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Pflichti III: Vernehmung ohne vorherige Bestellung?, oder: Was muss in der Revision vorgetragen werden?

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Und dann habe ich noch den BGH, Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 114/23 -, in dem der BGH zum Revisionsvorbringen Stellung nimmt, wenn gerügt werden soll, dass das Absehen von einer Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 68b Nr. 2 JGG abgesehen worden ist:

„Hinsichtlich der Rügen der Verletzung von § 261 StPO i.V.m. § 68a JGG genügt das Revisionsvorbringen der Angeklagten K. und E. diesen Anforderungen schon deshalb nicht, weil zum Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt der Vernehmungen des Angeklagten E. nicht vorgetragen wird. Der Senat konnte daher nicht prüfen, ob die Voraussetzungen von § 68b Nr. 2 JGG vorlagen und eine Vernehmung des Angeklagten E. ausnahmsweise ohne vorherige Pflichtverteidigerbestellung zulässig war. Eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens im Sinne von § 68b Nr. 2 JGG kann vorliegen, wenn die Vernichtung von Beweismitteln oder die Beeinflussung von Zeugen droht, sofern nicht sofort die Vernehmung stattfindet (vgl. BT-Drs. 19/13829, 39; Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Aufl., § 68b Rn. 5). Trotz des Ausnahmecharakters von § 68b Nr. 2 JGG war hier eine Prüfung erforderlich, weil sich aus den Urteilsgründen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ermittlungen durch konkrete Verdunkelungshandlungen der Angeklagten erschwert wurden.“

Pflichti II: Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, oder: Vollstreckung, stationäre Therapie, Einziehung

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Im zweiten Posting zu Pflichtverteidigungsentscheidungen dann hier drei Entscheidungen zu den Bestellungsvoraussetzung, und zwar:

    1. Das „Gebot bestmöglicher Sachaufklärung“ (BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 BvR 578/02) erhebt die gerichtliche Verpflichtung zur Einholung eines kriminalprognostisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens in § 454 Abs. 2 Satz 1 StPO zum gesetzlichen Regelfall und indiziert damit zugleich eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO.
    2. Die Verneinung des „Erwägens“ einer Strafaussetzung in § 454 Abs. 2Satz 1 StPO kommt nur dann in Betracht, wenn die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung völlig fernliegend ist und als ernsthafte Alternative zur Fortdauer der Strafhaft von vornherein ausgeschlossen erscheint (Festhalten an Senat, Beschluss vom 13. Juli 2009 – 2 Ws 291/09, NJW 2009, 3315 m.w.N.).
    3. Ob eine solche Ausnahme im konkreten Einzelfall vorliegt, stellt eine im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO schwer zu beurteilende Sachfrage dar, die regelmäßig nicht allein nach Aktenlage, sondern erst nach der durch § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich vorgeschriebenen und aufgrund der Gesetzessystematik vorbehaltlich Satz 4 der Bestimmung grundsätzlich zuvor durchzuführenden mündlichen Anhörung des Verurteilten beantwortet werden kann.
    1. Zu der Anstaltsunterbringung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gehören insbesondere die verschiedenen Formen der Haft sowie die Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB, ebenso indes auch – in analoger Anwendung – die stationäre Behandlung in einer Drogentherapieeinrichtung nach § 35 BtMG sowie ein die persönliche Freiheit erheblich einschränkender Aufenthalt in einer stationären Alkoholentzugsbehandlung.
    2. Die Regelung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO ist sowohl ihrem Wortlaut als auch ihrer systematischen Stellung nach lediglich auf Fälle der Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO anzuwenden, nicht jedoch auf Fälle der Bestellung auf Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO.

Auch wenn es sich bei der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB nicht um eine Nebenstrafe handelt, sondern um eine Maßnahme im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB eigener Art, ist sie als sonstige Rechtsfolge, die einem Angeklagten ggf. im Fall seiner Verurteilung droht, bei der Beurteilung der „Schwere der Rechtsfolge“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen.