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beA II: beA-Nutzungspflicht für ausländischen Anwalt?, oder: BGH bejaht (im Grundsatz)

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Und dann die zweite „beA-Entscheidung“. Das ist der BGH, Beschl. v. 15.05.2025 – IX ZB 1/24 -. in dem der BGH zu der Frage Stellung genommen hat, ob auch ein ausländischer – hier war es ein österreichischer- Rechtsanwalt – Schrift­sät­ze in Zi­vil­ver­fah­ren nach § 130d ZPO als elek­tro­ni­sches Do­ku­ment an das Ge­richt über­mit­teln muss. Der BGH hat die Frage – im Grundsatz – bejaht.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – Rest dann bitte selbst im Volltext nachlesen:

1. Zur Wahrung des Schriftlichkeitserfordernisses für bestimmende Schriftsätze durch Zeichnung im Rubrum des Schriftsatzes durch einen österreichischen Rechtsanwalt.

2. Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hat im Grundsatz in einem Verfahren vor den Zivilgerichten vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

 

beA: Vorübergehende technische Unmöglicheit, oder: Glaubhaftmachung, Ausgangskontrolle, StA-Revision

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In die neue Woche starte ich hier mit insgesamit vier Entscheidungen zum beA, zwei kommen vom BGH, eine vom BayObLG und eine vom OLG Stuttgart. Die beiden Entscheidungen vom BGH sind in Zivilverfahren ergangen, ich stelle sie aber mit ein, weil die vom BGH entschiedenen Fragen ggf. auch in Straf- und Bußgeldverfahren, wenn ein Verschulden des Verteidigers dem Mandanten zugerechnet wird, von Bedeutung sein können.

Ich stelle aber jeweils nur die Leitsätze der Entscheidungen vor, den Rest übergebe ich dem Selbstleseverfahren. Hier sind dann:

Für die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument nach § 130d Satz 2, 3 ZPO bedarf es zunächst einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände. Hieran fehlt es, wenn die dargelegten Tatsachen jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Unmöglichkeit nicht auf technischen, sondern auf in der Person des Einreichers liegenden Gründen beruht. Darzulegen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine laienverständliche Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen genügt, aufgrund derer es möglich ist festzustellen, dass Bedienungsfehler unwahrscheinlich sind.

1. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Dabei entsprechen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen mittels beA nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen.

Eine Verpflichtung, die Revisionseinlegung als elektronisches Dokument zu übermitteln, besteht nach § 32d StPO nur für Verteidiger und Rechtsanwälte. Für die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte gilt hingegen eine hiervon abweichende Regelung, die in § 32b Abs. 3 StPO normiert ist. Danach ist  eine Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Rechtsmitteleinlegungs nur bei elektronischer Aktenführung vorgesehen.

Die von § 32d S. 4 Hs. 1 StPO vorgeschriebene Glaubhaftmachung ist nicht erforderlich, wenn der Grund der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit im Sinne von § 32d Satz 3 StPO gerichtsbekannt oder allgemeinkundig ist.

Wiedereinsetzung I: Prüfpflicht des Versenders, oder: Wenn der Berufungsbegründungs-Schriftsatz „leer“ ist

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Und dann der Kessel Buntes, heute mit zwei BGH-Entscheidungen zur Wiedereinsetzung. Sie stammen beide aus Zivilverfahren, die Aussagen des BGH haben aber m.E. darüber hinaus Bedeutung.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 17.12.2024 – II ZB 5/24. Ergangen ist der in einem Verfahren, in dem sich zwei ehemalige Kanzleikollegen nach ihrer Trennung um Erstattungsansprüche streiten. Das AG hat die Klage abgewiesen.

Am letzten Tag der Berufungsfrist geht dann beim LG über das beA des Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Nachricht mit zwei pdf-Anhängen ein. Der eine Anhang enthielt das Urteil des AG: Der der andere – mit Namen „Schriftsatz.pdf“ bezeichnet enthielt ein leeres Blatt.

