Heute dann zum Wochenauftakt zwei Entscheidungen zur Beleidigung.
Zunächst kommt hier der BayObLG, Beschl. v. 12.12.2024 – 203 StRR 599/24 – zur Frage der Beleidigung von Politikern durch Darstellung auf einem Fahndungsplakat, verbunden mit ihrer Bezeichnung als „Terroristen“, Staatsfeinde“, „gesucht“ wegen „organisiertem Verbrechen, Hochverrat, Genozid, Kindesmissbrauch, Volksverhetzung, Freiheitsberaubung, Amtsmissbrauch, Erpressung, Nötigung, arglistige Täuschung und andere, schwerwiegenden Straftaten …“ und „Gewalttäter“.
Das BayObLG hat die Verurteilung wegen Beleidigung nach § 185 StGB „gehalten“:
„1. Eine Strafbarkeit wegen Beleidigung setzt voraus, dass im Einzelfall nach den hierzu vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Angeklagten hinter den Schutz des Persönlichkeitsrechts der jeweils Betroffenen zurücktreten muss.
2. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die private Gestaltung eines Fahndungsaufrufs, verbunden mit der gegen die darin Abgebildeten gerichteten Beschuldigung, schwere Straftaten begangen zu haben, jedenfalls auch eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung darstellen kann (zur Abgrenzung Regge/Pegel in MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, StGB § 186 Rn. 5 ff.; Hilgendorf in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 185 StGB, Rn. 4 ff.). Die Qualifizierung des Tatrichters, der Fahndungsaufruf stelle sich nach dem Gesamtkontext als Meinungsäußerung dar, trägt der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung Rechnung (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4. April 2024 – 1 BvR 820/24 –, juris Rn. 17) und stellt hier sicher, dass die verfahrensgegenständliche Verlautbarung insgesamt am Schutz des Grundrechts von Art. 5 Abs. 1 GG teilnimmt.
a) Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext dieser Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht. Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte. Denn anders als bei Meinungen, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz wie den §§ 185 ff. StGB eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zugunsten der freien Rede gilt, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (st. Rspr., vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4. April 2024 – 1 BvR 820/24 –, juris Rn. 17 m.w.N.).
b) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt zunächst ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts. Der Schutz der Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung. Davon unberührt bleibt, dass der Gesichtspunkt der Machtkritik im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit in die Abwägung eingebunden und nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern erlaubt ist (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4. April 2024 – 1 BvR 820/24 –, juris Rn. 12 m.w.N.).
3. Dass der Tatrichter hier keine sorgfältige Auslegung der Verlautbarung vorgenommen hat, gefährdet den Bestand des Urteils nicht.
a) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (st. Rspr., vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4. April 2024 – 1 BvR 820/24 –, juris Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2024 – 206 StRR 343/24 –, juris Rn. 8). Maßgebend ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4. April 2024 – 1 BvR 820/24 –, juris Rn. 15 m.w.N. BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2024 – 206 StRR 343/24 –, juris Rn 8). Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor man die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 4. April 2024 – 1 BvR 820/24 –, juris Rn. 15 m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2024 – 206 StRR 343/24 –, juris Rn. 8).
b) Die Auslegung einer Äußerung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht kann diese bei vollständigen Feststellungen jedoch auch selbst vornehmen (BayObLG, Beschluss vom 14. Oktober 2024 – 206 StRR 343/24 –, juris Rn. 8; im Erg. auch BayObLG, Beschluss vom 15. August 2023 – 204 StRR 292/23 –, juris Rn. 27).
c) Danach ist die vom Angeklagten verantwortete Abbildung der Geschädigten mit Portraitaufnahmen und Wiedergabe von persönlichen Daten, gestaltet als Fahndungsplakat, verbunden mit ihrer Bezeichnung als „Terroristen“, Staatsfeinde“, „gesucht“ wegen „organisiertem Verbrechen, Hochverrat, Genozid, Kindesmissbrauch, Volksverhetzung, Freiheitsberaubung, Amtsmissbrauch, Erpressung, Nötigung, arglistige Täuschung und andere, schwerwiegenden Straftaten …“ und „Gewalttäter“ von einem unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikum bei Facebook nur dahingehend zu verstehen, dass der Angeklagte die Betroffenen mit der Zuschreibung der aufgeführten Straftaten öffentlich verächtlich machen wollte.
4. Der Senat holt die vom Landgericht unterlassene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Angeklagten und dem Ehrschutz der Geschädigten nach (zur Nachholbarkeit vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2023 – 203 StRR 204/23 –, juris Rn. 15).
Auf der einen Seite steht das Interesse des Angeklagten, auf öffentlichen Plattformen seine Meinung über die Geschädigten frei und uneingeschränkt kundtun zu dürfen und als Mittel der Teilnahme an der politischen Willensbildung auch das Mittel der Herabsetzung von gesellschaftlichen Entscheidungsträgern und Personen des öffentlichen Lebens einzusetzen. Die freie Meinungsäußerung ist ein unverzichtbares Element eines demokratischen Rechtsstaats. Der Schutz der Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente solcher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden. Die Grenzen zulässiger Kritik sind bei Politikern weiter zu ziehen als bei Privatpersonen. Insofern Politiker bewusst in die Öffentlichkeit treten, unterscheidet sich ihre Situation auch von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 204 StRR 574/21 –, juris Rn. 61 unter Verweis auf BVerfG NJW 2020, 2622, juris Rn. 30 f. m.w.N. auch zur Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 Absatz 2 EMRK).
Auf der anderen Seite haben die Geschädigten dem Angeklagten ungeachtet der von ihnen getroffenen, vom Angeklagten möglicherweise nicht gebilligten Entscheidungen persönlich keinen Anlass gegeben, sie der Begehung schwerer Straftaten zu bezichtigen und Dritte aufzufordern, sie festzunehmen. Der Angeklagte hat zudem mit der Wahl des Veröffentlichungsmediums bewusst seine Einflussmöglichkeit bezüglich der Weiterverbreitung des Fahndungsaufrufs aus der Hand gegeben. Die im Fahndungsaufruf inkludierte, von ihm nicht als frei erfunden gekennzeichnete Beschuldigung, schwere Straftaten wie etwa Kindesmissbrauch begangen zu haben, könnte zudem von einzelnen rechtlich unbedarften Lesern dahin gehend verstanden werden, dass sie auf Tatsachen basiert. Der Senat stellt in die Abwägung auch ein, dass ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern im öffentlichen Interesse liegt, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (BayObLG, Beschluss vom 31. Januar 2022 – 204 StRR 574/21 –, juris Rn. 62 unter Verweis auf BVerfG NJW 2020, 2622, juris Rn. 32). Der Aufruf zur Festnahme ist schließlich geeignet, die Betroffenen in die Gefahr einer Handgreiflichkeit zu bringen.
5. Der Senat ist hier zu der Entscheidung gelangt, dass dem Schutz der personalen Würde der drei Betroffenen der Vorrang gegenüber der Meinungsfreiheit des Angeklagten gebührt und dass der Schuldspruch wegen Beleidigung in drei Fällen im Ergebnis zu Recht erfolgt ist.“