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Anspruch auf Herausgabe der Vereinsmitgliederliste?, oder: Ja, und zwar auch mit E-Mailadressen

Und dann heute der „Kessel Buntes“. In dem wird es heute zu Beginn ganz bunt 🙂 . Denn ich stelle mal eine vereinsrechtliche Entscheidung vor. NatĂĽrlich mit einem Hintergedanken. Achtung!! Werbung!! – nämlich fĂĽr mein Vereinsrechtsbuch, das es inzwischen in der 11. Auflage gibt.

Hier also zunächst das OLG Hamm, Urt. v. 26.04.2023 – 8 U 94/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Der Kläger ist Miglieder im beklagten Verein. Als dessen Mitglied begehrt der Kläger von dem Verein die Übergabe einer Liste der Mitglieder des Vereins mit näher bezeichneten Angaben an sich selbst. Das OLG stellt fest:

„1.Der Kläger ist eines von etwa 5.500 Mitgliedern des Beklagten, einem eingetragenen Verein. Der Beklagte verfolgt den Zweck, die Interessen seiner Mitglieder, die an Unternehmen der Q.-Unternehmensgruppe beteiligt sind, zu vertreten (§ 2 Abs. 2 Satzung, Anlage K 1). Der Zweck des Vereins wird insbesondere verwirklicht durch die UnterstĂĽtzung des klimaschĂĽtzenden Umbaus der Energieversorgung, speziell die Förderung regenerativer Energien auf Basis von genossenschaftlichen oder rechtlich vergleichbaren Gesellschaftsformen (§ 2 Abs. 3 Satzung).

Die Satzung des Beklagten nimmt wiederholt auf die Möglichkeit einer Kommunikation des Beklagten mit seinen Mitgliedern per E-Mail Bezug. Eine ausdrückliche Verpflichtung der Mitglieder, eine E-Mail-Adresse mitzuteilen, sieht die Satzung des Beklagten nicht vor. Der Beklagte kommuniziert mit seinen Mitgliedern selbst auch per E-Mail (Bl. 6 eGA I). Der Beklagte stellt den Mitgliedern im Internet einen Mitgliederbereich zur Verfügung. Die Vereinsmitglieder können dort Gruppen einrichten und ihre Konzepte bzw. Vorschläge veröffentlichen. Die Einträge in diesem Bereich kontrolliert der Beklagte insofern, als er dort lediglich sachlich gehaltene Beiträge zulässt.

Der Kläger hatte in Vorbereitung der Mitgliederversammlung des Beklagten 2021 das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern des Beklagten in Kontakt zu treten, um eine Opposition gegen das Vorgehen des Vorstands des Beklagten zu organisieren. Im Anschluss an die Mitgliederversammlung 2021 hatte er das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern in Kontakt zu treten, um ggf. die Einberufung einer auĂźerordentlichen Mitgliederversammlung zu initiieren (§ 37 Abs. 1 BGB). Der Kläger verfolgt auch weiterhin das Interesse, mit den anderen Mitgliedern des Vereins im Hinblick auf die derzeitige „Vereinspolitik“ in Kontakt zu treten, um die aktuelle Meinungsbildung zu beeinflussen.

Außer dem Kläger haben nach Auskunft des Vorstandsmitglieds des Beklagten in der mündlichen Verhandlung bislang keine anderen Mitglieder einen Antrag auf Übergabe der Mitgliederliste gestellt, um mit Kon-Mitgliedern in Kontakt zu treten.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe einen Anspruch auf Ăśbermittlung einer Mitgliederliste mit Namen, Adressen und E-Mail-Adressen unmittelbar an sich – ohne die Einschaltung eines Treuhänders -, um mit den weiteren Vereinsmitgliedern eigenständig in Verbindung und Diskussion zu treten.“

