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Vollzug/Vollstreckung I: Inhalt der Abstinenzweisung, oder: Unzumutbare Weisung für den Suchtkranken?

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Heute geht es dann mal wieder in die Strafvollstreckung bzw. den Vollzug.

Ich eröffne die Berichterstattung mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.06.2025 – 1 Ws 98/25. Der nimmt noch einmal zum zulässigen Inhalt einer Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB Stellung. Die Strafvollstreckungskammer hatte eine Abstinenzweisung beschlossen, die dem Verurteilten den Konsum jeglicher unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Substanzen untersagt und entsprechende Drogentests vorsieht. Die Weisung hat folgenden Wortlaut:

„5. Der Verurteilte wird gemäß § 68b Absatz 1 StGB strafbewehrt angewiesen, …..

d) den Konsum jeglicher Substanzen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, zu unterlassen und sich zum Nachweis seiner Betäubungsmittelabstinenz für die Dauer der gesamten Führungsaufsicht im Abstand von höchstens 3 Monaten, insgesamt 4 Drogenscreenings jährlich zu unterziehen (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB). Das Drogenscreening ist in Form von Urinkontrollen vorzunehmen, die auf alle gängigen Betäubungsmittel (mit Ausnahme von Cannabis) zu untersuchen sind. Die Urinkontrollen hat der Verurteilte bei einem ihn behandelnden Allgemeinmediziner, dem örtlichen Gesundheitsamt oder der Suchtberatungsstelle des Wohnortes abzugeben. Das Ergebnis hat der Verurteilte dem Bewährungshelfer binnen 3 Tage nachzuweisen. Die Kosten für das Drogenscreening hat bis auf Weiteres die Staatskasse zu tragen.“

Dagegen die Beschwerde, die das OLG als unbegründet angesehen hat:

„…..

a) Eine wie hier in Rede stehende Weisung gemäß § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB muss zum einen geeignet sein, den mit ihr angestrebten Zweck zu erreichen, wobei bereits die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.03.2016 – 2 BvR 496/12, juris, Rn. 18). Daneben muss sie erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne, mithin für den Betroffenen zumutbar sein. Die Feststellung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne setzt eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, zu deren Wahrnehmung es erforderlich ist, in die Grundrechte einzugreifen, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter des Betroffenen voraus. Hierbei sind an eine Abstinenzweisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB aufgrund des Umstandes, dass sie gemäß § 145a StGB strafbewehrt ist, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erhöhte Anforderungen zu stellen. Die diesbezügliche Hinnahme kann von dem Betroffenen daher im Allgemeinen nur erwartet werden, wenn er überhaupt in der Lage ist, sich weisungsgerecht zu verhalten und der Schutz überwiegender Interessen anderer oder der Allgemeinheit eine strafrechtliche Sanktionierung gebietet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.03.2016 – 2 BvR 496/12, juris, Rn. 19 ff.).

Von der Verhältnismäßigkeit einer Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB wird somit regelmäßig auszugehen sein, wenn diese gegenüber einer ohne weiteres zum Verzicht auf den Konsum von Suchtmitteln fähigen Person angeordnet wird und im Falle des erneuten Alkohol- oder Suchtmittekonsums mit der Begehung erheblicher, die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit betreffender Straftaten zu rechnen ist. Wenn der Verzicht auf den Konsum von Suchtmitteln lediglich vom Willen und der charakterlichen Festigkeit des Weisungsunterworfenen abhängt, ist es ohne weiteres zumutbar, für die Dauer der Führungsaufsicht zur Vermeidung weiterer Straftaten einen solchen Verzicht einzufordern (BVerfG, Beschluss vom 30.03.2016 – 2 BvR 496/12, juris, Rn. 24).

