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Herausgabe von beschlagnahmten Kryptowerten, oder: Kryptowerten sind keine beweglichen Sachen

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Heute gibt es dann mal drei etwas ungewöhnliche Entscheidungen bzw. Entscheidungen, mit deren Thema man als Rechtsanwalt/Verteidiger sicherlich nich jeden Tag zu tun hat.

Ich starte mit dem LG Verden, Beschl. v. 14.04.2025 – 2 Qs 35/25. In dem Beschluss geht es um die Herausgabe beschlagnahmter Kryptowerte. Die Antragstellerin war im Frühjahr 2023 Opfer eines Ransomware-Angriffs. Im Zuge des Angriffs verschafften sich die Täter Zugang zum IT-System der Antragstellerin. Die Datenbanken und Anwendungen (inkl. Kundendaten) wurden durch die Angreifer verschlüsselt, sodass die Mitarbeiter der Antragstellerin keinen Zugriff mehr auf diese hatten. Zur Wiederherstellung des Zugriffs forderten die Täter ein Lösegeld in Höhe von 400.000,00 $. Man einigte sich mit den unbekannten Tätern schließlich auf ein Lösegeld in Höhe von 7,41598504 Bitcoin zum damaligen Kurswert von 202.000,00 €. Das Lösegeld wurde in Form von Bitcoin in zwei Zahlungen von jeweils ca. 100.000,00 € an zwei unterschiedliche Bitcoin-Wallets gezahlt. Die Kryptowerte wurden über unterschiedliche Zwischenkonten schließlich auf zwei Wallets überwiesen, ein Wallet verwaltet durch die Kryptoexchange-Plattform Binance, das andere durch die Kryptoexchange-Plattform Huobi. Von den insgesamt 7,41598504 Bitcoin landeten letztlich insgesamt 3.381079 Bitcoin auf dem Wallet bei der Kryptoexchange-Plattform Binance.

Als Inhaber des Wallets auf der Plattform Binance konnte pp. ermittelt werden. Mit Beschluss des AG wurde ein Arrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des pp. angeordnet. Es wurden zudem sämtliche Ansprüche des pp gegen die Binance Holdings Ltd. bis zu einer Höhe von 7,41598504 Bitcoin gepfändet. Da ein Nachweis individueller Bitcoins nicht möglich sei, wurde die Einziehung einer Kryptowährung, die dem Wert des Erlangten (7,41598504 Bitcoin) entspricht, angeordnet. Die Binance Ltd. transferierte dann 3.674,34 Solana, äquivalent zu 7,41598504 Bitcoin, auf ein Paper-Wallet der Polizei Nordrhein-Westfalen.

Die Antragstellerin hat Antrag auf Rückgabe der beschlagnahmten Kryptowährungen gestellt. Das AG hat das abgelehnt. Die Beschwerde hatte beim LG Verden keinen Erfolg.

„1.a) Das Amtsgericht hat den Antrag auf Herausgabe von 7,41598504 Bitcoin bzw. 3.674,34 Solana (im folgenden Kryptowerte) an die geschädigte Antragstellerin im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antragstellerin steht kein Anspruch gemäß § 111n Abs. 1 StPO hinsichtlich der sichergestellten 3.674,34 Solana zu.

b) Gemäß § 111n Abs. 1 StPO wird eine bewegliche Sache, die nach § 94 StPO beschlagnahmt oder auf andere Weise sichergestellt oder nach § 111c Abs. 1 StPO beschlagnahmt worden ist und für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben. Eine analoge Anwendung auf Forderungen, die der Beschuldigte aus der Straftat erlangt hat, ist ausgeschlossen (Huber in BeckOK StPO, 54. Edition, Stand 01.01.2025, § 111n, Rn. 7). Die Herausgabe beweglicher Sachen wird damit bis zum Eigentumsübergang auf den Staat infolge einer rechtskräftigen Einziehungsanordnung vollständig in der Strafprozessordnung geregelt (BT-Drs. 18/9525, Bl. 83). Forderungen und Daten sind keine beweglichen Sachen, sondern nur die Urkunden und Datenträger, auf denen sie gespeichert sind (vgl. Hohmann in MüKo StPO, 4. Auflage 2021, Rn. 11). Bei Kryptowerten handelt es sich um digitale Vermögenswerte ohne Sachqualität (umfassend zur Einordnung Rieländer ZEuP 2024, 769).

Entsprechend dieser Maßstäbe handelt es sich bei den sichergestellten Kryptowerten nicht um bewegliche Sachen im Sinne des § 111n Abs. 1 StPO, weshalb nach dieser Vorschrift kein Anspruch auf Herausgabe besteht.

