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beA I: Streit um das Zustellungsdatum des Urteils, oder: Anordnung der Vorlage des beA-Nachrichtenjournals

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Und dann auf in die neue Woche, und zwar zunächst mit beA-Beiträgen

Den Opener macht hier der OLG München, Beschl. v. 26.4.2024 – 23 U 8369/21. Gestritten wird in dem Verfahren um das Zustellungsdatum des erstinstanzlichen Urteils. Das OLG hat die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals angeordnet:

„1. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der Einwände des Klägervertreters im Schriftsatz vom 09.02.2024 an seiner Einschätzung aus dem Hinweisbeschluss vom 02.02.2024 fest, dass weder dem Beweisantrag der Klägerin auf Vorlage der Mandantenkorrespondenz des Beklagtenvertreters mit dem Beklagten noch dem Antrag auf Parteieinvernahme des Beklagten stattzugeben ist. Auf die im Hinweisbeschluss hierfür angeführten Gründe wird Bezug genommen.

2. Im Schriftsatz vom 09.02.2024 (S. 3) nimmt die Klägerin indes nunmehr ausdrücklich auf das beA-Nachrichtenjournal des Beklagtenvertreters für die Übersendung des Landgerichtsurteils Bezug. Der Senat beabsichtigt daher, gemäß § 142 Abs. 1 ZPO anzuordnen, dass der Beklagte dieses Journal betreffend die Übersendung des Landgerichtsurteils in ausgedruckter Form als Urkunde vorlegt.

2.1. Die Klagepartei hat sich auf das Nachrichtenjournal bezogen im Sinne des § 142 Abs. 1 ZPO.

2.2. Der Ausdruck aus dem beA-Nachrichtenjournal des Beklagtenvertreters ist als Ausdruck eines elektronischen Dokuments eine sonstige Unterlage im Sinne des § 142 Abs. 1 ZPO (Muslielak/Voit/Stadler, 2. Aufl. 2023, ZPO, § 142 Rn. 2). Sie befindet sich im Besitz der beklagten Partei. Hierzu genügt der mittelbare Besitz der Partei, der dadurch begründet wird, dass sich das Journal in den Händen des seinen Anweisungen unterliegenden Rechtsanwalts befindet (Musielak/Voit/Stadler, a.a.O., § 142 Rn. 3). Dass der Beklagtenvertreter den Ausdruck u.U. erst noch erstellen muss, hindert die zumindest analoge Anwendung des § 142 Abs. 1 ZPO nicht (BGH NJW 2013, 1003 Tz. 9 ff. für die Anfertigung einer Eigentümerliste; Anders/Gehle/Bünnigmann, 82. Aufl. 2024, ZPO, § 142 Rn. 11).

2.3. Nach derzeitiger, vorläufiger Ansicht des Senats entspricht es in vorliegendem Einzelfall pflichtgemäßem Ermessen, die Vorlage anzuordnen.

2.3.1. Das beA-Nachrichtenjournal protokolliert im System des Rechtsanwalts, wann eine Nachricht eingegangen ist und wer sie wann zum ersten Mal geöffnet hat (Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 15; Ultsch WuB 2023, 298, 301). Dies kann ein gewichtiges Beweismittel für die Klagepartei sein, die vorliegend die Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters genannten Zustelldatums behauptet.

2.3.2. Ein das Klägerinteresse überwiegendes Geheimhaltungsinteresse der beklagten Partei oder ihres Prozessvertreters ist nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Frage, wann das Urteil des Landgerichts erstmals seitens des Beklagtenvertreters geöffnet wurde, hat der Beklagte kein schützenswertes Interesse, die Information aus dem Verfahren herauszuhalten. Im Gegenteil: Die für die Zulässigkeit der Berufung wesentliche Vorfrage ist – wie die Zulässigkeit der Berufung – von Amts wegen zu klären. Anders als bei der Vorlage von Mandantenkorrespondenz geht es hierbei nicht um die interne Kommunikation eines Rechtsanwalts mit seinem Mandanten etwa über die Prozessstrategie.

