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Verfahrensgebühr im Zivilberufungsverfahren, oder: Schriftwechsel mit Revisionsanwalt der Gegenseite

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Und im zweiten Gebührenposting dann mal etwas aus dem Zivilrecht, und zwar den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.12.2023 – 22 W 42/23 – zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahre. Kann man ja auch mal etwas zu bringen.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird nach einem Zivilrechtsstreit um die Berechtigung der Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 3403 VV RVG – Verfahrensgebühr für sonstige Einzeltätigkeiten. Der Beklagte hatte mit Schriftsatz vom 20.09.2022 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und beantragt, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um zwei Monate zu verlängern. Einer erneuten Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat hatte der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, zugestimmt. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dann nicht begründet worden, sondern vor Ablauf der Frist zurückgenommen worden. Der Kläger macht geltend, seine Prozessbevollmächtigten hätten mit ihm das weitere Vorgehen und die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde erörtert, mit dem Revisionsanwalt des Beklagten zum Verfahrensstand und zur Fristverlängerung korrespondiert und mit ihm besprochen, ob er seinerseits einen Rechtsanwalt beim BGH hinzuziehen solle.

Dafür ist die Verfahrensgebühr Nr. 3403 VV RVG festgesetzt worden. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte Erfolg:

„Die Festsetzung einer Gebühr gemäß Ziffer 3403 VV-RVG ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil mit dem Revisionsanwalt über Verfahrensstand und Fristverlängerung kommuniziert worden ist. Denn insoweit handelt es sich um Neben- und Abwicklungstätigkeiten im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG, die bereits durch die Verfahrensgebühr des Berufungsverfahrens abgegolten sind (OLG Hamburg, Beschl. v. 19.05.2016 – 8 W 52/16, NJOZ 2017, 191; BeckOK RVG/Schneider RVG-VV 3403 Rn. 14).

Auch kann für die Prüfung der Erfolgsaussicht keine Gebühr gemäß Ziffer 3403 VV-RVG festgesetzt werden. Zwar gehört die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr zum Berufungsrechtszug. Die Erstattung dieser Gebühr kommt hier jedoch gleichwohl nicht in Betracht, weil das Kostenschonungsgebot verletzt ist. Denn ein Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründungsschrift mit Inhalt und Umfang des Angriffs des Rechtsmittelsführers sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern, was auf die Erstattungsfähigkeit von Gebühren für solche Tätigkeiten durchschlägt, die sinnvoll nur auf Grund einer sachlichen Prüfung des Streitstoffs in der Rechtsmittelinstanz vorgenommen werden können. Der Grundsatz, dass über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels tauglich nur anhand der Rechtsmittelbegründung entschieden werden kann, gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, zumal es sich bei der Nichtzulassungsbeschwerde nicht um ein Rechtsmittel in Bezug auf die Hauptsache handelt. Grundlage der Entscheidung über die Zulassung der Revision ist sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht das Beschwerdevorbringen. Demgemäß ist der „verfrühte“ Auftrag zur „Prüfung“ der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde lediglich anhand des bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens angefallenen Prozessstoffs offensichtlich nutzlos. Eine Erstattung so verursachter Kosten für die in der „Prüfung“ liegende Einzeltätigkeit kommt nicht in Betracht. Ein anderes Ergebnis ist auch nicht gerechtfertigt, weil der Kläger sogleich einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt hätte beauftragen können, der eine 1,8 Verfahrensgebühr nach VV-RVG Nr. 3509 ohne Rücksicht darauf hätte abrechnen können, dass auch für ihn kein Anlass zur Prüfung der Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde bestanden hätte. Denn ein solcher Auftrag hätte einen anderen und im Gegensatz zur isolierten Prüfung der zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzbaren Erfolgsaussichten der gegnerischen Nichtzulassungsbeschwerde sinnhaften Inhalt gehabt. Somit greift der Einwand des Klägers nicht, die gleiche Tätigkeit eines postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten wäre nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO erstattungsfähig gewesen (BGH, Beschl. v. 15.10.2013 – XI ZB 2/13, NJW 2014, 557).“

Kurze Anmerkung: Die Entscheidung liegt auf der Linie der Rechtsprechung, die für das Strafverfahren annimmt, dass eine Verfahrensgebühr für den Verteidiger noch nicht entsteht bzw. eine solche nicht erstattet wird, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel vor Begründung zurücknimmt (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., 2021, Nr. 4142 VV Rn 27 ff. m.w.N.).

Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, oder: Warum können „Bezis“ eine h.M. nicht akzeptieren?

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Heute ist Freitag, also RVG-Tag. Und den beginne ich mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.06.2023 – 2 Ws 87/23. Das ist mal wieder eine Entscheidung, die ärgerlich macht. Nicht die Entscheidung, denn die ist richtig. Ärgerlich macht aber, dass es diese Entscheidung überhaupt gibt bzw. geben muss. Dazu dann unten, jetzt erst die Entscheidung.

