer Sachrüge zu Recht die dem Schuldvorwurf zugrunde gelegte Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Auf die auch gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichteten Angriffe der Beschwerdeführerin kommt es daher nicht an.

a) Die Beweiswürdigung und somit die Überzeugungsbildung des Tatrichters unterliegt einer nur eingeschränkten Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts und sind daher für dieses grundsätzlich bindend und dürfen nicht durch die eigene Beweiswürdigung ersetzt werden (zur Revision: BGH, Beschluss vom 07.06.1979 – 4 StR 441/78, juris Rn. 8; vgl. auch Nack in: StV 2002, 510, jurion; Nack in: StV 2002, 558, jurion; Miebach in: NStZ-RR 2014, 233, beck-online; Miebach in: NStZ-RR 2016, 329). Der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt lediglich, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, das Gericht an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt sowie nahe liegende Schlussfolgerungen nicht erörtert hat oder über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht. Lückenhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie die Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen vermissen lässt, deren Erörterung sich aufdrängte. Dem Urteil des Tatrichters muss daher bedenkenfrei entnommen werden können, dass er bei seiner Prüfung keinen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der geeignet sein könnte, das Beweisergebnis zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 17.12.1980 – 2 StR 622/80, JurionRs 1980, 14683, Rn. 5).1. Wenn auch im Bußgeldverfahren nicht dieselben Anforderungen wie im Strafverfahren gelten, so muss doch die Beweiswürdigung des Tatrichters so beschaffen sein, dass sie dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung ermöglicht (OLG Koblenz, Beschluss vom 26.05.2013 – 2 SsBs 128/12, juris Rn. 12 f.; vgl. zum Ganzen auch: Pf. OLG Zweibrücken, Urteil vom 15.06.2020 – 1 OLG 2 Ss 79/19, juris Rn. 14 m.w.N.).

b) Gemessen daran vermögen die hierzu gegebenen Ausführungen die Annahme – lediglich – fahrlässigen Verhaltens nicht zu tragen.

aa) Grundsätzlich kann der Tatrichter ohne Rechtsfehler davon ausgehen, dass Verkehrsschilder wahrgenommen werden. Oberhalb einer Grenze von 40% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist zudem regelmäßig davon auszugehen, dass dem Fahrer die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit nicht verborgen geblieben sein kann (Senat, Beschluss vom 14.04.2020 – 1 OWi 2 SsBs 8/20, juris Rn. 9 und 11 m.w.N.). Die Indizwirkung des Ausmaßes der Geschwindigkeitsübertretung auf ein (bedingt) vorsätzliches Verhalten des Fahrzeugführers kann aber durch eine entsprechende bestreitende Einlassung des Betroffenen oder das Vorliegen gegenteiliger Anhaltspunkte entkräftet werden.

Ob bereits die nicht näher erläuterte Angabe eines Fahrers, er habe die betreffenden Verkehrszeichen übersehen, ausreichen kann, diese Indizwirkung zu entkräften, ist fraglich. Denn der Tatrichter ist – wie auch sonst (vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2017 – 1 StR 436/17, juris Rn. 10) – nicht aus Rechtsgründen gehalten, eine nicht eindeutig widerlegbare Einlassung eines Beschuldigten zu übernehmen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Einlassungen zu Vorstellungen und Motiven eines Beschuldigten. Der Tatrichter hat vielmehr eine entsprechende Einlassung anhand der festgestellten objektiven Tatumstände auf ihre Nachvollziehbarkeit zu prüfen und mit dem Beweisergebnis im Übrigen, insbesondere einer evtl. Ortskenntnis des Betroffenen, den Begleitumständen der Fahrt sowie der Art und Wiederholung der Beschilderung, in eine Gesamtwürdigung einzustellen.

