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Pflichtverteidigerbestellung „für den heutigen Termin“, oder: Echternacher Springprozession beim OLG Koblenz

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Ich hatte Mitte Juni über den LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 12.05.2024 – 2 Qs 14/24 – berichtet, in dem über den Gebührenanspruch eines Pflichtverteidigers entschieden worden ist, der nur für einen Vorführtermin bestellt worden ist (vgl. Pflichtverteidigerbestellung „für den heutigen Termin“, oder: Alle Gebühren, auch die Nr. 4142 VV RVG). In dem Posting hatte ich darauf hingewiesen, dass ich, da das LG die weitere Beschwerde zum OLG zugelassen hatte, gespannt bin, was das OLG Koblenz dazu sagt. Und inzwischen hat das OLG Koblenz sich geäußert, und zwar so, dass ich angenehm überrascht bin (was bei Entscheidungen vom OLG Koblenz nicht so häufig der Fall ist 🙂 . Denn das OLG hat die weitere Beschwerde, die die Bezirksrevisorin natürlich nicht eingelegt hat – „es kann doch nicht sein, dass …..“ 🙂 – mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 04.07.2024 – 2 Ws 412/24 – als unbegründet zurückgewiesen:

„a) Im Ansatz zutreffend geht die Bezirksrevisorin davon aus, dass maßgebend für das Kosten-festsetzungsverfahren der insofern bindende Beiordnungsbeschluss ist (BGH, Beschluss vom 11. April 2018 – Az. XII ZB 487/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Mai 2018 – Az. III – 1 Ws 274/17; OLG Koblenz, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Az. 13 WF 67/15 – alle zitiert nach juris). Für die Abgrenzung zwischen einem „Vollverteidiger“ und einem mit einer Einzeltätigkeit beauftragten Rechtsanwalt ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG der Wortlaut der Verfügung des Vorsitzenden oder des Gerichtsbeschlusses maßgebend, durch den die Bestellung zum Pflichtverteidiger erfolgt ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. Januar 2023, Az. 4 Ws 13/23 – zitiert nach juris). Dem Wortlaut des hier vorliegenden Beiordnungsbeschlusses vom 21. Dezember 2022 ist eine Bei-ordnung „für den heutigen Termin“, mithin die Vorführung vor den Haftrichter gemäß § 115 StPO, zu entnehmen. Damit enthält der Beschluss eine zeitliche Beschränkung auf den Termin der Vorführung. Ob eine solche Beschränkung im Hinblick auf § 143 StPO zulässig ist, kann auf Grund der Bindungswirkung des Beiordnungsbeschlusses für das Kostenfestsetzungsverfahren dahinstehen. Eine inhaltliche Beschränkung auf die Haftfrage ist dem Beschluss dagegen nicht zu entnehmen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023 – Az. 2 Ws 13/23 – zitiert nach juris; aA für den – hier nicht vorliegenden – Fall eines schon beauftragten Wahlverteidigers: OLG Stuttgart, aaO).

Demzufolge ist bei der Festsetzung der Gebühren von der für den Termin der Vorführung erforderlichen, tatsächlich angefallenen anwaltlichen Tätigkeit auszugehen, soweit sie sich im Rahmen dieses Beiordnungsbeschlusses hält. Dies ist jedenfalls dann, wenn wie vorliegend noch kein anderer Verteidiger bestellt ist, sondern ein solcher bloß die Bereitschaft zur Übernahme der Verteidigung erklärt hat, beim Vorführungstermin jedoch verhindert ist, nicht allein die Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 VV RVG. Nach Absatz 1 der Vorbemerkung 4.3 VV RVG entstehen die Gebühren für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist. Der Verteidiger war hier jedoch nicht nur „für den Termin“ mit einer einzelnen Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 der Vorbemerkung zu 4.3 beauftragt, sondern ihm wurde vielmehr eine Vollverteidigung übertragen. Die Tätigkeit im Rahmen des Vorführtermins erschöpft sich nämlich nicht alleine in der insofern in Betracht zu ziehenden Betätigung nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG (Beistandsleistung für den Beschuldigten im Rahmen einer richterlichen Vernehmung). Die richterliche Vernehmung ist zwar gemäß § 115 Abs. 2 StPO Teil einer Eröffnung eines Haftbefehls, diese geht jedoch darüber hinaus. Vorliegend war eine Erstberatung noch nicht erfolgt. Daher war – unabhängig von der später erfolgten Beiordnung eines anderen Verteidigers – eine umfassende Beratung zur Verteidigungsstrategie im Termin zur Vorführung nach § 115 StPO zwingend geboten. So war beispielsweise bereits zu diesem Zeitpunkt zu entscheiden, ob sich durch eine Einlassung ein dringender Tatverdacht ausräumen lässt oder sich eine (geständige) Einlassung auf die Frage einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls auswirken kann. Die gewählte Vorgehensweise kann sich gegebenenfalls bestimmend für das Verteidigungsverhalten im weiteren Verfahrensverlauf auswirken. Dies gilt ebenso für die Frage der Beratung zu einer drohenden Einziehung.

Diesen Gegebenheiten wird bei bislang noch nicht erfolgter Erstberatung trotz zeitlicher Beschränkung der Aufgabenwahrnehmung nur durch eine volle Pflichtverteidigung Rechnung getragen (vgl. auch K. Sommerfeldt/T. Sommerfeldt in: BeckOK RVG, 64. Ed. § 48 Rdn. 121). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins wird daher ein eigenständiges, vollumfängliches öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat.

b) Daraus folgt, wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat: die Grundgebühr nebst Haftzuschlag (Vorbemerkung 4 Ziffer 4 VV RVG) gemäß Nummer 4101 VV RVG deckt die erforderliche Einarbeitung in den Fall ab, daneben fällt die Verfahrensgebühr gemäß Nummer 4105 VV RVG an. Der Vorführungstermin zur Verkündung des Haftbefehls gemäß § 115 StPO erfüllt ohne weiteres die Voraussetzungen von Nummern 4102 Ziffer 3, 4103 VV RVG, wonach die Terminsgebühr mit Zuschlag für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung anfällt, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wird. Gleiches gilt – im Hinblick auf die drohende Einziehung – gemäß Nummer 4142 VV RVG.

Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem Gebührentatbestand der Nummer 4301 Ziff. 4 VV RVG herleiten. Dieser regelt die Vergütung für die Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung im Rahmen einer Einzeltätigkeit. Die Einzeltätigkeit setzt voraus, dass dem Rechtsanwalt nicht die Verteidigung übertragen worden ist. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall (vgl. oben 2. a)).

Hiergegen kann auch nicht angeführt werden, dass der Gebührentatbestand Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG ins Leere laufe, da als Anwendungsfall zumindest die Tätigkeit im Rahmen des § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO verbleibt.“

Anzumerken ist: Eine weitere (obergerichtliche) Entscheidung in der Frage, welche Gebühren für den nur für einen Vorführtermin bestellten Pflichtverteidiger anfallen. Allmählich kann man die Auffassung, die in diesen Fällen nicht nur von einer Einzeltätigkeit ausgeht, sondern den Pflichtverteidiger als „vollen Verteidiger“ ansieht, der nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG alle (Verteidiger)Gebühren abrechnen kann, als herrschende Meinung ansehen.

Mit der Begründung des OLG Koblenz kann ich mich allerdings nicht so richtig anfreunden, da das OLG das gefundene Ergebnis offenbar sogleich wieder einschränken will. Denn das OLG will – so ist es m.E. zu verstehen – von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG und damit vom Anfall aller Gebühren wohl nur dann ausgehen, „wenn wie vorliegend noch kein anderer Verteidiger bestellt ist, sondern ein solcher bloß die Bereitschaft zur Übernahme der Verteidigung erklärt hat.“ Diese Sicht der Dinge ist m.E. falsch. Denn auch, wenn bereits ein Verteidiger bestellt ist oder sich bestellt hat, muss der Verteidiger im/für den Vorführtermin die vom OLG beschriebenen Verteidigertätigkeiten erbringen. Das ist/wäre aber originäre volle Verteidigertätigkeit und geht weit über das hinaus, was über eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG abzurechnen wäre. Von daher ist die Entscheidung „unschön“ und mutet ein wenig wie die Echternacher Springprozession: Zwei Schritte vor, einer zurück.

Erstreckung II: Voraussetzungen der Erstreckung, oder: Grundkenntnisse fehlen beim LG Siegen/der StA Siegen

Und hier dann die Lösung der Preisfrage von heute Morgen.

Ich hatte da in dem Posting Erstreckung I: Voraussetzungen der Erstreckung, oder: AG Siegen macht es richtig den zutreffenden AG Siegen, Beschl. v. 23.11.2023 – 450 Gs 1656/23 – vorgestellt und gefragt, ob die Staatsanwaltschaft die Entscheidung hingenommen hat. Die Frage stellen, heißt, sie zu verneinen. Nein, hat die StA – aus welchen Gründen auch immer – natürlich nicht, sondern hat Beschwerde eingelegt, die dann, um das Ganze zu toppen, auch beim LG Siegen mit dem LG Siegen, Beschl. v. 19.02.2024 – 10 Qs 4/24Erfolg hatte.

Ich stelle hier jetzt nur die Ausführungen des LG zur Begründetheit des Rechtsmittels vor, die zur Statthaftigkeit/Zulässigkeit lasse ich mal außen vor. Insoweit reichen die Leitsätze, und zwar:

1. Gegen eine Erstreckungsentscheidung ist das Rechtsmittel der (einfachen) Beschwerde statthaft.
2. Auch der Staatsanwaltschaft steht die Befugnis zu, gegen eine Erstreckungsentscheidung, Beschwerde einzulegen.

Zur Begründung schreibt das LG dann:

„Nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG kann das Gericht, wenn Verfahren verbunden werden, die Wirkungen des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG auch auf diejenigen Verfahren erstrecken, in denen der Rechtsanwalt vor der Verbindung nicht beigeordnet oder nicht bestellt war.

Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung („kann“). Anders als im Fall des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG, bei dem die Wirkung mit der Pflichtverteidigerbestellung eintritt, soll bei verbundenen Verfahren die gebührenrechtliche Rückwirkung nur dann eintreten, wenn dies ausdrücklich durch das Gesetz vorgesehen ist.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist dabei zunächst, dass es ein Verfahren gibt, bei dem § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG vorliegt („auch“). Da § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG das Vorliegen einer Beiordnung oder Bestellung eines Rechtsanwalts voraussetzt, können die Gründe hierfür – isoliert – nicht in der Ermessensentscheidung ausschlaggebend sein.

Daher sind die von dem Beschwerdegegner vorgebrachten Umstände, dass die Beschuldigte unter einer gesetzlichen Betreuung steht, die Frage ihrer Schuldfähigkeit bei den Verfahren im Raume steht und die Vielzahl der einzelnen Verfahren für die Ermessensentscheidung zwar zu berücksichtigende Punkte sein. Wenn diese – wie hier – vorliegen, führt dies aber nicht automatisch zu der Annahme, dass die Erstreckung erklärt werden müsse.

Auch der Umstand, dass sich die Entscheidung über die notwendige Vertretung verzögert hat, führt nicht automatisch zu der Annahme, dass die Erstreckung erklärt werden muss. Zwar wäre bei zeitiger Entscheidung vor Verbindung die Problematik wegen § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG gar nicht erst entstanden. Jedoch gibt es gerade für diese Fallkonstellatiön den § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG.