Die hatte folgenden (einfachen) Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in der 1. Instanz beim LG. Er hat gegen das Urteil des LG Revision eingelegt, diese dann aber nach Zustellung der Urteilsgründe wieder zurückgenommen. Für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren hat er die Verfahrensgebühr Nrn. 4130, 4131 VV RVG geltend gemacht.

Das LG hat die Gebühr antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors, der die Auffassung vertreten hat, dass die den Revisionsrechtszug betreffende Verfahrensgebühr nicht entstanden sei, weil die Einlegung der Revision durch die erstinstanzliche Verfahrensgebühr abgegolten werde und dies auch die Prüfung der Erfolgsaussichten und die Rechtsmittelrücknahme einschließe. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Der Senat teilt die vom Landgericht vertretene Auffassung, dass die anwaltliche Prüfung der Erfolgsaussichten der Revision und die auftragsgemäße Erklärung der Rücknahme des Rechtsmittels die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4130, 4131 VV RVG auch dann auslösen, wenn der Verteidiger wie hier bereits erstinstanzlich tätig war (ebenso KG, Beschl. v. 20. Januar 2009 – 1 Ws 382/08, zit. nach Juris; Toussaint/Felix, Kostenrecht, 53. Aufl. RVG VV Teil 4 Rdnr. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. VV 4130, 4131 Rdnr. 5-7; Schneider/Volpert/N. Schneider, RVG 9. Aufl. VV 4130-4131 Rdnr. 7; Bischof/Jungbauer/Kerber, RVG 9. Aufl. Nrn. 4106-4135 VV Rn. 93a; aA ohne nähere Begründung OLG Dresden, Beschl. v. 13. März 2014 – 2 Ws 113/14, zit. nach Juris, mit ablehnender Anm. Schneider AGS 2014, 221).

Dass die bloße Einlegung der Revision durch den bereits erstinstanzlich tätigen Verteidiger mit den hierfür in der ersten Instanz entstehenden Gebühren bereits abgegolten wird (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG) und eine Revisionsbegründung nicht erstellt wurde, schließt die Entstehung der Gebühr gemäß VV RVG 4130, 4131 hier nicht aus, denn diese Gebühr fällt nicht erst mit der Begründung der Revision an. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Gebühr „insbesondere“ die Fertigung der Revisionsbegründung als „Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit“ vergütet werden soll (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 226), steht dem nicht entgegen und besagt nicht, dass neben der Revisionseinlegung auch die nähere Prüfung der Erfolgsaussichten bereits durch erstinstanzliche Gebührentatbestände abgegolten ist. Die revisionsspezifische Prüfung der Erfolgsaussichten etwaiger Revisionsangriffe wegen einer Verletzung materiellen Rechts bzw. des Verfahrensrechts und deren Besprechung mit dem insoweit zu beratenden Angeklagten ist notwendige Voraussetzung für die Entscheidung über die Durchführung des Revisionsverfahrens sowie das Erstellen einer Revisionsbegründung und hängt hiermit unmittelbar und denklogisch zusammen. Es erschließt sich deshalb nicht, wieso nicht bereits die – unter Umständen einen ganz erheblichen Aufwand verursachende – anwaltliche Prüfung der konkret revisionsrechtlich eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren nicht auslösen soll, sondern erst ist die Fertigung der Rechtsmittelbegründung, zumal für diese Unterscheidung die geltende Gebührenregelung konkret nichts hergibt. Dies gilt umso mehr, wenn wie hier das ausgefertigte schriftliche Urteil bereits zugestellt worden ist und zur Prüfung der Erfolgssichten des Rechtsmittels vom Verteidiger durchgearbeitet werden muss. Bei dieser Sachlage ist es weder plausibel noch sachgerecht, hinsichtlich der Entstehung des Gebührentatbestandes allein auf die Fertigung einer Revisionsbegründung abzustellen, zumal diese im Einzelfall – zum Beispiel bei alleiniger, den Gebührentatbestand erfüllender Erhebung einer nicht näher ausgeführten Sachrüge (vgl. hierzu Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. Rdnr. 7) – auch nicht zwingend einen gesonderten erheblichen Aufwand erfordern muss.

Wie das Landgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, erfasst der Gebührentatbestand gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG alle nach Revisionseinlegung vom Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten, mithin auch die anwaltliche Prüfung und Beratung des Angeklagten über die konkreten Möglichkeiten und Erfolgsaussichten der Revision und die Frage, ob das Revisionsverfahren durchgeführt oder das Rechtsmittel zurückgenommen werden soll, wohingegen nur völlig überflüssige, bedeutungslose und ersichtlich allein zur Auslösung des Gebührentatbestandes veranlasste Prozesshandlungen und ein rein rechtsmissbräuchliches Verhalten ausscheiden und für die Erfüllung des Gebührentatbestandes nicht ausreichen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 17. August 2006 – 2 Ws 134/06, zit. nach Juris mwN.); der insoweit mögliche Missbrauch von Rechtsmitteln, bei dem die anwaltliche Tätigkeit nicht vom Verteidigungswillen getragen wird, sondern allein dem Vergütungsinteresse dient, ist zwar insoweit nicht auszuschließen und mag im Einzelfall auch nur schwer nachweisbar sein, bietet jedoch nach dem geltenden Gebührenrecht allein keine geeignete Grundlage, den Vergütungsanspruch bei diesen Fallgestaltungen generell zu versagen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Januar 2009, aaO.).

