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Keine Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz, oder: Auch OLG Nürnberg macht es falsch….

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Ich hatte neulich über den (falschen) LG Amberg, Beschl. v. 11.04.2025 – 11 KLs 170 Js 13218/22 Sich – berichtet. Inzwischen hat sich in dem Verfahren dann auf die Beschwerde des betroffenen Verteidigers das OLG Nürnberg geäußert, leider aber im OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.06.2025 – Ws 501/25 – ebenso falsch.

Zum Sachverhalt rufe ich in Erinnerung, dass es in dem Verfahren um die Frage geht, ob der Verteidiger die  Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG im Revisionsverfahren verdient hatte, nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Revision vor Begründung zurückgenommen hat. Das LG hatte mal wieder mit dem „verständigen Verteidiger“ argumentiert und die Festsetzung der Gebühr abgelehnt. Das OLG ist dem gefolgt, zwar nicht in der Begründung, aber – wie gesagt – ebenso falsch. Das OLG verneint einen Auftrag an den Verteidiger zum Tätigwerden:

„2. Die Gebühr VV 4130 RVG entsteht, wenn der Rechtsanwalt erstmals nach Auftragserteilung für die Mandantin im Revisionsverfahren tätig wird (Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4130 Rn. 4-10, beck-online, m.a.N.). War der Rechtsanwalt bereits in der ersten Instanz Verteidiger gehört die Einlegung der Revision nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch zum gerichtlichen Verfahren der ersten Instanz (Gerold/Schmidt, ebenda). Jede danach für die Mandantin erbrachte Tätigkeit führt aber, wenn der Rechtsanwalt den Auftrag zur Verteidigung im Revisionsverfahren erhalten hat, zur Verfahrensgebühr VV 4130 RVG. Wenn von einem anderen Verfahrensbeteiligten Revision eingelegt worden ist, beginnt für den Verteidiger das Revisionsverfahren mit der Erteilung des Auftrags, die Mandantin im Revisionsverfahren zu vertreten (Gerold/Schmidt, ebenda, m.w.N.).

3. Vorliegend fehlt es an einem solchen Auftrag der Mandantin, sie im Revisionsverfahren zu verteidigen. Im vorliegenden Fall hat nur die Staatsanwaltschaft Revision, ohne einen Antrag zu stellen, und ohne Begründung eingelegt und vor einer Begründung wieder zurückgenommen. Aus dem vom Beschwerdeführer Vorgetragenen ergibt sich eine solche Auftragserteilung nicht.

aa) Aus dem vom Beschwerdeführer Vorgetragenen ergibt sich keine ausdrückliche Auftragserteilung.

bb) Das Gespräch am 16.09.2024 war bereits vor Kenntniserlangung von der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft und vor Ablauf der auch für die Mandantin noch möglichen Revisionseinlegung, die Frist lief am 17.09.2024 ab, ausgemacht gewesen. Es sollte offensichtlich zu-nächst der Auskunft über den weiteren, möglichen Verfahrensablauf dienen. Da die Beschuldigte im weiteren Verlauf keine Revision einlegte, ist daraus auch keine konkludente Auftragserteilung zu entnehmen.

cc) Nach dem Vortrag des Verteidigers hat er sich jedoch im Vorfeld des Gesprächs nach einer Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft erkundigt und dies der Mandantin am 16.09.2024 mitgeteilt und deren weitere Fragen dazu beantwortet. Auch daraus ist jedoch angesichts des weiteren Verhaltens der Beteiligten keine konkludente Auftragserteilung zur Verteidigung im Revisionsverfahren zu entnehmen. Die Beschuldigte hat vielmehr am 23.09.2024 über ihren Wahlverteidiger, der ebenfalls in erster Instanz Verteidiger war, und mit Schreiben vom 30.09.2024 selbst den Antrag gestellt, den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger zu entbinden und ihr den bisherigen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren nach § 143a Abs. 3 StPO zu bestellen, dem das Gericht mit Beschluss vom 21.10.2024 auch nachgekommen ist. Damit hat sie aber gerade deutlich gemacht, dass sie, nachdem sie am 16.09.2024 davon Kenntnis erlangt hatte, dass die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, im Revisionsverfahren nicht von dem Beschwerdeführer verteidigt werden möchte.

