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StPO II: Nachweis der Verständigungsmitteilung, oder: Genügende Entschuldigung für Ausbleiben im Termin?

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Und dann die beiden Entscheidungen zur Hauptverhandlung, einmal geht es um den Nachweis der ausreichenden Mitteilung zu einer Verständigung (§ 243 Abs. 4 StPO) und einmal um die Verwerfung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid. Hier sind dann:

Die Protokollierung des Tatgerichts, dass der Vorsitzende den Inhalt eines richterlichen Vermerks über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Gespräche bekannt gegeben hat, genügt den von § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO gestellten Anforderungen, wenn der Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll durch Nennung seiner Ausstellers, seines Datums und seines Betreffs so unverwechselbar bezeichnet, dass eine eindeutige Identifizierung möglich ist Es bedarf weder die „Verlinkung“ mit einer Aktenfundstelle noch muss der Vermerk „verlesen“ werden.

Erscheint der Angeklagte nicht zum Termin, kommt es im Fall des § 412 Satz 1, § 329 Abs. 1 und 7 StPO nicht darauf an, ob er sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist.

StPO II: Ist die erschienene Person der Angeklagte?, oder: War der „Exekutor des B.“ der Angeklagte?

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In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.04.2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22 – geht es auch um eine Berufungsverwerfung, der ein Sachverhalt zugrunde liegt, den ich so auch noch nicht erlebt habe:

Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteil war der Angeklagte bei Aufruf in der Berufungshauptverhandlung nicht erschienen. Bei Fortsetzung der – nach Aufruf der Sache um 9.00 Uhr für ca. 20 Minuten unterbrochenen – Hauptverhandlung erschien dann um 9.23 Uhr eine dem Gericht unbekannte männliche Person im Sitzungssaal, welche im Zuschauerraum Platz nahm. Auf Frage der Vorsitzenden, ob sie der Angeklagte sei, erklärte diese, dass sie der „Exekutor des B.“ sei und zeigt auf den leeren Platz neben dem Verteidiger. Mit Hilfe des Gerichtswachtmeisters, demgegenüber die Person lediglich eine Abstammungsurkunde vorweisen konnte, in welcher der Name B. genannt war, kann die Identität der Person dann auch nicht festgestellt werden. Auch der anwesende Verteidiger konnte die Identität des Angeklagten nicht sicher bestätigen. Mehrere Fragen der Vorsitzenden ließ die Person unbeantwortet, zeigte auf den leeren Platz neben dem Verteidiger oder antwortete mit Gegenfragen. Als Angeklagter gab sich die Person nicht zu erkennen. Die Berufung des Angeklagten ist dann verworfen worden.

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„2. Soweit die Revision beanstandet, die Kammer habe es pflichtwidrig unterlassen, die Identität der Person, bei welcher es sich um den Angeklagten gehandelt habe, näher aufzuklären, etwa durch Gegenüberstellung mit KHK Krull, dem der Angeklagte bekannt und der zu dessen Identifizierung in der Lage sei, genügt die Rüge nicht den an eine Verfahrensrüge zu stellenden Anforderungen gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2008, 87). Diese verhält sich insbesondere nicht dazu, ob KHK Krull in der Hauptverhandlung anwesend war und dass so innerhalb angemessener Zeit Klarheit über die Identität der anwesenden Person hätte gewonnen werden können. Zu aufwändigen und zeitraubenden, den Zweck des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO zuwiderlaufenden Ermittlungen zur Identität der anwesenden Person war die Kammer nicht verpflichtet.

3. Hat es sich bei der anwesenden Person um den Angeklagten gehandelt, ist seine Berufung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO zu Recht verworfen worden. Der Angeklagte hat – entgegen § 111 Abs. 1 OWiG – Angaben zu seiner Identität verweigert und hat sich gegenüber dem Gericht nicht als solcher zu erkennen gegeben. Demzufolge war er i.S.d. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO als “bei Beginn der Hauptverhandlung nicht erschienen” zu behandeln. Für ein Erscheinen genügt nicht schon die körperliche Anwesenheit des Angeklagten (vgl. BGH NJW 1970, 2253), sondern erfordert nach dem Zweck des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO, eine Sachentscheidung über seine Berufung nicht dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (BGHSt 17, 188; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 329 Rn. 2), auch, sich als Angeklagter zu erkennen zu geben, auf Frage des Gerichts gem. § 111 Abs. 1 OWiG Angaben zu seiner Identität zu machen und sich so als Angeklagter und Berufungsführer auszuweisen (LG Berlin NStZ-RR 1997, 338; Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 27. Aufl. 2019 § 329 Rn. 7). Hierdurch wird sein Recht, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 243 Abs. 5 StPO), nicht berührt. Andernfalls ist er nicht zum Zwecke der Durchführung der Berufungshauptverhandlung erschienen und hat die Folge, dass seine Berufung ohne Sachverhandlung verworfen wird, hinzunehmen.“

Was micht erstaunt ist der Umstand, dass auch der Verteidiger nicht bestätigen konnte, dass es sich bei der erschienenen Person um den Angeklagten gehandelt hat.Eigenartig 🙂 .

Der EGMR und der Abgesang auf die Berufungsverwerfung – hier ist der Volltext

Ich hatte am 07.12.2012 unter der Überschrift „Überraschung/Sensation (?) – Der EGMR und der Abgesang auf die Berufungsverwerfung“ über das EGMR, Urt. v. 08.11.2012 in Sachen Neziraj gegen Deutschland (Nr. 30804/07) berichtet.

Zu dem Zeitpunkt kannte ich nur die Originalentscheidung. Inzwischen hat mir der Kollege Dr. Sommer eine Übersetzung der EGMR-Entscheidung zukommen, die ich jetzt hier online stelle. Damit hat jeder selbst die Möglichkeit zu entscheiden, ob es etwas Neues ist, oder wir die Argumentation des EGMR bereits aus anderen Verfahren kennen. Jedenfalls wird man sich als Gesetzgeber m.E. um den § 329 Abs. 1 StPO Gedanken machen müssen.

Und: Ich bin gespannt, ob die Bundesregierung das Urteil so hinnimmt oder das Verfahren bei der Großen Kammer weiterbetreibt.