Es wird dann Wiedereinsetzung beantragt, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wie folt begründet: Er habe den Schriftsatz entsprechend der Bedienungsanleitung von Word an „RA-Micro“ und dann ans beA übertragen, wovon er sich überzeugt habe. Es sei aber wohl so gewesen, dass bei der Umwandlung der Word- in eine pdf-Datei infolge einer technischen Fehlfunktion eine leere Seite entstanden sei. Dieses technische Problem sei ihm nicht anzulasten.

Das hat das LG anders gesehen und es wird vom BGH in der Rechtsbeschwerde bestätigt:

„…..

Das Berufungsgericht hat zu Recht die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen.

b) Die Klägerin hat nicht gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht, ohne ein – ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares – Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 233 Satz 1 ZPO an der Einhaltung der Berufungsfrist verhindert gewesen zu sein. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter vor der elektronischen Signatur der PDF-Datei und der Übersendung an das Gericht diese Datei hinreichend überprüft und kontrolliert hat.

aa) Eine aus einem anderen Dateiformat in eine PDF-Datei umgewandelte Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift ist durch den signierenden Rechtsanwalt vor der Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Gericht per besonderem elektronischen Anwaltspostfach darauf zu überprüfen, ob ihr Inhalt dem Inhalt der Ausgangsdatei entspricht. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das besondere elektronische Anwaltspostfach entsprechen grundsätzlich denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Signierung eines ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung enthaltenden fristwahrenden elektronischen Dokuments (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) gehört es daher zu den Pflichten eines Rechtsanwalts, das zu signierende Dokument zuvor selbst sorgfältig auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen (BGH, Beschluss vom 8. März 2022­ VI ZB 78/21, NJW 2022, 1964 Rn. 11 mwN). Entscheidend ist, dass das tatsächlich signierte Dokument überprüft wird, was insbesondere auch in den Fällen gilt, in denen eine Datei durch Scan-, Kopier- und Speichervorgänge erneut erstellt wird. Durch diese Vorgänge wird im elektronischen Bereich eine besondere Gefahrenquelle geschaffen, so dass es erforderlich ist, das letztlich zu signierende Dokument zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022­ VI ZB 78/21, NJW 2022, 1964 Rn. 14).

bb) Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter eine entsprechende Überprüfung vorgenommen hat. Dieser hat die Berufungsschrift im Word-Programm erstellt. Diese ist als PDF-Dokument abgespeichert und übersendet worden. Dass vor der Signatur das PDF-Dokument von ihrem Prozessbevollmächtigten auf inhaltliche Richtigkeit überprüft worden ist, legt die Klägerin nicht dar. Sie beruft sich vielmehr darauf, dass durch die Umwandlung der DOC-Datei des Programms „MS-Word“ in ein PDF-Format technisch leere Seiten erzeugt werden könnten aufgrund eines technischen Versagens, das ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zuzurechnen sei. Hätte dieser jedoch die PDF-Datei nochmals geöffnet, hätte er sehen müssen, dass diese nur eine leere Seite enthielt. Die mangelnde Überprüfung hat dazu geführt, dass die Berufungsfrist wegen der Übersendung der Datei mit der leeren Seite versäumt wurde.“

beA: Fristwahrung bei technischer Störung des beA, oder: Ersatzeinreichung per Fax statt Wiedereinsetzung

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Und dann im Mittagsposting das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 03.01.2025 – 9 U 75/24 – zur Ersatzeinreichung per Fax bei technischer Störung des beA statt Wiedereinsetzung. Die Entscheidung stammt zwar aus einem Zivilverfahren, kann aber auchin anderen Verfahrensarten Bedeutung erlangen.

Gestritten wird über verschiedene Forderungen. Das LG hat die Klage mit Urteil vom 15.08.2020 – dem Klägervertreter zugestellt am 20.08.2024 – abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.09.2024 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 15.10.2024 hat der Klägervertreter die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.11.2024 beantragt was ihm mit Verfügung vom 16.11.2024 gewährt worden ist.