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht im Hinblick auf den Verfahrensgang mit Recht keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Verteidigung gesehen und die geltenden Gebühren – auch der Höhe nach – zutreffend festgesetzt.“

Dazu ist Folgendes anzumerken und so kommt es demnächst auch im AGS 🙂 :

1. Zunächst: Der Entscheidung ist nicht hinzuzufügen, außer, dass LG und OLG zutreffend entschieden haben. Die Entscheidung entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. dazu die vom OLG angeführten Literaturnachweise). Danach gilt: Die Einlegung der Revision gehört nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG für den Verteidiger, der in dem vorhergehenden Rechtszug bereits tätig war, noch zum gerichtlichen Verfahren dieses Rechtszuges (KG NStZ 2017, 305 = StraFo 2016, 513 = RVGreport 2017, 237; OLG Hamm, a.a.O.; LG Heidelberg, Beschl. v. 9.5.2023 – 12 Qs 16/23 [für die Berufung]; LG Osnabrück RVGreport 2019, 339; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 38 ff.). Jede danach für den Mandanten erbrachte Tätigkeit führt aber zur Verfahrensgebühr des Rechtsmittelverfahrens, also im Berufungsverfahren zur Nr. 4124 VV RVG bzw. im Revisionsverfahren zur Nr. 4130 VV RVG (OLG Jena JurBüro 2006, 365 [für die Akteneinsicht]; LG Osnabrück, a.a.O. (für Revisionsrücknahme und Prüfung der Erfolgsaussichten]).

2. Man fragt sich unter Zugrundelegung dieses eindeutigen Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf das Rechtsmittel des Bezirksrevisors, was ein solches Rechtsmittel eigentlich soll? Warum kann nicht einfach auch ein Bezirksrevisor eine herrschende Meinung akzeptieren, auch wenn sie für die Staatskasse, die zahlen muss, nachteilig ist? Man würde damit nicht nur sich, sondern auch den Gerichten, die immer wieder dieselben Fragen entscheiden müssen, eine Menge Arbeit ersparen, die besser für andere Fragen/Entscheidungen aufgewendet werden könnte. Oder hat es damit zu tun, dass Bezirksrevisoren – den Eindruck habe ich, und nicht nur ich – offenbar nicht belehrbar und/oder auch nicht lernfähig sind oder sein wollen. Anders machen solche unsinnigen Rechtsmittel, wie hier eins vorgelegen hat, keinen Sinn. Das mag ggf. in „Rechtsmissbrauchsfällen“ anders sein. Aber dafür gibt es – so das OLG – „keine Anhaltspunkte“. Warum kann man dann nicht akzeptieren, dass man es hier dann doch wohl mit einem Verteidiger zu tun hatte, der richtig gehandelt und zunächst mal Rechtsmittel eingelegt hat, dann dessen Erfolgsaussichten anhand des begründeten Urteils prüft und dann das Rechtsmittel zurücknimmt und so dem Revisionsgericht Arbeit erspart? Dass ist doch genau das, was dem Verteidiger immer dann geraten wird, wenn es um die Rücknahme des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vor dessen Begründung geht. Wobei ich jetzt nicht nicht auch noch das „Fass nicht aufmachen“ will, ob in dem hier entschiedenen Fall ggf. nicht auch die Nr. 4141 VV RVG entstanden ist. Denn die hatte der Verteidiger noch nicht einmal geltend gemacht. Also kann man den Vorwurf der „Gebührenschinderei“ nicht machen.

Mich macht dieses Verhalten ärgerlich (s.o.).

War das (fristwahrende) Rechtsmittel notwendig?, oder: Überprüfung der Verteidigerentscheidung?

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Und heute dann RVG-Tag. Zum Glück habe ich in den letzten Tagen zwei Entscheidungen geschickt bekommen, so dass ich die vorstellen kann. Mein Aufruf, mir (gebührenrechtliche) Entscheidungen zu schicken, gilt aber nach wie vor.

Hier dann also der LG Heidelberg, Beschl. v. 09.05.2023 – 12 Qs 16/23 -, den mir der Kollege Nagel aus Limburg geschickt hat. Der hat um seine Gebühren im Rechtsmittelverfahren kämpfen müssen. Der Kollege hatte als Pflichtverteidiger den Angeklagten in einem Verfahren wegen Beleidigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte u.a. verteidigt. Nachdem der Angeklagte vom AG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verteilt worden war, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, hat der Kollege hiergegen im Namen des Angeklagten Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Einlegung zunächst fristwahrend erfolge, um dem Mandanten die Möglichkeit zu geben, sich erneut mit ihm zu besprechen. Hintergrund sei, dass die Staatsanwaltschaft im Hauptverhandlungstermin eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten ohne Bewährung beantragt und in der Hauptverhandlung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt habe, weswegen nicht abgeschätzt werden könne, ob diese das Urteil akzeptiere.

