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OLGs können auch überraschen, oder: Mal kein Theater um die Mittelgebühr

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Ich habe dann noch den OLG Oldenburg, Beschl. v. 04.04.2018 – 1  Ws 157/18 u. 1 Ws 158/18. Es geht u.a. um die Gebühren des Verteidigers des Angeklagten in einem Revisionsverfahren beim BGH. Revision hatte der Nebenkläger eingelegt. Dessen Revision hatte beim BGH keinen Erfolg. Dem Nebenkläger sind die Kosten auferlegt worden. Es ging jetzt noch um die Höhe der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG. Die hatte das LG in Höhe der Mittelgebühr festgesetzt. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte:

„Auch die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 23. Februar 2018 betreffend die Festsetzung der notwendigen Auslagen des Angeklagten im Revisionsverfahren ist unbegründet. Der Nebenkläger hatte Revision gegen Urteil des Landgerichts eingelegt, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist. Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2017 hatte der Verteidiger beantragt, die Revision des Nebenklägers zu verwerfen, wodurch die Gebühr Nr. 4130 VV RVG entstanden ist (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 23. A., Nr. 4130 VV.

Angesichts des Umstandes, dass die Revision des Nebenklägers mit der Erhebung der Sachrüge begründet wurde und somit eine materiell-rechtliche Prüfung durch den Angeklagten sowohl möglich als auch erforderlich war, erscheint die vom Landgericht festgesetzte Mittelgebühr jedenfalls nicht unbillig i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG.“

Manchmal überraschen (OLG-)Entscheidungen. Da gibt es hier dann mal einfach so 🙂 die Mittelgebühr. Und in anderen Verfahren: Riesentheater :-).

„Sieben Monate beim BGH ist zu lang“, oder: Klatsche für den 1. Strafsenat vom KG

entnommen openclipart.org

Ich hatte ja vorhin über den BGH, Beschl. v. 23.01.2018 – 1 StR 36/17 – berichtet und darin dann die Frage gestellt, wie wohl das KG mit der Haftbeschwerde des inhaftierten Angeklagten, dessen Revisionsverfahren beim BGH nun schon (mehr) als sieben Monate gedauert hat, umgehen wird. Nun, die Antwort kann man im KG, Beschl. v. 17.01.2018 – 4 Ws 159 u. 160/17 nachlesen; besten Dank an Oliver Garcia für den Hinweis.

Das KG hat, was mich im Grunde nicht überrascht, den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben. Es sieht in der Verfahrensweise (beim BGH) eine nicht hinnehmbare Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes. Und es findet, was mich dann überrascht, recht deutlich Worte, ja ähnlich wie das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 03.02.2016 – 1 Ws 186/15 (dazu: „Fall Thomas Fischer“?, oder: Klatsche für ….?) betreffend den 2. Strafsenat. Den Beschluss des KG findet man auf der Homepage der Verteidiger, den Rechtsanwälten Eisenberg/König/Schork, in Berlin.

Und das KG findet recht drastisch Worte – interessant 🙂 wird es ab Seite 13 des Beschlusses:

  • Das Revisionsgericht ist in der Bearbeitung der Eingänge nicht frei.
  • Nicht nachvollziehbar, dass das Verfahren erst zwei Wochen nach Eingang dem Vorsitzenden vorgelegt worden ist.
  • Erstellung des Vorgutachtens des wissenschaftlichen Mitarbeiters innerhalb der Frist, die der GBA gebraucht hat, um die Revisionsrügen zu prüfen und Stellung zu nehmen, „gerade noch verfahrensangemessen“.
  • Durcharbeiten des Vorgutachtens und seine Prüfung durch Vorsitzenden und Berichterstatterin durfte nicht mehr als zwei Monate dauern.
  • „Beratungsreife“ hätte nach sechs Monaten eintreten müssen.

