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Einziehunng III: Wert des Erlangten beim Mietbetrug, oder: Geschuldete Miete ja, Kaution nein.

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Und als dritte Entscheidung zur Problematik „Einziehung“ dann hier noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 09.01.2023 – 1 OLG 2 Ss 37/22 – zur Bestimmung des Wertes des Erlangten beim Mietbetrug (§ 73c StGB).

Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Betrugs verurteilt worden. Zudem wurde eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen die Berufung des Angeklagten, die nur geringen Erfolg hatte:

„Die zulässige Revision führt zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Entscheidung über die Einziehung von Wertersatz hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.

a) Gemäß § 73 Abs. 1 StGB ordnet das Gericht die Einziehung an, wenn der Täter durch eine rechtswidrige Tat oder für diese etwas erlangt hat. Erlangt hat der Angeklagte durch den Betrug die Nutzungsmöglichkeit der Wohnung. Deren Gegenwert stellt gemäß § 535 Abs. 1 und 2 BGB die Mietzahlung dar. Soweit sich der Angeklagte eigene Aufwendung dadurch erspart hat, dass er in den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020 den geschuldeten Mietzins in Höhe von 1.000 € überhaupt nicht, im Mai 2020 nur in Höhe von 600 € und im August 2020 in Höhe von 800 € gezahlt hat, hat er durch die Tat etwas erlangt. Insoweit ist der Wert dieser Taterträge gemäß §§ 73, 73c StGB einzuziehen.

b) Die Einziehung eines darüber hinausgehenden Betrages in Höhe von 937,42 € wird von den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Urteils nicht gedeckt. Die Kaution, die der Angeklagte ebenfalls nur zu einem Bruchteil gezahlt hatte, stellt keinen finanziellen Gegenwert für die Nutzung der Wohnung dar. Sie dient allein der Sicherung künftiger Ansprüche des Vermieters aus dem Mietverhältnis und dessen Abwicklung (Hau/Poseck/Zehelein in BeckOK BGB, 64. Ed., § 535 Rn. 181). Zwar kann ein Vermieter auf Zahlung der Kaution klagen, solange ein Sicherungsbedürfnis besteht (Hau/Poseck/Wiederhold in BeckOK BGB 64. Ed., § 551 Rn. 37). Nach Beendigung des Mietverhältnisses ist sie aber grundsätzlich zurückzuzahlen. Dem Angeklagten ist daher durch die Tat kein Vermögenswert in Höhe des nicht gezahlten Kautionsbetrages zugeflossen.

2. Darüber hinaus war die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten anzuordnen.

Nach den Feststellungen haben der Angeklagte und seine gesondert verfolgte Ehefrau die Nutzungsmöglichkeit der Wohnung gemeinsam erlangt. Soweit die Strafkammer nicht aufzuklären vermochte, ob die Ehefrau von Anfang an in der Absicht handelte, sich in Höhe ersparter Mietzahlungen zu bereichern, konnte sie die Entscheidung über die Gesamtschuldnerschaft nicht durch den Zusatz „ggf.“ im Tenor offen lassen. Es ist vielmehr eine eindeutige Aufnahme einer gesamtschuldnerischen Haftung in den Tenor erforderlich, weil der Staat durch die Anordnung der Wertersatzeinziehung nicht nur einen Zahlungsanspruch erwirbt, sondern diesen gemäß § 459g Abs. 2 StPO vollstrecken kann (BGH, Beschlüsse vom 23.11.2011 – 4 StR 516/11, NStZ 2012, 382, 383; vom 12.03.2018 – 4 StR 57/18, juris Rn. 3).