Die ebenfalls zu berücksichtigenden konkreten Tätigkeiten des Beschwerdegegners wurden nicht hinreichend dargelegt. Das Amtsgericht Siegen hat mit Verfügung vom 23.10.2023 (BI. 243 d.A.) darauf hingewiesen, dass § 48 Abs. 6 Satz 1, Satz 3 RVG voraussetzt, dass es bereits zu Tätigkeiten des Rechtsanwalts gekommen ist („für seine Tätigkeit“). Auf den hierauf eingehenden Schriftsatz des Beschwerdegegners vom 24.10.2023 (BI. 244-245 d.A.) hat die Staatsanwaltschaft Siegen mit Verfügung vom 07.11.2023 (BI. 246 d.A.) ausführlich Stellung genommen, welche dem Beschwerdegegner mit Verfügung vom 10.11.2023 mit dreiwöchiger Stellungnahmefrist vom Amtsgericht Siegen übersandt wurde (BI. 246R d.A.). Weder in dem darauf er-widernden Schreiben des Beschwerdegegners vom 14.11.2023 (BI. 247-252 d.A.) noch im Weiteren sind die jeweiligen konkreten Tätigkeiten ersichtlich vorgetragen worden. Hier wurde in den jeweiligen Ermittlungsverfahren nur der Antrag auf Bestellung zum Pflichtverteidiger gestellt, um Akteneinsicht gebeten und teilweise mitgeteilt, dass an einer Beschuldigtenvernehmung nicht teilgenommen wird. Aus diesem Grund führen auch die Ausführungen auf Seite 4 im Schreiben vom 26.01.2024 zu keinem anderen Ergebnis, weil sich diese Ausführungen gerade auf eine Vernehmungssituation beziehen. Lediglich in einem Fall (auf BI. 51 d.A.) wurde angeregt, das Verfahren im Hinblick auf das Verfahren 83 Js 1331/19 einzustellen. In dem Ver-fahren (66 Js 123/23) erfolgte jedoch eine ausdrückliche Bestellung zum Pflichtverteidiger. Die von dem Beschwerdegegner genannten Tätigkeiten wie Besprechung mit der Mandantin oder Einarbeiten in die Akte genügen den Anforderungen an eine konkrete Tätigkeit nicht, weil der Gesetzgeber hierfür die Grundgebühr nach Nr. 4100 und die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 als Pauschale vorsieht, unabhängig davon, wie umfangreich der Sachverhalt ist oder wieviele Verfahren vor der Bestellung verbunden wurden.

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen kam eine Erstreckung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG bei einer Gesamtbetrachtung nicht in Betracht. Der Grundgedanke des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG besteht darin, frühere Tätigkeiten, die als Wahlverteidiger vorgenommen wurden, nach der Bestellung als Pflichtverteidiger zu vergüten, obwohl durch die Verbindung hierüber nicht entschieden wurde. Diese Tätigkeiten gab es hier nicht, weil unmittelbar im ersten Schreiben in jedem Verfahren der Antrag vorlag, als Pflichtverteidiger bestellt zu werden. Dann erfolgte die Verbindung der Verfahren bereits durch die Staatsanwaltschaft und nicht erst durch das Gericht nachdem jeweils eine Anklageschrift vorlag. In diesen Konstellationen fehlt es bereits an den Tätigkeiten im Ermittlungsverfahren, die vergütet werden sollen. Das gilt insbesondere hier, wenn wie vom Beschwerdegegner ausgeführt, immer die gleiche Frage relevant ist, inwieweit die Beschuldigte schuldfähig ist.

Soweit das Amtsgericht Siegen in dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung über die Erstreckung in den Verfahren 66 Js 660/23 und 66 Js 661/23 abgelehnt hat (zweiter Absatz auf Seite des Beschlusses, BI. 262 d.A.) schließt sich die Kammer insoweit der dortigen Argumentation an, dass es hierzu keiner Entscheidung bedarf. Ob es eine tatsächliche Tätigkeit vor der Verbindung gab (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.2017 – 1 Ws 95/17 Rn. 20), ist dann im Festsetzungsverfahren zu prüfen.“

Dazu Folgendes: Die Ausführungen des LG zur Begründetheit des Rechtsmittels lassen den Leser der Entscheidung ratlos, wenn nicht fassungslos“ zurück? Denn die Ausführungen des LG zu den konkreten Tätigkeiten des Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers offenbaren m.E. dann doch bei der entscheidenden Strafkammer einen erheblichen Mangel an gebührenrechtlichen Grundkenntnissen.

Zutreffend ist es (noch), wenn die Strafkammer darauf verweist, dass die Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG eine „Ermessensentscheidung“ ist, die natürlich voraussetzt, dass in dem Verfahren, auf das erstreckt werden soll, die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung nach §§ 140 ff. StPO vorgelegen haben. Grundsätzlich zutreffend ist es auch, wenn das LG ausführt, dass eine Erstreckung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG nur in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt in dem oder den Verfahren, auf die erstreckt werden soll, Tätigkeiten erbracht hat.

An der Stelle liegt dann aber auch der grobe Fehler, den das LG macht und der einen – immerhin handelt es sich um eine Beschwerdekammer, die in „Dreierbesetzung“ entschieden hat – ratlos, wenn nicht fassungslos zurücklässt. Denn das LG meint, in den Verfahren, auf die erstreckt werden sollte, seien bei dem Pflichtverteidiger keine Gebühren entstanden. Aber: Es sind Gebühren entstanden, und zwar, da man sich noch im Verfahrensstadium „Ermittlungsverfahren“ befunden hat (vgl. Anm. zur Nr. 4104 VV RVG) die Gebühren Nr. 4100 VV RVG – Grundgebühr – und die Nr. 4105 VV RVG – Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren und diese beiden Gebühren immer nebeneinander. Voraussetzung für das Entstehen der Gebühren des Rechtsanwalts sind von ihm für den Mandanten erbrachte Tätigkeiten. Dazu hatte der Pflichtverteidiger „Tätigkeiten wie Besprechung mit der Mandantin oder Einarbeiten in die Akte“ genannt. Warum diese Tätigkeiten nicht – wie das LG meint – den Anforderungen an eine konkrete Tätigkeit genügen sollen, erschließt sich mir nicht. Ich empfehle die Lektüre eines gängigen Kommentars zum Entstehen und zum Abgeltungsbereich der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und zur Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG. Beide Gebühren entstehen mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts für den Mandanten, wozu die genannten Tätigkeiten gehören. Ganz sicher ist es keine Begründung, wenn das LG meint: „weil der Gesetzgeber hierfür die Grundgebühr nach Nr. 4100 und die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 als Pauschale vorsieht, unabhängig davon, wie umfangreich der Sachverhalt ist oder wie viele Verfahren vor der Bestellung verbunden wurden“. Der erste Teil dieser Begründung ist unverständlich, der zweite falsch, weil es für die Erstreckungsentscheidung nicht darauf ankommt, wie viele Verfahren verbunden worden sind, auch wenn das wegen der Höhe der entstehenden gesetzlichen Gebühren vielleicht die Staatsanwaltschaft und das LG gestört haben. Ohne Bedeutung ist auch der Umstand, dass „immer die gleiche Frage relevant ist, inwieweit die Beschuldigte schuldfähig ist.