Anders verhält es sich im Fall eines – wie hier – nicht oder erfolglos therapierten langjährigen Suchtkranken. In einem solchen Fall bedarf die Frage der Zumutbarkeit des Verzichts auf den Konsum von Suchtmitteln strengerer Prüfung, da die Abstinenzweisung für den Suchtkranken eine deutlich schwerere Belastung darstellt. Dennoch wird auch in diesen Fällen nicht ausnahmslos davon ausgegangen werden können, dass die Weisung, auf den Konsum von Suchtmitteln zu verzichten, unzumutbar ist. Vielmehr ist insoweit eine Abwägung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls erforderlich. Hierbei sind insbesondere die Fragen, in welchem Umfang überhaupt die Aussicht besteht, den mit einer Abstinenzweisung verfolgten Zweck zu erreichen, ob und inwieweit der Suchtkranke sich – wenn auch erfolgslos – Therapieangeboten geöffnet hat und welche Straftaten im Falle weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten sind, in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 30.03.2016 – 2 BvR 496/12, juris, Rn. 25 f.).

b) Gemessen an diesem Maßstab ist die hier gegenständliche Abstinenzweisung noch verhältnismäßig.

Angesichts der hier in Rede stehenden Anlassverurteilung sowie des Umstands, dass der Verurteilte diese Straftat begangen hat, um zumindest auch seinen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren, ist davon auszugehen, dass mit dem Wegfall des weiteren Konsums von unter die Weisung fallenden Betäubungsmitteln auch eine weitere Straffälligkeit des Verurteilten unterbleibt.

…… „

Die Einzelheiten der umfassenden Würdigung des OLG bitte dem Volltext entnehmen.

OWi III: Widerruf der Rechtsmittelrücknahme der StA, oder: Gleiches Recht für alle

Und als letzte Entscheidung dann noch etwas zum Rechtsmittelverzicht. Es geht in dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.07.2025 – 1 ORbs 2 SsBs 13/25 – zwar um den Verzicht auf die Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft, die Ausführungen des OLG können aber auch für den Betroffenen Bedeutung erlangen und sie können auch auf andere Rechtsmittel angewendet werden.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Nachdem das AG die Akte mit dem Hauptverhandlungsprotokoll an die Staatsanwaltschaft versandt hatte, wo sie am 16.01.2025 einging, hat die Staatsanwaltschaft gemäß Verfügung vom 20.01.2025 Rechtsbeschwerde eingelegt, welche am 22.01.2025 beim AG einging. Das vollständige Urteil ging der Staatsanwaltschaft am 29.01.2025 zu. Nach Rücklauf der am 06.02.2025 wieder beim AG eingegangenen Akte enthielt diese die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 30.01.2025, wonach auf Rechtsmittel verzichtet werde. In der Folge nahm sodann der zuständige Amtsrichter am 13.02.2025 fernmündlich Kontakt mit der zuständigen Sachbearbeiterin bei der Staatsanwaltschaft auf. Hierbei wurde von dieser mitgeteilt, dass es sich bei der Verfügung vom 30.01.2025 nicht um eine förmliche Rechtsmittelrücknahme handele und die Akte vielmehr „durchgegangen“ sei, da auf dem Aktendeckel die Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht vermerkt gewesen sei. Keinesfalls habe die Rechtsbeschwerde durch den Standardzusatz „Ich verzichte auf Rechtsmittel.“ zurückgenommen werden sollen.

In der durch den Senat bei der Staatsanwaltschaft eingeholten dienstlichen Stellungnahme wurde die inhaltliche Richtigkeit des Vermerks des Amtsrichters bestätigt und zusätzlich ausgeführt:

„Das Verfahren 5888 Js 35958/24 war zum damaligen Zeitpunkt in Vertretung (das Dezernat 5888 Js war durch Pensionierung des Dezernenten seit Sommer 2024 vakant) mit bearbeitet worden. Im Zuge des erhöhten Aktenaufkommens ist diese Akte tatsächlich fehlerhaft bearbeitet und bei Eingang des Urteils die Standard-Rücksendung „mit Rechtsmittelverzicht“ im Text RP ausgewählt worden, statt die Anfertigung der jetzt erforderlichen Rechtsmittelbegründung durchzuführen. Eine Rücknahme des Rechtsmittels war nicht angedacht und hätte zudem der Rücksprache und Zustimmung der Abteilungsleitung bedurft. Nach dem Telefonanruf und Rücksendung der Akte wurde sodann das eingelegte Rechtsmittel begründet.“

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig angesehen:

„Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, da sie aufgrund des durch die Staatsanwaltschaft schriftlich erklärten Rechtsmittelverzichts wirksam zurückgenommen wurde (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 1 StPO).

Der Inhalt der Erklärung in der Verfügung vom 30.01.2025 ist als Verzicht auf das Rechtsmittel unmissverständlich. Zwar bezieht sich nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut von § 302 Abs. 1 S. 1 StPO die Zurücknahme auf ein bereits eingelegtes Rechtsmittel, wohingegen es sich bei dem Verzicht um die verbindliche Erklärung handelt, ein Rechtsmittel nicht einlegen zu wollen. Gleichwohl schließt § 302 Abs. 1 StPO nicht aus, dass der Verzicht auf ein Rechtsmittel nach seiner vorherigen Einlegung geschieht. Der Verzicht beinhaltet somit als umfassenderer Begriff auch die Rücknahme eines bereits eingelegten Rechtsmittels, enthält also dessen Rücknahme und schließt die erneute Rechtsmitteleinlegung aus (vgl. Jesse in: LR-StPO, 26. Auflage, § 302 StPO, Rn. 3, 28, juris; BGH, Beschluss vom 01.07.1980 – 4 StR 347/80, zitiert nach Pfeiffer, in: NStZ 1982, S. 188 ff. (190), beck-online; Frisch in: SK-StPO, 6. Auflage, § 302 StPO, Rn. 2, Wolters Kluwer Online; s.a. Paul in: KK-StPO, 9. Auflage, § 302 StPO, Rn. 1, beck-online).

Ebenso bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts. Zwar ist im Hinblick auf den – von der Staatsanwaltschaft als inhaltlich zutreffend bestätigten – Telefonvermerk des Amtsrichters davon auszugehen, dass die zuständige Sachbearbeiterin der Staatsanwaltschaft den Rechtsmittelverzicht irrtumsbedingt abgegeben hat. Dieser Irrtum ist jedoch unbeachtlich und weder dem Gericht noch dem Betroffenen zuzurechnen.

Der wirksame Verzicht auf die Einlegung bzw. die Rücknahme eines Rechtsmittels kann als prozessuale Willenserklärung im Grundsatz auch dann nicht mehr widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden, wenn der Betroffene – gleiches gilt für die Staatsanwaltschaft – ihn infolge eines Irrtums über seine Tragweite ausgesprochen haben sollte. Ein (Motiv-)Irrtum ist somit ohne Einfluss auf die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts bzw. dessen Rücknahme (vgl. BGH, Beschluss vom 21.06.1967 – 2 StR 290/67, in: GA 1969, S. 281; BGH, Beschluss vom 15.10.1981 – 1 StR 646/81, BeckRS 1981, 108353, Rn. 1; BGH, Beschluss vom 25.09.1990 – 4 StR 204/90, juris, Rn. 5 ff.; BGH, Beschluss vom 31.05.2005 – 1 StR 158/05, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 29.11.1983 – 4 StR 681/83, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 28.07.2004 – 2 StR 199/04, juris, Rn. 5 BGH, Beschluss vom 18.09.1996 – 3 StR 373/96, in: NStZ 1997, S. 148, beck-online; BGH, Beschluss vom 08.10.2015 – 2 StR 103/15, juris, Rn. 7; BGH, Beschluss vom 01.09.1988 – 4 StR 394/88, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 10.11.2015 – 1 StR 520/15, juris, Rn. 3; BGH, Urteil vom 21.04.1999 – 5 StR 714/98, juris, Rn. 37; OLG Hamm, Beschluss vom 29.08.1979 – 6 Ss OWi 2049/79, juris, Rn. 17).