3. Der Senat ändert den Einziehungsausspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst. Durch die Reduzierung des Einziehungsbetrags ist jede Beschwer des Angeklagten ausgeschlossen. Auch die Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung beschwert den Angeklagten nicht. Sie begründet zudem weder einen Anspruch des Fiskus gegen die gesondert Verfolgte noch begünstigt sie diese oder den Angeklagten. Die Kennzeichnung als Gesamtschuld hat vornehmlich Warnfunktion für die staatlichen Vollstreckungsbehörden, Einziehungsbeträge nicht mehrfach zu vollstrecken. Sofern tatsächlich keine Ansprüche gegen andere Personen bestehen sollten, geht die Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung ins Leere (BGH, Urteil vom 28.07.2021 – 1 StR 519/20, juris Rn. 142; BGH, Beschluss vom 23.11.2011 – 4 StR 516/11, NStZ 2012, 382, 383). Der namentlichen Benennung des anderen Gesamtschuldners in der Beschlussformel bedarf es nicht (BGH, Beschlüsse vom 06.09.2022 – 3 StR 241/22, juris Rn. 4; vom 07.06.2022 – 4 StR 31/22, juris Rn. 3; jeweils mwN).“

Rechtsmittel III: Wirksame Rechtsmittelrücknahme?, oder: Bedeutung der Erklärung erkannt?

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Und dann als dritte Entscheidung noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.05.2022 – 1 Ws 83/22, also auch schon etwas älter. Es geht um die Wirksamkeit der Rücknahme einer sofortigen Beschwerde durch einen gem. § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten. Die Azsführungen des OLG haben über diesen Sachverhalt hinaus Bedeutung:

„1. Mit Beschluss vom 15.02.2022 hat die Große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts die Fortdauer der Unterbringung des Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass die nächste Überprüfung gem. § 67e StGB bis spätestens 17.02.2023 erfolgen soll. Die Entscheidung ist Rechtsanwalt Z als (damaligen) Pflichtverteidiger des Untergebrachten am 14.03.2022 förmlich zugestellt worden. Mit am 21.03.2022 beim Landgericht eingegangenen Faxschreiben hat Rechtsanwalt Z sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt. Nachdem der Untergebrachte durch den Berichterstatter der Strafvollstreckungskammer telefonisch über die Einlegung des Rechtsmittels informiert worden war, hat er mit Faxschreiben vom 23.03.2022 „das Rechtsmittel der Beschwerde, eingelegt durch Z“ zurückgenommen. Mit Verfügung vom 24.03.2022 hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer auf Antrag des Untergebrachten Rechtsanwalt Z entpflichtet und statt seiner Rechtsanwalt Y als Pflichtverteidiger bestellt. Mit Schriftsatz vom 10.04.2022 hat der ehemalige Pflichtverteidiger die Auffassung vertreten, seine Entpflichtung sei unwirksam und der Untergebrachte könne das durch ihn eingelegte Rechtsmittel nicht einseitig zurücknehmen. Das Landgericht hat sodann die Sache dem Senat zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt.

2. Die Rücknahme der sofortigen Beschwerde durch den Untergebrachten war wirksam (§ 302 Abs. 1 S. 1 StPO). Weil die Wirksamkeit der Rücknahme des Rechtsmittels durch den ehemaligen Pflichtverteidiger in Zweifel gestellt worden ist, war dies zur Klarstellung durch deklaratorischen Beschluss festzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15.04.2015 – 1 StR 112/15, NStZ-RR 2016, 24 und vom 06.12.2016 – 4 StR 558/16, NStZ-RR 2017, 185). Der Senat lässt dabei offen, ob eine solche Klarstellung stets veranlasst ist, wenn die Zweifel durch einen – hier aufgrund zwischenzeitlicher Entpflichtung – nicht mehr unmittelbaren Verfahrensbeteiligten erhoben worden sind.

 Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 04.05.2022 hierzu zutreffend u.a. ausgeführt:

„An der Wirksamkeit der Beschwerderücknahme bestehen keine Zweifel. Der Verurteilte muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung hierzu in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung erkennen. Dies wird selbst durch eine – hier allerdings nicht vorliegende – Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (BGH, Beschluss vom. 20.02.2017 ? 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Es sind vielmehr keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Verurteilten im Hinblick auf seinen geistigen Zustand die genügende Einsichtsfähigkeit für seine Prozesserklärung und deren Tragweite gefehlt hätte. Vielmehr belegen seine auch in der Vergangenheit gestellten Eingaben, dass der Verurteilte sehr wohl in der Lage ist, für seine Interessen einzutreten und dabei die Bedeutungen seiner Erklärungen zu erkennen.

