Ich hatte neulich über den (falschen) LG Amberg, Beschl. v. 11.04.2025 – 11 KLs 170 Js 13218/22 Sich – berichtet. Inzwischen hat sich in dem Verfahren dann auf die Beschwerde des betroffenen Verteidigers das OLG Nürnberg geäußert, leider aber im OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.06.2025 – Ws 501/25 – ebenso falsch.
Zum Sachverhalt rufe ich in Erinnerung, dass es in dem Verfahren um die Frage geht, ob der Verteidiger die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG im Revisionsverfahren verdient hatte, nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Revision vor Begründung zurückgenommen hat. Das LG hatte mal wieder mit dem „verständigen Verteidiger“ argumentiert und die Festsetzung der Gebühr abgelehnt. Das OLG ist dem gefolgt, zwar nicht in der Begründung, aber – wie gesagt – ebenso falsch. Das OLG verneint einen Auftrag an den Verteidiger zum Tätigwerden:
„2. Die Gebühr VV 4130 RVG entsteht, wenn der Rechtsanwalt erstmals nach Auftragserteilung für die Mandantin im Revisionsverfahren tätig wird (Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4130 Rn. 4-10, beck-online, m.a.N.). War der Rechtsanwalt bereits in der ersten Instanz Verteidiger gehört die Einlegung der Revision nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch zum gerichtlichen Verfahren der ersten Instanz (Gerold/Schmidt, ebenda). Jede danach für die Mandantin erbrachte Tätigkeit führt aber, wenn der Rechtsanwalt den Auftrag zur Verteidigung im Revisionsverfahren erhalten hat, zur Verfahrensgebühr VV 4130 RVG. Wenn von einem anderen Verfahrensbeteiligten Revision eingelegt worden ist, beginnt für den Verteidiger das Revisionsverfahren mit der Erteilung des Auftrags, die Mandantin im Revisionsverfahren zu vertreten (Gerold/Schmidt, ebenda, m.w.N.).
3. Vorliegend fehlt es an einem solchen Auftrag der Mandantin, sie im Revisionsverfahren zu verteidigen. Im vorliegenden Fall hat nur die Staatsanwaltschaft Revision, ohne einen Antrag zu stellen, und ohne Begründung eingelegt und vor einer Begründung wieder zurückgenommen. Aus dem vom Beschwerdeführer Vorgetragenen ergibt sich eine solche Auftragserteilung nicht.
aa) Aus dem vom Beschwerdeführer Vorgetragenen ergibt sich keine ausdrückliche Auftragserteilung.
bb) Das Gespräch am 16.09.2024 war bereits vor Kenntniserlangung von der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft und vor Ablauf der auch für die Mandantin noch möglichen Revisionseinlegung, die Frist lief am 17.09.2024 ab, ausgemacht gewesen. Es sollte offensichtlich zu-nächst der Auskunft über den weiteren, möglichen Verfahrensablauf dienen. Da die Beschuldigte im weiteren Verlauf keine Revision einlegte, ist daraus auch keine konkludente Auftragserteilung zu entnehmen.
cc) Nach dem Vortrag des Verteidigers hat er sich jedoch im Vorfeld des Gesprächs nach einer Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft erkundigt und dies der Mandantin am 16.09.2024 mitgeteilt und deren weitere Fragen dazu beantwortet. Auch daraus ist jedoch angesichts des weiteren Verhaltens der Beteiligten keine konkludente Auftragserteilung zur Verteidigung im Revisionsverfahren zu entnehmen. Die Beschuldigte hat vielmehr am 23.09.2024 über ihren Wahlverteidiger, der ebenfalls in erster Instanz Verteidiger war, und mit Schreiben vom 30.09.2024 selbst den Antrag gestellt, den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger zu entbinden und ihr den bisherigen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren nach § 143a Abs. 3 StPO zu bestellen, dem das Gericht mit Beschluss vom 21.10.2024 auch nachgekommen ist. Damit hat sie aber gerade deutlich gemacht, dass sie, nachdem sie am 16.09.2024 davon Kenntnis erlangt hatte, dass die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, im Revisionsverfahren nicht von dem Beschwerdeführer verteidigt werden möchte.
dd) Dabei ist insbesondere auch zu sehen, dass selbst wenn sich die Beschuldigte in diesem Gespräch zu einer Revisionseinlegung entschlossen hätte, sogar die Einlegung des Rechtsmittels vorliegend noch zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer gehört hätte. Die Gebühr Nr. 4130 VV RVG entsteht erst zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Verteidiger Tätigkeiten entfaltet, die über die Einlegung der Revision und die diesbezügliche Beratung hinausgehen (Toussaint, Kostenrecht, 54. Auflage 2024, RVG VV 4130 Rn. 5-16 mit Verweis auf RVG VV 4124 Rn. 5-23, beck-online, m.w.N.). Gleiches muss gelten, wenn der bisherige Verteidiger der ersten Instanz lediglich über die Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft informiert und Fragen dazu beantwortet. Erst mit einem Tätig-werden darüber hinaus, gestützt auf einen entsprechenden Auftrag, kann in diesem Fall die Gebühr Nr. 4130 VV RVG ausgelöst werden.“
Vorab: Man merkt leider auch diesem Beschluss an, dass es letztlich eine (weitere) Entscheidung ist, mit der die Staatskasse vor Gebührenansprüchen von Verteidigern geschützt werden soll, die entstehen, wenn die Staatsanwaltschaft (vorschnell) Revision (oder auch Berufung) einlegt, die sie dann – nach Überlegung, die man besser vorher hätte anstellen sollen – ohne ein weiteres Wort zurücknimmt. Dieses kaum nachvollziehbare Verhalten soll erkennbar nicht dazu führen, dass daran nun auch noch ein Verteidiger „verdient“.
Und dafür ist dann jede auch noch so wenig nachvollziehbare Begründung recht. Denn die Ausführungen des OLG zur Auftragserteilung sind m.E. nicht nachvollziehbar. Festzuhalten ist: Der Verteidiger vereinbart nach (!) Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft ein Gespräch mit der Mandantin, die über die Revisionseinlegung informiert wird und in Kenntnis des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, dieses Gespräch (fort)führt. In dem Gespräch erkundigt sich die Mandantin nach dem weiteren Gang des Verfahrens und nach den Erfolgsaussichten, was ihr der Rechtsanwalt erläutert. M.E. war spätestens zu dem Zeitpunkt zumindest konkludent der Auftrag erteilt, wenn man mal den Umstand, dass der Rechtsanwalt Pflichtverteidiger war, dahingestellt sein lässt. Wenn es sich die Mandantin dann anders überlegt und einen anderen Rechtsanwalt mit der weiteren Vertretung im Revisionsverfahren beauftragen will bzw. einen anderen Pflichtverteidiger wünscht, kann das nicht zu Lasten des beratenden Rechtsanwalts gehen.
Letztlich ist man wieder an der Stelle, wo anzumerken ist: Verteidigung zum Nulltarif gibt es nicht; nach Auffassung des OLG Nürnberg aber offenbar schon. Alles in allem: Leider eine weitere Entscheidung, die die Praxis der Staatsanwaltschaften, erst mal Rechtsmittel einzulegen und dann später wieder zurückzunehmen, absegnet. Finanzielle Nachteile entstehen der Staatskasse aus dieser Vorgehensweise nicht.


