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Verfahrensgebühr im Zivilberufungsverfahren, oder: Schriftwechsel mit Revisionsanwalt der Gegenseite

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Und im zweiten Gebührenposting dann mal etwas aus dem Zivilrecht, und zwar den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.12.2023 – 22 W 42/23 – zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahre. Kann man ja auch mal etwas zu bringen.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird nach einem Zivilrechtsstreit um die Berechtigung der Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 3403 VV RVG – Verfahrensgebühr für sonstige Einzeltätigkeiten. Der Beklagte hatte mit Schriftsatz vom 20.09.2022 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und beantragt, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um zwei Monate zu verlängern. Einer erneuten Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat hatte der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, zugestimmt. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dann nicht begründet worden, sondern vor Ablauf der Frist zurückgenommen worden. Der Kläger macht geltend, seine Prozessbevollmächtigten hätten mit ihm das weitere Vorgehen und die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde erörtert, mit dem Revisionsanwalt des Beklagten zum Verfahrensstand und zur Fristverlängerung korrespondiert und mit ihm besprochen, ob er seinerseits einen Rechtsanwalt beim BGH hinzuziehen solle.

Dafür ist die Verfahrensgebühr Nr. 3403 VV RVG festgesetzt worden. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte Erfolg:

„Die Festsetzung einer Gebühr gemäß Ziffer 3403 VV-RVG ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil mit dem Revisionsanwalt über Verfahrensstand und Fristverlängerung kommuniziert worden ist. Denn insoweit handelt es sich um Neben- und Abwicklungstätigkeiten im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG, die bereits durch die Verfahrensgebühr des Berufungsverfahrens abgegolten sind (OLG Hamburg, Beschl. v. 19.05.2016 – 8 W 52/16, NJOZ 2017, 191; BeckOK RVG/Schneider RVG-VV 3403 Rn. 14).

Auch kann für die Prüfung der Erfolgsaussicht keine Gebühr gemäß Ziffer 3403 VV-RVG festgesetzt werden. Zwar gehört die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr zum Berufungsrechtszug. Die Erstattung dieser Gebühr kommt hier jedoch gleichwohl nicht in Betracht, weil das Kostenschonungsgebot verletzt ist. Denn ein Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründungsschrift mit Inhalt und Umfang des Angriffs des Rechtsmittelsführers sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern, was auf die Erstattungsfähigkeit von Gebühren für solche Tätigkeiten durchschlägt, die sinnvoll nur auf Grund einer sachlichen Prüfung des Streitstoffs in der Rechtsmittelinstanz vorgenommen werden können. Der Grundsatz, dass über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels tauglich nur anhand der Rechtsmittelbegründung entschieden werden kann, gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, zumal es sich bei der Nichtzulassungsbeschwerde nicht um ein Rechtsmittel in Bezug auf die Hauptsache handelt. Grundlage der Entscheidung über die Zulassung der Revision ist sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht das Beschwerdevorbringen. Demgemäß ist der „verfrühte“ Auftrag zur „Prüfung“ der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde lediglich anhand des bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens angefallenen Prozessstoffs offensichtlich nutzlos. Eine Erstattung so verursachter Kosten für die in der „Prüfung“ liegende Einzeltätigkeit kommt nicht in Betracht. Ein anderes Ergebnis ist auch nicht gerechtfertigt, weil der Kläger sogleich einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt hätte beauftragen können, der eine 1,8 Verfahrensgebühr nach VV-RVG Nr. 3509 ohne Rücksicht darauf hätte abrechnen können, dass auch für ihn kein Anlass zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde bestanden hätte. Denn ein solcher Auftrag hätte einen anderen und im Gegensatz zur isolierten Prüfung der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzbaren Erfolgsaussichten der gegnerischen Nichtzulassungsbeschwerde sinnhaften Inhalt gehabt. Somit greift der Einwand des Klägers nicht, die gleiche Tätigkeit eines postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten wäre nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO erstattungsfähig gewesen (BGH, Beschl. v. 15.10.2013 – XI ZB 2/13, NJW 2014, 557).“

Kurze Anmerkung: Die Entscheidung liegt auf der Linie der Rechtsprechung, die für das Strafverfahren annimmt, dass eine Verfahrensgebühr für den Verteidiger noch nicht entsteht bzw. eine solche nicht erstattet wird, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel vor Begründung zurücknimmt (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., 2021, Nr. 4142 VV Rn 27 ff. m.w.N.).

OWi I: Verjährungsunterbrechunghandlung ok?, oder: Ortsangabe/Tatbeschreibung im Bußgeldbescheid

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Und heute dann noch einmal OWi-Entscheidungen, heute zur Thematik: Verfahrensrecht und was ggf. damit zu tun hat.

Ich beginne mit drei Entscheidungen zur Verjährung bzw. Verjährungsunterbrechung (§§ 31 ff. OWiG) bzw. zur Wirksamkeit des Bußgeldbescheides, und zwar:

Nur evidente und unerträglich schwerwiegende Mängel einer Unterbrechungshandlung hindern deren verjährungsunterbrechende Wirkung. Daher muss sich die Bejahung eines Anfangsverdachts bei einer nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG getroffenen Anordnung als schlechthin unvertretbar und nicht mehr verständlich darstellen, damit die Unterbrechungswirkung entfällt.

    1. Zur Bezeichnung der „Tat“ in § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG genügt die Angabe der allgemeinen („abstrakten“) gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt, wobei keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen.
    2. Eine Bezugnahme im Bußgeldbescheid auf außerhalb seiner selbst (oder mit ihm verbundener Anlagen) liegende Aktenbestandteile ist unzulässig – selbst dann, wenn diese dem Betroffenen vorher in Abschrift mitgeteilt worden sind.
    3. Gewerbsmäßig i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 8 TierSchG handelt, wer die Tätigkeit planmäßig, fortgesetzt und mit der Absicht der Gewinnerzielung ausübt.

Bezogen auf die jeweilige Ortsangabe des Tatorts ist – sofern der Betroffene nicht an Ort und Stelle angehalten wird – im Bußgeldbescheid zwar keine auf den Meter genaue Streckenangabe erforderlich. Erforderlich ist jedoch die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.