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beA II: Revisionsbegründung fristgerecht eingegangen?, oder: Augen auf bzw., wenn Verteidiger „Murks“ macht

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In diesem zweiten beA-Posting habe ich dann noch den BGH, Beschl. v. 29.04.2024 – 6 StR 86/24 -, den ich wegen der Begründung des BGH hier „allein“ vorstelle.

Es geht um den fristgerechten Eingang von elektronischen Dokumenten. Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Mit Beschluss vom 11.12.2023 hat das LG die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen. Die Verwerfung der Revision durch das LG beruht auf folgendem Verfahrensgang: Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 08.11.2023 hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 04.12.2023 die zuvor form- und fristgemäß eingelegte Revision begründet und das Dokument am selben Tag mittels beA an das LG versandt. Das anschließend von seiner Softwareanwendung generierte Prüfprotokoll („beA-Nachricht XXX“) hat als Empfänger das LG Göttingen, als „Übermittlungscode“ die Zahlenfolge „9710“ und als „Meldetext“ die Mitteilung „Interner Fehler des Suppliers bei der Zertifikatsprüfung“ ausgewiesen. Die Spalten „OSCI-Nachrichten-ID“, „Zugegangen“ und „Übermittlungsstatus“ waren nicht ausgefüllt.

Seine Verwerfungsentscheidung hat das LG damit begründet, dass eine Revisionsbegründung bis zum Ablauf der Frist nach § 345 Abs. 1 StPO nicht beim LG eingegangen sei. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt (§ 346 Abs. 2 StPO) und ausgeführt, dass der fristgerechte Zugang der Rechtsmittelbegründung vor dem Hintergrund des dem Antrag beigeschlossenen beA-Prüfprotokolls nicht zweifelhaft sein könne. Der BGH hat den Antrag des Angeklagten als zulässig, aber als unbegründet angesehen:

„2. Das Landgericht hat die Revision mit Recht als unzulässig verworfen. Die Revisionsbegründungsfrist wurde nicht gewahrt.

a) Nach § 32a Abs. 5 Satz 1 StPO ist ein elektronisches Dokument bei Gericht eingegangen, sobald es auf dem für dieses eingerichteten EmpfängerIntermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert ist; unerheblich ist, ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 2023 – 3 StR 264/23 ; entsprechend zu § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO , Beschlüsse vom 8. März 2022 – VI ZB 25/20 ; vom 29. September 2021 – VII ZR 94/21 , NJW 2021, 3471 Rn. 9; vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20 ; vom 30. März 2023 – III ZB 13/22 , NJW 2023, 1737 [BGH 30.03.2023 – III ZB 13/22] Rn. 10 mwN; siehe auch MüKo-StPO/Beller/Gründler/Kindler/Rochner, 2. Aufl., § 32a Rn. 45; BT-Drucks. 18/9416 S. 47). Die Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 Satz 2 StPO , die der Justizserver bei ordnungsgemäßem Zugang der Nachricht automatisch generiert und deren Inhalt von der Justizverwaltung dem Absender mittels strukturiertem Datensatz im XML-Format zur Verfügung gestellt wird (vgl. Fritzsche, NZFam 2022, 1, 6), soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Zutun von Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2022 – XI ZB 14/22 , NJW 2022, 3715 Rn. 7 und vom 24. Mai 2022 – XI ZB 18/21 , NJW-RR 2022, 1069). Sie wird durch das beA-System in die gesendete Nachricht eingebettet und kann nach deren Öffnen vom Absender in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung auf dem Computerbildschirm anhand des Meldetextes „Request executed“, dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus „Erfolgreich“ optisch wahrgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2022 – XI ZB 18/21 , NJW-RR 2022,1069 mwN).

b) Hier hat die Rechtsmittelbegründungsschrift den Empfänger-Intermediär nicht fristgerecht erreicht. Dies ist bereits aus dem vom Verteidiger vorgelegten beA-Prüfprotokoll erkennbar. Es fehlt die eine erfolgreiche Verbindung ausweisende „OSCI-Nachrichten-ID“ und das vom Empfänger-Intermediär bestätigte Eingangsdatum („Zugegangen“). Der fehlende erfolgreiche Kontakt zum Empfänger-Intermediär wird ferner belegt durch die vom Senat eingeholte – dem Verteidiger und dem Angeklagten zur Stellungnahme übersandte – Auskunft des Projektbüros der Bund-Länder-Kommission, Arbeitsgruppe IT-Standards in der Justiz vom 25. März 2024. Hiernach weist auch der im beA-Prüfprotokoll ausgewiesene „Übermittlungscode 9710“ aus, dass es zu keinem Kontakt zum EmpfängerIntermediär kam. Eine Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 StPO wurde deshalb nicht generiert.“