dd) Dabei ist insbesondere auch zu sehen, dass selbst wenn sich die Beschuldigte in diesem Gespräch zu einer Revisionseinlegung entschlossen hätte, sogar die Einlegung des Rechtsmittels vorliegend noch zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer gehört hätte. Die Gebühr Nr. 4130 VV RVG entsteht erst zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Verteidiger Tätigkeiten entfaltet, die über die Einlegung der Revision und die diesbezügliche Beratung hinausgehen (Toussaint, Kostenrecht, 54. Auflage 2024, RVG VV 4130 Rn. 5-16 mit Verweis auf RVG VV 4124 Rn. 5-23, beck-online, m.w.N.). Gleiches muss gelten, wenn der bisherige Verteidiger der ersten Instanz lediglich über die Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft informiert und Fragen dazu beantwortet. Erst mit einem Tätig-werden darüber hinaus, gestützt auf einen entsprechenden Auftrag, kann in diesem Fall die Gebühr Nr. 4130 VV RVG ausgelöst werden.“

Vorab: Man merkt leider auch diesem Beschluss an, dass es letztlich eine (weitere) Entscheidung ist, mit der die Staatskasse vor Gebührenansprüchen von Verteidigern geschützt werden soll, die entstehen, wenn die Staatsanwaltschaft (vorschnell) Revision (oder auch Berufung) einlegt, die sie dann – nach Überlegung, die man besser vorher hätte anstellen sollen – ohne ein weiteres Wort zurücknimmt. Dieses kaum nachvollziehbare Verhalten soll erkennbar nicht dazu führen, dass daran nun auch noch ein Verteidiger „verdient“.

Und dafür ist dann jede auch noch so wenig nachvollziehbare Begründung recht. Denn die Ausführungen des OLG zur Auftragserteilung sind m.E. nicht nachvollziehbar. Festzuhalten ist: Der Verteidiger vereinbart nach (!) Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft ein Gespräch mit der Mandantin, die über die Revisionseinlegung informiert wird und in Kenntnis des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, dieses Gespräch (fort)führt. In dem Gespräch erkundigt sich die Mandantin nach dem weiteren Gang des Verfahrens und nach den Erfolgsaussichten, was ihr der Rechtsanwalt erläutert. M.E. war spätestens zu dem Zeitpunkt zumindest konkludent der Auftrag erteilt, wenn man mal den Umstand, dass der Rechtsanwalt Pflichtverteidiger war, dahingestellt sein lässt. Wenn es sich die Mandantin dann anders überlegt und einen anderen Rechtsanwalt mit der weiteren Vertretung im Revisionsverfahren beauftragen will bzw. einen anderen Pflichtverteidiger wünscht, kann das nicht zu Lasten des beratenden Rechtsanwalts gehen.

Letztlich ist man wieder an der Stelle, wo anzumerken ist: Verteidigung zum Nulltarif gibt es nicht; nach Auffassung des OLG Nürnberg aber offenbar schon. Alles in allem: Leider eine weitere Entscheidung, die die Praxis der Staatsanwaltschaften, erst mal Rechtsmittel einzulegen und dann später wieder zurückzunehmen, absegnet. Finanzielle Nachteile entstehen der Staatskasse aus dieser Vorgehensweise nicht.

Keine Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz, oder: Mal wieder der „verständige Verteidiger“

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Am RVG-Tag dann zwei Entscheidungen aus der Instanz.

Ich beginne mit dem LG Amberg, Beschl. v. 11.04.2025 – 11 KLs 170 Js 13218/22 Sich – , der sich noch einmal zur Verfahrensgebühr in der Rechtsmittelinstanz, hier ist es die Revision, äußert.

