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Erst „beschränkter, dann „voller“ Pflichtverteidiger, oder: Anrechnung, so die „geballte OLG_Intelligenz“

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.-10.2023 – 1 Ws 200/23. Eine – in meinen Augen – „Besserwisserentscheidung“ eines OLG, das die vorhergehenden richtigen Entscheidungen des AG Speyer., Beschl. v. 23.03.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19 und des AG Speyer, Beschl. v. 05.04.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19  und des LG Frankenthal, Beschl. v. 05.07.2023 – 2 Qs 144/23, über die ich ja jeweils hier auch berichtet habe (vgl. u.a. Erst „beschränkter, dann „voller“ Pflichtverteidiger, oder: Keine Anrechnung, sagt auch das LG Frankenthal).

Ich erinnere an den Sachverhalt: Dem Beschuldigten ist der Vorwurf der Vergewaltigung gemacht worden. Ihm wurde mit Beschluss des AG vom 16.12.2020 der Kollege Flory für die Dauer der Vernehmung einer Zeugin im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beigeordnet. Nach Abrechnung der insoweit entstandenen gesetzlichen Gebühren ist der Kollege dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21.o4.2021 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dafür sind dann seine weiteren Gebühren und Auslagen wie folgt vom AG festgesetzt worden: Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG, zweimal Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG mit einem Zuschlag Nr. 4110 VV RVG und Auslagen. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Vertreterin der Staatskasse hatte keinen Erfolg (das sind die o.a.  AG Speyer Beschlüsse). Gegen den Beschluss des AG hat die Staatskasse natürlich Beschwerde eingelegt. Diese hat das LG Frankenthal mit dem LG Frankenthal, Beschl. v. 05.07.2023 – 2 Qs 144/23 – zurückgewiesen.

Solche Entscheidungen lassen die Vertreter der Staatskasse dann natürlich nicht ruhen. Und er hat weitere Beschwerde eingelegt und hatte damit beim OLG Erfolg:

„Das Rechtsmittel der Vertreterin der Landeskasse ist gern. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 RVG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die im Beschlussausspruch genannten Entscheidungen des Amtsgerichts Speyer und des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) sind rechtsfehlerhaft.

Der Verteidiger ist demselben Angeklagten in demselben Strafverfahren während des Ermittlungsverfahrens zweimal beigeordnet worden. In diesem Fall stellt ein und dasselbe Strafverfahren – jedenfalls für jede Instanz – immer ein und dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG dar (OLG Celle, Beschluss vom 25.08.2010, 2 Ws 303/10, Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.12.2013, III 1 Ws 416/13, juris, Rn. 6; LG Landshut, Beschluss vom 23.03.2010, 2 Qs 326/09, juris, Rn. 15; für das Revisionsverfahren: OLG München, Beschluss vom 21.01.2008, 4 Ws 3/08 <K>, juris, Rn. 7). Die von dem Rechtsanwalt übernommenen Aufgaben sind für die Beurteilung unerheblich, soweit sie in demselben Verfahren wahrgenommen werden (OLG Celle a.a.O., Rn. 11). Die mehrfache Beauftragung eines Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit regelt § 15 Abs. 5 RVG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift erhält der Rechtsanwalt, der in einer Angelegenheit, in der er bereits vorher tätig war, weiter tätig wird, nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vomherein hiermit beauftragt worden wäre. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies nicht, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt ist. Im vorliegenden Fall liegen zwischen den beiden Beiordnungen durch das Amtsgericht Speyer keine zwei Jahre mit der Folge, dass der Verteidiger nur die Gebühren abrechnen kann, die er hätte abrechnen können, wenn er bereits am 16.12.2020 umfassend als Pflichtverteidiger beigeordnet worden wäre.

Der Umsetzung dieser Rechtslage steht auch nicht die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 06.04.2021 entgegen; denn der Inhalt dieses Beschlusses hindert die Anrechnung der bereits zuerkannten Gebühren und Auslagen auf den weiteren Gebühren- und Auslagenanspruch des Verteidigers nicht.

