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Teil“Verringerung“ der Einziehung in der Revision, oder: Zusatzgebühren als „verteilungsfähige Einzelposten“

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Heute knüpfe ich am RVG-Tag zunächst an die Thematik von gestern – Einziehung – an und stelle den BGH, Beschl. v. 25.02.2021 – 1 StR 423/20 – zur Kostenentscheidung bei Verringerung der Einziehung durch das Revisionsgericht vor.

Das LG hatte die Angeklagten jeweils wegen Marktmanipulation zu Freiheitsstrafen verurteilt. Zudem hatte es gegen den Angeklagten K. die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.614.344,56 EUR und gegen den Angeklagten T. in Höhe von 419.477,18 EUR angeordnet. Dagegen haben die Angeklagten jeweils Revision eingelegt. Diese hatten insofern Erfolg, dass das landgerichtliche Urteil in den Aussprüchen über die Einziehung dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen den Angeklagten K. in Höhe von nur 851.377,16 EUR und gegen den Angeklagten T. in Höhe von nur 65.957,18 EUR angeordnet worden ist. Die darüber hinausgehenden Einziehungen sind entfallen. Von den im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten, die die Einziehung betreffen, hat der BGH in der Kostenentscheidung seiner Revisionsentscheidung bestimmt, dass die Staatskasse 2/3 hinsichtlich des Angeklagten K. und 6/7 hinsichtlich des Angeklagten T. zu tragen hat und die insoweit angefallenen Gerichtsgebühren, soweit es den Angeklagten K. betrifft, um 2/3 und, soweit es den Angeklagten T. betrifft, um 6/7 ermäßigt werden.

Die Kostenentscheidung hat der BGH wie folgt begründet:

„Die Entscheidung über die allein die Einziehung betreffenden zusätzlichen und damit ohne Weiteres ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen (insbesondere Verteidigergebühren) nach Bruchteilen beruht auf § 473 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO , soweit es das Revisionsverfahren betrifft (dazu unter a)), und im Übrigen auf § 465 Abs. 2 StPO (entsprechend), § 464d StPO (dazu unter b)).

a) Aus Rechtsgründen hat sich der Einziehungsumfang jeweils deutlich, nämlich weit über die Hälfte im Vergleich zu den Beträgen im angefochtenen Urteil, zugunsten der Angeklagten verringert. Dieser Teilerfolg muss sich hier in der Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO niederschlagen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2020 – 5 StR 229/19 und vom 20. Januar 2020 – 1 StR 529/19); dies betrifft indes allein die Verteilung der in Bezug auf die Nebenfolge der Einziehung ( § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB ) den Verteidigern jeweils zustehenden ʺzusätzlichen Gebührʺ (Nr. 4142 der Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 zum RVG ), die sich – in Abweichung vom allgemeinen strafprozessualen Vergütungssystem nach Pauschalsätzen – nach dem (Gegenstands-)Wert der Einziehung bemisst ( §§ 13 , 49 RVG ), daneben in der Ermäßigung der zusätzlich entstehenden Gerichtsgebühr von pauschal 70 € (Teil 3 Hauptabschnitt 4 Vorbemerkung 3.4 Abs. 1 Satz 2 Abschnitt 4 Nr. 3440 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ).

aa) Diese beiden „Zusatzgebühren“ lassen sich ohne Weiteres von den sonstigen Rechtsmittelkosten, die die Angeklagten zu tragen haben, weil sie bezüglich des Schuld- und Strafausspruchs erfolglos geblieben sind ( § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO ), trennen (vgl. zu ʺverteilungsfähigen Einzelpostenʺ: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 473 Rn. 28; SK-StPO/Degener, 5. Aufl., § 473 Rn. 48; MüKoStPO/Maier, § 473 Rn. 176).

