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Pflichti I: Auswechseln des „Pflichti“ in der Revision, oder: Begründung des Antrags und Verfahren

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Und dann heute mal wieder eine Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen. So ganz viele sind es aber nicht, immerhin aber insgesamt fünf Stück.

Ich beginne hier mit zwei Entscheidungen zur Auswechselung des Pflichtverteidigers, und zwar:

Zu den Fragen der Auswechselung hat noch einmal der BGH im BGH, Beschl. v. 15.01.2024 – 2 StR 124/23 – Stellung genommen. Das LG hat die Angeklagte u.a. wegen Brandstiftung verurteilt. Der im Ermittlungsverfahren bestellte Pflichtverteidiger der Angeklagten hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und das Rechtsmittel mit Verfahrensbeanstandungen und der allgemeinen Sachrüge begründet. dann ist um die Formwirksamkeit gestritten worden (dazu der BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 2 StR 124/23). Der BGH hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gewährt. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 13.09.2023 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 22.07.2023 hat die Angeklagte vorgetragen, „sie vertraue ihrem Verteidiger nicht mehr. Sie habe die Revisionsbegründungsschrift erst zwei Tage vor dem Abgabetermin zur Ansicht erhalten, ein vom Landgericht vernommener Zeuge und „eigentliche[r] Täter S. aber schon vierzehn Tage“ vor ihr. S. habe ihrem Verteidiger „am ersten Gerichtstag […] einen gut gefüllten Briefumschlag im Gerichtssaal übergeben“ wollen. Ihr Verteidiger habe erwidert, er solle „den Brief doch bitte an die Kanzlei senden“. Die Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers beanstande „nur das zur Gefälligkeit erstellte Brandschutzgutachten […], obwohl das ganze Urteil nur aus Mutmaßungen und Spekulationen“ bestehe. Ein anderer „Strafanwalt“ habe ihr erklärt, „[s]eine Revisionsbegründung auf dieses Urteil wäre dreißig[-] bis vierzigseitig ausgefallen“. Damit konfrontiert habe ihr Verteidiger erklärt, dafür habe er als Pflichtverteidiger keine Zeit. Mit weiterem Schreiben vom 2. September 2023 hat die Angeklagte geäußert, das Vertrauensverhältnis zu ihrem Verteidiger sei „zerstört“. Sie hat gebeten, den Verteidiger „aus dem Verfahren zu entbinden“ und ihr einen „renommierten Anwalt aus L. “ beizuordnen.“ Mit Schreiben vom 30.11.2023 hat sie diese Bitte schließlich dahin präzisiert, sie beantrage nunmehr, ihr Rechtsanwalt L. aus L. beizuordnen.

Der Verteidiger der Angeklagten ist den gegen ihn erhobenen Vorwürfen entgegengetreten. Der BGH hat den Antrag abgelehnt:

„Der Antrag ist unbegründet, da die Voraussetzungen für einen Pflichtverteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 3 und 2 StPO nicht vorliegen.

1. § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Regelung für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren trifft, greift nicht ein. Die Angeklagte hat den Antrag auf Verteidigerwechsel weder bei dem Gericht gestellt, dessen Urteil angefochten ist, § 143a Abs. 3 Satz 2 StPO, noch hat sie innerhalb der Wochenfrist des § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO den neu zu bestellenden Verteidiger bezeichnet (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 49; LR-StPO/Jahn, 27. Aufl., § 143a Rn. 42).