2.a) Der Antragstellerin steht auch kein Anspruch auf Herausgabe der Kryptowerte analog § 111n Abs. 1 StPO zu. Für eine analoge Anwendung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage.

b) Zwar ist die Vorschrift des § 111n Abs. 1 StPO grundsätzlich analogiefähig, da es sich nicht um einen Strafausspruch handelt, dessen Grundlage außerhalb des Gesetzes weder geschaffen noch verschärft werden darf (BGH NJW 2007, 3352 zu § 111k StPO a.F). Es liegt aber bereits keine planwidrige Regelungslücke vor. Inbegriff der planwidrigen Regelungslücke ist, dass der streitgegenständliche Sachverhalt (noch) nicht gesetzlich geregelt ist und die Nichtregelung durch den Gesetzgeber unabsichtlich unterblieben ist. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.

c) Der Gesetzgeber hat die Herausgabe von nicht beweglichen Sachen an den letzten Gewahrsamsinhaber, § 111n Abs. 1 StPO, oder den Geschädigten, § 111n Abs. 2 StPO, im Ermittlungsverfahren (d.h. in den §§ 111c ff. StPO) bewusst nicht geregelt mit der Absicht, dass beschlagnahmte nicht bewegliche Sachen an diese Personen nicht im Wege einer vorläufigen Entscheidung herausgeben werden sollen.

aa) Im Rahmen der Beschlagnahmeregelungen, §§ 94 ff. StPO, und den Vorschriften zur Vollziehung der Beschlagnahme, §§ 111c ff. StPO, verwendet der Gesetzgeber unterschiedliche Begriffe, um das Objekt der Regelung zu beschreiben. In § 94 Abs. 1 StPO schreibt der Gesetzgeber vor, dass Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen sind. In § 111c Abs. 1 StPO sieht der Gesetzgeber vor, dass die Beschlagnahme einer beweglichen Sache dadurch vollzogen wird, dass die Sache in Gewahrsam genommen wird. Die Beschlagnahme einer Forderung oder eines anderen Vermögensrechtes, das nicht den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegt, wird hingegen durch Pfändung vollzogen, § 111c Abs. 2 Satz 1 StPO. Zuletzt regelt § 111c Abs. 3 StPO die Beschlagnahme von Grundstücken oder Rechten hieran.

bb) Der Antragstellerin ist insoweit zuzustimmen, dass der Anwendungsbereich des § 94 Abs. 1 StPO nicht auf körperliche Gegenstände beschränkt wurde. Der Begriff des „Gegenstands“ im Sinne des § 94 StPO ist vielmehr weiter als der der beweglichen und unbeweglichen Sachen (BVerfG NJW 2005, 1917, 1920). Erfasst wird alles, was einen Beweiswert haben und für die Untersuchung von Bedeutung sein kann (BVerfG a.a.O). Die verfahrensbezogene Konkretisierung hat der Richter von Verfassungs wegen im jeweiligen Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschluss zu leisten (BVerfG a.a.O). Demgegenüber ordnet der Gesetzgeber die Gesamtheit an beschlagnahmefähigen Gegenständen in § 111c Abs. 1-3 StPO in drei Kategorien: die beweglichen Sachen (worunter auch Schiffe und Flugzeuge gemäß § 111c Abs. 4 StPO fallen), Forderungen und andere Vermögenswerte sowie Grundstücke und Rechte an diesen. Der Gesetzgeber hat in § 111c StPO bewusst diese drei Kategorien geschaffen und für diese Kategorien unterschiedliche Regelungen vorgesehen. Da es sich bei Kryptowerten nicht um beweglichen Sachen handelt (s.o) und auch nicht um Grundstücke oder Rechte an diesen, unterfallen sie der Regelung der „anderen Vermögensrechte“ (BGH Beschl. v. 27.07.2017 – 1 StR 412/16; Bittmann in MüKo a.a.O., § 111c, Rn. 5 m.w.N).

cc) Dieser Kategorisierung folgend verwendet der Gesetzgeber in § 111n Abs. 1 StPO ausdrücklich den Begriff der „beweglichen Sache“, identisch zu § 111c Abs. 1 Satz 1 StPO, und verweist im Rahmen des § 111c StPO auch nur auf den Absatz 1, der die beweglichen Sachen betrifft, und gerade nicht auf Absatz 2, der Forderungen und andere Vermögenswerte betrifft. Aufgrund des identischen Wortlautes (bewegliche Sachen) von § 111n Abs. 1 und 111c Abs. 1 StPO, des konkreten Verweises auf § 111c Abs. 1 (und nicht Abs. 2) StPO und des erklärten Willens des Gesetzgebers, die Herausgabe beweglicher Sachen infolge einer rechtskräftigen Einziehungsanordnung vollständig in der Strafprozessordnung zu regeln (BT-Drs. 18/9525, Bl. 83), ist es fernliegend, diese Regelungslücke als planwidrig anzusehen. Diese Argumente sprechen vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber bewusst die Herausgabe nur für bewegliche Gegenstände, nicht aber für Forderungen und andere Vermögenswerte, regeln wollte.