Umstände, die der Wirksamkeit des Verzichts ausnahmsweise entgegenstehen könnten oder ein Festhalten an diesem als grob unbillig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Weder bestehen Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit noch sind Umstände gegeben, aufgrund derer der Irrtum ausnahmsweise beachtlich sein könnte, wie beispielsweise bei einem aufgrund Täuschung hervorgerufenen Irrtums, einer unrichtigen Belehrung durch das Gericht, unzulässiger Willensbeeinflussung oder schwerwiegender Willensmängel (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24.08.2016 – 1 StR 301/16, juris, Rn. 9 ff.; BGH, Beschluss vom 24.07.2019 – 3 StR 214/19, juris, Rn. 23 ff.; BGH, Beschluss vom 29.11.1983 – 4 StR 681/83, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 15.10.1981 – 1 StR 646/81, BeckRS 1981, 108353, Rn. 1; BGH, Beschluss vom 25.04.2001 – 5 StR 53/01, juris, Rn. 5; BGH, Urteil vom 21.04.1999 – 5 StR 714/98, juris, Rn. 37; BGH, Beschluss vom 05.12.2001 – 1 StR 482/01, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 22.08.2012 – 1 StR 170/12, juris, Rn. 13 f.; BGH, Beschluss vom 08.10.2015 – 2 StR 103/15, juris, Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 29.08.1979 – 6 Ss OWi 2049/79, juris, Rn. 17; KG, Beschluss vom 20.01.1999 – 1 AR 1551/984 Ws 303/98, juris, Rn. 3; OLG Hamm, Beschluss vom 07.02.1977 – 4 Ws 427/76, juris, Rn. 2; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.1981 – 2 Ws 334/81, in: NStZ 1982, S. 521, beck-online; OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.05.1993 – 3 Ws 253/93, in: NStZ 1993, S. 507, beck-online).

Auch der Umstand, dass die Rücknahme des Rechtsmittels innerhalb der Staatsanwaltschaft der Rücksprache und Zustimmung der Abteilungsleitung bedurft hätte, steht der Wirksamkeit der Rücknahme nicht entgegen.

Der Rechtsmittelverzicht führt zum Verlust des Rechtsmittels.“

OWI III: Diverses zu Fahrverbot und Geldbuße, oder: Zeitablauf, Hinweis, Absehen, Ausnahme, Reudzierung

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Und – wie im Verfahren – am Tagesende einige Rechtsfolgeentscheidung, und zwar zum Fahrverbot und eine zur Geldbuße.

Auch hier gibt es nur die Leitsätze, da die Entscheidungen nur die vorhandene Rechtsprechung fortschreiben. Wesentliche Neues enthalten sie nicht. Die Entscheidung zum Absehen bzw. Beschränkung des Fahrverbotes auf eine bestimmte Motorleistung ist m.E. falsch.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Ist im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht angeordnet worden, so darf das Gericht nur dann auf diese Nebenfolge erkennen, wenn es in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO den Betroffenen zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

1. Ob ein Absehen von einem Fahrverbot wegen langer Verfahrensdauer zu erwägen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und kommt regelmäßig erst in Betracht, wenn seit der zu ahnenden Ordnungswidrigkeit deutlich mehr als zwei Jahre vergangen sind. Hierbei ist grundsätzlich auf den Zeitraum zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung abzustellen.

2. Bei einer rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung kommt in Betracht, dass ein ordnungsgemäß verhängtes Fahrverbot teilweise oder vollständig als vollstreckt gilt. Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Das Gericht muss in einem solchen Fall erkennen lassen, dass es diesen Gesichtspunkt erwogen hat.