Und schließlich: Falsch sind/waren im Übrigen auch die Ausführungen der Staatsanwaltschaft im Erstreckungsverfahren, die mir vorliegen. Dort hatte der Staatsanwalt

höflich [sic!!] darauf hingewiesen, dass soweit von der Verteidigung vorgetragen wird, dass „sich jeweils auf die anstehenden Vernehmungen vorbereitet“ wurde (BI. 224 d. A.), dies i.E. unwahrscheinlich sein dürfte, da die gegenüber der Beschuldigten erhobenen Vorwürfe im Einzelnen (gemeint ist das ihr insoweit zur Last gelegte Handeln) nicht bekannt gewesen sein dürften (vgl. BI. 119x d. A.) insoweit aber auch und gerade Akteneinsicht beantragt wurde (vgl. Bl. 123x d. A). Auf Grund des Antrages des Verteidigers konnte es auch nicht zu einer Vernehmungssituation kommen, sodass insoweit auch keine Vorbereitung auf eine anstehende Vernehmung erfolgt sein kann. Wie eine nachhaltige Erörterung sachgerecht erfolgen kann, ohne dass der Verteidiger sich über die Polizei oder die Staatsanwaltschaft Einblick in die Ermittlungsunterlagen verschafft und erwartbar vorhandene Zeugenaussagen studiert, ist bereits fraglich (vgl. hierzu etwa LG Münster, Beschluss vom 4. September 2020 – 20 Qs 9/20 -, Rn. 29, juris). Dies umso mehr, als das der Verteidiger gerade keinen Kontakt zur Mandantin schildert, sondern lediglich zu deren Betreuerin (vgl. BI. 224x d. A.). Verfahrensbezogene Vergütungsansprüche können aber nur dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt eine konkrete Tätigkeit in dem jeweiligen Verfahren erbringt, wobei ihm in derselben Angelegenheit die Gebühren nur einmal zustehen. Dass dem Rechtsanwalt ein Verfahren bekannt ist, ist noch keine gebührenauslösende Tätigkeit. Auch ein pauschales Legitimationsschreiben belegt nur, dass der Rechtsanwalt mandatiert worden ist, aber gerade noch nicht, dass er eine konkrete, verfahrensbezogene Tätigkeit entfaltet hat (Kammerbeschl. v. 22. April 2021, 22 Qs 3/21). Ebenso reicht die bloße Beantragung von Akteneinsicht nicht aus (vgl. LG Hildesheim, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 22 Qs 1/22 -, Rn. 25, juris m.w.N.).“

Soweit auf LG Münster, Beschl. v. 4.9.2020 – 20 Qs 9/20, AGS 2021, 371) verwiesen wird, handelt es sich um eine andere Problematik, nämlich die Frage der ausreichenden Glaubhaftmachung und nicht die der ausreichenden Tätigkeiten. Soweit auf LG Siegen (Beschl. v. 22.4.2021 – 22 Qs 3/21) und LG Hildesheim (LG Hildesheim, Beschl. v. 31.1.2022 – 22 Qs 1/22) verwiesen wird, wonach ein pauschales Legitimationsschreiben oder ein Antrag auf Akteneinsicht für das das Entstehen der Grundgebühr und Verfahrensgebühr nicht ausreichen soll, sondern (erst) die Gewährung von Akteneinsicht, ein (glaubhaft gemachtes) verfahrensbezogenes Mandantengespräch oder eine verfahrensbezogene Erklärung gegenüber den Ermittlungsbehörden, ist das aus den vorstehenden Gründen gleichfalls falsch. Grundgebühr und Verfahrensgebühr setzen nicht gewährte Akteneinsicht voraus, sondern der Verteidiger verdient die Gebühren schon bei auf Akteneinsicht gerichtete Tätigkeiten. Alles andere wäre auch widersinnig, da bei Richtigkeit der Ansicht des LG Siegen ein gebührenfreier Raum entstehen würde, den das RVG aber nicht vorsieht. Soweit der beschwerdeführende Staatsanwalt dann schließlich in seiner Beschwerdeschrift auch noch auf OLG Rostock (Beschl. v. 25.11.2013 – Ws 359/13, AGS 2014, 178) verweist, führt auch das zu nichts, da auch das OLG in dem Verfahren die vom Verteidiger erbrachten Tätigkeiten falsch bewertet hat.

Fazit: Wegen der verfahrensrechtlichen Ausführungen kann man dem LG folgen. Wegen der materiellen Fragen wird dringend empfohlen, sich mit der Gebührenstruktur des RVG (besser) vertraut zu machen. Das gilt vor allem auch für den Vertreter der Staatsanwaltschaft. Wenn man schon meint, gebührenrechtlich tätig werden zu müssen, dann sollte man auch richtig gerüstet sein. Denn eins sollte man nicht übersehen. Bei den Erstreckungsfragen geht es ggf., so z.B. hier wegen der Vielzahl der Verfahren, um erhebliche Gebührenforderungen des Rechtsanwalts. Und wenn man schon aus Gründen der „Rechtsklarheit“ als Staatsanwalt als beschwerdebefugt angesehen wird, sollte man nicht durch unbegründete Rechtsmittel, denen das LG dann aber stattgibt, „Rechtsunklarheit“, herbeiführen.

Terminsvertreter I: Gebühren aus Teil 4 Abschnitt 1 VV, oder: Aber keine Verfahrensgebühr?