Dazu sind m.E. drei Punkte anzumerken:

1. Ich verstehe nicht, wieso der Verteidiger bei dem technischen Verfahrensablauf von einem rechtzeitigen Eingang seiner Revisionsbegründung ausgehen konnte bzw. ausgegangen ist. Da hätte doch ein einfacher Blick in das beA-Prüfprotokoll gereicht. Also: Augen auf.

2. Ebenso wenig verstehe ich, warum nicht, als der Angeklagte/Verteidiger Kenntnis vom Verwerfungsbeschluss des LG hatte, sofort ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt worden ist. Das hätte zu dem Zeitpunkt ggf. Erfolg gehabt, wenn es zutreffend begründet worden wäre. Dazu hätte gehört, dass entweder vorgetragen (oder offenkundig gewesen) worden wäre, wann der Angeklagte Kenntnis vom Verwerfungsbeschluss der Strafkammer genommen hat, der ihm formlos bekannt gemacht worden ist. Jetzt ist es jedenfalls zu spät, zumal die erforderlichen Angaben nicht dargelegt und auch nicht Glaubhaftmachung gemacht waren.

3. Und: Mehr als „deutlich“ im Hinblick auf die „Verteidigerleistung“ ist dann der abschließende Satz des BGH: „Anhaltspunkte für einen ausnahmsweise zur Wiedereinsetzung von Amts wegen nötigenden „offenkundigen Mangel“ der Verteidigung (vgl. EGMR NJW 2003, 1229; BGH, Beschl. v. 12.1.2021 – 3 StR 422/20, NStZ-RR 2021, 112; v. 7.8.2019 – 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349; v. 5.6,2018 – 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 III Buchst. c Beschränkung 3) liegen noch nicht vor.“ Deutlicher kann man subtil kaum zum Ausdruck bringen, dass der Verteidiger hier wohl „Murks gemacht“ hat. Aber für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen wohl nicht Murks genug.

beA I: Sammlung zum beA/elektronischen Dokument, oder: sicherer Weg, Ersatz, Wiedereinsetzung, Urteil

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In die 29. KW./2024 starte ich heute dann mit einigen Entscheidungen zum beA. Das sind weitgehend BGH-Entscheidungen, eine der vorgestellten Entscheidungen stammt aber vom OLG Düsseldorf.

Hier sind dann also:

„bb) Ihre einfach signierten Schriftsätze hat die Verteidigerin nicht auf dem hier einzig in Betracht kommenden sicheren Übermittlungsweg zwischen ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle des Landgerichts eingereicht ( § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ).

Das Adjektiv „sicher“ bezieht sich insoweit nicht auf Fragen der IT-Sicherheit oder des Ausfallschutzes, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen bei Nutzung eines solchen Übermittlungswegs ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2022 – 3 StR 251/22 Rn. 6). Der besondere Kommunikationskanal ersetzt die Identifikationsfunktion der Unterschrift (Müller, NZS 2018, 207, 209). Den hiermit verbundenen Anforderungen werden die Eingaben der Verteidigerin nicht gerecht. Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (vHN) dokumentiert. Dieser wird nur an einer Nachricht angebracht, wenn das Postfach in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nachricht erstellt wird, sicher an dem Postfach angemeldet ist (vgl. BAGE 171, 28 Rn. 27; Müller, NZS 2018, 207, 209; Biallaß, NJW 2021, 789 [OLG Oldenburg 09.12.2020 – 6 W 68/20] ). Beim Empfänger führt die Übersendung dann zu dem Prüfergebnis „sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“. Der vHN ist maßgeblich für die freibeweisliche Prüfung einer formgerechten Einreichung. Fehlt er, kann nicht von einem Eingang auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ausgegangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 – 4 StR 313/23 Rn. 2, 5; Beschluss vom 7. Februar 2023 – 2 StR 162/22 Rn. 6; s. auch BVerwG, NVwZ 2022, 649 [BVerwG 12.10.2021 – BVerwG 8 C 4.21] Rn. 6 ff.; BAGE 171, 28 [BAG 05.06.2020 – 10 AZN 53/20] Rn. 25 ff.). So liegt es hier. Denn die Prüfvermerke des Landgerichts weisen aus, dass die Revision und ihre Begründung lediglich „per EGVP“ übersandt wurden.