2. Die Voraussetzungen für einen Wechsel des Pflichtverteidigers gemäß § 143a Abs. 2 StPO liegen ebenfalls nicht vor.

Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum bisherigen Pflichtverteidiger, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 1 StPO, ist nicht glaubhaft gemacht. Den von der Angeklagten erhobenen Vorwürfen ist der Verteidiger entgegengetreten. Sonstige Belege für die Behauptungen der Angeklagten sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der einer angemessenen Verteidigung der Angeklagten entgegenstünde und einen Wechsel in der Person des Pflichtverteidigers geböte, § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Fall 2 StPO. Eine angemessene Verteidigung der Angeklagten ist gewährleistet. Der Verteidiger hat auf den Formfehler bei der Übersendung der Revisionsschrift innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist reagiert. Ein über die Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 7 StPO hinausgehender Nachteil ist der Angeklagten durch die ursprüngliche Versäumung der Einlegungsfrist nicht entstanden.“

Und die zweite Entscheidung zu der Problematik „Auswechselung“ kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v.13.12.2023 – 2 Ws 146/23 – auch noch einmal zu den Voraussetzungen Stellung genommen. Die Entscheidung stelle ich aber hier nur mit den Leitsätzen vor, das das KG die Fragen bereits (mehrfach) entschieden hat(te), und zwar:

1. Die Bezeichnung eines neuen Verteidigers ist Voraussetzung für einen Verteidigerwechsels nach § 143a Abs. 3 StPO (vgl. KG, Beschl. v. 09.052023 – 4 Ws 23/23).
2. Die pauschale Begründung des Entpflichtungsantrags eines Beschuldigten mit der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und bereits zuvor unternommenen Versuchen der Entpflichtung des Verteidigers ist nicht geeignet, einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO zu rechtfertigen. Voraussetzung der Annahme eines wichtigen Grundes für die Ersetzung des Pflichtverteidigers ist vielmehr, dass konkrete Tatsachen vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliegt und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann.

 

Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren, oder: Warum können „Bezis“ eine h.M. nicht akzeptieren?

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Heute ist Freitag, also RVG-Tag. Und den beginne ich mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.06.2023 – 2 Ws 87/23. Das ist mal wieder eine Entscheidung, die ärgerlich macht. Nicht die Entscheidung, denn die ist richtig. Ärgerlich macht aber, dass es diese Entscheidung überhaupt gibt bzw. geben muss. Dazu dann unten, jetzt erst die Entscheidung.

Die hatte folgenden (einfachen) Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in der 1. Instanz beim LG. Er hat gegen das Urteil des LG Revision eingelegt, diese dann aber nach Zustellung der Urteilsgründe wieder zurückgenommen. Für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren hat er die Verfahrensgebühr Nrn. 4130, 4131 VV RVG geltend gemacht.

Das LG hat die Gebühr antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bezirksrevisors, der die Auffassung vertreten hat, dass die den Revisionsrechtszug betreffende Verfahrensgebühr nicht entstanden sei, weil die Einlegung der Revision durch die erstinstanzliche Verfahrensgebühr abgegolten werde und dies auch die Prüfung der Erfolgsaussichten und die Rechtsmittelrücknahme einschließe. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Der Senat teilt die vom Landgericht vertretene Auffassung, dass die anwaltliche Prüfung der Erfolgsaussichten der Revision und die auftragsgemäße Erklärung der Rücknahme des Rechtsmittels die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4130, 4131 VV RVG auch dann auslösen, wenn der Verteidiger wie hier bereits erstinstanzlich tätig war (ebenso KG, Beschl. v. 20. Januar 2009 – 1 Ws 382/08, zit. nach Juris; Toussaint/Felix, Kostenrecht, 53. Aufl. RVG VV Teil 4 Rdnr. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. VV 4130, 4131 Rdnr. 5-7; Schneider/Volpert/N. Schneider, RVG 9. Aufl. VV 4130-4131 Rdnr. 7; Bischof/Jungbauer/Kerber, RVG 9. Aufl. Nrn. 4106-4135 VV Rn. 93a; aA ohne nähere Begründung OLG Dresden, Beschl. v. 13. März 2014 – 2 Ws 113/14, zit. nach Juris, mit ablehnender Anm. Schneider AGS 2014, 221).

