Schlagwort-Archive: Einspruch

StPO II: Nachweis der Verständigungsmitteilung, oder: Genügende Entschuldigung für Ausbleiben im Termin?

© Corgarashu – Fotolia.com

Und dann die beiden Entscheidungen zur Hauptverhandlung, einmal geht es um den Nachweis der ausreichenden Mitteilung zu einer Verständigung (§ 243 Abs. 4 StPO) und einmal um die Verwerfung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid. Hier sind dann:

Die Protokollierung des Tatgerichts, dass der Vorsitzende den Inhalt eines richterlichen Vermerks über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Gespräche bekannt gegeben hat, genügt den von § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO gestellten Anforderungen, wenn der Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll durch Nennung seiner Ausstellers, seines Datums und seines Betreffs so unverwechselbar bezeichnet, dass eine eindeutige Identifizierung möglich ist Es bedarf weder die „Verlinkung“ mit einer Aktenfundstelle noch muss der Vermerk „verlesen“ werden.

Erscheint der Angeklagte nicht zum Termin, kommt es im Fall des § 412 Satz 1, § 329 Abs. 1 und 7 StPO nicht darauf an, ob er sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist.

beA II: Owi-Antrag auf gerichtliche Entscheidung, oder: Richtige Rechtsmittelbelehrung?

© momius – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann ein Beschluss des AG Aschersleben, und zwar der AG Aschersleben, Beschl. v. 18.07.2023 – 6 OWi 139/23, noch einmal zur richtigen Rechtsmittelbelehrung.

Es geht um einen Wiedereinsetzungsantrag. Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid per E-Mail Einspruch eingelegt, der von der Behörde als formwidrig verworfen worden ist. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG zurückgewiesen:

„1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, denn er ist nicht fristgerecht eingegangen. Nach Zustellung des Verwerfungsbescheides am 06.05.2023 lief die zweiwöchige Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 OWiG am 22.05.2023 ab, weil der 20.05.2022 ein Sonnabend war. Der Betroffene stellte erst am 23.05.2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung, da es auf den Zeitpunkt des Ausdrucks der E-Mail ankommt (BGH NJW 2019, 2096 (2097); OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 10324; Thüringer Oberlandesgericht Beschluss vom 10. November 2017 – 1 OLG 145 SsBs 49/16). Anders als für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eröffnete die Behörde hier keinen zusätzlichen Übertragungsweg.

2. Dem Betroffenen war für diese Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Rechtsmittelbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid vom 03.05.2023 – anders als die Rechtsmittelbelehrung unter dem Bußgeldbescheid vom 21.03.2023 (AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online) – richtig ist und der Betroffene keine Gründe für eine unverschuldete Versäumung der Frist geltend gemacht hat.

Die Verwaltungsbehörde war nicht gehalten, in die Rechtsbehelfsbelehrung zusätzlich aufzunehmen, dass auch die elektronische Übersendung nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG möglich ist. Die Belehrung muss nur enthalten, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde oder schriftlich eingelegt werden muss, §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO. Die Behörde muss nicht darüber belehren, wie diese Schriftform einzuhalten ist. Seit dem 01.01.2022 muss die Verwaltungsbehörde zwar auch den Zugang nach § 32a Abs. 2, Abs. 3 StPO i.V.m. § 110c OWiG eröffnen. Darüberhinausgehende Zugangsmöglichkeiten stehen in ihrem Belieben (BeckOK OWiG/Gertler, 31. Ed. 1.7.2021, OWiG § 67 Rn. 69). Der Wortlaut von § 32a Abs. 3 StPO gestaltet jedoch keine neue Formvorschrift, sondern definiert die Umstände, unter denen ein elektronisches Dokument schriftlich abgefasst ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, erfüllt das Dokument die Schriftform. Es wird gerade keine neue Form geschaffen (was im Einklang mit BGH NJW 2019, 2096 (2097) steht), über die dann zu belehren wäre.

Auch wenn die Arten, Dokumente „schriftlich“ bei den Gerichten und Behörden einzureichen, damit noch unübersichtlicher werden und die „Schriftlichkeit“ kaum noch etwas mit dem gemeinen Wortsinn zu tun hat, ist es Aufgabe des Rechtsbehelfsführers, sich über die konkrete Art der Schriftform selbst zu informieren (BeckOK OWiG/A. Bücherl, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 50 Rn. 16.1).