Ist die Revision wirksam elektronisch übermittelt worden, wegen technischer Störungen aber nicht zu den Sachakten gelangt, und hat das erkennende Gericht in Vertrauen auf die Rechtskraft der Entscheidung die Urteilsgründe abgekürzt abgefasst, kann es diese entsprechend § 267 Abs. 4 S. 4 ergänzen, wenn es vom Eingang des Rechtsmittels erfährt. Sofern dem Gericht zu diesem Zeitpunkt die Akten nicht mehr vorliegen, beginnt die Frist zur Absetzung des ergänzten Urteils mit erneutem Eingang der Akten.

Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Verfahrensrügen zu gewähren, wenn er glaubhaft gemacht hat, dass seinem Verteidiger am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist um 23.49 Uhr die Übersendung einer fertiggestellten ergänzenden Revisionsbegründung zur Anbringung der Verfahrensrügen als elektronisches Dokument über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach nicht möglich war, weil das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des jeweiligen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen – was dem Verteidiger im Zeitpunkt des Übersendungsversuchs noch nicht bekannt war – in der Weise gestört war, dass die Gerichte und Behörden elektronische Dokumente nicht empfangen konnten. Denn dadurch war der Verteidiger durch ausschließlich im Bereich der Justiz gründende Umstände gehindert, eine die fristgemäß erhobene Sachrüge ergänzende Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht anzubringen (vgl. zum gestörten Empfangsgerät im Bereich der Justiz BGH, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705).

Ein Rechtsanwalt muss Vorkehrungen dafür treffen, dass ein Zustellungsdatum, das in einem von ihm abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragen ist, auch in seiner – noch in Papierform geführten – Handakte dokumentiert wird. An die Zustellung anknüpfende Fristen müssen anhand der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis berechnet werden.

    1. Im Falle einer Ersatzeinreichung hat die Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung des Dokuments nach § 130d S. 3 ZPO möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen. Eine unverzügliche Nachholung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise einzureichenden Schriftsatz verbleibt.
    2. Die Mitteilung der Gründe für die Ersatzeinreichung nach mehr als einer Woche ist im Regelfall nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 130d Satz 3 ZPO.
    3. Die Bekanntheit einer technischen Störung auf Seiten des Gerichts entbindet den Einreicher jedenfalls nicht gänzlich davon, die Ursächlichkeit der Störung für die Übermittlung in Papierform oder per Telefax glaubhaft zu machen (Anschluss an OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582).

beA II: Streit um das Zustellungsdatum des Urteils, oder: Endgültige Verwerfung der Berufung

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Und dann komme ich noch einmal auf den OLG München, Beschl. v. 27.02.2024 – 23 U 8369/21 – zurück (vgl. dazu schon: beA I: Streit um das Zustellungsdatum des Urteils, oder: Anordnung der Vorlage des beA-Nachrichtenjournals).

Beck-Aktuell teilt jetzt mit, dass das OLG München im OLG München, Beschl. v. 19.06.2024 – 23 U 8369/21 – die Berufung verworfen hat. Kam nach dem o.a. Beschluss ja nicht überraschend.

beA I: beA-Nutzungspflicht für RA-Gesellschaft mbH?, oder: Nicht vor dem 01.08.2022

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Und dann heute noch einmal ein vorbereitetes „Urlaubsposting“, und zwar zum beA, nämlich zur Nutzungspflicht des beA für eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

Dazu der BFH im BFH, Urt. v. 16.01.2024 – VII R 34/22:

Vor dem 01.08.2022 bestand für eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als Bevollmächtigte keine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs gemäß § 52d Satz 1 oder 2 FGO, und zwar auch dann nicht, wenn sie durch einen Rechtsanwalt als Vertreter im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 3 FGO handelte.

beA II: Anforderung an sorgfältige Ausgangskontrolle, oder: Zivilrecht gilt auch für Strafverteidiger

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Und als zweite Entscheidung der LG Limburg, Beschl. v. 16.04.2024 – 2 Qs 123/23 -, in dem das LG zum beA-Versand bzw. dem Nachweis über den Zugang durch eine sorgfältige Ausgangskontrolle Stellung nimmt.