bb) Der in den schriftlichen Urteilsgründen wiedergegebenen Einlassung des Betroffenen, er habe „möglicherweise nicht die notwendige Sorgfalt für die Beschränkung aufgebracht“, kann bereits die konkrete Schilderung eines Sachverhalts, der zur Entkräftung der mit dem Maß der Übertretung verbundenen Indizwirkung geeignet wäre, nicht entnommen werden. Weder hat der Betroffene danach angegeben, die – zudem wiederholt und beidseitig aufgestellten – Verkehrszeichen übersehen, noch behauptet, die von ihm gefahrene Geschwindigkeit falsch eingeschätzt zu haben. Im Hinblick auf das Motiv für die Fahrt – möglichst rasches Eintreffen an der Koppel in S. – hätte sich das Amtsgericht daher mit der sich aufdrängenden Möglichkeit befassen müssen, dass der Betroffene (in einer vermeintlichen Notsituation) bewusst eine Geschwindigkeitsübertretung um des schnelleren Fortkommens willen in Kauf genommen, mithin zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Jedenfalls aber hätte das Amtsgericht die Glaubhaftigkeit der Behauptung, die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht erkannt zu haben, nicht ungeprüft übernehmen dürfen. Insbesondere hätte sich das Amtsgericht in diesem Zusammenhang mit dem sich aufdrängenden Umstand befassen müssen, dass dem Betroffenen die von ihm gefahrene Strecke und auch die dort vorhandenen Geschwindigkeitsbeschränkungen offenkundig bekannt gewesen sind.“

OWi III: Vorbeifahren an drei Verkehrsbeschränkungen, oder: Erhöhung der Regelgeldbuße=

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zur Gledbußenhöhe. Das AG hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h eine gegenüber dem Regelsatz von 70 EUR erhöhte Geldbuße von 85 EUR festgesetzt. Die Erhöhung hatte das AG damit begründet, dass die die Beschränkung anordnenden Verkehrszeichen vor der Messstelle dreimal beidseitig wiederholt aufgestellt waren. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 08. 03.2021 – 4 OWi 6 SsRs 26/21 –  hatte keinen Erfolg:

„Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern.

Insbesondere ist ein sachlich-rechtlicher Verstoß nicht darin zu sehen, dass das Amtsgericht die Regelgeldbuße gemäß BKatV von 70,- Euro um 15,- Euro erhöht hat, weil es dem Betroffenen eine erhöhte Fahrlässigkeit angelastet hat.

In der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz wird die Frage, ob der Betroffene mit erhöhter Fahrlässigkeit handelt, wenn er mehrere beidseitig aufgestellte Verkehrszeichen ignoriert, ohne sein Fahrverhalten entsprechend anzupassen, unterschiedlich beantwortet, wobei bislang – soweit ersichtlich – hierzu eine Senatsentscheidung noch nicht vorliegt.

Dies wird in einigen Entscheidungen des 1. und 2. Bußgeldsenats bejaht (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 1 OWi 6 SsRs 361/20 v. 25.11.2020; 1 OWi 6 SsRs 253/30 v. 02.10.2020; 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020; 1 OWi 6 SsBs 11/18 v. 08.06.2018). Demgegenüber ist in einer Entscheidung des links unterzeichnenden Einzelrichters des 3. Bußgeldsenats die Auffassung vertreten worden, dass durch ein solches Fehlverhalten der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht erhöht wird und deshalb eine darauf gestützte Erhöhung der Regelgeldbuße zu unterbleiben hat (OLG Koblenz, Beschl. 3 OWi 6 SsRs 299/20 v. 26.10.2020).

Der Senat entscheidet die Rechtsfrage jetzt dahingehend, dass in den besagten Fällen ein gegenüber dem Regelfall – dem achtlosen Vorbeifahren an nur einem die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen – der Fahrlässigkeitsvorwurf als erhöht anzusehen ist, was es rechtfertigt, die Regelgeldbuße entsprechend zu erhöhen. An der anderslautenden Rechtsprechung des Einzelrichters des Senats vom 26. Oktober 2020 wird nicht mehr festgehalten.