bb) Nach dem im strafrechtlichen Kostenrecht geltenden Veranlassungsprinzip werden die Verfahrenskosten in wertender Betrachtung grundsätzlich dem Verurteilten auferlegt, weil er mit seiner Tat das kostenverursachende Verfahren notwendig gemacht hat ( BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 2 BvR 1392/02 , BVerfGK 8, 285, 292 ff.). Eine teilweise Entlastung insbesondere von der zusätzlichen (Wahlverteidiger-)Gebühr nach der vorstehend genannten Nr. 4142 VV RVG ist hier nach ʺBilligkeitʺ aufgrund der gegenstandswertgebundenen Höhe der Vergütung (vgl. die Werttabelle zu § 13 RVG ) geboten. Denn der staatliche Einziehungsanspruch ( § 73 Abs. 1 , § 73c Satz 1 StGB ) war bei zutreffender rechtlicher Wertung von vornherein auf die Abschöpfung der Wertsteigerung beschränkt; in diesem Sinne haben die Angeklagten die weitergehenden Zusatzgebühren gemessen an dem höheren Gegenstandswert nicht veranlasst.

b) Diese Maßstäbe gelten auch für die in der ersten Instanz entstandenen zusätzlichen Verteidigergebühren, die am Einziehungsumfang zu bemessen sind; dieser ergibt sich seinerseits aus dem Akteninhalt, insbesondere der Anklage.

aa) Da der Senat bezüglich der Einziehungsanordnungen in der Sache selbst entscheidet, ist ihm insoweit – nicht anders als etwa bei einem Teilfreispruch ( § 354 Abs. 1 , § 467 Abs. 1 StPO ) – die Entscheidung über die zugehörigen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen der Beteiligten zugewiesen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Dezember 1972 – 2 StR 29/72 , BGHSt 25, 77, 79 ).

bb) In diesem Fall hält es der Senat für geboten, nach der Vorschrift des § 465 Abs. 2 Satz 3 StPO über die zusätzlichen Gegenstandswertgebühren gesondert zu befinden (vgl. zu § 465 Abs. 2 Satz 2 StPO und einem gegenüber dem Anklagevorwurf gravierend milderen Schuldspruch: BGH, Beschlüsse vom 9. Oktober 2012 – 5 StR 441/12 Rn. 4, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Zurückverweisung 1 ; vom 2. Juni 2005 – 4 StR 177/05 Rn. 4 und vom 12. Februar 1998 – 1 StR 777/97 Rn. 3, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Billigkeit 4 ; zu einem – nach Aufhebung und Zurückverweisung – erheblich reduziertem Schuldumfang: BGH, Beschluss vom 21. September 1988 – 3 StR 349/88 Rn. 4, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Billigkeit 1 ). Eine gesonderte Auslagenentscheidung kann auch als Folge einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO in Betracht kommen ( BGH, Beschlüsse vom 17. März 1992 – 4 StR 34/92 Rn. 2 und vom 11. Juni 1991 – 1 StR 267/91 Rn. 10, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Billigkeit 3 zu Sachverständigenkosten; vgl. auch § 421 Abs. 1 Nrn. 1, 2 StPO ). Für die mit § 473 Abs. 4 StPO gleichlaufende Billigkeitsentscheidung sind folgende Erwägungen zu beachten:

(1) Die Tatgerichte sollen im Sinne der ʺWirtschaftlichkeit des Verfahrensʺ zügig über die Schuld- und Straffrage entscheiden; damit sie sich auf diese Hauptsache konzentrieren können, soll ihnen im Rahmen der bloßen Nebenentscheidung keine eigene Pflicht zur eingehenden Untersuchung der Auslagenfrage aufgebürdet werden ( BGH, Beschluss vom 24. Januar 1973 – 3 StR 21/72 , BGHSt 25, 109, 112-114). Deswegen ist die Vorschrift des § 465 Abs. 2 StPO , mit deren Hilfe die Strafgerichte die umfassende Kostentragungspflicht der verurteilten Angeklagten abmildern können, um zu gerechten Kostenergebnissen zu gelangen, als Billigkeitsregelung ausgestaltet. Zudem ist stets zu beachten, dass die Täter durch ihre Straftaten die Strafverfolgungsmaßnahmen veranlasst haben. Der Staat ist im Strafprozess nicht als teilweise unterlegen anzusehen, wenn sich die Anklagevorwürfe nicht in vollem Umfang erweisen lassen ( BGH, Beschluss vom 24. Januar 1973 – 3 StR 21/72 , BGHSt 25, 109, 118 f. ).

