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OWi I: Bußgeldbescheid mit falscher Tatortangabe, oder: Ermittlungsfehler der Polizei ==> Einstellung?

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Heute am „Tag der deutschen Einheit“ gibt es hier OWi-Entscheidungen. Es handelt sich weitgehend um Entscheidungen des KG. Das hatte jetzt mal wieder geliefert. Ich beschränke mich bei den Entscheidungen aber auf die Leitsätze. Grund: Die Entscheidungen sind zum Teil schon etwas älter oder es gibt zu den angesprochenen Fragen nichts Neues.

ich beginne hier mit Entscheidungen zum Bußgeldbescheid und  mit einer Entscheidung zur Verjährung, die in den Kontext passt. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

1. Die falsche Angabe zum Tatort beeinträchtigt weder die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids noch der Verjährungsunterbrechung, wenn der richtige und der falsche Tatort nahe beieinanderliegen und für den Betroffenen der wahre Tatort auch deshalb ohne weiteres erkennbar ist, weil er sogleich nach der Verkehrsordnungswidrigkeit von Polizeibeamten angehalten worden ist und sich ihnen gegenüber zu der Zuwiderhandlung äußern konnte.

2. Die Verfahrensrüge der Verletzung der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 265 StPO bzw. des Art. 103 Abs. 1 GG bedarf der Darlegung, wie sich der Betroffene anders verteidigt hätte, wenn er auf den veränderten Gesichtspunkt (hier: Tatort) förmlich hingewiesen worden wäre. 

1. Geht die behördliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen auf den Fehler eines einzelnen Polizeibeamten zurück (hier: fehlende Notierung eines Hausnummernzusatzes bei den Personalien des Betroffenen), so ist dieser der Verwaltungsbehörde grundsätzlich zuzurechnen (nicht tragend).

2. Fällt dem Polizeibeamten ein lässlicher und bei massenhafter Bearbeitung unausweichlich vorkommender Flüchtigkeitsfehler und nicht eine willkürliche Sachbearbeitung im Sinne einer sog. Scheinmaßnahme zur Last, so besteht kein Anlass, die verjährungsunterbrechende Wirkung der vorläufigen Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG) zu suspendieren (entgegen OLG Hamm NZV 2005, 491 und OLG Brandenburg NZV 2006, 100).

So und an einem OWi-Tag natürlich <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, in dem die Fragen, zu denen es heute Entscheidungen gibt. Das Buch kann man übrigens zusammen mit Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2023, in einem „Paket“, dem sog. Verkehrsrechtspaket bestellen. Zur Bestellung geht es dann hier. <<Werbemodus aus>>.

OWi II: Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs, oder: Keine (ausdrücklichen) Angaben zur Schuldform

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Und weiter geht es dann mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.08.2024 – 2 ORbs 83/24 – zur Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid.

Dazu meint das OLG:

„1. Die vom Senat aufgrund der zulässig erhobenen Sachrüge von Amts wegen durchzuführende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2020 – 7 Rb 24 Ss 986/20; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, § 352, Rn. 4) ergibt, dass das Amtsgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Ein-spruchs nach § 67 Abs. 2 OWiG ausgegangen ist, sodass die tatsächlichen Feststellungen des Bußgeldbescheides zum Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen sind.

Gemäß § 67 Abs. 2 OWiG kann der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Damit ist auch eine Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch möglich, da der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht. Die Feststellungen im Bußgeldbescheid zur Tat sind hinrei-chend konkretisiert und stellen eine ausreichende Grundlage für die Rechtsfolgenbemessung dar. Die wirksame Erklärung der Einspruchsbeschränkung des Betroffenen erfolgte durch sei-nen dazu gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG, § 302 Abs. 2 StPO ermächtigten Verteidiger mit Schriftsatz vom 7. Mai 2024.