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur BegrĂĽndung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgefĂĽhrt: „Dem Interesse des Klägers stĂĽnden ĂĽberwiegende Interessen des Beklagten und Belange seiner Mitglieder entgegen. Die Mitglieder könnten darauf vertrauen, nicht von anderen Mitgliedern ĂĽber andere als die vom Verein bereitgestellten Kommunikationskanäle kontaktiert zu werden. Sie mĂĽssten nicht damit rechnen, dass der Beklagte ihre E-Mail-Adresse weitergeben. Die Belästigung durch E-Mail sei besonders hoch. Das ergebe sich auch aus der gesetzgeberischen Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Das gelte besonders mit Blick darauf, dass bei der (vom Landgericht noch mit 7.000 angenommenen) Mitgliederzahl des Beklagten jedes Mitglied potentiell mit 7.000 E-Mails rechnen mĂĽsste. Dem Kläger gegenĂĽber sei das nicht unbillig. Ihm stĂĽnden die Kommunikationsmöglichkeiten auf der Website des Beklagten zur VerfĂĽgung. Auch die Möglichkeit der Ăśbermittlung der Kontaktdaten an einen Treuhänder – die der Kläger nicht beantragt habe – sei ein milderes Mittel, den berechtigten Interessen des Klägers Rechnung zu tragen. Die anderslautende Rechtsprechung, die der Kläger zitiert habe, betreffe Gesellschaften, und dort sei die Situation anders. Auf die Frage, ob der Kläger auch die Ăśbermittlung der E-Mail-Adressen beanspruchen könne, komme es nicht an, da der Kläger schon keinen Anspruch auf die – von ihm allein begehrte – Ăśbermittlung von Mitgliederdaten an sich selbst habe. Auch die Frage, ob die Ăśbermittlung einer Mitgliederliste mit dem Datenschutzrecht vereinbar sei, könne dahinstehen.“

Dagegen die Berufung des Klägers, die beim OLG Erfolg hatte.

Ich stelle hier nur die Leitsätze ein. Wegen der Einzelheiten der – umfangreichen –  BegrĂĽndung verweise ich auf den Volltext. Hier die Leitsätze:

    1. Einem Vereinsmitglied steht ein aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließendes Recht gegen den Verein auf Übermittlung einer Mitgliederliste zu, die auch E-Mail-Adressen der Mitglieder enthält, soweit es ein berechtigtes Interesse hat und dem keine überwiegenden Geheimhaltungsinteressen des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen.
    2. Ein berechtigtes Interesse an dem Erhalt der Mitgliederliste ist u. a. dann gegeben, wenn eine Kontaktaufnahme mit anderen Vereinsmitgliedern beabsichtigt ist, um eine Opposition gegen die vom Vorstand eingeschlagene Richtung der VereinsfĂĽhrung zu organisieren.
    3. Das Vereinsmitglied kann in dem Fall nicht auf ein vom Verein eingerichtetes Internetforum verwiesen werden; es ist auch nicht auf die Auskunftserteilung an einen Treuhänder beschränkt.
    4. Der Beitritt zu einem Verein begründet die Vermutung, auch zu der damit einhergehenden Kommunikation – auch per E-Mail – bereit zu sein. Eine erhebliche Belästigung geht damit regelmäßig nicht einher, zumal jedes Vereinsmitglied sich vor dem Erhalt unerwünschter E-Mails schützen kann.
    5. Die Ăśbermittlung von Mitgliederlisten ist mit dem Datenschutz vereinbar. Sie ist von dem Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DGSVO gedeckt.

Und dann <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff, Vereinsrecht Leitfaden fĂĽr Vereine und Mitgleider, 11. Aufl. 2023, das man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

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Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört fĂĽr mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen ĂĽber kein Konto verfĂĽgte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschlieĂźenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 fĂĽr funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der auĂźergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurĂĽckzuverweisen. Zur BegrĂĽndung fĂĽhren sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie ĂĽbergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprĂĽnglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrĂĽcklich. Die Generalstaatsanwaltschaft MĂĽnchen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darĂĽber gesprochen haben.

StPO II: Zweimal etwas zu Beschlagnahmefragen, oder: Bezeichnung in der Anordnung und Herausgabe

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Im zweiten Posting dann einige Entscheidungen zur Beschlagnahme. Hier stelle ich aber nur die jeweiligen Leitsätze vor, und zwar.

Sind sowohl die Voraussetzungen der Herausgabe an den Verletzten (§ 111n Abs. 2 StPO) als auch die Voraussetzungen der Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber (§ 111n Abs. 1 StPO) offenkundig erfüllt, hat die Herausgabe grundsätzlich vorrangig an den Verletzten zu erfolgen.