dd) Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die Regelung des § 111n Abs. 1 StPO bzw. § 111k StPO a.F., im Wesentlichen seit 1974 und damit vor der Entwicklung von Kryptowerten unverändert geblieben ist. Die Kammer zieht hieraus jedoch nicht den Schluss, dass allein deswegen schon eine Regelungslücke vorliegt. Es ist vielmehr der Sinn von Gesetzen, die ihrer Natur nach abstrakt-generelle Regelungen sind, auch künftige Entwicklungen zu erfassen, soweit sich diese unter den Tatbestand subsumieren lassen, wie es bei Kryptowerten unter dem Begriff der „anderen Vermögenswerte“ gemäß § 111c Abs. 2 Satz 1 StPO der Fall ist.

ee) Auch das weitere Vorbringen der Antragstellerin, dass sich der Gesetzgeber nicht zur Herausgabe von Forderungen verhalte, ist unzutreffend. Neben der genannten Negativregelung trifft der Gesetzgeber eindeutige Regelungen zum Verhältnis der Arrestmasse zu zivilrechtlichen Forderungen und Titeln. Gemäß § 111h Abs. 2 StPO ist die Zwangsvollstreckung in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung gemäß § 111f StPO gesichert worden sind, ausgeschlossen. Der Gesetzgeber bringt mit dieser Regelung gerade zum Ausdruck, dass für die Dauer des Arrestes keine Befriedigung einzelner Gläubiger erfolgen soll, sondern die Befriedigung der Gläubiger im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach rechtskräftiger Entscheidung über die Einziehung erfolgen soll, vgl. §§ 459h ff. StPO.

d) Es liegt jedenfalls auch keine vergleichbare Interessenlage zwischen Kryptowerten und beweglichen Sachen vor.

aa) § 111n StPO hat als vorläufige Besitzstandsregelung nur den Gewahrsam im Blick, ohne dafür jedoch selbst abschließende Regelungen zu treffen (Bittmann MüKo a.a.O., § 111n, Rn. 15). Er knüpft vielmehr direkt an das Besitzrecht des BGB an (Bittmann ebenda). § 111n StPO beabsichtigt die Herausgabe an denjenigen, der nach dem BGB das beste Recht zum Besitz hat (Bittmann ebenda m.w.N). Auf Surrogate einer durch die Straftat entzogenen Sache findet § 111n StPO deshalb keine Anwendung, auch nicht bei Verarbeitung oder Vermischung der entzogenen Sache (Huber a.a.O. Rn. 9). Mangels Körperlichkeit von Kryptowerten kann an diesen kein Besitz begründet werden.

bb) Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin, dass die Blockchain-Technologie einen besitzähnlichen Zustand schaffe, liegt ein solcher Zustand bei Kryptowerten nicht vor. Zwar ist der Antragstellerin soweit zuzustimmen, dass die Blockchain grundsätzlich eine transparente und fälschungssichere Zuordnung von Kryptowerten zu einer Blockchain-Adresse ermöglicht. Diese Zuordnung erfolgt aber nicht über ein besitzähnliches Herrschaftsverhältnis an einem individualisierbaren Bitcoin, sondern ähnlich zu sonstigem Buchgeld in der Form, dass das Guthaben einer Bitcoin-Adresse festgehalten wird. Sobald von unterschiedlichen Adressen Bitcoin an die gleiche Adresse geschickt werden, können die einzelnen Bitcoin nicht mehr individualisiert werden, sondern es kann, wie auch bei Buchgeld, nur noch das Saldo festgestellt werden (vgl. Bericht zum Genesis Request & Analyse der Binance Auskunft, Bl. 180 ff. I SH Beschwerde).

cc) Die Antragstellerin dringt auch nicht damit durch, dass im Rahmen der Bitcoin-Blockchain kein mit einem Zahlungsdienstvertrag im Sinne des § 675f ff. BGB vergleichbares Schuldverhältnis begründet wird. Jedenfalls in Fällen wie dem Vorliegenden, in denen eine Online-Plattform die Verwaltung der Private Keys übernimmt, hat der Nutzer dieser Plattform nur schuldrechtliche Ansprüche gegen den Betreiber der Plattform. Er hat hingegen keine eigene Kontrolle über die Private Keys und hat deshalb auch keinen eigenen Zugriff auf „seine“ Kryptowerte. Aus diesem Grund erfolgte die Beschlagnahme auch nicht über die Ingewahrsamnahme, vgl. § 111c Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern über den Arrest und die Pfändung der Forderungen des xxx gegenüber der Binance Holding Ltd. (Bl. 20 ff. und 31 ff. II SH Beschwerde), vgl. § 111c Abs. 2 Satz 1 StPO.

dd) Eine analoge Anwendung des § 111n StPO auf Kryptowerte ist auch nicht zum Schutz der Interessen der Geschädigten erforderlich. Die Interessen der Geschädigten werden im Rahmen der vorläufigen Sicherung und im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens ausreichend berücksichtigt.