Grundsätzlich sind die Regelsätze der BKatV für die Gerichte verbindlich, da sie Rechtssatzqualität haben (vgl. BeckOK-OWiG/Sackreuther, § 17 Rn. 111; KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn. 103). Dabei gehen die Bußgeldregelsätze für fahrlässiges Handeln von gewöhnlichen Fällen aus; ein Abweichen hiervon ist nur dann angezeigt, wenn außergewöhnliche, besondere Umstände vorliegen, die nicht dem durchschnittlichen Fahrlässigkeitsgrad entsprechen. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 3 OWiG, wonach Grundlage für die Zumessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf sind, der den Täter trifft.

Der individuelle Sorgfaltsverstoß, der dem Betroffenen hier anlastet, ist nach den Urteilsgründen des Amtsgerichts darin zu sehen, dass er trotz Kenntnis der im Messstellenbereich durch Zeichen 274 angeordneten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h sein Fahrverhalten sorgfaltswidrig nicht angepasst hat, obwohl er zuvor wiederholt durch die mehrfache Beschilderung mit dem gleichen Zeichen dazu angehalten worden ist. Diesem Verhalten liegt eine gegenüber dem Regelfall, der Nichtbeachtung nur eines Schildes, eine erhöhte Sorgfaltspflichtverletzung zugrunde.

Für einen erhöhten Sorgfaltsverstoß und die damit einhergehende besondere individuelle Vorwerfbarkeit sprechen zunächst Sinn und Zweck der Mehrfachbeschilderung. Nach Ziffer I. zu Zeichen 274 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) v. 26. Januar 2001 sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen angeordnet werden, wenn Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten sind. Dies gilt jedoch nur dann, wenn festgestellt worden ist, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten wird. Im anderen Fall muss die geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit durchgesetzt werden. Geschwindigkeitsbeschränkungen können sich im Einzelfall schon dann empfehlen, wenn aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten häufig gefährliche Verkehrssituationen festgestellt werden. Außerhalb geschlossener Ortschaften sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Maßgabe der voranstehenden Erwägungen der VwV-StVO angeordnet werden, wo Fahrzeugführer insbesondere in Kurven, auf Gefällstrecken und an Stellen mit besonders unebener Fahrbahn ihre Geschwindigkeit nicht den jeweiligen Straßenverhältnissen anpassen; die zulässige Höchstgeschwindigkeit soll dann auf diejenige Geschwindigkeit festgelegt werden, die vorher von 85 % der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde.

Daraus folgt, dass ein Fahrzeugführer davon auszugehen hat, dass er sich mit seinem Fahrzeug auf einer besonders unfall- oder sonst gefahrenträchtigen Strecke befindet, wenn er ein geschwindigkeitsbeschränkendes Verkehrszeichen passiert. Der Erfolgsunwert seines Handels bzw. der Sorgfaltspflichtverstoß ist darin zu sehen, dass der Verkehrsteilnehmer, der die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht reduziert, die Gefahrenwarnung des Verkehrszeichens ignoriert und deshalb nicht nur sich, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Ist eine Unfall- oder Gefahrenstelle – wie vorliegend – nicht durch ein, sondern durch mehrere, mit Abstand hintereinander aufgestellte geschwindigkeitsbeschränkende Verkehrszeichen als solche besonders kenntlich gemacht, so wird dies einen verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmer in besonderer Weise dazu veranlassen, vorsichtig zu fahren und sich durch einen Blick auf den Tachometer zu vergewissern, ob er die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhält bzw. sein Fahrverhalten entsprechend darauf einzustellen. Denn ein solcher Fahrer wird der Mehrfachfachbeschilderung die Warnung vor einer besonders gefährlichen und unfallträchtigen Stelle entnehmen. Ein Fahrer, der eine solche Beschilderungssituation ignoriert, handelt deshalb mit in zweifacher Hinsicht gesteigerter Fahrlässigkeit, denn er ignoriert nicht nur die Botschaft der besonderen Unfall- oder Gefahrenträchtigkeit, sondern dies auch nicht nur in einem kurzen Augenblick, sondern über einen längeren Zeitraum hin.

