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Pflichti I: Mal etwas vom BVerfG zum Pflichtverteidiger, oder: „Pflichti“ in der Berufungshauptverhandlung

Heute gibt es mal wieder Pflichtverteidigungsentscheidung. Einige Entscheidungen habe ich, aber so ganz viel ist es dieses Mal nicht.

Dafür gibt es an der Spitze aber mal etwas vom BVerfG zur Pflichtverteidigung und/bzw. Anwesenheit eines Verteidigers in der (Berufungs)Hauptverhandlung, und zwar den BVerfG, Beschl. v. 27.03.2025 – 2 BvR 829/24. Das ist die Hauptsacheentscheidung in dem Verfahren, aus dem ich die Eilentscheidung des BVerfG, nämlich den BVerfG, Beschl. v. 19.07.2024 – 2 BvR 829/24, bereits vor einiger Zeit vorgestellt hatte (vgl. hier: VerfG II: Erfolgreicher Eilantrag gegen Berufungsurteil, oder: Zu schnell geschossen).

Seit einiger Zeit liegt nun die abschließende Entscheidung vor. Und: Das BVerfG hat die Entscheidungen aus Frankfrut am Main aufgehoben. Denen lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angeklagte war mehrfach verurteilt. und zwar einmal ddurch Urteil vom 03.03.2023  wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 EUR, sowei durch Urteil vom 17.03.2023 wegen versuchter Nötigung in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 40 EUR und dann noch durch Urteil vom 27.03.2023 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dieses Urteil wurde am 6. April 2023 rechtskräftig und die ausgeurteilte Strafe später bei der Gesamtstrafenbildung einbezogen.

Der Angeklagte hat sowohl gegen das Urteil vom 03.03.2023 als auch gegen das Urteil vom 17.03.2023 Berufung eingelegt, wobei er die Berufung im letzteren Fall auf die Rechtsfolgen und dabei auf die Tagessatzhöhe beschränkte. Auch die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil vom 17.03.2023 Berufung ein. Ihr gegen das Urteil vom 03.03.2023 eingelegtes Rechtsmittel nahm die Staatsanwaltschaft später zurück.

Am 11.09.2023 erklärte der Verteidiger auf telefonische Nachfrage des Vorsitzenden Richters der am LG für die Berufung des Angeklagten zuständigen kleinen Strafkammer, dass sich der Angeklagte in der Türkei befinde und wegen einer Beinverletzung flugunfähig sei. Er habe den Mandanten ersucht, ihm ein ärztliches Attest zu übermitteln. Zum Hauptverhandlungstermin werde dieser aber nicht erscheinen. Der Verteidiger gab zudem an, dass er den Hauptverhandlungstermin deshalb ebenfalls nicht wahrnehmen werde. Er sei terminlich nun bereits anderweitig gebunden. Der Kammervorsitzende wies den Verteidiger in dem Telefongespräch auf die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 329 StPO hin. Noch am Abend des 11.09.2023 reiste der Angeklagte über den Frankfurter Flughafen wieder nach Deutschland ein.

Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 13.09.2023 erschienen weder der Angeklaagte noch sein Verteidiger. Das LG verwarf die Berufungen des Angeklagten mit gesondertem Urteil und verhandelte nur noch zu der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil vom 17.03. 2023. Mit Urteil vom 13.09.2023 fasste das LG das Urteil des Amtsgerichts vom 17.03.2023 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin neu und verurteilte den Angeklagten unter Einbeziehung mehrerer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Hinsichtlich der Tat, die Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen war, hatte die Kammer eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen befunden. Die ausgeurteilte Gesamtfreiheitsstrafe setzte sie nicht zur Bewährung aus, da sie keine positive Sozialprognose habe sehen können.

Am 14.09.2023 reichte der ursprüngliche Verteidiger ein ärztliches Attest vom 13.09.2023 ein. Die ausstellende Ärztin stufte den Beschwerdeführer danach vom 13. bis zum 14.09.2023 als vernehmungsunfähig erkrankt ein. Umfangreiche Nachermittlungen des Kammervorsitzenden im Nachgang zur Berufungshauptverhandlung ergaben, dass der Beschwerdeführer persönlich am 13.09.2023 gegen 11:45 Uhr im Bürgeramt Frankfurt am Main, Stadtteil Höchst, vorgesprochen hatte, um seine neue Meldeadresse eintragen zu lassen.