Die per beA übermittelte Berufungsbegründung ist sodann am 21.11.2024 um 00:00:09 Uhr auf dem Server des OLG Frankfurt am Main eingegangen. Mit Verfügung vom 21.11.2024 ist die Klägerin auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 05.12.2024 hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Sie behauptet unter Vorlage einer diesbezüglichen anwaltlichen Versicherung, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 20.11.2024 um ca. 23:15 Uhr versucht, die Berufungsbegründung über das beA-Portal zu versenden. Obwohl das Portal ordnungsgemäß eingerichtet gewesen sei, die Client Security in der aktuellen Version vorgelegen habe und das Kartenlesegerät ordnungsgemäß angeschlossen gewesen sei, sei beim Versuch, sich am beA-Portal anzumelden, eine Fehlermeldung angezeigt worden. Verschiedene Maßnahmen, u.a. ein mehrfacher Neustart des Rechners, seien ohne Erfolg geblieben. Schließlich sei der beA-Client auf einem alternativen Notebook eingerichtet worden, worüber der Schriftsatz habe versandt werden können. Dies sei aber erst am 21.11.2024 um 00:00:02 Uhr – Eingang bei Gericht um 00:00:09 Uhr – erfolgt, was der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durch das Schreiben des Gerichts vom 21.11.2024 erfahren habe.

Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen und Wiedereinsetzung nicht gewährt:

„Die Berufung der Klägerin war wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Die gemäß § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO verlängerte Frist lief am 20.11.2024 ab, die Berufungsbegründung ist indes erst am 21.11.2024 auf dem Server des Oberlandesgerichts eingegangen.

Der Klägerin war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zwar ist Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO gewahrt, auch ist die Berufungsbegründung innerhalb dieser eingegangen. Ein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 233 ZPO liegt aber nicht vor. Das Fristversäumnis beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Zwar kann eine Funktionsstörung des zur Übermittlung benutzten Computers eine technische Störung im Sinne von § 130d S. 2 ZPO darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 1.3.2023 – XII ZB 228/22, juris Rn. 13). Im Streitfall kann aber dahinstehen, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in seinen Schriftsätzen vom 5.12.2024 und 18.12.2024 hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass der Computerdefekt auf einem unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software beruhte und somit nach den glaubhaft gemachten Tatsachen nicht die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von der Partei bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten – beispielsweise durch einen Bedienfehler – verschuldet war (vgl. BGH, Beschluss vom 1.3.2023 – XII ZB 228/22, juris Rn. 13, 17 m.w.N.).

Denn die Klägerin hat trotz des ausdrücklichen Hinweises des Senats nicht dazu vorgetragen, dass auch eine fristgerechte Ersatzeinreichung der Berufungsbegründung gemäß § 130d S. 2 ZPO nicht möglich war. Zwar ergibt sich aus § 130d S. 2 ZPO keine unmittelbare Verpflichtung zur Ersatzeinreichung. Kann eine Frist im Wege der Ersatzeinreichung aber noch gewahrt werden, scheidet eine Wiedereinsetzung aus (Zöller/Greger ZPO, 35. Aufl. 2024, § 130d Rn. 4). Ob eine Ersatzeinreichung möglich, zumutbar und deshalb geboten war, ist nach dem Verschuldensmaßstab des § 233 S. 2 ZPO und den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 5.10.2023 – 12 U 47/23, juris Rn. 47).

Im Grundsatz darf ein Rechtsanwalt sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf einrichten, einen Schriftsatz auf einem bestimmten Weg – hier per beA – zu übermitteln. Scheitert die Übermittlung an einem unerwarteten Defekt, kann vom Rechtsanwalt grundsätzlich nicht verlangt werden, innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, juris Rn. 18). Im Einzelfall kann das Ausweichen auf eine andere als die gewählte Übermittlungsart aber geboten sein, insbesondere dann, wenn der Zusatzaufwand geringfügig und zumutbar ist. Hierzu wurde in der Zeit vor Inkrafttreten der aktiven Nutzungspflicht nach § 130d ZPO höchstrichterlich entschieden, dass die Benutzung des beA nach gescheiterter Übermittlung per Telefax jedenfalls dann in Betracht kommt, wenn dieses von dem Prozessbevollmächtigten in der Vergangenheit bereits aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt wurde, er also mit seiner Nutzung vertraut ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – III ZB 31/20, juris Rn. 26).