Wir befinden uns nach Freispruch des Betroffenen im OWi-Verfahren im Kostenfestsetzungsverfahren. Das AG hat die Kosten nur zum Teil festgesetzt. Ob der Verteidiger dagegen wirksam rechtzeitig per beA Beschwerde eingelegt hat, ist streitig. Er hat einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, der beim AG und LG keinen Erfolg hatte:

„1. Die gemäß §§ 464b S. 3, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RpflG statthafte sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gem. § 464b S. 4 StPO eingelegt worden ist.

Bei dem Amtsgericht ist auch nach interner Prüfung, soweit dies unter Mitwirkung des Verteidigers möglich war, kein Schriftsatz eingegangen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde war nicht zu gewähren.

Über den Wiedereinsetzungsantrag wegen Fristversäumung des Beschwerdeführers entscheidet gem. §§ 46 Abs. 1, 464b S. 3 StPO die Kammer als Beschwerdegericht in der für das Strafverfahren üblichen Besetzung mit dem gesamten Spruchkörper. § 568 S.1 ZPO, wonach das Beschwerdegericht durch den Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Rechtspfleger erlassen wurde, findet keine Anwendung (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl., StPO § 464b Rn. 7).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 S. 1 StPO).

In dem Antrag ist ein Lebenssachverhalt darzulegen und glaubhaft zu machen, der das fehlende Verschulden des Betroffenen an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung entgegenstehen. Der Antrag ist binnen 1 Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 S. 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO) (BGH, Beschl. v. 5.9.2023 – 3 StR 256/23 = NStZ-RR 2023, 347, beck-online).

„Verhindert“ bedeutet, entgegen seinem Willen eine Frist nicht wahren zu können. „Ohne Verschulden“ handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und Eigenschaften unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls mögliche und zumutbare Sorgfalt beachtet. Dabei dürfen im Interesse der materiellen Gerechtigkeit keine allzu hohen Anforderungen an den Säumigen gestellt werden (MüKoStPO/Valerius, 2. Aufl. 2023, StPO § 44 Rn. 38, 40).

Der Bundesgerichtshof stellt an die Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) Sorgfaltsanforderungen.

a) Der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Maßstab an den sorgfältigen Umgang mit dem beA gilt nicht nur in der Ziviljustiz. Seit dem 01.01.2022 müssen anwaltliche Schriftsätze als elektronisches Dokument gemäß § 130d S. 1 ZPO über das besondere elektronische Postfach (beA) bei Zivilgerichten eingereicht werden. Eine für die Strafjustiz gleich umfangreiche Regelung hat der Gesetzgeber bislang nicht getroffen. Mit der Einführung der §§ 32 ff. StPO hat der Gesetzgeber (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017, Bl. 2208) indes die Grundlagen für die elektronische Akte und die elektronische Kommunikation im Strafverfahren gelegt. Durch Inkrafttreten des § 32d StPO sollen Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht für die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage.

Bedient sich der Strafverteidiger – unabhängig einer ggf. nur fakultativen Nutzung – zur Übermittlung eines Schriftstücks an das Strafgericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs dem beA, gelten für ihn zugleich die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Sorgfaltspflichten.

b) Neben der Eingangskontrolle beim Empfang von Nachrichten verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere eine umfangreiche Ausgangskontrolle beim Versand von beA-Nachrichten. Ein Rechtsanwalt hat ggf. durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschluss vom 17.3.2020 – VI ZB 99/19 = NJW 2020, 1809 Rn. 8, beck-online)

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Unerlässlich ist die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordert die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO erteilt worden ist (BGH Beschluss vom 11.1.2023 – IV ZB 23/21 = NJW-RR 2023, 425, beck-online). Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war (BGH, Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 94/21 = NJW 2021, 3471, beck-online).