Ein Fahrverbot kann derart beschränkt werden, dass es Verbrennermotoren bis 60 kW Motorleistung ausnimmt.

1. Im Rahmen des Regelfahrverbotes nach Nr. 39.1 BKat führen die bloße Unübersichtlichkeit des Tatortes mit vielen Fahrzeugen, vielen Fahrspuren, vielen reflektierenden Lichtern infolge schlechten Wetters im Dunkeln nicht zu einem Wegfall der Indizwirkung des Regelfahrverbotstatbestands. Derartige Umstände entlasten nicht, sondern verschärften noch den der Betroffenen beim Abbiegen mit Unfallverursachung zu machenden Fahrlässigkeitsvorwurf. Schon unter besten Sichtbedingungen ist es falsch und führt zu einem Regelfahrverbot, wenn man in den entgegenkommenden Verkehr beim Abbiegen fährt und hierbei einen Unfall verursacht.

2. Ein eingetretener Eigenschaden, der nach Angaben der Betroffenen durch die Vollkaskoversicherung mit 600,00 € Selbstbeteiligung übernommen wurde, ist nicht geeignet, tatbezogene Besonderheiten im Rahmen der Nr. 39.1 BKat feststellen zu können, die zu einem Absehen vom Regelfahrverbot führen mussten.

3. Fehlende Voreintragungen allein sind kein nicht Grund, von einem Regelfahrverbot abzusehen.

4. Auch eine Gesamtschau aller vorstehend genannten Umstände ist nicht geeignet, die Indizwirkung der Regelfahrverbotsanordnung der Nr. 39.1 BKat zu erschüttern.

Ein Augenblicksversagen fehlt, wenn vor dem Erreichen eines Kreuzungsbereiches eine 30-er Zone endet und beim Linksabbiegen in eine andere Straße ein Zeichen 274 mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h und noch wenige Meter danach eine Lichtzeichenanlage für Fußgängerüberquerungen aufgestellt ist und der Fahrzeugführer das 30-km/h-Schild bei dem Linksabbiegen und Einfahren in die neue Straße übersieht. Eine derartige Beschilderung ist auch nicht verfahrensrelevant widersprüchlich.

Bei drohenden Schwierigkeiten im Hauptberuf durch unbezahlte Freistellung und drohenden erheblichen wirtschaftlichen Einbußen im Nebengewerbe kann bei einem nicht vorbelasteten Täter eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, der den Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt hat, unter angemessener Erhöhung der Regelgeld-buße von einer Fahrverbotsanordnung abgesehen werden.

Von dem im Bußgeldbescheid verhängten Regelsatz kann zugunsten des Betroffenen gemäß § 17 Abs. 3 OWiG abgewichen werden, wenn der geringfügig vorgeahndete Betroffene mit der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Einzelintervention positives Nachtatverhalten gezeigt hat.

 

 

OWi II: Widerspruch gegen das Beschlussverfahren, oder: Begründung der Beschlussentscheidung

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Im zweiten der heutigen Owi-Postings geht es dann um das Beschlussverfahren nach § 72 OWiG. Dazu habe ich hier zwei OLG-Entscheidungen, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle, und zwar.

1. Ein Widerspruch im Sinne von § 72 Abs. 1 OWiG kann auch konkludent durch schlüssiges Verhalten erklärt werden.

2. Ob in einer Äußerung des Betroffenen oder seines Verteidigers ein Widerspruch im Sinne von § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG zu sehen ist, ist unter Berücksichtigung des konkreten Falls, des wirklichen Willens des Betroffenen und der Reichweite seiner abgegebenen Erklärung sowie dem Gebot eines fairen Verfahrens festzustellen, wobei unter mehreren möglichen Erklärungsinhalten der für den Erklärenden günstigste anzunehmen ist.