(1) Sofern der Geschädigte ein Interesse an einer zeitnahen Befriedigung aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse infolge der Straftat vorträgt, so ist dies zwar dem Grunde nach nachvollziehbar. Für eine Befriedigung im Ermittlungsverfahren stehen diesem Interesse aber die berechtigen Interessen anderer Geschädigter gegenüber. Zum Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens, gerade im Rahmen von Geldwäscheverfahren, ist in der Regel noch unklar, in welchem Umfang Geschädigte Forderungen hinsichtlich der sichergestellten Vermögenswerte geltend machen werden. Die Vorschriften im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens, §§ 459h StPO ff. StPO, treffen diesbezüglich abschließende Regelungen, die sicherstellen, dass eine anteilige Verteilung auf alle Gläubiger erfolgt. Diese Regelungen können nicht dadurch unterlaufen werden, dass einzelne Geschädigte bereits vorab, und deshalb gegebenenfalls in ungerechtfertigter Höhe, befriedigt werden.

(2) Das von der Antragstellerin vorgetragene Interesse, einen Wertverlust aufgrund von Kursschwankungen zu vermeiden, wird hingegen durch die bestehenden Regelungen bereits ausreichend geschützt. Der Antragstellerin ist zwar darin zuzustimmen, dass gerade bei Kryptowerten ein erhebliches Kurs- bzw. Marktrisiko besteht. Dies zeigt sich hier daran, dass seit der Überweisung der Solana am 02.04.2024 an die Polizei Nordrhein-Westfalen bis heute bereits ein Kursverlust von 33,75 % eingetreten ist und im Vergleich zwischen dem Höchstwert im Januar 2025 und dem Tiefstwert im April 2025 ein Kursverlust von 62,14 %. Im Verlauf der letzten 3 Jahre zeigte sich eine Volatilität, die regelmäßig deutlich über 10 % lag und auch im Verlauf der letzten Woche 10 % übertraf. Eine Vorhersage künftiger Wertsteigerungen dürfte vor dem Hintergrund der historischen Kursentwicklung von Kryptowerten und ihrer besonderen Volatilität nicht möglich sein (vgl. auch Wühr in BeckOK StVollstrO, 15. Edition, Stand 16.12.2024, § 77a, Rn. 16). Den sich hieraus ergebenden Gefahren trägt der Gesetzgeber jedoch mit der Möglichkeit der Notveräußerung gemäß § 111p StPO ausreichend Rechnung. Ob hiervon Gebrauch zu machen ist, hat die Staatsanwaltschaft nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.

ee) Letztlich verbietet sich eine analoge Anwendung auf den vorliegenden Fall auch deswegen, weil entsprechend des Vortrages der Antragstellerin gerade nicht die gezahlten Bitcoins, sondern „nur“ die auf dem Konto des Beschuldigten xxx befindliche Solana in entsprechender Höhe beschlagnahmt wurden. Die Antragstellerin hat zu keinem Zeitpunkt Solana besessen oder an die Täter überwiesen. Auf Surrogate findet die Regelung des § 111n StPO aber auch bei beweglichen Sachen keine Anwendung (Huber a.a.O. Rn. 9).“

OWi II: Zweimal AG zur Akteneinsicht in Messserie u.a., oder: Antrag auf gerichtliche Entscheidung überholt?

Und dann im zweiten Posting drei Entscheidungen zur Akteneinsicht, Stichwort: Messserie u.a. Nichts Weltbewegendes, aber zwischendurch kann man ja mal wieder über die Problematik berichten. Denn ausgestanden sind die Dinge/Fragen nicht.

Hier sind dann:

Da es dem Betroffenen aufgrund des standardisierten Messverfahrens obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen, sind ihm die Daten der gesamten Messserie auf einem von der Verteidigung zur Verfügung gestellten Speichermediumzur Verfügung zu stellen.

    1. Dem Verteidiger ist auf seinen Antrag die vollständige Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung zur Verfügung zu stellen, das ohne die Herausgabe der entsprechenden Daten der Anspruch auf des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt würde.
    2. Die Herausgabe des (öffentlichen) Token kann hingegen nicht verlangt werden.

