Schlagwort-Archive: rechtliches Gehör

OWi II: Atemmessung mit Dräger Alcotest 9510 DE, oder: Aufklärungspflicht, Eichung und Störquellen

© benjaminnolte – Fotolia.com

Im zweiten Posting dann der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 31.01.2025 – 3 ORbs 330 SsBs 629/24, und zwar zur Aufklärungspflicht bei einer Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 1 StVG, bei der der Verurteilung ein standardisiertes Messverfahren zugrunde gelegen hat. Hier hatte die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg:

Der Senat merkt Folgendes ergänzend an:

1. Die erhobene Verfahrensrüge mangelnder Sachaufklärung zur Frage der Richtigkeit der Atemalkoholmessung dürfte bereits unzulässig sein (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde das von dem beauftragten Privatsachverständigen in Bezug genommene Gutachten des Bundesgesundheitsamtes zur Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse nicht vorgelegt hat. Ungeachtet dessen ist die Rüge jedenfalls unbegründet.

Der Gesetzgeber hat ausdrücklich vorgesehen, dass bei der Atemalkoholbestimmung nur Messgeräte eingesetzt und Messmethoden angewendet werden dürfen, die den im Gutachten des Bundesgesundheitsamts zur Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse gestellten Anforderungen genügen (BT-Drucks. 13/1439, S. 4). Dem wird das im hier gegebenen Fall verwendete Messgerät Dräger Alcotest 9510 DE gerecht, das die Voraussetzungen der DIN VDE 0405 erfüllt (vgl. Schuff, in: Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl., § 2 Rn 114; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Abschnitt T, Rn 3636) und bei dem es sich um ein sog. standardisiertes, Messverfahren handelt (KG Berlin, B. v. 24.03.2022 – 3 Ws (B) 53/22-122 Ss 24/22 -, juris Rn 14, OLG Dresden, B. v. 06.10.2022 – OLG 23 Ss 608/22 (B), juris Rn 13; BayObLG, B. v. 07.01.2021 – 201 ObOWi 1683/20, juris Rn 6 f.; vgl. auch BGH, B. v. 03.04.2001 – 4 StR 507/00 -, juris Rn 11 zum Gerät Dräger Alcotest Evidential MK III). Diese Anerkennung führt hinsichtlich des Umfanges der Beweisaufnahme und der Anforderungen an die Urteilsgründe zu Erleichterungen (BGHSt 39, 291; 43, 277), die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind (BVerfG, B. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 -, juris). Die Erleichterungen bedeuten im Rahmen der Beweisaufnahme eine reduzierte Sachverhaltsaufklärungspflicht des Tatgerichts. Das Tatgericht darf bei einer mit einem standardisierten Messverfahren erfolgten Messung grundsätzlich ohne weitergehende Beweiserhebung von der Richtigkeit des ermittelten, gegebenenfalls um eine Toleranz zu bereinigenden Messwerts ausgehen (BGH a.a.O.; KG Berlin, a.a.O., BayObLG, a.a.O.).

Die in § 77 Abs. 1 OWiG normierte Aufklärungspflicht nötigt das Gericht nur dann zu einer weitergehenden Beweisaufnahme zwecks näherer Überprüfung des Messergebnisses, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte vorgetragen werden oder sonst ersichtlich sind, die geeignet sind, Zweifel an dessen Richtigkeit zu begründen (vgl. BGH a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.; BayObLG, a.a.O.). Dies war vorliegend nicht der Fall:

Der Betroffene nahm am 19.01.2024, 002 Uhr, in Singen, mit einem Pkw pp. am Straßenverkehr teil und wurde einer Polizeikontrolle unterzogen. Eine zu diesem Zeitpunkt dort mittels eines nicht geeichten Atemalkoholmessgeräts durchgeführter Test ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0,32 mg/I. Die auf dem fünf Kilometer entfernten Polizeirevier in Mühlhausen-Ehingen erfolgte Atemalkoholmessung mit dem am 25.09.2023 vor und am 19.03.2024 nach der verfahrensgegenständlichen Messung gültig geeichten Messgerät Dräger Alcotest 9510 DE fand am 19.01.2024 ab 00:36 Uhr statt. Dem Protokoll zur Atemalkoholanalyse zufolge hatte der Betroffene angegeben, sein letzter Alkoholkonsum habe am 19.01.2024 um 00:00 Uhr stattgefunden. Dem Protokoll ist u.a. weiter zu entnehmen, dass die Wartezeit von 20 Minuten vor der ersten Messung eingehalten sei und der Betroffene mindesten zehn Minuten vor Beginn bis Ende des Messzyklus keine Nahrungs- oder Genussmittel aufgenommen habe. Ein erster, um 00:38:36 Uhr durchgeführter Messversuch wurde vom Messgerät abgebrochen („Fehlversuch, Atemabgabe unzulässig“). Um 00:39:42 Uhr erfolgte die erfolgreiche erste Einzelmessung, die eine Atemalkoholkonzentration von 0,267 mg/I, um 00:43 Uhr die zweite Einzelmessung, die eine Atemalkoholkonzentration von 0,277 mg/I ergab. Das Messergebnis (Mittelwert) wurde mit 0,27 mg/I ausgewiesen. Der Betroffene erklärte in der Hauptverhandlung, er habe vor Fahrtantritt zunächst ein alkoholfreies und sodann ein alkoholhaltiges Bier getrunken.

Das in der Hauptverhandlung eingeführte, von dem anwesenden Verteidiger vorgelegte Privatgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. pp. vom 27.05.2024 über die „Begutachtung der Beweismittel“ kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt ein ordnungsgemäßer Messablauf nachvollzogen werden könne; da aber in einem Eichschein der ordnungsgemäße Zustand eines Messsystems zum Zeitpunkt der Eichung bestätigt werde, seien zur Sicherstellung, dass das Messgerät zur Messzeit ordnungsgemäß funktioniert habe und nicht Störungen aufgetreten seien, die zu einem falschen Messergebnis geführt haben könnten, auch noch die Ergebnisse der Eingangsprüfung der nachfolgenden Eichung heranzuziehen, weil bei Atemalkoholmessgeräten nicht auszuschließen sei, dass Rückstände bzw. Ablagerungen in den beiden Probenkammern trotz Spülung nicht vollständig beseitigt werden, was dann nachfolgende Messungen verfälschen könne. Insbesondere werde im Gutachten „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“, welches die Grundlage für die Zulassung von Atemalkoholmessungen bilde, vom Verfasser Schoknecht darauf hingewiesen (Abs. 3.1. Grundvoraussetzungen): „Die Zuverlässigkeit (Reliabilität) der Messgeräte muss über den Zeitraum, in dem ein Messgerät zum Einsatz kommt, gewährleistet sein. Diese Nacheichungen, die die Gewähr für die Messsicherheit über den Einsatzzeitraum sichern, sollten in möglichst kurzen Zeitabständen stattfinden. Nach den bisherigen Erfahrungen wird hierfür ein Zeitraum von 6 Monaten als notwendig erachtet.“

Hinweise auf eine nicht ordnungsgemäße Verwendung des Atemalkoholmessgeräts durch den Bediener hat der Privatsachverständige somit ausdrücklich verneint. Konkrete Anhaltpunkte für eine strukturelle, von der Bauartprüfung- und Zulassung des Messgeräts durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (vgl. Schuff, in: Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl., § 2 Rn 114) nicht erfasste Fehlerquelle, denen das Amtsgericht unter dem Gesichtspunkt der Amtsaufklärung hätte nachgehen müssen, ergeben sich aus den Darlegungen des Privatsachverständigen ebenso wenig wie aus dem in Bezug genommen Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“, das Rückstände und Ablagerungen in Probekammern als mögliche Ursache von Messfehlern nicht thematisiert, aber insbesondere klarstellt, dass Nacheichungen die Gewähr für die Messsicherheit über den Einsatzzeitraum sichern (Ziff. 3.1. Grundvoraussetzungen, S. 10). Die Äußerungen des Privatsachverständigen erschöpfen sich letztlich in dem Hinweis auf eine von den Eichbehörden im Rahmen der Eichprüfung eines Atemalkoholmessgeräts zu kontrollierende, theoretisch mögliche Störungsquelle.