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Am Gebührenfreitag stelle ich heute zwei Entscheidungen zu den Gebühren des Terminsvertreters vor. Beide Entscheidungen sind m.E. nur teilweise zutreffend.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.02.2024 – 1 Ws 13/24 (S). Ergangen ist der Beschluss in deinem vor einer Strafkammer geführten Strafverfahren gegen sechs Angeklagte wegen Verbrechen nach dem BtmG, In dem hat der Kammervorsitzende mit Einverständnis des Angeklagten B. Rechtsanwalt R für den Hauptverhandlungstag am 26.09.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren beigeordnete Pflichtverteidiger für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. In der Hauptverhandlung am 26.09.2022 wurde das Hauptverfahren gegen einen Mitangeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit „auf unbestimmte Zeit“ abgetrennt,

Rechtsanwalt R hat beantragt seine Gebühren festzusetzen. Geltend gemacht worden sind eine Grundgebühr Nr. 4100 Verteidiger, eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG sowie Auslagen und Umsatzsteuer. Die Kostenbeamtin hat bei der Kostenfestsetzung die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr, jeweils nebst Umsatzsteuer, in Abzug gebracht . Auf die gegen diese Kostenfestsetzung erhobene Erinnerung des Rechtsanwalts R hat das LG  die Kostenfestsetzungsentscheidung dahingehend geändert, dass auch die beantragten Grund- und Verfahrensgebühr festzusetzen seien. Gegen diese Entscheidung hat dann der Bezirksrevisor, Beschwerde eingelegt, denn es darf ja nicht sein, was nicht sein kann. Und: Die Beschwerde hatte beim OLG teilweise Erfolg.

Ich lasse mal die Ausführungen des OLG zu den beiden zu den Gebühren des Terminsvertreters vertretenen Auffassungen weg. Das OLG schließt sich der (zutreffenden) h.M. an und führt aus:

„Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die Strafprozessordnung nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; BGH StV 2011, 650, BGH, Beschluss vom 15, Januar 2014, 4 StR 346/13, zit. nach juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011, 4 Ws 195/10, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen (ausf. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers zeitlich beschränkt bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist ausschließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

c) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze steht dem Beschwerdegegner für seine am 26. September 2022 erbrachte Pflichtverteidigertätigkeit die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 176,00 Euro, die Termingebühr nach Nr. 4114 VV RVG in Höhe von 282,00 Euro, die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro, die Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG in Höhe von 33,60 E, das Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG, jeweils nebst gesetzlicher Umsatzsteuer, zu.

Hingegen ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG für das Betreiben der Geschäfte einschließlich der Information im vorliegenden Fall nicht angefallen. Eine in den Geltungsbereich der Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit hat der Pflichtverteidiger nicht entfaltet. Zwar wird mit der Verfahrensgebühr die Tätigkeit des Pflichtverteidigers im Strafverfahren des ersten Rechtszuges nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens abgegolten. Ausgenommen sind davon aber Tätigkeiten, für die besondere Gebühren vorgesehen sind, wie z.B. die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Termingebühr für die Hauptverhandlung Nr. 4114 VV RVG (vgl. OLG München, Beschluss vom 27. Februar 2014, 4c Ws 2/14, zit. n. juris m.w.N.). Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 12. Verhandlungstag am 26. September 2022 ergibt sich, dass an diesem Tage keine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist, für die eine Einarbeitung in das bisherige Beweisergebnis oder das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie erforderlich gewesen wäre. Dem Protokoll über die 20 Minuten dauernde Hauptverhandlung ist lediglich die Beiordnung von vier Pflichtverteidigern für den Verhandlungstag sowie die Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten pp wegen Verhandlungsunfähigkeit „auf unabsehbare Zeit“ zu entnehmen…..“

Der Entscheidung ist – wie gesagt – teilweise zuzustimmen, teilweise aber auch zu widersprechen.

Zuzustimmen ist der grundsätzlichen Aussage des OLG zu den für den Terminsvertreter entstehenden Gebühren. Es ist zutreffend, wenn sich das OLG der insoweit herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur anschließt (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).

2. Aber: Das war es dann aber auch schon. Denn nicht folgen kann man m.E. dem OLG hinsichtlich seiner Begründung, warum eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG nicht entstanden sein soll. Zwar beschränkt das OLG seine Ausführungen auf den vorliegenden Fall, wenn es mit „im vorliegenden Fall“ formuliert. Aber unabhängig davon sind die Ausführungen nicht zutreffend. Denn die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG ist auf jeden Fall entstanden. Das OLG übersieht nämlich, dass nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und jeweilige Verfahrensgebühr immer nebeneinander entstehen (vgl. zur Grundgebühr Burhoff AGS 2022, 433 m.w.N.). Dabei kommt es auf den Umfang der jeweiligen Tätigkeit beim Pflichtverteidiger, mit dem wir es hier zu tun haben, nicht an. Denn er erhält unabhängig vom Umfang der von ihm erbrachten Tätigkeiten Festgebühren, die mit Erbringung der ersten Tätigkeit für den Mandanten entstehen. Und das OLG irrt bzw. wählt den falschen Ansatz, wenn es für die Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG allein darauf abstellt, was in dem Termin am 26.09.2022 geschehen ist. Das ist unerheblich, da diese Tätigkeiten durch die Terminsgebühr Nr. 4112 VV RVG abgegolten werden. Alle übrigen Tätigkeiten werden aber durch Grundgebühr- bzw. Verfahrensgebühr abgegolten. Und das ist eben nicht nur, wie das OLG offenbar meint, die Vorbereitung auf eine Beweisaufnahme, sondern jede zusätzliche Tätigkeit die vom Rechtsanwalt  erbracht wurde. Ausreichend sind eine Gespräch mit dem eigentlichen Pflichtverteidiger über die Übernahme der Vertretung im Termin, ein Gespräch mit dem Mandanten, das im Zweifel vor der dem Hauptverhandlungstermin geführt worden ist, usw. Dass es sich dabei um nur geringe Tätigkeiten handelt, ist wegen der Festgebührencharakter der Pflichtverteidigergebühren ohne Bedeutung. Daher hätte hier die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG auch festgesetzt werden müssen. Die Entscheidung des LG war zutreffend. Dort hatte man offenbar mal in einen Kommentar geschaut. 🙂

Was interessieren uns unsere eigenen Grundsätze?, oder: Pauschgebühren beim OLG Dresden

Smiley

Und dann im zweiten Gebührenposting zwei Entscheidungen zur Pauschgebühr des OLG Dresden, von denen zumindest eine falsch ist. Vorsicht: Das wird jetzt ein wenig viel zum Lesen, aber das muss mal sein.