Die Ausgangskontrolle eines Schriftsatzes an das Gericht per beA beschränkt sich nicht auf die bloße Kenntnisnahme der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 ZPO (NJW 2023, 1537 Rn. 3, beck-online). Die Kontrollpflicht umfasst die erforderliche Überprüfung, ob die Übermittlung vollständig, an den richtigen Empfänger und bezogen auf den ggf. angefügten Schriftsatz erfolgreich erfolgt ist (BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online). Für die Ausgangskontrolle des elektronischen Postfachs beA bei fristgebundenen Schriftsätzen genügt jedenfalls nicht die Feststellung, dass die Versendung irgendeines Schriftsatzes mit dem passenden Aktenzeichen an das Gericht erfolgt ist, sondern anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens ist auch zu prüfen, welcher Art der Schriftsatz war (BGH Beschluss vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 = NJW 2023, 3434, beck-online; BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online; BGH, Beschluss vom 17.3.2020 – VI ZB 99/19 = NJW 2020, 1809, beck-online). Dies rechtfertigt sich dadurch, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax, bei dem das Original des Schriftsatzes zur Übermittlung in das Telefax-Gerät eingelegt wird – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann (BGH Beschluss vom 21.3.2023 – VIII ZB 80/22 = NJW 2023, 1668, beck-online).

Bei der Vergabe eines „sinnvollen“ Dateinamens, der ohne Weiteres auch Rückschlüsse auf den Inhalt des Dokuments zulässt, kann sich der sorgfältige beA-Nutzer an den formalen Anforderungen der am 20.09.2017 erlassenen Verordnung der Bundesregierung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) orientieren. Zu den formalen Anforderungen an elektronische Dokumente sieht § 2 Abs. 2 ERVV vor:

Der Dateiname soll den Inhalt des elektronischen Dokuments schlagwortartig umschreiben und bei der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente eine logische Nummerierung enthalten. Der Dateiname des Schriftsatzes soll der üblichen Bezeichnung in der jeweiligen Prozessordnung entsprechen, also beispielsweise als Klageschrift, Klageerwiderung, Berufungs- oder Revisionsschrift oder Kostenfestsetzungsantrag bezeichnet werden. Der Schriftsatz und die Anlagen sollen neben der Inhaltsbezeichnung durch die Voranstellung einer Nummerierung (etwa 01, 02, 03 …) geordnet werden (BR-Drs. 645/17, S. 2, 13).

Mit der Vergabe eines sinnvollen Dateinamens ist nicht nur der Reduzierung des Aufwands für Gerichte, Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher bei der Führung einer elektronischen Akte gedient (BR-Drs. 645/17, S. 13), sondern auch dem Rechtsanwalt, der Fehlerquellen bei der Übermittlung fristgebundener Schriftstücke auf elektronischem Wege möglichst zu eliminieren gesucht.

c) Die dem Rechtsanwalt auferlegten Überprüfungspflichten sind zumutbar. Die Ausgangskontrolle ist über die Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung, anhand des Übermittlungsprotokolls mittels der dort verfügbaren Informationen unter der Überschrift „Anhänge“ sowie anhand des Abschnitts „Zusammenfassung und Struktur“ des Prüfprotokolls möglich (BGH Beschluss vom 21.3.2023 – VIII ZB 80/22 = NJW 2023, 1668, beck-online; BGH Beschluss vom 20.9.2022 – XI ZB 14/22 = NJW 2022, 3715, beck-online).

Die Bundesrechtsanwaltskammer stellt beA-Nutzern zum erleichterten Umgang über ihren frei zugänglichen Internetauftritt (vgl. https://portal.beasupport.de/neuigkeiten/nachweis-ueber-den-zugang-von-nachrichten-bei-gerichten-stellungnahme-der-brak, zuletzt aufgerufen am 09.04.2024) eine umfangreiche Anwenderhilfe und Support im Umgang mit der Nutzung des beA zur Verfügung, deren sich beA-Nutzer bedienen können, und informiert insbesondere zum Nachweis über den Zugang von Nachrichten bei Gerichten am Maßstab höchstrichterlicher Rechtsprechung praxis- und anwenderfreundlich.

Diesen Anforderungen ist die Ausgangskontrolle des Verteidigers des Beschwerdeführers unter Zugrundelegung des Wiedereinsetzungsvortrags nicht gerecht geworden.

Die verteidigerseits vorgelegte Dokumentation zur beA-Nachricht lässt nicht den Schluss zu, dass die sofortige Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist des § 464b S. 4 StPO beim Amtsgericht eingegangen ist. Den Darlegungen des Betroffenen im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Verteidiger eine hinreichende Ausgangskontrolle in Eigenverantwortung gewährleistet hat. Ohnehin würde die Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung führen (BGH Beschluss vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 = NJW 2023, 3434, beck-online).

