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Erstreckung II: Voraussetzungen der Erstreckung, oder: Grundkenntnisse fehlen beim LG Siegen/der StA Siegen

Und hier dann die Lösung der Preisfrage von heute Morgen.

Ich hatte da in dem Posting Erstreckung I: Voraussetzungen der Erstreckung, oder: AG Siegen macht es richtig den zutreffenden AG Siegen, Beschl. v. 23.11.2023 – 450 Gs 1656/23 – vorgestellt und gefragt, ob die Staatsanwaltschaft die Entscheidung hingenommen hat. Die Frage stellen, heißt, sie zu verneinen. Nein, hat die StA – aus welchen Gründen auch immer – natürlich nicht, sondern hat Beschwerde eingelegt, die dann, um das Ganze zu toppen, auch beim LG Siegen mit dem LG Siegen, Beschl. v. 19.02.2024 – 10 Qs 4/24Erfolg hatte.

Ich stelle hier jetzt nur die Ausführungen des LG zur Begründetheit des Rechtsmittels vor, die zur Statthaftigkeit/Zulässigkeit lasse ich mal außen vor. Insoweit reichen die Leitsätze, und zwar:

1. Gegen eine Erstreckungsentscheidung ist das Rechtsmittel der (einfachen) Beschwerde statthaft.
2. Auch der Staatsanwaltschaft steht die Befugnis zu, gegen eine Erstreckungsentscheidung, Beschwerde einzulegen.

Zur Begründung schreibt das LG dann:

„Nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG kann das Gericht, wenn Verfahren verbunden werden, die Wirkungen des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG auch auf diejenigen Verfahren erstrecken, in denen der Rechtsanwalt vor der Verbindung nicht beigeordnet oder nicht bestellt war.

Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung („kann“). Anders als im Fall des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG, bei dem die Wirkung mit der Pflichtverteidigerbestellung eintritt, soll bei verbundenen Verfahren die gebührenrechtliche Rückwirkung nur dann eintreten, wenn dies ausdrücklich durch das Gesetz vorgesehen ist.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist dabei zunächst, dass es ein Verfahren gibt, bei dem § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG vorliegt („auch“). Da § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG das Vorliegen einer Beiordnung oder Bestellung eines Rechtsanwalts voraussetzt, können die Gründe hierfür – isoliert – nicht in der Ermessensentscheidung ausschlaggebend sein.

Daher sind die von dem Beschwerdegegner vorgebrachten Umstände, dass die Beschuldigte unter einer gesetzlichen Betreuung steht, die Frage ihrer Schuldfähigkeit bei den Verfahren im Raume steht und die Vielzahl der einzelnen Verfahren für die Ermessensentscheidung zwar zu berücksichtigende Punkte sein. Wenn diese – wie hier – vorliegen, führt dies aber nicht automatisch zu der Annahme, dass die Erstreckung erklärt werden müsse.

Auch der Umstand, dass sich die Entscheidung über die notwendige Vertretung verzögert hat, führt nicht automatisch zu der Annahme, dass die Erstreckung erklärt werden muss. Zwar wäre bei zeitiger Entscheidung vor Verbindung die Problematik wegen § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG gar nicht erst entstanden. Jedoch gibt es gerade für diese Fallkonstellatiön den § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG.

Die ebenfalls zu berücksichtigenden konkreten Tätigkeiten des Beschwerdegegners wurden nicht hinreichend dargelegt. Das Amtsgericht Siegen hat mit Verfügung vom 23.10.2023 (BI. 243 d.A.) darauf hingewiesen, dass § 48 Abs. 6 Satz 1, Satz 3 RVG voraussetzt, dass es bereits zu Tätigkeiten des Rechtsanwalts gekommen ist („für seine Tätigkeit“). Auf den hierauf eingehenden Schriftsatz des Beschwerdegegners vom 24.10.2023 (BI. 244-245 d.A.) hat die Staatsanwaltschaft Siegen mit Verfügung vom 07.11.2023 (BI. 246 d.A.) ausführlich Stellung genommen, welche dem Beschwerdegegner mit Verfügung vom 10.11.2023 mit dreiwöchiger Stellungnahmefrist vom Amtsgericht Siegen übersandt wurde (BI. 246R d.A.). Weder in dem darauf er-widernden Schreiben des Beschwerdegegners vom 14.11.2023 (BI. 247-252 d.A.) noch im Weiteren sind die jeweiligen konkreten Tätigkeiten ersichtlich vorgetragen worden. Hier wurde in den jeweiligen Ermittlungsverfahren nur der Antrag auf Bestellung zum Pflichtverteidiger gestellt, um Akteneinsicht gebeten und teilweise mitgeteilt, dass an einer Beschuldigtenvernehmung nicht teilgenommen wird. Aus diesem Grund führen auch die Ausführungen auf Seite 4 im Schreiben vom 26.01.2024 zu keinem anderen Ergebnis, weil sich diese Ausführungen gerade auf eine Vernehmungssituation beziehen. Lediglich in einem Fall (auf BI. 51 d.A.) wurde angeregt, das Verfahren im Hinblick auf das Verfahren 83 Js 1331/19 einzustellen. In dem Ver-fahren (66 Js 123/23) erfolgte jedoch eine ausdrückliche Bestellung zum Pflichtverteidiger. Die von dem Beschwerdegegner genannten Tätigkeiten wie Besprechung mit der Mandantin oder Einarbeiten in die Akte genügen den Anforderungen an eine konkrete Tätigkeit nicht, weil der Gesetzgeber hierfür die Grundgebühr nach Nr. 4100 und die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 als Pauschale vorsieht, unabhängig davon, wie umfangreich der Sachverhalt ist oder wieviele Verfahren vor der Bestellung verbunden wurden.