Zwar wird nicht stets durch Einspruch oder Rechtskraft des Bußgeldbescheides eine nachträgliche Unzulässigkeit des Verfahrens nach § 62 OWiG eintreten. In Fällen jedoch, in dem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung darauf abzielte, die Hauptsache-entscheidung vorbereitende prozessuale Fragen (insbesondere der Akteneinsicht des Betroffenen) zu klären, wird der Antrag durch das Fortschreiten des Verfahrens in Form des Ein-spruchs gegen einen erlassenen Bußgeldbescheid unzulässig, da er prozessual überholt ist. Erst recht gilt dies bei eingetretener Rechtskraft.

Die Beschlüsse des AG Beckum und des AG Köln sind m.E. zutreffend. Sie setzen konsequent die Rechtsprechung des BVerfG und – der des AG Köln – die des OLG Köln um. Die im Beschluss zitierte Entscheidung des OLG hatte ich ja hier auch vorgestellt.

Beim AG Dortmund habe ich so meine Bedenken, ob das zutreffend ist. Allerdings: Man kennt den genauen Sachverhalt nicht. So sind Beschlussinhalt und Leitsatz des AG für mich eine nicht überprüfbare Behauptung. Jedenfalls eröffnen solche Entscheidungem der AG den Verwaltungsbehörden die Möglichkeit, entsprechende Anträge mal einfach „ungestraft“ „liegen zu lassen“.

So, und dann mal aus Anlass dieses Postings <<Werbemodus an>>, denn: Wir sind allmählich mit den Arbeiten an der 7. Auflage vom „Handbuch des straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahrens“ am Ende, so dass einem Erscheinen im März/April nichts entgegenstehen dürfte. Daher: Vorbestellungen sind möglich. Und wer vorbestellt, muss sich um nichts mehr kümmern. Das Buch kommt dann automatisch.

Es gibt übrigens auch das „Verkehrsrechtspaket“ neu, also dann „Messungen“ in der 6. Aufl. und OWi-HB in der 7. Aufl. Aktueller geht nicht.

Zu den Vorbestellungen geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

OWi I: Nichtherausgabe der Messreihe des Tattages: oder: Nicht schlimm, die anderen machen es auch so

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

Juchhu, ich habe drei OWi-Entscheidungen, die ich vorstellen kann 🙂 . Zwei Beschlüsse kommen vom OLG Oldenburg, einer kommt vom BayObLG.

Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.11.203 – 2 ORbs 188/23 – zur Frage der Verletzung des fairen Verfahrens durch die Nichtherausgabe der Messreihe des Tattages. Das OLG sieht darin keine Verletzung des Rechts des Betroffenen auf ein faires Verfahren. Begründet wird dies mit einer Aneinanderreihung von Zitaten aus OLG-Entscheidungem die das ebenso gesehen haben, was keine besondere Begründungskunst ist. Und natürlich mit dem Hinweis auf den BGH und den BGH, Beschl. v. 30.03.2022 – 4 StR 181/21, der auf die Vorlage des OLG Zweibrücken ergangen war. Ich habe bisher selten einen Beschluss gesehen, in dem so viel zitiert und verwiesen wird. Für mich wenig überzeugend und ich frage mich, warum das OLG nicht gleich – nur schreibt: Die anderen machen es auch so.

Allerdings hat das OLG dann den Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, weil das AG insoweit mal wieder einen klassischen Fehler gemacht hat:

Demgegenüber hält der Rechtsfolgenausspruch einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, wie der Betroffene sich insoweit eingelassen hat.

Die fehlende Mitteilung der Einlassung stellt dann einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung der Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Februar 2008,1 Ss 313/07 juris).

So ist es hier. Bereits aus den Protokollanlagen ergibt sich, dass die Frage der Auswirkung eines Fahrverbotes auf ein Beschäftigungsverhältnis des Betroffenen problematisiert worden ist. Gleichwohl findet sich in den Entscheidungsgründen zu einer entsprechenden Einlassung des Betroffenen nichts.

Damit vermag der Senat nicht zu prüfen, ob die Anordnung des Fahrverbotes bzw. das Nichtabsehen von dessen Verhängung ausreichend begründet worden ist.

Wegen des engen Zusammenhanges zwischen Höhe der Geldbuße und Fahrverbot war der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.“

Na ja. Das mindert aber den im Übrigen „schlechten Eindruck“ nicht. 🙂

Anspruch auf Herausgabe der Vereinsmitgliederliste?, oder: Ja, und zwar auch mit E-Mailadressen

Und dann heute der „Kessel Buntes“. In dem wird es heute zu Beginn ganz bunt 🙂 . Denn ich stelle mal eine vereinsrechtliche Entscheidung vor. Natürlich mit einem Hintergedanken. Achtung!! Werbung!! – nämlich für mein Vereinsrechtsbuch, das es inzwischen in der 11. Auflage gibt.