Der Sinn und Zweck der dreifach hinter einander aufgestellten Schilder ist auch im konkreten Fall darin begründet, dass unmittelbar auf die Messstelle ein Unfallschwerpunkt folgt, zu dessen Entschärfung die Geschwindigkeitsbeschränkung und die zu ihrer Überwachung aufgebaute stationäre Messanlage dienen. Ihr geht über mehrere Kilometer eine Gefällestrecke voraus, aus der die besondere Unfallgefährlichkeit des Streckenabschnitts erwächst. Dies ist dem Senat aus einer Vielzahl von diese Messstelle betreffenden Verfahren, aber auch aus eigener Anschauung bekannt.

Passiert der Betroffene, wie hier, auf einer mehrere Kilometer reichenden Gefällestrecke drei im Abstand hintereinander aufgestellte Verkehrszeichen, die er neben leicht erkennbaren Gegebenheiten wie dem Gefälle vor der Messstelle als Anhaltspunkt zur Überprüfung seiner gefahrenen Geschwindigkeit wahrnehmen muss, dann handelt er mit höherem Unwertgehalt als ein Fahrzeugführer, der lediglich ein die Höchstgeschwindigkeit anordnendes Verkehrsschild passiert, ohne seine Geschwindigkeit entsprechend anzupassen. Die Mehrfachbeschilderung in Verbindung mit der Gefällestrecke führt auch deswegen zum erhöhten Sorgfaltsverstoß, weil der betroffenen Fahrzeugführer durch das Gefälle mittels dauerhaften Betätigens der Bremseinrichtung aktiv auf die gefahrene Geschwindigkeit Einfluss nehmen muss (also nicht einfach den Fuß vom Gas nehmen kann).

Somit ist die Rechtsauffassung des Amtsgerichts Linz am Rhein nicht zu beanstanden, wonach das Fehlverhalten in vorliegendem Fall vom Regelfall nach der BKatV in einem Maße nach oben abweicht, dass es nicht mehr einem mittleren Fahrlässigkeitsgrad zuzuordnen ist, sondern in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit aufrückt. Die Dreifachbeschilderung und die Streckenführung stellen besondere Begleitumstände dar, welche die besondere Aufmerksamkeit des Fahrers hervorrufen müssen. Unter diesen Umständen belegt die Unkenntnis von der eigenen Geschwindigkeitsüberschreitung einen gesteigerten Sorgfaltsverstoß des Betroffenen.

In der Erhöhung des Bußgeldes aufgrund der die Geschwindigkeitsbegrenzung anordnenden, mehrfach wiederholten Beschilderung ist ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nicht zu sehen (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 2 OWi 6 SsBs 30/20 v. 11.03.2020). Denn nicht ein mehrfaches Überfahren der Geschwindigkeitsbeschränkung vor der Messstelle hat das Tatgericht hier zum Anlass für die Erhöhung der Geldbuße genommen, sondern die Fehlleistung des Betroffenen, bei mehreren aufeinander folgenden Schildern die Gelegenheit sorgfaltswidrig versäumt zu haben, sein Fahrverhalten der besonderen Streckengefährlichkeit anzupassen.“

OWi I: Fahrlässige Geschwindigkeitskeitsüberschreitung?, oder: Verkehrszeichen nur in anderer Richtung

entnommen wikimedia.org

Für den OWi-Bereich liegen mir derzeit nicht so viele Entscheidungen vor. Aber für einen weiteren OWi-Tag heute reicht es dann doch (noch) 🙂 .

Ich starte mit dem OLG Oldenburg, Beschl. 30.04.2020 – 2 Ss (OWi) 111/20. Die Problematik: Kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann in Betracht kommen, wenn in der Fahrtrichtung, in der der Betroffene gefahren ist, kein Verkehrszeichen passiert wurde?