Gemessen daran erfüllt die oben dargestellte Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Verwerfungsbescheid die Anforderungen der §§ 69 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 306 Abs. 1 StPO.

Darüberhinausgehende Gründe, die für eine unverschuldete Fristversäumung sprächen, hat der Betroffene nicht dargetan. In seinem Schreiben vom 26.06.2023 wendet er sich inhaltlich im Wesentlichen gegen den Bußgeldbescheid, wenn er ausführt, dass die Geschwindigkeitstafeln keine Geschwindigkeitsbegrenzung angezeigt hätten. Das wäre erst nach zulässigem Einspruch zu prüfen gewesen. Dem Betroffenen ist zwar zuzustimmen, dass wir im Digitalzeitalter leben. Die Grenzen der Digitalisierung werden jedoch durch die Gesetze gezogen. Bei rechtzeitigem und formwirksamen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre seinem konkludenten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist auch entsprochen worden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung unter dem Bußgeldbescheid wie in AG Aschersleben Beschl. v. 2.1.2023 – 6 OWi 301/22, BeckRS 2023, 1, beck-online dargestellt irreführend ist. Da er jedoch auch gegen den Verwerfungsbescheid nicht formgerecht Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellte und die Rechtsbehelfsbelehrung hier richtig ist, musste ihm der Erfolg versagt werden.

§ 110c OWiG i.V.m. § 32a Abs. 6 StPO ist nicht anzuwenden, weil sich dieser nur auf die Möglichkeit der Bearbeitung des eingereichten Dokuments, nicht jedoch auf die Einreichungsmodalitäten bezieht.“

 

beA II: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Ebenfalls „Nein“, sagt das OLG Karslruhe

folgenden Text dazu nutzen:
Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Ich hatte vor einigen Tagen über den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22 – berichtet. Das ist/war die Entscheidung, in der das OLG klar gestellt hat, dass die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten nicht der Formvorschrift gemäß § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO unterliegt. Die Frage war bis dahin ja obergerichtlich noch nicht entschieden.

Nun gibt es eine zweite OLG-Entscheidung zu der Frage, nämlich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.03.2023 – 2 ORbs 35 Ss 125/23. Das OLG Karlsruhe nimmt im Rahmen einer Rechtsbeschwerde – Stichwort: Wirksamkeit des Einspruchs – ebenfalls zu der Frage Stellung. Es löst sie wie das OLG Frankfurt am Main:

„1. Der Bußgeldbescheid des Landratsamts des X-Kreises vom 3.6.2022 ist nicht bestandskräftig geworden, weshalb das Amtsgericht nicht am Erlass des angefochtenen Urteils gehindert war.

a) Aus den Akten, die dem Senat bei der Prüfung von Verfahrenshindernissen uneingeschränkt zugänglich sind, ergibt sich dazu folgender Verfahrensablauf: Einen ersten am 19.4.2022 erlassenen und dem Betroffenen am 22.4.2022 zugestellten Bußgeldbescheid nahm die Bußgeldbehörde mit dem Erlass des Bußgeldbescheids vom 3.6.2022, der dem Betroffenen am 9.6.2022 zugestellt wurde, zurück. Der Betroffene legte gegen den Bescheid vom 3.6.2022 am 17.6.2022 Einspruch mittels Schriftsatz seines Verteidigers ein, der als Telefax eingereicht wurde.