2.3.3. Allerdings ist im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F. (§ 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO n.F.) grundsätzlich allein das Empfangsbekenntnis als Nachweis der Zustellung genügt. Die gesetzliche Wertung darf nicht vorschnell dahin abgeändert werden, dass der Zustellempfänger zusätzlich auch noch das beA-Nachrichtenjournal vorlegen muss, um seiner Nachweispflicht zu genügen. Eine Anordnung der Vorlage des Journals ist daher nur dann gerechtfertigt und angemessen, wenn konkrete Umstände vorgetragen oder sonst verfahrensgegenständlich sind, die im Einzelfall einen besonderen, gegenüber dem Normalfall gesteigerten Überprüfungsbedarf indizieren (vgl. Anders/Gehle/Anders, a.a.O., § 130 a Rn. 7; Musielak/Voit/Stadler, a.a.O., § 142 Rn. 3, Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 23).

Nach diesen Grundsätzen dürfte die Anordnung hier zu treffen sein: Zwischen der Absendung des Teilurteils am 07.10.2021 und der elektronischen Bestätigung des Eingangs der Nachricht im System des Beklagtenvertreters am gleichen Tag einerseits und dem 22.10.2021 als Zustelldatum gemäß dem Empfangsbekenntnis des Beklagtenvertreters andererseits lagen mehr als zwei Wochen. Diese erhebliche Dauer belegt zwar für sich nicht die Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses (BGH NJW-RR 2021, 1584 Tz. 11; Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Rn. 13; hierzu bereits Hinweis vom 02.02.2024). Sie rechtfertigt – in Verbindung mit den übrigen Umständen des vorliegenden Einzelfalls – hier indes, die Vorlage des Nachrichtenjournals zur näheren Überprüfung anzuordnen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Ernpfangsbekenntnisse befugt sein muss und also – gleich einem Zustellungsbevollmächtigten – für eine zeitnahe Entgegennahme und Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen hat (vgl. BeckOK BRAO/Günther, 22. Ed. 1.2.24, BRAO § 54 Rn. 8 f.; BeckOK BORA/Günther, 42. Ed. 1.12.23, BORA § 14 Rn. 8; Wagner/Ernst NJW 2021, 1564 Tz. 8). Der Beklagtenvertreter hat bislang nicht erklärt, wie und warum es gleichwohl zu der deutlich über eine Woche hinausgehenden Zustellverzögerung kam. Hinzu kommt, dass der Beklagtenvertreter – gleichfalls bislang ohne Erläuterung – das Empfangsbekenntnis erst unter dem Datum 04.11.2021 gezeichnet und dann erst mit Fax vom 19.11.2021 (9:41 Uhr) an das Landgericht übersandt hat, nachdem er zuvor bereits dreimal (am 21.10.21, am 4.11.21, am 17.11.21) vom Landgericht dazu gemahnt worden war.

Insgesamt dürfte sich aus der gegebenen Situation ein weiterer, besonderer Aufklärungsbedarf ergeben, der das Beweisinteresse der Klägerin überwiegen und die Anordnung gemäß § 142 ZPO angemessen erscheinen lassen dürfte.“

beA I: Wenn ein Sozietätskollege Schriftsatz signiert, oder: Zusatz „für“ nicht erforderlich!

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Und heute am Karsamstag im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen zum beA.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 28.02.2024 – IX ZB 30/23. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem der Kläger von dem beklagten Rechtsanwalt als seinem früheren Prozessbevollmächtigten Schadensersatz verlangt. Das AG hat der Klage stattgegeben. Gegen das dem Beklagten am 15.02.2023 zugestellte Urteil hat dieser mit am 23.02.2023 beim LG eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Dabei legitimierte sich für den Beklagten die Rechtsanwaltssozietät G., welcher der Beklagte selbst angehört. Das LG hat die zugleich beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.032023 gewährt.