Nachdem die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, hat der Kollege, der die Sach- und Rechtslage zwischenzeitlich sowohl mit seinem Mandanten als auch mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert hatte, die Berufung namens und im Auftrag seines Mandanten zurückgenommen.

Das AG hat – dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers folgend – die Pflichtverteidigervergütung festgesetzt und dabei auch die Gebühren nach Nrn. 4124, 4141 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG gewährt. Der Vertreter der Staatskasse hat das beanstandet und Erinnerung eingelegt, mit der er beantragt hat, die festgesetzten Pflichtverteidigergebühren – durch Abzug der Gebühren für das Berufungsverfahren – zu reduzieren. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die insoweit geltend gemachten und festgesetzten Gebühren auf nicht notwendigem Verteidigerhandeln beruhten und daher nicht erstattungsfähig seien. Der Pflichtverteidiger dürfe nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn er als Wahlverteidiger beauftragt und die Staatskasse erstattungspflichtig wäre. Auch in diesem Fall würde nur die durch notwendige Verteidigung entstandene Vergütung ersetzt werden. Da dem Angeklagten nach der Berufungsrücknahme die Kosten auferlegt worden seien, bestünde in diesem Fall für einen Wahlverteidiger kein Erstattungsanspruch; der Pflichtverteidiger dürfe insoweit nicht bessergestellt werden. Werde die Berufung zurückgenommen, so sei davon auszugehen, dass schon die Einlegung nicht notwendig gewesen sei.

Das AG ist dem dann gefolgt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Kollegen hatte Erfolg. Das LG hat sowohl die Nr. 4124 VV RVG als auch die Nr. 4141 VV RVG gewährt:

„Der Beschwerdeführer hat einen Anspruch auf Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 1.982,25 €, weshalb der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts mit dem dieser Betrag um die Gebühren für das Berufungsverfahren gekürzt wurde, aufzuheben war.

Sowohl die Verfahrensgebühr für die Berufung (Nr. 4124 VV RVG) als auch die Gebühr für die Berufungsrücknahme (Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 VV RVG) sind entstanden. Letztgenannte Gebühr entsteht gemäß Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit (des Verteidigers) nicht ersichtlich ist, was hier nicht der Fall ist. Die Berufungseinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten; Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels aber über die Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz (vgl. KG Berlin v. 20.01.2009 (1 Ws 382/08). Nach Aktenlage hat der Verteidiger nach der Berufungseinlegung sowohl mehrere Beratungsgespräche mit seinem Mandanten geführt als auch die Sach- und Rechtslage mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, so dass ein Tätigwerden nach Berufungseinlegung vorliegt.

Wie der Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 22.03.2022 zutreffend ausführt, ist die Frage, ob Gebührenansprüche des Verteidigers entstanden sind, grundsätzlich von der Frage zu unterscheiden, ob diese auch von der Staatskasse zu erstatten sind. Vorliegend hat jedoch eine Erstattung zu erfolgen, weil das Tätigwerden des Verteidigers im Rahmen des Berufungsverfahrens – entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors und des Amtsgerichts – kein „nicht notwendiges Verteidigerhandeln“ darstellt.

Soweit im angefochtenen Beschluss auf einen Vergleich mit einem Wahlverteidiger abgestellt und ausgeführt wird, dass der Pflichtverteidiger keine Erstattung verlangen könne, weil er ansonsten besser stehe als der Wahlverteidiger, der – aufgrund der vollständigen Kostentragung des Angeklagten bei Berufungsrücknahme – keinen Erstattungsanspruch habe, trägt diese Argumentation nicht. Zum einen handelt es sich um andere, nicht vergleichbare Konstellationen, zum anderen hätte sie zur Konsequenz, dass der Pflichtverteidiger in keinem Fall, in dem sein Mandant verurteilt wird und dementsprechend die Kosten zu tragen hat, eine Erstattung verlangen könnte. Auch der Begründung des Bezirksrevisors, woraus sich schon aus der Rücknahme des Rechtsmittels ergebe, dass deren Einlegung nicht notwendig gewesen sei, vermag die Kammer nicht zu teilen.

