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Verfahrensgebühr im Zivilberufungsverfahren, oder: Schriftwechsel mit Revisionsanwalt der Gegenseite

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Und im zweiten Gebührenposting dann mal etwas aus dem Zivilrecht, und zwar den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.12.2023 – 22 W 42/23 – zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahre. Kann man ja auch mal etwas zu bringen.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird nach einem Zivilrechtsstreit um die Berechtigung der Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 3403 VV RVG – Verfahrensgebühr für sonstige Einzeltätigkeiten. Der Beklagte hatte mit Schriftsatz vom 20.09.2022 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und beantragt, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um zwei Monate zu verlängern. Einer erneuten Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat hatte der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, zugestimmt. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dann nicht begründet worden, sondern vor Ablauf der Frist zurückgenommen worden. Der Kläger macht geltend, seine Prozessbevollmächtigten hätten mit ihm das weitere Vorgehen und die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde erörtert, mit dem Revisionsanwalt des Beklagten zum Verfahrensstand und zur Fristverlängerung korrespondiert und mit ihm besprochen, ob er seinerseits einen Rechtsanwalt beim BGH hinzuziehen solle.

Dafür ist die Verfahrensgebühr Nr. 3403 VV RVG festgesetzt worden. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte Erfolg:

„Die Festsetzung einer Gebühr gemäß Ziffer 3403 VV-RVG ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil mit dem Revisionsanwalt über Verfahrensstand und Fristverlängerung kommuniziert worden ist. Denn insoweit handelt es sich um Neben- und Abwicklungstätigkeiten im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG, die bereits durch die Verfahrensgebühr des Berufungsverfahrens abgegolten sind (OLG Hamburg, Beschl. v. 19.05.2016 – 8 W 52/16, NJOZ 2017, 191; BeckOK RVG/Schneider RVG-VV 3403 Rn. 14).

Auch kann für die Prüfung der Erfolgsaussicht keine Gebühr gemäß Ziffer 3403 VV-RVG festgesetzt werden. Zwar gehört die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr zum Berufungsrechtszug. Die Erstattung dieser Gebühr kommt hier jedoch gleichwohl nicht in Betracht, weil das Kostenschonungsgebot verletzt ist. Denn ein Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründungsschrift mit Inhalt und Umfang des Angriffs des Rechtsmittelsführers sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern, was auf die Erstattungsfähigkeit von Gebühren für solche Tätigkeiten durchschlägt, die sinnvoll nur auf Grund einer sachlichen Prüfung des Streitstoffs in der Rechtsmittelinstanz vorgenommen werden können. Der Grundsatz, dass über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels tauglich nur anhand der Rechtsmittelbegründung entschieden werden kann, gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, zumal es sich bei der Nichtzulassungsbeschwerde nicht um ein Rechtsmittel in Bezug auf die Hauptsache handelt. Grundlage der Entscheidung über die Zulassung der Revision ist sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht das Beschwerdevorbringen. Demgemäß ist der „verfrühte“ Auftrag zur „Prüfung“ der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde lediglich anhand des bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens angefallenen Prozessstoffs offensichtlich nutzlos. Eine Erstattung so verursachter Kosten für die in der „Prüfung“ liegende Einzeltätigkeit kommt nicht in Betracht. Ein anderes Ergebnis ist auch nicht gerechtfertigt, weil der Kläger sogleich einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt hätte beauftragen können, der eine 1,8 Verfahrensgebühr nach VV-RVG Nr. 3509 ohne Rücksicht darauf hätte abrechnen können, dass auch für ihn kein Anlass zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde bestanden hätte. Denn ein solcher Auftrag hätte einen anderen und im Gegensatz zur isolierten Prüfung der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzbaren Erfolgsaussichten der gegnerischen Nichtzulassungsbeschwerde sinnhaften Inhalt gehabt. Somit greift der Einwand des Klägers nicht, die gleiche Tätigkeit eines postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten wäre nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO erstattungsfähig gewesen (BGH, Beschl. v. 15.10.2013 – XI ZB 2/13, NJW 2014, 557).“

Kurze Anmerkung: Die Entscheidung liegt auf der Linie der Rechtsprechung, die für das Strafverfahren annimmt, dass eine Verfahrensgebühr für den Verteidiger noch nicht entsteht bzw. eine solche nicht erstattet wird, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel vor Begründung zurücknimmt (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., 2021, Nr. 4142 VV Rn 27 ff. m.w.N.).