1. Ordnet ein Richter – etwa gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses – die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtlichen Gewahrsam genommen worden sind, und bezeichnet er die Gegenstände nicht so genau, dass keine Zweifel darüber entstehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind, etwa bei einer gattungsmäßigen Umschreibung, dann liegt noch keine wirksame Beschlagnahmeanordnung vor, sondern nur eine Richtlinie für die Durchsuchung.

2. In einem solchen Fall hat ein Betroffener zunächst eine Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO über die Bestätigung der Beschlagnahme konkreter Beweismittel herbeizuführen. Eine gegen die unwirksame Beschlagnahmeanordnung gerichtete Beschwerde ist entsprechend auszulegen. Die Nichtabhilfeentscheidung ersetzt nicht die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme.

Klage auf Herausgabe der Mandantenunterlagen, oder: Wie bemesse ich den Streitwert?

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Heute ist der erste Freitag im Jahr 2022 – und damit auch der erste „GebĂĽhrenfreitag“ mit RVG-Entscheidungen. Die Serie will ich auch in 2022 fortsetzen. Das setzt allerdings voraus, dass ich genĂĽgend Entscheidungen bekomme. Als hier dann der Aufruf an alle: GebĂĽhrenentscheidungen und auch solche zum Kostenrecht are welcome. Bitte schicken, ich stelle sie dann ein.

Den Reigen für 2022 eröffne ich dann mit einem kleinen Beschluss des LG Bremen, und zwar mit dem LG Bremen, Beschl. v. 24.11.2021 – 4 T 431/21. Das LG hat Stellung genommen zum Streitwert einer Herausgabeklage auf Mandantenunterlagen, wenn die Herausgabe ausschließlich wegen offener Honorarforderungen verweigert wird. Das ist ja eine Frage, die immer auch mal den Strafverteidiger beschäftigen kann.

Das LG meint:

„Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Bei der Klage eines Mandanten gegen seinen ehemaligen Berater (Rechtsanwalt oder Steuerberater) auf Herausgabe der Mandatsunterlagen werden hinsichtlich der Streitwertfestsetzung unterschiedliche Ansätze vertreten. Einer Ansicht nach ist der Streitwert mit demjenigen Aufwand zu bemessen, den der Mandant fĂĽr die Neuerstellung der Unterlagen / Ermittlung der benötigten Informationen aufwenden mĂĽsste (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 18. Februar 2005 – 12 W 3/04 –, Rn. 8, juris). Teilweise wird bei einem Steuerberater auf den möglichen steuerlichen Nachteil abgestellt (OLG DĂĽsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 2004 – I-23 U 36/04 –, Rn. 10, juris). Einer anderen Ansicht nach wird in Fällen, in denen sich der Berater auf ein ZurĂĽckbehaltungsrecht wegen offener Honorare beruft, auf den Wert des ZurĂĽckbehaltungsrechts abgestellt (OLG MĂĽnchen, Urteil vom 15. Februar 2017 – 20 U 3317/16 –, Rn. 13 – 14, juris). Die Kammer ist der Auffassung, dass sich eine streng schematische Betrachtung verbietet. Vielmehr ist im Einzelfall zu schauen, worin der Schwerpunkt des Streites liegt, um daraus das wirtschaftliche Interesse der klagenden Partei ableiten zu können. Im vorliegenden Fall besteht nach dem Vortrag der Kläger kein Streit darĂĽber, dass die Unterlagen ĂĽberhaupt bei der Beklagten vorhanden sind. Die Beklagte verweigert die Herausgabe nach derzeitigem Stand ausschlieĂźlich unter Berufung auf ein offenes Honorar iHv 4.157,80 €. Diese Summe entspricht demnach dem derzeitigen Aufwand, den die Kläger (vor-)leisten mĂĽssten, um an die begehrten Unterlagen zu kommen. Daher entspricht auch diese Summe dem Streitwert. Derzeit besteht das wirtschaftliche Interesse der Kläger darin, die Unterlagen ohne Vorleistung der vermeintlichen HonoraransprĂĽche zu erlangen.“

Bei der Durchsuchung beschlagnahmtes Bargeld, oder: Spätere Sicherstellung nach Polizeirecht zulässig?