Bei dem „falschen“ Beschluss handelt es sich um den OLG Dresden, Geschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22, der nach einem sehr umfangreichen und schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren, das beim LG Dresden mehrere Jahre anhängig war, ergangen ist.

Der antragstellende Rechtsanwalt ist am 06.11.2013 (!!) noch im Ermittlungsverfahren als Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens hat der Verteidiger dann mit Schriftsatz vom 18.08.2022 die Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertretung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung vor dem LG und in der Revisionsinstanz in Höhe von 300.000,00 EUR (netto) beantragt.

Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht ist zu dem Antrag gehört worden. Sie hat ihn wegen des (Akten-)Umfangs der Sache in Höhe von 2.240,00 EUR (!!!!) über die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 89.015,00 EUR befürwortet. Das OLG hat eine Pauschgebühr in Höhe von 23.000 EUR bewilligt.

Auch hier: Die allgemeinen Ausführungen des OLG, das übrigens durch den Einzelrichter entschieden hat, kann man sich sparen. Die kennen wir und haben wir schon zig-mal gelesen. Sie werden dadurch, dass die OLG sie immer wieder wiederholen, nicht besser/richtiger.

Dann aber die zur konkreten Sache:

„1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von 23.000,00 € gerechtfertigt. Der darüber hinausgehende Antrag ist als unbegründet zurückzuweisen.

a) Vorliegend ist das Verfahren aufgrund des Aktenumfangs als besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG anzusehen. So ist bis zur ersten Hauptverhandlung von einem wesentlichen Aktenumfang von bis zu 50.000 Blatt auszugehen, wobei sich der Umfang der Hauptakten bis zum Ende des Verfahrens jedoch deutlich erhöht hat. Auf die detaillierten Aus-führungen der Stellungnahme der Bezirksrevisorin wird insoweit Bezug genommen. Die von den Strafsenaten des Oberlandesgerichts für vergleichbare Fälle nach § 51 Abs. 1 RVG aufgestellten Grundsätze sehen vor, dass bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht ab einem Aktenumfang ab 1.200 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Eine lineare Fortführung der Tabelle kann im Einzelfall angemessen sein, ist aber nicht generell geboten. Diesen Grundsätzen folgend ergingen auch die Entscheidungen des Senats und der anderen Senate, auf die im Antrag bzw. den Anträgen der Mitverteidiger Bezug genommen wurde (etwa Beschluss vom 08. Februar 2016, Az.: 1 (S) AR 47115 – Wirtschaftsstrafsache). Dazu kommt, dass den Verteidigern umfangreiche elektronische Daten zur Verfügung gestellt wurden, unter anderem allein ein drei Terrabyte umfassendes Exzerpt digitalisierter Daten; eine nähere Beschreibung findet sich etwa in dem Antrag eines Mit-verteidigers Meißner auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 73/22. Andererseits ist insoweit zu beachten, dass es sich dabei nicht per se um klassischen Lesestoff handelt, vielmehr bedürfen die Inhalte in großen Teilen lediglich einer kursorischen Erfassung und sind Grundlage computergestützer Recherchen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. April 2018, Az.: 111-3 AR 256/16 – juris).

Im Hinblick auf den vorliegend besonders großen Akten- und Datenumfang hält der Einzelrichter hier eine deutliche Erhöhung der Grundgebühr für gerechtfertigt.

Einen besonderen Umfang hat der Verteidiger nachvollziehbar in Bezug auf die Haftsituation seines Mandanten, insbesondere die Vielzahl der benannten Haftbesuche bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und in Bezug auf die im Zusammenhang mit Haftentscheidungen erstellten Schriftsätze dargetan. Dies fand bei der Entscheidung ebenso Berücksichtigung wie der v.a. angesichts der Urteilsgründe erhöhte Aufwand im Revisionsverfahren.

b) Keine Pauschvergütung rechtfertigt sich – selbst angesichts der hohen Zahl der Hauptverhandlungstage und des insoweit aufgetretenen Vor- und Nachbearbeitungsaufwandes – für den Umfang der Tätigkeit des Verteidigers während der Hauptverhandlung.

Insoweit fehlt es an der Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren, die nach dem klaren Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG und dem in der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (vgl. BT-Drs. 15/1971, Seite 201) zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfG, NJW 2007, 3420) neben einem besonders schwierigen oder besonders umfangreichen Verfahren zusätzlich vorauszusetzen ist. Insbesondere vermag der Antragsteller vor diesem Hintergrund eine ausschließliche oder fast ausschließliche Inanspruchnahme nicht aufzuzeigen. Die zwischen dem 16. November 2015 und dem 09. Juli 2018 an insgesamt 168 Tagen durchgeführte Hauptverhandlung führte – bei quartalsmäßiger Betrachtung – zu einer Terminsdichte zwischen 0,7 und 1,6 Hauptverhandlungstagen pro Woche und bei einer Gesamtbetrachtung von 1,2 Hauptverhandlungstagen pro Woche.

Eine Berücksichtigung der Verhandlungsdichte kommt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung – auch des Senats – regelmäßig erst bei einer Terminsdichte von (mehrfach) mindestens drei ganztägigen Verhandlungen pro Woche in Betracht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10. Dezember 2021, Az.: 5 AR (P) 7/20 – juris). Die Anzahl der Hauptverhandlungstermine und deren Dauer wird durch die jeweiligen Terminsgebühren und gegebenenfalls Längenzuschläge erfasst. Eine Pauschvergütung ist auch durch die umfangreiche Nutzung des Selbstlese-verfahrens durch eine Vielzahl entsprechender Anordnungen und im Umfang von über 6.000 Seiten (vgl. Antragsbegründung im Verfahren 1(S) AR 51/22) nicht veranlasst. Bei „Aufteilung“ auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage ergibt sich daraus lediglich ein Leseaufwand von etwas über 40 Seiten pro Hauptverhandlungstag, der ebenfalls als noch nicht unzumutbar ein-zuordnen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei regelmäßig um Unterlagen handelt, die ohnehin im Rahmen der Einarbeitung (dazu unter Buchst. a) zur Kenntnis zu nehmen waren (OLG Hamm, Beschluss vom 05. Mai 2022, Az.: III-5 RVGs 16/22 – juris).