StPO II: Wenn bloß auf ein Geständnis verwiesen wird, oder: Reicht auch im Berufungsverfahren nicht

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Und im zweiten Posting heute dann der BayObLG, Beschl.v. 02.08.2023 – 203 StRR 303/23.

In ihm nimmt das BayObObLG zum Umfang der Feststellungen im Berufungsurteil Stellung. Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen 18 Fällen des Betruges zu Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu je 15.- EUR verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG unter Verwerfung der Berufung im übrigen eine Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15.- EUR verhängt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die erfolgreich war:

„Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch einen vorläufigen Erfolg. Das angefochtene Urteil leidet an durchgreifenden Darstellungs- und Erörterungsmängeln und unterliegt daher der vollumfänglichen Aufhebung.

1. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erweist sich – was das Revisionsgericht von Amts wegen prüft (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2023 – 203 StRR 497/22 –, juris Rn. 3) – als unwirksam. Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg enthält unter Verstoß gegen die Regelung von § 267 Abs. 1 S. 1 StPO keine Feststellungen zum Sachverhalt. Entgegen den Ausführungen des Landgerichts lässt sich ihm auch keine Bezugnahme auf den Anklagesatz (§ 267 Abs. 4 S. 1 HS 2 StPO) entnehmen. Eine ergänzende Auslegung des defizitären erstinstanzlichen Urteils in dem Sinne, dass das Amtsgericht wohl den angeklagten Sachverhalt für erwiesen erachtet hätte, kommt nach der Vorschrift von § 267 Abs. 1 S. 1 StPO nicht in Betracht. Eine Ergänzung der Urteilsgründe nach der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 267 Abs. 4 S. 4 StPO hat das Amtsgericht nicht vorgenommen. Da dem Urteil des Amtsgerichts eine geschlossene Sachverhaltsdarstellung ermangelt, ist die Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch als unwirksam anzusehen (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 Ss 124/14 –, juris; BayObLG, Beschluss vom 8. August 1984 – RReg 1 St 153/84 –, juris; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 318 Rn. 46).

2. Die für den Fall einer unwirksamen Beschränkung der Berufung hilfsweise getätigten Ausführungen des Landgerichts zum festgestellten Sachverhalt und zur Würdigung des Geständnisses des Angeklagten genügen ihrerseits nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen, die nach § 267 Abs. 1 i.V.m. § 328 Abs. 1 StPO an die Darlegung der richterlichen Überzeugungsbildung zu stellen sind. Die Verurteilung des Angeklagten kann daher keinen Bestand haben.

a) Grundsätzlich ist das Tatgericht – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler überprüfbar ist (BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 249/22 –, juris Rn. 11). Der bloße Verweis auf ein Geständnis kann eine Beweiswürdigung nicht ersetzen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 2 StR 53/22 –, juris; BGH, Beschluss vom 3. März 2016 – 2 StR 360/15-, juris Rn 3). Vielmehr bedarf es regelmäßig einer Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 249/22 –, juris Rn. 10) sowie eines Mindestmaßes an einer Darstellung der Erwägungen, weshalb der Einlassung zu folgen ist. Der Tatrichter ist nämlich auch im Falle eines geständigen Angeklagten gehalten, zu untersuchen, ob das Geständnis den Aufklärungsbedarf hinsichtlich der erforderlichen Feststellungen zur Tat erfüllt, ob es in sich stimmig ist und auch im Hinblick auf sonstige Beweisergebnisse keinen Glaubhaftigkeitsbedenken unterliegt und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (BGH, Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 –, juris Rn. 7 m.w.N.; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 261 Rn. 6a). Einlassungen mittels einer Verteidigererklärung ohne Möglichkeit kritischen Nachfragens besitzen einen erheblich verminderten Beweiswert (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 3 StR 380/21 –, juris Rn. 10 m.w.N.).