Das OLG meint: Grundsätzlich ja. Zu entscheiden war folgender Sachverhalt:

„Der Betroffene befuhr in Ort3 eine innerstädtische Straße in nördlicher Richtung. Er passierte dabei das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzende Verkehrszeichen 274 in Kombination mit Verkehrszeichen 123 (Arbeitsstelle). Anschließend bog er auf den Parkplatz seiner Arbeitsstätte ab. Nach mehreren Stunden verließ er mit seinem Fahrzeug den Parkplatz, um nunmehr in südlicher Richtung auf der oben genannten Straße zurückzufahren. Bis zur Messstelle passierte er in dieser Fahrtrichtung kein die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen, da dieses nördlich des Parkplatzes aufgestellt war.“

Das AG hat verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er meint, die sei zuzulassen zur Klärung der Frage, ob eine Beschilderung einer Geschwindigkeitsbegrenzung in Verbindung mit dem Hinweis auf eine Baustelle im Bereich der Baustelle auch für den Gegenverkehr gilt, der auf dieser Fahrspur die dort vorhandene Beschilderung der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht passiert hat.

Dazu das OLG:

„Die Rechtsbeschwerde ist hier nicht zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen.

Die in diesem Zusammenhang relevanten Rechtsfragen sind geklärt.

Das Streckenverbot galt im vom Betroffenen befahrenen Bereich auch in südlicher Richtung. Zwar soll unter anderem das Zeichen 274 hinter Kreuzungen und Einmündungen wiederholt werden, an denen mit dem Einbiegen ortsunkundiger Kraftfahrer zu rechnen ist. Selbst wenn man die Zufahrt zum Parkplatz mit einer Einmündung gleichsetzen würde, wäre allein hierdurch das Streckenverbot aber nicht aufgehoben worden (vergleiche Senat, NJW 2011, 3593).

Grundsätzlich entfalten Verkehrszeichen das Gebot einer Geschwindigkeitsbeschränkung aber nur in der Fahrtrichtung für die sie aufgestellt und für den Betroffenen auch sichtbar sind (Senat VRS 89, 53; OLG Celle DAR 2000, 578; OLG Bamberg Beschluss vom 17. Juli 2013, 3 SsOWi 944/13, juris).

Insoweit unterscheidet sich der hier vorliegende Sachverhalt von demjenigen, der der Entscheidung des Senats NJW 2011, 3593 zugrunde lag, da dort der Betroffene nach Verlassen des Parkplatzes in derselben Richtung weitergefahren war. Auf dem Hinweg war er an dem Verkehrszeichen vorbeigefahren.

Hier hatte der Betroffene jedoch in seiner –späteren- Fahrtrichtung kein Verkehrszeichen passiert.

Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist jedoch vergleichbar mit demjenigen, der der Entscheidung BGHSt 11, 7 ff. zugrunde lag. Dort war es so, dass „die Angeklagten“ mit einem unbeladenen Lastzug ein Verkehrszeichen passiert hatten, mit dem die Straße für Fahrzeuge über 6 t Gesamtgewicht gesperrt war. Unterwegs beluden sie den Lastzug in einem abseits gelegenen Waldstück mit Holz, sodass die Grenze von 6 t überschritten war und fuhren anschließend auf dem Waldweg zurück zur Landstraße, um in die Richtung zurückzufahren, aus der sie gekommen waren, wobei in diesem Streckenverlauf kein Verbotsschild aufgestellt war.

Der BGH hat ausgeführt, dass die Verkehrsbeschränkung für den gesamten Straßenabschnitt, ohne dass die Anordnung für denjenigen, der das Schild an einem der beiden Anfangspunkt wahrgenommen hatte, unterwegs durch zusätzliche Verbotstafeln wiederholt zu werden brauchte, gegolten hätte. „Wenn also ein Kraftfahrer sein Fahrzeug vor Erreichen des Endpunktes der Sperrstrecke über das zugelassene Höchstgewicht beladen und die Fahrt in gleicher Richtung fortgesetzt hätte, könnte er nicht erfolgreich geltend machen, das für die ganze Strecke gültige Verbot sei auch nicht in ihrem letzten Teilstück durch amtliche Verkehrszeichen sichtbar gemacht“ (BGH a. a. O.).