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Beschuldigten. Das LG hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft am 11.09.2024 Revision eingelegt. Mit Verfügung vom 05.11.2024 wurde die bis dahin nicht begründete Revision wieder zurückgenommen.

Der Pflichtverteidiger hat die Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung für das vorbereitende Verfahren, das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges und das Revisionsverfahren, und zwar insoweit eine Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG nebst Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG, in Höhe von insgesamt 2.721,10 EUR beantragt. Das LG hat die Gebühren für das Revisionsverfahren nicht festgesetzt. Der dagegen gerichteten Erinnerung wurde nicht abgeholfen. Der Einzelrichter der Strafkammer hat die Erinnerung des Verteidigers dann zurückgewiesen:

„Die vom Pflichtverteidiger geltend gemachten Gebühren für das Revisionsverfahren in Höhe von 667,59 € wurden zu Recht nicht in Ansatz gebracht.

Die entsprechende Tätigkeit des Pflichtverteidigers löst keinen Erstattungsanspruch wegen der dadurch entstandenen Gebühren aus.

Für das Rechtsmittel der Revision ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass sachgerechte und zweckdienliche Tätigkeiten eines verständigen Verteidigers erst dann angezeigt sein können, wenn feststeht, dass die Staatsanwaltschaft das von ihr eingelegte Rechtsmittel nach näherer Überprüfung der Erfolgsaussichten überhaupt weiterverfolgt und wenn an Hand der Anträge und der Begründung (§ 344 StPO) das Ziel und der Umfang der Revisionsangriffe feststellbar sind. Der dann feststehende Gegenstand der Revisionsrügen ermöglicht erst eine auf den Einzelfall bezogene und das weitere Vorgehen präzisierende Beratung des Angeklagten durch den Verteidiger. Vor Zustellung einer Revisionsbegründung kann der Angeklagte sich mit seinem Verteidiger nur über potentielle und hypothetische Revisionsangriffe beraten und theoretisch eine bestimmte Verteidigungsstrategie entwerfen; eine diesbezügliche Tätigkeit des Verteidigers wäre nur spekulativ, also gerade nicht zweckentsprechend und sachgerecht (vgl. nur OLG Koblenz, Beschluss vom 03.07.2006 – 2 Ws 424/06).

Auch unter Beachtung des konkreten Einzelfalles ändert sich an dieser Beurteilung nichts. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, weshalb im vorliegenden Fall ausnahmsweise ein Tätigwerden des Verteidigers vor Begründung der Revision notwendig gewesen sein sollte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass allgemeine prozessuale Fragen zum Prozessfortgang noch im Rahmen der Mandatierung des Ausgangsverfahrens zu beantworten sind, da diese Tätigkeiten – entgegen der Ansicht des Pflichtverteidigers – auch über die Verkündung des Urteils hinausgehend noch von der Gebühr des Ausgangsprozesses erfasst werden (vgl. LG Amberg, Beschluss vom 21.10.2021, Az.: 11 Qs 63/21; OLG Köln, Beschluss vom 03. Juli 2015 – III-2 Ws 400/15, Rn. 22).“

Man mag es zu der Problematik nicht mehr lesen. Auch diese Entscheidung ist leider falsch. Denn die Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren ist in den Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel – egal ob Berufung oder Revision – vor Begründung des Rechtsmittels zurücknimmt, erstattungsfähig bzw. ist als gesetzliche Gebühr für den Pflichtverteidiger festzusetzen. Denn der Angeklagte hat ab Einlegung des Rechtsmittels durch die Staatsanwaltschaft Handlungs- und Beratungsbedarf, z.B. über den weiteren Gang des Verfahrens usw. Dieser hängt nicht etwa von der Begründung der Berufung ab und wird auch nicht von der Verfahrensgebühr für das Vorinstanzverfahren abgedeckt. Das habe ich jetzt so ofrt geschrieben, dass ich mir weitere Ausführungen dazu spare und auf die veröffentlichten Entscheidungen, die zum Teil anderer Auffasssung sind, und auf die Literatur verweise. Aber das scheint nicht zu interessieren. Warum in einen Kommentar schauen? Wir können es eh besser.