b) In der Instanzrechtsprechung ist bisher unterschiedlich beurteilt worden, ob die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO auch für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid gelten, bei der Einlegung durch Rechtsanwälte also nur die Einreichung als elektronisches Dokument zugelassen ist und ansonsten die Erklärung unwirksam ist. Dies ist vom Amtsgericht Hameln (Beschluss vom 14.2.2022 – 49 OWi 23/22 = NZV 2022, 333, ebenso Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 67 Rn. 21a; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl./32. Lfg., § 110c Rn. 24; wohl auch KK-Graf, OWiG, 5. Aufl., § 110c Rn. 49, 53) verneint, vom Amtsgericht Tiergarten (Beschluss vom 5.4.2022 – 310 OWi 161/22 = StraFo 2022, 318; ebenso Stahnke in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 110c Rn. 25 unter Bezugnahme auf die in der 5. Aufl. von Krenberger/Krumm, OWiG, § 110c Rn. 13 vertretene Auffassung, wohingegen dort die Frage in der aktuellen 7. Aufl. offen gelassen wird; ebenso offenlassend BeckOK-OWiG/Valerius, 37. Ed., § 110c Rn. 1.1) hingegen unter Hinweis auf die Regelung in § 335 Abs. 2a HGB und die Entstehungsgeschichte bejaht worden. Obergerichtlich ist die Frage bislang – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden.

c) Der Senat schließt sich der vom Amtsgericht Hameln vertretenen Auffassung an; die hiergegen in der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Soweit dabei an Materialien zum Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 29/28399) angeknüpft wird, geht dies schon deshalb fehl, weil die Vorschriften des § 110c OWiG und § 32d StPO gar nicht Gegenstand dieses Gesetzes waren. In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, mit dem die genannten Vorschriften eingeführt wurden, heißt es hingegen zur maßgeblichen Bestimmung des § 32d StPO unmissverständlich: „Satz 2 sieht demgegenüber eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll.“ (BR-Drs. 236/16 S. 49 f.) Mit dieser bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für das Enumerationsprinzip ist es unvereinbar, die Rechtspflicht des § 32d Satz 2 StPO auf dort nicht genannte Rechtshandlungen bzw. über § 110c OWiG ihre Entsprechungen im Bußgeldverfahren auszudehnen. Da § 110c OWiG die entsprechende Anwendung von § 32d Satz 2 StPO anordnet, aber § 32d Satz 2 StPO die Rechtspflicht zur Einreichung als elektronisches Dokument nicht für eine dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid entsprechende Handlung im Strafverfahren vorschreibt, wird danach der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid von diesen Vorschriften nicht erfasst.

d) Infolge der danach wirksamen rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs ist der Bußgeldbescheid vom 3.6.2022 nicht in Bestandskraft erwachsen.“

Damit sollte die „Kuh vom Eis“ sein. Aber: Sicher ist sicher – also Einspruch ggf. doch als elektronisches Dokument.

 

OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Nein, sagt das OLG Frankfurt/Main

entnommen openclipart

Heute dann ein „OWi-Dienstag“, also drei Entscheidungen zum Bußgeldverfahren. alle drei Entscheidungen haben einen verfahrensrechtlichen Bezug.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22. Das OLG nimmt , m.E. als erstes OLG, zu der Frage Stellung, ob beim Einspruch die Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht. Die Frage ist ja nicht ganz unstrittig (vgl. hier einerseits AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, andererseits AG Tiergarten, Beschl. v. 05.04.2022 – 310 OWi 161/22).  Auch in der Literatur ist die Frage nicht eindeutig geklärt.