Der Angeklagte legte gegen das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin ergangene Urteil Revision ein. Die Generalstaatsanwaltschaft sah die von ihm insoweit erhobenen Verfahrensrügen, mit denen er die Verurteilung in seiner Abwesenheit und ohne Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers beanstandet hatte, als nicht ausreichend begründet und damit als unzulässig an. Mit Beschluss vom 15.05.2024 verwarf das OLG die Revision als offensichtlich unbegründet, weil die Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben habe. Eine weitere Begründung enthält der Beschluss nicht.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Angeklagate gegen das Urteil des LG, das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin ergangen ist, und gegen den die Revision verwerfenden Beschluss des OLG. Er rügt im Wesentlichen die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie seines Rechts auf effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren. Er macht geltend, er sei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung verurteilt worden, ohne dass an der Berufungshauptverhandlung ein Verteidiger mitgewirkt habe. Es sei rechtsfehlerhaft ohne den Beschwerdeführer und seinen Verteidiger verhandelt worden.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG führt u.a. aus:

„….

§ 140 Abs. 2 StPO wirkt sich auch auf das Berufungsverfahren aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zu § 329 StPO a.F.) ist dem Wortlaut des § 329 StPO eine Beschränkung des Berufungsgerichts dahin, dass es die Strafe gegen den unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten bei der Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft nur in einer bestimmten, von §§ 232 oder 233 StPO abhängigen Höhe aussprechen dürfte, nicht zu entnehmen (vgl. BGHSt 17, 391 <394>). Davon unberührt bleibt jedoch die Frage, ob zur Sache ohne den notwendigen Verteidiger verhandelt werden darf. Geht es um die Berufung des Angeklagten, wird eine Verwerfung wegen seiner Säumnis nicht in jedem Fall durch die Abwesenheit eines Pflichtverteidigers gehindert (vgl. BayObLG, Urteil vom 24. März 1999 – 5St RR 245/98 -, juris, Rn. 16; KG, Beschluss vom 15. November 2000 – (4) 1 Ss 357/00 (189/00) -, juris, Rn. 3). Es ist in der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung aber anerkannt, dass ? bei einer Berufung des Angeklagten ? die fehlende Ladung des Verteidigers (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. März 2001 – 1St RR 30/01 -, juris, Rn. 12), dessen fehlende Bestellung (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 7. Oktober 2009 – 1 Ss 86/09 -, juris, Rn. 23) oder dessen krankheitsbedingte Verhinderung in Fällen notwendiger Verteidigung (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 24. Juni 2016 – III-1 RVs 114/16 -, juris, Rn. 5) dazu führt, dass eine Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO nicht in Betracht kommt. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, die Berufung der Staatsanwaltschaft anders zu behandeln.

bb) Nach diesen Maßstäben verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführerin seinem Recht auf effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil rechtsstaatlich zwingende Folgerungen von den Fachgerichten nicht gezogen worden sind. Da ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag (1) und der Beschwerdeführer nicht ausreichend verteidigt war (2), durfte die Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit eines ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidigers nicht durchgeführt werden.

(1) Zum Zeitpunkt der Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft am 13. September 2023 war wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge von einem Fall der notwendigen Verteidigung auszugehen. Mit der durch Strafbefehl vom 15. Dezember 2021 verhängten Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen sowie mit der durch Urteil vom 27. März 2023 rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von zehn Monaten lagen zwei gemäß § 55 Abs. 1 StGB einbeziehungsfähige Strafen vor. Schon allein wegen der zehnmonatigen Freiheitsstrafe war damit zu rechnen, dass eine auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin noch zu bestimmende Einzelstrafe zu der Bildung einer Gesamtstrafe von über einem Jahr Freiheitsstrafe führen würde.