An die danach wirksame Rücknahme der sofortigen Beschwerde ist der Verurteilte gebunden. Die Rücknahme des Rechtsmittels ist als Prozesserklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar. Die Rücknahmeerklärung führt zum Verlust des Rechtsmittels. Dem steht nicht entgegen, dass der (nunmehr ehemalige) Pflichtverteidiger an der durch ihn gegen den Beschluss des Landgerichts eingelegten sofortigen Beschwerde festhält. Rücknahmeberechtigt ist derjenige, der das Rechtsmittel eingelegt hat, wobei sich die Rücknahmeerklärung des Verurteilten stets auch auf das Rechtsmittel des Verteidigers erstreckt. Dass das Rechtsmittel vom Verteidiger eingelegt und begründet worden war, ist ohne Belang (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 302 StPO Rn. 4, BGH, Beschluss vom 13. 06. 2006 – 4 StR 182/06, NStZ-RR 2007, 210). Es handelt sich um ein einheitliches Rechtsmittel des Verurteilten. Eine Rechtsmitteleinlegung gegen den ausdrücklichen Willen des Verurteilten kommt nicht in Betracht (vgl. § 297 StPO). Der Wille des Verurteilte ist allein maßgebend.

Die wirksame Rücknahme der sofortigen Beschwerde seitens des Verurteilten führt zum Verlust des Rechtsmittels und damit zur Rechtskraft der Entscheidung.“

 

Verkehrsrecht II: Sieben Wochen Urlaub in Thailand, oder: Vertan, Linksverkehr statt Rechtsverkehr

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Die zweite Entscheidung, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.11.2022 – 1 OLG 2 Ss 34/22 –, hat einen interessanten Sachverhalt – hatte ich so bisher auch noch nicht – zum Gegenstand, und zwar:

Der Angeklagte kommt am 02.01.2022 aus einem siebenwöchigen in Thailand verbrachten Urlaub nach Deutschland zurück. Weil er bei dem elfeinhalb Stunden dauernden Nachtflug nicht gut geschlafen hatte, legte er sich für vier Stunden schlafen. Etwa eine Stunde nach dem Aufwachen beschließt er, mit seinem eigenen Pkw nach R. zu fahren. Er bog aus dem Grundstück in W. kommend links ab und befuhr auf einer Strecke von zwei bis drei Kilometern die Landstraße L . auf der linken Spur. Nach zwei bis drei Minuten Fahrtzeit kollidierte er in einem Kurvenbereich frontal mit dem ihm auf derselben Fahrspur entgegenkommenden Pkw der Geschädigten. Der Angeklagte hatte sich weder vor Fahrtantritt noch während der Fahrt darüber Gedanken gemacht, dass in Deutschland – anders als in Thailand – Rechtsverkehr herrscht. Die Geschädigte und ihr Beifahrer wurden bei dem Unfall verletzt.

Das LG hat den Sachverhalt rechtlich als fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in zwei Fällen gewertet. Der Angeklagte habe rücksichtslos gehandelt, weil er nach einem siebenwöchigen Auslandsaufenthalt mit Linksverkehr unreflektiert mit seinem Fahrzeug am Straßenverkehr teilgenommen habe, ohne sich die geltenden Verkehrsregeln zu vergegenwärtigen. Im Hinblick auf die Fahrtstrecke von mindestens zwei Kilometern und der Fahrzeit von mindestens 2 Minuten sei nicht von einem Augenblicksversagen auszugehen.

Das OLG sieht das anders:

„Der Schuldspruch hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2e, Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt hat. Denn die getroffenen Feststellungen tragen ein rücksichtsloses Handeln des Angeklagten nicht. Auf die daneben erhobene Verfahrensrüge, die ausschließlich auf die Verurteilung wegen dieses Delikts abzielt, kommt es daher nicht an.

1. Gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2e StGB macht sich strafbar, wer grob verkehrswidrig und rücksichtslos an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält. Rücksichtslos handelt ein Fahrer, der sich im gegebenen Falle seiner Pflicht bewusst ist, aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Vorwärtskommens wegen, sich über sie hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Verkehrsteilnehmer nicht kommen werde (bewusste Fahrlässigkeit). Rücksichtslos handelt ferner, wer sich aus Gleichgültigkeit auf seine Pflichten als Fahrer nicht besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise in sich gar nicht aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens drauflosfährt (BGH, Urteil vom 25.02.1954 – 4 StR 796/53, BGHSt 5, 392, 395; Pfälzisches OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.06.2021 – 1 OLG 2 Ss 9/21, juris Rn. 23 mwN). Das Tatbestandsmerkmal der Rücksichtslosigkeit erfordert demnach eine gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit. Gelegentliche Unaufmerksamkeit oder reine Gedankenlosigkeit genügen hierfür nicht (vgl. BGH, aaO, 396; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.12.1999 – 2b Ss 87/99 – 46/99 I, juris Rn. 28). Ebenso wenig begründet ein bloß fahrlässiger Verstoß für sich den Vorwurf der Rücksichtslosigkeit, auch nicht bei Eintritt einer konkreten Gefährdung. Der Täter muss vielmehr ein überdurchschnittliches Fehlverhalten gezeigt haben, das von einer besonders verwerflichen Gesinnung geprägt sein muss (Pfälzisches OLG Zweibrücken, aaO Rn. 22 mwN; KG, Beschluss vom 29.04.2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22), juris Rn. 18).

Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht rücksichtslos. Zwar setzte sich der Angeklagte über die Regeln der Straßenverkehrsordnung, insbesondere das in § 2 Abs. 2 StVO normierte Rechtsfahrgebot, hinweg, als er sich vor und während der Fahrt keine Gedanken über die in Deutschland geltenden Verkehrsregeln machte. Dabei handelte er nach den Feststellungen des Tatgerichts aber nicht bewusst oder aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Straßenverkehrsteilnehmern, sondern lediglich aus Unachtsamkeit, nachdem er sich sieben Wochen in einem Land aufgehalten hatte, in dem Linksverkehr vorherrschte. Der Angeklagte erweist sich dadurch nicht als gleichgültiger Fahrer. Er handelte insoweit zwar fahrlässig, weil er sich vor Fahrtantritt und während der Fahrt die geltenden Verkehrsregeln hätte vor Augen führen müssen. Ein darüber hinausgehender Vorwurf ist von den Feststellungen aber nicht gedeckt.

2. Der Senat kann den Schuldspruch selbst entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ändern. Es ist auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 und 3 StGB tragen.

Soweit das Amtsgericht eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 3 Nr. 2 StGB angenommen hatte, weil der Angeklagte übermüdet gewesen wäre, tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine solche Wertung nicht. Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass sich der Angeklagte ca. eine Stunde nach seinem vierstündigen Schlaf am Vormittag „fit“ fühlte. Anhaltspunkte für eine Übermüdung in einem Ausmaß, die die Gefahr einer Aufhebung der Fahruntüchtigkeit mit sich gebracht hätte (vgl. hierzu König in LK-StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 62 ff.) und die Ursache für den Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot hätte sein können, ergeben sich nicht.“

Corona II: Rechtsprechungsübersicht zu Corona, oder: Montagsspaziergang, „Corona-Schöffe“, Vollstreckung

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Im zweiten Posting zu Corona-Entscheidungen bringe ich dann eine kleine Rechtsprechungsübersicht – quasi einmal „quer durch den Garten“. Es handelt sich um folgende Entscheidungen, von denen ich aber jeweils nur den Leitsatz vorstelle:

Weder mit Bußgeldern geahndeten Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sogenannten Montagsspaziergängen noch die bloße Teilnahme an solchen Versammlungen noch die gemäß § 26 Nr. 2 VersammlG strafbewehrte Durchführung einer derartigen Versammlung ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter begründen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau die Annahme einer gröblichen Amtspflichtverletzung eines Schöffen im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG.

Die Absonderung von Gefangenen bei einem Verdacht auf eine „Corona-Infektion“ ist eine zur Verhinderung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus geeignete und zulässige Maßnahme.

Zur Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage bei Ordnungswidrigkeiten nach den Corona-Bekämpfungsverordnungen des Landes Rheinland-Pfalz, die an den Impfstatus von Betroffenen anknüpfen, wen dieser in der Hauptverhandlung nicht aufgeklärt werden kann.