Diese Äußerungen mussten, da das vorliegend verwendete Messgerät vor und nach der verfahrensgegenständlichen Messung innerhalb des halbjährigen Regelturnusses gültig geeicht wurde, dem Amtsgericht zu keiner weiteren Aufklärung Anlass geben. Durch die Bauartprüfung- und Zulassung bzw. Konformitätsbewertung zusammen mit der auf deren Grundlage erfolgenden staatlichen Eichung ist über den Zeitraum der Eichperiode die immer korrekte Funktion des einzelnen Gerätes sichergestellt (vgl. BayObLG, a.a.O., Rn 6 f.; Lagois, Blutalkohol 37, 77, 88 zum Vorgängergerät Dräger Alcotest 7110 Evidential, das im Wesentlichen über die gleichen messtechnischen Einrichtungen verfügt wie das Modell Alcotest 9510 DE, vgl. dazu: Schuff, in: Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl., § 2 Rn 114).

Der am 19.01.2024, 00:38:36 Uhr, bei dem ersten Messversuch erfolgte – von dem Privatsachverständigen in seinem Gutachten nicht thematisierte – Abbruch des Messvorgangs rechtfertigt keine andere Beurteilung, denn er ist lediglich Beleg für die funktionsfähigen geräteinternen Kontrollmechanismen, die das Messergebnis absichern und in einem Fehlerfall zu einer entsprechenden Fehlermeldung bzw. zu einem Abbruch des Messvorgangs führen (vgl. OLG Dresden, B. v. 03.01.2005 – Ss (OWi) 629/04 – Rn 17; Schuff, a.a.O., Rn 116; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., Abschnitt T, Rn 3644; Schäler, NZV 2017, 422, 425; Haffner u.a., NZV 2009, 209 ff.; Schmidt u.a., Blutalkohol 37, 92 ff.).

Soweit der Betroffene pauschal erklärte, das Messgerät habe ein paar Mal neu gestartet werden müssen, musste dieser (im Privatgutachten ebenfalls nicht thematisierte) Vortrag gleichfalls – auch im Rahmen einer Gesamtschau und unter Berücksichtigung des vom Betroffenen angegebenen Umfangs seines Alkoholkonsums – nicht zu weiterer Aufklärung drängen. Der geschulte Messbeamte hatte dazu in der Hauptverhandlung zwar nur angegeben, er könne sich nicht mehr erinnern, ob das Gerät vorher (offensichtlich gemeint: vor der durchgeführten Messung) abgestürzt sei und sie einen Neustart hätten machen müssen. Da das Messgerät jedoch gültig geeicht war, das Polizeipräsidium Konstanz am 02.04.2024 schriftlich gegenüber der Bußgeldbehörde erklärt hatte, dass im Eichzeitraum keine (ausschließlich vom Hersteller durchgeführten – vgl. Schuff, a.a.O., Rn 114) Wartungen oder Reparaturen und demgemäß auch keine unplanmäßige Eichung stattgefunden hätte(n) und da das Gerät – wie ausgeführt – über zahlreiche geräteinterne Kontroll- bzw. Selbsttestmechanismen verfügt und die Atemalkoholkonzentration mit zwei verschiedenen voneinander unabhängigen Messsystemen und Messmethoden misst, die sich gegenseitig überwachen (vgl. Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“, Ziff. 3.5. Messsicherheit, S. 13; Knopf u.a., NZV 2000, 195; Krumm, NJW 2012, 1860; Burhoff, a.a.O., Rn 3644 ff.; Lagois, a.a.O.; Schmidt u.a., a.a.O.), durfte das Amtsgericht davon ausgehen, dass gegebenenfalls notwendige Neustarts des Messgeräts weder einen Gerätedefekt noch einen Messfehler nahelegten (vgl. auch AG Reutlingen, Urt. v. 20.06.2018- 5 OWi 28 Js 9556/18 -, juris Rn 13).“

Rest dann bitte selbst lesen oder <<Werbemodus an>> entweder bei Burhoff/Grün, Messungen im Straßemverkehr, 6. Aufl. 2021, oder bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, nachlesen. Bestellen kann man die hier. Wenn das OLG uns zitiert, darf ich das auch 🙂 <<Werbemodus aus“.