Dass die bloße Einlegung der Revision durch den bereits erstinstanzlich tätigen Verteidiger mit den hierfür in der ersten Instanz entstehenden Gebühren bereits abgegolten wird (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG) und eine Revisionsbegründung nicht erstellt wurde, schließt die Entstehung der Gebühr gemäß VV RVG 4130, 4131 hier nicht aus, denn diese Gebühr fällt nicht erst mit der Begründung der Revision an. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Gebühr „insbesondere“ die Fertigung der Revisionsbegründung als „Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit“ vergütet werden soll (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 226), steht dem nicht entgegen und besagt nicht, dass neben der Revisionseinlegung auch die nähere Prüfung der Erfolgsaussichten bereits durch erstinstanzliche Gebührentatbestände abgegolten ist. Die revisionsspezifische Prüfung der Erfolgsaussichten etwaiger Revisionsangriffe wegen einer Verletzung materiellen Rechts bzw. des Verfahrensrechts und deren Besprechung mit dem insoweit zu beratenden Angeklagten ist notwendige Voraussetzung für die Entscheidung über die Durchführung des Revisionsverfahrens sowie das Erstellen einer Revisionsbegründung und hängt hiermit unmittelbar und denklogisch zusammen. Es erschließt sich deshalb nicht, wieso nicht bereits die – unter Umständen einen ganz erheblichen Aufwand verursachende – anwaltliche Prüfung der konkret revisionsrechtlich eröffneten Anfechtungsmöglichkeiten die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren nicht auslösen soll, sondern erst ist die Fertigung der Rechtsmittelbegründung, zumal für diese Unterscheidung die geltende Gebührenregelung konkret nichts hergibt. Dies gilt umso mehr, wenn wie hier das ausgefertigte schriftliche Urteil bereits zugestellt worden ist und zur Prüfung der Erfolgssichten des Rechtsmittels vom Verteidiger durchgearbeitet werden muss. Bei dieser Sachlage ist es weder plausibel noch sachgerecht, hinsichtlich der Entstehung des Gebührentatbestandes allein auf die Fertigung einer Revisionsbegründung abzustellen, zumal diese im Einzelfall – zum Beispiel bei alleiniger, den Gebührentatbestand erfüllender Erhebung einer nicht näher ausgeführten Sachrüge (vgl. hierzu Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. Rdnr. 7) – auch nicht zwingend einen gesonderten erheblichen Aufwand erfordern muss.

Wie das Landgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, erfasst der Gebührentatbestand gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG alle nach Revisionseinlegung vom Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten, mithin auch die anwaltliche Prüfung und Beratung des Angeklagten über die konkreten Möglichkeiten und Erfolgsaussichten der Revision und die Frage, ob das Revisionsverfahren durchgeführt oder das Rechtsmittel zurückgenommen werden soll, wohingegen nur völlig überflüssige, bedeutungslose und ersichtlich allein zur Auslösung des Gebührentatbestandes veranlasste Prozesshandlungen und ein rein rechtsmissbräuchliches Verhalten ausscheiden und für die Erfüllung des Gebührentatbestandes nicht ausreichen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 17. August 2006 – 2 Ws 134/06, zit. nach Juris mwN.); der insoweit mögliche Missbrauch von Rechtsmitteln, bei dem die anwaltliche Tätigkeit nicht vom Verteidigungswillen getragen wird, sondern allein dem Vergütungsinteresse dient, ist zwar insoweit nicht auszuschließen und mag im Einzelfall auch nur schwer nachweisbar sein, bietet jedoch nach dem geltenden Gebührenrecht allein keine geeignete Grundlage, den Vergütungsanspruch bei diesen Fallgestaltungen generell zu versagen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Januar 2009, aaO.).