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen kam eine Erstreckung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG bei einer Gesamtbetrachtung nicht in Betracht. Der Grundgedanke des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG besteht darin, frühere Tätigkeiten, die als Wahlverteidiger vorgenommen wurden, nach der Bestellung als Pflichtverteidiger zu vergüten, obwohl durch die Verbindung hierüber nicht entschieden wurde. Diese Tätigkeiten gab es hier nicht, weil unmittelbar im ersten Schreiben in jedem Verfahren der Antrag vorlag, als Pflichtverteidiger bestellt zu werden. Dann erfolgte die Verbindung der Verfahren bereits durch die Staatsanwaltschaft und nicht erst durch das Gericht nachdem jeweils eine Anklageschrift vorlag. In diesen Konstellationen fehlt es bereits an den Tätigkeiten im Ermittlungsverfahren, die vergütet werden sollen. Das gilt insbesondere hier, wenn wie vom Beschwerdegegner ausgeführt, immer die gleiche Frage relevant ist, inwieweit die Beschuldigte schuldfähig ist.

Soweit das Amtsgericht Siegen in dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung über die Erstreckung in den Verfahren 66 Js 660/23 und 66 Js 661/23 abgelehnt hat (zweiter Absatz auf Seite des Beschlusses, BI. 262 d.A.) schließt sich die Kammer insoweit der dortigen Argumentation an, dass es hierzu keiner Entscheidung bedarf. Ob es eine tatsächliche Tätigkeit vor der Verbindung gab (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.2017 – 1 Ws 95/17 Rn. 20), ist dann im Festsetzungsverfahren zu prüfen.“

Dazu Folgendes: Die Ausführungen des LG zur Begründetheit des Rechtsmittels lassen den Leser der Entscheidung ratlos, wenn nicht fassungslos“ zurück? Denn die Ausführungen des LG zu den konkreten Tätigkeiten des Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers offenbaren m.E. dann doch bei der entscheidenden Strafkammer einen erheblichen Mangel an gebührenrechtlichen Grundkenntnissen.

Zutreffend ist es (noch), wenn die Strafkammer darauf verweist, dass die Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 S. 3 RVG eine „Ermessensentscheidung“ ist, die natürlich voraussetzt, dass in dem Verfahren, auf das erstreckt werden soll, die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung nach §§ 140 ff. StPO vorgelegen haben. Grundsätzlich zutreffend ist es auch, wenn das LG ausführt, dass eine Erstreckung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG nur in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt in dem oder den Verfahren, auf die erstreckt werden soll, Tätigkeiten erbracht hat.

An der Stelle liegt dann aber auch der grobe Fehler, den das LG macht und der einen – immerhin handelt es sich um eine Beschwerdekammer, die in „Dreierbesetzung“ entschieden hat – ratlos, wenn nicht fassungslos zurücklässt. Denn das LG meint, in den Verfahren, auf die erstreckt werden sollte, seien bei dem Pflichtverteidiger keine Gebühren entstanden. Aber: Es sind Gebühren entstanden, und zwar, da man sich noch im Verfahrensstadium „Ermittlungsverfahren“ befunden hat (vgl. Anm. zur Nr. 4104 VV RVG) die Gebühren Nr. 4100 VV RVG – Grundgebühr – und die Nr. 4105 VV RVG – Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren und diese beiden Gebühren immer nebeneinander. Voraussetzung für das Entstehen der Gebühren des Rechtsanwalts sind von ihm für den Mandanten erbrachte Tätigkeiten. Dazu hatte der Pflichtverteidiger „Tätigkeiten wie Besprechung mit der Mandantin oder Einarbeiten in die Akte“ genannt. Warum diese Tätigkeiten nicht – wie das LG meint – den Anforderungen an eine konkrete Tätigkeit genügen sollen, erschließt sich mir nicht. Ich empfehle die Lektüre eines gängigen Kommentars zum Entstehen und zum Abgeltungsbereich der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und zur Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG. Beide Gebühren entstehen mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts für den Mandanten, wozu die genannten Tätigkeiten gehören. Ganz sicher ist es keine Begründung, wenn das LG meint: „weil der Gesetzgeber hierfür die Grundgebühr nach Nr. 4100 und die Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 als Pauschale vorsieht, unabhängig davon, wie umfangreich der Sachverhalt ist oder wie viele Verfahren vor der Bestellung verbunden wurden“. Der erste Teil dieser Begründung ist unverständlich, der zweite falsch, weil es für die Erstreckungsentscheidung nicht darauf ankommt, wie viele Verfahren verbunden worden sind, auch wenn das wegen der Höhe der entstehenden gesetzlichen Gebühren vielleicht die Staatsanwaltschaft und das LG gestört haben. Ohne Bedeutung ist auch der Umstand, dass „immer die gleiche Frage relevant ist, inwieweit die Beschuldigte schuldfähig ist.