Fazit: Die vorgesehene (!) Beratung im Januar 2018 war ersichtlich zu spät, zumal nicht erkennbar ist, ob die angekündigten Gegenerklärungen rechtzeitig zu den Akten gelangen und zur Beratung vorliegen. Alles in allem: So zögerlich darf man in einem Revisionsverfahren, in dem sich der Angeklagte im Januar 2018 bereits „drei Jahre und sechs Monate“ in U-Haft befunden hat, nicht arbeiten. Folge für das KG: Aufhebung des Haftbefehls.

Nachdem meine Frage 2 aus dem Posting: Gut (?) Ding, will (lange) Weile haben, oder: Sieben Monate beim BGH ist auch in einer Haftssache nicht so schlimm, beantwortet ist, bleibt dann noch, wie der BGH nun mit der Verfahrensverzögerung umgehen wird. Vor allem: Sagt er überhaupt etwas dazu?

Gut (?) Ding, will (lange) Weile haben, oder: Sieben Monate beim BGH ist auch in einer Haftssache nicht so schlimm

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So, Schluss mit lustig/Karneval. Das – Schluss mit lustig – hatte sich ein Verteidiger in einem Revisionsverfahren beim BGH gedacht. Die Revision war dort am 04.05.2017 eingegangen, der Verteidiger/Angeklagte hatte von der Sache bis Jahresende nichts gehört. Am 13.12.2107 hat ihm die Berichterstatterin dann mit mitgeteilt, dass nicht beabsichtigt sei, aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden und: Beraten werden soll in der 2. KW. 2018. Der Angeklagte, der sich in Haft befindet, hat daraufhin den gesamten 1. Strafsenat des BGH wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründung: Eine Bearbeitung des Verfahrens seit Eingang am 04.05.2017 beim BGH sei – auch in Anbetracht der Inhaftierung des Angeklagten – nicht erfolgt. Aus Sicht des Angeklagten stelle sich die Situation so dar, dass die abgelehnten Richter die Revision des Angeklagten zwar am 04.05.2017 zur Kenntnis genommen und sowohl den Gegenstand des Urteils wie den Inhalt der Angriffe erfahren, gleichwohl bis zum 13.12.2017 auch in Kenntnis der Inhaftierung des Angeklagten nicht daran gearbeitet hätten.

Dazu dann der 1. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 23.01.2018 – 1 StR 36/17. Fazit: (natürlich) keine Besorgnis der Befangenheit, denn:

2. Ausgehend von diesen Maßstäben liegt gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum kein Ablehnungsgrund vor.

Bei dem vorliegenden Revisionsverfahren handelt es sich um ein sehr komplexes und umfangreiches Verfahren, bei dem ohne weiteres erkennbar ist, dass bereits die Vorbereitung der Senatsberatung erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordert. Dies zeigt sich schon am Umfang der Verfahrensakten des Revisionsverfahrens mit zehn Leitz-Ordnern, die neben dem angefochtenen Urteil mit 1.000 Seiten Revisionsbegründungen mit einer Vielzahl von Verfahrens- und Sachrügen sowie Anträgen des Generalbundesanwalts und Gegenerklärungen von Verfahrensbeteiligten enthalten. Bei einem solch komplexen Verfahren besteht für einen Angeklagten bei vernünftiger Würdigung der gegebenen Sachlage – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um eine Haftsache handelt – kein Grund zur Annahme, der Senatsvorsitzende habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – dem Angeklagten bei einer im Mai 2017 beim Revisionsgericht eingegangenen Sache vor Dezember 2017 kein Sachstand mitgeteilt wird und dann eine Senatsberatung über die Sache erst im Januar 2018 ins Auge gefasst wird.

III.

Die Ablehnung der Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff wegen Besorgnis der Befangenheit ist nach den bereits dargestellten Maßstäben ebenfalls unbegründet.