Wie gesagt: „Besserwisserentscheidung. Denn das OLG liegt falscg, die AG und LG-Entscheidungen waren richtig. Das OLG übersieht, dass die Bestellung des Verteidigers im Ermittlungsverfahren nur für die „Dauer der Vernehmung der Zeugin“ erfolgt, also zeitlich beschränkt, ist. Sie war mit der Vernehmung beendet und es ist eine neue Beiordnung erfolgt. Es handelt sich also nicht um dieselbe Angelegenheit i.S. des § 15 RVG. Insofern übersieht das OLG auch, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts während der Dauer einer Vernehmung etwas anders ist als Verteidigertätigkeit im Erkenntnisverfahren. Die vom OLG angeführte Rechtsprechung stützt die falsche Auffassung des OLG im Übrigen nicht. Denn die den zitierten Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalte sind mit der hier entschiedenen Konstellation nicht zu vergleichen. Denn es handelt sich u.a. um Fragen der Nebenklage und/oder der Vertretung mehrerer Adhäsionskläger. Da spielen m.E. ganz andere Fragen eine Rolle. Das OLG sieht es offenbar anders. Schade, aber gegen die geballte Intelligenz (?) eines OLG-Senats kommt man (kaum) an.

Erst „beschränkter, dann „voller“ Pflichtverteidiger, oder: Keine Anrechnung, sagt auch das LG Frankenthal

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Nach dem „Reparaturpost“ von heute Morgen – siehe Rückwirkende Aufhebung der “Pflichtibestellung”, oder: OLG Nürnberg sagt dem LG Amberg, wie es geht – hier jetzt der Bestätigungspost.

Ergangen ist die „Bestätigungsentscheidung“ in dem Verfahren, in dem das AG Speyer mit dem AG Speyer, Beschl. v. 27.3.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19 – und dem AG Speyer, Beschl. v. 5.4.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19 – zu den Gebühren des Pflichtverteidigers entschieden hatte. Ich erinnere an den Sachverhalt:

Dem Beschuldigten ist der Vorwurf der Vergewaltigung gemacht worden. Ihm wurde mit Beschluss des AG vom 16.12.2020 der Kollege Flory für die Dauer der Vernehmung einer Zeugin im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beigeordnet. Nach Abrechnung der insoweit entstandenen gesetzlichen Gebühren ist der Kollege dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21.o4.2021 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dafür sind dann seine weiteren Gebühren und Auslagen wie folgt vom AG festgesetzt worden: Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG, zweimal Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG mit einem Zuschlag Nr. 4110 VV RVG und Auslagen. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Vertreterin der Staatskasse hatte keinen Erfolg (das sind die o.a.  AG Speyer Beschlüsse). Gegen den Beschluss des AG hat die Staatskasse natürlich Beschwerde eingelegt. Diese hat das LG Frankenthal mit dem LG Frankenthal, Beschl. v. 05.07.2023 – 2 Qs 144/23 – zurückgewiesen:

„Die Kammer teilt die Auffassung des Erstgerichts und tritt den Gründen der angefochtenen Entscheidung, die ihrerseits auf den Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 27.03.2023 Bezug genommen hat, vollumfänglich bei.

Ergänzend bemerkt die Kammer: Soweit die Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 20.01.2023 (BI. 422 ff. d.A.) auf die Entscheidung des Landgerichts Mannheim vom 21.01.2019 (BI. 426 ff. d.A.) rekurriert, ist die Kammer der Auffassung, dass die der Entscheidung zugrunde-liegende Konstellation mit der hiesigen nicht vergleichbar ist, da vorliegend der Geltendmachung der Gebühren eine (erste) Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO am 16.12.2020 und eine mehrere Monate später (am 21.04.2021) erfolgte vollumfängliche Beiordnung zugrunde liegt.

Sofern der Rechtsanwalt nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt wurde, handelt es sich jedoch nicht um eine Einzeltätigkeit, sondern um Tätigkeiten im Sinne von VV Teil 4 Abschnitt 1 RVG mit der Folge, dass der Rechtsanwalt dann ggf. Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr verdient (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4301 Rn. 15).

Aus diesem Grund scheidet jedoch nach Auffassung der Kammer eine „Deckelung“ der Gebühren nach § 15 Abs. 6 RVG mangels Vorliegen von Einzelhandlungen im Sinne der vorgenannten Vorschrift vorliegend aus.

Wie bereits im Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 27.03.2023 ausgeführt, kommt nach Auffassung der Kammer – entgegen den Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 23.06.2023 (BI. 442 ff. d.A.) – auch eine Anrechnung nicht in Betracht, da es sich bei der nachfolgenden Beiordnung vom 21.04.2021 nicht um dieselbe Angelegenheit handelt.