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Und als zweites Posting dann etwas, das man gut in einer/der Rubrik: Wie ist es weiter gegangen?, einordnen könnte. Und zwar geht es um die „Fortsetzung“ eines Verfahrens, aus dem ich ĂĽber den LG Mainz, Beschl. v. 09.08.2021 – 3 Qs 43/21 – berichtet hatte (Durchsuchung I: Verneinter Anfangsverdacht, oder: KiPo-Fall und legales Verhalten).

Ich erinnere: Es war im Zusammenhnag mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf illegalen Drogenhandel die Wohnung des Beschuldigten durchsucht und dabei eine größere Summe Bargeld, und zwar rund 35.000 EUR, beschlagnahmt worden. Das Geld wurde auf ein Konto bei der Landesoberkasse eingezahlt. Das LG hatte mit dem o.a. Beschluss die Durchsuchung als rechtswidrig angesehen., das Ermittlungsverfahren ist dann später eingestellt worden. Das beschlagnahmte Geld gab es aber nicht zurück, Es ist vielmehr eine sog. (Anschluss)Sicherstellung des Geldes nach Polizeirecht unter Anordnung des sofortigen Vollzugs ausgesprochen worden. Begründung: Es sei zu befürchten, dass das sichergestellte Bargeld für den Handel mit gesundheitsgefährdenden Stoffen, z.B. von 1V-LSD, eingesetzt werde. Dadurch würde das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit gefährdet. Dies gelte vor allem deshalb, weil der Antragsteller erst kürzlich erneut polizeilich in Erscheinung getreten sei, indem er 1V-LSD zum Verkauf bei sich geführt habe und dieses Produkt auch auf seiner Webseite zum Verkauf anbiete. Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Gesundheitsgefährdungen überwiege das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der vorübergehenden Rückgabe seines Geldes.

Dagegen der Widerspruch des ehemaligen Beschuldigten und ein vorläufiger Rechtsschutzantrag. DarĂĽber hat das VG Mainz nun im VG Mainz, Beschl. v. 26.11.2021 – 1 L 887/21.MZ – entschieden. Das VG hat dem Eilantrag stattgegeben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sicherstellungsbescheid wieder hergestellt und die Herausgabe des Geldes angeordnet. DarĂĽber hat das VG bereits in einer PM berichtet. Ich bin schon ein StĂĽckchen weiter und kann ĂĽber den Volltext zu der Entscheidung berichten, den mir der Kollege Dr. Sobota, Wiesbaden, geschickt hat.

Das VG geht – nach summarischer PrĂĽfung – davon aus, dass der Sicherstellungsbescheid materiell rechtswidrig ist, da im Zeitpunkt der Anordnung nicht von einer gegenwärtigen Gefahr ausgegangen werden konnte, welche die Sicherstellung des Geldes rechtfertige.

„Die Gefahrenlage braucht nicht in einer Eigenschaft der sicherzustellenden Sache begrĂĽndet zu sein (vgl. OVG RP, Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris, Rn. 11; Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 28), sondern kann sich auch aus der Verwendung der Sache ergeben (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O.; Nds.OVG, Urteil vom 2. Juli 2009 – 11 LC 4/08 –, juris, Rn. 36). Die Sicherstellung von Geld, das sich bereits in öffentlicher Verwahrung befindet, ist gemäß § 22 Nr. 1 POG (analog) deshalb grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die zum Zeitpunkt der Sicherstellung bekannten Tatsachen die Prognose rechtfertigen, dass das Geld im Falle einer RĂĽckgabe an den frĂĽheren Gewahrsamsinhaber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fĂĽr die Begehung von Straftaten verwendet werden wird (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25). Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Gefahr der Begehung von Betäubungsmitteldelikten besteht und dadurch wichtige RechtsgĂĽter, wie die Gesundheit von Dritten, beeinträchtigt werden können (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018, a.a.O., Rn. 33). Nichts anderes gilt fĂĽr die Sicherstellung von Buchgeld.