Und schließlich: Falsch sind/waren im Übrigen auch die Ausführungen der Staatsanwaltschaft im Erstreckungsverfahren, die mir vorliegen. Dort hatte der Staatsanwalt

höflich [sic!!] darauf hingewiesen, dass soweit von der Verteidigung vorgetragen wird, dass „sich jeweils auf die anstehenden Vernehmungen vorbereitet“ wurde (BI. 224 d. A.), dies i.E. unwahrscheinlich sein dürfte, da die gegenüber der Beschuldigten erhobenen Vorwürfe im Einzelnen (gemeint ist das ihr insoweit zur Last gelegte Handeln) nicht bekannt gewesen sein dürften (vgl. BI. 119x d. A.) insoweit aber auch und gerade Akteneinsicht beantragt wurde (vgl. Bl. 123x d. A). Auf Grund des Antrages des Verteidigers konnte es auch nicht zu einer Vernehmungssituation kommen, sodass insoweit auch keine Vorbereitung auf eine anstehende Vernehmung erfolgt sein kann. Wie eine nachhaltige Erörterung sachgerecht erfolgen kann, ohne dass der Verteidiger sich über die Polizei oder die Staatsanwaltschaft Einblick in die Ermittlungsunterlagen verschafft und erwartbar vorhandene Zeugenaussagen studiert, ist bereits fraglich (vgl. hierzu etwa LG Münster, Beschluss vom 4. September 2020 – 20 Qs 9/20 -, Rn. 29, juris). Dies umso mehr, als das der Verteidiger gerade keinen Kontakt zur Mandantin schildert, sondern lediglich zu deren Betreuerin (vgl. BI. 224x d. A.). Verfahrensbezogene Vergütungsansprüche können aber nur dadurch entstehen, dass der Rechtsanwalt eine konkrete Tätigkeit in dem jeweiligen Verfahren erbringt, wobei ihm in derselben Angelegenheit die Gebühren nur einmal zustehen. Dass dem Rechtsanwalt ein Verfahren bekannt ist, ist noch keine gebührenauslösende Tätigkeit. Auch ein pauschales Legitimationsschreiben belegt nur, dass der Rechtsanwalt mandatiert worden ist, aber gerade noch nicht, dass er eine konkrete, verfahrensbezogene Tätigkeit entfaltet hat (Kammerbeschl. v. 22. April 2021, 22 Qs 3/21). Ebenso reicht die bloße Beantragung von Akteneinsicht nicht aus (vgl. LG Hildesheim, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 22 Qs 1/22 -, Rn. 25, juris m.w.N.).“

Soweit auf LG Münster, Beschl. v. 4.9.2020 – 20 Qs 9/20, AGS 2021, 371) verwiesen wird, handelt es sich um eine andere Problematik, nämlich die Frage der ausreichenden Glaubhaftmachung und nicht die der ausreichenden Tätigkeiten. Soweit auf LG Siegen (Beschl. v. 22.4.2021 – 22 Qs 3/21) und LG Hildesheim (LG Hildesheim, Beschl. v. 31.1.2022 – 22 Qs 1/22) verwiesen wird, wonach ein pauschales Legitimationsschreiben oder ein Antrag auf Akteneinsicht für das das Entstehen der Grundgebühr und Verfahrensgebühr nicht ausreichen soll, sondern (erst) die Gewährung von Akteneinsicht, ein (glaubhaft gemachtes) verfahrensbezogenes Mandantengespräch oder eine verfahrensbezogene Erklärung gegenüber den Ermittlungsbehörden, ist das aus den vorstehenden Gründen gleichfalls falsch. Grundgebühr und Verfahrensgebühr setzen nicht gewährte Akteneinsicht voraus, sondern der Verteidiger verdient die Gebühren schon bei auf Akteneinsicht gerichtete Tätigkeiten. Alles andere wäre auch widersinnig, da bei Richtigkeit der Ansicht des LG Siegen ein gebührenfreier Raum entstehen würde, den das RVG aber nicht vorsieht. Soweit der beschwerdeführende Staatsanwalt dann schließlich in seiner Beschwerdeschrift auch noch auf OLG Rostock (Beschl. v. 25.11.2013 – Ws 359/13, AGS 2014, 178) verweist, führt auch das zu nichts, da auch das OLG in dem Verfahren die vom Verteidiger erbrachten Tätigkeiten falsch bewertet hat.