b) Diese Grundsätze an die Darstellungserfordernisse gelten auch im Berufungsverfahren. Ist wie hier das Urteil des Amtsgerichts uneingeschränkt angefochten, hat das Berufungsgericht eigene Feststellungen zu treffen und diese in einer aus sich heraus verständlichen Weise in den Urteilsgründen darzustellen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 28. März 2018 – III-1 RVs 51/18 –, juris). Es hat selbstständig und in eigener Verantwortung auf Grund der vor ihm durchgeführten Beweisaufnahme über das angeklagte Geschehen nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung (§ 261 StPO) zu entscheiden (KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 327 Rn. 4). Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts darf es nicht einfach übernehmen, selbst wenn der Berufungsführer diese nicht angreift (OLG Hamm, Urteil vom 20. November 2007 – 1 Ss 66/07 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 28. Mai 1997 – 1 AR 518/954 Ws 76/97 –, juris Rn. 3; BayObLG, Beschluss vom 22. Oktober 1973 – RReg 2 St 135/73 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 327 Rn. 3). Im Urteil darf das Berufungsgericht auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils nur dann Bezug nehmen, wenn es nach eigener Prüfung zu demselben Ergebnis kommt (KK- Paul, a.a.O., § 267 Rn. 5 m.w.N.; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 267 Rn. 34). Es muss erkennbar sein, dass das Berufungsgericht seiner Pflicht zu eigenen Feststellungen und zur eigenen Beweiswürdigung voll nachgekommen ist (OLG Köln, Beschluss vom 28. März 2018 – III-1 RVs 51/18 –, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Dezember 2002 – 1 Ss 501/02 –, juris Rn. 16 ff.).

c) Gemessen daran genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht, um eine Beweiswürdigung der Strafkammer nachvollziehbar zu machen. Sie können die Darstellung der objektiven und subjektiven Umstände der Taten nicht tragen, was allein auf die Sachrüge zu berücksichtigen ist (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 2 StR 53/22 –, juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 –, juris Rn. 6).

Im vorliegenden Fall beschränken sich die Feststellungen des Landgerichts auf eine Wiedergabe des in der Berufungsverhandlung verlesenen Anklagesatzes. Sie betreffen 18 Fälle von vollendeten Betrugstaten und 6 Fälle von versuchten Betrugsstraftaten, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung im November und Dezember 2021 mit unterschiedlichen Geschädigten und unterschiedlichen Schadensbeträgen. Die Strafkammer hat die Strafbarkeit des Angeklagten nach den Urteilsgründen ohne Vernehmung von Zeugen oder Verlesung von Urkunden allein auf das vom Verteidiger abgegebene Geständnis des Angeklagten gestützt und dazu ausgeführt, der Angeklagte habe durch seinen Verteidiger „diesen, dem Ersturteil zugrunde gelegten Sachverhalt, vollumfänglich eingeräumt“ (Urteil S. 4). Die Kammer habe sich die Überzeugung gebildet, dass die Tatvorwürfe zuträfen (Urteil S. 5). Ob der Verteidiger die Erklärung in der ersten oder in der zweiten Instanz abgegeben hat, ob das Geständnis in pauschaler Form oder auf die einzelnen Taten eingehend formuliert worden ist, ob sich der Angeklagte zu den einzelnen Taten auch selbst geäußert hat und welche Beweiserwägungen die Kammer im Zuge ihrer Überzeugungsbildung angestellt hat, erschließt sich den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen der Strafkammer zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zur Vorgeschichte der Taten nicht. Denn auch bezüglich der Feststellungen zu der Vorgeschichte der Taten, nämlich dass der Angeklagte nach dem Fehlschlagen einer legalen Geschäftsidee beschlossen hätte, mit einem mobilen Gerät vermeintlich vom berechtigten Zweckverband kommunale Verkehrsüberwachung stammende Verwarnungen zu erstellen und an falsch geparkten Fahrzeugen anzubringen (Urteil S. 5), hat die Berufungskammer lediglich bemerkt, diese würden auf „glaubhaften“ Angaben des Angeklagten beruhen (Urteil S. 6). Dass das Urteil des Amtsgerichts entgegen der Darstellung des Landgerichts keinerlei Feststellungen zu den Taten enthielt, hat der Senat bereits dargelegt.

Zu einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Begründung des Urteils hätte es insbesondere mit Blick auf die fehlenden Feststellungen das Amtsgerichts einer Erläuterung der geständigen Einlassung bedurft; denn ohne Kenntnis von Einzelheiten vermag das Revisionsgericht nicht zu erkennen, ob ein auf Betrugs- und Urkundendelikte bezogenes Geständnis auch sämtliche Tatbestandsmerkmale dieser Straftatbestände erfasst (BGH, Beschluss vom 3. März 2016 – 2 StR 360/15-, juris  Rn. 4). Der bloße Verweis auf ein Zugestehen der Vorwürfe des Anklagesatzes genügt den Anforderungen an eine Beweiswürdigung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 249/22 –, juris). Auch lassen  die Urteilsgründe hier nicht erkennen, dass die Strafkammer das Geständnis des Angeklagten einer inhaltlichen Überprüfung unterzogen hätte.

Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass der Tatrichter nach § 267 Abs. 1 S. 1 StPO gehalten ist, in der Begründung des Urteils die von ihm als erwiesen erachteten Tatsachen eigenverantwortlich niederzulegen. In der Regel können eigene Feststellungen nicht durch Einrücken des Anklagesatzes ersetzt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2010 – 3 StR 227/10 –, juris).

Rechtsänderung während des Rechtsmittelverfahrens, oder: Es gilt dann ggf. neues Recht

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Und im zweiten Posting dann ein (kleiner) Beschluss des AG Korbach, der aber für den Verteidiger positive Auswirkungen hat(te). Das AG sagt zu Berufungs- und Revisionsverfahren im AG Korbach, Beschl. v. 09.01.2023 – 41 Ls – 4750 Js 20444/19:

Bei Berufungs- und Revisionsverfahren handelt es sich gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren um verschiedene Angelegenheiten im Sinne des § 17 Nr. 1 RVG. Gem. § 60 Abs. 1 Satz 3 RVG ist daher bei einer Rechtsänderung im laufenden Verfahren ggf. für die Abrechnung des erstinstanzlichen Verfahrens für die Vergütung altes Recht anzuwenden, gem. § 60 Abs. 1 Satz 4 RVG für das Berufungs- und Revisionsverfahren hingegen neues Recht.

Ergebnis: Für das Rechtsmittelverfahren gelten dann die erhöhten Gebührensätze des zum 01.01.2021 geänderten RVG.

StPO III: Urteilsbegründung im Berufungsverfahren, oder: Wenn dieselbe Strafe wie vom AG verhängt wird

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Und als dritte Entscheidung dann ein Dauerbrenner aus dem Rechtsmittelbereich, nämlich der OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.11.2021 – 1 OLG 53 Ss 97/21 – zur Frage der Anforderungen an die Urteilsgründe, wenn in der Berufungsinstanz dieselbe Strafe verhängt wird wie beim AG, obwohl weitere Milderungsgründe vorliegen.

Hier hatte das AG den Angeklagten wegen Beleidigung in 3 Fällen und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat die Strafkammer des Landgerichts Neuruppin als unbegründet verworfen. Das OLG hebt auf die Revision im Strafausspruch auf:

„2. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

Die Strafzumessung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Strafkammer hat – insoweit rechtsfehlerfrei – zu Gunsten des Angeklagten ausgeführt, dass er sich – anders als im erstinstanzlichen Verfahren – nunmehr geständig eingelassen und auch reuig gezeigt habe. Diesem Umstand hat die Kammer jedoch mit Blick auf die erdrückende Beweislage und die Feststellungen erster Instanz nur ein geringes Gewicht beigemessen. Zu seinen Gunsten hat die Kammer aber in erheblicherem Umfang gewertet, dass der Angeklagte sich in eine psychotherapeutische Verhaltenstherapie begeben habe und diese nunmehr seit mehreren Monaten regelmäßig wahrnehme, um eine bessere Kontrolle über seine Impulsivität zu erlangen.

Gleichwohl hat die Strafkammer dieselben Einzelstrafen und dieselbe Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt, wie das Amtsgericht.