Hier also zunächst das OLG Hamm, Urt. v. 26.04.2023 – 8 U 94/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Der Kläger ist Miglieder im beklagten Verein. Als dessen Mitglied begehrt der Kläger von dem Verein die Übergabe einer Liste der Mitglieder des Vereins mit näher bezeichneten Angaben an sich selbst. Das OLG stellt fest:

„1.Der Kläger ist eines von etwa 5.500 Mitgliedern des Beklagten, einem eingetragenen Verein. Der Beklagte verfolgt den Zweck, die Interessen seiner Mitglieder, die an Unternehmen der Q.-Unternehmensgruppe beteiligt sind, zu vertreten (§ 2 Abs. 2 Satzung, Anlage K 1). Der Zweck des Vereins wird insbesondere verwirklicht durch die Unterstützung des klimaschützenden Umbaus der Energieversorgung, speziell die Förderung regenerativer Energien auf Basis von genossenschaftlichen oder rechtlich vergleichbaren Gesellschaftsformen (§ 2 Abs. 3 Satzung).

Die Satzung des Beklagten nimmt wiederholt auf die Möglichkeit einer Kommunikation des Beklagten mit seinen Mitgliedern per E-Mail Bezug. Eine ausdrückliche Verpflichtung der Mitglieder, eine E-Mail-Adresse mitzuteilen, sieht die Satzung des Beklagten nicht vor. Der Beklagte kommuniziert mit seinen Mitgliedern selbst auch per E-Mail (Bl. 6 eGA I). Der Beklagte stellt den Mitgliedern im Internet einen Mitgliederbereich zur Verfügung. Die Vereinsmitglieder können dort Gruppen einrichten und ihre Konzepte bzw. Vorschläge veröffentlichen. Die Einträge in diesem Bereich kontrolliert der Beklagte insofern, als er dort lediglich sachlich gehaltene Beiträge zulässt.

Der Kläger hatte in Vorbereitung der Mitgliederversammlung des Beklagten 2021 das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern des Beklagten in Kontakt zu treten, um eine Opposition gegen das Vorgehen des Vorstands des Beklagten zu organisieren. Im Anschluss an die Mitgliederversammlung 2021 hatte er das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern in Kontakt zu treten, um ggf. die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zu initiieren (§ 37 Abs. 1 BGB). Der Kläger verfolgt auch weiterhin das Interesse, mit den anderen Mitgliedern des Vereins im Hinblick auf die derzeitige „Vereinspolitik“ in Kontakt zu treten, um die aktuelle Meinungsbildung zu beeinflussen.

Außer dem Kläger haben nach Auskunft des Vorstandsmitglieds des Beklagten in der mündlichen Verhandlung bislang keine anderen Mitglieder einen Antrag auf Übergabe der Mitgliederliste gestellt, um mit Kon-Mitgliedern in Kontakt zu treten.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe einen Anspruch auf Übermittlung einer Mitgliederliste mit Namen, Adressen und E-Mail-Adressen unmittelbar an sich – ohne die Einschaltung eines Treuhänders -, um mit den weiteren Vereinsmitgliedern eigenständig in Verbindung und Diskussion zu treten.“

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: „Dem Interesse des Klägers stünden überwiegende Interessen des Beklagten und Belange seiner Mitglieder entgegen. Die Mitglieder könnten darauf vertrauen, nicht von anderen Mitgliedern über andere als die vom Verein bereitgestellten Kommunikationskanäle kontaktiert zu werden. Sie müssten nicht damit rechnen, dass der Beklagte ihre E-Mail-Adresse weitergeben. Die Belästigung durch E-Mail sei besonders hoch. Das ergebe sich auch aus der gesetzgeberischen Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Das gelte besonders mit Blick darauf, dass bei der (vom Landgericht noch mit 7.000 angenommenen) Mitgliederzahl des Beklagten jedes Mitglied potentiell mit 7.000 E-Mails rechnen müsste. Dem Kläger gegenüber sei das nicht unbillig. Ihm stünden die Kommunikationsmöglichkeiten auf der Website des Beklagten zur Verfügung. Auch die Möglichkeit der Übermittlung der Kontaktdaten an einen Treuhänder – die der Kläger nicht beantragt habe – sei ein milderes Mittel, den berechtigten Interessen des Klägers Rechnung zu tragen. Die anderslautende Rechtsprechung, die der Kläger zitiert habe, betreffe Gesellschaften, und dort sei die Situation anders. Auf die Frage, ob der Kläger auch die Übermittlung der E-Mail-Adressen beanspruchen könne, komme es nicht an, da der Kläger schon keinen Anspruch auf die – von ihm allein begehrte – Übermittlung von Mitgliederdaten an sich selbst habe. Auch die Frage, ob die Übermittlung einer Mitgliederliste mit dem Datenschutzrecht vereinbar sei, könne dahinstehen.“

Dagegen die Berufung des Klägers, die beim OLG Erfolg hatte.