Der Wirksamkeit der Beschränkung steht nicht entgegen, dass der Bußgeldbescheid – wie hier lediglich keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform enthält, sofern -wie-hier –die Verfol-gungsbehörde ihrer _Tatahndung_ – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der für eine tatein-heitliche oder tatmehrheitliche Verwirklichung nach §§ 19, 20 OWiG zu beachtenden Zumes-sungskriterien – offensichtlich die Regelsätze der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) zu Grun-de gelegt hat. Die Beträge des Bußgeldkatalogs in Abschnitt 1 gehen von fahrlässiger Bege-hung und gewöhnlichen Tatumständen aus (vgl. § 1 Abs. 2 BKatV). Setzt die Verwaltungsbe-hörde für einen dem Bußgeldkatalog (§ 1 BKatV) entsprechenden Tatbestand ohne weiteres die dort vorgesehene Regelgeldbuße fest oder legt sie diese bei der Verwirklichung mehrerer Tat-bestände ihrer Entscheidung zu Grunde, gibt sie damit zu erkennen, dass sie dem Betroffenen lediglich fahrlässiges Handeln zur Last legt (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 19. Oktober 2007 – 3 Ss OWi 1344/07; OLG Köln, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 1 RBs 197/18; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Januar 2021 – 2 RBs 141/11, jeweils m.w.N.).“

Wegen der Ausführungen des OLG zum Fahrverbot komme ich auf die Entscheidung noch einmal zurück.

OWi I: Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheides, oder: „völlig sprunghaft und ohne roten Faden“

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Und dann heute mal wieder ein paar OWi-Entscheidungen.

Ich starte mit dem AG Menden, Beschl. v. 26.06.2023 – 8 OWi 45/23 – zur Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheides. Das AG hat das Bußgeldverfahren eingestellt und führt aus:

„Mängel des Bußgeldbescheides sind im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich unbeachtlich, wenn der Bescheid nicht unwirksam ist. Unwirksam ist der Bußgeldbescheid nur bei schwerwiegenden Mängeln, liegen solche vor, ist das Verfahren mangels Vorliegens einer Prozessvoraussetzung gemäß §§ 36 Abs. 1 OWiG, 206a, 260 StPO einzustellen. Die tatsächliche und rechtliche Bezeichnung der Tat gemäß § 66 Abs. 1 Ziff. 3 OWiG soll die Beschuldigung eindeutig kennzeichnen. Wesentlich für die Bezeichnung ist deshalb, dass der Betroffene erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet, gegen welchen Vorwurf er daher seine Verteidigung richten muss. Es kommt darauf an, wie wahrscheinlich es ist, dass der Betroffene zu der angegebenen Zeit und in dem angegebenen Raum weitere gleichartige Ordnungswidrigkeiten verübt hat und eine Verwechselungsgefahr besteht. Gemessen hieran ist der Bußgeldbescheid ausreichend, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Tatidentität bestehen kann, also feststeht, welchen Sachverhalt er erfasst und ahnden soll (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 144/22).

Denn ob die im Bußgeldbescheid bezeichnete prozessuale Tat hinreichend genau bezeichnet ist, hängt davon ab, ob der Bußgeldbescheid seine diesbezügliche Aufgabe erfüllt, den Gegenstand des (gerichtlichen) Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abzugrenzen sowie den Betroffenen ohne Akteneinsicht und Einholung von Rechtsrat in die Lage zu versetzen, zu erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen ihn erhoben wird (vgl. KG, Beschluss vom 31.01.2019 – 3 Ws (B) 42/19122 Ss 19/19).

II.

Vorliegend weist der Bußgeldbescheid derartige schwerwiegende Mängel auf.

Der Bußgeldbescheid benennt insgesamt vier Taten, welche sich um 22:10 Uhr in 1. Balve und 2. um 22:20 Uhr in Menden ereignet haben sollen, wobei 1. und 2. auf der B515 1. Hönnetalstraße und 2. Bessemerweg stattgefunden haben sollen.

Nachfolgend sind die einzelnen Taten tabellarisch dargestellt, insoweit wird auf den Bußgeldbescheid verwiesen.