Und dann auch wieder der Hinweis auf den „verständigen“ Verteidiger. Daran stört mich schon, dass immer nur vom Verteidiger „Verständnis“ verlangt wird, nie aber vom Gericht oder von der Staatsanwaltschaft, die sich vielleicht mal eher „verständig“ überlegen sollte, ob man Rechtsmittel einlegt oder nicht und ob man nicht durch ein „spekulatives“ Rechtsmittel anderen Verfahrensbeteiligten Arbeit macht, die dann aber nicht honoriert werden soll. Die Argumentation in der Rechtsprechung (insbesondere KG, JurBüro 2012, 471 = RVGreport 2012, 187 = StRR 2011, 387 = VRR 2011, 398; OLG Köln, RVGreport 2015, 383 = AGS 2015, 511) ist an der Stelle im Übrigen nicht konsequent. Denn einerseits wird vom „verständigen Verteidiger“ erwartet, dass er vor dem Eingang der Rechtsmittelbegründung nicht nur „spekulativ“ tätig wird, also auf Mutmaßungen über Umfang und Erfolgsaussichten des Rechtsmittels“ verzichtet, andererseits wird aber davon ausgegangen, dass der Verteidiger/Rechtsanwalt das dem Angeklagten begreiflich machen kann. Wird die Tätigkeit aber erwartet, dann ist sie notwendig und nicht nutzlos. Gerade deshalb kann der Verteidiger Erstattung/Festsetzung der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren verlangen. Verteidigung zum „Nulltarif“ gibt es nicht. Oder: „Wer die Musik bestellt, muss sie bezahlen.“

Rahmengebühren in einem Beleidigungsverfahren, oder: Person der Antragstellers und Inflationsausgleich

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Im zweiten RVG-Posting habe ich dann mal wieder etwas zur Bestimmung der Rahmengebühr (§ 14 Abs. 1 RVG) im Strafverfahren, und zwar den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. 07.02.2025 – 12 Qs 2/25.

Der Rechtsanwalt hat den Angeklagten in einem Verfahren verteidigt, in dem ihm drei Fälle der Beleidigung zur Last gelegt wurden. Verfahrensgegenstand waren Äußerungen des Angeklagten gegenüber der von Januar 2022 bis Mai 2022 für ein Nachlassverfahren des AG Nürnberg zuständigen Richterin und gegenüber dem Präsidenten des OLG Nürnberg über den damaligen Präsidenten des AG Nürnberg. Die Äußerungen standen im Zusammenhang mit der Unzufriedenheit des Angeklagten mit der Tätigkeit der Richterin.

Mit Schreiben vom 26.4.2022 stellte der Präsident des AG Strafantrag wegen Beleidigung zum Nachteil der Richterin, dem sich diese angeschlossen hat. Der Angeklagte wurde zum Vorwurf der Beleidigung zum Nachteil der Richterin 23. Mai 2022 als Beschuldigter vernommen. Kurz danach sandte er verschiedene  Nachrichten an das OLG Nürnberg, in denen er sich über die angebliche Unfähigkeit des damaligen Präsidenten des AG beschwerte und diesen als unfähig bezeichnete. Des Weiteren stellte er einen Befangenheitsantrag. Wegen dieser Nachrichten stellte der Präsident des OLG Nürnberg Strafantrag als Dienstvorgesetzter des Präsidenten des AG Nürnberg.

Die Staatsanwaltschaft hat Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen der genannten Taten beantragt und das Verfahren wegen zweier weiterer Fälle der Beleidigung, derer der Angeklagte verdächtig war, nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Der Strafbefehl lautete auf eine Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu 30 EUR.