Aufgrund des Umstandes, dass diese Rechtsfrage nach Auffassung der Kammer grundsätzliche Bedeutung hat, ist die weitere Beschwerde zugelassen worden.“

Man darf gespannt sein, ob die Staatskasse in die weitere Beschwerde geht. Im Zweifel ja, denn einen solchen Beschluss wird man „nicht hinnehmen“.

Erst „beschränkter, dann „voller“ Pflichtverteidiger, oder: Keine Anrechnung der „beschränkten“ Gebühren

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Und dann vor dem langen Wochenende noch ein wenig Gebührenrecht. Ich beginne mit dem AG Speyer, Beschl. v. 27.3.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19 – und dem AG Speyer, Beschl. v. 5.4.2023 – 1 Ls 5121 Js 25842/19. Das eine ist der Nichtabhilfebeschluss des AG, das andere die auf die Erinnerung hin ergangene Entscheidung des Amtsrichters. Ich stelle beide hier ein, und zwar eben auch den nur kurz begründeten Beschluss des Amtsrichters, weil er sich die Begründung des Nichtabhilfebeschlusses zu eigen gemacht hat, also auch die Auffassung des KFB hat.

Es geht um folgenden Sachverhalt:  Dem Beschuldigten wurde der Vorwurf der Vergewaltigung gemacht. Ihm wurde mit Beschluss des AG vom 16.12.2020 der Kollege Flore, der mir die Entscheidung geschickt hat, für die Dauer der Vernehmung einer Zeugin im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beigeordnet. Der Beschluss wurde dem Kollegen zusammen mit der Terminsbestimmung zur Zeugeneinvernahme am 08.01.2021 zugestellt. Der Kollege nahm am 11.01.2021 Akteneinsicht. Er hat an der nichtöffentlichen Sitzung vor dem Ermittlungsrichter am 28.01.2021 teilgenommen.

Für seine Tätigkeit hat er am 02.02.2021 Kostenfestsetzung beantragt. Das AG hat eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, eine Terminsgebühr Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG sowie Auslagen festgesetzt.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 12.04.2021 wurde dem Beschuldigten sodann mit Beschluss vom 21.04.2021 der Kollege als Pflichtverteidiger beigeordnet. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nahm er am 07.05.2021 und 17.08.2021, auch jeweils auf Hinweis der Staatsanwaltschaft, erneut Akteneinsicht. Nach Anklagerhebung haben zwei Hauptverhandlungstermine stattgefunden, an denen der Rechtsanwalt teilgenommen hat.

Nach Eintritt der Rechtskraft des ergangenen Urteils hat der Kollege beantragt, seine weiteren Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen: Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG, Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG, zweimal Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG mit einem Zuschlag Nr. 4110 VV RVG und Auslagen. Das AG hat die Gebühren antragsgemäß festgesetzt.

Dagegen hat die Vertreterin der Staatskasse Erinnerung eingelegt und beantragt, die Gebühren für das Ermittlungsverfahren anzurechnen. Dazu hat sie auf den LG Mannheim, Beschl. v. 21.01.2019 – 5 Qs 61/18 – verwiesen. Das AG hat der Erinnerung mit Beschluss vom 27.03.2023 nicht abgeholfen.

Das AG führt aus:

„Eine Anrechnung von Gebühren kommt auch nicht nach § 15 Abs. 5 RVG in Betracht, der in bestimmten Fällen eine Anrechenbarkeit zuließe.

Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist, beauftragt wird, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden. Sodann darf dieser nicht mehr an Gebühren erhalten, als der Rechtsanwalt erhielte, wenn dieser von vornherein hiermit beauftragt worden wäre.

Den Begriff „derselben Angelegenheit“ erwähnt das RVG in den §§ 16-18 Vergütungsverzeichnis; es definiert ihn aber nicht. Die Abgrenzung von unterschiedlichen Angelegenheiten wird der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage, § 15, Rn. 5).

Die anwaltliche Tätigkeit in derselben Angelegenheit muss danach aufgrund eines einheitlichen Auftrags erfolgen, sich im gleichen Rahmen halten, zwischen den einzelnen Handlungen und/oder Gegenständen einen inneren Zusammenhang haben und in der Zielsetzung übereinstimmen (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 8. Auflage, § 15, Rn. 2 – 4).