Vereinsrecht I: Ausschluss eines Vereinmitglieds, oder: Gerichtliche Überprüfung

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Im Kessel Buntes am heutigen Samstag dann seit längerem mal wieder zwei Entscheidungen zum Vereinsrecht.

Den Opener macht der OLG Hamm, Beschl. v. 06.01.2025 – 8 W 36/24 – zur gerichtlichen Überprüfung des Ausschlusses eines Vereinsmitglieds. Der Beschluss hat folgende Leitsätze:

1. Der Ausschluss eines Mitglieds aus einem Verein kann mit Hilfe der Feststellungsklage gerichtlich überprüft werden. Der Kläger kann die Feststellung begehren, dass der Ausschließungsbeschluss unwirksam ist. Alternativ kann er die Feststellung beantragen, dass er noch Mitglied des Vereins ist.

2. Eine satzungsmäßige Einspruchsmöglichkeit steht der Klage gegen den Ausschluss nicht entgegen, wenn der Verein die Entscheidung des Rechtsmittelorgans böswillig verhindert oder ungebührlich verzögert. Eine Verzögerung von zehn Monaten ist in der Regel ungebührlich.

3. Die dem gesamtvertretungsberechtigten Vorstand zugewiesene Ausschlussentscheidung ist von dem Vorstand nicht nur in vertretungsberechtigter Zahl zu treffen, sondern von ihm auch dem Mitglied gegenüber in dieser Form abzugeben.

4. Eine von anderen Vorstandsmitgliedern einem gesamtvertretungsberechtigten Vorstandsmitglied erteilte Generalvollmacht zur Vertretung des Vereins ist unwirksam, soweit sie eine satzungsmäßige Vertretungsregelung unterlaufen würde.

5. Auch ohne ausdrückliche satzungsmäßige Anordnung hat der Verein vor der Entscheidung über den Ausschluss eines Mitglieds das Gebot rechtlichen Gehörs (audiatur et altera pars) zu beachten.

6. Ist in der Satzung die vereinsinterne Überprüfung der Ausschlussentscheidung im Wege des Einspruchs vorgesehen, so hat das dafür zuständige Organ seiner Entscheidung grundsätzlich die der Ausgangsentscheidung zugrundeliegenden Tatsachen zugrunde zu legen. Neue Tatsachen kann es jedenfalls nicht berücksichtigen, ohne dem Mitglied Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (rechtliches Gehör).

Amtshaftung wegen Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: (Nur) Aufhebung wegen OLG-Verfahrensfehler

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Und dann eine etwas ungewöhnliche Entscheidung, nämlich der BGH, Beschl. v. 25.04.2024 – III ZR 54/23.

Es geht nämlich um ein Amts­haf­tungs­ver­fah­ren wegen un­be­rech­tigter Entziehung der Fahrerlaubnis. Folgender Sachverhalt: Die Verwaltungsbehörde entzog dem Kläger im August 2019 seinen Motorrad- und Pkw-Führerschein. Mit Urteil des VG München vom 14.12.2020 wurde der Bescheid aufgehoben und der Beklagte angewiesen, den Führerschein zurückzugeben, was im Februar 2021 erfolgte.

Der Kläger arbeitete im fraglichen Zeitraum bei einem Unternehmen in der Z. Straße 100 in M. und wohnte in der K.-Straße in S. Er reduzierte mit Vereinbarung vom 30.08.2019 und Wirkung zum 01.09.2019 seine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden auf 28 Wochenstunden und arbeitete in der Folge nur noch an vier Tagen pro Woche. Die reduzierte Arbeitszeit wurde bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Mitte des Jahres 2022 beibehalten.