Am 07.09.2022 hat das AG den Strafbefehl erlassen Mit Schriftsatz vom 10.9.2022 meldete sich der Verteidiger und legte Einspruch ein. Er äußerte sich zum Sachverhalt und beantragte erstmalig Akteneinsicht in die Akte des Strafverfahrens, die ihm gewährt wurde. Sodann äußerte er sich dann in mehreren Schriftsätzen zur Sache. Am 9.11.2022 fand eine 50 Minuten dauernde Hauptverhandlung, in der die ermittelnde Polizeibeamtin als Zeugin vernommen wurde. Das AG hat den Angeklagten sodann wegen Beleidigung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu 30 EUR verurteilt.

Gegen das Urteil legten der Verteidiger und die Staatsanwaltschaft jeweils Berufung ein, die Staatsanwaltschaft beschränkt auf die Rechtsfolgen. Nach einer etwa zweistündige Berufungshauptverhandlung hat das LG Nürnberg-Fürth das Urteil des AG aufgehoben und den Angeklagten aus Rechtsgründen freigesprochen und die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen.

Gegen diesen Freispruch hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Nach Anberaumung eines Termins zur Hauptverhandlung durch das BayObLG hat die Generalsstaatsanwaltschaft die Revision zurückgenommen.

Mit Schriftsatz vom 17.7.2024 hat der Verteidiger seine Gebühren gegenüber der Staatskasse geltend gemacht und ausgeführt, dass die Mittelgebühr um 10% zu erhöhen sei, weil Tatvorwurf keine einfache Beleidigung gewesen sei. Für die Gebühr für seine Teilnahme an der Hauptverhandlung am Amtsgericht hat er 120% des Mittelwertes angesetzt. Dies folge daraus, dass ein Gerichtspräsident Strafantrag gestellt habe und die vermeintlich beleidigte Richterin dem beigetreten sei. Außerdem sei abzuwägen gewesen, ob die deftigen Worte seines Mandanten eine Beleidigung oder eine Meinungsäußerung gewesen seien. Die Bezirksrevisorin am AG Nürnberg hat in ihrer Stellungnahme den Arbeitsaufwand des Verteidigers für unterdurchschnittlich gehalten. In weiteren Schriftsätzen hat der Verteidiger u.a. ausgeführt, dass die Gebühren bereits seit 1.1.2021 festgeschrieben seien und seitdem eine Preissteigerung erfolgt sei. Auch deswegen habe er eine Gebühr oberhalb der Mittelgebühr beantragt.

Mit Beschluss vom 16.12.2024 hat das AG die Vergütung des Verteidigers festgesetzt, wobei es für die Tätigkeit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren jeweils 75% der Mittelgebühr festgesetzt, die Forderung des Verteidigers von 110% des Mittelwertes bei der Verfahrensgebühr des ersten Rechtszugs bestätigt und für die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug 90% der Mittelgebühr festgesetzt hat. Bei den Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren und das Revisionsverfahren und bei der Gebühr für die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren hat es jeweils die Mittelgebühr ohne Erhöhung festgesetzt. Dagegen hat der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg und begründet das u.a. wie folgt:

„…..

d) Des Weiteren rechtfertigt eine besondere Bedeutung der Sache für den Mandanten nur dann eine Erhöhung der Rahmengebühren, wenn der Verteidiger deswegen auch einen spürbar größeren Arbeitsaufwand hat (OLG Rostock, Beschluss vom 18. Januar 2017, 20 Ws 21/17, juris Rn. 9). Das war aber nicht der Fall.