Aus dem vom Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers vorgelegten Prüfprotokoll für den 28.07.2022 über Schriftsätze in dieser Sache ergibt sich, dass hier die der beA-Nachricht angehängte Datei „A-b-e-l-.pdf“ versandt worden war. Für diese Tatsache genügt der vorgelegte beA-Sendenachweis. Soweit der Verteidiger darüber hinaus mit der Vorlage auch den Nachweis zu erbringen versucht, dass es sich bei dem Anhang inhaltlich um die sofortige Beschwerde handelt, kann ihm dies nicht gelingen. Eine sorgfältige Ausgangskontrolle anhand eines sinnvoll gewählten Dateinamens hat der Verteidiger versäumt.

Bei dem von dem Verteidiger frei gewählten Dateinamen handelt es sich um den Nachnamen des Beschwerdeführers, wobei die einzelnen Buchstaben jeweils mit einem „Bindestrich“ voneinander getrennt sind. Anhand der verkürzten Form des Dateinamens ist noch erkennbar, dass hier ein Schriftstück mit Bezug zum Betroffenen versandt worden war. Nicht feststellbar ist hingegen, ob das Schriftstück einen Bezug zum hiesigen Bußgeldverfahren aufweist. Der Dateiname ist nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen. Eine Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren oder eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren ist durch den gewählten Dateinamen nicht möglich. Rückschlüsse auf den Inhalt des angehängten Dokuments lässt der gewählte Dateiname nicht zu. Der Verteidiger hat zudem die reale Gefahr einer Verwechslung hervorgerufen: Für die Übersendung eines vorangegangenen Schriftsatzes vom 25.04.2022 und eines nachfolgenden Schriftsatzes vom 02.12.2022 hat der Verteidiger ebenfalls die gleichlautende Dateibezeichnung „A-b-e-l-.pdf“ gewählt. Aufgrund des unklaren Dateinamens kann der vorgelegte beA-Sendenachweis nicht dem Nachweis dafür dienen, dass Inhalt des am 28.07.2022 übermittelten Anhangs die vermeintlich unter dem 27.07.2022 erhobene sofortige Beschwerde ist.

Für das Verschulden seines anwaltlichen Vertreters hat der Betroffene einzustehen.

Eine solche Zurechnung findet im Strafverfahren zwar nicht durchgehend statt. Eine Ausnahme ist jedoch nur zugunsten des Beschuldigten anerkannt und dies auch nur, soweit er sich gegen den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch zur Wehr setzt. So ist es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, dem Beschuldigten Versäumnisse des Verteidigers zuzurechnen, wenn zu prüfen ist, ob ihn an einer Fristversäumung gem. § 44 Abs. 1 S. 1 StPO ein Verschulden trifft (vgl. BVerfG NJW 1994, 1856). Den allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht, kennt die Strafprozessordnung nicht (vgl. BVerfGE 60, 253 = NJW 1982, 2425). Auf dieses Privileg kann sich ein Beschuldigter nur berufen, soweit er sich mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wendet, welche sich besonders einschneidend auf Ehre, Freiheit, Familie, Beruf und damit sein gesamtes Leben auswirken können. Bei anderweitigen Rechtsbehelfen muss dagegen auch er für das Verschulden seines Vertreters einstehen. Das betrifft etwa die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 464 Abs. 3 StPO, da diese in ihrem Wesen und ihren Auswirkungen Schuldtiteln über Geldforderungen vergleichbar ist, so dass § 85 Abs. 2 ZPO jedenfalls seinem allgemeinen Rechtsgedanken nach angewendet wird (BGH Beschluss vom 4.7.2023 – 5 StR 145/23 = NJW 2023, 3304, beck-online).

Dem steht die Kostenfestsetzung nach § 464b StPO gleich. Der Beschwerdeführer muss sich das Verschulden des Verteidigers im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StPO zurechnen lassen (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Aufl., StPO § 44 Rn. 19). In diesem Fall besteht nicht das besondere Schutzbedürfnis, das allein die Ausnahme von dem Grundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO für den sich verteidigenden Beschuldigten rechtfertigt.“