Denkbar wäre allenfalls die Notwendigkeit des Verteidigerhandelns nach der Berufungseinlegung dann zu verneinen, wenn die Berufungseinlegung allein vorsorglich für den Fall einer Einlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgt wäre. In einem solchen Fall könnte man – in Anlehnung an die bestehende und in der Erinnerung des Bezirksrevisors zitierte Rechtsprechung, wonach Verteidigertätigkeit auf ein allein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig sei (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 65. A. 2022, § 464a Rn 10 m.w.N.) – möglicherweise von einem nicht notwendigen Verteidigerhandeln ausgehen. Ob die genannte Rechtsprechung auf eine solche Fallgestaltung übertragen werden kann, kann aber letztlich dahinstehen, da ein solcher Fall nicht vorliegt. Der Verteidiger führte im Rahmen seiner Berufungseinlegung vom 24.07.2019 zwar aus, dass diese vor dem Hintergrund erfolge, dass man nicht wisse, ob das Urteil seitens der Staatsanwaltschaft akzeptiert werde, nannte als weiteren Beweggrund aber auch den Umstand, dass die Einlegung erfolge, um nochmals die Möglichkeit zu haben, sich mit seinem Mandanten zu besprechen. In der Folge machte er deutlich, dass er sich für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlege, erneut mit seinem Mandanten beraten und die Berufung dann gegebenenfalls zurücknehmen werde. Dass die Einlegung ausschließlich für den Fall einer Rechtsmitteleinlegung auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgte, lässt sich dem gerade nicht entnehmen. Dass die eigene Berufung im Falle einer Nichteinlegung der Staatsanwaltschaft wieder zurückgenommen wird, wird zwar als Möglichkeit in Aussicht gestellt, aber keineswegs verbindlich angekündigt.

Auch wenn das Amtsgericht im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen dem Antrag der Verteidigung gefolgt ist, so lässt sich auch daraus nicht entnehmen, dass das Weiterverfolgen der eigenen Berufung (auch ohne gleichzeitige Einlegung der Staatsanwaltschaft) mit dem Ziel, eine für den Mandanten günstigere Entscheidung zu erwirken, von vornherein sinn- oder zwecklos wäre. Das Amtsgericht hat den Angeklagten zwar – dem Antrag des Verteidigers folgend – zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und dabei auch die vom Verteidiger vorgeschlagenen Bewährungsauflagen übernommen, es ging aber auch über den Verteidigerantrag hinaus, indem es eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten ausgesprochen hat, während der Verteidiger eine solche von sieben Monaten beantragt hatte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung zwar weitgehend, aber nicht vollumfänglich eingeräumt hat. Hinsichtlich einer der vier angeklagten Taten hatte der Verteidiger zudem eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO angeregt, welcher die Staatsanwaltschaft entgegengetreten war. Schließlich kommt hinzu, dass nach Einlegung der Berufung wegen neuerlicher Straffälligkeit eines neues Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen den Angeklagten geführt wurde (am 08.08.2019 erging deshalb erneut Haftbefehl gegen ihn) und für die Verteidigung nunmehr auch die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung im Falle der Weiterverfolgung der Berufung zu bedenken war. Diese Thematik wurde seitens des Verteidigers am 26.09.2019 mit dem Vorsitzenden der Berufungskammer erörtert, wobei der Verteidiger dabei noch erklärte, dass er sich wegen dieses Umstandes zunächst an einer Berufungsrücknahme gehindert sehe und er die Angelegenheit nochmals mit seinem Mandanten besprechen wolle.

Angesichts dieser Umstände vermag die Kammer nicht festzustellen, dass die Einlegung der Berufung bzw. das weitere Tätigwerden im Berufungsverfahren – auch nachdem bekannt war, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat – nicht notwendig gewesen wäre. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliegt und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheint.“

Dazu kurz Folgendes:

  1. Das LG „verteilt“ die vom Kollegen, der auch im Ausgangsverfahren tätig war, in Zusammenhang mit einem Rechtsmittel zu erbringenden Tätigkeiten zutreffend: Die Rechtsmitteleinlegung selbst sowie beratende Tätigkeit vor der Einlegung werden mit der Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren abgegolten, was aus § 19 Abs. 1 Satz. 2 Nr. 10 RVG folgt. Alles Tätigkeiten des Verteidigers nach Einlegung des Rechtsmittels werden aber von der jeweiligen Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz erfasst, was sowohl für das Berufungsverfahren gilt (Nr. 4124 VV RVG) als auch für das Revisionsverfahren.
  2. Der Kollege hatte Verteidiger bei der Einlegung seiner Berufung darauf hingewiesen hatte, dass die Einlegung zunächst nur fristwahrend erfolge. Daraus und aus der später erfolgten Berufungsrücknahme nun den Schluss ziehen zu wollen – was der Vertreter der Staatskasse tut –, dass deshalb die Verfahrensgebühren für das Berufungsverfahren nicht entstanden seien, ist m.E. abwegig. Entscheidend ist – und darauf will das LG auch wohl abstellen – die Sicht „ex ante“. Aus der Sicht war die Berufungseinlegung aber notwendig, schon um ggf. in Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft nach Rücknahme einer ggf. von dort aus eingelegten Berufung über die beiderseitige Rücknahme „verhandeln“ zu können. Wohltuend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des LG, dass die Entscheidung über die Art und Weise der Verteidigung grundsätzlich dem Verteidiger und seinem Mandanten obliege und im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung im Hinblick auf die Notwendigkeit einzelner Verteidigungshandlungen eine gewisse Zurückhaltung geboten erscheine. Das liest man leider viel zu selten und das wird leider noch viel seltener beachtet. Im Grunde geht es die Vertreter der Staatskasse gar nichts an, warum Berufung eingelegt worden ist.
  3. Aber Vorsicht. Die Entscheidung ist kein Freibrief für Verteidigerhandeln im Rechtsmittelverfahren. Das LG lässt m.E. deutlich erkennen, dass es ggf. zu einer Beurteilung gekommen wäre, wenn der Verteidiger die Rücknahme der Berufung verbindlich angekündigt hätte, falls die Staatsanwaltschat ein ggf. von ihr eingelegtes Rechtsmittel wieder zurücknimmt. „Gerettet“ hat den Verteidiger/Mandanten hier der Umstand, dass man auch in dem Fall die Sach- und Rechtslage noch einmal mit dem Mandanten erörtern wollte. Das sollte bei der Rechtsmitteleinlegung beachtet und ggf. ausgeführt werden.