(2) Die zusätzlichen Gebühren lassen sich auch für die erste Instanz dem Grund nach leicht ausscheiden und der Höhe nach einfach berechnen (vgl. LR/StPO-Hilger, 26. Aufl., § 465 Rn. 24; SSW-StPO/Steinberger-Fraunhofer, 4. Aufl., § 465 Rn. 9; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 1973 – 3 StR 21/72 , BGHSt 25, 109, 112 f., 116 und vom 23. September 1981 – 3 StR 341/81 Rn. 3).

c) Gesonderte Gerichtsgebühren fallen für die Einziehung im ersten Rechtszug nicht an (vgl. Teil 3 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ); auch sind insoweit keine gerichtlichen Auslagen aus Billigkeitsgründen auszuscheiden. Insbesondere die Auslagen für den Sachverständigen waren bereits für den Schuld- und Strafausspruch relevant, die sich nicht betrags- und damit nicht quotenmäßig zur Einziehung in Beziehung setzen lassen. Regelmäßig werden sich Schuld- und Einziehungsumfang decken und sich daher die einzelnen Untersuchungen auf beide zugleich erstrecken.“

Interessante Entscheidung. Da kann es um ganz schöne Beträge gehen.

Gegenstandswert I: Adhäsionsverfahren, oder: (Nur) teilweise beschränkte Revision

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Heute ist RVG-Tag. An dem werde ich zwei Entscheidungen zur Bemessung des Gegenstandswertes vorstellen. Damit hat der Verteidger ja an sich weniger zu tun, aber ein paar Gebührenziffern sind dann der Höhe nach doch auch beim Verteidiger vom Gegenstandswert abhängig, so z.B. die Nrn. 4142, 4143 VV RVG oder auch, wenn der Verteidiger in Strafvollzugssachen tätig wird.

Aus dem Bereich als erste Entscheidung hier der BGH, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 StR 351/20 – zur Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltlichen Tätigkeit im Adhäsionsverfahren, und zwar für die Revisionsinstanz, wenn lediglich die Frage der Unterbringung vom Revisionsangriff ausgenommen worden ist, nicht aber auch die Entscheidung im Adhäsionsverfahren:

„Der nach § 33 Abs. 1 RVG durch den Senat (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 6. Juni 2018 – 2 StR 337/14, juris Rn. 5; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – XI ZR 355/18, juris Rn. 39 mwN) festzusetzende Gegenstandswert für die Berechnung der Gebühren der anwaltlichen Tätigkeit des Antragstellers für den Adhäsionskläger im Revisionsverfahren (§ 2 Abs. 1, § 23 Abs. 1 RVG) bemisst sich, da der Angeklagte lediglich die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB von seinem im Übrigen unbeschränkten Revisionsangriff ausgenommen hat, nach der erstinstanzlichen gesamtschuldnerischen Verurteilung des Angeklagten (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juni 2018 – 2 StR 337/14, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 8. September 2020 – 6 StR 95/20, juris Rn. 1). Denn die im Auftrag des Adhäsionsklägers erfolgte anwaltliche Tätigkeit des Antragstellers umfasste die Verteidigung des vom Landgericht zu dessen Gunsten zuerkannten Betrages in Höhe von 3.710 €. Das vom Angeklagten im landgerichtlichen Adhäsionsverfahren erklärte Teilanerkenntnis in Höhe von insgesamt 1.460 € bleibt daher außer Betracht.“

Rücknahme der Revision der StA, oder: Wie ist das dann mit der Verfahrensgebühr des Verteidigers?

