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Corona I: Gebrauch eines gefälschten Impfpasses, oder: Wie weit sperrt die alte Fassung von § 279 StGB?

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und dann starte ich in die 36. KW. mit zwei Entscheidungen zu Corona. Die Problematik ist ja in den letzten Monaten ein wenig in den Hintergrund getreten. Ich hoffe, dass sie nicht zu stark wieder kommt.

Hier zunächst der OLG Zweibrücken, Beschl. v.  26.06.2023 – 1 OLG 2 Ss 33/22. Der äußert sich noch einmal zum Verhältnis von § 279 StGB a.F. zu § 267 StGB. Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf der Urkundenfälschung freigesprochen. Es hatte folgende Feststellungen getroffefeN:

„Am 13.10.2021 legte die Angeklagte in der pp. Apotheke in der pp. in pp. einen auf ihren Namen lautenden Impfausweis vor, der zwei mittels Stempel und Unterschrift verifizierte Eintragungen enthielt, die entgegen der Tatsachen bescheinigen sollten, dass sie am 14.07.2021 (Chargennummer: 1DO18A) und am 25.08.2021 (Chargennummer: Ey2172) beim Impfzentrum pp. jeweils eine Impfung mit dem Impfstoff Comirnaty von der Firma BioNTech/Pfizer erhalten habe. Tatsächlich hatte die Angeklagte diese Impfungen zu keinem Zeitpunkt erhalten und die Eintragungen waren von einer unberechtigten Person vorgenommen worden, was ihr bekannt war. Der Absicht der Angeklagten folgend wurde ihr daraufhin in der Annahme der Echtheit der Eintragungen ein digitaler Impfnachweis ausgestellt, den sie in der Folgezeit in ihrer Corona Warnapp hochlud, um das Zertifikat in der Folgezeit zu verwenden.“

Das AG hat die Angeklagte freigesprochen, weil sie keinen Straftatbestand erfüllt habe. Dagegen die Revsion, die Erfolg hatte:

„Eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB sei nicht möglich, weil die §§ 277 ff. StGB a.F. in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung gegenüber dem Delikt der Urkundenfälschung eine umfassende Privilegierung des Umgangs mit gefälschten bzw. unrichtigen Gesundheitszeugnissen darstellen würden.

Ein Verwenden des digitalen Impfnachweises habe sich mangels objektiver Beweismittel bzw. Ermittlungsansätze nicht klären lassen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht den Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in der von den §§ 277, 278 a.F. StGB bezeichneten Art gemäß § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.

Bei der Impfbescheinigung handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277, 278 StGB a.F. (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2022 – 5 StR 283/22; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2022 – 1 Ws 114/21 – juris Rn. 16; OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2022 – 1 Ws 732-733/21 –, juris Rn. 14; Heine/Schuster in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage, § 277 Rn. 2; Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage, § 277 Rn. 2; jeweils m.w.N.), auf die § 279 StGB a.F. hinsichtlich der Tatobjekte verweist. Keinen Bedenken unterliegt auch, dass das Amtsgericht einen Gebrauch des unrichtigen Gesundheitszeugnisses i.S.d. § 279 StGB a.F. nicht festzustellen vermochte.

Der Tatbestand des § 279 StGB a.F. setzt voraus, dass von dem unrichtigen Gesundheitszeugnis Gebrauch gemacht wird, um eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft zu täuschen. An dieser Verwendungsabsicht fehlt es vorliegend. Wie im Anwendungsbereich des § 277 StGB a.F. besteht die Tathandlung auch im Anwendungsbereich des § 279 StGB a.F. im Gebrauch des Attests gegenüber einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft (vgl. Erb, a.a.O., § 279 Rn. 3 m.w.N.; BT-Drucks., a.a.O., S. 34).

Als einzige tatsächliche Verwendungsweise festgestellt ist, dass der Impfausweis in einer Apotheke zur Erstellung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt wurde.

Apotheken kommen als Vorlageadressaten nicht in Betracht, da sie keine Behörden i.S.d. Vorschrift sind (vgl. BGH, a.a.O. zu §§ 277, 278 StGB a.F. m.w.N.).

Durch die Vorlage der Falsifikate in Apotheken zur Erlangung eines digitalen Impfzertifikats wird die Impfbescheinigungen auch nicht dem Robert-Koch-Institut als der für die Erstellung digitaler Impfzertifikate zuständigen Behörde zugänglich gemacht. Denn ein Gebrauchen setzt jedenfalls ein Verbringen des Gesundheitszeugnisses in den Machtbereich der Behörde mit der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung voraus (BGH, a.a.O. m.w.N.). Daran fehlt es, weil dem Robert-Koch-Institut durch die Apotheke nicht der Impfpass, sondern lediglich darin befindliche personenbezogene Daten übermittelt werden (BGH, a.a.O. unter Hinweis auf OLG Celle, Urteil vom 31.05.2022 – 1 Ss 6/22 Rn. 20, NJW 2022, 2054, 2055; Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O.).