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht im Hinblick auf den Verfahrensgang mit Recht keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Verteidigung gesehen und die geltenden Gebühren – auch der Höhe nach – zutreffend festgesetzt.“

Dazu ist Folgendes anzumerken und so kommt es demnächst auch im AGS 🙂 :

1. Zunächst: Der Entscheidung ist nicht hinzuzufügen, außer, dass LG und OLG zutreffend entschieden haben. Die Entscheidung entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. dazu die vom OLG angeführten Literaturnachweise). Danach gilt: Die Einlegung der Revision gehört nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG für den Verteidiger, der in dem vorhergehenden Rechtszug bereits tätig war, noch zum gerichtlichen Verfahren dieses Rechtszuges (KG NStZ 2017, 305 = StraFo 2016, 513 = RVGreport 2017, 237; OLG Hamm, a.a.O.; LG Heidelberg, Beschl. v. 9.5.2023 – 12 Qs 16/23 [für die Berufung]; LG Osnabrück RVGreport 2019, 339; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 38 ff.). Jede danach für den Mandanten erbrachte Tätigkeit führt aber zur Verfahrensgebühr des Rechtsmittelverfahrens, also im Berufungsverfahren zur Nr. 4124 VV RVG bzw. im Revisionsverfahren zur Nr. 4130 VV RVG (OLG Jena JurBüro 2006, 365 [für die Akteneinsicht]; LG Osnabrück, a.a.O. (für Revisionsrücknahme und Prüfung der Erfolgsaussichten]).

2. Man fragt sich unter Zugrundelegung dieses eindeutigen Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf das Rechtsmittel des Bezirksrevisors, was ein solches Rechtsmittel eigentlich soll? Warum kann nicht einfach auch ein Bezirksrevisor eine herrschende Meinung akzeptieren, auch wenn sie für die Staatskasse, die zahlen muss, nachteilig ist? Man würde damit nicht nur sich, sondern auch den Gerichten, die immer wieder dieselben Fragen entscheiden müssen, eine Menge Arbeit ersparen, die besser für andere Fragen/Entscheidungen aufgewendet werden könnte. Oder hat es damit zu tun, dass Bezirksrevisoren – den Eindruck habe ich, und nicht nur ich – offenbar nicht belehrbar und/oder auch nicht lernfähig sind oder sein wollen. Anders machen solche unsinnigen Rechtsmittel, wie hier eins vorgelegen hat, keinen Sinn. Das mag ggf. in „Rechtsmissbrauchsfällen“ anders sein. Aber dafür gibt es – so das OLG – „keine Anhaltspunkte“. Warum kann man dann nicht akzeptieren, dass man es hier dann doch wohl mit einem Verteidiger zu tun hatte, der richtig gehandelt und zunächst mal Rechtsmittel eingelegt hat, dann dessen Erfolgsaussichten anhand des begründeten Urteils prüft und dann das Rechtsmittel zurücknimmt und so dem Revisionsgericht Arbeit erspart? Dass ist doch genau das, was dem Verteidiger immer dann geraten wird, wenn es um die Rücknahme des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vor dessen Begründung geht. Wobei ich jetzt nicht nicht auch noch das „Fass nicht aufmachen“ will, ob in dem hier entschiedenen Fall ggf. nicht auch die Nr. 4141 VV RVG entstanden ist. Denn die hatte der Verteidiger noch nicht einmal geltend gemacht. Also kann man den Vorwurf der „Gebührenschinderei“ nicht machen.

Mich macht dieses Verhalten ärgerlich (s.o.).

Rechtsänderung während des Rechtsmittelverfahrens, oder: Es gilt dann ggf. neues Recht

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Und im zweiten Posting dann ein (kleiner) Beschluss des AG Korbach, der aber für den Verteidiger positive Auswirkungen hat(te). Das AG sagt zu Berufungs- und Revisionsverfahren im AG Korbach, Beschl. v. 09.01.2023 – 41 Ls – 4750 Js 20444/19:

Bei Berufungs- und Revisionsverfahren handelt es sich gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren um verschiedene Angelegenheiten im Sinne des § 17 Nr. 1 RVG. Gem. § 60 Abs. 1 Satz 3 RVG ist daher bei einer Rechtsänderung im laufenden Verfahren ggf. für die Abrechnung des erstinstanzlichen Verfahrens für die Vergütung altes Recht anzuwenden, gem. § 60 Abs. 1 Satz 4 RVG für das Berufungs- und Revisionsverfahren hingegen neues Recht.