Gemessen an diesen Maßstäben liegt die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 5 RVG hier nicht vor.

Mit Beschluss vom 16.12.2020 wurde Rechtsanwalt Pp. im Ermittlungsverfahren wie folgt bestellt: „Für die Dauer der Vernehmung wird dem Beschuldigten Rechtsanwalt Pp., Speyer, beigeordnet.“ Grund für die Beiordnung war der Ausgleich für den Ausschluss des Angeschuldigten während der Dauer der Vernehmung, sodass wenigstens für diesen einen Termin, sein beigeordneter Verteidiger seine Rechte wahrnehmen konnte, § 168c Abs. 3, Abs. 5 S. 2 StPO.

Der Vernehmungstermin fand am 28.01.2021 statt, Herr Rechtsanwalt Pp. war zugegen. Aus dem Protokoll dieser nichtöffentlichen Sitzung ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsanwalt Pp. mit einer sukzessiven Erweiterung des Auftrags rechnen konnte. So beantragte dieser nach Auftragserledigung mit Schriftsatz vom 02.02.2021 seine Vergütung festzusetzen, was letztendlich antragsgemäß mit Beschluss vom 06.04.2021 erfolgte.

Erst 3 Monate nach Beendigung seines Auftrags aus dem Bestellungsbeschluss vom 16.12.2020 wurde Rechtsanwalt Pp. mit Beschluss vom 21.04.2021 als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 StPO beigeordnet.

Schließlich ist es unerheblich, dass die „endgültige“ Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. vom 21.04.2021, wie zuvor die Beiordnung für die Dauer der Vernehmung vom 16.12.2020, im Ermittlungsverfahren erfolgt sind. Es ist nicht schon deshalb dieselbe Angelegenheit, weil die Beiordnungen in demselben Verfahrensabschnitt (Vorverfahren) erfolgt sind. Vielmehr ist ausschlaggebend, dass die Beiordnungen mit anderen Zielsetzungen erfolgt sind. Zum einen wie angeführt, zum Ausgleich des Ausschlusses des Angeschuldigten für die erzwungene Abwesenheit des Angeschuldigten in der Vernehmung am 28.01.2021 und zum anderen zur weiteren Verteidigung für das gesamte Verfahren.

Durch die erneute Wiedereinarbeitung in den Sachverhalt, betrachtet aus der Perspektive eines vollumfänglich bestellen Pflichtverteidigers mit Wirkung ab 21.04.2021, wird ein größerer Aufwand verursacht, der die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG (nochmals) durchaus rechtfertigt.

Im Übrigen kann es sich schon deshalb nicht um dieselbe Angelegenheit handeln, da es andernfalls keiner erneuten Beiordnung für das gesamte Verfahren des Rechtsanwalts Pp. bedurft hätte.

Auch waren die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 RVG zu prüfen, wonach eine „Deckelung“ der entstandenen Gebühren in bestimmten Fällen vorzunehmen ist. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Voraussetzung hierfür wäre, dass der Rechtsanwalt lediglich mit einzelnen Handlungen oder Tätigkeiten beauftragt worden wäre, die eine Erstattungsfähigkeit allein der Gebühr Nr. 4301 VV RVG rechtfertigen könnte.

Zwar hätte der Wortlaut des Tenors des Bestellungsbeschlusses vom 16.12.2020 eine Einzeltätigkeit nahelegen können. Da die Bestellung des Rechtsanwalts jedoch nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO erfolgte, handelt es sich nicht um eine Einzeltätigkeit, sondern um eine Tätigkeit im Sinne von Teil 4 Abschnitt 1 der Anlage 1 des RVG mit der Folge, dass der beigeordnete Rechtsanwalt die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr verdient (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage, VV Nr. 4301, Rn. 15; so auch RVGreport 2017, 402-406 – § 141 Abs. 2 Nr. 3 StPO n. F.). § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO ist nicht auf das Ermittlungsverfahren beschränkt, sondern auf alle richterlichen Vernehmungen vor und nach Anklageerhebungen anzuwenden. Erfasst sind Zeugen-, Sachverständigen- u. Beschuldigtenvernehmungen, vgl. BeckOK StPO/Krawczyk § 140 Rn. 19.