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Die zweite Entscheidung vom vom LG Detmold. Das hat im LG Detmold, Beschl. v. 18.12.2020 – 23 Qs-21 Js 463/18-142/20 – zur Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren und zur Frage der „Erstattungsfähigkeit“ der Gebühren für das Revisionsverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Revision vor der Begründung zurücknimmt. Das ist ja eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt.

Dazu das LG:

„Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 und 4 RVG zulässig und auch in der Sache begründet. Dem Verteidiger steht für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG sowie die Pauschale für Post und Telekommunikation in Höhe von 609,38 EUR brutto gegen die Staatskasse zu.

1. Rechtsgrundlage für die Vergütung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG die Bestellung durch den Vorsitzenden des Gerichts (§ 141 StPO). Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet gemäß § 143 Abs. 1 StPO grundsätzlich mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens, wirkt also auch im Revisions-verfahren fort. Der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers richtet sich unmittelbar gegen die Staatskasse (OLG Düsseldorf Beschluss vom 10. März 2004 — 111-2 Ws 40/05, 2 Ws 40/05 m.w.N.).

2. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG liegen vor. Die hier zur Beurteilung stehende Tätigkeit des Verteidigers war von seiner Pflichtverteidigerbestellung umfasst. Durch die Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren werden alle Tätigkeiten des Verteidigers abgegolten, die nicht durch gesonderte Gebühren – wie z.B. Terminsgebühren für einen Hauptverhandlungstermin – erfasst sind. Dabei entsteht die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Revisions-instanz (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG § 1 Rn 103; Gerold/Schmidt/Burhoff VV 4130 Rn 4). Dies entspricht dem in der amtlichen Vorbemerkung 4 Abs. 2 festgelegten Willen des Gesetzgebers, dass die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information entstehe.

a) Die vorliegend durch den Verteidiger beschriebenen Tätigkeiten wurden im Rahmen des Revisionsverfahrens erbracht. Denn die Staatsanwaltschaft Detmold hat mit Schriftsatz vom 3. September 2019 (BI. 120 d.A.) Revision gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 29. August 2019 eingelegt.

Das Revisionsverfahren beginnt mit der Einlegung der Revision gemäß § 341 StPO. Nach dieser Vorschrift muss die Revision binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingereicht werden. Die Revisionseinlegung ist stets vorbehalt- und bedingungslos (Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 341 Rn 4 und 5) und löst Gerichtskosten aus (§ 473 StPO). Die rechtzeitige Einlegung einer statthaften Revision hemmt die Rechtskraft des tatrichterlichen Urteils und bewirkt, dass ein nach Erlass des Urteils eintretendes Prozesshindernis zur Einstellung des Verfahrens führt, auch wenn die Revision nicht oder nicht ordnungsgemäß begründet wird (KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 341 Rn 23). Aus alledem folgt, dass mit der Einlegung der Revision der Staatsanwaltschaft die Berufungsinstanz beendet war und das Revisionsverfahren begann.

b) Der Beschwerdeführer hat rechtsanwaltliche Tätigkeiten im Rahmen des Revisions-verfahrens erbracht. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses (BI. 129 d.A.) wurde dem Verteidiger der Revisionsschriftsatz der Staatsanwaltschaft Detmold am 4. Oktober 2019 zugestellt. Damit hat der Verteidiger die Revisionsschrift der Staatsanwaltschaft entgegengenommen und die erste Tätigkeit im Rahmen des Revisionsverfahrens entfaltet.

Der Beschwerdeführer hat den Verurteilten anlässlich der Revisionseinlegung auch bezogen auf dessen Einzelfall beraten. So hat er ihn nicht nur über die Bedeutung der Revisionseinlegung und den weiteren Verfahrensgang im Allgemeinen, sondern auch konkret über die Folgen der Revision für seine Bewährung aufgeklärt. Dies war für den Verurteilten, dem für seine Bewährung Auflagen und Weisungen aufgegeben worden sind, auch von besonderer Bedeutung. Schließlich hat der Verteidiger auch glaubhaft dargelegt, bereits Vorbereitungen hinsichtlich einer Gegenerklärung zu der zu erwartenden Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft getroffen zu haben.