Die abgelehnte Richterin ist in dem Revisionsverfahren Berichterstatterin. In ihrer dienstlichen Äußerung vom 11. Januar 2018 zu dem Ablehnungsgesuch hat sie darauf hingewiesen, im Rahmen der Vorbereitung der Beratung des Senats über die Revisionen festgestellt zu haben, dass das an den Senat gerichtete Schreiben des Verteidigers des Mitangeklagten, Rechtsanwalt K. , bislang noch nicht beantwortet worden sei. In seinem Schreiben habe  K.   um einen Hinweis für den Fall gebeten, dass der Senat nicht beabsichtigte, über die Revision seines Mandanten aufgrund einer Hauptverhandlung zu entscheiden. Dieser Bitte sei sie in Absprache mit dem Vorsitzenden durch das Schreiben vom 13. Dezember 2017 nachgekommen.

In dieser Stellungnahme wird deutlich, dass die Beantwortung des Schreibens des Verteidigers des Mitangeklagten seitens der Berichterstatterin deswegen am 13. Dezember 2017 erfolgte, weil sie im Rahmen der Vorbereitung der Beratung des Senats über die Revisionen festgestellt hatte, dass das Schreiben bislang nicht beantwortet wurde. Die sachgerechte Beantwortung dieser Anfrage erforderte bereits eine umfängliche Vorprüfung des unterbreiteten revisionsrechtlichen Sachverhalts. Bei verständiger Würdigung dieser Umstände besteht für den Angeklagten daher kein Grund zu der Annahme, die abgelehnte Richterin habe ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen, welche ihre Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Angesichts der Komplexität des Revisionsverfahrens mit dem sich hieraus für die Berichterstatterin ergebenden zeitlichen Aufwand bei der Vorbereitung der Senatsberatung besteht für den Angeklagten bei verständiger Würdigung des Sachverhalts auch im Hinblick darauf, dass die Sache als Haftsache bereits im Mai 2017 beim Senat eingegangen ist, kein Grund für Misstrauen in die Unparteilichkeit der abgelehnten Richterin. Gleiches gilt für den Umstand, dass der zunächst vorgesehene Beratungstermin aus dienstlichen Gründen um eine Beratungswoche verschoben werden musste.“

Wenn man es so liest – „Umfang der Verfahrensakten des Revisionsverfahrens mit zehn Leitz-Ordnern, die neben dem angefochtenen Urteil mit 1.000 Seiten Revisionsbegründungen mit einer Vielzahl von Verfahrens- und Sachrügen sowie Anträgen des Generalbundesanwalts und Gegenerklärungen von Verfahrensbeteiligten“ -, hat man den Eindruck, der 1. Strafsenat habe Tag und Nacht an der Revision gearbeitet. Das lassen wir mal dahin gestellt.

Für mich stellen sich allerdings zwei Fragen:

1. Wie wird der BGH diese rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung „wieder gut machen“/entschädigen?

2. Was macht das KG, das mit der Haftbeschwerde der inhaftierten (!) Angeklagten befasst ist?

 

Pflichti I: Umbeiordnung von Pflichtverteidigern, oder: Anweisung des BGH

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Heute dann mal wieder drei Pflichtverteidigungsentscheidungen. Zunächst den BGH, Beschl. v. 18.01.2018 – 4 StR 610/17. Der enthält im Grund genommen einen neuen Entpflichtungsgrund, und zware Entpflichtung auf „Anweisung“ des BGH in einer Sache, in der der bisherige Pflichtverteidiger die Revisionsbegründungsfrist versäumt hat, offenabr geschlampt. Jedenfalls setzt der BGH die Rechtsprechung des EGMR um:

„Der Senat stellt die Entscheidung über das fristgerecht eingegangene, gemäß § 300 StPO analog als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 17. März 2017 auszulegende Gesuch des Angeklagten vom 21. September 2017 sowie gegebenenfalls über den form- und fristgerecht angebrachten Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO zurück.