Allein auf Grundlage des Bußgeldbescheides ist es schon dem Gericht ohne vorherigen intensives Aktenstudium nicht möglich gewesen, den einzelnen benannten Taten den jeweiligen Tatort zuzuordnen. Die Aufzählung ist völlig sprunghaft und ohne roten Faden, so dass schon nicht ersichtlich ist, welche der vorgenannten – lückenhaften – Tatorte, welchem Tatgeschehen zugeordnet werden soll. Abgesehen davon finet sich die vorbezeichnete Nummerierung in der tabellarischen Auflistung schlicht nicht wieder, vielmehr werden in der Bezeichnung der jeweiligen Taten – wahrscheinlich wegen der angenommenen Tateinheit – sämtliche Taten unter Ziffer 1 aufgeführt, so dass anhand der Ziffern keine konkrete Zuordnung möglich ist. Darüber hinaus ist jedoch noch zu beachten, dass die in der Tabelle genannten Taten nicht dem zuvor bezeichneten chronologischen Ablauf folgen, sondern – vermutlich – dem Schweregrad nach dem Bußgeldkatalog, was die Zuordnung von Tatzeit und Tatort noch unmöglicher macht.

Zudem ist zu beachten, dass allein in der Schilderung des Zeugen Michel von mehreren Überholmanövern die Rede ist bei einer Fahrtstrecke, die über mehrere Kilometer geht und über mehrere Lichtzeichenanlagen und Sperrflächen verfügt. Auch hieraus ergibt sich, dass ohne Zuhilfenahme des weiteren Akteninhaltes eine Zuordnung der Verstöße nicht möglich ist.

1. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die sich insbesondere aus § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG ergebenden und den gesetzlichen Anforderungen an die strafprozessuale Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 S. 1 StPO) und den Strafbefehl (409 Abs. 1 S. 1 StPO) nachgebildeten Anforderungen an den Bußgeldbescheid als wirksame Verfahrensgrundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung dürfen nicht überspannt werden dürfen. Entscheidend ist allerdings, dass der Betroffene anhand der Tatbeschreibung des Bußgeldbescheides, also namentlich aus den Angaben zum Begehungsort und zur Tatzeit erkennen kann, wegen welchem konkreten Fehlverhalten er zur Verantwortung gezogen werden soll und insoweit eine Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausgeschlossen ist. Deshalb genügt zur Bezeichnung der „Tat“ im Sinne von § 66 Abs. Nr. 3 OWiG etwa die schlichte Angabe der abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll. Denn nur dann ist ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet. Der Umfang der Tatschilderung wird allerdings auch hier maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt. Da das Bußgeldverfahren eine schnelle und Verwaltungskosten einsparende Ahndung der Ordnungswidrigkeiten bezweckt, verbietet sich eine ausführliche Schilderung von selbst; auch ein in Rechtsfragen unerfahrener Bürger muss jedoch den Vorwurf verstehen können (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 12.08.2008 – 3 Ss OWi 896/08).

Diese Voraussetzungen erfüllt der hiesige Bußgeldbescheid – wie oben ausgeführt – schon nicht.

2. Die durch die unzulängliche Fassung des konkreten Tatgeschehens entstehenden Zweifel an der Tatidentität sind auch nicht unschädlich. Dies kann der Fall sein, wenn sowohl für den Betroffenen als auch für Dritte nicht offenbleibt, welcher Lebenssachverhalt durch den Bußgeldbescheid geahndet werden soll BeckOK OWiG/Sackreuther OWiG § 66 Rn. 29). Dies gilt beispielweise, wenn die, die Ordnungswidrigkeit beobachtenden Polizeibeamten den Betroffenen in unmittelbarer zeitlicher und/oder örtlicher Nähe mit der konkreten Bezeichnung des Fehlverhaltens konfrontieren.