c) Die dargelegten anwaltlichen Tätigkeiten waren erstattungsfähig. Dabei ist grundsätzlich nicht zu prüfen, inwieweit die gebührenauslösende Tätigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung unbedingt erforderlich war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG § 55 Rn 53). Etwas anderes gilt nur, wenn eine Prozesshandlung völlig überflüssig oder bedeutungslos war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O.). Im vorliegenden Fall waren die Tätigkeiten des Beschwerdeführers nicht nur nicht „völlig überflüssig oder bedeutungslos“, sondern zur sachgemäßen Verteidigung erforderlich.

Dies gilt zunächst bereits für die Entgegennahme der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft. Denn durch die Revisionseinlegung wurde, wie bereits dargestellt, das Revisionsverfahren in Gang gesetzt und damit der Beratungsbedarf des Verurteilten hinsichtlich der unmittelbaren Folgen der Revisionseinlegung für ihn ausgelöst.

Auch stellt die Revisionseinlegung einen für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgang dar und führt dazu, dass der Verurteilte gemäß § 11 BORA hierüber ohne besondere Aufforderung durch den Verteidiger zu unterrichten ist. Die darauf folgende Beratung hinsichtlich der Wirkung des Revisionsverfahrens auf die Bewährung und die damit verbundenen Weisungen und Auflagen war objektiv notwendig. Für den Verurteilten als juristischem Laien war nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Folgen die Revisionseinlegung für die Bewährung und insbesondere die Bewährungsauflagen haben würde. Da diese Beratung erst durch die Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft erforderlich wurde, war die Tätigkeit des Verteidigers nicht mehr durch die Gebühren des Berufungsverfahrens gedeckt. Denn ohne die Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft wäre die anwaltliche Tätigkeit des Pflichtverteidigers beendet und der Verurteilte hinsichtlich etwaigen Beratungsbedarfs an seinen Bewährungshelfer zu verweisen gewesen.

Schließlich war die Beratung auch unmittelbar nach Zustellung der Revisionseinlegung und nicht erst mit Eingang der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Denn Beratungsgegenstand war insoweit nicht nur die materielle Beurteilung der Erfolgsaussichten der Revision, sondern zumindest auch der Einfluss der Revisionseinlegung auf die dem Verurteilten mit dem Bewährungsbeschluss auferlegten Pflichten.

Zu der Beratung seines Mandanten war der Verteidiger berufsrechtlich vor dem Hintergrund von § 11 Abs. 2 BORA im Übrigen auch verpflichtet. Denn nach dieser Vorschrift sind Anfragen des Mandanten unverzüglich zu beantworten, wovon nur querulatorische oder gänzlich unbedeutende Anfragen ausgenommen sind (Henssler/Prütting BORA § 11 Rn 9). Querulatorisch oder gänzlich unbedeutend war der Beratungsbedarf des Verurteilten vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen indes nicht.

Des Weiteren war auch die durch den Verteidiger behauptete Vorbereitung einer Gegenerklärung zu der erwarteten Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft zur sachgemäßen Verteidigung zweckdienlich. Auch ohne Kenntnis der konkreten Angriffsmittel der Staatsanwaltschaft ist es – wie der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt hat – möglich und im Einzelfall auch sinnvoll, erste Vorbereitungen für das weitere Revisionsverfahren zu treffen. Mit der Rücknahme der Revision durch die Staatanwaltschaft oder der Versäumung der Begründungsfrist mit der Folge der Unzulässigkeit der Revision braucht die Verteidigung entgegen der Ausführungen des Amtsgerichts Lemgo, Beschluss vom 9. Oktober 2020, nicht zu rechnen.“

Der Beschluss ist richtig. M.E. hat sich das LG aber zu viel Mühe gemacht. Der Kollege war Pflichtverteidiger. Da kommt es auf die Frage der „Erstattungsfähigkeit“ der Gebühren nicht an. Das LG hat also wahrscheinlich schon mal „geübt“, wenn der Kollege Evers, der mir den Beschluss geschickt hat, für den Mandanten die Wahlanwaltsgebühren geltend macht. Aber: Die Ausführungen des LG haben natürlich auch so eine gewisse Berechtigung, weil sie sich gegen den Einwand: „sinnlose Tätigkeit“ richten.