U-Haft III: Geringe Terminsdichte verzögert 7 Monate, oder: Warum meldet sich der Verteidiger nicht mal?

In der dritten Entscheidung des Tages, dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.10.2022 – 1 Ws 184/22 – geht es u.a. auch um die Terminsdichte.

Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache seit dem 13.03.2020 in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 27.07.2020 Anklage zur Jugendkammer des LG. Die Anklageschrift, beim LG am 10.08.2020 eingegangen, wurde dem Angeklagten, seiner ihn gesetzlich vertretenden Mutter und dem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt pp. aufgrund Verfügung des Vorsitzenden vom gleichen Tag zugestellt. Am 11.08.2020 wurden mit der Kanzlei des Verteidigers telefonisch Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung abgestimmt. Mit Beschluss vom 21.08.2020 ordnete der Vorsitzende der Jugendkammer Rechtsanwalt pp. als weiteren Pflichtverteidiger bei. Mit Beschluss vom 07.09.2020 ließ die Jugendkammer die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Zugleich wurde der Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift und des Eröffnungsbeschlusses neu gefasst und Haftfortdauer angeordnet. Mit Verfügung vom 08.09.2020 bestimmte der Vorsitzende der Jugendkammer Termin zur Hauptverhandlung auf den 21.09.2020 sowie abgestimmte 13 Fortsetzungstermine bis 28.01.2021.

Die Hauptverhandlung fand schließlich zwischen dem 21.09.2020 und dem 02.08.2022 an insgesamt 57 Verhandlungstagen statt. Mit Urteil vom 02.08.2022 wurde der Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 10 Jahren verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Frankenthal legten Revision gegen das Urteil ein.

Der Angeklagte wendet sich mit seiner am 04.08.2022 erhobenen Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung unter Verweis auf eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes. Die Jugendkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Beschwerde hatte dann aber beim OLG Erfolg.

Das OLG nimmt zum Beschleunigungsgrundsazu auf der Grundlage der obergerichtlichen Rechtsprechung Stellung und legt da, dass er hier irreparabel verletzt ist, was zur Aufhebung des Haftbefehls führe:

„2. Das Verfahren ist gemessen an diesen Grundsätzen nicht mit der für Haftsachen erforderlichen Beschleunigung betrieben worden.

Bis zum Beginn der Hauptverhandlung ist zwar keine Verzögerung eingetreten. Auch hat die Hauptverhandlung bereits sechs Wochen nach Eingang der Anklageschrift begonnen. Die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung ist aber dem Gebot einer vorausschauenden, auch größere Zeiträume umfassenden Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07 –, Rn. 52, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12 –, Rn. 52, juris), nicht gerecht geworden.

Bereits terminiert wurde mit einer Frequenz von durchschnittlich weniger als einem Verhandlungstag pro Woche. In der mehr als 22 Monate dauernden Hauptverhandlung wurde dann gerade einmal an 57 Tagen tatsächlich verhandelt, darunter waren zehn Kurztermine von unter einer halben Stunde. Selbst bei Berücksichtigung dieser Kurztermine (vgl. hierzu BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12, Rn. 52; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.12.2005 – 2 BvR 1964/05, Rn. 102) ergibt dies eine durchschnittliche wöchentliche Sitzungsdichte von 0,59 Tagen, die damit deutlich unter den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts liegt. Auch bei der Terminierung ab Februar 2021, mithin mehr als vier Monate nach Beginn der Hauptverhandlung, ist weiterhin mit durchschnittlich weniger als einem Verhandlungstermin pro Woche geplant worden. Insbesondere mit fortschreitender Dauer der Untersuchungshaft wäre jedoch eine Verdichtung der Termine – gegebenenfalls auch nur unter Teilnahme des Sicherungsverteidigers – zwingend erforderlich gewesen. Hier hätte das Landgericht berücksichtigen müssen, dass sich der Angeklagte im März 2021 bereits ein Jahr in Untersuchungshaft befand und dies nur in ganz besonderen Ausnahmefällen seine Rechtfertigung finden kann. Bis zum Ende der annähernd zwei Jahre dauernden Hauptverhandlung fand keine erkennbare Verdichtung der Termine statt.