Zudem besteht keine Streitigkeit darüber, ob im Rahmen der ersten Bestellung im Vorverfahren lediglich die Gebühr Nr. 4301 W RVG erstattungsfähig ist, sondern darüber, ob § 15 Abs. 6 RVG Anwendung findet.

Es bleibt daher vorliegend dahingestellt, ob dem beigeordneten Rechtsanwalt für Einzeltätigkeiten, die sich nach Nr. 4301 Nr. 4 W RVG bestimmen, nicht mehr an Gebühren erstattet werden können, die ein mit der gesamten Angelegenheit betrauter Rechtsanwalt für die gleiche Tätigkeit erhalten würde.

Der Erinnerung konnte aus den vorgenannten Gründen nicht abgeholfen werden. Die festgesetzten Gebühren und Auslagen des beigeordneten Rechtsanwalts sind entstanden und auch erstattungsfähig.“

Das AG – Schöffengericht – hat die Erinnerung sodann mit Beschluss vom 05.04.2023 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es „auf den Beschluss des Amtsgerichts Speyer vom 27.03.2022 verwiesen, dessen Gründen beigetreten wird.

Passt 🙂 .

Zurückverweisung, oder: Wann ist es eine neue Angelegenheit mit neuen Gebühren?

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Und die zweite gebührenrechtliche Entscheidung kommt dann mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 11.09.2019 – 2 Ws 421/19 – auch vom Rhein 🙂 . Er behandelt mal eine Frage in Zusammenhang mit § 21 RVG, also Zurückverweisung. Dazu liest man ja sonst nicht so viel.

Folgender Sachverhalt: In dem der Entscheidung zugrunde liegenden (Umfangs)Verfahren – Stichwort: Aktionsbüro Mittelrhein – findet in der Zeit vom 20.08.2012 – 5.04.2017 an 337 Tagen eine Hauptverhandlung statt. Dann setzt die Strafkammer das Verfahren im Hinblick auf das anstehende Ausscheiden des Vorsitzenden wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze aus. Das Verfahren wird schließlich gem. § 206a StPO wegen überlanger Verfahrensdauer eingestellt.

Dagegen legt die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Das OLG Koblenz hat auf die Beschwerde den Beschluss der Strafkammer aufgehoben und angeordnet, dass das Verfahren beim LG Koblenz fortzusetzen ist.

Der Rechtsanwalt, der dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet war, macht einen Vorschuss gem. § 47 RVG geltend. U.a. beantragt er auch die Festsetzung einer (weiteren) Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG. Das LG setzt die nicht fest, das OLG gewährt die Gebühr:

„Rechtsanwalt pp. hat gegen die Staatskasse einen Anspruch auf Vorschusszahlungen für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger in der Zeit vom 6. April 2017 bis zum 21. November 2018 in Höhe von 5.383,08 Euro. Die Senatsentscheidung vom 4. Dezember 2017 hat bewirkt, dass das weitere Verfahren vor der 12. Strafkammer als Staatsschutzkammer als neuer Rechtszug mit den entsprechenden gebührenrechtlichen Folgen anzusehen ist.

1. Gemäß §§ 21 Abs. 1 RVG ist, soweit eine Sache an ein untergeordnetes Gericht zurückverwiesen wird, das weitere Verfahren vor diesem Gericht ein neuer Rechtszug. Diese Vorschrift ist Ausnahmeregelung zu dem in §§ 15 Abs. 1 RVG enthaltenen Grundsatz, wonach der Anwalt die Gebühren in demselben Rechtszug nur einmal erhält (Thiel in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. §§ 21 Rn. 2). Eine Zurückverweisung im Sinne von §§ 21 Abs. 1 RVG liegt vor, wenn das Rechtsmittelgericht durch eine den Rechtszug beendende Entscheidung einem in dem Instanzenzug untergeordneten Gericht die abschließende Entscheidung überträgt. Das Gericht eines höheren Rechtszuges muss auf Rechtsmittel, wozu auch die Beschwerde zählt, mit der Sache befasst gewesen sein und darf nicht endgültig über die Sache entschieden haben, sondern muss diese zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Untergericht verwiesen haben (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 23. Aufl. §§ 21 Rn. 2 mwN.). Der Begriff der Zurückverweisung nach §§ 21 RVG ist nicht im engen prozessualen Sinne der §§ 538 ZPO, 354 StPO zu verstehen. Eine Zurückverweisung im gebührenrechtlichen Sinne liegt immer dann vor, wenn das Rechtsmittelgericht die abschließende Entscheidung dem untergeordneten Gericht überträgt (vgl. Mayer/Kroiß, RVG §§ 21 Rn. 4, beck-online).