(2) Dennoch war der Beschwerdeführer in der Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß verteidigt. Der ursprüngliche Verteidiger des Beschwerdeführers war nicht zum Hauptverhandlungstermin erschienen. Der Umstand, dass er bereits vorab erklärt hatte, nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, und sich einen anderen Termin auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 13. September 2023 gelegt hatte, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer damit nicht ordnungsgemäß verteidigt war, als über das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in der Sache verhandelt wurde. Zwar soll weder dem Beschwerdeführer noch seinem Verteidiger die Möglichkeit eingeräumt werden, das Strafverfahren in unzulässiger Weise zu verschleppen.Allerdings entzieht sich die Bestellung eines Pflichtverteidigers in den Fällen einer notwendigen Verteidigung in der Hauptverhandlung der Dispositionsbefugnis der Beteiligten, auch des Beschuldigten und seines Verteidigers.

Für die Situation, dass im Falle einer notwendigen Verteidigung kein Verteidiger erscheint, enthält die Strafprozessordnung Vorgaben für das weitere prozessuale Vorgehen. Das Landgericht hätte demnach ? unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Abwesenheitsverhandlung gemäß § 329 Abs. 2 StPO ? dem Beschwerdeführer gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO einen anderen Verteidiger bestellen müssen, um sich wenigstens grundsätzlich die Möglichkeit einer Hauptverhandlung gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 StPO zu erhalten, oder die Verhandlung gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO aussetzen müssen.

cc) Das Oberlandesgericht hat den Verfassungsverstoß durch seine Revisionsentscheidung fortgesetzt. Auch das Oberlandesgericht hat verkannt, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag und die Berufungshauptverhandlung vorliegend nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers hätte durchgeführt werden dürfen, indem es die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen hat. ….

Pflichti I: Bestellung bei „drohender Gesamtstrafe“, oder: KiPo? Nein, kannst selbst Akteneinsicht nehmen.

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Heute kommen dann ein paar Entscheidungen zu Pflichtverteidigungsfragen, alle Entscheidungen stammen „aus der Instanz“.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und twar:

Von einem Fall notwendiger Verteidigung ist regelmäßig ab einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe auszugehen. Bei der Festsetzung der zu erwartenden Strafhöhe ist nicht auf Einzelstrafen, sondern auf die Gesamtstrafe abzustellen. Dies gilt auch für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung, soweit das anhängige Verfahren die Strafe nicht nur unwesentlich beeinflusst.

Das nur eingeschränkte Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten in bei der Akte befindliche Beweismittel mit kinderpornographischen Inhalten erfordert nicht die Bestellung eines Pflichtverteidigers, weil die Hauptakte auch für den Beschuldigten selbst einsehbar ist und die Beweismittelakte bei der Staatsanwaltschaft eingesehen werden kann.

Die Entscheidung des LG Frankfurt am Main ist zutreffend, sie entspricht der ständigen Rechtsprechung in der Frage.

Die Entscheidung des LG Hannover ist in meinen Augen falsch – und lebensfremd. Das LG setzt sich auch mit keinem Wort mit anders lautender Rechtsprechung zur Beiordnung in den KiPo-Fällen auseinander. Ich frage mich, wie das in der Praxis gehen soll. Der Beschuldigte erscheint bei der Geschäftsstelle der StA oder dem Gericht, um Einsicht in die Beweismittelakte zu nehmen. Er sitzt dann ggf. stundenlang dort herum, muss beaufsichtigt werden usw. Wenn er mit seinem Verteidiger kommt, müssen die beiden Gelegenheit haben, sich „unbelauscht“ zu den einzelnen Bildern austauschen zu können usw. Die Geschäftsstellen wird das freuen. Wie gesagt: Lebensfremd, aber „mia san mia“.

 

Pflichti I: 5 x etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: Höhe der Strafe, Berufung der StA, Betreuer, KiPo

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Und heute ist dann mal ein „Pflichti-Tag“ mit einigen Entscheidungen zu Pflichtverteidigungsfragen. Da hat sich in der letzten Zeit einiges angesammelt.

Ich starte hier mit Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar – wie gehabt – nur mit den Leitsätzen, da es sonst zu viel wird:

Die Erforderlichkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist in der Regel erst bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu bejahen.

Im Berufungsverfahren ist dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt hat und eine Verurteilung aufgrund abweichender Beweiswürdigung oder sonst unterschiedlicher Beurteilung der Sach- oder Rechtslage erstrebt.

Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung, wenn dem Beschuldigten ein Betreuer bestellt ist.

Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge im Sinne des § 68 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Ausreichend ist, wenn einem Angeklagten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, drohen.

1. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in einem sog. KiPo-Verfahren.
2. Die Sachlage ist unter anderem dann im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO schwierig, wenn die Staatsanwaltschaft in Ermittlungsverfahren wegen Verdachts von Straftaten nach § 184b StGB ggf. externe Sachverständige mit der Auswertung und Begutachtung sichergestellter Datenträger beauftragt. Die zu erwartende Auseinandersetzung mit technischen Untersuchungsberichten begründet eine überdurchschnittliche Schwierigkeit der Sachlage, für die auch nur dem Verteidiger zu gewährende Aktenkenntnis erforderlich ist.

Anwalt II: Zweimal etwas zum Beiordnungsgrund, oder: Schwere Rechtsfolge oder psychiatrisches Gutachten

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Und dann hier im Mittagsposting zwei Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

Von einer schweren Rechtsfolge ist ab einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe auszugehen, wobei auch schwerwiegende mittelbare Nachteile, wie ggf. eine Bewährungswiderruf und eine Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Führungsaufsicht in anderer Sache zu berücksichtigen sind.

Liegt ausweislich eines psychiatrischen Gutachtens bei dem Angeschuldigten eine seelische Behinderung, nämlich eine psychotische Störung durch multiplen Substanzgebrauch (F19.5) vorm die ihn nach der Bewertung der Ärztin daran hindert seine Angelegenheiten in Bezug auf die Vermögenssorge, die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und der Krankenkasse, die Vertretung in Wohnungsangelegenheiten, die Geltendmachung von Ansprüchen auf Sozialleistungen, die Hilfe im Insolvenzverfahren sowie die Gesundheitssorge selbst zu besorgen, ist Unfähigkeit zur Selbstverteidigung zu bejahen.

Pflichti I: Wieder etwas zu Beiordnungsgründen, oder: Schwere der Tat, Waffengleichheit, Beweisverwertung

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Und heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag. Es haben sich wieder ein paar Entscheidungen angesammelt. Nichts Weltbewegendes, aber es lohnt sich :-).

Zunäch dann die Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen – und auch ein wenig Verfahrensrecht. Ich stelle aber nur die Leitsätze vor, und zwar:

1. Nach ganz überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung ist eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe in der Regel Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers. Diese Grenze für die Straferwartung gilt auch, wenn sie nur wegen einer Gesamtstrafenbildung erreicht wird.

2. Eine – auch entsprechende – Anwendung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO auf die Fälle des § 141 Abs. 1 StPO ist aufgrund der eindeutigen Systematik des § 141 StPO ausgeschlossen.

1. Gegen die Versagung der Bestellung eines Pflichtverteidigers steht dem Beschuldigten ein Beschwerderecht zu, nicht aber dem nicht beigeordneten Rechtsanwalt. Im Zweifel ist zwar davon auszugehen, dass eine Einlegung eines Rechtsmittels nicht im eigenen Namen des Verteidigers erfolgt. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich aus den Umständen die Beschwerdeeinlegung im eigenen Namen des Verteidigers ergibt.

2. Die Schwere der dem Beschuldigten drohenden Rechtsfolgen, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lässt, bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile, wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.

3. Zur Frage, wann weitere laufende Verfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfordern.

Der Grundsatz des fairen Verfahrens erfordert beim Vorwurf einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung, sowie der Tatsache, dass sowohl die beiden als Haupttäter Mitangeklagten als auch der Nebenkläger anwaltlich vertreten sind, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers.

Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn das Amtsgericht aufzuklären hat, ob es sich bei einer Äußerung des Beschuldigten um eine verwertbare Spontanäußerung gehandelt hat oder ob ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen §§ 163a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO in Betracht kommt.

Na, zufrieden? Ich denke, dass man das sein kann, denn insbesondere die Entscheidungen des LG Magdeburg und des LG Nünrberg-Fürth sind „sehr schön“.

Zu der verfahrensrechtlichen Porblematik bei LG Koblenz kann man nur sagen: Selbst schuld, denn warum macht man nicht deutlich, dass der Mandant Rechtsmittel einlegt?