Es ist überdies weder dargetan noch ersichtlich, dass die jeweils erforderliche Anreise zum Gerichtsort bei der Bemessung des Umfangs der Sache zu einer Überschreitung der Zumut-barkeitsgrenze führen würde (BGH NJW 2015, 2437). Der entsprechende und zu den reinen Verhandlungszeiten hinzutretende Zeitaufwand wird durch das Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) erfasst.

c) Im Übrigen war das Verfahren jedoch als besonders schwierig einzustufen. Die Schwierigkeit ging weit über ein durchschnittlich vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zu führendes Verfahren hinaus. Die Verteidiger hatten sich etwa mit besonderen Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank-und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts zu befassen (vgl. Antrag eines Mitverteidigers pp. auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 74/22). Es ist nachvollziehbar, dass damit ein höherer Vorbereitungs- und Be-sprechungsaufwand sowohl vor als auch im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung einher ging; dies gerade auch, um eine sachgerechte Befragung von Zeugen und Sachverständigen zu ermöglichen.

3. Nach Abwägung aller relevanten Umstände und unter Berücksichtigung der vom Verteidiger in seinen Schriftsätzen vorgebrachten Argumente erschien dem Einzelrichter angesichts des außergewöhnlichen Gepräges des Verfahrens, das – wie schon das Landgericht in seinem Haftfortdauerbeschluss vom 03. Mai 2016 ausgeführt hat:

„Es geht im vorliegenden Fall nicht nur um ein für den Freistaat Sachsen bisher singuläres Betrugsverfahren, sowohl nach Zahl der mutmaßlichen Geschädigten wie nach der Schadenshöhe, sondern auch die Komplexität und der Umfang des Verfahrens machen dieses zu einem der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte.“ –

sich erheblich von durchschnittlichen Wirtschaftsstrafverfahren abhebt, zum Ausgleich der von ihm erbrachten Tätigkeiten eine (zusätzliche) Pauschvergütung in der ausgesprochenen Höhe für angemessen.

Die in den Besonderheiten des Verfahrens begründete Höhe der Pauschvergütung wird daher kein verallgemeinernder Maßstab für die zukünftige Handhabung des Senats in anderen Fällen sein.“

Dazu ist anzumerken:

Folgende Verfahrensumstände, die vom OLG nur mager mitgeteilt werden –  man verwendet lieber Zeit und Platz auf Selbstverständlichkeiten -, sind von Bedeutung:

  • 50.000 Blatt Akten bis zum Beginn der Hauptverhandlung, wobei offen bleibt, wie sich der Aktenbestand danach erhöht hat,
  • zusätzlich drei Terrabyte elektronische Daten,
  • insgesamt 168 Tagen Hauptverhandlungstermine zwischen dem 16.11.2015 und dem 9.7.2018, also eine Hauptverhandlungsdichte von 1,2 Hauptverhandlungstagen/Woche,
  • eine Vielzahl (wieviel konkret?) von Haftbesuchen,
  • „besonders schwierig“, da besondere Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank- und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts eine Rolle gespielt haben,
  • lange Verfahrensdauer von fast 10 Jahren
  • das OLG braucht zur Entscheidung 15 Monate.

Man fragt sich bei den Umständen zunächst allgemein: Was soll es eigentlich, ein Verfahren wegen „seiner Komplexität und des Umfangs als eines „der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte“ anzusehen, wenn man dem dann bei der Bemessung der Pauschgebühr nicht gerecht wird? Und Ansatzpunkte waren genügend da. Vielleicht hätte man sich mal mit der Berücksichtigung des „Gesamtgepräges“ des Verfahrens (vgl. dazu mit der OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2007 – 2 [s] Sbd. IX-150/06]; Beschl. v. 16.3.2007 – 2 [s] Sbd. IX-30/07; vgl. auch OLG Stuttgart, RVGreport 2008, 383 = StRR 2008, 359 m. Anm. Burhoff = Rpfleger 2008, 441) befassen können? Das hätte sicherlich – allein schon wegen der langen Verfahrensdauer von fast 10 Jahren die – zugegeben nicht sehr hohe – Verhandlungsdichte – die zugrunde liegende Berechnungsmaßstäbe der OLG-Rechtsprechung als richtig unterstellt – relativiert, wobei offen bleibt, wie lange die Hauptverhandlungstermine durchschnittlich gedauert haben. Oder: Wie ist der Umstand zu bewerten, dass das Verfahren nicht nur „besonders umfangreich“, sondern eben auch „besonders schwierig“ war, wobei hier wohl – um einen Begriff aus der BGH-Rechtsprechung aufzugreifen – die Schwierigkeit nach Auffassung des OLG „exorbitant“ war. Alles in allem, „klebt“ der Beschluss m.E. zu sehr an Einzelumständen und lässt den Gesamteindruck, den das Verfahren macht, zu sehr außer Acht.

Von Bedeutung ist zudem ein weiterer Punkt. Das OLG verweist in Zusammenhang mit der Bewertung des Aktenumfangs auf seine insoweit geltenden Grundsätze (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 114). So schön, wie es ist, dass das OLG Dresden eines der OLG ist, dass solche Grundsätze aufgestellt hat und damit in gewissem Umfang Berechnungsgrundlagen offen gelegt hat. Nur: Was sollen solche Grundsätze, wenn man diese bei Anwendung sogleich selbst relativiert: – „Eine lineare Fortführung der Tabelle könne im Einzelfall angemessen sein, sei aber nicht generell geboten“ – und wegen der drei Terrabyte weiterer Daten überhaupt nicht erkennbar ist, welchen Einfluss die auf die Gewährung, vor allem die Bemessung der Pauschgebühr hatten? Da schreckt man offenbar vor den selbst aufgestellten Grundsätzen zurück, denn: 1 Terrabyte Speicherplatz sind – nach einer Internetrecherche – etwa 6,5 Millionen Dokumentseiten, die als Office-Dateien, PDF-Dateien und Präsentationen gespeichert werden. Noch Fragen hinsichtlich der Angemessenheit der Pauschgebühr?