Und schon wieder zusätzliche Gebühr nach Einziehung, oder: Und schon wieder falsch

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Und dann Gebühren-/Kostenrechtstag.

Zunächste eine Entscheidung zum RVG, und zwar noch einmal zur Nr. 4142 VV RVG, und zwar der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 20.1.2022 – 12 Qs 1/22.

Gestritten wird in dem Verfahren um die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die StA hat am 9.6.2020 Anklage wegen Steuerhinterziehung und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen den Angeklagten erhoben. Von einer Einziehung hatte sie zuvor gemäß § 421 Abs. 3 StPO abgesehen. Soweit sie darüber hinaus im Ermittlungsverfahren Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 1 StPO ausgeschieden hatte, sah sie auch von einer selbständigen Einziehung gemäß § 435 StPO ab.

Nach Anklagezustellung bestellte das AG den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger, ließ später die Anklage unverändert zu und führte am 28.10.2020 die Hauptverhandlung durch. In der Hauptverhandlung wurde eine Einziehung ausweislich des Protokolls an zwei Stellen thematisiert, zuerst als die Amtsrichterin die Verfügung des Anklageverfassers verlas, in der dieser die Verfahrensbeschränkungen nach § 421 Abs. 3, § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO angeordnet hatte, sodann als der Verteidiger in seinem Plädoyer unter anderem beantragte, gemäß § 421 Abs.1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung abzusehen. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Urteil stellte das Amtsgericht – der Anklage weitestgehend folgend – fest, dass der Angeklagte Lohnsteuer i.H.v. 48.399 € sowie Einkommen- und Gewerbesteuer i.H.v. 56.049 € hinterzogen und Beiträge i.H.v. 169.478,36 € vorenthalten hatte. Eine Einziehungsentscheidung traf das Amtsgericht nicht.

Der Rechtsanwalt beantragte die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG i.H.v. 447 € netto. Er habe seinen Mandanten ausführlich über die Möglichkeit einer Einziehung beraten. Das reiche für die Entstehung der Gebühr aus. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Dad dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„2. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht die Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt.

a) Die genannte Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht (Anm. 1 zu Nr. 4142 VV RVG). Ausreichend ist, dass eine Einziehung nach Lage der Dinge in Betracht kommt (OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020 – 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; Burhoff, AGS 2021, 396, 397). Erfasst werden von der Gebühr sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben (BGH, Beschluss vom 29. November 2018 – 3 StR 625/17, juris Rn. 4). Insoweit können schon Besprechungen und Beratungen des Mandanten die Gebühr auslösen (KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 1 Ws 16/21, juris Rn. 7; Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4142 VV Rn. 24 m.w.N.).

b) Hieran gemessen war die beantragte Gebühr nicht festzusetzen, weil eine Einziehung als notwendiger Bezugspunkt für die gebührenpflichtige Beratung nach dem Verfahrensablauf nicht in Betracht kam.

Eine Einziehung kommt nicht schon dann in Betracht, wenn sie abstrakt möglich ist (KG, Beschluss vom 8. November 2019 – 1 Ws 53/19, BeckRS 2019, 33300 Rn. 1; ähnlich KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 1 Ws 16/21, juris Rn. 7; a.A. wohl Burhoff, AGS 2021, 396, 397: ausreichend, dass Einziehung sachlich möglich ist). Es muss vielmehr eine hinreichend konkrete Aussicht bestehen, dass hierüber tatsächlich entschieden wird. Diese Einschränkung wird dahin formuliert, dass die Einziehung „ernsthaft“ in Betracht kommt (Kremer in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., VV 4142 Rn. 6), dass entsprechende Beratung „nach Aktenlage geboten“ ist (OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Dezember 2009 – 1 Ws 643/09, juris Rn. 6), oder dass Fragen der Einziehung „naheliegen“ (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., VV 4142 Rn. 12 m.w.N. und weiteren Beispielen).