Im Streitfall wäre eine Übermittlung der vierseitigen Berufungsbegründung noch am 20.11.2024 per Telefax oder Computerfax zeitlich unproblematisch möglich gewesen, nachdem der Klägervertreter spätestens um kurz nach 23:15 Uhr die anhaltenden Probleme bei der Übermittlung per beA bemerkt hatte. Der Klägervertreter hat trotz des ausdrücklichen Hinweises des Senats auf § 130d S. 2 ZPO nicht behauptet, dass ihm die Ersatzeinreichung unzumutbar war, etwa weil ihm weder Fax noch Computerfax zur Verfügung standen oder er diese Übermittlungswege zuvor nicht aktiv genutzt hat.

Einer Ersatzeinreichung stand auch nicht entgegen, dass dem Klägervertreter die gemäß § 130d S. 3 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit nicht möglich gewesen wäre. Diese erfordert nicht eine „geschlossene Darstellung“ im Sinne einer bereits abgeschlossenen technischen Analyse des Fehlers, sondern lediglich die Glaubhaftmachung der konkreten Umstände, weshalb die rechtzeitige Übermittlung nicht möglich war. Ein solcher Tatsachenvortrag wäre dem Klägervertreter auch bereits im Laufe des 21.11.2024 (vgl. zur Rechtzeitigkeit der nach § 130d S. 3 ZPO erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung BGH, Zwischenurteil vom 25. Juli 2023 – X ZR 51/23, juris Rn. 12) möglich gewesen.“

beA-Pflicht im anwaltsgerichtlichen Verfahren ?, oder: AGH Berlin: Ja, versus AGH Hamm: Nein

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Und dann als zweite Entscheidung das AGH Berlin, Urt. v. 18.09.2024 – II AGH 14/23 – zur Frage, welche Formvorschriften im anwaltsgerichtlichen Verfahren gelten.

Das AnwG Berlin hat mit Urteil vom 05.07.2023 gegen einem Rechtsanwalt wegen schuldhaften Verstoßes gegen seine Berufspflichten, und zwar insbesondere, als Inhaber des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten, die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines Verweises sowie einer Geldbuße in Höhe von 3.000,00 EUR verhängt. Dagegen hat der Rechtsanwalt mit per Fax übermitteltem Schriftsatz vom 09.05.2023 Berufung eingelegt. Die Berufung ist gemäß § 322 Absatz 1 StPO als unzulässig verworfen worden:

„II. Die Berufung ist gemäß § 322 Absatz 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Denn sie entspricht nicht den Formerfordernissen des § 32d Satz 2 StPO in Verbindung mit § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO.

1. Nach der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, welcher gemäß § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO für das anwaltsgerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 6 StR 609/23 –, Rn. 4, juris). Diesen Anforderungen entspricht die am 9. Mai 2023 per Fax übermittelte Berufungsschrift nicht (für per Telefax übermittelte Revisionseinlegung: BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 268/22 –, Rn. 3, juris). Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach § 32d Satz 3 StPO sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ohnehin stellt eine Verzögerung bei der Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltsfachs regelmäßig keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung dar (BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – 5 StR 328/22 –, Rn. 2, juris).

2. Dem steht nicht entgegen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt zugleich Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens, mithin nicht für einen Dritten, sondern in eigener Angelegenheit aufgetreten ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 14. Juli 2023 – 201 ObOWi 707/23 –, Rn. 5, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Juli 2023 – III-4 ORs 62/23 –, Rn. 7, juris; s.a. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2023 – AnwZ (Brfg) 10/23 –, Rn. 8, juris). § 32d StPO gilt für Verteidiger und Rechtsanwälte. Als Rechtsanwalt ist er Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens. Ist er gerade als Rechtsanwalt Beteiligter des Verfahrens, muss er auch die für Rechtsanwälte geltenden zwingenden Formvorschriften einhalten.

3. Entgegen der Rechtsprechung des Anwaltsgerichtshofes Hamm (Urteil vom 21. April 2023 – 2 AGH 10/22 –, Rn. 4, juris) kann der BRAO auch keine Regelung entnommen werden, wonach § 32d Satz 2 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finde. Insbesondere kommt § 37 BRAO hierfür nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nach gesetzessystematischer als auch historischer Auslegung im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung findet. Dafür spricht auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.

….“