Am 15.05.2023 ist eine auf denselben Tag datierte Berufungsbegründung als elektronisches Dokument beim LG eingegangen. Der Schriftsatz schließt am Ende mit dem maschinenschriftlich eingefügten Namen des Beklagten und dem Zusatz Rechtsanwalt ab. Der Schriftsatz ist zudem mit der qualifizierten elektronischen Signatur des ebenfalls der Sozietät des Beklagten angehörenden Rechtsanwalts J. versehen, über dessen besonderes elektronisches Anwaltspostfach der Schriftsatz an das Gericht übermittelt wurde.

Das LG hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde. Die hatte beim BGH Erfolg. Wer mag, kann die Einzelheiten der Begründung des BGH im verlinkten Volltext nachlesen. Hier stelle ich nur den (amtlichen) Leitsatz ein, nämlich:

Signiert ein Mitglied einer mandatierten Anwaltssozietät einen Schriftsatz, den ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät verfasst und einfach elektronisch signiert hat, in qualifiziert elektronischer Form und reicht diesen Schriftsatz über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach bei Gericht ein, ist dies wirksam. Eines klarstellenden Zusatzes („für“) bei der einfachen Signatur des Schriftsatzverfassers bedarf es nicht.

beA II: beA/elektronisches Dokument im Strafrecht, oder: Wiedereinsetzung, Ersatzeinreichung, Email

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Und nach der kleinen RÜ zum beA im Zivilverfahren (vgl. hier: beA I: beA/elektronisches Dokument im Zivilrecht, oder: aktuelle Software, Zustellung, Ersatzeinreichung) nun etwas zum Straf-/OWi-Verfahren, und zwar:

  • BGH, Beschl. v. 06.02.2024 – 6 StR 609/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision, in dem sich ein Dissens bei den Strafsenaten des BGH andeutet/ankündigt:

„(1) Der Senat vermag der Rechtsansicht des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht zu folgen, wonach die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags in Fällen, in denen die vorübergehende technische Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument geltend gemacht wird, einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2023 – 3 StR 256/23, NStZ-RR 2023, 347). Gestützt wird dieses Erfordernis auf die für eine zulässige Ersatzeinreichung von Schriftsätzen gemäß § 130d Satz 3 ZPO entwickelten Anforderungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647; vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760, 762). Mit den an die Darlegung des technischen Defekts gestellten Anforderungen soll eine missbräuchliche Übersendung von Schriftsätzen im Zivilprozess nach den allgemeinen Vorschriften verhindert werden (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27 zu § 130d ZPO). Während das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO demjenigen der Partei gleichsteht und daher die Wiedereinsetzung gemäß § 233 Satz 1 ZPO versagt werden kann, wenn die elektronische Übermittlung etwa wegen eines technischen Fehlers fehlschlägt und der Anwalt nicht die Möglichkeit ergreift, das Dokument nach den allgemeinen Vorschriften fristwahrend zu übermitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760, 762), erscheint die Übertragung der insoweit entwickelten Grundsätze auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO nicht sachgerecht, weil das Verschulden des Verteidigers bei der formwidrigen Übermittlung von Schriftsätzen dem Angeklagten nicht als eigenes zuzurechnen ist (vgl. BVerfG, NJW 1994, 1856; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2023 – 5 StR 145/23, NJW 2023, 3304).

(2) Es kann letztlich dahinstehen, ob das vom 3. Strafsenat postulierte Darlegungserfordernis anzunehmen ist. Denn hier würde das Vorbringen des Antragstellers diesen Anforderungen gerecht, weil es mit Blick auf den glaubhaft gemachten Hardware-Defekt am Kanzleirechner, über den das besondere elektronische Anwaltspostfach geführt wurde (§ 31a BRAO), und die Dauer der Störung eine verständliche und geschlossene Schilderung enthielte.“

Im Falle einer im Verantwortungsbereich der Justiz zu verortenden Störung, die den beA-Empfang bei allen Gerichten im Lande (über einen längeren Zeitraum und) über den Ablauf der Einlegungsfrist hinaus unmöglich machen, bedarf es einer sonst erforderlichen anwaltlichen Versicherung – insbesondere von Umständen, die sich der genaueren Kenntnis des Versichernden zu Ursachen und Ausmaß der Störung entziehen – ausnahmsweise nicht, um den Anforderungen des § 32 d Satz 3 und Satz 4 StPO zu genügen.