Haben die Verfahrensbeteiligten sich mit einer Beschlussentscheidung einverstanden erklärt und auf deren Begründung verzichtet, genügt an deren Stelle gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG grundsätzlich der Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheides. Wird indes gegen die Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt, sind nach § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG die vollständigen Gründe innerhalb von fünf Wochen, beginnend mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde zu den Akten zu bringen.

StPO II: Beweiskraft eines Empfangsbekenntnisses, oder: Falsches Datum auf dem Empfangsbekenntnis

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Im zweiten Posting kommt dann hier der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 08.04.2025 – 1 Ws 10/25 – zur Beweiskraft eines Empfangsbekenntnisses.

Das Verfahren eingestellt worden, weil der Angeklagte verstorben. Gegen die für ihn nachteilige Kosten- und Auslagenentscheidung hat der Nebenkläger sofortige Beschwerde eingelegt. Das OLG führt in seinem Verwerfungsbeschluss zur Zulässigkeit des Rechtsmittels aus:

„1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

a) Die sofortige Beschwerde wurde insbesondere innerhalb der sich aus den §§ 464 Abs. 3 Satz 1, 311 Abs. 1, Abs. 2, 35 Abs. 2, 43 Abs. 1 StPO ergebenden Wochenfrist und damit fristgemäß eingelegt.

Zwar ist in dem am 26.12.2024 an das Landgericht gefaxten Empfangsbekenntnis als nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 175 Abs. 3 ZPO maßgebliches Zustellungsdatum der 17.12.2024 angegeben; danach wäre die am 26.12.2024 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Nebenklägers verfristet. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Zustellung des angefochtenen Beschlusses erst am 24.12.2024 mit einer vom Willen des Empfängers – hier des Nebenklagevertreters – getragenen Empfangnahme bewirkt worden ist. Das Empfangsbekenntnis beweist gemäß § 175 Abs. 3 ZPO und der darin enthaltenen gesetzlichen Beweisregel (§ 286 Abs. 2 ZPO) grundsätzlich das in ihm angegebene Zustellungsdatum, da in dem Empfangsbekenntnis zunächst der Zeitpunkt zu vermerken ist, zu dem der Empfänger das Schriftstück entgegengenommen hat. Dadurch ist der Beweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, allerdings nicht ausgeschlossen, denn § 175 Abs. 3 ZPO sieht Datum und Unterschrift nur als Mittel zum Nachweis, nicht hingegen als Voraussetzung der Zustellung an. Ein falsches Datum auf dem Empfangsbekenntnis verhindert nicht den Nachweis des tatsächlichen Zugangstages (BGH NJW 1990, 2125; NJW 2001, 2722; NJW 2012, 2117; NJW-RR 2021, 158); der Zeitpunkt der Zustellung kann daher auch auf andere Weise festgestellt werden (MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl. 2023, StPO § 37 Rn. 48 mwN). Nicht ausreichend ist aber eine bloße Erschütterung der Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis; vielmehr muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet werden (Musielak/Voit/Wittschier, 22. Aufl. 2025, ZPO § 175 Rn. 4 mwN).

Danach ist die vom Willen des Nebenklagevertreters getragene Empfangnahme des ihm übersandten Beschlusses vom 06.12.2024 (erst) am 24.12.2024 erfolgt. Der Nebenklagevertreter hat durch die von ihm eingereichten Reiseunterlagen belegt, dass er sich bis zum 24.12.2024 auf einer Reise in Südamerika befand; nach dem Schreiben vom 03.04.2025 ist anzunehmen, dass dem Nebenklagevertreter das Empfangsbekenntnis auch nicht (elektronisch) vor dem 24.12.2024 an seinen Urlaubsort zugegangen ist. Der Nebenklagevertreter kann demnach das ihm übersandte Empfangsbekenntnis erst nach Rückkehr von seiner Reise und damit nicht vor dem 24.12.2024 mit Annahmewille entgegengenommen haben. Das auf dem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelldatum – der 17.12.2024 – ist damit entkräftet.“