Der Kläger behauptet Einkommensverluste aufgrund des Fahrerlaubnisentzugs in Höhe von insgesamt 31.678 EUR€; einen immateriellen Schaden macht er iin der Revision nicht mehr geltend. Er trägt vor, durch den erhöhten Zeitaufwand für den Arbeitsweg gezwungen gewesen zu sein, seine Arbeitszeit von zuvor 40 Stunden auf 28 Stunden zu reduzieren. Der Arbeitsweg habe sich durch den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel auf mindestens eineinhalb Stunden einfach verlängert, während er vorher mit dem Motorrad lediglich rund 30 Minuten einfach benötigt habe und an Staus hätte vorbeifahren können. Er hätte ohne Arbeitszeitreduzierung um 6.00 Uhr morgens das Haus verlassen müssen und wäre meist erst nach 22.00 Uhr abends zurückgekehrt. Dies sei nicht zumutbar gewesen, da er so kaum noch Freizeit gehabt hätte. Durch die Arbeitszeitreduzierung habe sich sein Arbeitsentgelt von 5.170 EUR brutto auf 3.619 EUR brutto reduziert. Aus dem um 1.551 EUR niedrigeren Brutto-Lohnanspruch über 18 Monate errechne sich ein Schaden in Höhe von 27.918 EUR. Zudem habe er in diesem Zeitraum in Höhe von 3.760 EUR geringere Bonuszahlungen erhalten.

Sowohl das LG als auch das OLG München haben die Klage abgewiesen. Erst mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde hatte der Kläger vorläufig Erfolg.

Allerdings macht der BGH zur Sache keine Ausführungen, sondern beanstandet (nur) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs:

„2. Nach diesen Grundsätzen verletzt die Würdigung des Berufungsgerichts, der Vortrag des Klägers zu den Fahrzeiten sei unsubstantiiert, das von ihm beantragte Sachverständigengutachten müsse deswegen nicht eingeholt werden, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Der Kläger hat in der Klageschrift unter Vorlage einer Wegzeitberechnung (Screenshot eines Routenplaners, Anlage K 6) vorgetragen, vor Entziehung der Fahrerlaubnis für den Weg zur Arbeit ein Motorrad benutzt zu haben, mit dem der Arbeitsweg in etwa 30 Minuten je einfache Strecke zu bewältigen gewesen sei, während er mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens eineinhalb Stunden je einfache Strecke benötigt habe. In seiner Replik auf die Klageerwiderung hat er behauptet, die der Klageschrift beigefügte Wegzeitberechnung sei richtig und spiegele die durchschnittliche Reisezeit zu Arbeitsbeginn und nach Beendigung der Arbeit wider. Zum Beweis hat er die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.

Bereits dieses Vorbringen hätte dem Tatrichter Veranlassung geben müssen, in die Beweisaufnahme einzutreten und einen – ortskundigen und mit den dort gegebenen Verhältnissen im Berufsverkehr vertrauten – Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen.

In der Berufungsbegründung hat der Kläger sein Vorbringen – unter Vorlage der als „Auszug Maps Fahrstrecke Motorrad“ bezeichneten Anlage BK 6 – überdies dahingehend ergänzt, dass sich die rund 30-minütige Fahrzeit mit dem Motorrad selbst bei vollständiger Sperrung der kürzesten Strecke (laut Anlage K 6) in der „Rush-Hour“ bei Nutzung einer Alternativroute nur um neun Minuten erhöhte, und im Schriftsatz vom 13. März 2023 (Gegenerklärung) an die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens erinnert.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat diese Umstände zutreffend herausgearbeitet und mit Recht ausgeführt, dass es weiterer Angaben für die Behauptung des Klägers, dass die Fahrzeit mit dem Motorrad deutlich kürzer gewesen sei als mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nicht bedurft und das Berufungsgericht durch die Nichteinholung des Sachverständigengutachtens gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen habe.

3. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht ohne den Verstoß zu einem in Bezug auf das Klagebegehren günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Das gilt auch, wenn man den Umstand mit einbezieht, dass der Kläger nach Rückerhalt der Fahrerlaubnis seine Arbeitszeit nicht wieder verlängerte. Denn das Berufungsgericht hat diesen Umstand lediglich als einen „auch“ gegen den Kausalzusammenhang sprechenden Gesichtspunkt angesehen, nicht jedoch seine Entscheidung selbständig tragend auf ihn gestützt.“

Und dann gibt es für das OLG noch etwas mit den Weg

„Die angefochtene Entscheidung ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben und das Verfahren insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen des Klägers in der Nichtzulassungsbeschwerde auseinanderzusetzen. Hinsichtlich des Umstandes, dass der Kläger nach Rückerhalt der Fahrerlaubnis seine Arbeitszeit nicht wieder verlängerte, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Kläger in Ansehung der Gründe im Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts, in dem dieses moniert hatte, es fehle an einem Beweisantritt für die Behauptung, dass der Arbeitgeber einer (Rück-)Verlängerung nicht zugestimmt habe, mit einer Bewertung seines Vorbringens als „unsubstantiiert“ im angefochtenen Zurückweisungsbeschluss nicht (mehr) rechnen musste; sollte es im zweiten Rechtsgang darauf ankommen, ist ihm insoweit Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.“

Ich bin gespannt, ob man von der Sache noch einmal etwas hört.

Geldbuße 75 EUR versus SV-Kosten ca. 2025 EUR, oder: Kein rechtliches Gehör – kein Kostenansatz

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Beweiserhebungen im Bußgeldverfahren können, insbesondere wenn es um die Erstattung von Sachverständigengutachten geht, erhebliche Kosten verursachen, die ggf. über den Kostenansatz später auf den Betroffenen zukommen. Der wird sich, wenn er ggf. rechtzeitig von einer beabsichtigten Beweiserhebung erfährt, überlegen, ob es sinnvoll ist, das Verfahren fortzusetzen oder ob er nicht besser Rechtsbehelfe zurücknimmt und so das Verfahren beendet.

Mit den Folgen einer unterlassenen Benachrichtigung bzw. Anhörung eines Betroffenen im Bußgeldverfahren befasst sich dann der OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.10.2023 – 4 Ws 368/23.

Gegen den Betroffenen war wegen einen Abstandsverstoßes ein Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße in Höhe von 75 EUR erlassen worden. Der Betroffene hat dagegen Einspruch eingelegt. Nach Eingang der Akten beim AG bestimmte der Amtsrichter Termin zur Hauptverhandlung auf den 09.02.2023 und ordnete das persönliche Erscheinen des Betroffenen an. Der Betroffene bat sodann um Prüfung einer Entscheidung im Beschlussverfahren und der Verhängung einer Geldbuße von 55 EUR. Der Amtsrichter ordnete aber zur Hauptverhandlung die Ladung eines Sachverständigen an mit dem Beweisthema „vorwerfbarer Abstandsverstoß aus technischer Sicht“, dem die Akten übersandt wurden.

Mit Schreiben vom 31.01.2023 nahm der Betroffene den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurück. Bereits vor Eingang der Rücknahme hatte der Amtsrichter den Sachverständigen mit E-Mailnachricht vom selben Tag gebeten, die Bearbeitung des Gutachtenauftrags einzustellen, da der Betroffene die Einspruchsrücknahme in einem zuvor geführten Telefonat angekündigt hatte. Am 10.02.2023 bezahlte der Betroffene den im Bußgeldbescheid festgesetzten Gesamtbetrag.

Mit Kostenrechnung vom 09.02.2023 wurde der Betroffene u.a. zur Zahlung der von dem Sachverständigen mit Rechnung vom 01.02.2023 geltend gemachten Kosten in Höhe von 2.025,98 EUR aufgefordert. Hiergegen legte der Verteidiger Erinnerung ein. Die hat das AG zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hatte beim LG keinen Erfolg. Die dagegen gerichtete weitere Beschwerde des Betroffenen (§ 66 Abs. 4 S. 1 GKG) hat das OLG als zulässig und begründet angesehen.

Das OLG begründet seine Entscheidung „sehr fein“. Ich verweise wegen der Einzelheiten auf den Volltext und stelle hier nur den Leitsatz ein:

Dem Betroffenen ist im (gerichtlichen) Bußgeldverfahren vor der Anordnung kostenträchtiger Beweiserhebungen rechtliches Gehör zu gewähren. Die Nichtgewährung ist daher als offensichtlicher Verfahrensverstoß zu behandeln, der die Nichterhebung der durch die Beweiserhebung entstandenen Verfahrenskosten zur Folge hat.