1. Die Rechtsmitteleinlegung durch genügt nicht der gesetzlichen Schriftform gemäß § 32a Abs. 3 StPO, wenn die Email weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der das Dokument verantwortenden Person versehen noch vom Verfasser signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist.

2. Dem Schriftformerfordernis wird aber ausnahmsweise dadurch genügt, wenn die Email ausgedruckt und zur Akte genommen wurde. Aus dem Schriftstück muss dann jedoch der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht hinreichend zuverlässig entnommen werden können.

beA I: Anwendungsbereich der Formvorschriften, oder: § 32d StPO gilt auch für „gewählte andere Personen“

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Und dann auf in die 9 KW., und zwar mit zwei Entscheidungen zum beA im Strafverfahren.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 04.01.2024 – 3 ORs 87/23, der noch einmal Stellung nimmt zum persönlichen Anwendungsbereich des § 32d StPO.

Das LG hat die Berufung der Angeklagten gegen ein Urteil des AG verworfen. Gegen das auf einen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch erfolgte amtsgerichtliche Urteil hatte die für die Angeklagte gemäß § 138 Abs. 2 StPO als Wahlverteidigerin „Beiständin“ mit am 17.03.2023 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz per Telefax Rechtsmittel eingelegt.

In der Folge hat das LG Berlin Termin zur Berufungshauptverhandlung anberaumt und die Berufung der Angeklagten verworfen. Als weitere Wahlverteidigerinnen hat es gemäß § 138 Abs. 2 StPO L. L. und C. M. zugelassen. Gegen das Urteil hat die Angeklagte am 19.10.2023 persönlich Rechtsmittel eingelegt. Die Revisionsbegründung gegen das am 02.11.2023 zugestellte Urteil ist mit Schriftsatz vom 01.12.2023 durch L. L. per Telefax erfolgt. Das KG hat die Revision der Angeklagten war als unzulässig zu verwerfen.

„1a) Die Revision ist unzulässig, da sie nicht formgerecht im Sinne des § 32d Satz 2 StPO erfolgt ist. Nach § 341 Abs. 1 StPO muss die Revision bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils eingelegt und gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO binnen eines Monats nach Ablauf dieser Frist begründet werden. Verteidiger und Rechtsanwälte müssen (auch) die Begründung der Revisionsanträge gemäß dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden, durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2208, 2210) eingeführten § 32d S. 2 StPO als elektronisches Dokument übermitteln. Nach dem Gesetzeswortlaut, dem Zusammenhang und insbesondere der Gesetzesbegründung handelt es sich hierbei um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Prozesshandlung; ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung (vgl. BT-Drucks. 18/9416 S. 51; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 StR 68/22 –, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 25. Februar 2022 – 1 Ss 28/22 –, juris; KK-StPO/Graf 9. Aufl., § 32d Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl., § 32d Rn. 2).

b) Dem genügt die allein durch Telefax am 1. Dezember 2023 eingelegte Revisionsbegründung nicht, denn die von der Angeklagten gewählte und vom Gericht zugelassene Verteidigerin L. L., die für die Angeklagte das Rechtsmittel begründen konnte, musste dies – ebenso wie Rechtsanwälte – in Form eines elektronischen Dokuments tun. Denn der eindeutige Wortlaut von § 32d StPO sieht die in Satz 2 normierter Verpflichtung gerade nicht nur für Rechtsanwälte, sondern für „Verteidiger und Rechtsanwälte“ vor (vgl. auch BT-Drucks. 18/9416 S. 51: „§ 32 StPO-E beschränkt die Nutzungspflicht von vornherein auf Verteidiger und Rechtsanwälte“). Die Angeklagte hat hier zu Beginn der Hauptverhandlung am 13. Oktober 2023 vor dem Landgericht Berlin ihre (weiteren) Verteidigerinnen gewählt und diese haben die Wahl angenommen. Mit der Genehmigung durch das Landgericht Berlin durch Beschluss vom selben Tag ist das Verteidigungsverhältnis wirksam entstanden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 138 Rn. 10), unabhängig davon, ob die Wahlverteidigerin entgeltlich oder unentgeltlich für die Angeklagte tätig geworden ist (vgl. Meyer-Goßner-Schmitt, a.a.O., Vor § 137 Rn. 4).