Weitere Verwendungsweisen oder Absichten, die auf die Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft gerichtet sind, hat das Amtsgericht nicht festzustellen vermocht, so dass es vorliegend an einem Gebrauchen des Gesundheitszeugnisses gegenüber dem besonderen Adressatenkreis i.S.d. § 279 StGB a.F. fehlt.

2. Das Amtsgericht hat sich allerdings zu Unrecht an einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB gehindert gesehen.

a) Die Ansicht, der Tatbestand des § 279 StGB a.F. sperre die Anwendbarkeit des § 267 StGB, ist unzutreffend.

Der Bundesgerichtshof hat die in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage zum Verhältnis des § 277 StGB zu § 267 StGB in dem Sinne entschieden, dass § 267 StGB auch unter Geltung des § 277 StGB a.F. nicht aufgrund einer privilegierenden Spezialität verdrängt wird (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N. auch zum Meinungsstand).

Nach Auffassung des Senats ist die Begründung des Bundesgerichtshofs auch auf das Verhältnis des § 279 StGB a.F. zu § 267 StGB zu übertragen. Zwar spricht das zu § 277 StGB a.F. herangezogene systematische Argument des zweiaktigen Deliktsaufbaus des § 277 StGB a.F. im Vergleich zum einaktigen Deliktsaufbau des § 267 StGB beim ebenfalls einaktig aufgebauten § 279 StGB a.F. nicht gleichermaßen gegen eine Privilegierung. Die weitere Argumentation trifft aber, nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Entstehungsgeschichte und Weitergeltung der Vorschriften (§§ 256 bis 258 PreußStGB bzw. §§ 277 bis 279 StGB) und der Bezugnahme in der Verweisung des § 279 StGB auf § 277 StGB, auf das Verhältnis von § 279 StGB a.F. und § 267 StGB zu (vgl. zu einer sinngemäßen Übertragung der Anwendungsbereiche des § 277 StGB a.F. und § 279 StGB a.F. gegenüber § 267 StGB auch Erb, a.a.O., Rn. 10; Puppe/Schumann in Nomos Kommentar zum StGB, 5. Aufl., § 279 Rn. 9; BT-Drucks., a.a.O., S. 2, 33 m.w.N.).

b) Der Impfpass ist im vorliegenden Fall eine Urkunde im Sinne des § 267 StGB. Insbesondere handelt es sich bei vollständigen Impfdokumentationen um verkörperte Gedankenerklärungen, die zum Beweise geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lassen und damit um Urkunden. Die in der ausgefüllten Zeile des Impfausweises enthaltenen Angaben über Datum der Impfung, Impfstoff und Charge ergeben im Zusammenhang mit den Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises die Erklärung des Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (vgl. BGH, a.a.O.).

Wird die Impfbescheinigung etwa mit einem Stempel mit dem Aufdruck des Impfzentrums und einer erfundenen oder nachgeahmten Unterschrift versehen, möchte der Aussteller den Eindruck erwecken, die Bescheinigung sei von einem Arzt des Impfzentrums ausgestellt worden, obwohl sie tatsächlich von ihm selbst herrührten. Scheinbarer Aussteller ist hingegen der angebliche Impfarzt.

Benutzte eine Person ein solches unechtes Attest zur Vorlage gegenüber einem Apotheker, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten, beabsichtigte sie, dass der Apotheker gem. § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 IfSchG (in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vom 28.5.2021) die Durchführung der Impfung nachträglich bescheinigt, gebrauchte mithin das unechte Attest zur Täuschung im Rechtsverkehr i.S.d. § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB.

c) Soweit das Amtsgericht allerdings lediglich zum Ausdruck bringt, der Impfausweis sei von einer nicht berechtigten Person ausgestellt worden, sind diese Feststellung offenkundig lückenhaft und vor dem Hintergrund der Annahme getroffen, dass eine Anwendbarkeit des § 267 StGB in allen Fällen des § 277 StGB, mithin auch im Fall der unrichtigen Bescheinigung, ausgeschlossen ist, so dass es auf diese Differenzierung für die Beurteilung der Strafbarkeit der Angeklagten nicht mehr ankam.“