Dies ist in der vorliegenden Fallkonstellation erklärungsbedürftig. Die Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der ersten Instanz sind zwar kein Maßstab für die Strafzumessung im Berufungsverfahren, weshalb eine Herabsetzung der Strafe im Fall der Verringerung des Schuldumfangs bzw. des Hinzutretens neuer Milderungsgründe nicht zwingend ist. Erforderlich ist aber eine Begründung. Der Angeklagte hat einen Anspruch darauf zu erfahren, warum er trotz Hinzukommens erheblicher Strafmilderungsgründe gleich hoch bestraft wird wie in der Vorinstanz (vgl. BGH NJW 1983, 54 und NStZ-RR 2013, 113; KG Berlin, Beschluss vom 7. Juli 1997 – [3] 1 Ss 124/97 [52/97] – m.w.N.; OLG München NJW 2009, 160; OLG Bamberg NStZ-RR 2012, 138 m.w.N.; KG Berlin, Beschluss vom 14. Juli 2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) –). Die besondere Begründung einer solchen Strafzumessung ist auch deshalb erforderlich, weil anderenfalls die spezialpräventive Wirkung der Verurteilung von vornherein in Frage gestellt sein kann. Wird in verschiedenen Abschnitten ein und desselben Verfahrens die Tat eines Angeklagten trotz unterschiedlicher für die Strafzumessung bedeutsamer Umstände ohne ausreichende Begründung mit der gleich hohen Strafe belegt, so kann auch bei einem verständigen Angeklagten der Eindruck entstehen, dass die Strafe nicht nach vom Gesetz vorgesehenen oder sonst allgemein gültigen objektiven Wertmaßstäben bestimmt wurde (vgl. BGH aaO; OLG München aaO). Eine Begründung der Verhängung einer identischen Strafe trotz wesentlicher Veränderung der für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte ist allenfalls in Ausnahmefällen entbehrlich, in denen eine Gefährdung der spezialpräventiven Wirkung ausgeschlossen erscheint, weil etwa die durch den Vorderrichter verhängte Strafe offensichtlich im unteren Bereich des Vertretbaren gelegen hatte (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. April 2016 2 [6] Ss 110/16 – AK 41/16 [juris] m.w.N.; OLG Bamberg aaO m.w.N.). Eine solche Konstellation liegt hier aber gerade nicht vor.

Da das angefochtene Urteil eine entsprechende Begründung vermissen lässt, unterlag es der Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch.“

Die Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren, oder: „anwaltliche Kerntätigkeit im Rechtsmittelverfahren“

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Am heutigen „Gebührenfreitag“ stelle ich zwei amtsgerichtliche Entscheidungen zu RVG-Fragen vor.

Den Opener mache ich mit dem AG Halle/Saale, Beschl. v. 16.06.2021 – 322 Ds 370 Js 16649/20 – zur Thematik des Abgeltungsbereichs/Anfalls der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren bei Rücknahme der Berufung. Die Entscheidung hat mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den ehemaligen Angeklagten am 10.02.2021 zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 17.02.2021 hat der Kollege Berufung eingelegt. Ergänzend bat er für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlegt oder ein eingelegtes Rechtsmittel zurücknimmt, um „einen kurzen Hinweis per Fax oder Mail, damit hier neu überdacht werden kann, wie mit dem diesseitigen Rechtsmittelverfahren wird.“ Am 26.02.2021 wurde dem Kollegen dann mitgeteilt. dass von der Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittelschrift eingegangen sei. Darauf ging am 28.02.2021 ein Schreiben des Kollegen beim AG ein, in dem er mitteilte, das „wir nach der Mitteilung, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, die Sache nochmals erörtert [haben], mit dem Ergebnis, dass ich nunmehr namens und in Vollmacht des Angeklagten und kraft besonderer Ermächtigung die Berufung zurück nehme.“

Der Kollege hat die Festsetzung seiner in der Berufungsinstanz entstandenen Gebühren, u.a. auch die Verfahrensgebühr Nr. 4125 VV RVG, beantragt. Das AG/der Rechtspfleger hat den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat ist im Wesentlichen angeführt, dass die Verfahrensgebühr nicht entstanden sei, weil sowohl Einlegung als auch die Rücknahme des eingelegten Rechtsmittels noch zur 1. Instanz gehörten, wenn ein Rechtsmittel des Gegners nicht eingelegt war und der Rechtsanwalt nur vorbereitend tätig geworden sei. Zur nächsten Instanz gehöre etwa die Begründung des Rechtsmittels. Eine Begründung des Rechtsmittels sei nicht eingegangen.

Die dagegen gerichtete Erinnerung des Kollegen hatte Erfolg:

„In der Sache ist die Erinnerung auch begründet. Dem Verteidiger stehen die ihm im Antrag vom 28.02.2021 geltend gemachten Gebühren zu. Bei der von ihm beschriebenen Tätigkeit handelt es sich nicht mehr um eine Tätigkeit im 1. Rechtszug. sondern bereits um eine solche des Rechtsmittelzugs.