Im Übrigen: Nicht zu früh freuen. Das LG hat die weitere Beschwerde zugelassen. Das bedeutet, dass demnächst das OLG Hamm entscheiden wird. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bezirksrevisor die Entscheidung ohne weiteren Kampf hinnehmen wird.

Verfahrensverzögerung, oder: Drei Jahre beim BGH bringen drei Monate „Straferlass“

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Die 25. KW. beginnt, ich hoffe der Strat wird nicht genau so holperig wie der gestrige Start der WM für „unsere2 .-) Jungs. Eins ist allerdings klar: Am Ende der Woche sind „wir“ immer noch Weltmeister 🙂 .

Hier starte ich dann mit zwei Entscheidungen zur Verfahrensverzögerung in die Woche, und zwar zunächst mit dem BGH, Beschl. v. 08.03.2018 – 3 StR 63/15. Das ist das Verfahren, das zum BGH, Beschl. v. 24.07.2017 – GSSt 3/17 – geführt hat (vgl. Der Alkohol und die Strafrahmenverschiebung, oder: “gesellschaftliches Steuerungselement”). Naturgemäß dauern die Verfahren, in denen dem Großen Senat vorgelegt wird, immer sehr lange. So auch dieses, was man schon am 2015-er-Aktenzeichen erkennen kann. Und dann stellt sich immer die Frage, ob und wie diese Verfahrensverzögerung zu kompensieren ist. Und darauf will ich hier, nachdem ich zu der eigentlich entschiedenen Frage ja bereits berichtet habe, eingehen.

Der BGH führt dazu aus:

„3. Die – mittlerweile eingetretene – zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung führende Verletzung des Beschleunigungsgebots gebietet eine Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 135 ff.), die der Senat auf drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe bemisst. Eine Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht scheidet aus, weil weder das landgerichtliche Verfahren noch dessen Urteil an einem Rechtsfehler leidet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2017 – 2 StR 495/12, juris Rn. 33).

a) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK fordert eine Erledigung des Strafverfahrens in angemessener Zeit. Wird das hieraus folgende Beschleunigungsgebot in rechtsstaatswidriger Weise verletzt, ist eine Kompensation angezeigt.

Nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung führt zu einer derartigen Verletzung des Beschleunigungsgebots. Dies gilt auch für besondere Verfahrensvorgänge, die das Gesetz vorsieht, wie das in § 132 GVG geregelte Verfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 StR 429/09, StV 2011, 407 f.). Die für die Anfrage, die Vorlage und die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen benötigten Zeiträume sind für sich genommen keine Gründe für eine Kompensation.

Etwas anderes gilt bei überlanger Verfahrensdauer, die das Maß des Angemessenen überschreitet. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist durch eine auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalles bezogene Gesamtwürdigung zu prüfen. Dabei sind vor allem die durch Verhalten der Justizorgane verursachten Verzögerungen, aber auch die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Prozessstoffs sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens für den Betroffenen verbundenen Belastungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2017 – 2 StR 495/12, juris Rn. 35; Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 147).

b) Hieran gemessen war das nunmehr mehr als drei Jahre währende Revisionsverfahren überlang.