Raum für eine teleologische Reduktion von § 32d S. 1 StPO dahin, Verteidiger, die nicht Rechtsanwälte sind, vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen, besteht nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Personenkreis von der Norm nicht erfasst werden sollte. In der Gesetzesbegründung wird deutlich gemacht, dass dieses besondere Formerfordernis nicht für Beschuldigte, nicht vertretene Nebenkläger und sonstige Verfahrensbeteiligte gelten soll (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 51). Ausgenommen werden sollte also vor allem der „einfache“ Bürger in seinem Kontakt mit der Strafjustiz, dessen Zugang nicht erschwert werden sollte (vgl. auch BT-Drucks. 18/9416, S. 2 f.) Daraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die am Verfahren beteiligten Beistände von Beschuldigten vollständig erfasst werden sollten. Dafür spricht schließlich auch der Sinn und Zweck der Norm, denn eine elektronische Aktenführung kann nur dann die damit verbundenen Vorteile voll umfänglich entfalten, wenn möglichst alle Prozessbeteiligten ihre Beiträge systemgerecht einreichen (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juni 2022 – 3 Ws (B) 123/22122 Ss 58/22 –, juris; KK-StPO/Graf, a.a.O., § 32d Rn. 1). Folglich sollte der davon ausgenommene Personenkreis möglichst klein bleiben (vgl. Senat, a.a.O.)

a) An dem vorstehenden Ergebnis vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass bereits die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 10. März 2023 nicht form- und fristgerecht gemäß §§ 314 Abs. 1, 32d S. 2 StPO erfolgt ist. Gegen dieses Urteil ist nämlich ebensowenig wirksam Berufung eingelegt worden, wie gegen das nunmehr angefochtene die Revisionsbegründung wirksam erfolgt ist. Denn die am 17. März 2023 durch die Wahlverteidigerin K. W. per Telefax eingelegte Berufung entsprach ebenfalls nicht den gesetzlich zwingenden Vorschriften und war damit unwirksam. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen……“

beA I: Beschwerdeschrift der Staatskasse elektronisch, oder: Gleiches Recht für alle….

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Und zum Wochenschluss dann der „Kessel Buntes“, und zwar heute mit zwei Entscheidungen des BGH zum beA.

Hier kommt zunächst der BGH, Beschl. v. 08.11.2023 – XII ZB 72/23 . Für den gilt:

Gleiches Recht für alle, also auch für die Staatskasse. Das ist nämlich das Fazit aus dem Beschluss des BGH. Der BGh hat in ihm zu den formellen Anforderungen an die Beschwerdeschrift der Staatskasse nach dem FamFG Stellung genommen und sagt: Die Einlegung der Beschwerde durch die Staatskasse erfordert im Fall der Einreichung einer Beschwerdeschrift nach §§ 64 Abs. 2 S. 1, 14b Abs. 1 FamFG die elektronische Übermittlung:

„2. Die Beschwerde der Staatskasse ist nicht formgerecht eingelegt worden.

a) Als bestimmender Schriftsatz ist die Beschwerde, wenn sie durch einen Rechtsanwalt, einen Notar, eine Behörde oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht wird, seit dem 1. Januar 2022 gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 1 FamFG als elektronisches Dokument zu übermitteln. Wird diese Form nicht eingehalten, ist die Erklärung unwirksam und wahrt die Rechtsmittelfrist nicht (Senatsbeschluss vom 31. Mai 2023 – XII ZB 428/22FamRZ 2023, 1577 Rn. 5; BGH Beschluss vom 31. Januar 2023 – XIII ZB 90/22FamRZ 2023, 719 Rn. 13).