Dies war jedoch hier gerade nicht der Fall, da der Zeuge pp. dem Betroffenen nur ganz allgemein auf sein Fahrverhalten angesprochen hat, ohne die konkreten Verstöße zu individualisieren.

3. Der vorbezeichnete Verstoß wird auch nicht durch Ergänzung der weiteren Akteninhalte „geheilt“. Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im Übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, „heilen”. Der Bußgeldbescheid erwächst, sofern er nicht angefochten wird, in Rechtskraft. Er muss daher auch selbst die für seine Wirksamkeit notwendigen Voraussetzungen erfüllen, d.h. die Gefahr einer Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausschien (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.09.2021 – 4 RBs 277/21).“

Bei einer so schönen Entscheidungsbegründung darf es hier auch mal etwas mehr Text sein. Und die Kosten- und Auslagenentscheidung ist auch richtig. Da muss die Staatskasse ran.

Ich nehme dann mal <<Werbemodus an>> diese Entscheidung auf „Burhoff (Hrsg.) Handuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024″ zu verweisen. Die Neuauflage liegt inzwischen vor und kann hier bestellt werden. In dem Buch sind die Fragen des Bußgeldbescheides eingehend erörtert. <<Werbemodus aus>>.

 

OWi I: Die Gestaltung des Bußgeldbescheides, oder: Konkreter Tatvorwurf nur in einer „Anlage“

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Und weil es gestern so schön war, heute dann gleich noch einmal OWi-Entscheidungen.

Zunächst kommt hier der KG, Beschl. v. 18.09.2023 – 3 ORbs 184/23 – 122 Ss 86/23 – zur Gestaltung des Bußgeldbescheides. Dazu das KG:

„Erläuternd bemerkt der Senat kursorisch:

Es entspricht gängiger Praxis der Polizei Berlin, bei Verkehrsordnungswidrigkeiten den konkreten Tatvorwurf in einem als Anlage bezeichneten Dokument zu bezeichnen. Der Senat beanstandet diese Praxis, zumal bei gänzlich einfach und leicht verständlich gelagerten Sachverhalten, nicht (vgl. etwa Beschluss vom 23. November 2015 – 3 Ws (B) 550/15 –). Er bewertet die Anlage, die zusammen mit dem Bußgeldbescheid erzeugt und durch ausdrückliche Inbezugnahme („siehe Anlage“) inkorporiert wird, als Bestandteil des Bußgeldbescheids (so i. E. auch OLG Düsseldorf NStZ 1992, 39 m.w.N.). Dies entspricht auch erkennbar der Gestaltungsabsicht der Verwaltungsbehörde, denn die Anlage enthält mit dem konkreten Tatvorwurf die Essenz des Bußgeldbescheids.

Die gängige Praxis der Polizei Berlin unterscheidet sich damit von dem Fall, dass dem Bußgeldbescheid bereits zuvor erzeugte Aktenbestandteile als Anlagen beigefügt werden (vgl. AG Dortmund StraFo 2019, 333). Ob auch bei dieser Vorgehensweise – entgegen der Rechtsprechung des Amtsgerichts Dortmund – von einem wirksamen Bußgeldbescheid ausgegangen werden könnte, muss der Senat nicht entscheiden.

In der Sache gilt, dass der Bußgeldbescheid in so verstandener Gänze sowohl seine Informations- als auch seine Umgrenzungsfunktion erfüllt.“

beA II: Owi-Antrag auf gerichtliche Entscheidung, oder: Richtige Rechtsmittelbelehrung?

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Und als zweite Entscheidung dann ein Beschluss des AG Aschersleben, und zwar der AG Aschersleben, Beschl. v. 18.07.2023 – 6 OWi 139/23, noch einmal zur richtigen Rechtsmittelbelehrung.