Das angefochtene Urteil ist am 8. August 2014 ergangen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Angeklagte bereits nahezu acht Monate in Untersuchungshaft, die bis zum heutigen Tag vollzogen wird. Am 24. Februar 2015 sind die Akten mit dem Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof eingegangen. Am 28. Februar 2015 hat der Beschwerdeführer die Begründung der Sachrüge nachgereicht. Nachdem der Senat die Sache zweimal vorberaten hatte, ist am 15. Oktober 2015 der Anfragebeschluss ergangen, der am 10. November 2015 an die anderen Strafsenate abgesandt worden ist. Deren Antworten sind am 15. März 2016 (5. Strafsenat), 28. Juni 2016 (1. Strafsenat), 22. August 2016 (4. Strafsenat) sowie 20. Januar 2017 (2. Strafsenat) eingegangen. Noch bevor sämtliche Antworten vorlagen, hat der Senat am 20. Dezember 2016 den Vorlagebeschluss erlassen; er ist dem Großen Senat für Strafsachen am 22. Februar 2017 übermittelt worden. Dieser hat über die Vorlage am 24. Juli 2017 beraten und beschlossen; anschließend sind die Gründe abgesetzt worden. Der Beschluss ist beim Senat am 1. März 2018 eingegangen.

Die Prüfung der geschilderten Abläufe ergibt, dass – trotz der für die Richter aller Strafsenate und des Großen Senats erforderlichen zeitintensiven Befassung mit der hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage – die Zeiträume zwischen der Absendung der Anfrage an die anderen Strafsenate und der Übermittlung der Vorlage an den Großen Senat (mit fast 15 Monaten) sowie zwischen dieser Übermittlung und dem Eingang dessen Beschlusses (mit knapp 13 Monaten) unangemessen groß waren. Darüber hinaus ist bei der Prüfung insbesondere auch die Gesamtdauer des Revisionsverfahrens von mehr als drei Jahren in den Blick zu nehmen, die es unter den gegebenen Umständen im Ganzen als (um ein Jahr) zu lang erscheinen lässt.

c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Umfang der zur Kompensation erforderlichen Vollstreckungsanrechnung nicht mit dem Ausmaß der Verfahrensverzögerung gleichzusetzen, sondern sie hat nach den Umständen des Einzelfalls grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 147; vom 7. Juni 2011 – 4 StR 643/10, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 41; vom 12. Februar 2015 – 4 StR 391/14, wistra 2015, 241, 242). Um jede Benachteiligung auszuschließen, erklärt der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere auch der gegen den Angeklagten vollzogenen Untersuchungshaft, drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt.“

Der BGH schlägt zum „kleinteiligen“ Kammergericht zurück, oder: Mia san mia

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Der ein oder andere Leser wird sich noch an den KG, Beschl. v. 17.01.2018 – 4 Ws 159 u. 160/17 – und mein Posting dazu: “Sieben Monate beim BGH ist zu lang”, oder: Klatsche für den 1. Strafsenat vom KG erinnern. Das endete mit: „Nachdem meine Frage 2 aus dem Posting: Gut (?) Ding, will (lange) Weile haben, oder: Sieben Monate beim BGH ist auch in einer Haftssache nicht so schlimm, beantwortet ist, bleibt dann noch, wie der BGH nun mit der Verfahrensverzögerung umgehen wird. Vor allem: Sagt er überhaupt etwas dazu?

Nun, die Frage ist jetzt mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2018 – 1 Str 36/17, der erst sein ein paar Tagen auf der Homepage des BGH veröffentlicht worden ist, beantwortet. Der BGH hat etwas gesagt, und dann gleich etwas für BGHSt: Und man merkt dem Beschluss m.E. deutlich an, wie angefressen der BGH über die Rüge aus Berlin, dass es bei ihm zu lange gedauert hat, ist/war. Der Leitsatz der BGH-Entscheidung:

„Der Bundesgerichtshof hat das Beschleunigungsgebot in Haftsachen eigenständig – unter den spezifischen Bedingungen des Revisionsverfahrens – zu wahren; er ist nicht gehalten, Einzelheiten zum internen Arbeitsablauf des Senats den mit der Haftkontrolle befassten Gerichten mitzuteilen.“

Hintergrund dieses Leitsatzes ist der Umstand, dass das KG moniert hatte, dass nicht bzw. nicht ausreichend Auskunft aus Karlsruhe bekommen hatte. Das mag der BGH nun gar nicht, oder: Mia san mia. Und wir werden doch nicht einem OLG Auskunft = Rechenschaft geben – was wir im Übrigen auf der Grund der gesetzlichen Konstruktionen der Zuständigkeiten auch gar nicht müssen. Wir passen selbst auf den Beschleunigungsgrundsatz auf und haben den im Blick (hoffen wir es).