Maßgeblicher Zeitpunkt – nach materiellem Recht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2006 – 5 B 90/05 –, juris, Rn. 6) – sowohl für die Tatsachenfeststellung als auch für die Prognoseentscheidung ist dabei der Zeitpunkt des Erlasses der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 (vgl. VG Mainz, Urteil vom 3. Juli 2018 – 1 K 1228/17.MZ –, juris, Rn. 34; BayVGH, Urteil vom 22. Mai 2017 – 10 B 17.83 –, juris, Rn. 25; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 8 A 103/15 –, juris, Rn. 19; BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris, Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09 –, juris, Rn. 43; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, Rn. 22).

Bei Erlass der Sicherstellungsverfügung am 25. Oktober 2021 lagen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass eine gegenwärtige Gefahr insoweit besteht, als der Antragsteller das zuvor beschlagnahmte Geld im Falle einer Herausgabe mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar zum Handel mit neuen – verbotenen – psychoaktiven Stoffen verwenden wird, deren Konsum Gesundheitsbeeinträchtigungen herbeiführen kann.

Eine gegenwärtige Gefahr ist – nach allgemeiner Auffassung – eine Gefahr, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. etwa BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 25; OVG RP, Urteil vom 30. Oktober 2009, a.a.O., Rn. 28; Kuhn, in: PdK RhPf K-30, Stand: August 2013, § 22 POG, Ziff. 6). Sie zeichnet sich damit durch einen besonders hohen Grad an Wahrscheinlichkeit und die besondere zeitliche Nähe zu dem befürchteten Schadenseintritt aus. Die Gefahrenprognose muss daher eine hohe Sicherheit aufweisen (vgl. BremOVG, a.a.O., Rn. 25; Nds. OVG, Urteil vom 2. Juli 2009, a.a.O., Rn. 38). Es bedarf zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der gegenwärtigen Gefahr grundsätzlich der Prognose, das Geld werde bei Rückgabe in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten verwendet werden (vgl. BremOVG, Urteil vom 24. Juni 2014, a.a.O., Rn. 22, 25). Bloße Vermutungen, vage Verdachtsgründe und Ähnliches reichen hierfür jedenfalls als Tatsachengrundlage nicht aus (vgl. VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014 – M 7 K 12.4367 –, juris, Rn. 24). Es muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151). Dabei sind nach einem das Polizei- und Ordnungsrecht beherrschenden Rechtsgedanken an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 –, juris, Rn. 151).

Ist anhand von hinreichenden Indizien davon auszugehen, dass das Geld offensichtlich aus Drogengeschäften stammt, kommt diesem Umstand bei der Prüfung der Frage, ob eine (gegenwärtige) Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt, ein erhebliches Gewicht zu (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013 – 11 LB 438/10 –, juris, Rn. 38). Denn es entspricht kriminalistischer Erfahrung, dass das aus Drogengeschäften gewonnene Geld in der Regel zumindest teilweise wieder in die Beschaffung von Betäubungsmitteln investiert wird (Nds. OVG, Urteil vom 7. März 2013, a.a.O.; VG München, Urteil vom 10. Dezember 2014, a.a.O., Rn. 25).

Hier lagen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das Geld aus – illegalen – Drogengeschäften stammt und unmittelbar wieder dafür eingesetzt werden sollte. Der Antragsteller handelt – unbestritten durch den Antragsgegner – nur mit solchen psychoaktiven Stoffen, die noch nicht in der Anlage zum Neuepsychoaktive-Stoffe-Gesetz enthalten sind. Der Handel mit diesen Stoffen ist also derzeit nicht strafbar (siehe dazu auch den Beschluss des Landgerichts Mainz vom 9. August 2021, Az. 3 QS 43/21).

Zwar spricht es für eine gegenwärtige Gefahrenlage, dass ein bestimmtes szenetypisches „Muster“ zu erkennen ist, wonach immer wieder neue psychoaktive Stoffe auf den Markt gebracht werden, die sich geringfügig von den bereits mit dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz verbotenen Stoffgruppen unterscheiden und damit von dem Verbot nicht mitumfasst sind, aber trotzdem eine vergleichbare Wirkung versprechen. In einer Art Wettlauf gegen die Zeit werden diese Stoffe für einen überschaubaren Zeitraum solange zum Verkauf angeboten, bis dieser Stoff ebenfalls in der Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz gelistet wird. Wegen der offenbar nur geringfügig abweichenden chemischen Zusammensetzung verweist der Antragsteller selbst auf seiner Webseite darauf, dass er zwar ausschließlich legale Produkte anbiete, diese aber in ihrer Wirkung mit – den zwischenzeitlich verbotenen – 1P-LSD und 1cPLSD vergleichbar sei („Da es ein Prodrug ist, teilt es viele ähnliche Eigenschaften des LSD selbst, aber auch mit 1PLSD, 1cPLSD und 1B-LSD.“, abzurufen unter: …).