Strafantragsteller waren hier der damalige Präsident des AG Nürnberg, eine Richterin des AG Nürnberg und schließlich der Präsident des OLG Nürnberg. Das spielt für die Bedeutung eines Verfahrens für einen Beschuldigten aber keine wesentliche Rolle, weil im Fall einer Verurteilung die nachgewiesene Straftat und deren Gewicht, neben anderen Umständen wie der Persönlichkeit des Beschuldigten und weiteren Merkmalen maßgeblich sind, nicht aber die Person des Strafantragstellers. Weiterhin ist nicht dargelegt, inwieweit die Identitäten der Strafantragsteller im vorliegenden Verfahren für den Verteidiger zu Mehrarbeit geführt haben sollen. Auch eine Durchsicht der Schriftsätze des Verteidigers des vorliegenden Verfahrens ergab keine Anhaltspunkte für besondere Schwierigkeiten des vorliegenden Verfahrens. Der Verteidiger hat mehrfach darauf hingewiesen, dass die Dauer des Nachlassverfahrens seinen Mandanten zu unangemessenen Äußerungen veranlasst habe. Diese Ausführungen begründen aber keine besondere Schwierigkeit der Sache, welche die im vorliegenden Fall gegebenen Umstände ausgleichen, die für einen für den Verteidiger einfach gelagerten Fall sprechen. Im Schriftsatz vom 17. Juli 2024, mit dem der Verteidiger seine Gebühren geltend machte, ist zwar davon die Rede, dass von Anfang an abzuwägen gewesen sei, ob eine Beleidigung im Rechtssinne oder eine Meinungsäußerung vorgelegen habe. Die Prüfung einer Rechtsfrage bei einer Strafverteidigung ist aber vom regelmäßig zu bearbeitenden Aufgabenkreis eines Rechtsanwalts gedeckt und führt nicht zu einer besonderen Schwierigkeit des Verfahrens. Auf die im Schriftsatz vom 17. Juli 2024 enthaltenen Erwägungen zum Strafmaß wurde oben bereits eingegangen. Die Person eines mutmaßlich Beleidigten – im vorliegenden Fall eine Richterin am Amtsgericht und der Präsident des Amtsgerichts – macht eine Sache für sich genommen auch nicht besonders schwierig.

e) Weiter stellen allgemeine Preissteigerungen keinen Grund dar, von der Mittelgebühr abzuweichen. Die Mittelgebühr wird aus dem Gebührenrahmen des RVG ermittelt. Für Rahmengebühren sieht § 14 Abs. 1 RVG vor, dass die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. Als Umstände sind in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit genannt, die Bedeutung der Angelegenheit und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Satz 2 sieht darüber hinaus ein besonderes Haftungsrisiko als mögliches weiteres Kriterium vor. Zwar ist diese Aufzählung nicht abschließend. Den genannten Kriterien ist aber gemein, dass sie alle mit dem jeweiligen Einzelfall zu tun haben. Dies ist bei dem generellen Preisniveau in Deutschland nicht der Fall. Der Gebührenrahmen ist im RVG festgeschrieben. Zu bedenken ist, dass bei besonders aufwändigen und komplexen Sachverhalten, bei denen die Höchstgebühr angemessen sein kann, eine Berücksichtigung des Preisniveaus wegen der Obergrenze nicht mehr erfolgen kann. Würde man das Preisniveau als Kriterium zulassen, würden sich bei Preissteigerungen die noch billigerweise festzusetzenden Gebühren der Höchstgebühr annähern, was zur Folge hätte, dass der Abstand zwischen der Höchstgebühr und der noch billigerweise festzusetzenden Gebühr den für die Angemessenheit der Höchstgebühr nötigen Mehraufwand nicht mehr widerspiegelt. Zwar kann sich ein geringerer Abstand auch aus den großen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers ergeben. Dies gründet sich aber auf den jeweiligen Einzelfall und ist vom Normgeber erkennbar gewollt, anders als die Berücksichtigung genereller Umstände wie des Preisniveaus.

….“

Den Rest der recht umfangreich begründeten Entscheidung dann bitte im Selbstleseverfahren selbst lesen.