Daran fehlt es nach Auffassung der Kammer jedenfalls für die gegebene Konstellation. Die Staatsanwaltschaft hatte durch die in ihrer Abschlussverfügung vorgenommenen Beschränkungen (§ 421 Abs. 3, § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO) dem Amtsgericht die Frage nach einer Einziehung bewusst nicht unterbreitet. Von dieser Entscheidung ist sie auch später nicht abgerückt. Eine den Angeklagten treffende Befassung mit der Einziehung hätte daher zwingend vorausgesetzt, dass das Gericht zunächst eine Wiedereinbeziehung anordnet und damit den Angeklagten auf diese Rechtsfolge hinweist (§ 421 Abs. 2 Satz 1, 3 mit § 265 StPO, vgl. Putzke/Scheinfeld in MünchKomm-StPO, § 421 Rn. 34; Schmidt in KK-StPO, 8. Aufl., § 421 Rn. 9; im Übrigen vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020, GSSt 1/20, juris Rn. 13 ff.), sodass er – erstmals – Anlass und auch Gelegenheit zur Verteidigung betreffend diesen Punkt hat. Das fand nicht statt, das Amtsgericht machte noch nicht einmal erkennbare Anstalten, die Thematik einer Einziehung proaktiv aufzugreifen, vielmehr hat es sich mit der Verlesung der staatsanwaltlichen Beschränkungsverfügung begnügt. Daher gab es für den Beschwerdeführer objektiv keine Veranlassung, wegen einer nach dem konkreten Verfahrensgang und nach praktischer Erfahrung nicht drohenden Rechtsfolge entsprechende Beratungsleistungen zu erbringen. Allein die abstrakte Möglichkeit – für deren Realisierung keine konkreten Gesichtspunkte sprachen –, dass das Amtsgericht jederzeit die Wiedereinbeziehung hätte anordnen können, reicht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers für sich betrachtet noch nicht aus. Nichts anderes folgt daraus, dass der Verteidiger in seinem Plädoyer beantragt hatte, die Einziehung nicht anzuordnen. Die Erforderlichkeit dieses Antrags erschließt sich der Kammer nach allem nicht; richtig dürfte jedenfalls sein, dass eine Einziehung nicht schon dann in Betracht kommt, wenn der Verteidiger sie in seinem Antrag ohne Not thematisiert.“

M.E. ist die Entscheidung – natürlich bestand Beratungsbedarf. Und es stellt sich mal wieder die Frage, warum sich die Gerichte eigentlich mit der Festsetzung der Nr. 4142 VV RVG so schwer tun; man wird müde, immer wieder diese falschen Entscheidungen zu kommentieren. Aber, wenn man die Frage stellt, liegt die Antwort an sich auf der Hand. Es handelt sich bei der Nr. 4142 VV RVG um eine Wertgebühr, die sich nach dem jeweiligen Gegenstandswert bemisst (§§ 13, 49 RVG). Und solche Gebühren werden eben von der Staatskasse ungern gezahlt. Immerhin geht es hier um 447 EUR für – aus Sicht des LG – Nichtstun des Verteidigers.

Aber: Vielleicht richtet es ja das OLG Nürnberg. Das LG hat die weitere Beschwerde zugelassen.

Die Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren, oder: „anwaltliche Kerntätigkeit im Rechtsmittelverfahren“

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Am heutigen „Gebührenfreitag“ stelle ich zwei amtsgerichtliche Entscheidungen zu RVG-Fragen vor.

Den Opener mache ich mit dem AG Halle/Saale, Beschl. v. 16.06.2021 – 322 Ds 370 Js 16649/20 – zur Thematik des Abgeltungsbereichs/Anfalls der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren bei Rücknahme der Berufung. Die Entscheidung hat mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt.

Folgender Sachverhalt: Das AG hatte den ehemaligen Angeklagten am 10.02.2021 zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 17.02.2021 hat der Kollege Berufung eingelegt. Ergänzend bat er für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlegt oder ein eingelegtes Rechtsmittel zurücknimmt, um „einen kurzen Hinweis per Fax oder Mail, damit hier neu überdacht werden kann, wie mit dem diesseitigen Rechtsmittelverfahren wird.“ Am 26.02.2021 wurde dem Kollegen dann mitgeteilt. dass von der Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittelschrift eingegangen sei. Darauf ging am 28.02.2021 ein Schreiben des Kollegen beim AG ein, in dem er mitteilte, das „wir nach der Mitteilung, dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt hat, die Sache nochmals erörtert [haben], mit dem Ergebnis, dass ich nunmehr namens und in Vollmacht des Angeklagten und kraft besonderer Ermächtigung die Berufung zurück nehme.“

Der Kollege hat die Festsetzung seiner in der Berufungsinstanz entstandenen Gebühren, u.a. auch die Verfahrensgebühr Nr. 4125 VV RVG, beantragt. Das AG/der Rechtspfleger hat den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat ist im Wesentlichen angeführt, dass die Verfahrensgebühr nicht entstanden sei, weil sowohl Einlegung als auch die Rücknahme des eingelegten Rechtsmittels noch zur 1. Instanz gehörten, wenn ein Rechtsmittel des Gegners nicht eingelegt war und der Rechtsanwalt nur vorbereitend tätig geworden sei. Zur nächsten Instanz gehöre etwa die Begründung des Rechtsmittels. Eine Begründung des Rechtsmittels sei nicht eingegangen.