Erkrankungen von Verfahrensbeteiligten können als schicksalhafte Ereignisse die Fortdauer der Untersuchungshaft trotz objektiv feststehender Verzögerung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, juris Rn. 27; Beschluss vom 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, juris Rn. 18; Beschluss vom 11.06.2018 – 2 BvR 819/18, juris Rn. 30; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 70). Der Senat hat deshalb berücksichtigt, dass es zu Terminsaufhebungen wegen Krankheit, auch COVID-19-Erkrankungen sowie in diesem Zusammenhang erforderlichen Quarantänezeiten auf Seiten des Gerichts sowie weiterer Verfahrensbeteiligter gekommen ist.

Die für die 28.01.2021, 19.07.2021, 05.01.2022, 10.01.2022, 14.01.2022, 26.01.2022, 17.03.2022, 21.03.2022, 12.05.2022 und 19.07.2022 bestimmten Termine konnten aufgrund Erkrankung auf Seiten des Gerichts, des Sachverständigen, des Angeklagten oder der Verteidigung nicht stattfinden. Der Termin vom 06.12.2021 wurde wegen Verdachts einer COVID-19 Erkrankung aufgehoben. Zudem waren Termine am 08.10.2020, 21.01.2021, 24.01.2022 und 11.02.2022 aufgrund Erkrankung eines Sachverständigen nur als Kurztermine wahrnehmbar, da die eigentlich vorgesehene Beweisaufnahme nicht stattfinden konnte.

Es kann auch offen bleiben, ob sich die Zeiträume, in denen wegen Urlaubs der Kammermitglieder keine Termine stattfanden, in angemessenem Rahmen gehalten haben. Denn selbst bei Berücksichtigung aller Zeiten, in denen sowohl durch Urlaub von Kammermitgliedern als auch der Verteidigung eine Terminierung nicht möglich war, sowie der Termine, die infolge Krankheit auf Seiten des Gerichts und der weiteren notwendigen Verfahrensbeteiligten aufgehoben werden mussten, ergibt sich lediglich eine durchschnittliche wöchentliche Verhandlungsdichte von 0,86 Tagen.

Die Terminsdichte ist auch unabhängig von der Frage des Umfangs der durchzuführenden Beweisaufnahme sowie deren Komplexität, der Anzahl von – hier nicht relevanten – gestellten Verfahrens- und Befangenheitsanträge und der hierdurch bewirkten Verfahrensverzögerung zu beurteilen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07 –, Rn. 55 m.w.N., juris). Solche Gesichtspunkte können lediglich die Dauer der Hauptverhandlung, nicht aber die geringe Terminsdichte erklären. Besonderheiten, die zu der geringen Terminsdichte geführt haben, etwa die Durchführung weiterer Ermittlungen, die Suche nach erst während der Hauptverhandlung bekannt gewordenen Zeugen oder die Ladung von Auslandszeugen, sind nicht erkennbar und von dem Vorsitzenden in seiner dienstlichen Erklärung auch nicht angeführt worden.

Soweit die geringe Terminsdichte auf von der Verteidigung geltend gemachte Terminkollisionen zurückzuführen ist, führt dies nicht grundsätzlich dazu, dass der Justiz die Verfahrensverzögerung nicht anzulasten ist. Dies gilt auch dann, wenn derartige Terminkollisionen durch eine vorausschauende, weit in die Zukunft reichende Terminplanung wegen der Terminsbelastung des Verteidigers und des Sicherungsverteidigers nicht vermieden werden können. Die Strafkammer darf nicht ausnahmslos auf Terminkollisionen der Verteidiger Rücksicht nehmen. Vielmehr stellt sich dann die Frage, ob nicht bereits vor Beginn der Hauptverhandlung andere Pflichtverteidiger hätten bestellt werden müssen oder inwieweit die Verteidiger in der laufenden Hauptverhandlung mit Blick auf das Beschleunigungsgebot hätten verpflichtet werden können, andere – weniger dringliche – Termine zu verschieben, um eine Beschleunigung einer bereits lang dauernden Hauptverhandlung zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17.07.2006 – 2 BvR 1190/06 –, juris).