Es geht um einen Wiedereinsetzungsantrag. Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid per E-Mail Einspruch eingelegt, der von der Behörde als formwidrig verworfen worden ist. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG zurückgewiesen:

„1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, denn er ist nicht fristgerecht eingegangen. Nach Zustellung des Verwerfungsbescheides am 06.05.2023 lief die zweiwöchige Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 OWiG am 22.05.2023 ab, weil der 20.05.2022 ein Sonnabend war. Der Betroffene stellte erst am 23.05.2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, da es auf den Zeitpunkt des Ausdrucks der E-Mail ankommt (BGH NJW 2019, 2096 (2097); OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 10324; Thüringer Oberlandesgericht Beschluss vom 10. November 2017 – 1 OLG 145 SsBs 49/16). Anders als für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eröffnete die Behörde hier keinen zusätzlichen Übertragungsweg.

2. Dem Betroffenen war für diese Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Rechtsmittelbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid vom 03.05.2023 – anders als die Rechtsmittelbelehrung unter dem Bußgeldbescheid vom 21.03.2023 (AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online) – richtig ist und der Betroffene keine Gründe für eine unverschuldete Versäumung der Frist geltend gemacht hat.

Die Verwaltungsbehörde war nicht gehalten, in die Rechtsbehelfsbelehrung zusätzlich aufzunehmen, dass auch die elektronische Übersendung nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG möglich ist. Die Belehrung muss nur enthalten, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde oder schriftlich eingelegt werden muss, §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO. Die Behörde muss nicht darüber belehren, wie diese Schriftform einzuhalten ist. Seit dem 01.01.2022 muss die Verwaltungsbehörde zwar auch den Zugang nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG eröffnen. Darüberhinausgehende Zugangsmöglichkeiten stehen in ihrem Belieben (BeckOK OWiG/Gertler, 31. Ed. 1.7.2021, OWiG § 67 Rn. 69). Der Wortlaut von § 32a Abs. 3 StPO gestaltet jedoch keine neue Formvorschrift, sondern definiert die Umstände, unter denen ein elektronisches Dokument schriftlich abgefasst ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, erfüllt das Dokument die Schriftform. Es wird gerade keine neue Form geschaffen (was im Einklang mit BGH NJW 2019, 2096 (2097) steht), über die dann zu belehren wäre.

Auch wenn die Arten, Dokumente „schriftlich“ bei den Gerichten und Behörden einzureichen, damit noch unübersichtlicher werden und die „Schriftlichkeit“ kaum noch etwas mit dem gemeinen Wortsinn zu tun hat, ist es Aufgabe des Rechtsbehelfsführers, sich über die konkrete Art der Schriftform selbst zu informieren (BeckOK OWiG/A. Bücherl, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 50 Rn. 16.1).

Gemessen daran erfüllt die oben dargestellte Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid die Anforderungen der §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO.

Darüberhinausgehende Gründe, die für eine unverschuldete Fristversäumung sprächen, hat der Betroffene nicht dargetan. In seinem Schreiben vom 26.06.2023 wendet er sich inhaltlich im Wesentlichen gegen den Bußgeldbescheid, wenn er ausführt, dass die Geschwindigkeitstafeln keine Geschwindigkeitsbegrenzung angezeigt hätten. Das wäre erst nach zulässigem Einspruch zu prüfen gewesen. Dem Betroffenen ist zwar zuzustimmen, dass wir im Digitalzeitalter leben. Die Grenzen der Digitalisierung werden jedoch durch die Gesetze gezogen. Bei rechtzeitigem und formwirksamen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre seinem konkludenten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist auch entsprochen worden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Bußgeldbescheid wie in AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online dargestellt irreführend ist. Da er jedoch auch gegen den Verwerfungsbescheid nicht formgerecht Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellte und die Rechtsbehelfsbelehrung hier richtig ist, musste ihm der Erfolg versagt werden.

§ 110c OWiG i.V.m. § 32a Abs. 6 StPO ist nicht anzuwenden, weil sich dieser nur auf die Möglichkeit der Bearbeitung des eingereichten Dokuments, nicht jedoch auf die Einreichungsmodalitäten bezieht.“