Ergebnis: Für das Rechtsmittelverfahren gelten dann die erhöhten Gebührensätze des zum 01.01.2021 geänderten RVG.

StPO III: Wenn nur ein Urteilsentwurf zugestellt wird, oder: Auch Revisionsgerichte machen Fehler

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In die Rubrik: Was es nicht alles gibt, oder auch: Auch Revisionsgerichte machen Fehler, gehört der KG, Beschl. v. 30.03.2022 – (2) 121 Ss 110/21 (16/21). Das Berufungsgericht hat sein Urteil zur Akte gebracht – Umfang: 25 Seiten. Die von der Geschäftsstelle des LG erstellte „beglaubigte Abschrift“ des Urteils weicht dann aber in wesentlichen Teilen vom Original ab und hatte auch nur 22 statt 25 Seiten; es fehlten insbesondere Ausführungen zu § 47 StGB, die im Original indes enthalten waren. Die Differenz zwischen Original und Abschrift bleibt zunächst  unbemerkt. Das hat zur Folge, dass den Verfahrensbeteiligten nur die (falsche) Abschrift zugestellt wird und diese dann auch den Weg ins sog. Revisionsheft findet.

Auch das KG bemerkt die Abweichung nicht und entscheidet auf der Gundlage der „Kurzfassung“ des Berufungsurteils. Es wird aufgehoben. Erst der Vorsitzende der „neuen“ Berufungskammer“ bemerkt den Fehler und weist dann das KG auf die Abwecichung hin. Das hat dann jetzt seinen Aufhebungsbeschluss aufgehoben und die Fortsetzung des Verfahrens beschlossen:

„3. Der Beschluss des Senats vom 10. Januar 2022 ist aufzuheben, das Verfahren ist fortzusetzen. Das Urteil des Landgerichts ist noch nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, die Revisionsbegründungsfrist hat mithin noch nicht begonnen zu laufen (§ 345 Abs. 1 Satz 3 StPO).

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Entscheidungen des Revisionsgerichts grundsätzlich weder aufgehoben noch abgeändert werden. Das gilt nicht nur für nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene Beschlüsse über die Verwerfung der Revision, durch die das Verfahren wie durch ein Verwerfungsurteil (§ 349 Abs. 5 StPO) rechtskräftig abgeschlossen wird (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 1962 – 4 StR 392/61 – = BGHSt 17, 94, 95 und vom 24. März 2011 – 4 StR 637/10 – = StraFo 2011, 218; vgl. auch Beschluss vom 4. April 2006 – 5 StR 514/04 – = wistra 2006, 271 für Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 StPO). Auch ein allein nach § 349 Abs. 4 StPO gefasster Beschluss, mit dem die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Tatrichter zurückverwiesen wird und der deshalb lediglich formelle Rechtskraft erlangt, ist regelmäßig nicht abänderbar und kann nicht aufgehoben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1991 – 5 StR 449/91 – mwN). Das Bedürfnis der Rechtspflege und der Allgemeinheit nach Rechtssicherheit verbietet es auch im Revisionsverfahren, einen Eingriff in die Rechtskraft einer gerichtlichen Sachentscheidung zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 1962, aaO), es sei denn, die Voraussetzungen der speziell für diesen Verfahrensabschnitt geltenden Ausnahmevorschrift des § 356a StPO wären erfüllt, wonach die Entscheidung des Revisionsgerichts unter Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist, was hier nicht der Fall ist.

b) Hier hat der Senat über das Rechtsmittel des Revisionsführers auf der Grundlage eines bloßen Urteilsentwurfs des Landgerichts entschieden und von diesem Umstand erst nach Erlass seiner Entscheidung Kenntnis erlangt.