Die Sache ist zur Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers an das Landgericht zurückzugeben. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 10. Oktober 2002 – Az.: 38830/97 – liegt hier ein „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung vor. Der am 8. Juni 2017 in laufender Revisionsbegründungsfrist neu beigeordnete Verteidiger hat nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre (vgl. BVerfG, NJW 1983, 2762, 2765), die Revision des Angeklagten form- und fristgerecht begründet und auch auf spätere Anschreiben des Vorsitzenden der Jugendkammer sowie des Generalbundesanwalts nicht reagiert. In dieser Situation verlangt Art. 6 Abs. 3c MRK nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (aaO) „positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden“, um diesem Zustand abzuhelfen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 – 2 StR 265/15, StraFo 2016, 382). Dies wird das Landgericht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 141 Rn. 6, 6a mwN) mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung durch Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers zu veranlassen haben.

Der Senat weist darauf hin, dass der neu beizuordnende Pflichtverteidiger ab seiner Bestellung form- und fristgerecht die Revision zu begründen haben wird. Das wird den Senat in die Lage versetzen, über das anhängige Wiedereinsetzungsgesuch und gegebenenfalls auch über den Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO zu befinden.“

Der eine geht, der andere kommt.

Revision Gina-Lisa Lohfink, oder: Aus dem Dschungelcamp zum Kammergericht

entnommen wikimedia.org Urheber: Beek100 - Own work

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Außer der Reihe dann dieses Posting, weil ich gerade gefragt worden bin, was es denn nun mit dem Hauptverhandlung im Verfahren gegen Gina-Lisa Lohfink am 10.02.2107 beim KG für eine Bedeutung habe (vgl. hier aus der Bild):

Antwort: M.E zunächst mal nichts, außer, dass es für Gina-Lisa Lohfink aus dem Dschungelcamp dann sofort nach Berlin zum KG geht. Im Übrigen gilt Folgendes:

  • Die Revision ist zulässig. Sonst hätte das KG nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig im Beschlusswege verworfen.
  • Die GStA Berlin sieht die Revision offenbar nicht als“offensichtlich unbegründet“ an. Denn sonst hätte sie einen Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO gestellt. Das KG kann damit aber – selbst wenn es davon ausgeht, dass die Revision „offensichtlich unbegründet“ ist – nicht mehr nach § 349 Abs. 2 StPO verwerfen, da dafür eben der Antrag der GStA fehlt,
  • Das KG/der zuständige Senat hält die Revision aber offenbar auch nicht „einstimmig für begründet“, so dass eine Beschlussaufhebung nach § 349 Abs. 4 StPO auch nicht möglich war/ist. Selbst wenn es nur um die Strafhöhe gehen sollte: Für eine Verwerfung der Revision gegen den Schuldspruch fehlt der Antrag der GStA (s.o.).

Damit bleibt/blieb nur die Revisionshauptverhandlung nach § 350 StPO. Und damit ist eigentlich das Ziel der Revision – so habe ich es irgendwo gelesen: Keine weitere Hauptverhandlung – nicht erreicht. Oder hieß es gar: Freispruch ohne weitere Hauptverhandlung?

Jedenfalls werden die Rechtsfragen (!!!!!!!!!!) beim KG noch einmal geprüft. Auf der Grundlage der vom AG festgestellten Tatsachen. Das sollte man nicht vergessen. Und wie ich die Kollegen vom KG kenne: Das wird man sehr sorgfältig tun. Und wenn – auch nur teilweise – aufgehoben wird, wird Gina-Lisa Lohfink außer der Hauptverhandlung beim KG noch einmal eine Hauptverhandlung beim AG erleben (müssen). Denn dass das KG frei spricht, halte ich für mehr als unwahrscheinlich .

Das alles wird der Verteidiger Gina-Lisa Lohfink sicher schon erläutert haben. Denn das ist ja ein erfahrener Strafverteidiger. Hoffentlich.