Gleichwohl kann es grundsätzlich keine Vorwirkung des Neue-psychoaktive-StoffeGesetzes dahingehend geben, dass der Umgang mit Stoffen bzw. Stoffgruppen, die noch nicht in die Liste aufgenommen sind, zwar noch nicht verboten oder strafbewehrt wäre, aber gleichwohl ein Vorgehen der Polizeibehörden im Wege der Gefahrenabwehr erlaubt. Dies widerspräche grundsätzlich der Gesetzessystematik des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes, das vorsieht, dass Stoffe/Stoffgruppen erst dann verboten sind, wenn sie in die anliegende Liste aufgenommen worden sind. Das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz sowie das Betäubungsmittelgesetz sind Teile der objektiven Rechtsordnung im Sinne der öffentlichen Sicherheit, deren Gefährdung eine Sicherstellungsmaßnahme rechtfertigen könnte. Solange ein Verstoß gegen das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz nicht angenommen werden kann, ist auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (aus diesem Grunde) nicht zu befürchten.

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, der den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Freiburg und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-WĂĽrttemberg zugrunde lag (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 3. Juli 2019 – 3 K 2803/19 –, juris; VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 1 S 1772/19 –, juris). In diesen Entscheidungen haben die beiden Gerichte jeweils vertreten, dass – ausnahmsweise aufgrund einer „besonderen Konstellation“ – eine Beschlagnahme eines noch nicht verbotenen, neuartigen, psychoaktiven Stoffes zulässig sei. Anders als im vorliegenden Fall hatte der Bundesrat nämlich im Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung bereits der Aufnahme des Stoffes in die Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz zugestimmt, sodass das Inkrafttreten der geänderten Anlage unmittelbar in wenigen Tagen bevorstand. Zudem lag den Polizeibehörden in dem Fall ein Gutachten des Landeskriminalamtes vor, das im Rahmen des vorangegangenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erstellt worden war und eine starke Ă„hnlichkeit der chemischen Struktur des beschlagnahmten Stoffes mit dem bereits verbotenen LSD festgestellt hatte. Eine vergleichbare, konkrete Gefahrenlage ist im vorliegenden Fall jedoch nicht anzunehmen. Es bestehen lediglich MutmaĂźungen, dass das sichergestellte Geld im Falle einer RĂĽckgabe zur Verwendung von Geschäften im Zusammenhang mit neuen psychoaktiven Stoffen (konkret: 1V-LSD), die zwar noch nicht verboten sind, aber eine ähnliche Gefährlichkeit aufweisen könnten, eingesetzt wird. Dies reicht – auch zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, die ein ausdifferenziertes System zur Drogenregulierung vorsieht – nicht aus, um eine Gefahr fĂĽr die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu begrĂĽnden. Ob eine Gefahrenabwehr ausnahmsweise gerechtfertigt wäre, weil das vom Gesetzgeber tolerierte Stadium der Legalität bis zu einem Verbot durch Aufnahme in die Anlage erhebliche Gesundheitsgefahren fĂĽr Dritte befĂĽrchten lieĂźe, lässt sich aufgrund der nur allgemeinen MutmaĂźungen ĂĽber die Gefährlichkeit hier nicht hinreichend prognostizieren. HierfĂĽr wäre es erforderlich gewesen, dass der Antragsgegner weitergehende Ermittlungen hinsichtlich der Gefährlichkeit und Vergleichbarkeit des aktuell vom Antragsteller gehandelten 1V-LSD mit einem bereits verbotenen psychoaktiven Stoff durchgefĂĽhrt hätte. Die Angaben zur Vergleichbarkeit der Stoffe in dem Online-Shop reichen insofern nicht aus.“