Weiter heißt es dort:

„Ob nun die Fahrt in derselben oder in der entgegengesetzten Richtung fortgesetzt wird, in beiden Fällen wird vom Kraftfahrer verlangt, dass er sich ein für längere Strecke geltendes Verbotsschild mindestens dann merkt und einprägt, wenn es zuvor wahrgenommen hat.“ Diese Ansicht bedeute kein Abgehen vom Sichtbarkeitsgrundsatz. Sie wolle nur seiner allzu weitgehenden Übersteigerung, die zu kaum verständlichen Ergebnissen im Verkehr führen würde, entgegentreten. „Die Angeklagten“ hätten das Verbotszeichen auf der einheitlichen Fahrt befolgen müssen, solange sie diese Straße genutzt hätten. Die noch am selben Tag unmittelbar an das Beladen sich anschließende Rückfahrt über die gleiche Strecke könne nämlich nicht unabhängig von der vorangegangenen Benutzung als neue, selbständige Fahrt angesehen werden.

Der BGH hat seine Entscheidung weiter damit begründet, dass die dortige Belastungsbeschränkung erkennbar für beide Fahrtrichtungen gegolten hätte.

Dieser Gedanke lässt sich allerdings nicht in jedem Fall auf die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung übertragen. Zwar mag in der Praxis häufig eine Geschwindigkeitsbeschränkung für beide Richtungen eines Streckenabschnitts gelten, wobei sich die Streckenabschnitte mit beschränkter Geschwindigkeit für die gegenläufigen Fahrtrichtungen aber keineswegs decken müssen (OLG Celle a. a. O.).

Sowohl das OLG Celle als auch das OLG Bamberg halten es in den oben genannten Entscheidungen jedoch für möglich, dass ein Betroffener aufgrund der Umstände davon ausgehen muss, dass auch für die Gegenfahrbahn ein entsprechendes Geschwindigkeitsgebot bestand. Anders als in den Sachverhalten, die den dortigen Entscheidungen zugrunde lagen, sind hier aber vom Amtsgericht Umstände festgestellt worden, aufgrund derer der Betroffene davon ausgehen musste, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung auch für seine Fahrtrichtung galt:

Zum einen war die Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Kombination mit dem Verkehrszeichen „Arbeitsstelle“ angeordnet worden. Zum anderen befand sich die Baustelle nach den Feststellungen des Amtsgerichtes mittig auf den nicht durch Leitplanken getrennt Fahrbahnen. Wenn bei einer derartigen Örtlichkeit eine Geschwindigkeitsbegrenzung für eine Fahrtrichtung angeordnet worden ist, drängt sich auf, dass für die entgegengesetzte Fahrtrichtung nichts anderes gilt.

Letztlich ist die Frage, ob dem Betroffenen aufgrund der Örtlichkeit ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine solche des konkreten Einzelfalles und deshalb der Fortbildung des Rechts nicht zugänglich, während die sonstigen Fragen in diesem Zusammenhang geklärt sind.“

Ich habe meine Zweifel, ob die Auffassung des OLG zutreffend ist, wobei – hier – allerdings nicht übersehen werden darf, dass der Betroffene ortskundig war. Allerdings stellt sich die Frage, ob man die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt. Letztlich ist die Frage, ob einem Betroffenen aufgrund der (ihm bekannten) Örtlichkeit ggf. ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine des konkreten Einzelfalles – so auch das OLG – und kann deshalb wohl mit einem Zulassungsantrag zur Fortbildung des Rechts nicht angegriffen werden. Allerdings bietet das für den Verteidiger wiederum ein Einfallstor, um vorzutragen, warum sich dem Betroffenen im Einzelfall die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht aufdrängen musste.