OWi II: Falsche Entbindung des Betroffenen von der HV, oder: Keine Verletzung des rechtliches Gehörs

© Corgarashu – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.10.2023 – 1 ORbs 1 SsRs 37/23 – hat auch etwas mit der Frage der Entbindung und/oder der Abwesenheitsverhandlung zu.

Der Betroffene war in dem nach seinem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Seine – nicht mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht versehene – Verteidigerin hat zu Beginn der Hauptverhandlung die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen beantragt. Die Jugendrichterin des AG hat diesem Antrag stattgegeben, ohne den Betroffenen zur Sache verhandelt und den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt.

Dagegen der Antrag der Verteidigerin des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Das OLG hat nicht zugelassen:

„2. Auch die Gehörsrüge dringt nicht durch. Mit ihr beanstandet der Betroffene, dass das Amtsgericht seinen Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen fehlerhaft beschieden, ohne seine Anwesenheit zur Sache verhandelt und hierdurch den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung kann auf der Grundlage des Rechtsbeschwerdevorbringens jedoch nicht festgestellt werden.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 103 Abs. 1 GG geht davon aus, dass die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss (BVerfGE 9, 89 <95 f.>; 74, 1 <5>), und gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Bei der Verletzung solcher Vorschriften bedarf es aber jeweils der Prüfung, ob dadurch nicht zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verkürzt worden ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91, juris, Rn. 14).

Grundsätzlich ist der Betroffene in einem Bußgeldverfahren zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 1 OWiG verpflichtet, womit sein Anwesenheitsrecht als Ausprägung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör korrespondiert (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO). Der Betroffene kann allerdings auf sein Anwesenheitsrecht verzichten. Die Hauptverhandlung darf aber nur dann in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt werden, wenn er nicht erschienen ist und darüber hinaus von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, § 74 Abs. 1 OWiG. In einer fehlerhaften Anwendung der Norm kann ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegen (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 25.04.2002 – 2 Ss (OWi) 44 Z/02; NZV 2003, 587).

Das Amtsgericht hat die Hauptverhandlung zwar unter Verstoß gegen § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt. Es hat dem Antrag auf Entbindung, den die Verteidigerin zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt hat, nachdem der Betroffene nicht erschienen war, stattgegeben und zugelassen, dass die Verteidigerin den Betroffenen in der Hauptverhandlung vertritt. Da die Verteidigerin keine schriftliche Vertretungsvollmacht hat, konnte sie aber weder den von ihr zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten Entbindungsantrag wirksam stellen, noch konnte sie den Betroffenen in der Sitzung wirksam vertreten, § 73 Abs. 2 und 3 OWiG (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.08.2011 – 1 SsBs 26/10, juris). Entschuldigungsgründe, die ein Fehlen des Betroffenen rechtfertigen, wurden im Rahmen der Hauptverhandlung nicht vorgetragen, und es ist aus der Rechtsbeschwerde auch nicht ersichtlich, dass dem Amtsgericht Entschuldigungsgründe bekannt waren. Richtigerweise hätte die Jugendrichterin den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache verwerfen müssen.

Dieser Verstoß gegen einfaches Recht hat im vorliegenden Fall aber nicht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt. Das verfahrensrechtlich gebotene Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG wäre ausschließlich aufgrund verfahrensrechtlicher Vorschriften ohne materiell-rechtliche Prüfung ergangen, mit der Folge, dass der Betroffene mit seinem Vortrag zur Sache bei richtiger Verfahrensweise nicht gehört worden wäre. Das Amtsgericht hat hier den Vortrag des Betroffenen dagegen zu seinen Gunsten in der Weise berücksichtigt, dass die Geldbuße herabgesetzt wurde.“

Mir erschließt sich nicht so ganz, was angesichts der erfolgten Reduzierung der Geldbuße Ziel der Rechtsbeschwerde war.