Nur für den Vorführtermin bestellter Pflichtverteidiger, oder: LG Braunschweig bestätigt AG Braunschweig

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Immer mehr Gerichte sind der zutreffenden Auffassung, dass der nur für einen Vorführtermin nach § 115 StPO bestellte Pflichtverteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG alle einem (Voll)Verteidiger zustehenden Gebühren abrechnen kann. Auch das AG Braunschweig ist im vergangenen Jahr im AG Braunschweig, Beschl. v. 27.09.2024 (4 Ds 210 Js 8094/24 (33/24) dieser Auffassung gewesen. Es ist dann vom LG Braunschweig im LG Braunschweig, Beschl. v. 22.01.2025 – 4 Qs 12/25, den ich leider erst jetzt erhalten habe, bestätigt worden. Natürlich hatte der Bezirksrevisor gegen die AG Entscheidung Rechtsmittel eingelegt, die das LG aber kurz und trocken zurückgewiesen hat:

„Die Kammer schließt sich der in dem angefochtenen Beschluss zutreffend vertretenen Auffassung, dass die im Rahmen der Wahrnehmung eines Haftbefehlsverkündungstermins entfalteten Handlungen nicht lediglich als Einzeltätigkeit im Sinne von Anl. 1 Teil 4 Abschnitt 3 RVG, also nicht als Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung nach dessen Ziff. 4301, sondern als Tätigkeit eines Verteidigers nach Teil 4 Abschnitt 1 des vorbezeichneten Vergütungsverzeichnisses anzusehen ist, an.

Auch die geltende gemachte Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG ist zu Recht angesetzt worden: Es besteht kein sachlich gerechtfertigter Anlass, die Verteidigung im Verfahren nach § 115 StPO gebührenrechtlich anders zu beurteilen, als eine solche im Rahmen der Hauptverhandlung, wobei der gebührenrechtlichen Gleichbehandlung ausdrücklich nicht entgegensteht, dass sich Vorführungen nach § 115 StPO oftmals in der Verkündung des Haftbefehls nebst entsprechender Belehrung erschöpfen (vgl. dazu auch OLG Köln, Beschl. vom 24.01.2024 – 3 Ws 50/213, Rn. 13 m.w.N.).“

Dazu nur: Richtige Entscheidung.

Terminsvertreter des verhinderten „Pflichti“, Topp, oder: Verhältnis Grundgebühr/Verfahrensgebühr, Flop

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Die Frage, welche Gebühren der Terminsvertreter des verhinderten Pflichtverteidigers erhält, gehört (auch) zu den „Never-Ending-Storys“ des Gebührenrechts. Jetzt hat sich dazu noch einmal das OLG Brandenburg im OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.04.2025 – 1 Ws 152/24 – geäußert und seine Rechtsprechung aus einer früheren Entscheidung und die LG-Entscheidung den LG Neuruppin, Beschl. v. 25.03.2024 – 11 Qs 76/23 -, die ich hier auch vorgestellt hatte, bestätigt.

Nach dem Sachverhalt hat der Strafrichter in einem Strafverfahren gegen den Verurteilten wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem AG mit Einverständnis des Verurteilten den in unmittelbarer Nähe des AG kanzleiansässigen Rechtsanwalt R 2 für den Hauptverhandlungstag am 26.04.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren bereits beigeordnete Pflichtverteidiger R 1 für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. Gemäß Protokoll vom 26.04.2022 lautete der Beschluss dazu wie folgt: „Dem Angeklagten wird für den heutigen Hauptverhandlungstag Rechtsanwalt R 2 aus pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet.

Im Anschluss daran – die Beweisaufnahme war bereits im Hauptverhandlungstermin am 21.04.2022 geschlossen worden – wurden die Schlussanträge gestellt und dem Angeklagten wurde das letzte Wort erteilt. Sodann wurde das Urteil verkündet. Rechtsanwalt R 3 hat dann gegen Urteil ein unbestimmtes Rechtsmittel eingelegt, ist aber im anschließenden Berufungsverfahren nicht als Verteidiger des Angeklagten aufgetreten.

Rechtsanwalt R 2 hat am 29.04.2022 die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren beantragt. Er hat die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG und die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG nebst Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG und USt geltend gemacht.