Die Pflicht zur elektronischen Übermittlung gilt auch in Betreuungs- und Unterbringungsverfahren. Denn für die einzureichenden Anträge und Erklärungen ist § 14 b FamFG ohne Bereichsausnahme einschlägig (vgl. Senatsbeschluss vom21. September 2022 – XII ZB 264/22FamRZ 2022, 1957 Rn. 8).

Die Beschwerdeeinlegung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG wird vom sachlichen Anwendungsbereich des § 14 b Abs. 1 FamFG erfasst (vgl. Senatsbeschlüsse vom 31. Mai 2023 – XII ZB 428/22FamRZ 2023, 1577 Rn. 7 f. und vom 7. Dezember 2022 – XII ZB 200/22FamRZ 2023, 461 Rn. 7 mwN). Im Vergütungsfestsetzungsverfahren gilt nichts Abweichendes (vgl. Senatsbeschlüsse vom 31. Mai 2023 – XII ZB 428/22FamRZ 2023, 1577 Rn. 8 und vom 7. Dezember 2022 – XII ZB 200/22FamRZ 2023, 461 Rn. 8).

b) Der in § 14 b Abs. 1 FamFG verwendete Begriff „juristische Person des öffentlichen Rechts“ schließt die Bundesländer und ihre Behörden ein (vgl. BGH Beschlüsse vom 6. April 2023 – I ZB 84/22WM 2023, 1271 Rn. 14 f. und vom 1. Juni 2023 – I ZB 80/22WM 2023, 1467 Rn. 17 f. zum Vollstreckungsverfahren; OLG Bamberg FamRZ 2023, 459 und JurBüro 2022, 667 f. je zu § 130 d ZPO; Sternal/Sternal FamFG 21. Aufl. § 14 b Rn. 9; BeckOK FamFG/Burschel/Perleberg-Kölbel [Stand: 1. August 2023] § 14 b Rn. 9; Fritzsche NZFam 2022, 1, 3). Erfasst werden sollen alle Behörden (vgl. BT-Drucks. 17/12634 S. 27 zu § 130 d ZPO).

c) Nach den vorstehenden Grundsätzen fehlt es an einer formwirksamen Einlegung der Beschwerde. Die Staatskasse hat die Beschwerde nicht als elektronisches Dokument übermittelt. Auch die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung sind nicht gegeben. Die Staatskasse hat ebenfalls nicht von der Möglichkeit des § 64 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 FamFG Gebrauch gemacht, die Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären.

aa) Die Staatskasse fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des § 14 b Abs. 1 FamFG. Sie ist zwar keine Behörde im Sinne des § 8 Nr. 3 FamFG, weil sie nicht in Verfahrensstandschaft für und gegen den jeweiligen Rechtsträger handelt (vgl. hierzu: Prütting/Helms/Prütting FamFG 6. Aufl. § 8 Rn. 21 mwN), aber sie vertritt den Rechtsträger als solchen (A.I.1.c. der Anordnung über die Vertretung des Landes Brandenburg im Geschäftsbereich des Ministers der Justiz – Vertretungsordnung JM Brdbg – vom 9. Juni 1992 [JMBl. S. 78], zuletzt geändert durch Allgemeine Verfügung vom 15. Juli 2019 [JMBl. S. 134]; vgl. auch OLG Bamberg FamRZ 2023, 459, 460 und JurBüro 2022, 667 f. je zu § 5 Abs. 1 Nr. 7 lit. c der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern vom 26. Oktober 2021 – VertV, GVBl. S. 610).

bb) Auch war nicht ausnahmsweise die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften in Schriftform oder per Telefax gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG zulässig. Die Staatskasse hat nicht im Wege einer Ersatzeinreichung nach dieser Vorschrift dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war.“

Dürfte dann wohl auch für andere Verfahrensordnungen gelten. Zur Nutzungspflicht für die Staatsanwaltschaft im Vollstreckungsverfahren LG Gera, Beschl. v. 06.10.2022 – 7 T 234/22.