Fazit: Wegen der verfahrensrechtlichen Ausführungen kann man dem LG folgen. Wegen der materiellen Fragen wird dringend empfohlen, sich mit der Gebührenstruktur des RVG (besser) vertraut zu machen. Das gilt vor allem auch für den Vertreter der Staatsanwaltschaft. Wenn man schon meint, gebührenrechtlich tätig werden zu müssen, dann sollte man auch richtig gerüstet sein. Denn eins sollte man nicht übersehen. Bei den Erstreckungsfragen geht es ggf., so z.B. hier wegen der Vielzahl der Verfahren, um erhebliche Gebührenforderungen des Rechtsanwalts. Und wenn man schon aus Gründen der „Rechtsklarheit“ als Staatsanwalt als beschwerdebefugt angesehen wird, sollte man nicht durch unbegründete Rechtsmittel, denen das LG dann aber stattgibt, „Rechtsunklarheit“, herbeiführen.

Pflichti III: Einmal Bestellung in einem „Kipo-Verfahren“ wegen Akteneinsicht, oder: Einmal „Tatschwere“

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Und zum Schluss des Tages dann noch zwei Entscheidungen zu den Bestellungsvoraussetzungen.

Zunächst der LG Halle, Beschl. v. 29.06.2020 – 10a Qs 59/20, ergangen in einem Verfahren wegen der Verbreitung kinderpornographischer Schriften. Da meint das LG zur Bestellung:

„Die von dem Verteidiger des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 30.05.2020 eingelegte sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 StPO in Verbindung mit §§ 304. 311 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Das Amtsgericht hat zwar überzeugend dargelegt. dass grundsätzlich weder die Schwere der Tat. noch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder die Schwierigkeit der Rechtslage die notwendige Mitwirkung eines Verteidigers gebietet. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe des Amtsgericht Halle (Saale) in seinem ausführlichen Beschluss vom 20.05.2020. die sich die Kammer zu eigen macht. Bezug genommen.

Freilich ist aufgrund der Besonderheit des Verfahrensgegenstandes im vorliegenden Fall -Kinder- und Jugendpornographie — dem Beschwerdeführer sein Verteidiger als Pflichtverteidiger wegen der Schwierigkeit der Sachlage gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen. Diese ergibt sich aus dem Umstand, dass ein unverteidigter Angeklagter gemäß § 147 Abs. 4 StPO n.F. grundsätzlich das Recht hat. unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke — wie hier die Ausdrucke der Bilddateien in drei Beweismittelbänden —zu besichtigen, es sei denn dieser Besichtigung stehen — wie hier – überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegen. Die pornographischen Bilder betreffen den Intimbereich der abgebildeten Personen, der vor einer Besichtigung des Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung gewahrt werden soll, so dass ihm dieses Recht verwehrt werden müsste. Die Bilder bilden jedoch den Kern des Anklagevorwurfs, so dass sich der Angeklagte ohne deren Anschauung nicht hinreichend verteidigen könnte. In diesem Fall gebietet § 140 Abs. 2 StPO die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, der die Bilder in der Geschäftsstelle sichten und den Angeklagten von seinen Erkenntnissen unterrichten kann (vgl. dazu M/G. StPO. 63. Auflage. § 147 Rn. 32 m.w.N.).“

Und dann habe ich noch den LG Siegen, Beschl. v. 14.07.2020 – 10 Qs 68/20 – zur Bestellung wegen „Schwere der Tat“. Der Beschluss bringt nichts Neues, daher hier nur der Leitsatz:

„Neben der dem Angeschuldigten im Verfahrens drohenden Strafe sind wegen der bei § 140 Abs. 2 StPO stets erforderlichen Gesamtbewertung aber auch sonstige schwerwiegende Nachteile zu berücksichtigen, die er infolge der drohenden Verurteilung zu gewärtigen hat. Die Grenze der Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ist deshalb auch dann zu beachten, wenn ihr Erreichen oder Überschreiten erst infolge einer zu erwartenden Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt.“

Danke an die Kollegen W. Siebens aus Braunschweig und H. Terjung aus Köln für die Übersendung.