Die Kostenbeamtin des AG hat am 02.06. 2022 nur die Terminsgebühr festgesetzt und das damit begründet, dass „nur ein Pflichtverteidigermandat abzurechnen“ sei, Rechtsanwalt R 2 hingegen „nur für den Termin am 26.04.2022 bestellt“ worden sein. Der Erinnerung hat sie nicht abgeholfen. Das AG hat diese am 08.12.2023 als unbegründet verworfen. Auf das Rechtsmittel des Rechtsanwalts R 2 hat der Einzelrichter der Strafkammer die Sache gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Kammer zur Entscheidung übertragen. Diese hat den AG-Beschluss aufgehoben und die Gebühren antragsgemäß festgesetzt.

Gegen diesen Festsetzungsbeschluss hat nun der Bezirksrevisor die zugelassene weitere Beschwerde eingelegt, mit welcher er beantragt, die Vergütung des Rechtsanwalts R 2 unter Wegfall der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG festzusetzen. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg. Ich beschränke mich hier auf den Leitsatz:

Dem wegen Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers (nur) für einen Hauptverhandlungstermin beigeordnete Verteidiger steht als Vergütung für seine Tätigkeit nicht nur die Terminsgebühr zu, sondern darüber hinaus auch die Grund- und ggf. eine Verfahrensgebühr zu.

Anzumerken ist Folgendes:

Die Entscheidung ist zutreffend. Das OLG bestätigt den LG Neuruppin, Beschl. v. 25.o3.2024 – 11 Qs 76/23, den wir in AGS 2024, 224 vorgestellt haben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anmerkung zur Beschwerdeentscheidung des LG Neuruppin verwiesen (vgl. hier: Gebühren des Terminsvertreters des „Pflichti“, oder: Der Terminsvertreter verdient alle Gebühren).

Allerdings ist auf zwei Punkte betreffend die OLG-Entscheidung kritisch hinzuweisen:

Das OLG gewährt in seinem Beschluss vom 22.04.2025 dem Terminsvertreter auch die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG; in dem in Bezug genommenen OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), hatte es die hingegen nicht festgesetzt. Ich hatte bereits in der Anmerkung zu dem Beschluss des OLG darauf hingewiesen, dass die Ansicht des OLG zum Entstehen der Verfahrensgebühr (vgl. Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG) nicht zutreffend ist und das OLG das Zusammenspiel zwischen der Grundgebühr und der Verfahrensgebühr verkennt. Das zu erkennen, scheint schwierig zu sein 🙂 . Ich gehe aber hier nicht mehr darauf ein – die Frage ist „ausgeschrieben“.

Und: Warum hat es bis zur OLG-Entscheidung mal wieder so gedauert. Der ursprüngliche Festsetzungsantrag datiert vom 29.04.2022. Die Kostenbeamtin hat am 02.06.2022 festgesetzt und der Erinnerung des Rechtsanwalts am 10.6.2022 nicht abgeholfen und die Sache dem zuständigen Strafrichter beim AG Neuruppin zur Entscheidung vorgelegt. Der entscheidet dann am 08.12.2023 (sic!). Das LG hat LG Neuruppin hat am 25.03.2024 entschieden und dann dauert es mehr als ein Jahr, bis das OLG endgültig entscheidet. Die Zeitabläufe bei der Kostenbeamtin und beim LG sind m.E. nicht zu beanstanden. Alles andere ist aber in meinen Augen nicht hinnehmbar. Der Strafrichter lässt sich 18 Monate Zeit und der OLG-Senat dann auch noch mal 12 Monate. Man weiß nicht, woran es gelegen hat, aber sicherlich nicht an der Schwierigkeit der zu entscheidenden Rechtsfrage, zu der das OLG ja auch bereits Stellung genommen hatte. M.E. muss das schneller gehen – und geht es ja auch, wie Kostenbeamtin und LG bewiesen haben. Es geht immerhin um Lohn für für den Staat erbrachte Tätigkeiten. Ich möchte den Aufschrei nicht hören, wenn sich der Dienstherr bei der Überweisung der Gehälter im öffentlichen Dienst auch so lange Zeit nehmen würde.