Ich stelle hier nur die Leitsätze ein. Wegen der Einzelheiten der – umfangreichen –  Begründung verweise ich auf den Volltext. Hier die Leitsätze:

    1. Einem Vereinsmitglied steht ein aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließendes Recht gegen den Verein auf Übermittlung einer Mitgliederliste zu, die auch E-Mail-Adressen der Mitglieder enthält, soweit es ein berechtigtes Interesse hat und dem keine überwiegenden Geheimhaltungsinteressen des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen.
    2. Ein berechtigtes Interesse an dem Erhalt der Mitgliederliste ist u. a. dann gegeben, wenn eine Kontaktaufnahme mit anderen Vereinsmitgliedern beabsichtigt ist, um eine Opposition gegen die vom Vorstand eingeschlagene Richtung der Vereinsführung zu organisieren.
    3. Das Vereinsmitglied kann in dem Fall nicht auf ein vom Verein eingerichtetes Internetforum verwiesen werden; es ist auch nicht auf die Auskunftserteilung an einen Treuhänder beschränkt.
    4. Der Beitritt zu einem Verein begründet die Vermutung, auch zu der damit einhergehenden Kommunikation – auch per E-Mail – bereit zu sein. Eine erhebliche Belästigung geht damit regelmäßig nicht einher, zumal jedes Vereinsmitglied sich vor dem Erhalt unerwünschter E-Mails schützen kann.
    5. Die Übermittlung von Mitgliederlisten ist mit dem Datenschutz vereinbar. Sie ist von dem Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DGSVO gedeckt.

Und dann <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff, Vereinsrecht Leitfaden für Vereine und Mitgleider, 11. Aufl. 2023, das man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

Vollzug II: Anspruch auf Eigengeldauszahlung, oder: Wenn das gesamte Vermögen bar verwahrt wird

entnommen openclipart.org

Die zweite Entscheidung, der BayObLG, Beschl. v. 03.01.2023 – 203 StObWs 412/22 – gehört für mich in die Rubrik: Was es nicht alles gibt. Denn der Beschluss hat einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt, und zwarI.

„Der im April 2021 verstorbene, von den drei Antragstellerinnen beerbte Erblasser war in den Jahren 2013 und 2019 bis 2020 mehrmals kurzzeitig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bamberg inhaftiert. Beim Zugang am 4. März 2013 zahlte der Erblasser, der nach dem Vortrag der Antragstellerinnen über kein Konto verfügte und sein gesamtes Vermögen in bar verwahrte, nach der von den Antragstellerinnen nicht in Frage gestellten Darstellung des Antragsgegners bei der JVA Bamberg einen Betrag von 10.465,75 Euro in bar ein; das Guthaben wurde einen Tag später auf dem Gefangenengeldkonto gutgeschrieben. Nach seiner Entlassung verweigerte er es, den Empfang des verbleibenden Betrages von 8.557,25 Euro zu quittieren, woraufhin ihm der Geldbetrag nicht ausgehändigt wurde (Anlage B 4). Einer anschließenden schriftlichen Aufforderung, ein Konto zu benennen oder das Geld abzuholen, kam er nicht nach (Anlage B 5). Anlässlich des Zugangs am 1. August 2013 zum Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlte er bei der JVA Bamberg auf das Gefangenengeldkonto einen Bargeldbetrag in Höhe von 125.105,13 Euro ein, der am Folgetag als Guthaben des Strafgefangenen gebucht wurde. Nach seiner Entlassung am 7. August 2013 nahm der Gefangene das verbleibende Geld in Höhe von 121.781,63 Euro nicht an sich, woraufhin ein Mitarbeiter der JVA unterschriftlich auf einem Ausdruck mit der Bezeichnung „Kontenabschluss“ vermerkte: „Geld wurde von Herrn A… nicht mitgenommen. Geld wieder auf Konto gutgeschrieben“ (Anlage B 8). Am 28. Oktober 2013 löste die JVA ohne weitere Kontaktaufnahme mit dem Erblasser das interne Gefangenenkonto auf und zahlte das Eigengeld des Erblassers in Höhe von 130.338.88 Euro bei der Landesjustizkasse Bamberg zur Verwahrung ein (Anlagen B 7, B 9). Anlässlich eines Zugangs am 13. Mai 2019 zahlte der Erblasser bei der JVA Bamberg einen Betrag von 22,70 Euro ein, nach der Unterbrechung der Vollstreckung wurde das Guthaben am 4. November 2019 ebenfalls bei der Landesjustizkasse gebucht. Das bei einer weiteren Inhaftierung im Jahr 2019 einbezahlte Gefangenengeld wurde dem Erblasser bei seiner Entlassung am 10. Januar 2020 in bar ausgehändigt, bei seiner letzten Inhaftierung im Jahr 2020 zahlte er kein Bargeld ein.