Eine Zurückverweisung in diesem Sinn ist durch den Senat mit Beschluss vom 4. Dezember 207 ausgesprochen worden. Der Senat hat durch Sachentscheidung im Beschwerdeverfahren beschlossen, dass ein Verfahrenshindernis nicht vorliegt, das einmal eröffnete, durch das Erstgericht abgeschlossene Verfahren also fortzusetzen ist. Der Fall liegt nicht anders, als wenn das Revisionsgericht auf entsprechende Rüge der Staatsanwaltschaft gegen ein Prozessurteil nach §§ 260 Abs. 3 StPO dieses aufgehoben und die Sache gemäß §§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Staatsschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen hätte. Es kann gebührenrechtlich keinen Unterschied machen, ob das Erstgericht das Verfahren durch Prozessurteil oder – wie hier außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlussverfahren nach §§ 206a StPO einstellt.

2. Dies hat zur Folge, dass alle Gebühren und Auslagen erneut entstehen, auch die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 W-RVG), und zwar nach dem zum Zeitpunkt der Zurückverweisung maßgeblichen Gebührenrecht. Wird – wie vorliegend – in einem vor dem Stichtag begonnenen Rechtsstreit die Sache von dem Rechtsmittelgericht nach dem Stichtag an die Vorinstanz zurückverwiesen, so gilt für das Verfahren nach der Verweisung neues Gebührenrecht (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, aaO. §§ 60 Rn. 82; Thiel in: Schneider/ Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. §§ 60 Rn. 52; s.a. NJW-Spezial 2015, 316, beckonline). Dies erhellt auch aus §§ 60 Abs. 1 Satz 2 RVG, denn wenn schon die Vergütung des vor einer Gebührenrechtsänderung tätigen Rechtsanwalts im Rechtsmittelverfahren nach Maßgabe einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung zu entgelten ist, so muss dies erst recht gelten, wenn – wie im Falle von §§ 21 RVG – durch Zurückverweisung ein neuer Rechtszug entsteht. Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr in Straf- und Bußgeldsachen ist nicht vorgesehen (Mayer in Gerold/Schmidt, aaO. §§ 21 Rn. 12)…..“

Zutreffend (vgl. dazu auch den RVG-Kommentar, 5. Auflage 🙂 .

Verfahren ruht zwei Jahre, dennoch keine Erledigung, auch nicht beim statistischen Austragen

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt mit dem OVG Thüringen, Beschl. v. 17.12.2018 – 4 VO 812/18 – dann ebenfalls aus dem Verwaltungsverfahren. Er behandelt eine Problematik in Zusammenhnag mit § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG, nämlich die Frage, ob nach einer mehr als zweijähriger Verfahrensunterbrechung die Gebühren für den Rechtsanwalt, wenn er dann ggf. wieder tätig wird, neu entstehen.

Das ist eine Problematik, die ja z.B. auch im Strafverfahren auftreten kann. Die Antwort hängt davon ab, wie man den Begriff „Erledigung des Auftrags“ in “ 15 Abs. 5 Satz 2 RVG versteht. Dazu das OVG:

„Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG liegen nicht vor. Nach der vorgenannten Bestimmung gilt eine weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit, wenn ein früherer Auftrag seit mehr als zwei Jahren erledigt ist. Eine Erledigung des Auftrags im Sinne des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG (und auch des § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG) tritt erst ein, wenn der Anwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsdienstvertrag vollständig erfüllt hat (BGH, Beschluss vom 11. August 2010 – XII ZB 60/08MDR 2010, 1218 = juris Rn. 14). Das ist bei einer Ruhensanordnung und einer daran anknüpfenden Austragung des Verfahrens als statistisch erledigt nicht der Fall. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens führt lediglich zu einer (vorübergehenden) Unterbrechung des Verfahrens. Der Rechtsanwalt muss jederzeit mit einer Fortführung des Verfahrens rechnen, auch wenn seit der Unterbrechung mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu. Bereits im Zeitpunkt der Anordnung des Ruhens des Verfahrens war die Fortführung des Verfahrens bei Vorliegen einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (bzw. Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils) in dem gleichgelagerten Verfahren beabsichtigt. Ein neuer Auftrag ist bei einer Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht erforderlich, da der Prozessbevollmächtigte weiterhin beauftragt bleibt (BGH, Beschluss vom 30. März 2006 – VII ZB 69/05NJW 2006, 1525 = juris Rn. 5; Beschluss vom 11. August 2010 – XII ZB 60/08MDR 2010, 1218 = juris Rn. 26; BayVGH, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 15 M 14.2529).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. November 2017 (Az. V ZB 152/16). Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Beklagtenseite mehr als vier Jahre nach öffentlicher Zustellung eines Versäumnisurteils Einspruch einlegte und Widerklage sowie Eventualwiderklage erhob. Diese Fallkonstellation gibt schon allein deshalb für den Verwaltungsprozess nichts her, weil die Verwaltungsprozessordnung kein Versäumnisurteil vorsieht.