Und: Zu langsam ist es bei uns auch nicht gegangen, denn:

„c) Eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes ist – entgegen der Auffassung des Kammergerichts – nicht erkennbar.

(1) Das angefochtene Urteil ist am 8. April 2016 ergangen, zugleich wurde bezüglich beider Angeklagten die Haftfortdauer angeordnet. Das schriftliche Urteil und das Protokoll über die Hauptverhandlung wurden den Verteidigern der Angeklagten K. am 6. bzw. 7. September 2016 zugestellt. Gegen das Urteil haben der Angeklagte E. , der Angeklagte A. sowie die Staatsanwaltschaft Berlin und drei Verfallsbeteiligte Revision eingelegt. Die Verteidiger der Angeklagten E. und A. haben ihre Rechtsmittel mit zahlreichen Verfahrens- und Sachrügen begründet. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der revidierenden Verfallsbeteiligten richten sich – nach Teilrücknahme – nur noch gegen die Verfallsentscheidungen.

(2) Bei dem gegenständlichen Revisionsverfahren handelt es sich um ein sehr komplexes und umfangreiches Wirtschaftsstrafverfahren wegen Steuerhinterziehung, bei dem ohne weiteres erkennbar ist, dass bereits die Vorbereitung der Senatsberatung erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordert. Dies zeigt sich schon am Umfang der Verfahrensakten des Revisionsverfahrens mit zehn Stehordnern, die neben dem angefochtenen Urteil mit 1.001 Seiten Revisionsbegründungen der Beschwerdeführer mit zahlreichen Verfahrens- und Sachrügen, der Staatsanwaltschaft Berlin und von drei Verfallsbeteiligten sowie Anträge des Generalbundesanwalts und Gegenerklärungen von Verfahrensbe-teiligten enthalten. Dabei umfassen die Revisionsbegründungen der Beschwerdeführer jeweils drei Stehordner; weitere drei Stehordner beinhalten die Revisi-onsbegründungen der Staatsanwaltschaft Berlin und von drei Verfallsbeteiligten, die Antragsschriften des Generalbundesanwalts und Revisionsgegenerklärungen.

Beide Angeklagte waren aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 1. Juli 2014 – 348 Gs 1872/14 – am 14. Juli 2014 festgenommen worden und befanden sich seither ununterbrochen in dieser Sache bis zum Beschluss des Kammergerichts vom 17. Januar 2018 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit.

(3) Bei diesem Ablauf liegt eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen nicht vor, sodass auch eine überlange Verfahrensdauer, die nach dem Vollstreckungsmodell der Rechtsprechung zu kompensieren wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 135 ff.), nicht gegeben ist. Eine Bearbeitungsdauer von etwa acht Monaten nach Ablauf der Frist in § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO bis zur Entscheidung durch den Senat über die Revisionen der Angeklagten ist in Anbetracht des Umfangs des Verfahrens nicht als erhebliche, vermeidbare Verzögerung anzusehen. Es bedarf dabei keines weiteren Eingehens auf die (teilweise kleinteiligen) Erwägungen des Kammergerichts.“

Ah, „teilweise (kleinteilige) Erwägungen des Kammergerichts„. Nun zumindest das hätte man sich als letzten Schlag ersparen können/sollen. Immerhin ging es um das Freiheitsgrundrecht des Angeklagten. Und „kleinteilig“ – ich weiß nicht bzw. wie war das noch mit den Steinen und dem Glashaus.

Zu dem Beschluss des KG hatte übrigens auch schon  VorsRi BGH a.D. Th. Fischer im StraFo Stellung genommen. Der war auch „not amused“.