Nach dem Tod ihres Vaters baten die drei mit Erbschein ausgewiesenen Miterbinnen in einem an die JVA Bamberg gerichteten Schreiben vom 15. Juni 2021 um Prüfung, ob noch Forderungen gegen den Freistaat bestünden. Daraufhin teilte die JVA Bamberg den drei Miterbinnen mit Schreiben vom 7. September 2021 mit, dass aus den Inhaftierungen des Erblassers im Jahre 2013 resultierend aus Bargeldeinzahlungen auf das Gefangenengeldkonto ursprünglich ein Betrag von 130.338,88 Euro offen gewesen, der Rückforderungsanspruch jedoch mittlerweile verjährt wäre; aus der Inhaftierung im Jahr 2019 bestünde noch ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 22,70 Euro. Die drei Miterbinnen traten dem entgegen und verlangten unter Vollmachtsanzeige mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Oktober 2021 von der JVA nähere Auskünfte zu den Einzahlungen, den Verfügungen und dem Verbleib des Geldes sowie Einsicht in den Vollzugsplan. Mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 erteilte die JVA weitere Auskünfte zu den Vollzugszeiten, den Einzahlungen, den Buchungsvorgängen und den jeweiligen Guthaben des Erblassers und wiederholte ihre Rechtsansicht, dass bezüglich eines Betrages von 130.338,88 Euro zum Ende des Jahres 2016 Verjährung eingetreten sei. Daraufhin widersprach der anwaltliche Vertreter der Antragstellerinnen unter Bezugnahme auf das Schreiben der JVA vom 25. Oktober 2021 mit Schreiben vom 2. November 2021 den Ausführungen zur Verjährung und forderte von der JVA Bamberg die Auszahlung des „Restbetrags“ unter Fristsetzung bis zum 15. November 2021. Nachdem die JVA auf die Zahlungsaufforderung nicht reagierte, reichten die Miterbinnen mit anwaltlichem Schriftsatz am 21. Dezember 2021 Klage auf Zahlung von 130.338,88 Euro nebst Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten zum Landgericht Bamberg ein.

Das Landgericht Bamberg – 4. Zivilkammer – hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 12. August 2022 „den Antrag“ auf gerichtliche Entscheidung vom 21. Dezember 2021 wegen der Versäumung der Frist von § 112 StVollzG als unzulässig verworfen. Mit der Frage der Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befasst.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragstellerinnen mit ihrer Rechtsbeschwerde und beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antragsgegner zur Zahlung von 130.338,88 Euro zu verpflichten, hilfsweise die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Zur Begründung führen sie an, dass §§ 109, 112 StVollzG nicht anwendbar und der auf sie übergegangene Anspruch auf die Zahlung des Eigengelds nicht verjährt sei. Zu den ursprünglich in der Klageschrift geltend gemachten Rechtsanwaltskosten verhalten sie sich nicht ausdrücklich. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.“

Und: Die drei Damen hatten beim BayObLG Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Hat die Justizvollzugsanstalt auf eine Aufforderung des Berechtigten auf Auskunft über Eigengeld hin den Einwand der Verjährung erhoben, steht die Regelung von § 112 StVollzG einer gerichtlichen Geltendmachung des Zahlungsanspruchs nicht entgegen.
  2. Dem Strafgefangenen steht ab dem Zeitpunkt der Gutschrift von Eigengeld gegen das Land als Träger der Justizvollzugsanstalt ein schuldrechtsähnlicher Anspruch auf Auszahlung seines Eigengeldguthabens nach § 700 Abs. 1 Satz 2, § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB analog zu.
  3. Der Lauf der Fristen nach Art. 71 BayAGBGB und §§ 195, 199 BGB wird weder mit der Einzahlung noch mit der Entlassung aus der Haft, sondern gemäß § 695 S. 2 BGB analog mit einem Zahlungsverlangen des Berechtigten ausgelöst.

Wie gesagt: Was es nicht alles gibt. Und: Gut, dass wir darüber gesprochen haben.