Auch kommt ungeachtet dessen unter Berücksichtigung der vom BGH in der vorgenannten Entscheidung entwickelten Grundsätze keine analoge Anwendung des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG auf den Fall der Ruhensanordnung in Betracht. Es fehlt an einer interessengleichen Lage. Der BGH hat in der o.g. Entscheidung eine Erledigung des von der Klägerseite erteilten Anwaltsauftrags mit der Begründung angenommen, dass die Beklagtenseite nicht innerhalb der vom Gericht nach § 339 Abs. 2 ZPO bestimmten Einspruchsfrist Einspruch eingelegt habe und dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerseite mit einem Einspruch, ggf. in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls nicht mehr nach Ablauf der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO hätten rechnen müssen (BGH, Beschluss vom 6. November 2017 – V ZB 152/16 – juris Rn. 10). Daraus hat der BGH geschlussfolgert, dass es zumindest zu einer „scheinbaren“ Erledigung des Verfahrens gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2017 – V ZB 152/16 – juris Rn. 15). Dies lässt sich auf den Fall der statistischen Erledigung eines Verfahrens sechs Monate nach der Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht übertragen. Dabei handelt es sich weder um eine echte oder eine scheinbare Erledigung, sondern nur um eine statistischen Zwecken dienende Erledigungsfiktion. Soweit in der Thüringer Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Wiederaufnahme des Verfahrens ein neues Aktenzeichen vergeben werden muss, ist dies nur auf den Umstand zurückzuführen, dass es (noch) keine technische Möglichkeit gibt, ein als statistisch erledigt ausgetragenes Verfahren unter dem bisherigen Aktenzeichen fortzuführen. Keiner der Beteiligten kann ungeachtet dessen, ob ihm die statistische Austragung mitgeteilt wird oder nicht, daraus schlussfolgern, dass das Verfahren und damit der Auftrag sich erledigt hat. Anknüpfungspunkt für die Bewertung dieser Frage bleibt die Ruhensanordnung, die hier im konkreten Fall darauf zurückzuführen war, dass die Rechtskraft der Entscheidung in einem Parallelverfahren abzuwarten war, die erst durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2017 (Az. 6 C 43.16) eintrat. Von Anfang an stand fest, dass das nur unterbrochene Verfahren nach Abschluss des Parallelverfahrens fortgeführt werden sollte. Das Verfahren nach der Wiederaufnahme bildet zusammen mit dem unterbrochenen Verfahren eine einheitliche Instanz (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2019, Rn. 34 zu § 15 RVG).

Allein der Umstand, dass sich ein Rechtsanwalt in ein Verfahren wieder neu einarbeiten muss, wenn ein längerer Zeitraum vergangen ist, ohne dass es betrieben wurde, zwingt nicht zu der Schlussfolgerung, dass § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG in allen Fällen analog anzuwenden ist, wenn dieser Zeitraum zwei Jahre erreicht. Ungeachtet dessen, dass dies ein Beweggrund für die Einführung des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG gewesen sein mag, ändert es nichts daran, dass die Erledigung eines (früheren) Auftrags und damit schon die Entstehung (hier) einer Verfahrensgebühr Voraussetzung für die Anwendung dieser Ausnahmebestimmung ist. Dies ist bei Unterbrechung eines noch nicht erledigten Verfahrens nicht der Fall.“

Entspricht im Wesentlichen der herrschenden Meinung. Ob es richtig ist, ist eine andere Frage 🙂 .