Zusammenfassend: Wenn das OLG das Verfahren selbst wegen seiner Komplexität und des Umfangs als eines „der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte“ ansieht, spricht vieles dafür, dass die festgesetzte Pauschgebühr von 23.000 EUR erheblich zu niedrig ist. Ob nun die beantragten 300.000 EUR angemessen gewesen wären, kann man diskutieren, aber nur 23.000 EUR sind doch zu mager.

Und: Gelegenheit: Die von der Vertreterin der Staatskasse als angemessen angesehenen 2.240,00 EUR (!!) sind eine Frechheit und waren dann wohl selbst dem OLG zu niedrig.

Etwas zur Beruhigung trägt dann der zweite Beschluss bei, und zwar der OLG Dresden, Beschl. v. 02.01.2024 – 1 (S) AR 40/23. Da hat das OLG in einem amtsgerichtlichen Verfahren wegen des Aktenumfangs eine Pauschgebühr gewährt, denn – so der Leitsatz:

Bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht kann ab einem Aktenumfang von 800 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Für einen Umfang zwischen 2.000 und 3.000 Blatt ergibt sich eine 2-fache Erhöhung der Grundgebühr.

Aber: Eben nur etwas Beruhigung, denn man ärgert sich natürlich, dass bei dieser Pauschgebühr die Grundsätze zum Aktenumfang angewendet werden. Hier passt es. Ist ja auch nicht so viel, was man feststellen muss. Für mich ein Widerspruch, der die Gewährung von Pauschgebühren – beim OLG Dresden – unberechenbar macht. Im Übrigen: Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung einer Pauschgebühr verwendet das OLG offensichtlich Textbausteine, da die Ausführungen dazu in dem Beschluss vom 02.01.2024 weitgehend wortgleich sind mit denen bei OLG Dresden, Beschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22 sind.

Ist die Grundgebühr mit Haftzuschlag entstanden?, oder: Ist es egal, wann der Mandant inhaftiert war?

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Und im Gebührenrecht heute zwei AG-Entscheidungen. Beide falsch, bei so so richtig falsch. Die eine ist m.E. ganz schlimm.

Fangen wir mit der nicht ganz so schlimmen an. Das ist der AG Nürnberg, Beschl. v. 31.07.2023 – 54 Ls 805 Js 19083/18 – zum Haftzuschlag bei der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Das AH hat ihn gewährt:

„Zwischen dem Pflichtverteidiger und der Staatskasse ist streitig, ob der Zuschlag zur Grundgebühr Ziffer 4100 VV RVG im Sinne der Ziffer 4101 VVRVG angefallen ist.

Hinsichtlich der widerstreitenden Rechtsauffassungen wird auf die Erinnerung des Verteidigers vom 21.06.2023 einerseits und die Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Amtsgericht Nürnberg vom 13.07.2023 andererseits Bezug genommen.

Laut Ziffer 4100 VV RVG entsteht die Grundgebühr gemäß dessen Unterabschnitt 1 neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt.

Unstreitig lagen hier Zuschlagsvoraussetzungen in der Weise vor, dass der Angeklagte sich im Verfahren in Haft befand. Fraglich ist einzig und allein, ob trotz vorheriger Einarbeitung des Verteidigers, als sich der Angeklagte noch nicht in Haft befand, sondern auf freiem Fuß war, der Zuschlag auch dann anfällt, wenn der Angeklagte sich zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens als zur Zeit der Einarbeitung des Verteidigers in Haft befand.

Nach Auffassung des Gerichts ist dies der Fall. Hierfür spricht bereits der Wortlaut von Ziffer 4100 VV RVG Unterabschnitt 1, der für die Grundkonstellation die Entstehung der Verfahrensgebühr als einmalig für die erstmalige Einarbeitung definiert, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Spiegelbildlich dazu kann nach der Systematik des Gesetzes für den Zuschlag im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG nichts anderes gelten – auch diese fällt an, und zwar unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt sie erfolgt. Mithin ist es nicht erforderlich, dass die Zuschlagsvoraussetzungen zeitgleich zum Zeitpunkt der Einarbeitung vorgelegen haben, sondern nur, dass diese in irgendeinem Verfahrensabschnitt gegeben waren. Nur so ergibt der Zuschlag Sinn. Denn der Aufwand bei Bearbeitung einer Haftsache ist ungleich höher als er einer Nicht-Haftsache; es kann daher nicht von rein zufälligen zeitlichen Konstellationen abhängen, ob der Zuschlag gewährt wird. Genau dies sagt im Grundsatz schon Ziffer 4100 VV RVG aus, indem deren Unterabschnitt 1 gerade unabhängig von der zeitlichen Einordnung die Grundgebühr auslöst. Ziffer 4101 VV RVG ist genau in diesem Lichte zu lesen, weshalb es gerechtfertigt ist, dass ein etwaiger Mehraufwand, der einen Zuschlag rechtfertigt, unabhängig von seiner zeitlichen Komponente rechtlich immer als Teil der Ersteinarbeitung zählt.

Das ist hier der Fall, sodass die Grundgebühr im Sinne der Ziffer 4101 VV RVG mit 192,00 Euro anfiel und nicht wie im Ausgangsbeschluss mit nur 160,00 Euro.“

Die Entscheidung wird den Kollegen PeisL, der sie mir geschickt hat, freuen. Nur: Sie ist falsch. Das AG hatte schon einmal so falsch entschieden, und zwar im AG Nürnberg, Beschl. v. 13.07.2020 – 403 Ds 604 Js 58985/15 .  Ich habe schon damals zu der Entscheidung darauf hingewiesen, dass die amtsgerichtliche Sicht „– mit Verlaub – gebührenrechtlicher Nonsens“ ist. Dabei bleibt es. Denn die Entscheidung des AG ist widersprüchlich. Sie vermischt die Kriterien des Entstehens der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit den Kriterien für einen Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG, bei deren Vorliegen dann die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG mit Zuschlag nach Nr. 4101 VV RVG entsteht. Im Übrigen auch noch hier: Grundgebühr mit Haftzuschlag?, oder: Egal, wann der Mandant inhaftiert war?

Ich hatte dazu ja auch im RVGreport Stellung genommen. Hat ersichtlich nicht genutzt. Abteilung unbelehrbar.