Die dagegen gerichtete Erinnerung des Kollegen hatte Erfolg:

„In der Sache ist die Erinnerung auch begründet. Dem Verteidiger stehen die ihm im Antrag vom 28.02.2021 geltend gemachten Gebühren zu. Bei der von ihm beschriebenen Tätigkeit handelt es sich nicht mehr um eine Tätigkeit im 1. Rechtszug. sondern bereits um eine solche des Rechtsmittelzugs.

Fest steht, dass gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 die Einlegung von Rechtsmitteln bei dem Gericht desselben Rechtszuges durch den Verteidiger, der in dem Rechtszug tätig war, mit der Verfahrensgebühr des 1. Rechtszugs abgegolten ist. Auch die Beratung über die Aussichten eines noch nicht eingelegten Rechtsmittels durch den Verurteilten oder anderer Verfahrensbeteiligter zählt noch zu dem 1. Rechtszug.

Welche Handlungen des Verteidigers die Verfahrensgebühr hingegen nach Rechtsmitteleinlegung auslösen, lässt sich anhand der Bedeutung der Verfahrensgebühr ermitteln. Danach wird mit der Verfahrensgebühr jedes Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information abgegolten (Ziffer 2 VV Vorbemerkung zu Teil 4). Ausschlaggebend ist daher, ob der Verteidiger entsprechende Handlungen durchgeführt hat. Die Gebühr erfasst damit nicht nur Rechtsmittelbegründungen, sondern bereits die anwaltliche Prüfung und Beratung, ob und gegebenenfalls mit welchen Anträgen das Rechtsmittelverfahren weiter durchgeführt werden soll (KG Beschl. v. 20.1.2009 — 1 Ws 382/08, BeckRS 2010, 23725). Ist die Verfahrensgebühr dadurch entstanden, entfällt sie nicht dadurch, dass im Ergebnis der Besprechung das Rechtsmittel zurückgenommen wird (KG aaO). Auch Gespräche mit der Staatsanwaltschaft und/oder mit dem Gericht mit dem Ziel der Rücknahme der Berufung oder der Einleitung von Verständigungsgesprächen lösen die Verfahrensgebühr aus (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4124 Rn. 8).

Davon zu unterscheiden ist der von der Bezirksrevisorin herangezogene Fall. den das Landgericht Hannover zu entscheiden hatte (LG Hannover. Beschluss vom 07.05.2013 – 58 Qs 6413 Js 95170/11 (13/13), juris). In jenem Fall hat der Verteidiger die Berufung ausdrücklich vorsorglich eingelegt. um im Falle eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vorbereitet zu sein und die Frist zu wahren. Ausdrücklich wurde dort bereits mitgeteilt, dass bei dem Ausbleiben eines solchen Rechtsmittels die Berufung zurückgenommen werden sollte. In diesem Fall haben die entsprechenden Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem dort Angeklagten bereits vor der Rechtsmitteleinlegung stattgefunden mit der Bedingung. dass im Falle. dass die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel einlegt. der Verteidiger von vornherein beauftragt wurde, die Berufung zurückzunehmen. Insofern haben die entscheidenden Gespräche bereits vor Berufungseinlegung stattgefunden und gehören damit mit zu den Gebühren des 1. Rechtszugs. Nachdem die Staatsanwaltschaft dort kein Rechtsmittel eingelegt hatte, waren weitere Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem dort Angeklagten nicht mehr erforderlich, sodass eine Verfahrensgebühr nicht entstehen konnte.

Abweichend davon hat der Verteidiger des hier Angeklagten bereits in der Berufungsschrift zwar mitgeteilt, dass er lediglich einen Hinweis erbat, ob ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Darin liegt noch nicht die Bedingung, das Rechtsmittel im Falle des Ausbleibens eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft. dieses zurückzunehmen. Ausdrücklich wird mitgeteilt, dass in dem Fall neu überdacht werden könne, wie mit dem Rechtsmittelverfahren werde. Darin liegt gerade nicht die Ankündigung, das Rechtsmittel zurückzunehmen. Denkbar wäre auch, die Berufung lediglich auf das Strafmaß zu beschränken. Explizit erklärt der Verteidiger in dem Schreiben vom 28.02.2021 darüber hinaus, dass er die Sache mit dem Angeklagten nochmals erörtert habe, mit dem Ergebnis, dass die Berufung zurückgenommen werden solle. Hier behauptet der Verteidiger explizit die Erörterung der Sache mit dem Angeklagten nach Berufungseinlegung, womit alleine dieses Gespräch die Verfahrensgebühr auslöst (entsprechend des in der oben zitierten Entscheidung des Kammergerichts geschilderten Sachverhalts).

Ob dieses Gespräch tatsächlich stattgefunden hat. hat das Gericht mangels anderweitiger Hinweise nicht zu prüfen (KG aaO zumindest dem Sinn nach; explizit LG Hannover aaO).“

Stimmt/passt 🙂 .