Fest steht, dass gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 die Einlegung von Rechtsmitteln bei dem Gericht desselben Rechtszuges durch den Verteidiger, der in dem Rechtszug tätig war, mit der Verfahrensgebühr des 1. Rechtszugs abgegolten ist. Auch die Beratung über die Aussichten eines noch nicht eingelegten Rechtsmittels durch den Verurteilten oder anderer Verfahrensbeteiligter zählt noch zu dem 1. Rechtszug.

Welche Handlungen des Verteidigers die Verfahrensgebühr hingegen nach Rechtsmitteleinlegung auslösen, lässt sich anhand der Bedeutung der Verfahrensgebühr ermitteln. Danach wird mit der Verfahrensgebühr jedes Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information abgegolten (Ziffer 2 VV Vorbemerkung zu Teil 4). Ausschlaggebend ist daher, ob der Verteidiger entsprechende Handlungen durchgeführt hat. Die Gebühr erfasst damit nicht nur Rechtsmittelbegründungen, sondern bereits die anwaltliche Prüfung und Beratung, ob und gegebenenfalls mit welchen Anträgen das Rechtsmittelverfahren weiter durchgeführt werden soll (KG Beschl. v. 20.1.2009 — 1 Ws 382/08, BeckRS 2010, 23725). Ist die Verfahrensgebühr dadurch entstanden, entfällt sie nicht dadurch, dass im Ergebnis der Besprechung das Rechtsmittel zurückgenommen wird (KG aaO). Auch Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und/oder mit dem Gericht mit dem Ziel der Rücknahme der Berufung oder der Einleitung von Verständigungsgesprächen lösen die Verfahrensgebühr aus (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4124 Rn. 8).

Davon zu unterscheiden ist der von der Bezirksrevisorin herangezogene Fall. den das Landgericht Hannover zu entscheiden hatte (LG Hannover. Beschluss vom 07.05.2013 – 58 Qs 6413 Js 95170/11 (13/13), juris). In jenem Fall hat der Verteidiger die Berufung ausdrücklich vorsorglich eingelegt. um im Falle eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vorbereitet zu sein und die Frist zu wahren. Ausdrücklich wurde dort bereits mitgeteilt, dass bei dem Ausbleiben eines solchen Rechtsmittels die Berufung zurückgenommen werden sollte. In diesem Fall haben die entsprechenden Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem dort Angeklagten bereits vor der Rechtsmitteleinlegung stattgefunden mit der Bedingung. dass im Falle. dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlegt. der Verteidiger von vornherein beauftragt wurde, die Berufung zurückzunehmen. Insofern haben die entscheidenden Gespräche bereits vor Berufungseinlegung stattgefunden und gehören damit mit zu den Gebühren des 1. Rechtszugs. Nachdem die Staatsanwaltschaft dort kein Rechtsmittel eingelegt hatte, waren weitere Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem dort Angeklagten nicht mehr erforderlich, sodass eine Verfahrensgebühr nicht entstehen konnte.

Abweichend davon hat der Verteidiger des hier Angeklagten bereits in der Berufungsschrift zwar mitgeteilt, dass er lediglich einen Hinweis erbat, ob ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Darin liegt noch nicht die Bedingung, das Rechtsmittel im Falle des Ausbleibens eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft. dieses zurückzunehmen. Ausdrücklich wird mitgeteilt, dass in dem Fall neu überdacht werden könne, wie mit dem Rechtsmittelverfahren werde. Darin liegt gerade nicht die Ankündigung, das Rechtsmittel zurückzunehmen. Denkbar wäre auch, die Berufung lediglich auf das Strafmaß zu beschränken. Explizit erklärt der Verteidiger in dem Schreiben vom 28.02.2021 darüber hinaus, dass er die Sache mit dem Angeklagten nochmals erörtert habe, mit dem Ergebnis, dass die Berufung zurückgenommen werden solle. Hier behauptet der Verteidiger explizit die Erörterung der Sache mit dem Angeklagten nach Berufungseinlegung, womit alleine dieses Gespräch die Verfahrensgebühr auslöst (entsprechend des in der oben zitierten Entscheidung des Kammergerichts geschilderten Sachverhalts).

Ob dieses Gespräch tatsächlich stattgefunden hat. hat das Gericht mangels anderweitiger Hinweise nicht zu prüfen (KG aaO zumindest dem Sinn nach; explizit LG Hannover aaO).“

Stimmt/passt 🙂 .