Nun hat sich das OLG Frankfurt am Main zu der Frage geäußert. Danach ist die elektronische Übermittlung nicht erforderlich:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 4 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig. Sie hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg, weil die auf die zulässig erhobene Sachrüge im Freibeweis vorzunehmende Prüfung des Senats ergeben hat, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen Nichteinhaltung der Formvorschrift der § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO als unzulässig erachtet und daher ohne Sachprüfung verworfen hat. Soweit ersichtlich, ist diese Frage obergerichtlich bislang noch nicht geklärt worden.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat die Betroffene mit dem an das Regierungspräsidium K. gerichteten Telefax ihres Verteidigers vom 27. Juni 2022 wirksam Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 22. Juni 2022 eingelegt. Die Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, die im Bußgeldverfahren gemäß § 110c OWiG entsprechend gilt, findet auf die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid keine Anwendung. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/9416, S. 50, 51) sieht § 32d Satz 2 StPO eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll. Da in den Gesetzesmaterialien zu § 110c OWiG auf diese Ausführungen verwiesen wird (BT-Drucksache 18/9416, S. 76), sind diese Grundsätze auch für die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 32d StPO im Bußgeldverfahren zugrunde zu legen. Im Hinblick darauf, dass das Bußgeldverfahren Berufung, Privatklage und Nebenklage nicht kennt, können die in § 32d StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen nur für den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die Einlegung der Rechtsbeschwerde, ihre Begründung und die Gegenerklärung gelten, für die gemäß §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend gelten. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und die Einspruchsbegründung gehören demgegenüber der Sache nach weder vom Wortlaut noch von der systematischen Einordnung her zu den in § 32d Satz 2 StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen; vielmehr handelt es sich um einen „Rechtsbehelf eigener Art“, der die Sache aus einem Verfahren bei der Verwaltungsbehörde in das gerichtliche Verfahren bringt (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 18. Auflage, Vor § 67 Rn. 1). Zudem ist die Begründung des Einspruchs – anders als bei der Rechtsbeschwerde – zur Vermeidung seiner Verwerfung nicht erforderlich. Vielmehr ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in systematischer Hinsicht eher mit dem Einspruch gegen einen Strafbefehl vergleichbar, der in § 32d Satz 2 StPO gerade keine Erwähnung findet. Dabei ist weiter zu bedenken, dass der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde erlassen wird, den Strafbefehl aber ausschließlich das Gericht erlassen kann. Wenn man vor diesem Hintergrund in den Blick nimmt, dass § 32d Satz 2 StPO ausschließlich wesentliche Verfahrenshandlungen vor Gericht aufzählt und dabei den Einspruch gegen den (gerichtlichen) Strafbefehl auslässt, kann der Einspruch gegen den (verwaltungsbehördlichen) Bußgeldbescheid erst recht nicht unter diese Norm fallen (vgl.: van Endern in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 2. Aufl., § 110c OWiG Rn. 8.3; im Ergebnis zustimmend: BeckOK OWiG/Gertler, 37. Ed. 1.1.2023, OWiG § 67 Rn. 68; offen gelassen bei: Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 110c Rn. 13). Der Hinweis des Amtsgerichts auf die Ausnahmeregelung in § 335 Abs. 2a Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 HGB geht in diesem Zusammenhang schon deshalb fehl, weil zunächst – wie vorstehend geschehen – im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, in welchem Umfang die Ausnahmeregelung des § 32d Satz 2 StPO einer entsprechenden Anwendung im Bußgeldverfahren zugänglich ist.

Dies zugrunde legend ist die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der am 01. Januar 2022 erfolgten Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten weiterhin per Telefax von dem Faxgerät des Betroffenen oder eines Rechtsanwalts – wie vorliegend – möglich und wirksam (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, § 67 Rn. 21 mN).

Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig war demnach rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Groß-Gerau zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.“

OWi I: Verlesung des Messprotokolls in der HV, oder: Beschränkung des Einspruchs und Einspruch per Mail

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Heute dann mal wieder ein OWi-Tag, und zwar zunächst hier drei verfahrensrechtliche Entscheidungen, und zwar jeweils nur die Leitsätze.

1. Unabhängig von einem in § 77a Abs. 1, 2 und 4 OWiG geregelten Zustimmungserfordernis kann das Messprotokoll auf Anordnung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden.

2. Denn das Messprotokoll ist eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs. 1 StPO, weil sie eine Erklärung über eine amtlich festgestellte Tatsache einer Ermittlungsmaßnahme ist und keine Vernehmung zum Gegenstand hat.

3. Das Messprotokoll gibt im Sinne des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch Auskunft über repressives Handeln der Polizei. Denn die Geschwindigkeitsüberwachung dient auch der Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen.

1. Eine Beschränkung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch in seiner Gesamtheit ist möglich, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht. Enthält der Bußgeldbescheid keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform, ist unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden, ob sich dem Bußgeldbescheid die Schuldform entnehmen lässt. Dabei kann auch Beachtung finden, dass die Zentrale Bußgeldstelle im Bay. Polizeiverwaltungsamt in der Regel im Rahmen der Erhöhung der Regelgeldbuße auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweist.
2. Bei einem wirksam auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch hat der Tatrichter den Schuldspruch so zu fassen, wie wenn er selbst entschieden hätte; die bloße Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid genügt nicht.

Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann nicht mittels einfacher E-Mail eingelegt werden.