Der Bundesgerichtshof hat in der Vergangenheit in Fällen, in denen eine Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision lediglich infolge Unregelmäßigkeiten oder Versehen oder wegen der Gegebenheiten des gerichtlichen Geschäftsgangs auf unvollständiger oder unzutreffender tatsächlicher Grundlage getroffen wurde und sich dies erst nachträglich herausstellt, das Bedürfnis nach einer Korrektur der getroffenen, formell oder materiell rechtskräftigen Entscheidung anerkannt. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gebieten es in einem solchen Fall, den Widerspruch zwischen der auf einer unzutreffenden Grundlage ergangenen Entscheidung und der abweichenden Tatsachenlage zu beseitigen; der damit verbundene Eingriff in die Rechtskraft wiegt hier weniger schwer (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2015 – 4 StR 24/15 – mwN, juris).

Im vorliegenden Fall hat der Senat über das Rechtsmittel des Angeklagten weder in Verkennung der prozessualen Lage noch aus Rechtsirrtum entschieden, sondern auf einer unzutreffenden tatsächlichen Grundlage, die ihren Grund allein in einer Unregelmäßigkeit im Geschäftsgang des Landgerichts hatte. Denn die dem Senat vorgelegte Urteilsfassung, die lediglich einen Entwurf darstellte und die sich – anders als die Endfassung – auch im AULAK-Textverarbeitungssystem befand, wurde aus letztlich ungeklärten, im Geschäftsablauf des Landgerichts zu suchenden Gründen – entgegen der Anordnung des Vorsitzenden – dem Verteidiger des Angeklagten zugestellt, zu den Senatsakten genommen und so zur Grundlage der Senatsentscheidung. Der Fall ist tatsächlich nahezu identisch mit dem durch den Bundesgerichtshof am 10. September 2015 entschiedenen (vgl. BGH aaO).

c) Die Zustellung der Entwurfsfassung des landgerichtlichen Urteils an die Verfahrens­beteiligten konnte die Revisionsbegründungsfrist nicht in Lauf setzen (vgl. BGH aaO). Der Senat hebt daher seinen Beschluss vom 10. Januar 2022 auf. Dem Verfahren ist nunmehr durch Zustellung der richtigen Fassung Fortgang zu geben.“

Tja: Nobody is perfect! 🙂

Bemessung des Gegenstandswertes in der Revision, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr

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Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG – Stichwort: Einziehung, und zwar den BGH, Beschl. v. 09.06.2021 – 5 StR 43/20. Der BGH hat in dem Beschluss seine bisherige Rechtsprechung zur Bemessung des Gegenstandswertes für die Tätigkeit des Verteidigers im Revisionsverfahren bestätigt. Kurz und zackig 🙂 .

„Der Gegenstandswert ist nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, § 2 Abs. 1 RVG auf Antrag des Verteidigers des Angeklagten festzusetzen, weil sich seine Tätigkeit im Revisionsverfahren auf die angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen in dieser Höhe erstreckt hat und deshalb nach Nr. 4142 VV RVG der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG eine besondere Verfahrens-gebühr als Wertgebühr angefallen ist. Deren Gegenstand bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Angeklagten. Maßgeblich ist der Wert der Einziehungsforderung, wie ihn das Landgericht beziffert hat (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2019 –1 StR 471/18; vom 29. November 2018 –3 StR 625/17, NStZ-RR 2019, 127 f.).“

Steht übrigens auch alles in <<Werbemodus an: Burhoff/Volpert, 6. Aufl. 2021, RVG Straf- und Bußgeldsachen. Nein, ich sage jetzt nicht, wo und wie man den bestellen kann.<<Werbemodus aus>>.