Das Recht eines Angeklagten, sich von einem Anwalt seiner Wahl und seines Vertrauens vertreten zu lassen, gilt nicht uneingeschränkt, sondern kann entsprechend den einfachgesetzlichen Vorschriften der § 142 Abs. 5 Satz 3, § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO durch wichtige Gründe begrenzt sein (vgl. BVerfGE 9, 36, 38; 39, 238, 243 m.w.N.; siehe auch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25.09.2001 – 2 BvR 1152/01 –, NStZ 2002, S. 99 f.). Ein solcher Grund kann in bestimmten Konstellationen auch das Beschleunigungsgebot in Haftsachen sein. Es ist deshalb von vornherein verfehlt, bei der Terminierung jede Verhinderung eines Verteidigers zu berücksichtigen. Vielmehr muss zwischen dem Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von einem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, und seinem Recht, dass der Vollzug von Untersuchungshaft nicht länger als unbedingt nötig andauert, sorgsam abgewogen werden. Die Terminslage des Verteidigers kann angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.02.2007 – 2 BvR 2563/06 –, BVerfGK 10, 294-308, Rn. 37 f.).

Soweit sich aus der Akte ergibt, dass der Pflichtverteidiger bereits bei der ersten Absprache der Termine dargestellt hatte, dass er nicht an einer an den dargelegten Voraussetzungen zu messenden Terminsfrequenz zur Verfügung stehen könne, hätte folglich der Austausch des Pflichtverteidigers nahe gelegen.

Ob eine Terminsverdichtung auch mit Blick auf weitere Haftsachen der Kammer nicht erfolgt ist, kann offen bleiben. Die außerordentliche Belastung der Jugendkammer des Landgerichts kann eine Verfahrensverzögerung nicht rechtfertigen. Eine Überlastung der Kammer ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen.

3. Damit ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig.

Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung befand sich der Angeklagte seit über 28 Monaten in Untersuchungshaft. Bereits die ursprüngliche Terminsbestimmung blieb mit 14 Verhandlungstagen in 19 Wochen hinter den Anforderungen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zurück. Auch die weitere Planung der Hauptverhandlung wurde diesen Vorgaben mit 68 Verhandlungstagen in (mehr als) 97 Wochen nicht gerecht, zumal verschiedene Termine lediglich als Ersatztermine für ausgefallene Verhandlungstage bestimmt wurden. Tatsächlich wurde in dem genannten Zeitraum dann lediglich an 57 Tagen verhandelt. An 20 dieser Verhandlungstage wurde weniger als zwei Stunden verhandelt. Im Durchschnitt ist in dem Verhandlungszeitraum nur etwas mehr als 1 1/2 Stunden pro Woche verhandelt worden. Da es sich bei dem in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten zunächst noch um einen Jugendlichen, später Heranwachsenden handelte, war dem Beschleunigungsgebot auch gem. § 72 Abs. 5 JGG besonders Rechnung zu tragen (Pfälzisches OLG Zweibrücken, Beschluss vom 09.04.2002 – 1 HPL 12/02 –, juris).

Der Angeklagte ist wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 10 Jahren verurteilt worden. Zu Recht führt die Generalstaatsanwaltschaft dazu aus, der Angeklagte sei wegen schwerster Straftaten schuldig gesprochen und zur Höchststrafe verurteilt worden, die gegen einen Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz verhängt werden kann.Das Verfahren war schon aufgrund der Tatvorwürfe auch durchaus komplex. Die Hauptverhandlungstermine bedurften nicht nur der Abstimmung mit den Verteidigern, sondern auch mit weiteren Rechtsanwälten, mehreren Sachverständigen und vier Schöffen; allerdings ist insoweit zu beachten, dass von den Sachverständigen allenfalls der psychiatrische Sachverständige während der gesamten Beweisaufnahme anwesend sein musste und eine Verhinderung der anwaltlichen Vertreter der Nebenkläger gem. § 398 StPO der Terminierung nicht entgegenstand. Schließlich gestaltete sich die Vernehmung der Nebenklägerinnen schon im Hinblick auf die Tatvorwürfe sicherlich ausgesprochen schwierig, bedurfte deshalb einer entsprechenden organisatorischen Vorbereitung und konnte auch nicht unter Zeitdruck durchgeführt werden.

Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Einzelnen und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates ist zu berücksichtigen, dass sich das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs durch die Verurteilung des Angeklagten ganz erheblich vergrößert hat.

Die durch die geringe Terminsdichte eingetretene Verzögerung beträgt mehr als sieben Monate (32 Wochen). Der Senat ist bei dieser Schätzung davon ausgegangen, dass die tatsächlich für die Hauptverhandlung benötigten 57 Verhandlungstage regelmäßig in weniger als 57 Wochen stattfinden müssen. Die 20 Sitzungstage mit einer Dauer von unter zwei Stunden hat der Senat lediglich als halbe Verhandlungstage berücksichtigt mit der Folge, dass sich die an sich notwendige Verhandlungsdauer auf 47 Wochen reduziert. Danach hat der Senat die von dem Vorsitzenden genannten Urlaubszeiten der Richter und Verfahrensbeteiligten (in den Kalenderwochen 42, 43, 44, 52 sowie 53 im Jahr 2020 und in den Kalenderwochen 13, 14, 21, 22, 31, 32, 33, 34, 41 und 42 im Jahr 2021) sowie die Krankheitszeiten (in den Kalenderwochen 3, 4 und 29 im Jahr 2021) hinzugerechnet. Mithin hätte die Hauptverhandlung nach 65 Wochen beendet sein müssen, hat sich aber tatsächlich 97 Wochen hingezogen. Allerdings wurde mit dem besonders zügigen Beginn der Hauptverhandlung ein Zeitraum von sechs Wochen kompensiert, was die Verzögerung auf knapp sechs Monate (26 Wochen) zurückführt. Eine weitere Kompensation der Verzögerung im Revisionsverfahren ist nicht mehr zu erwarten. Dies ist zwar – etwa durch eine besonders beschleunigte Absetzung der Urteilsgründe – theoretisch möglich; auf die entsprechende Anfrage hat der Vorsitzende der Strafkammer allerdings am 22.09.2022 mitgeteilt, dass die Urteilsgründe noch nicht abgesetzt sind.

Die schon von ihrer Dauer her erhebliche Verzögerung wiegt im vorliegenden Fall besonders schwer, weil sie nicht durch schicksalhafte Ereignisse eingetreten ist, sondern bereits durch die unzureichende Terminierung angelegt war. Hinzukommt, dass nicht nur an zu wenigen Tagen in dem langen Zeitraum der Hauptverhandlung verhandelt worden ist, sondern auch noch die tatsächlich stattgefundenen Verhandlungstage mit einer durchschnittlichen Verhandlungsdauer von knapp drei Stunden nur unzureichend genutzt worden sind. Ein Bemühen, die Verhandlungsdichte im Laufe der Hauptverhandlung zu irgendeinem Zeitpunkt zu erhöhen, ist nicht erkennbar. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Senat bei der Schätzung des Ausmaßes der Verfahrensverzögerung lediglich eine Terminsdichte zugrunde gelegt hat, bei der das Landgericht die verfassungsrechtlichen Vorgaben gerade noch eingehalten gehabt hätte.

Dieser krasse Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz ist auch vor dem Hintergrund des hohen Gewichts des Strafanspruchs im vorliegenden Fall und unter Berücksichtigung der Überlegung, dass nach einer Verurteilung Verfahrensverzögerungen geringeres Gewicht beizumessen ist, nicht hinnehmbar.

Dass die Verteidigung während der annähernd zwei Jahre laufenden Hauptverhandlung zu keinem Zeitpunkt eine Verzögerung des Verfahrens gerügt hat, ist befremdlich, aber unerheblich und macht lediglich deutlich, dass eine Rücksichtnahme auf stark ausgelastete Verteidiger und die Bestellung eines Sicherungsverteidigers, der regelmäßig mit demselben (Haupt-)Verteidiger die Verteidigung übernimmt, mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigungsmaxime nur schwer vereinbar ist….“

Warum sich der Verteidiger beim dem Ablauf nicht mal „gemeldet“ hat, erschließt sich mir (auch) nicht.